eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 52/3

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2005
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Evaluation eines Lesetrainings zur Förderung lese-rechtschreibschwacher Grundschüler der zweiten Klasse

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2005
Gero Tacke
Zur Überprüfung der Wirksamkeit eines Lesetrainings nahmen 29 lese-rechtschreibschwache Schüler der zweiten Grundschulklasse über ein halbes Jahr an fünf Tagen in der Woche jeweils 20 Minuten an einer Einzelförderung teil. Im Vergleich zu einer parallelisierten Kontrollgruppe verbesserten sie sich sowohl im Lesen als auch in der Rechtschreibung signifikant. Beim Lesen lag die Effektstärke mit d = 0.49 im mittleren und bei der Rechtschreibung mit d=0.29 im unteren Bereich. Werden die trainierten Schüler über den Median in eine Gruppe mit hohem und eine Gruppe mit niedrigem Pensum (operationalisiert als Zahl der gelesenen Wörter) geteilt, so ergibt sich bei einem Vergleich zwischen der Gruppe mit hohem Pensum und der Kontrollgruppe beim Lesen eine hohe (d = 0.98) und in der Rechtschreibung eine mittlere Effektstärke (d = 0.54). Es konnte gezeigt werden, dass das Pensum unabhängig ist von der Ausprägung der Lese-Rechtschreibschwäche und von motivationalen Variablen der Schüler.
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Bei der Förderung leseschwacher Zweitklässler gilt es zwei Komponenten zu beachten. Die erste bezieht sich auf den Erwerb von verschiedenen Teilfertigkeiten, die für das Lesen bzw. Lesenlernen grundlegend sind, und die zweite beinhaltet das Lesenüben selbst mit der Verminderung von Lesefehlern und der Steigerung der Lesegeschwindigkeit. Die erste Teilfertigkeit, die für den Schriftspracherwerb von Bedeutung ist, wird als phonologische Bewusstheit bezeichnet. Gemeint ist damit die Einsicht in die Lautstruktur der gesprochenen Sprache, wobei vor allem das Wissen von Bedeutung ist, dass sich die Wörter der gesprochenen Sprache aus einzelnen Lauten zusammensetzen (phonologische Bewusstheit im engeren Sinn, vgl. Skowronek & Marx, 1989). In experimentellen Studien konnte nachgewiesen werden, dass sich vorschulische Trainings zur phonologischen Bewusstheit im engeren Sinne positiv auf das Lesen- und Schreibenlernen auswirken (Bus & van Ijzendoorn, 1999; Ehri et al., 2001). Evaluation of a Remedial Reading Training with Dyslexic Second Graders in Primary School Summary: To test the effect of a remedial reading training 29 dyslexic second graders (primary school) participated in an individual instruction being accomplished throughout six months. The lessons lasted 20 minutes and took place on five days a week. As compared to parallelized control group the trained pupils significantly improved their reading and spelling achievement. In reading the effect-size reached a medium value (d = 0.49), and in spelling a low value (d = 0.29). If the trained pupils were divided into a group of high and into a group of low quantity of words having been read, the effect size of the high-group as compared to the control group amounted to d = 0.98 in reading and to d = 0.54 in spelling. The multitude of words having been read proved to be independent of the degree of dyslexia and of motivational variables of the pupils. Keywords: Dyslexia, reading, spelling, reading intervention Zusammenfassung: Zur Überprüfung der Wirksamkeit eines Lesetrainings nahmen 29 lese-rechtschreibschwache Schüler der zweiten Grundschulklasse über ein halbes Jahr an fünf Tagen in der Woche jeweils 20 Minuten an einer Einzelförderung teil. Im Vergleich zu einer parallelisierten Kontrollgruppe verbesserten sie sich sowohl im Lesen als auch in der Rechtschreibung signifikant. Beim Lesen lag die Effektstärke mit d = 0.49 im mittleren und bei der Rechtschreibung mit d = 0.29 im unteren Bereich. Werden die trainierten Schüler über den Median in eine Gruppe mit hohem und eine Gruppe mit niedrigem Pensum (operationalisiert als Zahl der gelesenen Wörter) geteilt, so ergibt sich bei einem Vergleich zwischen der Gruppe mit hohem Pensum und der Kontrollgruppe beim Lesen eine hohe (d = 0.98) und in der Rechtschreibung eine mittlere Effektstärke (d = 0.54). Es konnte gezeigt werden, dass das Pensum unabhängig ist von der Ausprägung der Lese-Rechtschreibschwäche und von motivationalen Variablen der Schüler. Schlüsselbegriffe: Legasthenie, Lese-Rechtschreibschwäche, Lesen, Rechtschreibung, Lesetraining, Leseförderung ■ Empirische Arbeit Evaluation eines Lesetrainings zur Förderung lese-rechtschreibschwacher Grundschüler der zweiten Klasse Gero Tacke Schulpsychologische Beratung, Tauberbischofsheim Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2005, 52, 198 - 209 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Evaluation eines Lesetrainings 199 Im deutschen Sprachraum haben Küspert und Schneider (2000) ein Training zur phonologischen Bewusstheit vorgelegt, das speziell für den Vorschulbereich vorgesehen und in mehreren Studien evaluiert worden ist (Schneider, Visé, Reimers & Blaesser, 1994; Schneider, Küspert, Roth, Visé & Marx, 1997; Schneider, Roth, Küspert & Ennemoser, 1998). In der Regel ergaben sich dabei mittlere Effektstärken. Für den schulischen Bereich trifft das jedoch nicht zu. Bei Trainings mit Schülern wurden in den deutschsprachigen Studien entweder gar keine (Einsiedler, Frank, Kirschhock, Martschinke & Treinies, 2002; Mannhaupt, Hüttinger, Schöttler & Völzke, 1999) oder nur geringe Wirkungen (Kirschhock, Martschinke, Treinies & Einsiedler, 2002; Mannhaupt, 1992) erzielt, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass die phonologische Bewusstheit im deutschsprachigen Unterricht ausreichend eingeübt wird. Die zweite Teilfertigkeit des Lesenlernens ist das Einprägen der Buchstaben-Laut-Beziehungen. Eine Reihe von Studien zeigt, dass Übungen zum Einprägen der Buchstaben- Laut-Beziehungen das Lesen- und Schreibenlernen positiv beeinflussen (vgl. z. B. Ehri, 1998; Roberts, 2003). Metaanalysen von Bus und van Ijzendoorn (1999) und von Ehri et al. (2001) kommen zu dem Ergebnis, dass im Hinblick auf das Lesenlernen eine Kombination aus Übungen zum Einprägen der Buchstaben-Laut-Beziehungen und Übungen zur phonologischen Bewusstheit wirksamer ist als wenn nur die phonologische Bewusstheit trainiert wird. Im deutschen Sprachraum ist dieser Befund von Schneider, Roth und Ennemoser (2000; vgl. auch Roth & Schneider, 2002) bestätigt worden. Eine weitere Teilfertigkeit des Schriftspracherwerbs stellt das Zusammenschleifen von Buchstaben zu einem Wort dar. Ein Teil der leseschwachen Kinder kann zwar die einzelnen Buchstaben eines Wortes lautieren (z. B. a-r-m), die Schüler haben aber große Probleme, die Laute zu einem Wort zu verschleifen (z. B. arm). Dieses Phänomen wird in der Literatur zwar erwähnt, empirische Untersuchungen zum Erfolg von Übungen zu dieser Teilfertigkeit gibt es aber nicht. Ein Training, das eine Kombination darstellt aus Übungen zur phonologischen Bewusstheit, zu den Buchstaben-Laut-Beziehungen und dem Zusammenschleifen von Buchstaben, hat Blumenstock (1979) mit unausgelesenen Erstklässlern in der zweiten Schuljahreshälfte durchgeführt. Die Schüler der Experimentalgruppe schnitten in einem Lesetest signifikant besser ab als die Kontrollgruppe. Die Effektstärke lag mit d = 0.80 im hohen Bereich. Nach dem Erwerb der basalen Fertigkeiten „phonologische Bewusstheit, Buchstaben- Laut-Kenntnisse“ und „Zusammenschleifen von Buchstaben zu einem Wort“ geht es darum, die Lesefehler zu vermindern und die Leseflüssigkeit zu steigern. Im deutschen Sprachraum hat Scheerer-Neumann (1981) ein Trainingsprogramm entwickelt, bei dem die Schüler lernen, Wörter beim Lesen in Silben zu gliedern. In einer Erfolgskontrolle mit leseschwachen Drittklässlern schnitten die so trainierten Schüler in einem standardisierten Lesetest signifikant besser ab als eine Kontrollgruppe ohne Training, wobei die Effektstärke mit d = 1.07 im hohen Bereich lag. Die Leistungsverbesserungen traten insbesondere bei mehrsilbigen Wörtern auf. Daraus lässt sich schließen, dass der Erfolg nicht auf einem unspezifischen Effekt beruht, sondern auf dem eingeübten silbierenden Lesen. Dass jedoch das Silbieren allein nicht ausreicht, die Leseleistung zu verbessern, zeigt eine Studie von Weber, Marx und Schneider (2002). In dieser Arbeit wurde der Erfolg eines Rechtschreibtrainings überprüft, bei dem das Silbieren von Wörtern im Mittelpunkt steht. Die trainierten Schüler schnitten im Lesen nicht besser ab (wohl aber im Rechtschreiben) als eine Kontrollgruppe ohne Training. Daraus kann der Schluss gezogen werden, dass es notwendig ist, das silbierende Lesen in einem ausreichenden Ausmaß direkt zu üben. 200 Gero Tacke Versucht man Fördermaßnahmen für leseschwache Zweitklässler auf der Basis der empirischen Befundlage zu erstellen, so ergibt sich das Problem, dass sich die vorliegenden Ergebnisse teilweise auf andere Klassenstufen beziehen. Als bestmögliche Annäherung ergeben sich aus den oben dargestellten Forschungsergebnissen folgende Konsequenzen: Spezielle Übungen zur phonologischen Bewusstheit scheinen für die Zielgruppe, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen erforderlich zu sein. Nützlich ist, so kann man annehmen, ein Training zum Einprägen der Buchstaben-Laut-Beziehungen und zum Zusammenschleifen von Buchstaben. Weiterhin scheint es besonders hilfreich zu sein, den Schülern das Lesen in Silben beizubringen, wobei es notwendig ist, für ein ausreichendes Lesepensum zu sorgen. In der vorliegenden Arbeit wird ein Lesetraining evaluiert, das im Einzelunterricht durchgeführt wird und das die genannten Elemente enthält. Der Erfolg der Förderung soll sowohl im Vergleich zu einer (ursprünglich) leistungsgleichen Kontrollgruppe als auch in Relation zur Gesamtpopulation untersucht werden. Denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass bei einem Vergleich zwischen Experimental- und Kontrollgruppe zwar signifikante Verbesserungen auftreten, es jedoch in Relation zur Gesamtpopulation nicht zu einer nennenswerten Leistungssteigerung