eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 52/3

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
71
2005
523

Computerbasiertes Lernen mit linearem vs. bildbezogenem Textabruf und Vorwissen

71
2005
Klaus Stiller
Marion Bartsch
Auf welche Weise beeinflussen Merkmale von Computerlernprogrammen und der Lernenden den Lernprozess? Studenten lernten für 30 Minuten mit einem über Vor- und Zurück- Buttons linearen (n = 33) und einem über anklickbare Bildteile selektiven Textabruf (n = 35), wobei das Nutzungsverhalten, der bildbezogene Lernstrategieeinsatz und der Lernerfolg in Abhängigkeit vom Vorwissen untersucht wurden. Die computerprotokollierte Nutzung der Einleitungen, Detailtexte, Zusammenfassungen und Glossarbegriffe wurde zeitlich und anzahlmäßig analysiert. Die Lernstrategien (Aufmerksamkeits- und Anstrengungsmanagement, Wiederholen, Organisieren, Integrieren, metakognitive Strategien) wurden über Fragebogen erhoben, die Lernleistungen mit Text- (Fakten reproduzieren, Transfer, Fehler in Texten finden) und Bildaufgaben (Beschriften, Ergänzen). Der bildzentrierte Textabruf erzeugte Unterschiede in der Nutzung der Einleitungen, Detailtexte und des Glossars, förderte teilweise die Lernstrategien und erhöhte die Leistungen in den Bildaufgaben. Das Vorwissen wirkte sich nur marginal auf die Nutzung aus, beeinflusste teilweise den Einsatz bildbezogener Lernstrategien nur unter dem linearen Textabruf und bestimmte stark den Lernerfolg in beiden Lerngruppen.
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Abrufmodi von Texten und Vorwissen Von der Art des Informationsabrufs als Programmmerkmal wird erwartet, dass sie den Lernprozess und die Lernergebnisse beeinflusst und dabei eventuell mit dem themenspezifischen Vorwissen als Lernermerkmal interagiert, welches jeglichen Lernprozess beeinflusst (Mayer, 2001; Unz, 2000). So wird in dieser Untersuchung ein linear vorgegebener Abruf von Texten über Vor- und Zurück- Buttons einem frei selektiven Abruf über anklickbare Teile von Bildern gegenüberge- Computer Based Learning with Linear vs. Picture Oriented Access to Text and Prior Knowledge Summary: How do features of learning software and learners influence the learning process? Students learned with a linear access to text by forward and backward buttons (n = 33) or a free access by clicking on parts of pictures (n = 35) for 30 minutes. The use of the programs, pictorial learning strategies, and performance were examined additionally considering the influence of prior knowledge. Program use was captured by study time and number of studied units considering the text categories introductions, detailed units, summaries, and glossary. Learning strategies (attention and effort management, rehearsal, organisation, integration, metacognitive strategies) were measured by a questionnaire. Performance was assessed by text (recall, transfer, and finding errors) and picture tasks (labelling, drawing). The picture oriented access to text influenced the use of introductions, detailed texts and glossary, promoted partially picture oriented learning strategies and increased the performance on picture tasks. Prior knowledge only marginally affected the program use, influenced in parts picture oriented learning strategies with linear learning and had great impact on performance in both learning groups. Keywords: Computer-assisted learning, picture processing, learning strategies, sequence control, linear sequence, learner control, system control, prior knowledge Zusammenfassung: Auf welche Weise beeinflussen Merkmale von Computerlernprogrammen und der Lernenden den Lernprozess? Studenten lernten für 30 Minuten mit einem über Vor- und Zurück- Buttons linearen (n = 33) und einem über