Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2005
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Welche Auswirkungen haben verschiedene Arten von Berufsorientierungsunterricht? Eine quasi-experimentelle Feldstudie
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2005
Hermann Astleitner
Gerhard Kriegseisen
In der vorliegenden Arbeit wurde der Einfluss der Art des Berufsorientierungsunterrichts auf die Berufswahlkompetenz von Schülern der 7. Schulstufe aus 8 Klassen in Hauptschulen und Gymnasien geprüft. Hinsichtlich der Art des Unterrichts wurden eine integrative Umsetzung, eine autonome Unterrichtsstunde und ein Projekt verglichen. Gemessen wurden Einstellungen zur Berufswahl (Sicherheit, Engagement, Flexibilität und Eigenaktivität), Basiswissen in beruflicher Orientierung und berufswahlrelevantes Problemlösewissen von 191 13- bis 14-jährigen Schülern. Die Ergebnisse zeigten insgesamt nur schwache Auswirkungen des Berufsorientierungsunterrichts, speziell auf die berufswahlrelevanten Einstellungen. Wissensvorteile ergaben sich vor allem beim Projektunterricht. Abschließend werden praktische Maßnahmen zur Verbesserung der Unterrichtsqualität besprochen.
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Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2005, 52, 138 - 145 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Heranwachsende Schüler sind nicht nur vor das Problem gestellt, den schulischen Anforderungen in den einzelnen Fächern zu genügen, sondern müssen auch allgemeine lebenspraktische Kompetenzen erwerben. Zu diesen Kompetenzen gehört die Berufswahlkompetenz, die nach Dibbern (1993) die Fähigkeit darstellt, persönliche Berufsalternativen zu erkennen und zu bewerten und eine Entscheidung bezüglich eines gewünschten Berufes zu treffen. Berufswahl wird in theoretischen Modellen als komplexer Prozess verstanden, in dem personale und situative Determinanten (z. B. angenommene berufliche Fähigkeiten, Berufskonzepte, Wahrnehmung der Arbeits- und Berufswelt, berufsrelevante Informiertheit, Realisierungserwartungen, berufliche Anforderungen, Ausbildungsmöglichkeiten etc.) wirksam werden (vgl. z. B. Egloff, 1993). Dieser komplexe Prozess wird im schulischen Kontext meist ab der siebten Schulstufe in einem Berufsorientierungsunterricht - zusammen mit individueller Schülerberatung und Exkursionen - gefördert (vgl. What are the Effects of Different Kinds of Vocation-Orienting Instruction? Summary: The effects of different types of vocation-orienting instruction on vocational decision skills of 7th grade students from 8 classes of secondary schools were tested. Vocation-orienting instruction was realized in three ways: integrated in the regular school subjects, as an additional school subject, or as a project. The study was organized in a quasi-experimental pre-post-test design. Attitudes relevant for vocational decisions (self-confidence, involvement, flexibility, and self-regulation) basic knowledge in vocational orientation, and skills in vocational problemsolving were assessed in 191 13 - 14 year-old students. Only weak effects of vocation-orienting training were found for vocation-oriented attitudes. Knowledge and skills improved best when pre-vocational training was realized in projects. Practical methods for enhancing the quality of pre-vocational trainings are discussed. Keywords: Vocational decision making, instructional effects, teaching behaviour, vocational counselling, pre-vocational knowledge Zusammenfassung: In der vorliegenden Arbeit wurde der Einfluss der Art des Berufsorientierungsunterrichts auf die Berufswahlkompetenz von Schülern der 7. Schulstufe aus 8 