Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2005
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Am Anfang war der Ausdruck
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Manfred Holodynski
Die Frage, inwiefern Emotionen des Menschen eher durch sein biologisches oder sein kulturelles Erbe bestimmt sind, hat zu kontroversen Theorien geführt. Im Beitrag wird eine entwicklungsorientierte Theoriebildung vorgeschlagen, die diese kontroversen Positionen integrieren und damit der empirischen Forschung neue Wege aufzeigen kann. Ausgehend davon stellt der Autor eine kontextualistische Emotionstheorie vor: das Internalisierungsmodell der Emotionsentwicklung. Darin wird den emotionalen Ausdrucksreaktionen eine herausgehobene Vermittlungsfunktion in den Interaktionen zwischen Bezugsperson und Kind zugewiesen: Sie stellen die wesentlichen Mittel dar, mittels derer Bezugsperson und Kind insbesondere in der frühen Ontogenese kommunizieren, um ihre Tätigkeiten wechselseitig zu regulieren. Dabei lässt sich zeigen, dass viele Ausdruckszeichen nicht biologischen Ursprungs sind, sondern Produkt kulturgeschichtlicher Symbolbildungsprozesse, durch die Emotionen auch eine kulturspezifische Färbung annehmen. Der Artikel beschreibt die ersten drei Phasen der Emotionsentwicklung und präsentiert dazu auch eigene empirische Studien: (1) Aus den stereotypen Vorläuferemotionen des Neugeborenen entstehen in den Bezugsperson-Kind-Interaktionen zeichenvermittelte Emotionssysteme des Kleinkindes. Sie sind durch Ausdruckszeichen vermittelt, die für den jeweiligen kulturellen Kontext adaptiv sind und darauf zielen, die Handlungen der Bezugspersonen auszurichten (interpersonale Regulation). (2) Erst ab dem Kleinkindalter übernehmen Emotionen auch eine intrapersonale Regulationsfunktion, nämlich die eigenen Handlungen motivdienlich auszurichten. (3) Ab dem Grundschulalter können Ausdruckszeichen internalisiert werden, wodurch eine private Gefühlswelt entsteht, die nicht mehr länger eng mit dem offenen Ausdruck korrespondiert.
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At the Beginning was the Expression Milestones and Mechanisms of Emotional Development Summary: How far human emotions are shaped by their biological or cultural inheritance has led to controversial theories. This article proposes a developmental view on modeling theories that can bridge the gap between these two controversial positions and open up new empirical opportunities for further research. Regarding this, the author presents a contextualistic theory of emotion, the internalization model of emotional development. This theory supposes that expressive reactions take on a major mediating function in the interactions between caregiver and child: They are the main means especially in early ontogenesis by which caregiver and child communicate in order to regulate their behavior mutually. It can be shown that many expression signs do not have a biological origin; they are a product of culture-historical processes of symbolization that color emotions also in a culture-specific way. The article describes the first three stages of emotional development and presents also own studies: (1) The stereotypical precursor emotions of neonates are the starting point from which the sign mediated emotions of toddlers emerge. These emotions are already mediated by expression signs that are adaptive to the particular cultural context, but they still have an interpersonal regulation function (e. g., they are oriented toward triggering actions by the caregiver that will serve the child’s motives). (2) It is only after infancy that emotions take over an intrapersonal regulation function of triggering motive-serving actions by the child himor herself. (3) From about the age of six years onward, expression signs start to become internalized, creating a private world of feelings that is no longer closely linked to overt expressions. Keywords: Emotional Development, emotion regulation, nonverbal communication, parent child relations, internalization Zusammenfassung: Die Frage, inwiefern Emotionen des Menschen eher durch sein biologisches oder sein kulturelles Erbe bestimmt sind, hat zu kontroversen Theorien geführt. Im Beitrag wird eine entwicklungsorientierte Theoriebildung vorgeschlagen, die diese kontroversen Positionen integrieren und damit der empirischen Forschung neue Wege aufzeigen kann. Ausgehend davon stellt der Autor eine kontextualistische Emotionstheorie vor: das Internalisierungsmodell der Emotionsentwicklung. Darin wird den emotionalen Ausdrucksreaktionen eine herausgehobene Vermittlungsfunktion in den Interaktionen zwischen Bezugsperson und Kind zugewiesen: Sie stellen die wesentlichen Mittel dar, mittels derer Bezugsperson und Kind insbesondere in der frühen Ontogenese kommunizieren, um ihre Tätigkeiten wechselseitig zu regulieren. Dabei lässt sich zeigen, dass viele Ausdruckszeichen nicht biologischen Ursprungs sind, sondern Produkt kulturgeschichtlicher Symbolbildungsprozesse, durch die Emotionen auch eine kulturspezifische Färbung annehmen. Der Artikel beschreibt die ersten drei Phasen der Emotionsentwicklung und präsentiert dazu auch eigene empirische Studien: (1) Aus den stereotypen Vorläuferemotionen des Neugeborenen entstehen in den Bezugsperson-Kind-Interaktionen zeichenvermittelte Emotionssysteme des Kleinkindes. Sie sind durch Ausdruckszeichen vermittelt, die für den jeweiligen kulturellen Kontext adaptiv sind und darauf zielen, die Handlungen der Bezugspersonen auszurichten (interpersonale Regulation). (2) Erst ab dem Kleinkindalter übernehmen Emotionen auch eine intrapersonale Regulationsfunktion, nämlich die eigenen Handlungen motivdienlich auszurichten. (3) Ab dem Grundschulalter können Ausdruckszeichen internalisiert werden, wodurch eine private Gefühlswelt entsteht, die nicht mehr länger eng mit dem offenen Ausdruck korrespondiert. Schlüsselbegriffe: Emotionale Entwicklung, Emotionsregulation, nonverbale Kommunikation, Eltern-Kind-Beziehungen, Internalisierung ■ Übersichtsartikel Am Anfang war der Ausdruck Meilensteine und Mechanismen der Emotionsentwicklung 1 Manfred Holodynski Abteilung für Psychologie der Universität Bielefeld Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2005, 52, 229 - 249 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel 230 Manfred Holodynski Wie entwickeln sich die Emotionen des Menschen? Die wissenschaftliche Beantwortung dieser scheinbar einfachen Frage erfordert eine recht komplexe Vorgehensweise. Man vergleicht die emotionalen Prozesse des Säuglings mit denen des erwachsenen Menschen; entwirft eine Theorie, die erklären kann, wie in der Entwicklung vom Säugling zum Erwachsenen Modifikationen entstehen und Kontinuität aufrechterhalten wird; und untermauert die theoretischen Postulate mit empirischen Studien. Die verschiedenen Emotionstheorien haben dabei der biologischen Verankerung von Emotionen einerseits und den soziokulturellen Einflüssen andererseits recht unterschiedliches Gewicht beigemessen. In aktuellen Emotionstheorien ist allerdings das kontroverse „Entweder-Oder“ einem komplexen „Sowohl-Als auch“ gewichen (vgl. Campos, Kermoian & Witherington, 1996; Frijda, 1986; Lazarus, 1991; Scherer, 2001; Sroufe, 1996). Eine solche Integration wurde allerdings zu dem Preis erkauft, dass diese Theorien so an konzeptueller Komplexität zugenommen haben, dass es schwer geworden ist, sie empirisch zu überprüfen. Im folgenden Beitrag soll (1) eine Gegenüberstellung von biologisch und kulturell orientierten Emotionstheorien und ihre Kritik erfolgen, (2) darauf aufbauend eine entwicklungsorientierte Analyse von Emotionen vorgeschlagen und dazu (3) ein konkretes Entwicklungsmodell, das Internalisierungsmodell der Emotionsentwicklung, vorgestellt werden. Es werden die wesentlichen Grundannahmen des Modells umrissen und die zentralen Entwicklungsaufgaben und -mechanismen beschrieben, wie sich menschliche Emotionen entwickeln. Emotionspsychologische Theorien in der Kontroverse Sind Emotionen biologisch determiniert? Biologisch orientierte Emotionstheorien sehen Emotionen als biologisch fixierte Reaktionssyndrome mit einer neuronalen Basis, mit angeborenen Ausdrucksreaktionen (in Mimik, Körperduktus, Gestik und Stimme) und Körperreaktionen (wie z. B. Veränderungen von Herzschlag, Hautleitwiderstand, Hormonausschüttung), sowie mit einem nur introspektiv zugänglichen subjektiven Gefühlserleben (z. B. Ekman, 1988; Izard, 1981; LeDoux, 1996). Es wird angenommen, dass Menschen mit einem Set solcher Reaktionssyndrome, den Basisemotionen, auf die Welt kommen. Kulturelle Einflüsse würden lediglich die Emotionsanlässe, die Häufigkeit und Intensität, in der Emotionen in einzelnen Kulturen vorkommen, sowie das Ausmaß und die Art ihrer Kontrolle betreffen. Es würden aber ontogenetisch keine neuen kulturspezifischen Emotionsqualitäten entstehen; diese wären lediglich Mischungen der Basisemotionen. Zur Stützung dieser Theorien werden folgende Befunde angeführt: 1. In kulturvergleichenden Studien sind die mimischen Ausdrucksmuster von Freude, Ärger, Trauer, Ekel, Angst und Überraschung überzufällig übereinstimmend den entsprechenden Emotionsbegriffen zugeordnet worden. Dies wurde als Indiz für die Universalität der Basisemotionen interpretiert (Ekman, 1988). 