anklickbare Bildteile selektiven Textabruf (n = 35), wobei das Nutzungsverhalten, der bildbezogene Lernstrategieeinsatz und der Lernerfolg in Abhängigkeit vom Vorwissen untersucht wurden. Die computerprotokollierte Nutzung der Einleitungen, Detailtexte, Zusammenfassungen und Glossarbegriffe wurde zeitlich und anzahlmäßig analysiert. Die Lernstrategien (Aufmerksamkeits- und Anstrengungsmanagement, Wiederholen, Organisieren, Integrieren, metakognitive Strategien) wurden über Fragebogen erhoben, die Lernleistungen mit Text- (Fakten reproduzieren, Transfer, Fehler in Texten finden) und Bildaufgaben (Beschriften, Ergänzen). Der bildzentrierte Textabruf erzeugte Unterschiede in der Nutzung der Einleitungen, Detailtexte und des Glossars, förderte teilweise die Lernstrategien und erhöhte die Leistungen in den Bildaufgaben. Das Vorwissen wirkte sich nur marginal auf die Nutzung aus, beeinflusste teilweise den Einsatz bildbezogener Lernstrategien nur unter dem linearen Textabruf und bestimmte stark den Lernerfolg in beiden Lerngruppen. Schlüsselbegriffe: Computerunterstütztes Lernen, Bildverarbeitung, Lernstrategien, lineares Programm, interaktives Programm, Lernerkontrolle, Systemkontrolle, linear, selektiv, Vorwissen ■ Empirische Arbeit Computerbasiertes Lernen mit linearem vs. bildbezogenem Textabruf und Vorwissen Klaus Stiller, Marion Bartsch Universität Regensburg Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2005, 52, 210 - 222 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Linearer vs. bildbezogener Textabruf und Vorwissen 211 stellt und im Zusammenwirken mit dem Vorwissen der Lernenden analysiert. Die Studie schließt sich an eine Untersuchung von Stiller und Mate (2003) an, in der zwei Schülergruppen entweder mit einem linearen oder einem bildbezogenen Textabruf in Programmen lernten. Erfasst wurden dort das Nutzungsverhalten, der Einsatz von bildbezogenen Lernstrategien und der Lernerfolg bzgl. Faktenwissen und Bilder beschriften. In der vorliegenden Studie sollen die Befunde von Stiller und Mate (2003) an einer Stichprobe mit Studierenden überprüft werden. Darüber hinaus wurde als weitere unabhängige Variable das Lernermerkmal Vorwissen hinzugenommen und die Lernerfolgsmaße wurden um die Aufgabengruppen Transfer, Fehler in Texten finden und Bilder zeichnerisch ergänzen erweitert. Untersuchungsablauf und Methodik orientieren sich dabei an der Vorläuferstudie. Traditionell gehört ein bildbezogener Textabruf zur Forschung über das Lernen mit Text- Bild-Kombinationen. Ausgehend davon, dass Bilder förderlich für das Lernen sein können, wird eine Verbesserung der Bildverarbeitung angestrebt, weil Bildinformationen oft nicht vollends extrahiert, umfassend verarbeitet und beim Lernen mit Texten adäquat genutzt werden (Weidenmann, 1994). Ein bildbezogener Textabruf stellt den Versuch einer didaktischen Intervention dar, der die Verarbeitung von Bildern als auch von Texten und so das Behalten und Verstehen der Text- und Bildinformationen verbessern soll (Ballstaedt, 1997). Ferner ist ein bildbezogener Textabruf der Hypertextforschung zuzuordnen, da durch die Realisierung dieser Abrufart über Computer eine Art Hypertext entsteht und Vergleiche mit alternativen Abrufmodi und Topologien für diese Forschung einschlägig sind. Im Weiteren wird (1) die theoretische Basis in Form der kognitiven Theorie multimedialen Lernens dargestellt, es werden (2) in Bezug darauf die potenziellen Wirkungen eines Textabrufs über Bilder auf den Lernprozess und die Rolle des Vorwissens angesprochen, (3) relevante empirische Ergebnisse und (4) die Fragestellung und Erwartungen vorgestellt. Die kognitive Theorie des multimedialen Lernens Aufgrund der Verbindung zur Text-Bild-Forschung bietet sich