Klassen in Hauptschulen und Gymnasien geprüft. Hinsichtlich der Art des Unterrichts wurden eine integrative Umsetzung, eine autonome Unterrichtsstunde und ein Projekt verglichen. Gemessen wurden Einstellungen zur Berufswahl (Sicherheit, Engagement, Flexibilität und Eigenaktivität), Basiswissen in beruflicher Orientierung und berufswahlrelevantes Problemlösewissen von 191 13bis 14-jährigen Schülern. Die Ergebnisse zeigten insgesamt nur schwache Auswirkungen des Berufsorientierungsunterrichts, speziell auf die berufswahlrelevanten Einstellungen. Wissensvorteile ergaben sich vor allem beim Projektunterricht. Abschließend werden praktische Maßnahmen zur Verbesserung der Unterrichtsqualität besprochen. Schlüsselbegriffe: Berufswahl, Effekte von Unterricht, Lehrverhalten, Berufsberatung, Berufsvorbildung ■ Empirische Arbeit Welche Auswirkungen haben verschiedene Arten von Berufsorientierungsunterricht? Eine quasi-experimentelle Feldstudie Hermann Astleitner, Gerhard Kriegseisen Universität Salzburg Auswirkungen verschiedener Arten von Berufsorientierungsunterricht 139 Strijewski, 2002). Die Lehrziele dieses Unterrichts sind z. B. Ausbildungswege und Berufsfelder kennen zu lernen oder eigene Wünsche und Fähigkeiten in Bezug zu Berufen wahrnehmen und reflektieren zu können. Das Erreichen entsprechender Lehrziele wird in unterschiedlichen Unterrichtsformen angestrebt. Dazu zählen die integrative Umsetzung, die autonome Unterrichtsstunde und der Projektunterricht (vgl. Kriegseisen, 2003, S. 45). Bei der integrativen Umsetzung dienen schulische Fächer wie z. B. Deutsch, Geschichte und Sozialkunde oder Geografie und Wirtschaftskunde als Trägerfächer für die Berufsorientierungsinhalte. In der Form der autonomen Unterrichtsstunde wird Berufsorientierung im Rahmen einer verbindlichen Übung als eigener Unterrichtsgegenstand an der jeweiligen Schule geführt und in der Regel in einer Stunde pro Schuljahr unterrichtet. Berufsorientierungsunterricht kann auch als Projektunterricht realisiert werden, wobei entsprechende Themen an mehreren Projekttagen oder in einer Projektwoche behandelt werden und dabei Merkmale eines projektorientierten Vorgehens (Orientierung an den Interessen der Beteiligten, zielgerichtete Planung, Interdisziplinarität etc.) Berücksichtigung finden. Derzeit liegen keine kontrollierten empirischen Studien vor, die belegen, dass eine bestimmte Unterrichtsart Berufswahlkompetenzen besonders fördern würde. Alle genannten Unterrichtsformen weisen Vor- und Nachteile auf. Der Vorteil der Durchführung des Berufsorientierungsunterrichts in Projektform liegt z. B. darin, dass meist ausgebildete Berufsorientierungslehrer für die Planung und Durchführung eingesetzt werden können, der Klassenverband dabei nicht aufgelöst werden muss und die Bearbeitung der verschiedenen Lernbereiche nicht der zeitlichen Eingrenzung von einzelnen Unterrichtsstunden unterliegt. Der Nachteil von Projektunterricht besteht darin, dass relativ kurzfristig Wissen erworben und angewandt werden soll. Ein Nachteil, der für die autonome Realisierungsform nicht zutrifft, da dort kontinuierlich über das gesamte Schuljahr hinweg langfristig eigener Unterricht von - in der Regel - eigens dafür ausgebildeten Lehrern angeboten wird. Besonders problembehaftet ist hingegen die integrative Umsetzung, die eine gute Koordinierung der Inhalte und Methoden notwendig macht, um überhaupt Effekte erzielen oder Doppelgleisigkeiten in der Lehrstoffvermittlung verhindern zu können. Die Berufswahlkompetenzen eines ausgebildeten Berufsorientierungslehrers kommen außerdem nur in dem Trägerfach zur Wirkung, das der betreffende Lehrer in der jeweiligen Klasse