2. Bereits bei Säuglingen konnte man diese sechs mimischen Ausdrucksmuster beobachten, was als Indiz interpretiert wurde, dass sie angeboren und nicht gelernt sein müssten (vgl. Izard & Malatesta, 1987). 3. Bereits Säugetiere verfügen über ein Set an Reaktionssyndromen, die eine Reihe an funktionalen, verhaltensbezogenen und hirnorganischen Ähnlichkeiten zu menschlichen Emotionen aufweisen, was als Indiz für ihre phylogenetische Verankerung interpretiert wurde. Panksepp (1998) hat sie- 1 Der Beitrag stellt eine erweiterte und überarbeitete Fassung eines Positionsreferats dar, das der Autor auf dem 44. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie vom 26. - 30. September 2004 in Göttingen gehalten hat. Der Autor dankt Dorothee Seeger für ihre wertvollen Kommentare zur Vorversion des Manuskripts. Am Anfang war der Ausdruck 231 ben Emotionssysteme identifiziert, die bei allen Säugetieren anzutreffen seien: fear (Furcht), rage (Wut), panic (Panik/ Kummer), seeking (Neugierde/ Interesse), care (Fürsorge), lust (Lust), und play (Spielfreude). Relativ unstrittig ist mittlerweile, dass Emotionen ein Produkt der phylogenetischen Entwicklung sind und eine adaptive Funktion bzgl. der Überlebenssicherung des Individuums besitzen. Strittig ist, inwiefern auch anderen Spezies, insbesondere Säugetieren und speziell Menschenaffen, ein Gefühlserleben unterstellt werden kann (vgl. Panksepp, 1998). Sind Emotionen kulturell determiniert? Den biologisch orientierten Emotionstheorien lassen sich kulturrelativistische Emotionstheorien entgegen stellen. Ihre Befürworter (vgl. Averill & Nunley, 1992; Harré, 1986; Harré & Parrott, 1996; Ratner, 1999) zeigen anhand empirischer Studien, dass die in den biologisch orientierten Theorien behaupteten fixen Reaktionssyndrome von Ausdruck, Körperreaktion und Gefühl bei den Emotionen Erwachsener die Ausnahme und nicht die Regel seien und die Beschränkung der Analyse auf den mimischen Ausdruck die kulturelle Vielfalt emotionaler Phänomene nicht sichtbar mache. Es gibt eine Vielzahl ethnografischer und kulturpsychologischer Studien, die detailliert beschreiben, dass sich gerade im alltäglichen sozialen Umgang kulturspezifische Emotionsmuster unterscheiden lassen. Nur unter Einbeziehung des jeweiligen kulturellen Bedeutungs- und Handlungskontextes lassen sie sich angemessen interpretieren (vgl. Harré, 1986; Harré & Parrott, 1996; Ratner, 1999). Exemplarisch seien die Studien von Averill und Nunley (1992) zur romantischen Liebe in westlichen Kulturen genannt, von Doi (1974) zur Emotion amae als besondere Form der Mutter-Kind-Bindung in der japanischen Kultur, von Lutz (1987) zur Emotion fago bei den Ifaluk in Sibirien als ein besonderes Amalgan aus Fürsorge und Zuneigung. Kulturrelativistische Theorien reklamieren demnach für sich, dass Emotionen in ihren Erscheinungsformen eine solche individuelle wie kulturelle Vielfalt aufweisen, dass sich diese Emotionsvielfalt nicht in ein Korsett stammesgeschichtlich determinierter Basisemotionen pressen lasse, sondern sie durch kulturelle Vermittlungsprozesse entstanden sein müsse. Als Ursache wird angeführt, dass Menschen über die einzigartige Fähigkeit verfügen, Symbolsysteme zu schaffen, zu nutzen und an nachfolgende Generationen weiter zu geben, die sein Denken und Handeln, aber auch sein Fühlen in kulturspezifischer Weise hervorbringen. In jeder Kultur existieren Handlungs- und Bedeutungsmuster, die sich darauf beziehen, welche Emotionen anhand welcher Ausdrucksformen und Emotionsbegriffe unterschieden werden, was die Funktionen von Emotionen sind und welche Mittel zur Regulation je nach Anlass verfügbar und angemessen sind. Auf diese Weise entstehen kulturspezifische Emotionsqualitäten, die von Generation zu Generation tradiert werden. Eine solche Tradierung kann nur in den sozialen Interaktionen zwischen den Mitgliedern einer Kultur stattfinden, weshalb man auch von der Ko-Konstruktion emotionaler Prozesse spricht. Allerdings betrachten kulturrelativistische Ansätze im Wesentlichen die Sprache und die sprachlich vermittelten Bedeutungssysteme als Medium für die Entstehung kultureller Unterschiede (vgl. Heelas, 1986; Lutz, 1986; Wierzbicka, 1999). Das hat Kritik auf sich gezogen (vgl. Lyon, 1995): 1. Sprachliche Bedeutungssysteme können nicht die alleinige Ursache kultureller Unterschiede sein, da Sprache als Zeichensystem sich auf etwas bezieht, das durch sie bezeichnet wird, d. h. auf einen Sachverhalt, der auch ohne Sprache existiert. Auch die Regulationsprozesse, die vermeintlich unerwünschte Emotionen kanalisieren und erwünschte verstärken, müssen an etwas Unerwünschtem bzw. Erwünschtem ansetzen. Was könnte dieses Etwas sein? 232 Manfred Holodynski 2. Sprachlich vermittelte Bedeutungszuschreibungen können erst mit dem Erlernen der Sprache ab dem zweiten Lebensjahr ihre Wirkung entfalten. Was passiert im ersten Lebensjahr und den vom Kind gezeigten Emotionen, die sich im Wesentlichen durch Ausdrucks- und Körperreaktionen mitteilen? Diese Kritik führt zu der Frage, inwiefern menschliche Emotionen auch jenseits von sprachlichen Deutungsprozessen kulturell überformt sein können und wie man sich die ontogenetische Entwicklung einer solchen kulturellen Überformung von Emotionen vorstellen kann. Im Folgenden soll darauf eine Antwort vorgeschlagen werden, die an den emotionalen Ausdrucksreaktionen des Kindes und den fürsorglichen Reaktionen seiner Bezugspersonen ansetzt. Die Vorzüge einer entwicklungspsychologischen Analyse von Emotionen Die vorgetragene Kritik an den kulturrelativistischen Emotionstheorien legt nahe, die Analyse nicht mit den Emotionen Erwachsener zu beginnen, sondern statt dessen die Ontogenese nachzuzeichnen, d. h. zu analysieren, mit welcher emotionalen Grundausstattung Neugeborene auf die Welt kommen und wie sich diese Grundausstattung im Laufe der Ontogenese modifiziert. Eine solche entwicklungspsychologische Analyse kann zu der gesuchten Erklärung führen, inwiefern Emotionen angeboren sind und welche Entwicklungsmechanismen eine Differenzierung von Emotionsqualitäten hervorbringen. Eine solche Analyse der Entwicklungsprozesse hat darüber hinaus noch einen weiteren Vorteil: Damit lassen sich psychologische Theorien, die für eine empirische Prüfung zu komplex sind, dennoch auf ihre Stichhaltigkeit prüfen. Die oben skizzierten Kontroversen haben zu einer Weiterentwicklung allgemeinpsychologischer Emotionstheorien beigetragen, die zwar den biologischen und kulturellen Aspekten der Emotionen Erwachsener besser gerecht werden. Dies konnte aber nur durch eine Zunahme an konzeptueller Komplexität erreicht werden, die ein erhebliches methodisches Problem mit sich brachte: Komplexe psychologische Theorien enthalten so viele Komponenten und mögliche Beziehungen zwischen ihnen, dass sie an fast jede empirische Datenlage angepasst werden können, womit sie nicht mehr falsifizierbar wären. Eine entwicklungsorientierte Analyse kann aus diesem Dilemma herausführen: Jede komplexe psychische Struktur von Erwachsenen ist ein Produkt der ontogenetischen Entwicklung und muss daher aus vergleichsweise einfachen psychischen Strukturen bei Neugeborenen hervorgegangen sein. Dies ist auch bei den Emotionen Erwachsener der Fall. Eine entwicklungspsychologische Analyse ermöglicht es demnach, folgende Fragen empirisch zu beantworten: 1. Welche Emotionen sind ursprünglich in dem Sinne, dass sie bereits bei Neugeborenen zu beobachten sind? Sind diese Emotionen mit denen Erwachsener vergleichbar? Welche Emotionen entwickeln sich erst im Laufe der Ontogenese und welche Entwicklungsmechanismen und -bedingungen liegen dem zugrunde? 