diese Theorie von Mayer (2001) als theoretische Grundlage an, die darauf abzielt, bedeutungsvolles Lernen mit Texten und Bildern zu beschreiben und zu erklären. Die Theorie basiert auf drei Annahmen. (1) Es gibt ein visuelles/ bildhaftes und ein auditives/ verbales Verarbeitungssystem, welche getrennt voneinander visuelle bzw. verbale Informationen verarbeiten und (2) in ihren Kapazitäten begrenzt sind. (3) Nur wenn Informationen aktiv verarbeitet werden, findet generatives, also bedeutungsvolles Lernen statt. Beim generativen Lernen erfolgt zuerst die Selektion relevanter Bild- und Textinformationen, welche dann im auditiv/ verbalen oder visuell/ bildhaften Verarbeitungssystem die Ausgangsbasis (auditory word base bzw. visual image base) für organisierende Prozesse liefert. Organisierende Prozesse verbinden die Elemente der image oder word base zu kohärenten bedeutungsvollen Repräsentationen (pictorial model und verbal model), welche noch separiert in den Systemen vorliegen. Dann werden diese Repräsentationen in Integrationsprozessen aufeinander bezogen, indem korrespondierende Elemente und Beziehungen der Modelle miteinander verknüpft werden. Eine Integration wird erleichtert, wenn die zu verbindenden Informationen gleichzeitig im Arbeitsgedächtnis gehalten werden können. Das Vorwissen spielt dabei eine unterstützende Rolle, indem es organisierende Prozesse erleichtert und selbst zu den Modellbildungen Elemente beitragen kann, die integrierenden Prozesse zu koordinieren hilft und Bezugspunkte für Integrationsprozesse bietet. 212 Klaus Stiller, Marion Bartsch Was können ein Textabruf über Bilder und Vorwissen bewirken? Ein Textabruf über Bilder wirkt möglicher Weise unterstützend auf die Prozesse der Selektion, Organisation und Integration (SOI) bzgl. der Bildinformationen ein, d. h. relevante Informationen werden leichter erkannt, zu einer vollständigeren kohärenten Repräsentation verbunden und besser mit den Textinformationen integriert. In dieser Arbeit wird die Bildverarbeitung über einen Lernstrategiefragebogen angelehnt an Wild und Schiefele (1994) erfasst (Stiller & Mate, 2003), welcher im weitesten Sinne die SOI-Verarbeitung durch kognitive (Wiederholen, Integrieren, Organisieren), ressourcenbezogene (Aufmerksamkeits- und Anstrengungs- Management) und metakognitive Strategien abbilden soll. Wie genau ein bildbezogener Textabruf den Einsatz dieser Strategien beeinflussen mag, kann bei Stiller und Mate (2003) nachgelesen werden. Dass eine verbesserte Verarbeitung der Bildinformationen auch auf die Verarbeitung der Textinformationen übergreift, ist denkbar. Werden die Bildinformationen vollständiger erfasst und verarbeitet, kann davon auch die Textverarbeitung z. B. durch bildbezogene Integrations- und Organisationsstrategien profitieren, weil eine adäquate Nutzung von Bildern für das Behalten und Verstehen von Textinformationen hilfreich ist (Weidenmann, 1994). Dies müsste aber hauptsächlich über Integrationsprozesse vermittelt und/ oder auch durch das Vorwissen unterstützt werden. Eine verbesserte SOI-Verarbeitung sollte sich entsprechend in den Leistungsmaßen zeigen, wobei hauptsächlich bildbezogene und Transferaufgaben besser gelöst werden sollen. Da meist zumindest eine oberflächliche Verarbeitung der Informationen stattfindet, werden einfache Aufgaben zum Abfragen von Faktenwissen kaum verbessert bzw. nur geringe Unterschiede aufweisen. Darüber hinaus wird auf der Ebene des Nutzungsverhaltens, wie es z. B. über objektive Daten der Zeitnutzung und Aufrufhäufigkeiten erfasst werden kann, davon ausgegangen, dass die Art des Textabrufs das Nutzungsverhalten beeinflusst, sodass sich bei prinzipiell ähnlichen Nutzungsmöglichkeiten Unterschiede ergeben. Vom themenspezifischen