mensch & pferd international
2
1867-6456
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/mup2025.art20d
71
2025
173
Praxistipp: "Positiv verstärkt, positiv gestärkt"
71
2025
Astou Maraszto
Im folgenden Artikel wird das Thema Clickertraining in der pferdegestützten Intervention vorgestellt. Im ersten Teil gibt es einen Rückblick zum Umgang mit Pferden, das Lernverhalten des Pferdes wird erklärt sowie wissenschaftliche Erkenntnisse dazu vorgestellt. Im Anschluss wird der Begriff der tiergestützten Interventionen genauer betrachtet, um zum Schluss praktische Ideen und Übungen für das Clickertraining in pferdegestützten Interventionen bereitzustellen. Dieser Artikel soll auch Fachkräfte dabei unterstützen, den Mehrwert ihrer Angebote hervorzuheben.
2_017_2025_3_0008
mup 3|2025|141-149|© Ernst Reinhardt Verlag, DOI 10.2378 / mup2025.art20d | 141 Astou Maraszto Praxistipp „Positiv verstärkt, positiv gestärkt“ Wie positive Verstärkung in der pferdegestützten Intervention allen Beteiligten zugutekommt Einleitung Im folgenden Artikel wird das Thema Clickertraining in der pferdegestützten Intervention vorgestellt. Im ersten Teil gibt es einen Rückblick zum Umgang mit Pferden, das Lernverhalten des Pferdes wird erklärt sowie wissenschaftliche Erkenntnisse dazu vorgestellt. Im Anschluss wird der Begriff der tiergestützten Interventionen genauer betrachtet, um zum Schluss praktische Ideen und Übungen für das Clickertraining in pferdegestützten Interventionen bereitzustellen. Dieser Artikel soll auch Fachkräfte dabei unterstützen, den Mehrwert ihrer Angebote hervorzuheben. Durch die jahrelange Arbeit in der pferdegestützten Intervention habe ich einiges an Erfahrung in dem Bereich gesammelt und dabei mehrere Probleme identifiziert: Erstens verlangt negative Verstärkung Eskalation, um wirksam zu bleiben. Das bedeutet einerseits, dass durch Abstumpfen der Pferde im Zeitverlauf tendenziell immer mehr Druck angewandt werden muss und andererseits auch, dass die Angst vor der pferdeführenden Person größer sein muss als vor einem beängstigenden Außenreiz. Zweitens basiert das meiste Wissen in der „Pferdewelt“ auf tradierten Erfahrungswerten aus Militär und Feldarbeitszeiten und nicht auf wissenschaftlicher Arbeit oder zeitgemäßen Überlegungen zur Mensch-Tier-Beziehung. Dies stellen auch Cooper (2007) sowie Kurland und St. Peter (2022) fest. Wissenschaftliche Erkenntnisse dringen meist nicht bis in die pferdebezogenen Ausbildungsinstitutionen durch. Einige Studien (z. B. Wijnen / Martens, Rogers / Bell, McLean et. al.) weisen bereits darauf hin, dass die Arbeit mit positiver Verstärkung pferdefreundlicher wäre und besonders auch im Rahmen tiergestützter Arbeit eine sinnvollere Variante sei. Dadurch, dass Clickertraining und wissenschaftlich erforschte Erkenntnisse zu Kommunikationszeichen der Pferde in Österreich noch keinen fixen Platz im Ausbildungsregulativ des Pferdesportverbands haben, ist es auch für Interessierte nicht sehr einfach, diesen Weg einzuschlagen oder sich diesbezüglich weiterzubilden. Ein weiteres Problem besteht darin, dass viele Menschen mit Gewalterfahrung zu Klient: innen von tiergestützten Interventionen gehören und die konventionelle Arbeit mit Pferden auf dem Ausüben von Druck und dem Androhen desselbigen basiert. Diese von Gewalt betroffenen Menschen sollten nicht in der Therapie beiläufig mit den eigenen Erlebnissen konfrontiert werden. Außerdem normalisiert die Anwendung von Gewalt, insbesondere in hierarchischen Strukturen, diese auch für die Klient: innen (Luna / Rubio-Martín 2022). So machte ich mich auf die Suche nach neuen Ansätzen für den Umgang mit Pferden. Pferdeausbildung Eines der ersten aufgezeichneten Phänomene im Bereich des Lernens des Pferdes war der „clevere Hans“. Anfang des 20. Jahrhunderts schaffte es ein Pferd in die 142 | mup 3|2025 Praxistipp: Maraszto - „Positiv verstärkt, positiv gestärkt“ Medien, welches scheinbar zählen konnte. