mensch & pferd international
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1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2025.art17d
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Forum: Welchen Platz hat das Pferd in unserer Gesellschaft?
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Anne Lau
Denkmalschutz dient laut dem „Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege“ der Selbstvergewisserung sowie der Identifikation und ist notwendig für die Entwicklung eines Gegenwartsbewusstseins (Krautzberger 2022, Kap A, RN 11). Auch ist der Denkmalschutz ein Aspekt der Bewahrung des kulturellen Erbes. Was hat das mit dem Pferd zu tun?
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mup 3|2025|123-129|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2025.art17d | 123 Forum Welchen Platz hat das Pferd in unserer Gesellschaft? Denkmalschutz - einmal anders gedacht Anne Lau Denkmalschutz dient laut dem „Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege“ der Selbstvergewisserung sowie der Identifikation und ist notwendig für die Entwicklung eines Gegenwartsbewusstseins (Krautzberger 2022, Kap A, RN 11). Auch ist der Denkmalschutz ein Aspekt der Bewahrung des kulturellen Erbes. Was hat das mit dem Pferd zu tun? Das Pferd und den Menschen zeichnen mehr als 6000 Jahre gemeinsame Geschichte aus. Daraus resultiert eine enge und fortdauernde Verbundenheit mit bis heute bedeutsamen Werten. Dies gilt es zu bewahren, weiter in unserer Gesellschaft zu verankern und den Mehrwert des Pferdes für die Menschen innerhalb der aktuellen Rahmenbedingungen zu erhalten und zugänglich zu machen. Denkmäler sind auch als Lehrmeister für die Zukunft zu sehen. Als Beispiel aus der Architektur und Bauphysik sei hier in Zeiten des Klimawandels und der ungeklärten Entsorgungsfragen für unsere Müllberge die zunehmende Distanzierung von erdölhaltigen Baumaterialien und Beton zu nennen. Alte Häuser erinnern uns unter anderem an alte Bauweisen und fördern so beispielsweise die Rückbesinnung auf Holz, Lehm oder andere bewährte Baumaterialien. Baumeister dieser Zeit können uns zum Glück noch vom Einsatz nachhaltiger Materialien berichten und uns den Umgang mit diesen lehren. So können durch den Erhalt von Denkmälern, die auf das Frühere hinweisen, das Wissen quasi gespeichert, die Weisheiten der Altvorderen wieder aufgenommen werden. Übertragen auf das Pferd, um zwei Beispiele von vielen zu nennen, erinnert es uns zum einen daran, auf unsere Körpersprache zu achten. Schnelle Telefonate, Online-Treffen, virtuelle Meetings in unserer gehetzten und globalisierten Welt lassen den Fokus auf „dem Verbalen“ verbleiben. Dennoch ist die Körpersprache beim realen Aufeinandertreffen von Menschen der wesentliche Bestandteil unserer Kommunikation. Die Pferde lehren uns, die Körpersprache im Blick zu behalten, zu trainieren und immer wieder unsere Kommunikation als Gesamtheit zu hinterfragen. Zum anderen verlangt das Pferd im Umgang mit ihm Präsenz, volle Aufmerksamkeit und einen klaren Fokus. Das Pferd als wahrhaftiges Gegenüber, was uns nur wirklich im „Hier und Jetzt“ begegnet, lehrt uns, bei uns zu sein, zu fühlen und unsere Sinne aktiv wahrzunehmen, innezuhalten und dadurch uns selbst zu spüren. Auch das bewahrt uns das Pferd, wenn wir es in unserer Gesellschaft erhalten und achten. Das UNESCO-Übereinkommen zur Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes von 2003 betont den besonderen Charakter immateriellen Kulturerbes, welches lebendigen Traditionen, Wissen und Künsten entspricht und an die Menschen gebunden ist, die es ausüben und kreativ weiterentwickeln. Somit ist es ein dynamisches Gut und unterliegt gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Die gemeinsame Geschichte der Menschen und Pferde unterlag einem fortlaufenden 124 | mup 3|2025 Forum: Lau - Welchen Platz hat das Pferd in unserer Gesellschaft? Wandel und es liegt an uns, die sich dadurch entwickelten Werte und das Wissen für die nächsten Generationen zu erhalten. Seit 2023 ist die „klassische Reitlehre“ auf die Initiierung des Berufsreiterverbandes anerkanntes Immaterielles Kulturerbe der UNESCO. Darüber hinaus können wir noch viel mehr vom Pferd lernen und das Pferd als Denkmal im weiteren Sinne in unserer Gesellschaft bewahren. Der Mensch und das Pferd - eine gemeinsame Geschichte Die Entwicklung des Pferdes begann vor ca. 55 Mio. Jahren und dauerte ca. 50 Mio. Jahre an, bis die Vorfahren der Pferde, so wie wir sie kennen, die Steppenlandschaften für sich entdeckten. Nur ca. 6000 Jahre davon arbeitet das Pferd für den Menschen und hat dennoch so viel für ihn bewirkt. Pferde dienten den Menschen u. a. als Ackerpferde, Zugpferde, Grubenpferde, aber auch als Nahrungsquelle oder Rückepferde im Wald. Eine sehr zentrale Rolle nahm es als Reit- und Zugpferd viele Jahrhunderte in der Kriegsführung ein. In einem Artikel der Zeit (Schüler, 1962) war in Ansehung der Verdrängung des Pferdes durch Ackerschlepper zu lesen, dass die Kinder die Pferde bald nur noch als Denkmäler oder im Zoo kennenlernen könnten. Doch es kam anders. Das Pferd fand als Sportpferd zunehmend seinen Platz in der Gesellschaft und mit diesem Platz konnte auch das Streben nach der Einheit zwischen Mensch und Pferd als reiterliche Leistung weiterbestehen. Nun scheinen auch die Zeiten des Pferdes als Sportpferd schwierig zu werden. Die Kosten für die Pferdehaltung steigen und sind für viele nicht mehr zu leisten. Die Anforderungen, die der Sport an die Ausführenden stellt, wie z. B. Ausdauer, Hingabe, körperliche Belastbarkeit, unermüdlicher Wille und Reflexionsvermögen sind für viele Menschen anstatt einer Tugend zu einer Unbequemlichkeit geworden. Auch werfen viele Negativbeispiele ein schlechtes Licht auf den Pferdesport und lassen an dem obersten Ziel der Reiterei - die Harmonie zwischen Pferd und Reiter - zweifeln. Zudem erschweren die allgegenwärtige Zeitknappheit, die Terminoptimierung und Orientierung an Konsum und immer neuen Erlebnissen eine kontinuierliche Partnerschaft mit dem Lebewesen Pferd. Viele Aktivitäten, Hobbys oder Beschäftigungen spielen sich oft nur noch an der Oberfläche ab. Damit wird es kaum mehr möglich, dass es in einer der einzelnen Tätigkeiten zu wirklichem Erfolg oder einer engen Verbindung kommt, die als Bestätigung oder Erfüllung erfahren wird und absolute Begeisterung hervorruft. Was soll nun aus dem Pferd als treuem Partner des Menschen werden? Brauchen wir das Pferd noch oder soll es doch als Denkmal und im Zoo enden? Der Mehrwert der Pferde H.-H. Isenbart (2007) formulierte unter anderem folgende Worte: „ …dass Pferdeliebe und Passion aus jener Zeit gewachsen sind, da man ohne Pferde nicht leben konnte, hinein in eine Zeit, in der man das Pferd zum Leben nicht mehr braucht - wenn man denn ein altes, unendlich wertvolles Kulturgut entbehren will…Denn ein großer Teil der Menschheitsgeschichte lag auf dem Rücken der Pferde…und: Eine Brücke zu schlagen vom einst zum jetzt. Das scheint gerade dort notwendig zu sein, wo es um Werte geht, für die es keinen Denkmalschutz gibt.…Und bemerken wir auch, dass das, was mit dem Pferd verloren ging, ein Stück Humanität ist? … Das einst Selbstverständliche aber muss heute gezielt gelehrt und gelernt werden. Eigenschaften und Fähigkeiten, die letztlich für den Umgang mit Menschen genauso notwendig sind wie für den Umgang mit Pferden. Und darum ist und bleibt der Umgang mit Pferden eine Schule der Menschlichkeit. Ist es und bleibt es. Denn wer gelernt hat, mit dem Pferd umzugehen, hat ein gutes Stück Erziehung an sich selbst gemacht.