Vorwissen ist bekannt, dass es den Lernerfolg, die Informationsverarbeitung und die Nutzung eines Systems beeinflusst (Unz, 2000). Gemäß der Theorie von Mayer (2001) unterstützt das Vorwissen in günstigen Ausprägungen eine SOI-Verarbeitung (gedacht als Haupteffekt), indem z. B. verpasste oder fehlende Informationen aus dem Gedächtnis ergänzt und so der Aufbau eines kohärenten und vollständigeren Modells oder auch die Integrationsprozesse gefördert werden, und es kann die Effekte ungünstiger Informationspräsentationen auf dieselbe Weise kompensieren (als Interaktion). So hat Mayer (2001) z. B. Interaktionseffekte bei Animationen mit gesprochenen vs. geschriebenen Textpräsentationen gefunden, indem bei niedrigem Vorwissen Designeffekte zu verzeichnen waren, welche bei höherem Vorwissen verschwanden. Das Vorwissen wirkte als eine Art „Schutzfaktor“ gegenüber ungünstigen Informationsdarbietungen. Empirische Befunde Zur Bildnavigation liegen wenige und auch gemischte Ergebnisse vor (Eiwan, 1998; Stiller, 2001; Stiller & Mate, 2003). Stiller und Mate (2003) verglichen in der Vorläuferstudie einen bildbezogenen mit einem linearen Textabruf über Vor- und Zurück-Tasten bei 30 Minuten Lernzeit bei Gymnasiasten elfter Klassen. Mit bildbezogenem Abruf wurden für alle sechs bildbezogenen Lernstrategien und das Bilder beschriften höhere Skalenwerte nachgewiesen, dagegen waren die linear Lernenden in den Textaufgaben zum Faktenwissen besser. Die linear Lernenden nutzten intensiver (häufiger und länger) die Einleitungen und Zusammenfassungen, weniger intensiv (tendenziell häufiger, aber kürzer) die zahlreicher vorliegenden Detailtexte und in etwa gleich intensiv das Glossar. Ein- Linearer vs. bildbezogener Textabruf und Vorwissen 213 leitungen und Zusammenfassungen helfen auch bei der Kohärenzbildung. Daraus wurde gefolgert, dass der lineare Textabruf dazu anregte, die Inhalte systematischer und insgesamt intensiver zu bearbeiten, wogegen mit bildbezogenem Textabruf diese nur überblicksartig bearbeitet und eher unzureichend aufeinander bezogen wurden. Weiterhin wurde vermutet, dass bei einem linearen Blättern von Texten die Aufmerksamkeit und Verarbeitung mehr auf die Texte gerichtet wurde, was zu mehr Textwissen führte, während ein bildbezogener Abruf auf die Bilder fokussierte. Unter freier Zeitplanung bei längeren Lernphasen verglichen Eiwan (1998) und Stiller (2001) einen bildbezogenen Textabruf mit einem linearen bzw. einem Verzeichnisabruf bei physiologischen Themen. Eiwan (1998) fand keine Unterschiede in den erfassten Lernstrategien, welche auf die allgemeine Lernsituation abzielten, bei den Aufgaben zum Faktenwissen und Bilder beschriften. Die Lerngruppe mit bildbezogenem Textabruf lernte aber schneller. Das Vorwissen beeinflusste den Lernerfolg positiv, Interaktionen mit dem Abruftypus gab es nicht. Dagegen berichtete Stiller (2001) einen höheren Einsatz bildbezogener Anstrengungs- und metakognitiver Strategien mit einem bildbezogenen Textabruf. Auf das Faktenwissen und Bilder beschriften wirkten sich die Abrufmodi nicht aus, ebenso weitgehend nicht auf das Nutzungsverhalten. Insgesamt korrelierte das Vorwissen .59 mit dem Faktenwissen und .51 mit dem Bilder beschriften (Stiller, 2000). In der Hypertextforschung finden sich Studien zum Vergleich linearer mit hierarchischen Textstrukturen. Es ergibt sich aber kein einheitliches Bild bzgl. des Lernerfolgs (z. B. Calisir & Gurel, 2003; Chen & Rada, 1996; Gerdes, 1997; Lee & Tedder, 2003; Unz, 2000). Naumann, Waniek und Krems (2001, S. 305) berichten z. B.: „In 10 Studien, die lineare Texte mit Hypertexten hinsichtlich des Wissenserwerbs verglichen, schnitten die linearen Texte besser ab oder aber es konnte kein signifikanter Unterschied zwischen beiden Textarten gefunden werden (Gerdes, 1997). Chen und Rada (1996) hingegen berichten in ihrer Metaanalyse, daß in acht Studien mit Hypertexten mehr Wissen erworben wurde als mit Nicht-Hypertexten, allerdings wurden in fünf weiteren Studien bessere Ergebnisse für Nicht- Hypertexte aufgezeigt.