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass „der clevere Hans“ lediglich gut konditioniert worden war, denn er reagierte verlässlich auf ein Handzeichen seines Trainers. Dies wäre bereits ein Hinweis auf den erfolgreichen Einsatz des Lernprinzips gewesen, trotzdem hat es den Weg in die klassische Ausbildung der Pferde nicht geschafft. Dabei ist die Anwendung dieser Prinzipien im Training von großen Säugetieren wie Delfinen oder Walen nicht mehr wegzudenken. Pferde lernen wie andere Säugetiere auch. Wissen zu Lerntheorie soll die Kommunikation zwischen Menschen und Pferden verbessern und dabei zum Wohlergehen der Pferde beitragen. Pferde werden traditionell mittels negativer Verstärkung und Strafe trainiert (Hendriksen et al. 2010; Larssen / Roth 2022). Das bedeutet, dass ein aversiver Reiz zum Beispiel körperlicher Druck weggenommen wird im Zusammenhang mit dem erwünschten Antwortverhalten oder auf ein unerwünschtes Verhalten mit etwas Unangenehmen (oder der Androhung dessen) reagiert wird. Allerdings unterstützt ein wachsender Datensatz das Implementieren von positiver Verstärkung in die Arbeit mit Pferden (ebd.). Beispielsweise konnte in einer Studie von Innes und McBride (2008) zum Vergleich von positiver und negativer Verstärkung im Umgang mit Pferden in einem Tierschutzzentrum gezeigt werden, dass Pferde, die mit positiver Verstärkung trainiert wurden, schon nach vier Wochen ein erhöhtes Explorationsverhalten zeigen im Gegensatz zur negativ verstärkten Vergleichsgruppe. Es konnte eine erhöhte Motivation zur freiwilligen Teilnahme an Aktivitäten festgestellt werden, ebenso eine verstärkte Kontaktfreudigkeit in Bezug auf die Trainer: innen. Die Studie wurde mit geretteten Pferden durchgeführt. Jene, welche positiv verstärkt trainiert wurden, konnten zum Großteil früher in ein neues Zuhause integriert werden. Dies unterstreicht, was im Bereich der Pädagogik schon lange bekannt ist: ein unterstützendes, positives Lernumfeld erzeugt zuverlässigere und stressfreiere Ergebnisse. Pferde zeigen ein vorhersehbares Repertoire an Verhalten, wenn sie Stress empfinden. Einiges davon, wie Beißen, Buckeln oder Steigen, kann für die Menschen, welche sich in ihrer Nähe befinden, sehr gefährlich sein. Häufig kommt es dadurch zu strafendem Verhalten seitens des Menschen, was sich wiederum negativ auf das Wohlbefinden des Pferdes auswirkt und möglicherweise wieder zu mehr Stressverhalten führt (Rogers / Bell 2022). Lernverhalten von Pferden Auch wenn Pferde traditionell mittels negativer Verstärkung trainiert werden (Hendriksen et al. 2010; Larssen / Roth 2022) unterstützt ein wachsender Datensatz das Implementieren von positiver Verstärkung in die Arbeit mit Pferden. Dabei wird das Pferd für das erwünschte Verhalten belohnt. Wird das Verhalten nicht gezeigt, wird es auch nicht aktiv bestraft. Mit der Einführung eines Markersignals das kann ein Clickgeräusch oder auch ein anderes gut wahrnehmbares sein wird die Klarheit und damit auch Effizienz und Entspannung im Training erhöht. Das Pferd weiß genau, für welches Verhalten es eine Belohnung erwarten kann und auch, wann diese kommt. In ihrer Studie zum Vergleich von Stress beim Hängertraining vergleichen Hendriksen et al. (2010) das Training mit positiver und negativer Verstärkung. Die Pferde aus der Gruppe, in welcher positiv verstärkt gearbeitet wurde, lernten mithilfe eines Clickers und Futterlob ein „Target“ zu berühren. Die Pferde aus der Gruppe, welche mit negativer Verstärkung trainiert worden waren, lernten einem Seil auszuweichen. Wenn das Pferd nicht