“ Die traditionsreiche „Heeresdienstvorschrift 12“ (H.Dv.12), welche zur Ausbildung von Pferden Forum: Lau - Welchen Platz hat das Pferd in unserer Gesellschaft? mup 3|2025 | 125 für militärische Zwecke erarbeitet wurde, sagt schon in ihrer Einführung, dass die Ausbildung von Pferden nur von dauerndem Erfolg sein wird, wenn alle (Vorgesetzte und Untergebene) von der Freude am Reiten und der Liebe zum Pferde beseelt sind (Ziegner / Heuschmann 2017, 9). Selbst im Kontext der Kriegsführung wird die Ausbildung von Pferden nur als zielführend und sinnvoll beschrieben, wenn sie mit Freude und Liebe durchgeführt wird. So sollte für Menschen, die mit Pferden arbeiten, Freude und Liebe zu diesen Tieren im Mittelpunkt stehen, ebenso wie Hingabe und Faszination für das eigene Tun. Major a. D. P. Stecken (2015, 38) weist auf einen weiteren wichtigen Aspekt im Umgang mit Pferden hin: „Wenn man in der Reiterei Grundsätzliches verbessern oder korrigieren möchte, dann sollte man nach einem wohlüberlegten, alten Grundsatz vorgehen, der sich immer bewährt hat und lautet: So gerecht wie möglich - so wohlwollend wie möglich, aber so konsequent wie nötig.“ Diese Haltung zu Gerechtigkeit, Wohlwollen und der notwendigen Konsequenz in der Situation lässt sich nicht nur auf die Arbeit mit Pferden, sondern auch auf das Miteinander der Menschen übertragen. In unserer zunehmend digitalen und anonymen Welt wäre es ebenso förderlich, wenn Freude, Liebe und Gerechtigkeit im zwischenmenschlichen Umgang zentrale Rollen einnähmen. Oberst a. D. von Ziegner schreibt in seinen Kommentaren zur H.Dv.12: „Jeder Ungehorsam hat seine Vorgeschichte. Diese ehrlich zu bekennen und an sich selbst zu arbeiten, ist der beste Weg, einmal ein REITER zu werden. Diese alte Weisheit hat sich immer wieder bestätigt: Das Schwerste am Reiten ist die Arbeit an sich selbst.“ (Ziegner / Heuschmann, 2017, 136). Die FN-Richtlinien Band 1 (2023, 19) ergänzen dies, indem sie hervorheben, dass das Reiten nicht nur Tierliebe und Einfühlungsvermögen erfordert, sondern auch Geduld, Selbstbeherrschung, Fairness und Disziplin verlangt und diese Eigenschaften durch den Umgang mit dem Pferd gefördert werden. Diese Fähigkeiten sind nicht nur im Reitsport von großer Bedeutung. W. Seunig hebt in seinem Buch „Von der Koppel bis zur Kapriole“ hervor: „Denkende Reiter suchen nach Möglichkeiten, auf Grund neuer Methoden, die aber durchaus auf bewährten alten Grundsätzen beruhten, bessere Erfolge zu erzielen.“ Das heißt, Fortschritt und Verbesserung entstehen durch das Lernen aus der Vergangenheit und einer ständigen Bereitschaft zur Selbstreflexion sowie persönlicher Weiterentwicklung. Genau diese Kombination aus Tradition und Innovation ist es, die sowohl in der Arbeit mit Pferden als auch im Umgang mit Menschen zielführend ist. Auch stellt Seunig das freundschaftliche Verhältnis zwischen Reiter und Pferd, das auf Vertrauen und nicht auf bloßer Autorität beruht, als einen weiteren wesentlichen Punkt heraus. Respekt entsteht hier aus einem tiefen Verständnis und Vertrauen zwischen Reiter und Pferd. Ebenso wie in der zwischenmenschlichen Interaktion, die Geduld, Fairness und Einfühlungsvermögen erfordert, braucht der Reiter Geduld, ein geistiges Gleichgewicht und die Fähigkeit, seine eigenen Leistungen und die seines Pferdes realistisch einzuschätzen. Genauigkeit ist hierbei wichtig, doch sollte Kleinlichkeit vermieden werden. Es gilt so, Abb. 1: Innige Verbundenheit