kommt. Eine weitere Fragestellung betrifft das Pensum, das mit einem jeweiligen Schüler durchgenommen wird. Zahlreiche empirische Untersuchungen (vgl. Helmke & Weinert, 1997) belegen, dass das Ausnutzen der Lernzeit eine wesentliche Determinante des Lernerfolgs ist. So hat z. B. May (2001) herausgefunden, dass ein bedeutsamer positiver Zusammenhang zwischen dem Ausmaß unterrichtsbezogener Aktivitäten und dem Leistungszuwachs im Rechtschreiben besteht. In ähnlicher Weise könnte in der vorliegenden Studie ein hohes Pensum mit einem großen Leistungszuwachs im Lesen einhergehen. Unter diesem Gesichtspunkt soll untersucht werden, ob die erzielten Leistungen mit dem Pensum zusammenhängen. Das Pensum kann als ein Merkmal der jeweiligen Förderung angesehen werden. Es ist aber auch denkbar, dass es mit Merkmalen der Schüler kovariiert, namentlich mit der Ausprägung der Lese-Rechschreibschwäche, der Lernmotivation und der Mitarbeit der Schüler bei der Förderung. Auch diese Fragestellung soll untersucht werden. Methode Stichprobe und Prätests An 26 Grundschulen, die sich bereit erklärt hatten, an der Studie teilzunehmen, wurden die Deutschlehrer, die jeweils eine erste Klasse unterrichteten, gegen Ende des Schuljahres 2003/ 2004 gebeten, ihre schwächsten Leser zu benennen. Schüler mit Migrationshintergrund sollten nur dann nominiert werden, wenn sie über gute Deutschkenntnisse verfügten. Insgesamt wurden 163 Schüler benannt. Sie wurden am Ende der ersten Klasse von Beratungslehrern getestet, und zwar mit der Würzburger Leise Leseprobe (WLLP) von Küspert und Schneider (1998), bei der das Wortverständnis erfasst wird, und dem Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test (WRT 1+) von Birkel (1995), der die Rechtschreibleistung misst (und bei dem in der vorliegenden Arbeit nicht - wie im Testmanual - die Zahl der richtig geschriebenen, sondern die Zahl der falsch geschriebenen Wörter als Rohwerte verwendet wurden). Die schwächsten 76 Schüler (PR < 31 in der WLLP und im DRT 1+) wurden in die Untersuchung aufgenommen und nach den Ergebnissen im Lese- und im Rechtschreibtest parallelisiert. Damit die Lehrer sich über die Fördermaßnahmen nicht untereinander austauschen konnten, stammten die Schüler der Experimentalgruppe aus einem anderen Schulamtsbereich als die Schüler der Kontrollgruppe. Aus diesem Grund konnte bei der Parallelisierung keine echte Randomisierung vorgenommen werden. Vielmehr wurde folgendermaßen vorgegangen: Zu einem jeweiligen Schüler aus der Experimentalgruppe wurde von den leistungsgleichen Schülern aus der Kontrollgruppe einer nach Zufall ausgewählt. Weil es keinen Grund zu der Annahme gibt, dass sich die Schülerpopulationen aus den beiden Schulamtsbereichen voneinander unterscheiden, ist nicht anzunehmen, dass die Stichprobenzusammensetzung einen Einfluss auf die Ergebnisse hat. 18 Schüler entfielen im Laufe des Untersuchungszeitraums (erste Hälfte der zweiten Klasse), weil sie zurückversetzt wurden, auf eine Förderschule gingen oder den Wohnort wechselten. Von den ver- Evaluation eines Lesetrainings 201 bliebenen 58 Schülern (34 Jungen und 24 Mädchen) entfiel je die Hälfte auf die Experimental- und die Kontrollgruppe. Bei der Testung erzielten die Probanden in der Würzburger Leise Lesprobe, deren Normen nach dem Geschlecht differenziert sind, einen durchschnittlichen Rohwert, der einem Prozentrang von 8 (Jungen ) bzw. 7 (Mädchen) entsprach. Beim Rechtschreibtest lag der entsprechende Prozentrang bei 8 bis 11. (Zwischen 8 und 11 gibt es beim WRT 1+ in der Normentabelle keine Differenzierung.) Trainingsprogramm Zu Beginn der Leseförderung wurde ein Programm (Tacke, 2001) eingesetzt, das die nach der empirischen Befundlage Erfolg versprechenden Komponenten enthält. Das Programm beginnt mit einem Training der phonologischen Bewusstheit. Anschließend werden die Buchstaben-Laut-Beziehungen eingeübt, und danach wird das Zusammenschleifen von Buchstaben zu Wörtern trainiert. Zu jeder dieser drei Teilfertigkeiten gibt es unterschiedliche Übungen. So mussten die Schüler z. B. vorgesprochene Wörter in Laute zerlegen, zu vorgegebenen Buchstaben den zugehörigen Laut angeben oder zwei Buchstaben zu einem Wort bzw. einer Silbe zusammenschleifen. Zu jeder Übung gibt es in dem Programm eine schriftliche Instruktion, die vorgelesen oder dem Sinn nach erläutert wurde. Nach dem Einüben der drei Teilfertigkeiten lasen die Schüler Wörter und Sätze vor, bei denen die Silben optisch gekennzeichnet waren. Nach jeder Silbe legten die Schüler eine deutliche Pause ein. Im Anschluss daran lasen sie eine längere Geschichte vor, bei der die Wörter ebenfalls optisch in Silben gegliedert waren. Danach kam eine weitere Geschichte (Tacke, 2003) ohne optische Gliederungshilfen. Anschließend wurde ein zusätzliches Leseprogramm (Tacke, 1999) durchgearbeitet, bei dem das Lesen in Silben automatisiert wurde. Darauf folgte eine weitere Geschichte wiederum ohne optische Silbengliederung (Tacke, 2002). Machte ein Schüler beim Vorlesen einen Fehler, so zeigte der Lehrer mit dem Finger auf das betreffende