die erwünschte Reaktion zeigte, wurde der Druck mithilfe einer Gerte an der Schulter erhöht. Die negative Verstärkungsgruppe zeigte deutlich mehr von allen vier gemessenen Stressverhalten und die Einheiten dauerten deutlich länger. Da das Ignorieren beziehungsweise das Missdeuten dieser Signale zu gefährlichen Eskalationen führen kann, stellen die Autor: innen die Praxistipp: Maraszto - „Positiv verstärkt, positiv gestärkt“ mup 3|2025 | 143 Hypothese auf, dass nur sehr erfahrene Pferdemenschen negative Verstärkung verwenden sollten, während in der Realität aber „alle“ domestizierten Pferde dem ausgesetzt sind. Heleski et al. (2008) konnten im Rahmen einer Studie zum Training von angstbehafteten Verhalten mit positiver oder negativer Verstärkung nachweisen, dass trotz ihres gängigen Einsatzes die Arbeit mit negativer Verstärkung ein höheres Sicherheitsrisiko mit sich bringt. Zur Verbindung von Wissenschaft und Pferdetraining versuchen Alexandra Kurland und Claire St. Peter (2022) mit einem Artikel über „Loopy Training“ Aufklärung zu betreiben. Sie bestätigen ebenfalls, dass es einen Graben zwischen wissenschaftlicher Erkenntnis und der praktischen Umsetzung im Pferdebereich gibt. Tiergestützte Interventionen Tiergestützte Interventionen bestehen aus einem Mensch-Tier-Team. Daraus ergibt sich ein Machtverhältnis, in dem der Mensch auch für das Wohlergehen der Tiere verantwortlich ist. Diese artikulieren sich oft nicht so deutlich erkennbar für die Menschen, dass sie von diesen auch verstanden werden. Die meisten Studien zur tiergestützten Arbeit beziehen sich außerdem auf das Wohlergehen der Menschen (Wijnen / Martens 2022). Nur wenige Studien beschäftigen sich mit den positiven Auswirkungen auf das Tier oder dessen Wohlergehen. Einerseits ist es schwieriger, den Tieren ihre Gefühle abzulesen. Hunde und Esel scheinen ein erhöhtes Kooperationsverhalten mit dem Menschen zu zeigen, was bedeutet, wenn ein Hund Angst sichtbar zeigt, wurde die Grenze des Angenehmen meist schon lange überschritten. Eine essenzielle Erkenntnis ist, dass Training mit negativer Verstärkung durch das Wegnehmen eines unangenehmen Reizes sich weniger angenehm auf das Tier auswirkt als positive Verstärkung durch das Hinzufügen einer Belohnung (ebd.). Insgesamt haben tiergestützte Interventionen nachweislich positive Auswirkungen auf physiologische und psychologische Prozesse im menschlichen Körper (Wesenberg 2020). Roswitha Zink (2016), Autorin und Gründerin des Lichtblickhofs, beschreibt das Wesen Pferd als Flucht- und Herdentier, das feine Kommunikationsfähigkeiten besitzt, welche ihm dabei dienlich sind, ein kräftesparendes und friedliches Leben zu führen. Pferde führen nicht, wie oft behauptet, ein Leben in strenger Rangordnung, sondern es bestehen individuelle Machtverhältnisse und Beziehungen zwischen den Tieren. Zink schreibt, dass laut einer Studie von Smith Pferde Gesichtsausdrücke von Menschen erkennen und komplexe Situationen verstehen können. Dies unterstreicht den Mehrwert ihres Einsatzes in der Arbeit mit Menschen mit sozialen Schwierigkeiten. Es soll eine positive Auswirkung auf das Selbstbewusstsein haben, wenn man ein großes Tier dazu bringt, mit einem mitzugehen und zu tun, was man sagt (Zink 2016). Auch mit positiver Verstärkung und freiwilliger Kooperation können wir diesen Effekt erreichen und Menschen mit sozialen Schwierigkeiten dabei begleiten, ihr Gegenüber zu lesen, seine Wünsche und Bedürfnisse zu antizipieren und dabei eigene Projektionen auszublenden. Dazu gehört auch, mit einem Kontaktabbruch umzugehen, wenn das Pferd ein „Nein“ äußert und darin auch gehört wird. Dies hat nebenbei auch den Effekt, dass Menschen lernen, die eigenen Grenzen ausdrücken zu dürfen. Praktische Beispiele für den