zwischen Mensch und Pferd 126 | mup 3|2025 Forum: Lau - Welchen Platz hat das Pferd in unserer Gesellschaft? das richtige Maß an Anforderungen zu finden, das in einem bestimmten Zeitraum für das jeweilige Pferd angemessen ist. Seunig (2007, 49 ff) schildert weiterhin, so wie jedes Pferd seine eigene Individualität hat, entwickelt auch jeder Reiter seine eigene Art und Weise, selbst wenn sie bei demselben Lehrer lernen. Dies ist auch im zwischenmenschlichen Umgang besonders wichtig, wo jeder Mensch seine eigene Persönlichkeit und Perspektive einbringt, was das Miteinander und die Gruppe bereichert und gleichzeitig eine individuelle Herangehensweise erfordert. Diese Zitate und altbewährte Literatur bestärken die Idee, dass der Umgang mit Pferden sowohl das persönliche Wachstum als auch die Entwicklung von Charaktereigenschaften fördert, die in allen Lebensbereichen wertvoll sind. Als Schlüsselfaktoren werden Selbstreflexion, Fairness, Disziplin und Vertrauen, Geduld, Respekt sowie Individualität als Schlüsselfaktoren sowohl für das Reiten als auch für das soziale Miteinander hervorgehoben. Vor allem die wohlverstandene Arbeit an sich selbst, stellt eine wesentliche Verbindung zwischen Reitkunst und Lebensweisheit her. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich in unterschiedlichen Bereichen der Arbeit mit dem Pferd sowie im Pferdesport viele Akteure mit dem Mehrwert der Pferde für den Menschen und somit auch für die Gesellschaft beschäftigen. Dieser Mehrwert der Pferde konnte im Bereich der Bewegung wie beispielsweise der Förderung der Motorik und Koordination und im Bereich der sozialen Kompetenzen wie beispielsweise der Empathie und Selbstwirksamkeitsüberzeugung als auch in vielen weiteren Bereichen empirisch nachgewiesen werden. Es lohnt sich also, das Pferd auch heute als Partner des Menschen zu erhalten. Dies verlangt neue Wege, um unter Einbezug der heutigen Rahmenbedingungen dem Pferd einen ihm gebührenden Platz in unserer Gesellschaft zu geben. denkMAL Schutz Pferd denk- MAL Schutz Pferd® ist vor allem eine Haltung, kann aber auch als Konzept gesehen werden und hat seinen Ursprung im Umgang mit Pferden, Menschen und den vielfältigen Anforderungen des Lebens. Geprägt von sich wandelnden Rahmenbedingungen und unausweichlichen Veränderungen ist eine flexible und optimistische Haltung gegenüber Herausforderungen gewachsen. Das Konzept umfasst drei zentrale Ebenen. Zum einen den Schutz des Pferdes, wobei hier das Pferdewohl im Vordergrund steht. Dies erfordert u. a. eine artgerechte Haltung, Pflege und den verantwortungsvollen Umgang mit dem Pferd. Zum anderen geht es um die Erhaltung des Mehrwertes des Pferdes für die Gesellschaft und der Rolle des Pferdes als wertvoller Partner für den Menschen. Die dritte Ebene betrifft den Schutz des Menschen selbst, der im Umgang mit Pferden immer wieder dazu angehalten wird, nachzudenken, sich selbst und sein Umfeld kritisch zu reflektieren. Dieser Prozess fördert nicht nur die eigene Positionierung und Weiterentwicklung, sondern trägt auch zu einem offeneren, demokratischeren und zukunftsfähigen Miteinander in der Gesellschaft bei. Der Schutz des Pferdes - im Sinne des Tierschutzes Die Kosten für die Pferdehaltung und alle damit verbundenen Ausgaben sind in den letzten Jahren drastisch gestiegen. Diese Entwicklungen führen dazu, dass viele Pferdebesitzer, ebenso wie pferdehaltende Vereine und Betriebe, mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Einige haben bereits aufgegeben, während andere die Mehrkosten durch eine Nutzungsintensivierung der Pferde kompensieren, was oft zu Lasten der Tiere geht. Für viele Menschen ist das Pferd als