Wort und der Schüler las es erneut. War auch der zweite Versuch fehlerhaft, las der Lehrer das Wort vor. Sobald der Lehrer den Eindruck hatte, dass ein Schüler flüssig in Silben lesen konnte, wurde zum nicht-silbierenden (normalen) Lesen übergegangen. Spezielle Übungen zur Lesegeschwindigkeit wurden nicht durchgeführt. Ebenso wurde für eine jeweilige Sitzung kein Pensum festgelegt, sondern es wurde so lange geübt, bis die vorgegebene Zeit verstrichen war. Die Förderung in der Experimentalgruppe wurde im ersten Halbjahr der zweiten Klasse an fünf Tagen in der Woche jeweils 20 Minuten in Einzelsitzungen durchgeführt. Die Betreuung, die während der obligatorischen Schulstunden stattfand, wurde von Lehrern der jeweiligen Schule übernommen. Eine besondere Fortbildung der Lehrer war nicht erforderlich, weil das Programm genaue Anweisungen enthält, wie vorzugehen ist. Um das Pensum und die Mitarbeit der Schüler zu erheben, erhielten die Lehrer Protokollbögen, in die sie das in einer jeweiligen Fördereinheit erreichte Pensum eintrugen. Außerdem gaben sie auf einer sechsstufigen Ratingskala an, wie gut der von ihnen betreute Schüler in der jeweiligen Einheit mitgearbeitet hat. Aus den Ratings der ersten 9 Sitzungen, die bis auf eine Ausnahme von allen Schülern vorlagen, wurde ein Score für die Mitarbeit der Schüler gebildet. Der Mittelwert betrug M = 2.78 und die Standardabweichung s = 0.69. Die interne Konsistenz, erfasst mit Cronbachs Alpha, belief sich auf .92. Über die schulische Förderung hinaus wurde den Schülern eine freiwillige Lesehausaufgabe angeboten. Dabei durften sie einzelne Blätter mit nach Hause nehmen, deren Lektüre in der nächsten Sitzung durch entsprechende Fragen überprüft wurde. Für jede gelesene Seite bekamen die Schüler Fleißpunkte, die in einen Lesepass eingetragen wurden. Die Möglichkeit, zu Hause zu lesen, wurde von 35 Prozent (N = 10) der Schüler wahrgenommen. Posttests Nach Ablauf der ersten Schuljahreshälfte wurden sämtliche Schüler, wiederum von Beratungslehrern, erneut mit der Würzburger Leise Leseprobe, dem Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib- Test und zusätzlich mit dem (zum Zeitpunkt des Vortests noch nicht publizierten) Salzburger Lese- Screening (SLS) von Mayringer und Wimmer (2004) getestet. Während bei der Würzburger Leise Leseprobe einzelne Wörter Bildern zuzuordnen sind, muss beim Salzburger Lese-Screening entschieden werden, ob die Aussagen von ganzen Sätzen zutreffen oder nicht. Bei einem der Schüler, der sämtliche Items des SLS nach dem Zufallsprinzip angekreuzt hatte, wurde das Ergebnis dieses Tests nicht berücksichtigt. Um den Zusammenhang zwischen der Lernmotivation der Schüler und dem Pensum zu überprüfen beantworteten die Schüler - ebenfalls nach Ablauf der ersten Schuljahreshälfte - einen Fragebogen, in dem anhand von drei Items die Motivation erhoben wurde. Die Angaben erfolgten auf vierstufigen Ratingskalen. Die Stufen waren mit Gesichtern gekennzeichnet, die von einem negativen bis zu einem positiven Pol reichende Gefühle darstellten. Die Schüler kreuzten an, wie gern sie lasen, schrieben und zur Schule gingen. Der Mittelwert aus den drei Items betrug M = 3.07 und die Standardabweichung s = 1.06. Die interne Konsistenz, ebenfalls nach Cronbachs Alpha erfasst, betrug .63. Aufgrund der relativ hohen internen Konsistenz wurden die drei Items zu einem Gesamt- 202 Gero Tacke score aufaddiert. Die entsprechende Variable kann als Lernmotivation bezeichnet werden. Um weitere Hintergrundinformationen zu erhalten, bekamen die Deutschlehrer und die Eltern der betroffenen Schüler einen Fragebogen, in dem eruiert wurde, ob die Schüler an weiteren schulischen Fördermaßnahmen teilnahmen bzw. ob das Lesen zu Hause über die Hausaufgaben hinaus geübt wurde. Bei den Lehrern lag die Rücklaufquote der Fragebögen bei 86 Prozent, bei den Eltern bei 81 Prozent. Nach den Angaben der Lehrer erhielten die Schüler der Experimentalgruppe über die hier berichtete Förderung hinaus keinen schulischen Zusatzunterricht. Von den Schülern der Kontrollgruppe nahmen 38 Prozent (N = 11) an schulischen Förderkursen teil. Nach den Angaben der Eltern wurde mit vier Ausnahmen (eine in der Experimental- und drei in der Kontrollgruppe) bei allen Schülern das Lesen zu Hause über die Hausaufgaben hinaus geübt. Um neben dem Vergleich zwischen der Experimental- und Kontrollgruppe auch Anhaltspunkte zu gewinnen, welche Leistungen die Schüler in Relation zu ihrer Gesamtpopulation erbringen, wurde die Würzburger Leise Leseprobe, die keine Halbjahresnormen enthält, zusammen mit dem Salzburger Lese-Screening, für das nur österreichische Normen zur Verfügung stehen, in der Mitte der zweiten Klasse mit einer zusätzlichen Stichprobe (aus einem weiteren Schulamtsbereich) von N = 333 Schülern durchgeführt. Bei der Auswertung der Daten blieben, wie bei der Normierung durch die Testautoren, Schüler mit Migrationshintergrund unberücksichtigt. Bei der WLLP lag der Mittelwert bei M = 64.47 (s = 19.50). Beim Salzburger Lese- Screening ergaben sich mit M = 27.9 (s = 9.3) etwas