Einsatz von Clickertraining in der pferdegestützten Arbeit Clickertraining ist eine Möglichkeit der Anwendung der lerntheoretischen Erkenntnisse, um Pferden durch positive Verstärkung und ein Markersignal neue Verhaltensweisen beizubringen. Dabei steht die freiwillige Kooperation im Vordergrund: Das Pferd entscheidet selbst, ob es mitmacht, was nicht nur ethisch wertvoll, sondern auch ein zentraler Sicherheitsaspekt ist. Durch diesen Trainingsansatz lernen nicht nur die Pferde, sondern auch die Menschen wichtige Kompetenzen, die sie im Umgang mit Tieren und im eigenen Lernprozess weiterbringen. 144 | mup 3|2025 Praxistipp: Maraszto - „Positiv verstärkt, positiv gestärkt“ Grundlagen des Trainings und erste Übungen ■ Nasentarget Beim Nasentarget lernt das Pferd, mit seiner Nase ein bestimmtes Ziel zu berühren, beispielsweise die Hand des Menschen oder einen Targetstick (siehe Abbildung 1 und Abbildung 2). Diese Übung kann in vielen Situationen genutzt werden, zum Beispiel um das Pferd ohne Druck in eine bestimmte Richtung zu „lenken“ oder es an das Berühren unbekannter Objekte zu gewöhnen. Ein typisches Beispiel ist das Heranführen an ein unbekanntes Objekt, worauf das Fluchttier Pferd, entsprechend seinem natürlichen Instinkt, meist mit Angst oder Skepsis reagiert. Anstatt also das Pferd mit Zug am Strick oder Druck mit der Gerte zu konfrontieren und damit zusätzlichen Stress zu erzeugen, kann es durch das Nasentarget selbstständig entscheiden, ob es sich dem Objekt nähern möchte und muss nicht mit negativen Konsequenzen rechnen, wenn es Unsicherheit zeigt. Dies erhöht das Vertrauen und reduziert Stress, sowohl für das Pferd als auch für den Menschen und es bietet Möglichkeiten der Reflexion der eigenen Ängste oder Leitsätze. Langfristig zeigen die meisten positiv verstärkten Pferde erhöhtes Explorationsverhalten, also Neugierde und Freude am Entdecken. Dieses Verhalten macht sie zu anregenden Vorbildern und Partnern in der tiergestützten Intervention. Außerdem ist Explorationsverhalten ein tierwohlrelevanter Faktor. ■ Mattentarget Beim Mattentarget steht das Pferd mit allen vier Hufen auf einer bestimmten Unterlage, wie zum Beispiel einer Gummimatte (siehe Abbildung 3). Dies kann genutzt werden, um das ruhige Stehen zu trainieren, beispielsweise für medizinische Zwecke (siehe im Artikel von Ina Keckstein in Heft 1, 2025). Pferde, die diese Übung sicher beherrschen, bleiben in stressigen Situationen entspannter, da sie gelernt haben, dass ruhiges Stehen belohnt wird. Gleichzeitig lernt der Mensch, durch genaues Beobachten und gezieltes Bestärken das Verhalten zu formen. Gleichzeitig lässt es sich als Kooperationssignal verwenden, mit dem das Pferd durch das Steigen auf die Matte zeigen kann, dass es bereit für eine Streicheleinheit ist. Durch das Herabsteigen bestimmt es das Ende dieser Interaktion. Ebenso kann dieses Kooperationssignal vom Pferd fürs Aufsteigen oder das Absteigen geäußert werden. Diese Übung fördert beim Menschen Geduld und Empathie zwei wichtige Eigenschaften in der Arbeit mit Pferden und im sozialen Miteinander. ■ Stationary Target (festes Ziel) Diese Übung hilft dem Pferd, sich auf das Verweilen an einen bestimmten Ort zu konzentrieren. Dies ist besonders nützlich, wenn das Pferd Abb. 1: Das Nasentarget I (Alle Abb.: Disco Cavallo, Traismauer) Abb. 2: Das Nasentarget II Praxistipp: Maraszto - „Positiv verstärkt, positiv gestärkt“ mup 3|2025 | 145 lernen soll, sich in einer bestimmten Position zu entspannen, etwa beim Verladen in den Anhänger oder beim Medical Training. Pferde, die ein Stationary Target sicher ausführen, sind weniger gestresst und lassen sich leichter in neuen Situationen führen. Menschen lernen dabei, Ruhe zu bewahren und ihr Timing im Training zu