2. Inwiefern bleiben ursprüngliche Emotionsstrukturen, wie sie bei Säuglingen und Kindern beobachtet werden können, auch in den entwickelten Emotionsstrukturen bei Erwachsenen bestehen? Dies ist z. B. in Bezug auf den Emotionsausdruck bedeutsam, da er unzweifelhaft ein Merkmal der Emotionen von Kindern ist, aber nicht notwendig ein Merkmal der Emotionen Erwachsener zu sein scheint. Ein Internalisierungsmodell der Emotionsentwicklung Im Folgenden soll eine Entwicklungstheorie von Emotionen vorgestellt werden, die auf die skizzierten Fragen eine erste Antwort zu geben und damit die kontroversen Positionen zwischen biologisch und kulturell orientierten Emotionstheorien zu überbrücken versucht (vgl. ausführlicher Holodynski, in Druck). Am Anfang war der Ausdruck 233 Kernthese ist, dass bei der menschlichen Emotionsentwicklung den emotionalen Ausdruckszeichen in den Interaktionen zwischen Bezugspersonen und Kind eine herausgehobene Vermittlungsfunktion zukommt: Ausdruckszeichen stellen die wesentlichen Kommunikationsmittel dar, mittels derer die Beteiligten insbesondere in der frühen Ontogenese ihre Emotionen kommunizieren. Dabei lässt sich zeigen, dass Ausdruckszeichen in wesentlichen Teilen nicht biologischen Ursprungs sind, sondern Produkt kulturgeschichtlicher Symbolbildungsprozesse, durch die den Ausdruckszeichen eine spezifische Beziehungsbedeutung zugewiesen wird: Sie verkörpern die Einschätzung von internen bzw. externen Situationsanlässen bzgl. der Befriedigung von Motiven. Die Übernahme von kulturell geprägten Ausdruckszeichen (mit ihren kulturspezifischen Bedeutungen) durch das Kind lässt kulturspezifische Emotionen entstehen. Das Internalisierungsmodell, das die menschliche Emotionsentwicklung erklären will, ist eine kontextualistisch inspirierte Theorie; sie versucht, die wesentlichen Phasen der Emotionsentwicklung vom Säugling zum Erwachsenen und die ihnen zugrunde liegenden Entwicklungsmechanismen zu beschreiben. Dieses Modell gibt eine Antwort auf die folgenden Fragen 1. Aus welchen Komponenten besteht eine Emotion? 2. Welche Funktionen haben Emotionen und ihre Komponenten? 3. Wie entwickelt sich die handlungsregulierende Funktion von Emotionen? 4. Welche Bedeutung kommt der Ausdruckskomponente in der Emotionsentwicklung zu? Die vier Komponenten einer Emotion Aus welchen Komponenten besteht eine Emotion? Sie setzt sich aus vier Komponenten zusammen: der Einschätzungs- (Appraisal), der Ausdrucks-, der Körperregulations- und der Gefühlskomponente. Die Komponenten bilden ein dynamisches psychisches System, das (1) interne bzw. externe kontextgebundene Anlässe in ihrer Bedeutung für die eigene Motivbefriedigung einschätzt, (2) adaptive Ausdrucks- und (3) Körperreaktionen auslöst, die (4) über das Körperfeedback als Gefühl subjektiv wahrgenommen und mit dem Emotionsanlass in Zusammenhang gebracht werden, so dass nachfolgende motivdienliche Handlungen ausgelöst werden (können), sei es bei der Person selbst oder beim Interaktionspartner (vgl. Abb. 1, Erwachsener). So besteht z. B. bei der Emotion Stolz die motivrelevante Einschätzung (Appraisal) darin, dass die Person einen Wertmaßstab durch eigenes Tun erfüllt hat, was sich in Ausdrucks- und Körperreaktionen der Selbsterhöhung (z. B. aufgerichtete Körperhaltung; Impuls, sich anderen zu präsentieren; Körperspannung) äußert, deren Körperfeedback die subjektiven somatischen Marker (Damasio, 1995) des Stolzgefühls darstellen, auf den Anlass des Stolzes gerichtet sind und nachfolgend Handlungen auslösen, die das Stolzerleben andauern lassen. Dabei laufen die einleitenden Einschätzungsprozesse unwillkürlich und unbewusst ab. Sie sind von einem (nachträglich einsetzenden) Nachdenken über den möglichen Emotionsanlass und dessen subjektive Bedeutung zu unterscheiden, denn dieser Prozess läuft willkürlich und bewusst ab. Die handlungsregulierende Funktion von Emotionen Welche Funktionen haben Emotionen und ihre Komponenten? Emotionen haben ganz allgemein die Funktion, die Handlungen des Menschen in motivdienlicher Weise zu regulieren (vgl. Frijda, 1986). Dazu wirken die vier Komponenten einer Emotion systemisch zusammen: Mit Hilfe der Bewertungskomponente schätzt eine Person die von ihr wahrgenommenen Anlässe auf ihre Motivrelevanz hin ein. Dabei ist ein Motiv zunächst nur als ein erwünschter Zustand der Person definiert, den diese bestrebt ist zu erreichen, ohne da- Erwachsener Neugeborenes Anlass 234 Manfred Holodynski mit schon eine bestimmte Quelle dieser Motivation oder ihre Bewusstheit oder Intentionalität zu verbinden. So löst z. B. die Blockierung eines antizipierten Handlungsziels Ärger aus, wenn die Person die Blockade auf das absichtliche Handeln einer anderen Person zurückführt. In den aktuellen emotionspsychologischen Appraisaltheorien wird diese Einschätzungskomponente detailliert analysiert (für einen Überblick siehe Scherer, Schorr & Johnstone, 2001). Durch ihre Ausdrucks- und Körperkomponente stellen Emotionen keine passiven, rein mentalen Situationseinschätzungen dar, sondern sie verkörpern eine aktive Handlungsbereitschaft, die die nachfolgende Bewältigungshandlung in Gang setzt, mit der die aktuelle Person- Umwelt-Beziehung in motivdienlicher Weise transformiert werden soll. Diese zweite Funktion wird in den Appraisaltheorien nur am Rande analysiert, obwohl sie m. E. den Schlüssel zur Emotionsentwicklung darstellt. Abbildung 1: Struktur einer Emotion beim Neugeborenen und beim Erwachsenen und ihre Beziehung in der interpersonalen Regulation (Appraisal = motivbezogene Einschätzung, IS = interozeptive Körpersensationen, PS = propriozeptive Körpersensationen) Körpersensation IS PS Sensation Anlass Appraisal Kontext Kontext Anlass Sensation Motive Emotion Ziele Erwartungen Wahrnehmung Appraisal Evaluation als bewusste Reflexion über das Gefühl Umsetzung in Handlung Bewusstes Gefühl als … Körpersensation IS PS Ausdruck Körperregulation Ausdruck Körperregulation Handlung Am Anfang war der Ausdruck 235 Bewältigungshandlungen können vom Individuum selbst ausgeführt werden, dann dienen Emotionen der intrapersonalen Regulation. Motivdienliche Bewältigungshandlungen können aber auch durch eine andere Person stellvertretend ausgeführt werden, dann dienen Emotionen der interpersonalen Regulation. So kann Trauer eine Person veranlassen, sich jemanden zu suchen, der tröstet (interpersonale Regulation). Trauer kann aber auch dazu veranlassen, allein vor sich hin zu weinen und sich selbst zu trösten (intrapersonale Regulation). Jede Emotion kann demnach sowohl einer interals auch einer intrapersonalen Regulation dienen. Von der interpersonalen zur intrapersonalen Regulation Wie entwickelt sich die handlungsregulierende Funktion von Emotionen? Während des Säuglingsalters ist die handlungsregulierende Funktion von Emotionen im Wesentlichen zwischen Bezugsperson und Kind aufgeteilt oder anders gesagt interpersonal. Die Bezugspersonen führen alle erforderlichen Bewältigungshandlungen zur Befriedigung der kindlichen Motive aus, da der Säugling solche noch gar nicht beherrscht. Seine Bezugspersonen kommen dieser Aufgabe nach, indem sie die Ausdruckszeichen des Säuglings als authentische Signale seines aktuellen Gefühls interpretieren und dem wahrgenommenen Appellcharakter der Ausdrucksreaktionen entsprechend handeln. Damit kommt den Ausdrucksreaktionen eine wesentliche Vermittlungsrolle zu (s. u.). Erst bei Jugendlichen und Erwachsenen ist die handlungsregulierende Funktion von Emotionen in vielen Fällen intrapersonal: Erwachsene können die ihrer emotionalen Handlungsbereitschaft dienlichen Bewältigungshandlungen selbstständig ausführen. Dabei erfüllt die Gefühlskomponente der Emotion ihre Regulationsfunktion, indem sie der Person die Motivrelevanz von Reizen signalisiert (vgl. Clore, 1994). So fühlt man bei Ärger den Anstieg des Muskeltonus als starke Erregung, fühlt den Impuls zur Konfrontation und zum Angriff. Erst dieser kontinuierliche Selbstregulationsprozess lässt die Emotion als System reibungslos funktionieren: Denn sowohl die emotionsauslösenden Handlungs- und Kontextkonstellationen als auch die motivdienlichen Bewältigungshandlungen sind (bis auf wenige Ausnahmen) nicht angeboren, sondern werden erst im Laufe der Ontogenese erlernt. Bei jeder Emotionsepisode müssen daher von neuem der Emotionsanlass, die ausgelösten Ausdrucks- und Körperreaktionen und die verfügbaren Bewältigungshandlungen zeitgleich im Gefühl repräsentiert werden, um sie möglichst optimal aufeinander abstimmen zu können. Aus entwicklungspsychologischer Sicht stellt die interpersonale Regulation die dominante Ausgangsform dar. Fogel (1993) spricht von „co-regulation“, um die wechselseitige Verflochtenheit der Regulationsprozesse von Bezugsperson und Säugling zu verdeutlichen. Der ontogenetische Entwicklungsverlauf besteht darin, dass aus der interpersonalen Regulation die intrapersonale Regulation hervorgeht, wie dies Sroufe (1996, S. 151) treffend beschreibt: „(…) the general course of emotional development may be described as movement from dyadic regulation to self-regulation of emotion. Moreover, dyadic regulation represents a prototype for self-regulation; the roots of individual differences in the selfregulation of emotion lie within the distinctive patterns of dyadic regulation.