Sportpartner inzwischen kaum noch finanzierbar. Um das Pferd als Partner des Menschen langfristig zu erhalten, braucht es neue Nutzungskonzepte, die u. a. eine artgerechte Haltung und umfassende tierärztliche Versorgung sicherstellen, ohne das Tier dabei zu überlasten. Gleichzeitig steigen die Anforderungen an das Pferd, da viele Menschen heute wenig Erfahrung im Umgang mit Tieren, insbesondere mit Pferden, mitbringen. Dies führt oft zu einer fehlenden oder überhöhten Sensibilität im Umgang mit diesen Abb. 2: denkMAL Schutz Pferd Forum: Lau - Welchen Platz hat das Pferd in unserer Gesellschaft? mup 3|2025 | 127 Tieren, was dann eine Überforderung der Pferde hervorrufen kann und so wiederum den Bedürfnissen der Pferde nicht gerecht wird. Hier ist auch das oft gemiedene Thema Reitergewicht zu nennen. Ein Pferd ist von Natur aus kein Tragetier und kann nur mit entsprechender Ausbildung und Training ein bestimmtes Maximalgewicht tragen, ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen zu erleiden. Reiten ist ein Sport, der bestimmte Anforderungen an die Reitenden stellt. Daher ist es sinnvoller, sowohl Kinder und Jugendliche als auch Erwachsene in ihrer Fitness zu fördern und zu stärken, anstatt „robustere“ Pferde einzusetzen, die weniger fitte Reitende gerade so kompensieren können. Neue Ansätze sollten daher nicht nur die finanzielle Machbarkeit, sondern auch die Balance zwischen den Erwartungen der Menschen an das Pferd und dessen artgerechtem Einsatz in den Fokus rücken. Die Liebe zum Pferd sollte immer wieder in den Mittelpunkt gestellt werden und so wird auch der Gewinn, den wir mit pferdegestützten Angeboten erzielen, ein echter Mehrwert sein und nicht zu Lasten der Pferde generiert. Die Erhaltung des Pferdes für unsere Gesellschaft - im Sinne des Denkmalschutzes Früher erwarben die „Pferdemenschen“ im Alltag viele Erfahrungen mit dem Pferd. Nun gilt es, gezielt Situationen zu schaffen, die diese wertvollen Erlebnisse für den heutigen „Nicht-Pferdemenschen“ erfahrbar machen. Solche kurzen intensiven Momente mit dem Pferd sind auch für eine Vielzahl von Menschen zu realisieren und auch zu finanzieren, welche nicht täglich mit dem Pferd in Kontakt stehen. Als Beispiele wären hier pferdegestütztes Coaching, Schulprojekte mit Pferdeeinsatz, innovative Ansätze in der Reitausbildung oder auch Erlebnistage in und mit pferdehaltenden Vereinen bzw. Betrieben zu nennen. Gleichzeitig ist es wichtig und notwendig, interessierten Menschen Möglichkeiten zu eröffnen, den Kontakt zu Pferden zu intensivieren und diesen dennoch für den Einzelnen bezahlbar zu gestalten. Im Rahmen dieser Angebote lernen mehrere Teilnehmende gemeinsam mit dem Pferd in der Gruppe voneinander und miteinander. Die Anforderung besteht hierbei darin, den Mehrwert dieser Gruppenangebote hervorzuheben und dem oft negativ wahrgenommenen Eindruck des „Pferdeteilens“ entgegenzuwirken. Die Anregung zum Nachdenken - im Sinne des Menschen mit (Eigen-)Verantwortung Nachdenken wird im Duden als „sich in Gedanken eingehend mit jemandem, etwas beschäftigen; versuchen, sich in Gedanken über jemanden, über einen Sachverhalt klar zu werden“ beschrieben. Die Basis menschlicher Entwicklung und jeder demokratischen Gesellschaft sowie jeder Art von Weiterentwicklung ist der Prozess des Nachdenkens, des Reflektierens und des Abwägens. Gerade in Zeiten zunehmender Informationsflut durch soziale Medien ist die Fähigkeit nachzudenken umso wichtiger geworden. Es ist unabdingbar, verschiedene Ansichten voneinander abzugrenzen, sich eine fundierte eigene Meinung zu bilden, diese zu vertreten oder gegebenenfalls auch anzupassen, wenn gute Gründe dies erfordern. Der Umgang mit