verbessern. Vielen Pferden geben stationäre Targets Sicherheit. Sie können den Ablauf der nächsten Handlungen vorhersehen. Dies kann auch für Menschen der Fall sein. Auch wenn die Mobilität der Menschen eingeschränkt ist, kann ein fixes Target eine tolle Möglichkeit sein, das Pferd mit dessen Einwilligung zu bürsten oder zu streicheln. ■ Von A nach B - Gezielte Bewegungskontrolle Diese Übung ist besonders wertvoll für Kinder und auch erwachsene Klient: innen, da sie hilft, Selbstbewusstsein, Impulskontrolle und Orientierung zu entwickeln. Dabei lernt das Pferd, auf ein Signal hin von einer Person zur nächsten oder von einem Ort zum anderen zu gehen. Dies kann beispielsweise als spielerisches Element in Gruppenangeboten eingesetzt werden. Zu erleben, dass ein Tier, wenn sie es rufen, direkt auf sie zugeht, kann für viele Menschen eine bereichernde Erfahrung sein. Zu merken, dass sie durch feine Signale ein großes Tier bewegen können, kann für viele Menschen die Selbstwirksamkeit anregen oder bewusst machen. ■ Pausenverhalten Eine oft unterschätzte, aber essenzielle Übung ist das Pausenverhalten. Pferde lernen hierbei, in Anwesenheit von Futterquellen zu entspannen, anstatt aktiv nach Belohnungen zu suchen. Dies sorgt für eine ausgeglichene Lernumgebung und fördert die Selbstkontrolle. Dies ist eine essenzielle Voraussetzung für den Einsatz von Futter im Training und der erste Baustein auf der Ausbildungsskala. Auch für Menschen ist dies eine wertvolle Lektion: Sie lernen, Pausen bewusst zu nutzen und den Energiehaushalt in Trainings- und Alltagssituationen besser einzuteilen. ■ Berührungstraining Beim Berührungstraining lernt das Pferd, Berührungen bewusst zuzulassen und ihnen aktiv zuzustimmen (siehe Abbildung 5). Dies ist besonders wichtig für medizinische Behandlungen oder alltägliche Pflegehandlungen. Das Pferd wird so zu einem aktiven Kooperationspartner, während der Mensch sich in Genauigkeit im Training und Respekt gegenüber den Grenzen des Tieres übt. Das Pferd soll nämlich nicht lernen, Berührung still leidend auszuhalten, sondern sein Empfinden für Menschen verständlich zu Abb. 4: Würfeln Abb. 3: Das Mattentarget 146 | mup 3|2025 Praxistipp: Maraszto - „Positiv verstärkt, positiv gestärkt“ machen. Dies lehrt Kinder und Erwachsene, die Bedürfnisse und Signale eines anderen Lebewesens zu erkennen, zu respektieren, aber auch, dass sie ihre eigenen Bedürfnisse kommunizieren dürfen und sollen. Insbesondere der Aspekt der Integrität, welche durch die Kooperationssignale besser gewahrt werden kann, ist ein brandaktuelles Thema in Bezug auf den Kinderschutz. Durch das achtsame Beobachten und Reflektieren der Signale der Pferde und der Klarheit in Bezug auf das Recht auf den eigenen Körper, entwickeln Kinder ganz nebenbei ein Bewusstsein für ihre eigenen Rechte. Die kooperationsbasierte Arbeit bietet damit eine Chance, Kindern wichtige Lektionen in Bezug auf Gewaltprävention subtil mitzugeben. All diese Übungen stellen gleichzeitig auch die Grundbausteine für die weitere Ausbildung des Pferdes bis hin zur „Akademischen Reitkunst“ dar, wie sie von Angelica Hesselius (@rewardbasedriding) gelehrt werden. Der Mythos, Clickertraining sei nur etwas für Zirkuslektionen oder Medical Training, ist damit definitiv widerlegt. Auch das Reiten über positive Verstärkung / Clickertraining ist, sofern alle Teilnehmenden einverstanden und kompetent genug sind, im Verlauf der Zusammenarbeit möglich. Trotzdem können Pferde auch lustige oder unterstützende Aufgaben lernen wie Ballspielen oder Würfeln (siehe Abbildung 4). Dies kann zum Beispiel in Lernförderungsangeboten eingesetzt werden. Auch bei Gruppenangeboten können die Pferde so in Kooperationsspiele eingebunden werden und auch die Allerkleinsten können