unterrichtet. Bei der Prüfung der Effekte der Unterrichtsart werden - in dieser Studie - Wissenserwerb und Einstellungen zur Berufswahl als zentrale abhängige Variablen, die das Konstrukt der Berufswahlkompetenz ausmachen, berücksichtigt. Beim Wissenserwerb wird zwischen Faktenwissen (Basiswissen zur Berufswahl) und Problemlösewissen (berufsrelevantes Regelwissen) unterschieden. Es wird erwartet, dass sich Unterrichtsarten mit stärker offenem Charakter, das sind die integrative und die auf Projektunterricht bezogene Realisierungsform, besonders positiv auf den Erwerb von Problemlösewissen auswirken. Von den Einstellungen zur Berufswahl wird angenommen, dass diese den Wissenserwerb positiv beeinflussen. Dabei werden Einstellungen berücksichtigt, die die Sicherheit (subjektive Kompetenzeinschätzung), das Engagement (zielbzw. kriterienorientierte Planung), die Flexibilität (Bereitschaft zu Kompromissen bei Entscheidungen) und die Eigenaktivität (Selbstständigkeit) bei der Berufswahlentscheidung betreffen. Die Auswahl dieser Variablen gründet sich auf zentrale Komponenten integrativer Berufswahlmodelle, wie sie von Bußhoff (1992), Holland (1999) und Seifert (1988) entwickelt wurden. Nach diesen Modellen handelt es sich bei der Berufswahl von Jugendlichen um einen Entwicklungsprozess, der durch das Zusammenspiel von Lernerfahrungen und Reifungsprozessen getragen wird. Dabei bildet sich ein berufli- 140 Hermann Astleitner, Gerhard Kriegseisen ches Selbstkonzept heraus, das von den Vorstellungen des Jugendlichen über die verschiedenen Berufe und den Erfahrungen mit der Arbeits- und Berufswelt beeinflusst wird. Nachdem sich berufliche Präferenzen herauskristallisiert haben, endet dieser Prozess in der Realisierung der Berufswahl. Methode Versuchspersonen und Untersuchungsdurchführung Die Stichprobe umfasste 191 Schüler der siebten Schulstufe aus Hauptschulen und Gymnasien. Das durchschnittliche Alter der 87 weiblichen und 104 männlichen Probanden lag bei 12.9 Jahren. Es wurden 8 Klassen an 8 Schulen (6 Hauptschulen und 2 Gymnasien) im Bundesland Salzburg untersucht. Jeweils zwei Klassen wurden einer Art des Berufsorientierungsunterrichts (Kontrollgruppe ohne Berufsorientierungsunterricht, integrativ, Projekt und autonom) zugeordnet. Die Zuordnung basierte auf einer Befragung von Klassenlehrern über die Art des beabsichtigten Unterrichts zur Berufsorientierung bzw. über die Inhalte des Lehrplanes zur Berufsorientierung. Die Klassenlehrer hatten dabei anzugeben, ob Berufsorientierung als verbindliche Übung (autonom), im Rahmen von Projektstunden bzw. einer Projektwoche (Projekt) oder integriert in den Pflichtgegenständen (integrativ) realisiert wird. Konnte der Klassenlehrer weder Angaben zur Art des Unterrichts noch zu den Inhalten machen, wurde daraus geschlossen, dass kein systematisch konzipierter Berufsorientierungsunterricht realisiert wird (Kontrollgruppe). Die Untersuchung basierte auf einem quasi-experimentellen Vor-Nachtest-Versuchsplan. Für die Durchführung des Vor- und des Nachtests standen jeweils eine Unterrichtsstunde zur Verfügung. Die Untersuchung fand im Klassenverband statt, wobei jeweils alle anwesenden Schüler aktiv teilnahmen. Der Vortest fand am Beginn des Schulsemesters (erste Märzwoche), der Nachtest am Ende des Schulsemesters (letzte Juniwoche) statt. Zu beiden Messzeitpunkten wurden alle Variablen erhoben. Das Wissen der Schüler zur Berufswahl wurde allerdings nur beim Nachtest erhoben, da davon ausgegangen wurde, dass zum Zeitpunkt des Vortests kein berufswahlrelevantes Wissen bei den Schülern gegeben war: Weder war die Förderung der Berufswahlkompetenz bis zu diesem Zeitpunkt im Lehrplan