bessere Leistungen als bei der österreichischen Normierungsstichprobe mit M = 25.9 (s = 8.6). Die Korrelation zwischen beiden Tests beträgt r = .82. Demnach messen sie nichts Unterschiedliches, sondern etwas Identisches, das man am besten als Lesetempo charakterisieren kann. Ergebnisse Generelle Effekte Zur Beantwortung der ersten Fragestellung, ob das Training zu einer Steigerung der Lese- und Rechtschreibleistungen führt, sind in Tabelle 1 für die Experimental- und die Kontrollgruppe die Mittelwerte und Standardabweichungen der Vor- und Nachtestergebnisse der beiden Lesetests und der Fehler im Rechtschreibtest angegeben. Zur Prüfung von Unterschieden in der Leistungssteigerung zwischen der Experimental- und der Kontrollgruppe wurde eine zweifaktorielle Varianzanalyse mit Messwiederholung mit einem unabhängigen Faktor für das Treatment (Experimental-/ Kontrollgruppe) und einem Messwiederholungsfaktor für den Messzeitpunkt (Vortest/ Nachtest) durchgeführt. Weil bei der gegebenen Fragestellung nur Interaktionseffekte von Interesse sind, wird im Folgenden auf ggf. vorliegende Haupteffekte nicht eingegangen. Für die Würzburger Leise Leseprobe ergab sich ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Treatment und Messzeitpunkt: F (1,56) = 5.54; p < .05. Post-hoc-t-Tests zufolge gab es, wie nach der Parallelisierung zu erwarten war, bei den Vortestwerten keine signifikanten Unterschiede, während die Nachtestwerte der Experimentalgruppe signifikant höher als die der Kontrollgruppe waren (t [56] = 2.60; p < .01). Die korrigierte Effektstärke d korr = d Nachtest - d Vortest beträgt 0.63. Beim Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib- Experimentalgruppe Kontrollgruppe Vortest Nachtest Vortest Nachtest d WLLP 18.82 45.48 19.03 38.03 d korr = 0.63 (7.57) (10.53) (8.01) (11.22) WRT 1+ 22.59 13.17 22.34 14.93 d korr = 0.29 (2.36) (4.20) (2.43) (4.47) SLS - 17.41 - 13.92 d = 0.49 (5.86) (6.28) Tabelle 1: Mittelwerte und (in Klammern) Standardabweichungen der richtig gelösten Items in der Würzburger Leise Leseprobe (WLLP) und dem Salzburger Lese-Screening (SLS) sowie der Fehler im Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test (WRT 1+) Evaluation eines Lesetrainings 203 Test resultierte ebenfalls eine signifikante Interaktion: F [1,56] = 3.99; p < .05. Die Effektstärke beträgt d korr = 0.29. Post-hoc t-Tests ergaben auch hier keine signifikanten Unterschiede im Vortest, während die Experimentalgruppe im Nachtest tendenziell weniger Fehler hatte (t [56] = 1.54; p < .07). Nach einem t-Test für unabhängige Stichproben erreichte die Experimentalgruppe im Nachtest auch höhere Werte im Salzburger Lese-Screening (t [55] = 2.16; p < .05, Effektstärke d = 0.49). Wie aus Tabelle 1 hervorgeht, erreichten die Probanden sowohl in Bezug auf die WLLP als auch in Bezug auf den WRT im Nachtest bessere Werte als im Vortest. Zieht man zur Einschätzung der Leistungssteigerungen die Normierungsstichproben heran, so verbesserten sich die Schüler der Experimentalgruppe in der WLLP im Durchschnitt von PR = 8 bei Jungen bzw. PR = 7 bei Mädchen auf PR = 14 (bei Jungen und Mädchen). Demgegenüber blieben die Prozentränge in der Kontrollgruppe mit einer Vortestleistung von PR = 8 (Jungen) bzw. 7 (Mädchen) und einer Nachtestleistung von PR = 9 (Jungen) bzw. PR = 5 (Mädchen) in etwa konstant. Beim Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test steigerte sich die Experimentalgruppe von PR = 8 auf PR = 19. Die Kontrollgruppe blieb mit PR = 11 im Vortest und PR = 13 im Nachtest nahezu unverändert. Beim Salzburger Lese-Screening erreichte die Experimentalgruppe PR = 15 und die Kontrollgruppe PR = 6. Zusammenhänge zwischen Pensum, Schülermerkmalen und Leistungsverbesserungen Die zweite und dritte Fragestellung betrifft das Pensum, das die Lehrer mit den Schülern durchgenommen haben, operationalisiert als Anzahl der gelesenen Wörter. Der Mittelwert des Pensums lag bei M = 15 363 (s = 7930) Wörtern. Die Unterschiede zwischen den Schülern waren beträchtlich. Der Schüler mit dem geringsten Pensum las 3929 Wörter, während der Schüler mit dem höchsten Pensum mit 30 197 Wörtern auf die achtfache Menge kam. Der Anteil der freiwilligen Lesehausaufgabe machte im Mittel 5.2 Prozent der Gesamtzahl der gelesenen Wörter aus, bezogen auf das Pensum der Schüler, die die Möglichkeit wahrgenommen hatten. Es sollte geprüft werden, ob zwischen dem Pensum und den erzielten Leistungen ein Zusammenhang besteht und ob das Pensum seinerseits von Merkmalen der Schüler abhängt, namentlich von der Ausprägung der Lese-Rechtschreibschwäche, der Motivation und der Mitarbeit der Schüler. In Tabelle 2 sind die Korrelationen zwischen dem Pensum, der Motivation, der Mitarbeit und den Leistungen im Vor- und Nachtest aufgeführt. Aus der Tabelle geht hervor, dass das Pensum nicht mit den Vortestwerten der WLLP und des WRT1+ korreliert, jedoch signifikante Korrelationen zu den Nachtestwerten der WLLP und des WRT 1+ aufweist. Demnach hängt das Pensum nicht mit der zu Beginn vorliegenden Ausprägung der Lese- Mitarbeit