“ Die emotionale Handlungsregulation wandelt sich im Laufe der Entwicklung von der völligen Abhängigkeit des Neugeborenen von der dyadischen (interpersonalen) Regulation in die selbstständige (intrapersonale) Regulationsfähigkeit des älteren Kindes. Wenn Emotionen zu Beginn der Ontogenese im Wesentlichen eine interpersonale Regulationsfunktion haben, dann werden Ausdrucksreaktionen zu den zentralen Vermittlungsgliedern in der kindlichen Handlungsregula- 236 Manfred Holodynski Symptomfunktion Beschreibung Gefühlszustand / Appraisal Handlungsbereitschaft Symbolfunktion Appellfunktion Lächeln Ich fühle jetzt etwas Gutes. Ich will die laufende Ich tue so, als ob ich jetzt Lasst uns spielen. Lasst uns (Inter)aktion fortsetzen. Ich etwas Gutes fühle. Freunde sein. möchte mit dir sein. Schreien Ich fühle jetzt etwas Ich werde das Schreien fort- Ich tue so, als ob ich jetzt Hilf’ mir. Mach’ alles wieder Schlechtes. setzen (bis du mir hilfst). etwas Schlechtes fühle. gut. Weit aufgerissene Augen Was ich wahrnehme, ist Ich möchte mehr darüber Ich tue so, als ob ich etwas Verletz’ mich nicht, ich geb’ mit unbeweglichen Augenbedrohlich. Aber ich kann erfahren, aber ich kann im Bedrohliches wahrnehme, nach. Hilf’ mir aus der Gefahr brauen nichts dagegen tun. Moment nichts tun. aber nichts dagegen tun kann (wenn an vertraute Personen gerichtet) Nase rümpfen Etwas ist für mich Ich will etwas Unangeneh- Ich tue so, als ob etwas für Erspar’ mir das (unangenehme unangenehm. mes ausstoßen. Ich will mich mich unangenehm ist. Etwas). von diesem befreien. Blickfokussierung mit/ ohne Was ich aktuell wahrnehme, Ich will mehr darüber Ich tue so, als ob ich etwas Gib’ mir mehr Informationen. offenem Mund ist neu oder unerwartet. erfahren. aktuell wahrnehme, das neu oder unerwartet ist. Jemandem die Zunge Du zwingst mich etwas zu Obwohl ich nachgebe, ordne Ich tue so, als ob du mich Ich will, dass du weißt, dass herausstrecken tun, was ich denke, tun zu ich mich nicht dir unter. zwingst etwas zu tun, was ich mich dir nicht unterordne. müssen, aber ich möchte ich denke, tun zu müssen, entscheiden, dass ich es tue. aber ich möchte entscheiden, dass ich es tue. Sich vor jemandem Ich denke etwas sehr Groß- Aufgrund dessen akzeptiere Ich tue so, als ob ich etwas Ich will, dass Sie wissen, dass Hinknien artiges über Sie, was ich ich Ihren Willen uneingesehr Großartiges über Sie ich das denke und fühle. niemals über mich denken schränkt. denke, was ich niemals über könnte. mich denken könnte. Tabelle 1: Symptom-, Appell- und Symbolfunktion ausgewählter Ausdruckszeichen z. T. adaptiert aus Wierzbicka (1995, 1999) Am Anfang war der Ausdruck 237 tion, und zwar in ihrer semiotischen Funktion als Zeichen für andere. Die Güte der Ausdruckszeichen und die Fähigkeit der Bezugspersonen, sich von den Ausdruckszeichen ihrer Kinder beeindrucken zu lassen, treten damit ins Zentrum der Analyse. Ausdrucksreaktionen als Medium der Emotionsentwicklung Welche Bedeutung kommt der Ausdruckskomponente in der Emotionsentwicklung zu? Damit eine interpersonale Regulation überhaupt funktionieren kann, bedarf es eines Mediums, das für andere Personen wahrnehmbar ist. Dies sind die Ausdrucksreaktionen einer Emotion. Der Ausdruck beinhaltet nicht nur die Mimik, sondern auch den Körperduktus (als Resultante von Körperhaltung und -bewegung), die Gestik, den vokalen Klang der Stimme, das Blickverhalten, das Verhalten im Raum und das Berühren (vgl. Collier, 1985). Ausdrucksreaktionen bestehen in Verhaltensweisen, die eine spezifische Form des Kontaktes mit Aspekten der Umwelt herstellen oder verstärken, abschwächen oder unterbrechen oder darauf abzielen, dieses zu tun. Der instrumentelle und semiotische Gebrauch von Ausdrucksreaktionen. Ausdrucksreaktionen können auf zweierlei Weise gebraucht werden und damit die Person-Umwelt-Beziehung verändern (vgl. Frijda, 1986, p. 13): 1. Ausdrucksreaktionen verändern die Person-Umwelt-Beziehung direkt. Als prototypisches Beispiel lässt sich der Ekelausdruck anführen. Diese Ausdrucksreaktion (Würgen, Mundöffnen, Vorstrecken der Zunge, Rümpfen der Nase) reduziert den Kontakt mit unangenehm schmeckender Speise und führt zum Ausspeien der Speise. 2. Ausdrucksreaktionen verändern die Person-Umwelt-Beziehung indirekt, indem sie das Verhalten eines Interaktionspartners so beeinflussen, dass dieser die Beziehung in motivdienlicher Weise verändert. So kann der Ekelausdruck des Säuglings der fütternden Person signalisieren, dass er nicht mehr essen mag und sie daher mit dem Füttern aufhören soll. Der Ausdruck wird in diesem Fall zum Ausdruckszeichen für andere. Die kommunikative Verwendung von Ausdruckszeichen. Wenn Ausdrucksreaktionen als kommunikative Zeichen genutzt werden, erweitert dies den Spielraum für die interpersonale Regulation enorm. Zeichen können in der interpersonalen Regulation für drei kommunikative Zwecke verwendet werden: Sie können als Symptom, als Appell und als Symbol wirken und benutzt werden, wie Bühler (1934/ 1984) dies in seinem Organonmodell der Zeichennutzung (vgl. Tab. 1) beschrieben hat (vgl. auch Scherer, 1992): 1. Als Symptom signalisiert ein Ausdruckszeichen das aktuelle Gefühl und die Handlungsbereitschaft des Senders. 2. Als Appell ruft ein Ausdruckszeichen beim Empfänger einen Eindruck hervor, in bestimmter Weise handeln zu sollen. 3. Als Symbol repräsentiert ein Ausdruckszeichen Gefühlszustände in konventionalisierter Form. Ein Sender, der ein Ausdruckszeichen als Symbol nutzt, tut so, als ob er das ausgedrückte Gefühl aktuell fühlt, um damit all die Wirkungen im Empfänger hervorrufen zu können, die auch eine aktuell gefühlte Emotion hervorrufen würde. Die Fähigkeit, Ausdruckszeichen symbolisch nutzen zu können, stellt in meinen Augen sowohl kulturhistorisch als auch ontogenetisch den Schlüsselmechanismus dar, dass sich die Ausdrucks- und Emotionsentwicklung von ihrer biologischen Verankerung löst und in kulturgeschichtliche Symbolbildungsprozesse eingebunden wird (vgl. z. B. Althoff, 2004). Dadurch können kulturhistorisch und ontogenetisch neue Ausdruckszeichen geschaffen und mit einer kulturspezifischen Bedeutung belegt werden, die entsprechende kulturspezifische Situationseinschätzungen, Gefühlszustände und Handlungsbereitschaften reprä- 238 Manfred Holodynski sentieren und damit neue kulturspezifische Emotionen entstehen lassen (vgl. ausführlicher Holodynski & Friedlmeier, in press). 2 Die ontogenetischen Phasen der Emotionsentwicklung Das Internalisierungsmodell gliedert die Emotionsentwicklung in fünf übergreifende Entwicklungsphasen (vgl. Holodynski, in Druck), von denen im Folgenden nur die ersten drei beschrieben werden: Jede Phase ist gekennzeichnet durch spezifische emotionsbezogene Entwicklungsaufgaben, die Kinder meistern sollten, und spezifische Entwicklungsmechanismen, die der Emotionsentwicklung zugrunde liegen (vgl. Abb. 2). Dabei wird der Begriff „Entwicklungsphase“ in dem Sinne verwendet, dass die beschriebenen Entwicklungsschritte in diesem Altersbereich erstmals auftreten. Der ontogenetische Ausgangspunkt: Die Vorläuferemotionen von Neugeborenen Gemessen an der obigen Definition von Emotionen lassen sich beim Neugeborenen im strengen Sinne keine Emotionen, sondern nur Vorläuferemotionen („precursor emotions“, Sroufe 1996) finden, an denen die interpersonale Regulation ansetzen kann. Vorläuferemotionen werden (1) durch absolute physikalische Reizschwellen und nicht durch eine erworbene, bedeutungsgestützte Einschätzung ausgelöst; (2) ihre Ausdrucks- und Körperreaktionen sind noch nicht auf den situativen Anlass und Kontext hin abgestimmt, sondern zum Teil reflexhaft (vgl. Abb. 1, Neugeborenes). So konnten Erwachsene den mimischen Ausdruck von Neugeborenen, den man in fünf emotional unterschiedlichen Situationen videografiert hatte (vor dem Stillen, erzwungene Bewegung, im Arm der Mutter, von der Mutter wegnehmen, Spritze geben), nur nach den globalen Dimensionen Aktivation und Valenz korrekt einstufen, nicht aber bezüglich des situativen Anlasses oder der spezifischen Emotionsqualität (Galati u. Lavelli, 1997). Forschungen zu den emotionalen Reaktionen von Neugeborenen haben übereinstimmende Hinweise dafür ergeben, dass Neugeborene fähig sind, auf fünf abgrenzbare Klassen von Anlässen konsistent mit fünf verschiedenen Ausdrucksmustern zu reagieren (vgl. Izard & Malatesta, 1987; Sroufe, 1996). Das lässt den Schluss zu, dass Neugeborene über fünf Vorläuferemotionen verfügen: Distress (distress), Ekel (disgust) und Erschrecken (fright) sowie Interesse (interest) und „endogen bewirktes“ Wohlbehagen (endogeneous pleasure). Dabei dienen die ersten drei Vorläuferemotionen im Wesentlichen dazu, bedürfnisbezogene Mangelzustände bzw. Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit zu signalisieren, während Interesse und Wohlbehagen dem Aufbau psychischer Repräsentationen der externen und internen Umwelt dienen (Sroufe, 1996). 1. Distress. Dies wird speziell durch Schreien ausgedrückt, dem motorische Unruhe vorausgeht, und signalisiert einen dringenden Bedarf (sei es nach Nahrung, Wärme, Körperkontakt oder Ansprache), der von den Bezugspersonen befriedigt werden 2 Mit Donald (1993) und Raeithel (1994) kann man sagen, dass die Ausdruckszeichen ein eigenständiges mimetisches Bedeutungssystem repräsentieren. Die Übernahme von kulturell geprägten Ausdruckszeichen mit ihren kulturspezifischen Bedeutungen durch das Kind stellt einen Entwicklungsmechanismus dar, wie kulturspezifische Emotionen entstehen können, die nicht durch sprachliche Bedeutungssysteme hervorgebracht wären. Ein sinnfälliges Beispiel für ein kulturell entwickeltes Ausdruckszeichen und die dadurch verkörperte Emotion stellt der Kniefall dar: Der Kniefall und mehr noch der Fußfall drücken starke soziale Rangunterschiede aus, wie sie zwischen Herrscher und Untertan anzutreffen sind und die Emotion Demut verkörpern. Diese Ausdruckszeichen gehörten im Zeitalter des Absolutismus zum bekannten Ausdruckssystem europäischer Kulturen. Man kann sie aber nicht mehr in den heutigen egalitär verfassten Kulturen Europas mit ihren gleichberechtigten Bürgern finden. Man findet diese Ausdruckszeichen aber nach wie vor im Zusammenhang mit religiösen Praktiken, bei denen die betende Person ihre Demut gegenüber Gott ausdrückt (vgl. Stollberg-Rilinger, 2004; Wierzbicka, 1995). Allerdings fehlen noch weitere detailliertere Analysen der in einer Kultur benutzten Ausdruckszeichen. Am Anfang war der Ausdruck 239 muss und von diesen auch so empfunden wird (vgl. Boukydis & Burgess, 1982). 2. Ekel. Dies drückt sich durch ein Rümpfen der Nase und ein Vorstrecken der Zunge aus, um Nahrung auszuspucken, und signalisiert ungenießbare Nahrung (vgl. Rosenstein & Oster, 1988; Soussignan & Schaal, 2005). 3. Erschrecken. Dies wird ausgedrückt durch weit aufgerissene Augen und Körperanspannung, die eine bedrohliche Überstimulation signalisiert und durch eine abrupte und starke Reizerregung wie z. B. durch den Verlust des Körpergleichgewichts oder das Eintauchen in (kaltes) Wasser ausgelöst werden kann. 4. Interesse. Dies wird speziell durch Hinwendung zur Reizquelle, visuelle Fokussierung und Hemmung motorischer Aktivität ausgedrückt und signalisiert die Neuartigkeit externer Stimulation (Langsdorf, Izard, Rayias & Hembree, 1983). Es dient dem Auffinden von Kontingenzen in der Wahrnehmung der Umwelt. 5. Endogenes Wohlbehagen. Dies drückt sich durch Lächeln aus, das den Abschluss eines Spannungs-Entspannungs-Zyklus signalisiert, der zunächst durch subkortikale Stimulation ausgelöst wird. Das Lächeln wird allerdings in den ersten Lebenswochen zunehmend dann ausgelöst, wenn der Säugling Kontingenzen zwischen Reizen wiedererkennt, z. B. das Gesicht seiner Bezugsperson. Der Spannungs-Entspannungs- Zyklus mit dem Lächeln als Abschluss ist nach der Spannungsmodulationshypothese von Sroufe (1996) darauf ausgelegt, den erfolgreichen Aufbau einer psychischen Repräsentation mit einem positiven emotionalen Marker zu versehen, der auch für die Bezugsperson wahrnehmbar ist und ihre Handlungen ausrichten kann. Indem die Bezugsperson versucht, den Säugling zum Lächeln/ Lachen zu bringen, bringt sie ihn intuitiv in Situationen, in denen er psychische Repräsentationen von wahrgenommenen Umweltkontingenzen aufbauen kann. Neugeborenes Kleinkind Vorschüler Kind Erwachsener Vorläuferemotionen: Ausdruck hat Zeichenfunktion Entstehung voll funktionsfähiger Emotionen Symbolisierung von Ausdruckszeichen Internalisierung von Ausdruckszeichen Mechanismen: 1. Aneignung des willkürlichen Gebrauchs von Zeichen Mechanismen: 1. Differenzierung des Zeichengebrauchs 2. Aneignung von problem- und emotionsbezogenen Regulationsstrategien Mechanismen: 1. Bezugsperson interpretiert Ausdruck als Zeichen und handelt stellvertretend für Kind; Kind bildet Kontingenzen zwischen Anlass, eigenem Ausdruck u. Handlungen 2. Bezugsperson spiegelt kindlichen Ausdruck in konventionalisierter Form; Kind eignet sich impliziten Zeichengebrauch an (natural biofeedback training) Funktionsdifferenzierung des Zeichengebrauchs: Appell an andere: Appell an sich selbst: gezeigter Ausdruck gefühlter Ausdruck Interpersonale Regulation Intrapersonale Regulation Interpersonale Regulation Altersgruppe Abbildung 2: Meilensteine und Mechanismen der Emotionsentwicklung nach dem Internalisierungsmodell 240 Manfred Holodynski Diese Vorläuferemotionen des Neugeborenen haben im Wesentlichen eine interpersonale Regulationsfunktion: Sie sind darauf angelegt, dass die Bezugspersonen sie als Appelle auffassen, stellvertretend für das Kind diejenigen Handlungen auszuführen, die für die Befriedigung der kindlichen Motive notwendig sind. Obwohl diese Befunde in westlichen Kulturen gesammelt wurden, ist zu vermuten, dass diese fünf Emotionsmuster universell bei allen Neugeborenen auftreten. Sie repräsentieren den biologischen Ausgangspunkt der Emotionsentwicklung. Die Vorläuferemotionen sind demnach nicht mit den entwickelten Emotionen von Trauer, Ekel, Furcht, Interesse und Freude bei Erwachsenen vergleichbar. Erste Entwicklungsphase: die Entstehung funktionstüchtiger Emotionen im Säuglings- und Kleinkindalter In der ersten Entwicklungsphase im Säuglings- und Kleinkindalter stellen sich dem Kind die Aufgaben, • ausgehend von den Vorläuferemotionen ein differenziertes, durch Ausdruckszeichen vermitteltes Emotionsrepertoire aufzubauen und • sich ein Repertoire an Bewältigungshandlungen anzueignen, mit denen es seine Motive auch selbstständig befriedigen kann. Im Folgenden werden insbesondere die erste Entwicklungsaufgabe und der ihr zugrunde liegende Entwicklungsmechanismus beschrieben. Die Ausdifferenzierung der Emotionen. Forschungen im Säuglings- und Kleinkindalter legen den Schluss nahe, dass sich in der interpersonalen Regulation mit feinfühligen Bezugspersonen aus den fünf Vorläuferemotionen Distress, Ekel, Erschrecken, Interesse und endogenes Wohlbehagen die folgenden funktionstüchtigen Emotionssysteme ausdifferenzieren (vgl. Sroufe, 1996): Frustration, Ärger und Trotz sowie Kummer und Trauer; Ekel und Abneigung; Furcht und Verlegenheit; Interesse und Überraschung; Wohlbehagen, Freude, Zuneigung und Belustigung. Als Belege für diesen Differenzierungsprozess lassen sich Studien zur Entwicklung des Lächelns anführen, die zeigen, wie aus dem endogenen Wohlbehagen des Neugeborenen die person- und effektgerichtete Freude des sechsmonatigen Säuglings entsteht (vgl. Sroufe, 1996, chap. 5). Ebenso lässt sich die Querschnittstudie von Stenberg und Campos (1990) anführen, die zeigt, wie sich die Distressreaktion des Neugeborenen in die Frustration des viermonatigen Säuglings und schließlich in den Ärger des siebenmonatigen Säuglings ausdifferenziert. Dabei lässt sich die Entwicklung der Ausdrucksreaktionen wie folgt beschreiben: Aus den ungerichteten, z. T. noch unorganisierten Ausdrucksreaktionen des Neugeborenen, die einige Zeit benötigen, um sich aufzubauen, werden auf den Anlass gerichtete, emotionsspezifisch organisierte Ausdruckszeichen mit eindeutigem Appellcharakter. Letztere folgen prompt auf den Anlass, sind in ihrem Timing und ihrer Ausrichtung auf den jeweiligen Kontext abgestimmt, werden durch abgestimmte Körperreaktionen in ihrer Wirkung unterstützt und können gezielt motivdienliche Bewältigungshandlungen - in der Regel bei der Bezugsperson - auslösen. Entwicklungsmechanismus der Emotionsdifferenzierung. Welcher Entwicklungsmechanismus liegt dieser Ausdifferenzierung funktionstüchtiger Emotionen