vorgeschrieben, noch wurde diese Kompetenz, nach Auskunft der Lehrer, im Unterricht gefördert. Der Projektunterricht fand an einer Hauptschule im Rahmen einer Projektwoche in der Mitte des Semesters und im Rahmen von zwei Projekttagen am Ende des Semesters statt. An einem Gymnasium wurde der Projektunterricht mit mehreren Projekttagen, die sich über das ganze Semester verteilten, realisiert. Eingesetzte Messinstrumente Alle für diese Studie relevanten Variablen wurden mittels Fragebogen erhoben. Die Messung der Einstellungen zur Berufswahl basierte auf einem Instrument von Seifert und Stangl (1986) und betraf vier Subskalen: Sicherheit bei der Berufswahlvorbereitung und -entscheidung, Engagement bei der Berufswahl, Flexibilität und Eigenaktivität bei der Berufswahlentscheidung. Gemessen wurden Einschätzungen auf einer 4-stufigen Likert-Skala mit den Ausprägungen „Stimme vollständig zu“ bis „Stimme überhaupt nicht zu“. Sicherheit der Berufswahlvorbereitung und -entscheidung betrifft die Selbsteinschätzung der eigenen Berufswahlkompetenz und wurde mit 12 Items bei akzeptabler Reliabilität gemessen (z. B. „Ich weiß nicht recht, was ich tun soll, um den richtigen Beruf zu wählen“, Cronbach’s Alpha: .85 beim Vortest, .87 beim Nachtest). Engagement bei der Berufswahl bezieht sich auf die Einsicht der Bedeutung der Berufsentscheidung und die Bereitschaft, sich eingehend mit dem Problem der Berufswahl auseinander zu setzen und eigene Zielsetzungen zu verfolgen (z. B. „Man sollte jeden Arbeitsplatz oder Ausbildungsplatz annehmen, der einem angeboten wird. Wichtig ist vor allem, dass man überhaupt einen Beruf hat“). Engagement wurde mit 15 Items bei guter Reliabilität gemessen (Cronbach’s Alpha: .74 beim Vortest, .80 beim Nachtest). Die Variable Flexibilität bei der Berufswahl, die mit 5 Items gemessen wurde, bezieht sich auf die Bereitschaft zur Sammlung umfassender beruflich relevanter Information, die Kompromissbereitschaft bei der Berufsentscheidung und die Weiterbildungsbereitschaft (z. B. „Bevor man die endgültige Entscheidung trifft, sollte man sich über mehrere Berufe informiert haben“, Cronbach’s Alpha: .43 beim Vortest, .62 beim Nachtest). Die Variable Eigenaktivität betrifft den Umstand, sich bei der Berufswahlentscheidung auf andere (z. B. Freunde) zu verlassen oder die Aufgabe selbstständig in Angriff zu nehmen (z. B. „Meine Eltern werden schon den richtigen Beruf für mich aussuchen“, 7 Items, Cronbach’s Alpha: .73 beim Vortest, .72 beim Nachtest). Faktenwissen zur Berufswahl wurde mit 16 Items (Cronbach’s Alpha = .66) und Problemlösewissen zur Berufswahl mit 10 Items (Cronbach’s Alpha = .70) gemessen. Items für beide Wissenstests wurden auf der Basis der Lehrplaninhalte für die siebte Schulstufe und in Abgleichung mit Inhalten von approbierten Schulbüchern zum Berufsorientierungsunterricht in der siebten Schulstufe erstellt und von einem ausgebildeten Lehrer für das Fach Auswirkungen verschiedener Arten von Berufsorientierungsunterricht 141 Berufsorientierung inhaltsvalidiert. Faktenwissen betrifft grundlegende Begriffe und Kenntnisse, die für die Berufswahl wichtig sind, so z. B. über Bildungswege, berufliche Aufnahmekriterien, geschlechterspezifische Berufswahl, Einrichtungen zur Unterstützung der Berufswahl, etc. (z. B. „Nenne vier Möglichkeiten, wo du dich zu Berufswahlfragen informieren kannst! “ oder „Was verstehst du unter einem Berufsfeld? “ oder „Kann man nach der Polytechnischen Schule eine höhere Schule besuchen? “). Problemlösewissen betrifft Fertigkeiten der Suche, Verknüpfung, Anwendung, Bewertung von Wissen, das die Berufswahl fördern kann (z. B. „Nenne die Ausbildungsschritte, mit