Motivation WLLP WLLP WRT 1+ WRT 1+ SLS Vortest Nachtest Vortest Nachtest Pensum .05 -.02 -.07 .46** -.03 -.34* .70* Mitarbeit .31* -.12 .23 -.10 .11 .22 Motivation -.07 .15 -.09 -.01 -.15 Tabelle 2: Korrelationen zwischen dem Pensum, der Motivation und der Mitarbeit sowie der Vor- und Nachtestleistung in der Würzburger Leise Leseprobe (WLLP) und im Weingartener Rechtschreibtest 1+ (WRT 1+) sowie im Salzburger Lese-Screening (SLS) ** p < .01 * p < .05 204 Gero Tacke Rechtschreibschwäche zusammen. Wohl aber gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Pensum und den erzielten Leistungen nach dem Lesetraining. Dieser Zusammenhang bestand auch sehr deutlich beim Salzburger Lese-Screening, das nur als Nachtest durchgeführt worden ist (r [29] = .70, p < .01, vgl. Tab. 2). Während die Motivation und die Mitarbeit signifikant miteinander korrelierten (r [29] = .31, p < .05), was als gegenseitige Validierung der beiden Konstrukte, die etwas Ähnliches messen, gelten kann, zeigten beide Variablen keine signifikanten Korrelationen zu den Lese-Rechtschreib-Parametern, obwohl sich schwache Korrelationen zwischen Mitarbeit und dem Nachtest der WLLP (r [29] = .23, n. s.) und des SLS (r [29] = .22, n. s.) andeuteten. Auch die hier vor allem interessierende Korrelation zwischen dem Pensum und der Mitarbeit bzw. der Motivation lag bei Null (vgl. Tab. 2). Die Mitarbeit und die Motivation können also im Hinblick auf die Beziehung zwischen Pensum und Leistungen im Nachtest nicht als Mediatorvariablen betrachtet werden. Oder anders ausgedrückt: Der (geringe) Zusammenhang zwischen der Mitarbeit und den Leistungen im Nachtest kann nicht dadurch zustande gekommen sein, dass das Pensum, das die Lehrer durchgenommen haben, auf eine gute Mitarbeit bzw. auf eine hohe Motivation der Schüler zurückzuführen ist. Hohes vs. niedriges Pensum Um Anhaltspunkte dafür zu finden, ob es beim Pensum eine Grenze gibt, unterhalb derer die Fördermaßnahmen erfolglos sind, wurde die Experimentalgruppe über den Median in eine Gruppe mit hohem und eine Gruppe mit niedrigem Pensum geteilt. Abbildung 1 zeigt, dass sich die Gruppe mit hohem Pensum bei der WLLP im Mittel von M = 19.14 (s = 9.75) im Vortest auf M = 49.21 (s = 12.87) im Nachtest gesteigert hat. Bei der Gruppe mit niedrigem Pensum ist lediglich eine Verbesserung von M = 18.00 (s = 4.86) auf M = 42.50 (s = 6.34) zu verzeichnen, und in der Kontrollgruppe verläuft die Steigerung von M = 19.03 (s = 8.01) auf M = 38.03 (s = 11.22). Eine Varianzanalyse mit dem Faktor „Treatment“ (hohes Pensum/ niedriges Pensum/ Kontrollgruppe) sowie dem Messwiederholungsfaktor „Messzeitpunkt“ (Vortest/ Nachtest) ergab eine signifikante Interaktion: F (2,56) = 4.01; p < 0.05. Duncan-Posthoc-Tests zeigten, dass sich, während beim Vortest zwischen den drei Gruppen keine signifikanten Unterschiede bestanden, beim Nachtest nur die Gruppe mit hohem Pensum signifikant von der Kontrollgruppe (p < .05; d korr = 0.98) unterschied, nicht aber die Gruppe mit niedrigem Pensum. Der Unterschied zwischen den Gruppen mit hohem und mit niedrigem Pensum lag in der Nähe der Signifikanzgrenze (p = .11; d korr = 0.83). Die Leistungsentwicklung beim Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test ist in Abbildung 2 wiedergegeben. Die Gruppe mit hohem Pensum reduzierte ihre Fehler im Mittel Abbildung 1: Mittelwerte im Vor- und Nachtest der Würzburger Leise Leseprobe in der Experimentalgruppe mit hohem und niedrigem Pensum und in der Kontrollgruppe Evaluation eines Lesetrainings 205 von M = 22.14 (s = 2.74) auf M = 12.14 (s = 5.27) und die Gruppe mit niedrigem Pensum von M = 23.07 (s = 2.01) auf M = 14.07 (s = 2.81). Bei der Kontrollgruppe verminderten sich die Fehler von M = 22.34 (s = 2.43) auf M = 14.93 (s = 4.47). Bei einer Varianzanalyse mit dem Faktor „Treatment“ (hohes Pensum/ niedriges Pensum/ Kontrollgruppe) sowie dem Messwiederholungsfaktor „Messzeitpunkt“ (Vortest/ Nachtest) ergab sich eine Interaktion in der Nähe der Signifikanzgrenze: F (2,56) = 2.33; p = 0.10. Duncan-Posthoc- Tests zufolge unterschieden sich die drei Gruppen im Vortest nicht voneinander. Beim Nachtest ergaben sich für die Gruppe mit hohem Pensum tendenziell niedrigere Werte als für die Kontrollgruppe (p = .07; d korr = 0.54). Weitere Unterschiede konnten nicht nachgewiesen werden. Das Salzburger Lese-Screening ist nur als Nachtest durchgeführt worden. Deswegen kann es nicht herangezogen werden, um nachzuprüfen, ob das Pensum unabhängig von der Ausprägung der Leseschwäche den Lernzuwachs beeinflusst. Wohl aber können die Nachtestergebnisse zeigen, ob ein Zusammenhang zwischen dem Pensum und der Leistung besteht. Der Mittelwert der Gruppe mit hohem Pensum lag im SLS bei M = 20.13 (s = 6.37), in der Gruppe mit niedrigem Pensum bei M = 14.50 (s = 3.54) und in der Kontrollgruppe bei M = 13.93 (s = 6.28). Ein Vergleich der drei Gruppen mit einer einfaktoriellen Varianzanalyse ergab einen signifikanten Effekt (F (2,55) = 7.524; p < .01). Duncan Posthoc-Tests zufolge hatte die Gruppe mit hohem Pensum signifikant höhere