zugrunde? Diese Ausdifferenzierung vollzieht sich in der interpersonalen Regulation mit den Bezugspersonen. Der entscheidende Entwicklungsmechanismus liegt - so die Annahme des Internalisierungsmodells - im Zusammenspiel zweier Faktoren: Das affektreflektierende Spiegeln des kindlichen Emotionsausdrucks durch die Bezugsperson und ihr motivdienliches Reagieren einerseits im Zusammenspiel mit dem Motormimikry des Emotionsausdrucks durch das Kind und seinem Erfahrungslernen andererseits (vgl. Gergely und Watson, 1999). Am Anfang war der Ausdruck 241 Ein Säugling differenziert seine Emotionen nicht nur in einem physikalischen, sondern auch in einem semantischen Raum, bei dem seine emotionalen Erlebnisse durch die Deutungen der Bezugspersonen vermittelt werden. Für das Zustandekommen dieser Deutungen spielen die kindlichen Ausdruckszeichen eine wesentliche Vermittlungsrolle, und zwar nicht nur als instrumentelle Anpassungsreaktionen an die physikalische Umwelt, sondern auch als Zeichen, die die Bezugsperson beeindrucken (vgl. Holodynski, in Druck). Bezugspersonen erschließen anhand der Koinzidenz von situativen Merkmalen, Personenwissen über das Kind und seinen aktuellen Ausdrucks- und Körperreaktionen dessen Emotionen und Intentionen und reagieren mit Bewältigungshandlungen, die auf diese Deutung des kindlichen Ausdrucks abgestimmt sind. Den Erfolg bzw. Misserfolg ihrer Bewältigungshandlungen leiten sie wiederum vom Verlauf der kindlichen Ausdrucks- und Körperreaktionen ab. Papousˇek und Papousˇek (1987, 1999) sprechen in diesem Zusammenhang von einer intuitiven elterlichen Didaktik. Sie passen sich in ihrer Kommunikation den Wahrnehmungsbeschränkungen des Säuglings intuitiv an, indem sie ihre Kommunikation in der Komplexität so weit reduzieren und in der Botschaft prägnant machen, bis sie kontingente Reaktionen des Säuglings hervorrufen können. Sie interpretieren die kindlichen Ausdruckszeichen nicht nur als an sie gerichtete Appelle und reagieren mit der angemessenen Fürsorge. Sie versuchen darüber hinaus auch, den Säugling auf einem für Lernprozesse optimalen Erregungsniveau zu halten. Dabei ermöglichen sie ihm, zeitliche, sensorische und räumliche Kontingenzen zwischen Emotionsanlass, Emotionsausdruck und Bewältigungshandlung zu erfahren, die beim Säugling zum Aufbau bedeutungsabhängiger emotionsspezifischer Einschätzungsmuster führen. Darüber hinaus spiegeln Bezugspersonen die kindlichen Ausdruckszeichen in ihrem eigenen Ausdruck in prägnanter und konventionalisierter Weise wider. Durch dieses affektreflektierende Spiegeln erfährt der Säugling auch Kontingenzen zwischen Ausdruck, Gefühl und ihren handlungsregulierenden Konsequenzen, wodurch der Symbolgebrauch von Ausdruckszeichen und die bewusste Gefühlswahrnehmung entstehen (vgl. Gergely & Watson, 1999). Stern (1992) beschreibt dieses affektreflektierende Spiegeln als Affektabstimmung. Ein Beispiel soll dies illustrieren: „Ein neun Monate alter Junge haut auf ein weiches Spielzeug, zuerst ein bißchen wütend, allmählich aber mit Vergnügen, voller Spaß und Übermut. Er entwickelt einen stetigen Rhythmus. Die Mutter fällt in diesen Rhythmus ein und sagt, „kaaaaa-ham, kaaaaaa-ham“, wobei das „ham“ auf den Schlag fällt und das „kaaaa“ die vorbereitende Aufwärtsbewegung und das erwartungsvolle Innehalten des Arms vor dem Schlag begleitet“ (Stern, 1992, S. 200 - 201). In der Studie von Malatesta und Haviland (1982) konnte gezeigt werden, dass Mütter in der Interaktion selektiv auf die emotionsspezifischen Ausdruckszeichen ihrer dreibzw. sechsmonatigen Säuglinge reagieren und sie intuitiv in ihrem eigenen Ausdruck spiegeln. In einer Spielepisode und in einer Wiedervereinigungsepisode, nachdem Mutter und Säugling zuvor kurz getrennt wurden, reagierten die Mütter auf den Interesseausdruck ihrer Säuglinge vermehrt mit eigenem Interesseausdruck, auf Freude vermehrt mit Freude, auf Überraschung vermehrt mit Überraschung - jeweils mit der MAX-Skala von Izard (1979) gemessen. Der Ausdruck negativer Emotionen wie Trauer und Ärger wurde nicht so häufig, aber dennoch überzufällig häufig gespiegelt, wobei der Ärgerausdruck z. T. nur mit Stirnrunzeln gespiegelt wurde und die negativen Ausdrucksformen recht schnell durch positivere ersetzt wurden. Hingegen wurde der Ausdruck von Distress ebenso wie einfaches Stirnrunzeln („knit brows“) ignoriert. Bei den sechsmonatigen Säuglingen nahmen im Vergleich zu den dreimonatigen Säuglingen diejenigen Ausdruckszeichen ab, 242 Manfred Holodynski die von den Bezugspersonen nicht gespiegelt wurden wie das Stirnrunzeln. Ebenso wechselten die kindlichen Ausdruckszeichen bei den Dreimonatigen viel weniger als bei den Sechsmonatigen. Demgegenüber nahm die Korrelation zwischen den kindlichen und mütterlichen Ausdrucksmustern zu. Es findet demnach eine Synchronisation der Ausdruckszeichen zwischen Bezugsperson und Säugling statt. Diese Entwicklungstrends konnten Malatesta, Grigoryev, Lamb, Albin und Culver (1986) auch in einer Längsschnittstudie an Säuglingen im Alter von zweieinhalb- und fünf- und siebeneinhalbmonatigen Säuglingen bestätigen. Zusammenfassend lässt sich Folgendes sagen: Erst dadurch, dass die Bezugsperson die noch ungerichteten kindlichen Ausdrucks- und Körperreaktionen angemessen deutet, sie in ihrem eigenen Ausdruck in Form prägnanter Ausdruckssymbole spiegelt und prompt mit motivdienlichen Bewältigungshandlungen reagiert, vervollständigt sie die kindlichen Vorläuferemotionen zu voll funktionsfähigen motivdienlichen Emotionen. Der kindliche Emotionsprozess ist demnach anfänglich auf Kind und Bezugsperson aufgeteilt, sie agieren als ein koreguliertes System. Aus der interpersonalen Handlungsregulation, die von der Bezugsperson initiiert wird, entwickelt das Kind im Laufe des zweiten Lebensjahres eine selbständigere Regulation vor allem in der Weise, dass es von sich aus aktiv die Regulationsunterstützung der Bezugsperson einfordert. Aneignung eines Repertoires an Bewältigungshandlungen. Neben dieser Ausdifferenzierung der Emotionen lernen Kinder in den ersten zwei Jahren eine Vielzahl an motivdienlichen instrumentellen Handlungen in der Selbstversorgung, im Umgang mit alltäglichen Gebrauchsgegenständen, in der eigenen Mobilität, dass sie am Ende des zweiten Lebensjahres bereits von ihren instrumentellen Fähigkeiten her einen Teil der motivdienlichen Handlungen selbstständig ausführen können und damit nicht mehr so vollständig auf die stellvertretende Regulation durch ihre Bezugspersonen angewiesen sind. Zweite Entwicklungsphase: die Entstehung der intrapersonalen Regulation im Kleinkind- und Vorschulalter In der zweiten Entwicklungsphase im Kleinkind- und Vorschulalter entsteht erstmals die intrapersonale Regulation. Das Kind wird zunehmend fähig, die motivdienlichen Handlungen auch selbstständig ohne soziale Unterstützung auszuführen und die Befriedigung seiner Motive mit seiner sozialen Umwelt und mit den situativen Anforderungen zu koordinieren. Dabei spielen die Entstehung selbstbewertender Emotionen wie Stolz, Scham und Schuld sowie die Entstehung symbolvermittelter Emotionsregulationsstrategien eine wesentliche Rolle. Im Unterschied zur ersten Entwicklungsphase, in der die Bezugspersonen bemüht sind, prompt und angemessen die emotionalen Reaktionen und die damit verbundenen Motive ihrer Kinder unmittelbar zu befriedigen, fordern die Bezugspersonen von ihren Kindern in der zweiten Entwicklungsphase zunehmend eine selbstständige Regulation ihrer Handlungen und Emotionen. Im Kleinkind- und Vorschulalter stellen sich die folgenden Entwicklungsaufgaben: 1. Das selbstständige Ausführen motivdienlicher Handlungen 2. Die Übernahme sozialer Normen durch die Ausbildung der selbstbewertenden Emotionen Scham und Stolz 3. Die Aneignung von Emotionsregulationsstrategien Das selbstständige Ausführen motivdienlicher Handlungen. Das Kind soll seine Handlungen zur Befriedigung seiner Motive selbstständig ausführen. Dabei wird es ermutigt, die in der interpersonalen Regulation erworbenen Ausdruckszeichen sowie Bewältigungshandlungen für seine intrapersonale Regulation zu benutzen. Der emotionale Ausdruck soll nicht län- Am Anfang war der Ausdruck 243 ger als Appell an andere gerichtet werden, sondern nunmehr auch als Appell an sich selbst verstanden werden, die erforderlichen Bewältigungshandlungen selbstständig auszuführen. Die Beobachtung, dass Kleinkinder nicht allein bleiben wollen, sondern stets die Nähe zu einer vertrauten Person suchen, findet durch das Internalisierungsmodell eine eigene Erklärung. Arbeiten zur