über das Rollen eines Balles mit dem Pferd in eine Interaktion gehen, ohne davon überfordert zu werden. Auch die Unterscheidung von Farben und Formen oder das Apportieren können lustige und zugleich dem Wohle der Klient: innen zuträgliche Übungen sein, welche Pferde über das Clickertraining schnell lernen können. Das gemeinsame Erarbeiten von Aufgaben innerhalb der Angebote kann Klient: innen helfen, langfristige Pläne zu gestalten und an einer Sache dranzubleiben. Sicherheitsaspekte durch freiwillige Kooperation Ein Pferd, das freiwillig mitarbeitet, ist deutlich sicherer im Umgang als eines, das durch Druck oder Zwang trainiert wurde. Ein Beispiel dafür ist das Hufe-Geben. Ein Pferd, das über Clickertraining gelernt hat, seinen Huf eigenständig zu heben und zu halten, bleibt meistens ruhig und entspannt, da es weiß, es kann den Huf jederzeit zurückhaben. Im Gegensatz dazu neigen Pferde, die durch Festhalten oder Druck lernen, eher dazu, sich loszureißen oder sich zu wehren. Abb. 5: Berührungstraining Abb. 6: Futtermittel Praxistipp: Maraszto - „Positiv verstärkt, positiv gestärkt“ mup 3|2025 | 147 Auch das Führen eines entspannten Pferdes mit dem Target bietet einen sicheren Rahmen, in dem selbst kleinere Kinder diese Aufgabe schon gut eigenständig meistern können. Das Pferd lernt, dem Target zu folgen wenn dieses dem Kind aus der Hand fällt, bleibt es einfach stehen. Im Gegensatz dazu stellen Stricke, in denen sich Kinder gern verwickeln oder Pferde draufsteigen und sich dann erschrecken, ein höheres Risiko dar. Wenn das Pferd sich losreißt, kann es das Kind am Strick mitziehen, während dieses, wenn es mit dem Target arbeitet, davon unberührt bleibt, solange das Pferd genug Ausweichmöglichkeiten hat. Aber auch wenn das Kind oder die erwachsene Person plötzlich stehenbleibt oder abbiegt, ergibt sich, durch die freie Arbeit mit dem Target, kein unangenehmes Ziehen am Strick. Kinder und Erwachsene, die mit Clickertraining arbeiten, lernen, dass Zwang oft zu Widerstand führt, während Kooperation durch positive Verstärkung, Vertrauen und Motivation schafft. Der bewusste Einsatz von Futtermitteln Futter spielt eine zentrale Rolle im Clickertraining, da es nicht nur eine Belohnung, sondern auch ein Kommunikationsmittel ist (siehe Abbildung 6). Pferde lernen, geduldig zu warten, anstatt gierig nach dem Futter zu schnappen. Kinder und Erwachsene lernen dabei bewusst mit Ressourcen umzugehen: Wie viel Futter brauchen wir? Was bereiten wir vor? Was bleibt übrig? Worüber freut sich das Pferd, aber wieviel darf es davon haben? Das hilft auch Menschen, über ihren eigenen Umgang mit Belohnung und Motivation nachzudenken. Außerdem fördert es Feinmotorik und Sorgfalt: Das präzise Füttern und das gezielte Bestimmen des richtigen Click-Moments schulen die Hand- Auge-Koordination und Achtsamkeit. Auch das Ernährungsbewusstsein wird subtil angeregt: Welche Futtermittel sind gesund? Wie viel ist angemessen? Dies regt ein bewusstes Nachdenken über Ernährung nicht nur für Pferde, sondern auch für sich selbst an. Soziale und kognitive Kompetenzförderung Bis hierhin kann zusammenfassend kann gesagt werden: Clickertraining ist weit mehr als nur ein Mittel zur Verhaltensformung. Es schafft eine Lernumgebung, in der Kinder und Erwachsene gemeinsam mit dem Pferd wachsen können. Es liegt eine tierfreundliche Grundhaltung zugrunde, in der das Zusammensein von Respekt und Freude am Lernen geprägt ist, und es bietet eine wunderbare Grundlage, kognitive und soziale Kompetenzen zu fördern. Dazu gehören: ■ Wissen zum eigenen Lernverhalten Kinder erfahren, dass Lernen in kleinen Schritten einfacher ist, als „alles auf einmal“ zu versuchen. Sie lernen, Aufgaben in kleine Schritte zu unterteilen, sie erkennen, dass Fehler