Pferden erfordert, dass wir unsere gemeinsamen Rahmenbedingungen stets im Blick behalten und diese in unsere Entscheidungen einbeziehen. Da Pferde über eine artgerechte Fütterung und Haltung hinaus kaum eigene Anforderungen an uns stellen, sind wir dafür verantwortlich, die richtigen Bedingungen zu schaffen, um unsere - auf menschlichen Wünschen basierende - Ziele in der Arbeit mit Pferden zu erreichen. Das bedeutet, dass wir bereit sein müssen, unsere Ansätze zu ändern, wenn die Rahmenbedingungen dies erfordern. Der Abb. 3: verantwortungsvolle Haltung - im Sinne der Pferde 128 | mup 3|2025 Forum: Lau - Welchen Platz hat das Pferd in unserer Gesellschaft? Umgang mit Pferden lehrt uns, vielseitig und flexibel zu agieren und unsere Methoden kontinuierlich anzupassen. Pferde sind hochsensibel und reagieren auf ihre Umgebung und somit auch auf menschliche Emotionen und Handlungen sofort und unmittelbar. Pferde leben im Hier und Jetzt. Der Umgang mit ihnen fordert dem Menschen eine Gegenwartsorientierung ab, denn solange Pferde die Aufmerksamkeit des Menschen spüren, beachten sie ihn aktiv, andernfalls wenden sie sich ab und gehen sonstigen Beschäftigungen nach. Die Kommunikation mit einem Pferd erfordert immer wieder schnelle Entscheidungen, klare Anweisungen und konsequentes Handeln. Diese Fähigkeiten können wir auch in anderen Lebensbereichen übernehmen und zielführend einsetzen. Als Fluchttiere kommunizieren Pferde weitgehend nur über Körpersprache. Diesen nonverbalen Kommunikationskanal nutzen sie auch in der Interaktion mit dem Menschen und reagieren so auf dessen körpersprachliche Signale. Es scheint, als könnten sie den Widerspruch zwischen inneren Absichten und äußerem Auftreten „sehen“. Tatsächlich nehmen sie die kleinen Hinweise wahr, die Menschen in Inkongruenz nonverbal unbewusst senden. Im Umgang mit den Pferden können wir dies im Prozess des Nachdenkens, Abwägens und Entscheidens als eine Art „Gegenkontrolle“ nutzen. Ist unsere Entscheidung wirklich sicher getroffen, wird sich das Pferd in unserer Gegenwart wohlfühlen, wir strahlen Sicherheit aus. Hadern wir noch, wird das Pferd mit seinem Verhalten auf unsere Unsicherheit reagieren und wir werden angehalten, die Gedanken noch einmal aufzugreifen und klare Entscheidungen zu treffen. Somit bietet, wie schon oben mit den Worten von Seunig untermauert, der Umgang mit Pferden wertvolle Anregungen zum Nachdenken und für die persönliche Weiterentwicklung. Pferde reagieren auf unser Verhalten, spiegeln unsere Stärken sowie Schwächen wider, konfrontieren uns mit uns selbst und fordern uns auf, nachzudenken, unsere Ansätze zu hinterfragen und gegebenenfalls anzupassen. Dies fördert unsere Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung sowie zur kritischen Selbstanalyse und -reflexion. Im Umgang mit den Pferden sind wir immer gefordert, unser Bestes zu geben, denn dann wird es das Pferd auch tun. Daraus hat sich nachfolgender Prozess des Nachdenkens entwickelt, in dessen Mittelpunkt die Kommunikation miteinander steht: In jedem Prozess müssen die maßgeblichen Rahmenbedingungen wahrgenommen und Klarheit gewonnen werden, um abzuwägen, welche dieser Rahmenbedingungen veränderbar oder eben nicht veränderbar sind. Die Konstanten sind zu akzeptieren, denn jede Anstrengung, diese zu ändern, würde keinen Erfolg bringen, wäre eine Verschwendung von Ressourcen und kann auch zu Frustrationen führen. Dagegen eröffnen die Variablen die Möglichkeit, sich für eine Veränderung oder auch ein Beibehalten der aktuellen Situation aktiv zu entscheiden. Im Bereich der Variablen besteht Spielraum für selbstwirksames Eingreifen und somit Entwicklungspotenzial. Im nächsten