Bindungsforschung zeigen, dass die Trennung von der Mutter im „Fremde-Situations-Test“ (Ainsworth & Wittig, 1969) und das Alleinsein für Kleinkinder einen Stressor darstellt, der bei den meisten Kindern Trennungsangst auslöst, die sie veranlasst, der Mutter nachzufolgen. Auf diese Weise stellen sie sicher, dass ihre Bezugsperson für eine eventuell erforderliche interpersonale Regulation verfügbar bleibt (Spangler, 1999). Erst Vorschulkinder werden fähig, allein zu bleiben und eine Emotionsepisode selbstständig zu durchleben, ohne sofort eine andere Person aufzusuchen, die an den Emotionen des Kindes Anteil nehmen soll. Dies konnte in einer Querschnittstudie an vier, fünf- und sechsjährigen Kinder (jeweils zur Hälfte Jungen und Mädchen) gezeigt werden (Holodynski, 1997, Studie V): Die Kinder bekamen eine Münze, mit der sie sich aus einem Automaten eine Süßigkeitsschachtel herausholen konnten. Dabei waren sie allein, und die Süßigkeitsschachtel war leer. Auf einer bipolaren Ratingskala mit den Polen „Freude“ und „Enttäuschung“ gaben vier Fünftel der Kinder an, enttäuscht zu sein. Dabei nahm die interpersonale Regulation (den Versuchsleiter aufsuchen) von 47 % bei den Vierjährigen auf 10 % bei den Sechsjährigen ab. Mit einer zusätzlich ausgehändigten Münze konnten die Kinder daraufhin eine volle Süßigkeitsschachtel ziehen. Alle Kinder gaben an, sich zu freuen. Die interpersonale Regulation nahm von 79 % bei den Vierjährigen auf 10 % bei den Sechsjährigen ab. Diese Befunde konnten auch in einer Längsschnittstudie an Kindern im Alter von 4 bis 6 Jahren für Enttäuschung (Holodynski & Upmann, 2003) und für Freude (Steinhoff & Holodynski, 2005) repliziert werden. Die Ausbildung der normorientierten, selbstbewertenden Emotionen Scham und Stolz. In der zweiten Entwicklungsphase im Laufe des Kleinkindalters stellt sich dem Kind eine weitere Entwicklungsaufgabe: Es soll lernen, dass seine aktuellen Motive nicht immer unmittelbar befriedigt werden können, sondern dass die Befriedigung seiner Motive mit seinem sozialen Umfeld zu koordinieren ist. Dies erfordert die Fähigkeit, Motive zu hierarchisieren, ihre Befriedigung aufzuschieben oder darauf ganz verzichten zu können. Bezugspersonen setzen Verhaltensstandards und fordern damit, dass das Kleinkind neue Motive ausbildet, die auf die Einhaltung dieser Standards gerichtet sind. Mit diesen normorientierten Motiven entstehen auch neue Emotionen, wie Stolz, Scham und Schuld (Barrett, 1995; Holodynski, 1992; Stipek, Recchia & McClintic, 1992). Ein Kleinkind macht in diesen Stolz- und Schamepisoden die Erfahrung, dass es seine individuellen Motive nur dann realisieren kann, wenn es die soziale Einbindung seiner Handlungen berücksichtigt und daran ausrichtet. Das ist die Fähigkeit, sich mit den Augen der wertgeschätzten Anderen zu sehen und sein eigenes Handeln auf die Verhaltensnormen abstimmen zu können. Dieses normgerechte Handeln erfolgt durch die Emotionen Stolz und Scham, durch die die Erfüllung bzw. Bedrohung des Ich-Ideals signalisiert wird. Es erfolgt noch nicht qua Willensentscheidung aufgrund einer bewussten Einsicht über die Legitimität der Norm. Im Laufe des Kleinkindalters gehen Kinder dazu über, sich an den Reaktionen der Erwachsenen zu orientieren und positive Antworten auf ihren Erfolg zu suchen und solche zu meiden, bei denen ihnen der Ausschluss droht, also bei denen sie beschämt werden könnten. Selbstbewertung wird durch externe Bewertung angestoßen. Der Erwachsene fungiert als Inkarnation der kulturellen Normmaßstäbe. In eigenen Querschnittstudien (Holodynski, 1992, 2005) konnte gezeigt werden, dass Vorschulkinder bei leistungsthematischen Auf- 244 Manfred Holodynski gaben Stolz und Scham fast ausschließlich in Anwesenheit einer anderen Person zeigten, nicht aber, als sie allein waren. In Alleinsituationen reagierten sie vornehmlich mit Freude, Ärger und Enttäuschung. In einem Nachfolgeexperiment, bei dem den Kindern im Grundschulalter erneut vergleichbare leistungsthematische Aufgaben gestellt wurden, reagierten sie bereits in gehäuftem Maße mit Stolz auf Erfolg und Scham auf Misserfolg, als sie allein waren. Die Befunde dieser Studien lassen sich dahin gehend interpretieren, dass die selbstbewertenden Emotionen Stolz und Scham im Vorschulalter zunächst fast ausschließlich in Anwesenheit von anderen Personen gezeigt werden. Die kulturellen Wertmaßstäbe scheinen für Vorschulkinder noch nicht hinreichend von der direkten Interaktion mit einer wertgeschätzten Person abgespalten zu sein. Sie benötigen noch den Erwachsenen als leibhaftigen Repräsentanten von Wertmaßstäben, dem gegenüber sie zeigen wollen, dass sie bereits tüchtig im Sinne dieser Maßstäbe sind. Mit dem Übergang in die Grundschule scheinen Kinder damit zu beginnen, die Bewertungen zu internalisieren und ihre Leistung unabhängig von einer äußeren Bewertung und der Anwesenheit wertgeschätzter Anderer an Tüchtigkeitsmaßstäben zu bewerten. Die Aneignung von Emotionsregulationsstrategien. Des Weiteren entsteht in der zweiten Entwicklungsphase auch die Fähigkeit zur reflexiven Emotionsregulation. Kinder werden zunehmend fähig, einen aktuell drängenden emotionalen Handlungsimpuls willentlich zu hemmen und ihm nicht hier und jetzt, sondern zu einem späteren passenderen Zeitpunkt nachzugehen. Diese Fähigkeit zur reflexiven Emotionsregulation ist für eine erwachsene Form der Motivbefriedigung unerlässlich. Denn die meisten Motive lassen sich nicht immer hier und jetzt befriedigen. Man muss geeignete Situationen aufsuchen, passende Zeitpunkte abwarten und sich mit anderen Personen abstimmen, die zur Motivbefriedigung beitragen. Situationen, in denen vom Kind ein Belohnungsaufschub verlangt wird (vgl. Patterson & Mischel, 1976) oder in denen zwei widerstreitende Motive aktualisiert sind, sind prototypische Warte- und Konfliktsituationen. Zur Regulation des eigenen Handelns ist es sinnvoll und notwendig, dass sich die Kinder Strategien zur Regulation ihrer Emotionen aneignen und selbstständig einsetzen, durch die sie die Intensität und Qualität ihrer Emotionen nach Maßgabe der sozialen Normen und situativen Anforderungen modifizieren können, ohne dabei auf die interpersonale Regulation durch ihre Bezugspersonen zurückgreifen zu müssen (vgl. Friedlmeier, 1999). Dies sind zum einen verhaltensbezogene Regulationsstrategien wie Ablenkung oder Selbstberuhigung (vgl. Bridges & Grolnick, 1995; Friedlmeier & Trommsdorff, 2001) und zum anderen symbolvermittelte Regulationsstrategien, bei denen man eine Umdeutung der Situation und eine zeitliche Hierarchisierung der widerstreitenden Motive vornimmt. Besonders die letztgenannte Regulationsstrategie, die zeitliche Motivhierarchisierung, erwies sich als sehr erfolgreich, wie Bischof- Köhler (2000) in ihrer Querschnittstudie an Dreibis Fünfjährigen festgestellt hat. Die Kinder mussten auf ein Geschenk warten sowie einen Motivkonflikt zwischen Süßigkeitengenuss und Fernsehen meistern. Dabei zeigte sich, dass insbesondere die Kinder, die bereits zu einer mentalen Zeitreise fähig waren, die Anforderungen erfolgreich meisterten. Eine solche mentale Zeitreise setzt voraus, dass das Kind einen Wechsel seines kognitiven Bezugssystems vornehmen und sich vorstellen kann, dass es nicht jetzt, sondern in der Zukunft ein Motiv befriedigen kann, so dass es im Hier-und-Jetzt einer anderen Beschäftigung nachgehen kann. Dazu muss das Kind eine Theory-of-Mind und ein Zeitverständnis aufgebaut haben: Etwa drei Viertel der Kinder mit erfolgreicher Motivkonfliktbewältigung verfügten über diese beiden Fähigkeiten, aber nur etwa ein Viertel der Kinder mit nicht erfolgreicher Bewältigung. Am Anfang war der Ausdruck 245 Aus Kleinkindern, die sich in ihrem Handeln noch ausschließlich von Emotionen leiten lassen, werden Kinder, die es mit zunehmendem Alter immer besser verstehen, nicht mehr nur ihren Emotionen nachzugehen, sondern diese auch zu regulieren, um ein übergeordnetes Motiv befriedigen zu können. Die Zunahme an reflexiven Regulationsanteilen im Laufe der Entwicklung klärt auch den Entwicklungstrend, nach dem die Häufigkeit und Intensität von Emotionen im Laufe der Ontogenese abnimmt. Darüber hinaus konnten Shoda, Mischel und Peake (1990) in einer Längsschnittstudie zeigen, dass diejenigen Kinder, die bereits als Vierjährige eine Belohnungsaufschubsituation erfolgreich allein meistern konnten, als Jugendliche von ihren Eltern als ausdauernder, ausgeglichener und in ihrer Emotionsregulation als effizienter eingestuft wurden als die Jugendlichen, die als Vierjährige