“ Diese Ergebnisse setzen sich in neuerer Zeit fort. Lee und Tedder (2003) fanden z. B. einen Unterschied zugunsten einer linearen gegenüber einer hierarchischen Hypertexttopologie im Faktenwissen reproduzieren bei freier Zeiteinteilung, Calisir und Gurel (2003) dagegen nicht im Textverständnis bei vorgegebener Lernzeit. Bzgl. des Vorwissens gibt es eine Reihe von Studien oder Reviews (z. B. Calisir & Gurel, 2003; McDonald & Stevenson, 1998; Naumann, Waniek & Krems, 2001; Unz, 2000), welche einen positiven Zusammenhang zu verschiedenen Leistungsmaßen berichten. Darüber hinaus ergaben sich teilweise Interaktionen zwischen den Hypertexttopologien und dem Vorwissen. Insgesamt wird davon ausgegangen, dass Lernende mit wenig Vorwissen mehr von einer linearen Hypertextstruktur und erst mit wachsendem Vorwissen - teilweise deutlich - vom Hypertext profitierten (Gerdes, 1997; Naumann, Waniek & Krems, 2001). Es existieren aber auch davon abweichende Ergebnisse (z. B. Calisir & Gurel, 2003). Fragestellung und Erwartungen Auf welche Weise beeinflussen Merkmale von Computerlernprogrammen und Lernenden die Informationsverarbeitung, den Lernerfolg und die Programmnutzung? Zwei Lerngruppen mit einem linearen und einem bildbezogenen Textabruf in Programmen werden unter vorgegebener Lernzeit verglichen. Für einen bildbezogenen Textabruf wird erwartet, dass aufgrund der Annahmen zur Wirkweise und der Ergebnisse von Stiller und Mate (2003) für alle bildbezogenen Lernstrategien höhere Werte erzielt werden. Ein bildbezogener Textabruf sollte vor allem dem 214 Klaus Stiller, Marion Bartsch Transfer, Beschriften und Ergänzen von Bildern förderlich sein, wobei bei einer adäquateren Nutzung der Informationseinheiten, als es bei Stiller und Mate (2003) der Fall war, keine Effekte im Faktenwissen reproduzieren und Fehler in Texten finden denkbar sind. Weiterhin werden Unterschiede in der Nutzung der Programme angenommen. Vom Vorwissen kann aufgrund der Theorie und der empirischen Ergebnisse nur erwartet werden, dass es zumindest einige der bildbezogenen Lernstrategien und sogar alle Lernmaße beeinflusst. Dies sollte sich auch im Nutzungsverhalten widerspiegeln. Vor allem bei wenig Vorwissen sollte ein Unterschied zwischen den Textabrufarten hervortreten, der bei mehr Vorwissen verschwindet, da besonders die Lernenden mit wenig Vorwissen von der angenommenen lernfördernden Wirkung eines bildbezogenen Abrufs profitieren sollten. Methode Stichprobe und Untersuchungsablauf 68 Studenten der Universität Regensburg nahmen an der Untersuchung teil (55 weiblich, Alter in Jahren M = 23.91, SD = 4.06, 61.8 % studierten Psychologie, je 11.8 % Pädagogik und Lehramt, 14.6 % andere Fächer). Diese wurden per Zufall den zwei Lerngruppen zugeordnet. Zuerst wurden die demographischen Variablen und das Vorwissen erfasst, danach lernten die Gruppen 30 Minuten lang mit einem linearen oder frei selektiven Computerprogramm. Der Arbeitsauftrag lautete: „Arbeiten Sie das ganze Programm durch und lernen Sie die Inhalte. Danach wird Ihnen ein Test vorgelegt“. Abschließend beurteilten die Probanden u. a. die eingesetzten bildbezogenen Lernstrategien und sie bearbeiteten einen Wissenstest. Beschreibungen der Lernprogramme Es wurden dieselben Programme wie bei Stiller und Mate (2003) verwendet. Der Textabruf erfolgte durch Anklicken von Bildteilen oder linear über Vor- und Zurück-Buttons. In beiden Versionen wurden die Inhalte