denen du deinen derzeitigen Wunschberuf erlernen kannst! “ oder „Nenne zwei Berufe, die mit deinem Wunschberuf verwandt sind! “ oder „Nenne zwei Nachteile deines bisherigen Berufswunsches! “). Statistische Analyse Die Daten wurden auf der Basis einer multivariaten Kovarianzanalyse ausgewertet. Da alle abhängigen Variablen miteinander korrelierten (-.12 < r < .79), wurde multivariat ausgewertet, wobei die Variablen, die im Vortest erhoben wurden, als Kovariablen behandelt wurden (vgl. Winer, Brown & Michels, 1991). Damit konnten Vortest-Unterschiede von allen berücksichtigten Variablen - kombiniert und gleichzeitig - bei der Effektprüfung im Nachtest berücksichtigt werden, was eine Varianzanalyse mit Messwiederholungen nicht leisten könnte. Alle paarweisen Vergleiche wurden nach der Bonferroni-Methode abgesichert (vgl. Klockars & Sax, 1986). Da die realisierte Art des Unterrichts in unterschiedlichen Schularten angesiedelt war, wurde geprüft, ob die Schulart einen Einfluss auf die erfassten Variablen ausübt. Bezüglich der Schulart (d. i. der Vergleich Hauptschulen mit Gymnasien) ergab sich kein signifikanter Effekt auf alle erfassten Nachtest-Variablen (Wilks Lambda = .94, F = 1.81, df = 6,180, p = .10). Damit kann, bis zu einem gewissen Grad, eine Konfundierung möglicher Effekte der Unterrichtsart mit der Schulart als wenig wahrscheinlich angesehen werden. Ergebnisse Zunächst sollen deskriptive Ergebnisse über Ausprägungen und Zusammenhänge zwischen den erfassten Variablen berichtet werden, wobei die für die Berufswahlkompetenz relevanten Einstellungen und Wissensarten im Zentrum stehen. Erst dann werden die Effekte der realisierten Unterrichtsarten dargestellt. Deskriptive Befunde. In Tabelle 1 sind die Interkorrelationen der erfassten Variablen dargestellt. Hier zeigte sich, dass fast alle der in dieser Untersuchung gemessenen Variablen mit Faktenwissen und Problemlösewissen bedeutsam positiv korrelierten und zwar sowohl in der Vortestals auch in der Nachtest-Form (.15 < r < .45, p < .05). Insgesamt zeigte sich damit, dass je höher Sicherheit, Engagement, Flexibilität und Eigenaktivität ausgeprägt waren, desto höher war auch der Wissenserwerb. Keine bedeutsamen Zusammenhänge zeigten sich bei den Variablen Sicherheit (gemessen im Vortest) und Flexibilität (gemessen im Nachtest) mit dem Erwerb von Faktenwissen (r = .14, r = .07). Beim Erwerb von Problemlösewissen zeigte lediglich die Variable Flexibilität (im Vortest) keine bedeutsame Beziehung (r = .10). Die Korrelationsmuster lassen auch den Schluss zu, dass die gemessenen Variablen eigenständige Konstrukte sind: Vor- und Nachtest-Werte derselben Variablen korrelierten hoch miteinander (.45 < r < .79), Vor- und Nachtest-Werte mit anderen Variablen zeigten schwächere Zusammenhänge (-.12 < r < .54). Auch die mittlere Korrelation von Faktenwissen mit Problemlösewissen zeigte sowohl eigenständige als auch gemeinsame Anteile (r = .36), was als positiver Validitätshinweis gewertet werden kann. Effekte der Art des Unterrichts. Abbildung 1 zeigt die Effekte des Berufsorientierungsunterrichts auf Faktenwissen und Problemlösewissen bezogen auf die Berufswahlkompetenz. Die Mittelwerte zeigten nur schwache Effekte des Unterrichts gegenüber der Kontrollgruppe an. Beim Test zum Faktenwissen erzielen 87.4 % aller Schüler nicht einmal 50 % der erreichbaren Punkte. Beim Problemlösewissen erreichen 71.2 % aller Schüler nicht die 50-%-Punktemarke. In beiden Fällen kann aufgrund dieser Häufigkeiten davon ausgegangen werden, dass der Berufsorientierungsunterricht in der in dieser Untersuchung realisierten Form nur schwach wirksam war. 142 Hermann Astleitner, Gerhard