zum Lernprozess gehören und dass Geduld und Empathie für das Gegenüber oft schneller zum Ziel führen als Druck oder Frustration (Konfliktlösung). Dies fördert auch das Selbstbewusstsein, weil sie sehen, dass sie durch konsequentes, positives Handeln Erfolg haben. ■ Selbstwahrnehmung und Achtsamkeit Da Clickertraining ein exaktes Timing erfordert, müssen Kinder lernen, sich auf ihre eigene Körpersprache und Position zu konzentrieren und gleichzeitig ihre Umgebung sowie ihr Gegenüber im Blick zu haben. Dies fördert nicht nur die Kommunikation mit dem Pferd, sondern auch mit anderen Menschen und die Konzentration. ■ Geduld und Frustrationstoleranz Pferde lernen nicht immer sofort, insbesondere bei „Fehlern“ seitens der Trainer: innen. Das heißt, wenn etwas schiefgeht, wird analysiert und ein neuer Plan gestaltet. Kinder, die mit Clickertraining arbeiten, lernen, mit Rückschlägen umzugehen. Dadurch entstehen Durchhaltevermögen und eine positive Fehlerkultur. Außerdem kriegen sie mit, dass es „normal“ ist, mal einen Tag zu haben, wo nichts zu klappen scheint und sich davon nicht entmutigen zu lassen. 148 | mup 3|2025 Praxistipp: Maraszto - „Positiv verstärkt, positiv gestärkt“ ■ Empathie und Perspektivwechsel Wer mit positiver Verstärkung arbeitet, muss sich in das Pferd hineinversetzen und dessen Emotionen und Bedürfnisse erkennen können und entsprechend darauf reagieren. Denn wenn jemand gerade krank ist oder gestresst und abgelenkt, ist er nicht so aufnahmefähig wie sonst. Das gilt für Mensch und Tier. Durch eine entsprechende Reaktion des Menschen kann das Wohlbefinden wiederhergestellt und weitergearbeitet werden oder das Training auf einen anderen Zeitpunkt verschoben werden. Dies verbessert auch das Sozialverhalten im Umgang mit Menschen, insbesondere in konfliktgeladenen Situationen. ■ Kooperationsfähigkeit und Teamwork Clickertraining funktioniert am besten innerhalb einer vertrauensvollen Beziehung. Kinder lernen, dass ihr Verhalten die Art wie sie wahrgenommen werden beeinflusst - eine wichtige Erkenntnis für zwischenmenschliche Beziehungen. Gleichzeitig lernen sie auch jemanden zu motivieren und eine angenehme Atmosphäre zu schaffen oder welche Rollen sie in Teams gut erfüllen können. ■ Kreativität und Problemlösekompetenz Durch das Formen neuer Verhaltensweisen können Kinder kreativ werden und Lösungen finden. Dies kann ihnen helfen, neue Wege zur Bewältigung von Herausforderungen im Alltag zu entdecken. Außerdem ist Kreativität ähnlich wie das Explorationsverhalten beim Pferd ein menschliches Grundbedürfnis, welches im Alltag oft zu kurz kommt. Das Erleben kreativen Ausdrucks in Lernsituationen kann vielen Klient: innen dabei helfen, diesen Ansatz in ihre Gewohnheiten einfließen zu lassen und dadurch einen eventuell belasteten Alltag ein bisschen erleichtern. Ob Kind oder erwachsene Person, erfahren oder neu im Umgang mit Pferden, Clickertraining und vor allem der ganzheitliche Ansatz von Tierwohl und positiver Verstärkung kann von allen eingesetzt werden und trägt zu einer entspannten Atmosphäre in pferdegestützten Interventionen bei. Literatur ■ Draaisma, R. (2016): Language Signs and Calming Signals of Horses. CRC Press / Taylor & Francis ■ Freymond, S. B., Briefer, E. F., Zollinger, A., Allmen, Y. G., Wyss, C., Bachmann, I. (2014): Behaviour of horses in a judgment bias test associated with positive or negative reinforcement. Applied Animal Behaviour Science, 158, 34-45. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.applanim.2014.06.006 ■ Heleski, C., Bauson, L., Bello, N. (2008): Evaluating the Addition of Positive Reinforcement for Learning a Frightening Task: A Pilot Study With Horses. Journal of Applied Animal Welfare Science, 11(3), 213-222. https: / / doi. org/ 10.1080/ 10888700802100942 ■ Hendriksen, P., Elmgreen, K., Ladewig, J. (2010): Trailer loading of horses: Is there a difference in positive and negative reinforcement concerning effectiveness and stress-related symptoms. Journal of Veterinary Behavior, 5(4), 215-216. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.jveb.2009.10.044 ■ Innes, L., McBride, S. (2008): Negative versus positive reinforcement: An evaluation of training strategies for rehabilitated horses. Applied Animal Behaviour Science, 112(3), 357-368. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.applanim.2007.08.011 ■ Kurland, A., St. Peter, C. C. (2022): Connecting animal trainers and behavior analysts through loopy training. Journal of the Experimental Analysis of Behavior, 118(2), 237-249. https: / / doi. org/ 10.1002/ jeab.779 ■ Larssen, R., Roth, L. S. V. (2022): Regular positive reinforcement training increases contact-seeking behaviour in horses. In Applied Animal Behaviour Science (Bd. 252). https: / / doi. org/ 10.1016/ j.applanim.2022.105651 ■ Luke, K. L., McAdie, T., Smith, B. P., Warren- Smith, A. K. (2022): New insights into ridden horse behaviour, horse welfare and horserelated safety. Applied Animal Behaviour Science, 246, 105539. https: / / doi.org/ 10.1016/ j. applanim.2021.105539 ■ Luna, E., Rubio-Martín, M. J. (2022): The Contribution of Critical Pedagogy to Feminist Research on Sexual Violence. Social Sciences, 11(8). https: / / doi.org/ 10.3390/ socsci11080328 ■ McLean, A. N., Christensen, J. W. (2017): The application of learning theory in horse training. Praxistipp: Maraszto - „Positiv verstärkt, positiv gestärkt“ mup 3|2025 | 149 Applied Animal Behaviour Science, 190, 18-27. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.applanim.2017.02.020 ■ Rogers, S., Bell, C. (2022): Perceptions of Fear and Anxiety in Horses as Reported in Interviews with Equine Behaviourists. Animals, 12(21). https: / / doi.org/ 10.3390/ ani12212904 ■ Stoppel, K. (2018): Tiergestützte Interventionen unter tierschutzrelevanten Aspekten. Voraussetzungen - Risiken - Chancen. Diplomica Verlag; eBook Collection (EBSCOhost). https: / / search. ebscohost.com/ login ■ aspx? direct=true&db=nlebk&AN=2070489&s ite=ehost-live ■ Wesenberg, S. (2020): Tiere in der sozialen Arbeit. Kohlhammer, Stuttgart. ■ Wesenberg, S., Scheidig, L., Nestmann F. (Hrsg) (2020): Tiergestützte Interventionen im Justizvollzug. Springer, Leipzig ■ Wijnen, B., Martens, P. (2022): Animals in Animal-Assisted Services: Are They Volunteers or Professionals? Animals, 12 (19). https: / / doi. org/ 10.3390/ ani12192564 ■ Wilkes, J. K. (2009): Role of companion animals in counseling and psychology: Discovering their use in the therapeutic process. Charles C. Thomas Publisher, Ltd; eBook Collection (EBS- COhost). https: / / search.ebscohost.com/ login.as px? direct=true&db=nlebk&AN=446264&site= ehost-live ■ Zink, R. (2018): Besonderheiten der Mensch- Pferd-Beziehung. In A. Beetz, M. Riedl & R. Wohlfarth (Hrsg.), Tiergestützte Interventionen - Handbuch für die Aus- und Weiterbildung. Ernst Reinhardt Verlag, München Die Autorin Astou Maraszto Bildungswissenschaftlerin, Absolventin des Psychotherapeutischen Propädeutikums und Tiergestützte Pädagogin. Sie verbindet in ihrem Projekt „Disco Cavallo“ zusammen mit Caroline Ritter positiv verstärktes Tiertraining mit der tiergestützten Praxis. Zu ihren Klient: innen gehören Kinder und Erwachsene mit und ohne Diagnosen. Ihr Herzstück ist die therapeutische Arbeit aber auch die Fortbildung im Bereich der positiven Verstärkung und der Kommunikation der Pferde. (siehe www.discocavallo. com, nächster Fortbildungstermin „Clickertraining in der TGI“: 9.10.25 via Zoom) Kontakt Astou Maraszto · astou@discocavallo.com