Werte als die Kontrollgruppe (p < .05; d = 0.99) und die Gruppe mit niedrigem Pensum (p < .05; d = 0.89), während sich die beiden letzten Gruppen nicht unterscheiden. Bei einem Vergleich der Leistungssteigerungen in den drei Gruppen „hohes Pensum, niedriges Pensum, Kontrollgruppe“ mit der Gesamtpopulation ergibt sich im Hinblick auf die WLLP folgendes Problem: Weil die Normentabellen im Manual getrennt für Jungen und Mädchen angegeben sind, müsste innerhalb der beiden Gruppen mit hohem bzw. niedrigem Pensum ebenfalls nach Geschlecht differenziert werden. Dies hätte jedoch zu kleine Teilstichproben zur Folge. Deswegen werden hier nur die Prozentränge für die Nachtestwerte angegeben. Die Gruppe mit hohem Pensum erreicht in der WLLP einen Prozentrang von PR = 23, die Gruppe mit niedrigem Pensum liegt bei PR = 12 und die Kontrollgruppe bei PR = 7. Beim Salzburger Lese-Screening liegt die Gruppe mit hohem Pensum bei PR = 21, die Gruppe mit niedrigem Pensum bei PR = 8 und die Kontrollgruppe bei PR = 6. Im Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test, von dem auch Halbjahresnormen vorliegen, verbesserte sich die Gruppe mit hohem Pensum von PR = 11 auf PR = 23, die Gruppe mit niedrigem Pensum von PR = 8 auf PR = 16. Die Kontrollgruppe blieb mit PR = 11 im Vortest und PR = 13 im Nachtest nahezu konstant. Abbildung 2: Mittelwerte der Experimentalgruppe mit hohem und niedrigem Pensum und der Kontrollgruppe im Vor- und Nachtest des Weingartener Rechtschreibtests 1+ 206 Gero Tacke Diskussion Sowohl im Lesen als auch in der Rechtschreibung hat das Lesetraining zu signifikanten Verbesserungen geführt. Bei den beiden Lesetests haben sich mit d = 0.63 (Würzburger Leise Leseprobe) und d = 0.49 (Salzburger Lese-Screening) mittlere Effektstärken ergeben. Beim Weingartener Grundwortschatz Rechtschreib-Test liegt die Effektstärke mit d = 0.29 im unteren Bereich. Verglichen mit der Gesamtpopulation erreichten die Schüler der Experimentalgruppe in den Nachtests zum Lesen und Rechtschreiben Prozentränge zwischen 14 und 19. In einem zweiten Schritt wurde die Rolle des Pensums, operationalisiert als Zahl der gelesenen Wörter, untersucht. Dabei geht es um die Frage, wovon das Pensum abhängt und welchen Einfluss es auf die Leistungsverbesserungen hat. Es zeigte sich, dass ein bedeutsamer Zusammenhang zwischen dem Pensum und den erzielten Leistungen im Lesen und Rechtschreiben besteht. Gleichzeitig ist das Pensum unabhängig von der Ausprägung der Lese-Rechtschreibschwäche, der Motivation der Schüler und ihrer Mitarbeit während der Förderung. Wenn das Pensum nicht mit Schülermerkmalen zusammenhängt, dann wird es, so kann man annehmen, maßgeblich von den Lehrern bestimmt. Diese Schlussfolgerung liegt nahe. Zwingend ist sie jedoch nicht. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Pensum von Schülermerkmalen abhängt, die nicht erhoben worden sind. Aber selbst wenn es solche Zusammenhänge gäbe, ginge aus den vorliegenden Befunden zumindest hervor, dass das Lesetraining bei ausreichendem Pensum zu Erfolgen führt. Die Rolle des Pensums wird besonders deutlich, wenn man die Schüler der Experimentalgruppe über den Median in eine Gruppe mit hohem und eine Gruppe mit niedrigem Pensum teilt. Vergleicht man die Schüler mit hohem Pensum mit der Kontrollgruppe, so liegen die Effektstärken bei den beiden Lesetests mit d = 0.98 (WLLP) und d = 0.99 (SLS) im hohen Bereich. In der Rechtschreibung liegt der Unterschied zwischen der Gruppe mit hohem Pensum und der Kontrollgruppe lediglich in der Nähe der Signifikanzgrenze (p = .07). Die Effektstärke liegt mit d = 0.54 im mittleren Bereich. Zieht man zur Bewertung des Leistungsfortschritts die Normentabellen für die Gesamtpopulation heran, so liegen bei den Schülern der Experimentalgruppe mit hohem Pensum die Verbesserungen im Rechtschreiben bei etwa 12 und im Lesen bei etwa 15 Prozentrangpunkten. Die Schüler mit einem geringen Pensum unterscheiden sich nicht von den Schülern der Kontrollgruppe. Daraus lässt sich schließen, dass das Leseprogramm nur in Kombination mit einem ausreichenden Lesepensum wirksam ist. Die Frage, wie groß dabei der Anteil des Programms und der des Pensums ist, lässt sich durch die vorliegende Studie nicht beantworten. Es ist denkbar, dass das Training der Grundfertigkeiten und das silbierende Lesen die Schüler erst in die Lage versetzt hat, ein bestimmtes Pensum zu bewältigen. Es ist aber auch möglich, dass ein anderes Programm in Kombination mit einem hohen Lesepensum zu ähnlichen Resultaten geführt hätte. Die vorliegende Studie lässt jedoch den Schluss zu, dass das verwendete Leseprogramm kombiniert mit einem hohen Lesepensum zu deutlichen Erfolgen führt. Das Lesetraining hat auch einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die Rechtschreibung. In der bisher einzigen vorliegenden deutschsprachigen Studie, bei der der Einfluss des Lesens auf die Rechtschreibung untersucht wurde, fand Heller (1977) bei unausgelesenen Drittklässlern, die über einen Zeitraum von drei Monaten für das Lesen in ihrer Freizeit Belohnungen