Kriegseisen Tabelle 2 zeigt die (adjustierten) Effekte der Unterrichtsarten auf die abhängigen Variablen. Hier findet man zunächst, dass alle Vortest-Variablen und die Unterrichtsart einen statistisch bedeutsamen Effekt auf die Nachtest-Variablen ausübten (F-Werte > 2.48, p- Werte < .001). Univariate Analysen zeigten, dass sich die Unterrichtsart nicht signifikant auf die Variablen Sicherheit, Engagement, Flexibilität und Eigenaktivität auswirkte (F- Werte < 2.05, p-Werte > .11), wohl aber auf das erworbene Faktenwissen (F = 6.21, p < .001, R 2 = 0.09) und das Problemlösewissen (F = 7.38, p < .001, R 2 = 0.11). Paarweise Vergleiche zeigten, dass das erworbene Faktenwissen sowohl bei autonomem als auch bei Projektunterricht größer war als jeweils in der Kontrollgruppe und bei integrativem Unterricht (Mittelwertsdifferen- Variablen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 1 V: Sicherheit 32.42 7.11 2 V: Engagement .24* 47.36 5.85 3 V: Flexibilität -.12* .04* 18.10 1.79 4 V: Eigenaktivität .19* .58* .09* 22.12 3.53 5 N: Sicherheit .63* .23* .01* .19* 32.42 7.39 6 N: Engagement .24* .78* .11* .53* .32* 48.24 6.26 7 N: Flexibilität -.11* -.00* .46* .08* -.07* .04* 17.93 2.21 8 N: Eigenaktivität .19* .43* .03* .70* .21* .53* .14* 22.76 3.28 9 N: Faktenwissen .14* .21* .15* .19* .24* .16* .07* .15* 3.25 1.92 10 N: Problemlöse- .35* .26* .10* .21* .45* .27* .17* .17* .36* 5.97 wissen 2.68 Tabelle 1: Interkorrelationen, Mittelwerte und Standardabweichungen von Variablen zur Berufswahlkompetenz (N = 191) Anmerkung: V = Vortest, N = Nachtest, * p < .05 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 KG Autonom Projekt Integrativ Mittelwerte Faktenwissen Problemlösewissen Abbildung 1: Die Effekte des Berufsorientierungsunterrichts auf den Wissenserwerb (nicht adjustiert an den erfassten Vortest-Variablen) Auswirkungen verschiedener Arten von Berufsorientierungsunterricht 143 zen: 1.09 - 1.19, p = .04). Beim Problemlösewissen zeigten diese Paarvergleiche, dass bei Projektunterricht mehr Wissen erworben wurde als in allen drei anderen Unterrichtsarten (Mittelwertsdifferenzen: 1.56 - 1.94, p < .01). Diskussion Die Ergebnisse der vorliegenden Studie legen zunächst nahe, dass das Wissen, das die Schüler im Berufsorientierungsunterricht erwarben, in Zusammenhang mit deren Einstellungen zur Berufswahl steht. Gerade diese Einstellungen wurden aber - in dieser Untersuchung - von den untersuchten Unterrichtsarten als nicht beeinflusst belegt. Deshalb wundert es auch wenig, dass der untersuchte Berufsorientierungsunterricht nur schwach lernwirksam war. Legt man kriteriums-orientierte Maßstäbe an, dann zeigte sich, dass ein Großteil der Schüler weniger als die Hälfte des gewünschten Wissens erworben hatte. In dieser Untersuchung wurde auch gefunden, dass nur geringe Leistungsverbesserungen gegenüber einem Unterricht zu verzeichnen waren, in dem überhaupt kein Berufsorientierungsunterricht praktiziert wurde. Vor allem Schüler, die im Rahmen eines Projektunterrichts unterrichtet wurden, zeigten positive Wissenseffekte im Vergleich zu den anderen Unterrichtsarten. Diese positiven Effekte könnten allerdings verschwinden, wenn auf der Klassenebene analysiert wird. Das würde bedeuten, dass es nicht auf die allgemeine Art des realisierten Unterrichts an- Variablen Unterrichtsart M SD Effekte (p < .05) Sicherheit Kontrollgruppe 30.81 0.81 - autonom 32.54 0.92 - Projekt 33.50 0.77 - integrativ 32.88 0.87 - Engagement Kontrollgruppe 48.46 0.57 - autonom 48.21 0.64 - Projekt 48.15 0.53 - integrativ 48.10 0.61 - Flexibilität Kontrollgruppe 18.02 0.28 - autonom 17.38 0.32 - Projekt 18.21 0.27 - integrativ 17.99 