den Belohnungsaufschub noch nicht ohne interpersonale Unterstützung meistern konnten. Dritte Entwicklungsphase: die Internalisierung emotionaler Ausdruckszeichen ab dem sechsten Lebensjahr In der dritten Entwicklungsphase ab etwa dem sechsten Lebensjahr beginnt - so eine weitere These des Internalisierungsmodells - eine Internalisierung der psychischen Regulationsmittel. Ausgangspunkt dieser These ist die Beobachtung, dass Erwachsene außenstehende Beobachter nicht im gleichen Maße, wie Kinder dies tun, an ihren Emotionen teilhaben lassen. Während man die Emotionen von jüngeren Kindern anhand ihres Ausdrucks wie in einem offenen Buch lesen kann, verfügen Erwachsene über eine private Gefühlswelt, die nicht zu jeder Zeit an ihren Ausdrucksreaktionen ablesbar ist. Es scheint sich demnach im Laufe der Ontogenese - zumindest in westlichen Kulturen - eine Entkoppelung von objektivem Ausdruck und subjektivem Gefühl zu vollziehen. Malatesta und Haviland (1985) sprechen von einer „Desomatisierung“ der Emotionen. Dies führt zur Frage, ob Erwachsene den authentischen Ausdruck ihrer Gefühle „unterdrücken“, wie es der Begriff „Ausdruckskontrolle“ nahe legt, oder ob der Entstehung dieser wachsenden privaten Gefühlswelt noch weitere Entwicklungsmechanismen zugrunde liegen, die mit dem zunehmenden Symbolgebrauch z. B. in Form von Ausdrucks- und Sprechzeichen und der Entstehung einer mentalen Ebene des Ausdrucks, Sprechens und Handelns zusammenhängen. Für die letztgenannte These sprechen zahlreiche empirische Befunde (Fridlund, 1994; Holodynski, in Druck): Dabei zeigten Erwachsene in Situationen, in denen sie allein (! ) waren und daher keinerlei Scheu haben mussten, ihre Emotionen auszudrücken, einen viel schwächeren Emotionsausdruck als in vergleichbaren Situationen, in denen vertraute Personen zugegen waren, denen sie ihre Gefühle mitteilen wollten. Dieser Miniaturisierungseffekt zeigt sich bei Vorschulkindern noch nicht (Holodynski & Upmann, 2003; Steinhoff & Holodynski, 2005). Bei den 4bis 6-jährigen Kindern wurden Freude und Enttäuschung induziert, wobei sie in der einen Bedingung allein waren und in der anderen Bedingung ein vertrauter Versuchsleiter anwesend war, so dass die Kinder ihre Emotionen einem Vertrauten mitteilen konnten. Die Kinder zeigten in beiden Versuchsbedingungen und bei beiden Emotionen eine vergleichbare Ausdrucksintensität. Demgegenüber ließ sich in einer Querschnittstudie (Holodynski, 2004) an 6bis 8-jährigen Kindern, bei der das gleiche Versuchssetting benutzt wurde, bereits eine Miniaturisierung des Ausdrucks in Alleinsituationen mit zunehmendem Alter belegen: Die Sechsjährigen zeigten in beiden Bedingungen noch einen vergleichbar intensiven Emotionsausdruck, während die Achtjährigen in der Alleinbedingung bereits einen schwächeren Ausdruck als in der Sozialbedingung zeigten, obwohl sie angaben, ein vergleichbar intensives Freudebzw. Enttäuschungsgefühl zu erleben. 246 Manfred Holodynski Für einen Außenstehenden kann diese Miniaturisierung des Ausdrucks so weit gehen, dass er im Extremfall keinerlei Ausdruckszeichen mehr wahrnehmen kann. Heißt das aber, dass der Ausdruck vollständig verschwindet? Dies scheint aus der subjektiven Perspektive des Akteurs betrachtet nicht der Fall zu sein. Ausdruckszeichen scheinen vielmehr internalisiert zu werden, so dass sie - im Extremfall - nur noch subjektiv als Ausdrucks- und Körpersensationen wahrnehmbar sind: Aus einem hörbaren Fluchen wird ein inneres Fluchen, ein breites Lächeln wird zu einem inneren In-sich-Hineinlächeln. Ein vergleichbares Phänomen lässt sich bei der Entwicklung des Sprechens als Selbstinstruktion beobachten: Im Laufe des Vorschulalters gehen Kinder dazu über, das Sprechen nicht nur zur Kommunikation, sondern auch zur Selbstregulation zu nutzen. Sie geben sich selbst sprachliche Handlungsanweisungen. Allerdings erfolgt dies noch in hörbarer Form (vgl. Vygotskij, 2002). Im Laufe des Grundschulalters wird aus diesem hörbaren privaten Sprechen das innere Sprechen, bei dem Personen in Gedanken mit sich selbst sprechen, ohne dass dies für Außenstehende hörbar ist (Bivens & Berk, 1990). Es entsteht demnach im Laufe des Grundschulalters eine mentale Ebene des Ausdrucks, Sprechens und Handelns, eine private Gefühls- und Gedankenwelt. Diese mentale Ebene ermöglicht subjektive Gefühle, die auf keinem Körperfeedback von realen Ausdrucks- und Körperreaktionen mehr zu beruhen scheinen, sondern auf deren somatosensiblen Repräsentationen (vgl. Damasio, 1995), ebenso wie das innere Sprechen kein leises Lippenbewegen mehr benötigt. Auf diese Weise ließe sich erklären, warum sich bei vielen Emotionsepisoden Erwachsener aus einer Beobachterperspektive keine gleichgerichteten Veränderungen in der Ausdrucks-, Körper- und Gefühlskomponente mehr beobachten lassen. Aus der Akteursperspektive hingegen scheint die Ganzheitlichkeit der emotionalen Ausdrucks- und Körperreaktionen erhalten zu bleiben, weil die Person sie als mentale Ausdrucks- und Körpersensationen subjektiv erlebt. Erste Befunde für diese These liefern Studien an Erwachsenen, die mittels einer Imaginationsübung eine intensive Wiedersehensfreude- und eine Stolzepisode erneut gefühlsmäßig durchlebt hatten (von Olberg, 1999; Upmann, 2000). Dabei berichteten auch diejenigen Probanden, bei denen keinerlei Emotionsausdruck von Außenstehenden beobachtet werden konnte, dass sie Ausdrucksempfindungen gefühlt hatten - wie z. B. Lächeln, Triumphausrufe, geschwellte Brust, Impuls, die wiedergesehene Person zu umarmen. Dies lässt sich als ein Indiz interpretieren, dass Ausdrucksreaktionen nicht verschwinden, sondern internalisiert werden. Resümee und Ausblick Das vorgestellte Internalisierungsmodell der Emotionsentwicklung konnte hier nur in seinen wesentlichen Grundannahmen dargestellt werden, wobei auf eine ausführlichere Herleitung der einzelnen Annahmen und eine breitere Darlegung der empirischen Befundlage aus Platzgründen verzichtet werden musste. Eine wichtige zukünftige Aufgabe der Forschung wäre es, in Längsschnittstudien die Ausdifferenzierung der einzelnen Emotionsqualitäten und ihrer Regulation eingehender zu untersuchen und vor allem auch interindividuelle Unterschiede zu analysieren. In der Bindungsforschung liegen dazu vielversprechende Anknüpfungspunkte vor (vgl. Spangler, 1999). Die Analyse interindividueller Unterschiede ist im Hinblick auf die Frage wichtig, welche Entwicklungsaufgaben ein Kind in welcher Weise mit welcher sozialen Unterstützung meistern sollte, um ein emotional kompetent handelnder Erwachsener zu werden. Hierbei wären auch die kulturellen Präferenzen mit in den Blick zu nehmen, die in diesem Beitrag nicht thematisiert wurden. Bei der Beschreibung der Ontogenese erfolgte eine Beschränkung ausschließlich auf die Emotionsentwicklung in westlichen Kultu- Am Anfang war der Ausdruck 247 ren. Die referierten Studien stammen aus dem angloamerikanischen und deutschen Kulturraum. Es wäre in kulturvergleichenden Studien zu prüfen, inwiefern der hier skizzierte prototypische Entwicklungsverlauf kulturübergreifend ist und inwiefern sich mit dem Internalisierungsmodell mögliche kulturspezifische Unterschiede in der Entwicklung von Emotionen und ihrer Regulation erklären lassen. Kulturspezifische Unterschiede müssten sich insbesondere dann zeigen, wenn die Interaktionsmuster zwischen Bezugspersonen und Kind in den beschriebenen Entwicklungsphasen voneinander abweichen würden (vgl. dazu Holodynski, in Druck, Kapitel 5). Dabei geht das Internalisierungsmodell davon aus, dass die den einzelnen Phasen zugrunde liegenden Entwicklungsmechanismen wie z. B. das affektreflektierende Spiegeln der Bezugspersonen oder die zunehmende Internalisierung der interpersonalen Regulation auf Seiten der Kinder in allen Kulturen zu finden sein müssten - wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Literatur Ainsworth, M. D. S. & Wittig, B. A. (1969). Attachment and the exploratory behavior of one-year-olds in a strange situation. In B. M. Foss (Ed.), Determinants of infant behavior (pp. 113 - 136). London: Methuen. Althoff, G. (Hrsg.). (2004). Zeichen - Rituale - Werte. Münster: Rhema-Verlag. Averill, J. R. & Nunley, E. P. (1992). Voyages of the heart. Living an emotionally creative life. New York: Free Press/ Macmillan Publishing (dt. Übersetzung: 1993: Die Entdeckung der Gefühle. Ursprung und Entwicklung unserer Emotionen.) Barrett, K. C. (1995). A functionalist approach to shame and guilt. In J. P. Tangney & K. W. 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