über identische Texte und Bil- Abbildung 1: Kapitel Der Weg des Sehreizes aus dem Programm mit bildbezogenem Textabruf Linearer vs. bildbezogener Textabruf und Vorwissen 215 der dargestellt. Ein Abschnitt beschrieb die Struktur des Auges und ein zweiter den Weg des Sehreizes vom Auge bis zum primären visuellen Kortex und den extrastriären Bereichen. Der bildbezogene Textabruf wurde über darstellende Bilder realisiert. Dabei mussten die Lernenden die anklickbaren Bildteile entdecken, wobei eine Signalfarbe half. Im Querschnittsbild zum Auge war z. B. die Linse anklickbar, im Bild zum Weg des Sehreizes die Colliculi superiores (siehe Abb. 1 und 2). Wenn sich der Mauszeiger über einem dieser Bildteile befand, färbte sich dieses grün, und es behielt auch nach dem Anklicken diese Farbe, bis eine neue Texteinheit abgerufen wurde. Dann nahm es die Ursprungsfarbe wieder an. Ein Zahlenpaar gab an, wie viele der über die Bilder verfügbaren Texte schon abgerufenen wurden. Unentdeckte Links konnte man sich nacheinander kurz grün anzeigen lassen. Zusätzlich waren über Buttons eine Einleitung und Zusammenfassung abrufbar. In den Texten gab es anklickbare Begriffe, zu welchen man sich Erläuterungen aus dem Glossar in einem Popup-Fenster anzeigen lassen konnte. Auch im Glossartext gab es solche Begriffe. Beim Eintritt in einen Abschnitt wurde noch kein Text dargeboten. Im linearen Programm war die Reihenfolge der Texte vorgegeben und der Abruf erfolgte über Vor- und Zurück-Buttons. Beim Eintritt in einen Abschnitt wurde die Einleitung als erste Texteinheit präsentiert, die letzte war die Zusammenfassung. Bei den dazwischen liegenden Texteinheiten war das zugehörige Bildteil wie beim bildbezogenen Textabruf grün markiert. Ein Zahlenpaar zeigte an, wo man sich in der Textsequenz befand. Nach dem Programmstart wurde das Einstiegsmenü präsentiert. Über zwei Schaltflächen gelangte man zu den beiden Kapiteln und von dort auch wieder zurück. In der linearen Version erschien automatisch eine Einleitung, welche in der frei selektiven Version aktiv über einen Button abgerufen werden musste. Messinstrumente Das Vorwissen wurde mit zehn offenen Fragen zum Inhalt erfasst (z. B. Was regulieren die Ziliarmuskeln? ). Lediglich Faktenwissen musste reproduziert werden. Vier komplexere Fragen wurden als zwei Items verkodet. Pro Item gab es max. einen Punkt. Nach der Itemanalyse blieben neun Fragen zu 11 Items übrig. Abbildung 2. Kapitel Das Auge aus dem linearen Programm 216 Klaus Stiller, Marion Bartsch Der Computer protokollierte die Abrufsequenz der Texte und ihre Bearbeitungszeiten. Analysiert wurden die prozentualen Anteile der Bearbeitungszeiten der Einleitungen, Zusammenfassungen, Glossarbegriffe und Detailtexte (über Bilder abrufbar oder zwischen Einleitung und Zusammenfassung liegend) an der Gesamtlernzeit und wie viele der vorhandenen Texte abgerufen wurden. Die bildbezogenen Lernstrategien (Wiederholen, Organisieren, Integrieren, Aufmerksamkeit, Anstrengung, metakognitive Strategien) wurden per Fragebogen erhoben. Die bildbezogenen Aussagen (z. B. Ich habe die Textinformation mit der Information in den Illustrationen verglichen) wurden auf einer fünfstufigen Skala (trifft gar nicht, kaum, etwas, ziemlich, völlig zu) eingeschätzt. Der Wissenstest wurde in folgender Sequenz präsentiert: (1) Textaufgaben zum Faktenwissen und Transfer, (2) Bilder ergänzen, (3) Bilder beschriften, (4) Fehler in einem Text finden. Pro Item gab es max. einen Punkt. Der erste Teil bestand aus acht offenen Fragen zu 12 Items (Skala Faktenwissen). Diese einfachen Reproduktionsaufgaben (z. B. Was ist die Funktion der Colliculi superiores? ) wurden je nach Komplexität maximal als zwei Items verkodet. Drei Aufgaben maßen die