0.30 - Eigenaktivität Kontrollgruppe 22.94 0.34 - autonom 22.98 0.38 - Projekt 22.74 0.32 - integrativ 22.39 0.36 - Faktenwissen Kontrollgruppe 2.73 0.26 < A, P autonom 3.83 0.29 > K, I Projekt 3.82 0.24 > K, I integrativ 2.64 0.27 < A, P Problemlösewissen Kontrollgruppe 5.44 0.34 < P autonom 5.28 0.38 < P Projekt 7.22 0.32 > K, A, I integrativ 5.66 0.36 < P Tabelle 2: Adjustierte Mittelwerte und Standardabweichungen von Variablen zur Berufswahlkompetenz (Nachtest, N = 191) Anmerkung: M = An Vortest-Werten adjustierte Mittelwerte, SD = Standardabweichung, K = Kontrollgruppe, A = autonom, P = Projekt, I = integrativ 144 Hermann Astleitner, Gerhard Kriegseisen kommt, sondern darauf, was genau ein Lehrer im Unterricht macht, welche Schüler in der Klasse sind und wie erfolgreich diese Interaktion abläuft. Neben der Unterrichtsart sollten in zukünftigen Studien z. B. neben den Klasseneffekten auch Lehrereffekte in ihren Auswirkungen auf die Berufswahlkompetenz der Schüler untersucht werden. Hinsichtlich der Schulart könnte erwartet werden, dass Berufsorientierungsunterricht in der Hauptschule einen wichtigeren Stellenwert und damit größere Wirksamkeit hat als in Gymnasien, weil in Hauptschulen für die Schüler der baldige Einstieg in die Berufswelt wahrscheinlicher ist als in den Unterstufen von Gymnasien, in denen Schüler in der Regel weiter in der Schule bleiben. Aus Schuleffektstudien ist bekannt, dass auch der Klasse eine lernwirksame Funktion zukommt (vgl. z. B. Schwetz, 2003). Es sollten deshalb auch einzelne Klassen, unabhängig von der Unterrichtsart, in ihren Effekten miteinander verglichen werden. Schließlich kommt auch dem Lehrer bzw. dessen Ausbildungsgrad Wirksamkeit zu. In zukünftigen Untersuchungen sollten deshalb Lehrer mit einer einschlägigen Ausbildung in Berufsorientierung mit solchen verglichen werden, die diese Ausbildung nicht aufweisen. Es kann erwartet werden, dass sich sowohl Klassenals auch Lehrereffekte und auch bedeutsame Interaktionseffekte zeigen. Die damit verbundene Frage nach den Klassenbzw. Kontexteffekten soll aber nicht überbewertet werden. Entscheidend bleibt die Unterrichtsqualität, die in der vorliegenden Studie auf einer Makroebene (bezogen auf die Art des Unterrichts) analysiert wurde. Entscheidender ist wohl eine Analyse auf einer Mikroebene (Verhalten des Lehrers und der Schüler). Die Analyse auf einer Makroebene zeigt nachdrücklich weiteren Forschungsbedarf an. In methodenkritischer Hinsicht muss angemerkt werden, dass die Unterrichtsarten nicht systematisch experimentell manipuliert wurden, sondern dass in der Praxis vorhandene Ausprägungen untersucht wurden. Auch müsste die Anzahl der untersuchten Klassen bzw. Schüler erhöht werden, um generalisierbare Aussagen formulieren zu können. Trotz dieser methodischen Schwächen, liegt der begründete Schluss nahe, dass die Effekte von Berufsorientierungsunterricht verstärkt empirisch überprüft werden sollten, da der Erwerb der Berufswahlkompetenz als ein besonders hochwertiges und damit schwierig erreichbares Lehrziel angesehen werden muss. Praktische Implikationen Die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit legen nahe, dass Berufsorientierungsunterricht nicht automatisch zu wesentlichen lernrelevanten Veränderungen auf Seiten der Schüler führt und dass die Variation der Unterrichtsart (Form der Unterrichtsorganisation) offensichtlich praktisch nicht bedeutsame Effekte produziert. Dieser Umstand scheint es notwendig zu machen, dass nicht nur fachspezifische Unterrichtsmethoden forciert werden, sondern darüber hinaus auch allgemeinpädagogische Maßnahmen, die an Standards guten Unterrichts und darauf bezogener