erhielten, eine Effektstärke von d = 0.26. Dies entspricht in der vorliegenden Studie der Effektstärke der gesamten Experimentalgruppe. In der Gruppe mit großem Pensum liegt die hier gefundene Effektstärke mit d = 0.54 deutlich darüber. Die Verbesserungen der Rechtschreibleistungen aufgrund eines reinen Lesetrainings sind umso höher zu be- Evaluation eines Lesetrainings 207 werten, als in der Rechtschreibförderung Erfolge nur sehr schwer zu erzielen sind. Nicht selten bleiben Förderkurse ohne jeglichen Leistungsfortschritt (z. B. Gasteiger-Klicpera & Klicpera, 1989; Hingst, 1999). Das im deutschsprachigen Raum am besten evaluierte und gleichzeitig erfolgreichste Rechtschreibtraining stammt von Reuter-Liehr (2000), die eine unveröffentlichte Konzeption von Heide Buschmann (Schulpsychologische Beratung Waldshut-Tiengen) aufgegriffen hat (vgl. Tacke, Brezing & Schultheiß, 1994). Bei diesem Programm liegt die Effektstärke bei einer halbjährigen Förderung zwischen d = 0.70 (Weber et al., 2002) und d = 0.76 (Tacke, Wörner, Schultheiß & Brezing, 1993). Verglichen damit ist die Wirkung eines reinen Lesetrainings auf die Rechtschreibung mit einer Effektstärke von d = 0.54 durchaus bemerkenswert. Hinzu kommt, dass mit dem Rechtschreibtraining von Reuter- Liehr - wie die Studie von Weber et al. (2002) gezeigt hat - zwar Fortschritte in der Rechtschreibung, nicht jedoch im Lesen erzielt werden. Bei der Förderung schwacher Schüler stellt sich auch immer die Frage, welche Ziele man sich setzt. Im vorliegenden Fall könnte man sich z. B. das Ziel setzen, die schwachen Schüler zu durchschnittlichen Lesern zu machen. Ob so etwas gelingen kann, ist nicht bekannt. Es ist denkbar, dass es eine Leistungsgrenze gibt, die schwache Leser aufgrund nicht trainierbarer kognitiver Einschränkungen nicht überschreiten können. Solche kognitiven Variablen könnten z. B. das phonologische Arbeitsgedächtnis oder die Benennungsgeschwindigkeit sein. Eine große Zahl von Studien weist nach, dass schlechte Leser ein schwächeres phonologisches Arbeitsgedächtnis haben als gute Leser und dass sie zum Benennen von Gegenständen mehr Zeit benötigen (vgl. z. B. Klicpera, Schabmann & Gasteiger-Klicpera, 2003). Dies könnte zur Folge haben, dass legasthene Schüler beim Erkennen von Buchstaben, Wortsegmenten und Wörtern so langsam sind, dass sie über eine bestimmte Lese- und Rechtschreibfähigkeit nicht hinaus kommen. Auf der anderen Seite deutet der hier gefundene Einfluss des Lesepensums darauf hin, dass leseschwache Schüler ihre Leistungen unter geeigneten Bedingungen beträchtlich steigern können. Schreibt man die in einem halben Jahr erzielten Verbesserungen im Lesen fort, so kommt man bei einer Förderdauer von einem Jahr auf einen mittleren Prozentrang von etwa 35 bis 38. Verlängert man die Förderdauer um ein weiteres halbes Jahr, dann wäre der Durchschnitt erreicht. Ob so etwas möglich ist, bedarf weiterer Untersuchungen. Der Befund, dass die Leistungsverbesserungen sehr eng mit dem durchgenommenen Pensum zusammenhängen, wirft die Frage auf, wie viele Wörter ein Schüler pro Tag lesen sollte. In der vorliegenden Studie haben die Schüler mit einem hohen Pensum im Durchschnitt 225 Wörter pro Sitzung gelesen. Am Anfang, als das Leseprogramm durchgenommen wurde (in durchschnittlich einem Drittel der Gesamtzahl der Sitzungen), waren es weniger, später wurden es mehr. In der Phase, in der nur noch Geschichten vorgelesen wurden, kamen die Schüler mit einem hohen Pensum auf durchschnittlich 300 Wörter pro Sitzung. Diese Zahl kann künftig als Richtlinie dienen: Wenn man mit leseschwachen Zweitklässlern an fünf Tagen in der Woche das Lesen übt, dann sollte die Untergrenze der pro Tag gelesenen Wörter bei etwa 300 liegen. In der vorliegenden Studie wurden die Schüler über ein halbes Jahr 20 Minuten pro Tag einzeln unterrichtet. Eine derartig intensive Betreuung kann in den Schulen unter den üblichen Rahmenbedingungen nicht geleistet werden. Von einer weniger aufwändigen Förderung sind jedoch kaum Erfolge zu erwarten. Bei der Befragung der Eltern hat sich gezeigt, dass über die Hausaufgaben hinausgehende Leseübungen weitgehend üblich sind. Das hat bei den Schülern der Kontrollgruppe jedoch nicht dazu geführt, dass sich ihr Prozentrang verbessert hat. Demnach 208 Gero Tacke tragen die üblichen häuslichen Leseübungen allenfalls dazu bei, dass sich die Position der schwachen Schüler innerhalb ihrer Population nicht noch weiter verschlechtert. Ebenfalls zu vernachlässigen ist der Beitrag des häuslichen Lesens, das den Schülern in der vorliegenden Arbeit als freiwilliges Angebot gemacht wurde. Es wurde lediglich von 35 Prozent der Schüler wahrgenommen und machte bei diesen lediglich 5.2 Prozent des Gesamtpensums aus. Einen möglichen Ausweg aus dem Dilemma zwischen der notwendigen Förderung und den mangelnden schulischen Möglichkeiten könnte die Einbeziehung von ehrenamtlichen Lesepaten bieten. Ein entsprechendes Projekt befindet sich in der Aufbauphase. Literatur Birkel, P. (1995). 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