Transferleistung (z. B. Warum behindert der rezeptorlose Bereich des Auges [an dem der Sehnerv austritt, auch Blinder Fleck genannt] nicht unser Sehvermögen? ). Die Lösungen ließen sich aus den präsentierten Informationen erschließen. Die Aufgaben wurden in zwei bis drei Items zerlegt, in welche die Lösung nach Ursache oder Erklärung eines Phänomens kodiert wurde (7 Items, Skala Transfer). Cronbach’s α fiel niedrig aus, u. a. wegen sehr geringer oder hoher Lösungshäufigkeiten. Im Anschluss wurden zwei Zeichenaufgaben vorgelegt. Dazu wurden die im Programm benutzten Horizontalschnitte des Auges und des Gehirns verwendet und wichtige Bildeinheiten beseitigt. Diese fehlenden Teile waren zu ergänzen (11 Items, Skala Bilder ergänzen). Dann wurden die vollständigen Bilder beschriftet (14 Items, Skala Bilder beschriften). Zuletzt wurde ein Text zu den zwei Kapiteln mit 16 Fehlern vorgelegt. Nach der Itemanalyse blieben 12 Items übrig (Skala Gefundene Fehler). Falsch erkannte Fehler wurden ebenso gezählt (Skala Falsche Alarme). Statistische Analysen Die Daten bzgl. der bildbezogenen Lernstrategien, des Lernerfolgs, der Bearbeitungszeiten und der Anzahl bearbeiteter Glossarbegriffe wurden per MANCOVA analysiert. In das Modell wurde die Interaktion zwischen der Kovariaten Vorwissen und dem Treatment Faktor Textabruf aufgenommen und eine sequenzielle Quadratsummenzerlegung zugrunde gelegt (Reihenfolge: Vorwissen, Textabruf, Interaktion). Danach erfolgten univariate ANCOVAs. In den Tabellen werden entsprechend die Einflüsse des stetigen Merkmals Vorwissen als Korrelationen repräsentiert. Eine multivariate Testung erfolgt, weil sich die inhaltliche Fragestellung auf mehrere abhängige Variablen bezieht (Rudolf & Müller, 2004). So wird davon ausgegangen, dass das Vorwissen und die Art des Textabrufs den Lernprozess beeinflussen, wobei der Lernprozess durch das Nutzungsverhalten, die eingesetzten bildbezogenen Lernstrategien und den Lernerfolg beschrieben wird. Dabei ist sowohl aus der Theorie als auch empirischen Ergebnissen zu erwarten, dass die abhängigen Variablen nicht nur innerhalb der Variablengruppen, sondern auch untereinander korrelieren. Deshalb Skalen Items M SD α Kontrollskala Vorwissen 11 22.13 20.20 .77 Bildbezogene Anstrengung 4 3.78 .66 .66 Lernstrategien Aufmerksamkeit 7 3.93 .72 .84 Wiederholen 6 3.39 1.01 .91 Organisieren 5 3.75 .86 .84 Integrieren 10 3.82 .80 .90 Metakog. Strategien 12 3.30 .73 .86 Wissenstest Faktenwissen 12 59.07 20.13 .76 Transfer 7 36.24 14.25 .22 Gefundene Fehler 12 63.73 24.63 .76 Falsche Alarme - 1.47 1.42 - Bilder ergänzen 11 64.64 20.43 .76 Bilder beschriften 14 77.84 20.16 .82 Tabelle 1: Kennwerte der Skalen Anm.: α = Cronbach’s α , n = 68; Die Werte für die Wissensskalen wurden - bis auf die Falschen Alarme (Häufigkeitsmaß) - auf den Bereich 0 - 100 normiert, die Werte für die Lernstrategien auf den Bereich 1 - 5 Linearer vs. bildbezogener Textabruf und Vorwissen 217 fließen alle Maße der bildbezogenen Lernstrategien, des Lernerfolgs und des Nutzungsverhaltens gleichzeitig in eine gemeinsame MANCOVA ein (Rudolf & Müller, 2004). Die kategorialen abhängigen Variablen Anzahl bearbeiteter Einleitungen (von 3), Detailtexte (22) und Zusammenfassungen (2) werden ohne Interaktionen nur auf Haupteffekte geprüft, da für mehrdimensionale Analysen zu viele Zellen zu geringe Besetzungen bzw. Erwartungen von < 5 aufweisen. Bzgl. der Abrufmodi wurden 2 * 2-Kreuztabellen mit dem exakten Test nach Fisher ausgewertet, der eine Testung bei Zellerwartungen < 5 ermöglicht. Die Anzahlen bearbeiteter Texteinheiten von 0 bis n -1 wurden zusammengefasst. n bezeichnet die Anzahl der vorhandenen Texteinheiten. Als Effektgröße wurde das bei χ 2 -Tests gängige Maß w berechnet. Der