empirischer Unterrichtsevaluation orientiert sein sollen (vgl. Astleitner & Schmich, 2004). Damit Berufsorientierungsunterricht wirksam ist, d. h. die Kompetenzen und berufswahlrelevanten Einstellungen von Schülern positiv und bedeutsam beeinflusst werden können, müssen innerhalb dieses Unterrichts fachspezifische didaktische Ansätze und allgemeinpädagogische Ansätze in konkretes Verhalten umgesetzt werden. Fachspezifische didaktische Ansätze liegen z. B. von Klippert (1991) vor und unterscheiden berufswahlrelevante Handlungskompetenzen auf unterschiedlichen Ebenen (inhaltlich-fachliches Wissen, methodisch-strategisches Lernen, affektives Lernen etc.). Allgemein-pädagogische Ansätze liefert z. B. Astleitner (2002) mit 13 Prinzipien guten Unterrichts und darauf bezogenen Verhaltensweisen von Lehrern, die die pädagogische Qualität von Unterricht beeinflussen und als Grundlage standard-basierter empirischer Unterrichtsevaluation die- Auswirkungen verschiedener Arten von Berufsorientierungsunterricht 145 nen können. Diese Prinzipien betreffen allgemeine unterrichtliche Rahmenbedingungen, kognitiv wirksame Unterrichtsmerkmale, die Optimierung von kognitiven Unterrichtseffekten, motivational und emotional wirksame Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung, die Vermittlung von Einstellungen bzw. Werten im Unterricht und die Gestaltung von Lehrmaterialien, basierend auf dem Kriterium der Selbstinstruktionsqualität. Literatur Astleitner, H. (2002). Prinzipien guten Unterrichts [Online]. Verfügbar unter: http: / / www.qis.at/ material/ astleitner_unterrichtsqualität.pdf [30.09.2004]. Astleitner, H. & Schmich, J. (2004). Die Auswirkungen von Schulentwicklungsmaßnahmen auf das Verhalten von Lehrern - Ergebnisse einer quasi-experimentellen Interventionsstudie. Erziehung und Unterricht, 154, 532 - 542. Bußhoff, L. (1992). Berufswahl. In Bundesanstalt für Arbeit (Hrsg.), Handbuch zur Berufswahlvorbereitung (S. 77 - 89). Nürnberg: Medialog. Dibbern, H. (1993). Theorie und Didaktik der Berufsvorbildung. Baltmannsweiler: Schneider. Egloff, E. (1993). Berufswahlvorbereitung. Kooperationsmodell. Buchs: Lehrmittelverlag des Kantons Aargau. Holland, J. L. (1999). Why interest inventories are also personality inventories. In M. L. Savickas & A. R. Spokane (Eds.), Vocational interests. Meaning, measurement, and counseling use (pp. 87 - 102). Palo Alto, CA: Davies Black. Klippert, H. (1991). Berufswahlunterricht. Weinheim: Beltz. Klockars, A. J. & Sax, G. (1986). Multiple comparisons. Newbury Park, CA: Sage. Kriegseisen, G. (2003). Wirkung des Berufsorientierungsunterrichts in der siebten Schulstufe. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Salzburg. Schwetz, H. (2003). Die Klasse macht den Unterschied. Landau: Verlag Empirische Pädagogik. Seifert, K. H. (1988). Berufswahl und Laufbahnentwicklung. In D. Frey, C. G. Hoyos & D. Stahlberg (Hrsg.), Angewandte Psychologie (S. 187 - 204). Weinheim: Psychologie Verlags Union. Seifert, K. H. & Stangl, W. (1986). Der Fragebogen Einstellung zur Berufswahl und beruflichen Arbeit. Diagnostica, 32, 153 - 164. Strijewski, C. (2002). Berufsorientierung in der Zusammenarbeit von Schule und Berufsberatung. In J. Schudy (Hrsg.), Berufsorientierung in der Schule (S. 85 - 123). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Winer, B. J., Brown, D. R. & Michels, K. M. (1991). Statistical principles in experimental design. New York: McGraw-Hill. Ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Hermann Astleitner Fachbereich Erziehungswissenschaft und Kultursoziologie Universität Salzburg Akademiestraße 26 A-5020 Salzburg E-Mail: Hermann.Astleitner@Sbg.Ac.At