Schritt folgt die Definition des Ziels und der Festlegung eines passenden Weges dazu. Anschließend wird der gesamte Prozess vor dem Abb. 4: Prozess des Nachdenkens Forum: Lau - Welchen Platz hat das Pferd in unserer Gesellschaft? mup 3|2025 | 129 Hintergrund der gewonnenen Erkenntnis in angemessener Ruhe reflektiert. Eine offene und klare Kommunikation über alle Gedanken und Schritte hinweg führt alle Beteiligten zu einer erfolgreichen und nachhaltigen Entwicklung neuer Ideen und Wege. Die Grafik (Abb. 4) zeigt einen iterativen Denkprozess, der sich Schritt für Schritt wiederholen kann und dabei eine fortlaufende Reflexion ermöglicht. Konkret geht es darum, Rahmenbedingungen zu identifizieren, Klarheit zu gewinnen, Ziele zu definieren, einen geeigneten Weg zu wählen und den gesamten Prozess kontinuierlich zu reflektieren. So kann der Fortschritt überprüft und es können gegebenenfalls Anpassungen vorgenommen werden. Dadurch entsteht eine dynamische und flexible Struktur, bei der der Denkprozess ständig neu bewertet und optimiert werden kann. Dieser Prozess erlaubt eine ständige Weiterentwicklung und Anpassung an neue Gegebenheiten. Die Erhaltung der Flexibilität der Gedanken sowie eine andauernde Reflexion führt schneller zum „richtigen“ Weg zurück und reduziert den Aufwand, der entsteht, wenn „falsche“ Wege eingeschlagen werden. Dadurch werden die Resilienz sowie die Gesunderhaltung der Menschen und auch die Zukunftsfähigkeit von Angeboten oder ganzen Unternehmen gefördert. Fazit Zusammenfassend lässt sich damit zunächst festhalten, dass das Konzept denkMAL Schutz Pferd® mehrere Anliegen dynamisch in sich vereinigt: erkennen, bewahren, nutzen, fortentwickeln. Das Kulturgut Pferd, das zugleich Jahrtausende lang ein enger Partner des Menschen gewesen ist, wird in seinem Facettenreichtum gerade auch in der Beziehung zum Menschen wiederentdeckt und in die heutige Zeit transferiert. Zur Verrichtung von Arbeiten ist das Pferd nicht mehr vonnöten, sondern wurde sukzessive von wesentlich effektiveren und effizienteren Maschinen ersetzt. Als interspezifischer Partner, der den Menschen physisch, mental und emotional herausfordert und fördert, behält das Pferd aber nach wie vor seinen Mehrwert. Diesen zu erhalten und in breiterer Form nutzbar zu machen, ist Inhalt dieses Konzepts. Zugleich ist das Konzept eine innere Haltung. Weitergehende Ausführungen zur praktischen Umsetzung finden Sie für den Bereich der Reitpädagogik / Reitausbildung in der nächsten Ausgabe. Literatur ■ Deutsche Reiterliche Vereinigung e. V. (Hrsg.) (2023): Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1: Grundausbildung für Reiter und Pferd. 34. Aufl. FN-Verlag, Warendorf ■ Isenbart, H.-H. (2007): Festrede zur Ausstellung „275 Jahre Trakehnen Mythos im Zeichen der Elchschaufel“ 29. März 2007 in Verden. In: www.trakehner-verband.de / wp-content/ uploads / 2017 / 09 / rede.pdf, 23.11.2024 ■ Martin, D. J., Krautzberger, M. (2022): Handbuch Denkmalschutz und Denkmalpflege. 5. Aufl. C. H. Beck, München ■ Schüler, H. (1962): Noch steht das Pferd nicht unter Denkmalschutz. Die Zeit 6. Juli. ■ Seunig, W. (2007): Von der Koppel bis zur Kapriole. 3. ND Olms Verlag, Hildesheim ■ Stecken, P. (2015): Bemerkungen und Zusammenhänge: Erkenntnisse eines Pferdemannes. FN-Verlag, Warendorf ■ von Ziegner, K. A., Heuschmann, G. (2017): Die kommentierte H.DV.12: Das Regelwerk der Reitkultur neu erklärt. Kosmos Verlag, Stuttgart Die Autorin Anne Lau Soz.-Pädagogin, Trainer B Reiten (FN), Reittherapeutin, Coach (DGfC), seit 2016 Inhaberin hofpferde Seifertshain Anschrift hofpferde Seifertshain · Mittelstr. 50 D-04463 Großpösna · www.hofpferde.de anne.lau@hofpferde.de