Einfluss des Vorwissens wurde über punktbiseriale Korrelationen analysiert. Das α -Niveau wurde für diese sechs Tests angepasst ( α = .008). Ergebnisse In der gemeinsamen MANCOVA der bildbezogenen Lernstrategien, des Lernerfolgs, der Nutzungszeiten und der Anzahl bearbeiteter Glossareinträge ergaben sich hoch signifikante Haupteffekte des Vorwissens (Pillai- Spur = .65, F (17,48) = 5.20, p < .001, η 2 = .65) Korrigierte Mittelwerte und Standardfehler der Textabrufgruppen linear bildbezogen Lernstrategien M SE M SE F (1,64) η 2 Haupteffekt Anstrengung 3.57 .11 3.99 .11 7.32** .10 Textabruf Aufmerksamkeit 3.89 .12 3.97 .12 .25 .00 Wiederholen 3.17 .17 3.60 .16 3.39 + .05 Organisieren 3.49 .14 4.00 .13 7.19** .10 Integrieren 3.70 .14 3.93 .13 1.52 .02 Metakognitive Strategien 3.09 .12 3.51 .11 6.55** .09 Korrelationen zwischen Vorwissen und den bildbezogenen Lernstrategien Lernstrategien über beide Textabrufgruppen F (1,64) η 2 Haupteffekt Anstrengung -.11 .87 .01 Vorwissen Aufmerksamkeit -.12 .96 .01 Wiederholen -.22 3.44 + .05 Organisieren -.24 4.60* .07 Integrieren -.07 .38 .01 Metakognitive Strategien -.20 3.26 + .05 Korrelationen zwischen Vorwissen und den bildbezogenen Strategien getrennt nach Textabrufgruppen Lernstrategien linear bildbezogen F (1,64) η 2 Interaktion Anstrengung -.22 .00 .90 .01 Vorwissen Aufmerksamkeit -.33 .20 4.90* .07 × Wiederholen -.42 .00 3.10 + .05 Textabruf Organisieren -.47 .10 5.20* .07 Integrieren -.26 .14 2.66 .04 Metakognitive Strategien -.46 .10 4.61* .07 Tabelle 2: ANCOVAs der Effekte von Vorwissen und Textabruf auf die bildbezogenen Lernstrategien Anm: ** p ≤ .01, * p ≤ .05, + p ≤ .10; n lin = 33, n bild = 35 218 Klaus Stiller, Marion Bartsch und des Textabrufs (Pillai-Spur = .78, F (17,48) = 9.88, p < .001, η 2 = .78) sowie auch ein signifikanter Interaktionseffekt (Pillai-Spur = .43, F (17,48) = 2.15, p = .019, η 2 = .43). Bildbezogene Lernstrategien Die univariaten Analysen zeigen (siehe Tab. 2), dass die Art des Textabrufs den Einsatz der bildbezogenen Lernstrategien stark beeinflusste. Alle korrigierten Mittelwerte verdeutlichen, dass mit bildbezogenem Textabruf ein höherer Einsatz der bildbezogenen Lernstrategien berichtet wurde, wobei zum Effekt hauptsächlich die Unterschiede beim Anstrengungsmanagement, beim Wiederholen (tendenziell), Organisieren und den metakognitiven Strategien beitragen. Keine signifikanten Effekte waren bzgl. des Aufmerksamkeitsmanagements und Integrierens festzustellen. Das Vorwissen beeinflusste nicht die Strategien des Anstrengungs- und Aufmerksamkeitsmanagements sowie des Integrierens. Zum Effekt trugen die Strategien des Organisierens, aber auch tendenziell die des Wiederholens und der metakognitiven Strategien bei. Die Korrelationen weisen durch ihr negatives Vorzeichen darauf hin, dass mit wachsendem Vorwissen weniger Strategien berichtet werden. Die Interaktionen zeigen, dass die Haupteffekte des Vorwissens auf den Zusammenhang zwischen dem Vorwissen und den Strategien in der linearen Lerngruppe zurückzuführen sind. Die Korrelationen fielen hier durchgehend negativ und um einiges höher aus als beim Haupteffekt. Dagegen erwiesen sich die Zusammenhänge in der bildselektiven Gruppe als relativ klein und eher positiv, zwischen .00 und .20 liegend. Mehrheitlich können diese Korrelationen als nicht unterschiedlich von Null angesehen werden. Insgesamt ging in der linearen Lerngruppe höheres Vorwissen mit weniger bildbezogenen Strategien einher, während in der bildselektiven Gruppe weit- Korrigierte Mittelwerte und Standardfehler der Textabrufgruppen linear bildbezogen Lernerfolg M SE M SE F (1,64) η 2 Haupteffekt Faktenwissen 57.11 2.85 60.87 2.77 .90 .01 Textabruf Transfer 34.49 2.17 37.81 2.11 1.21 .02 Gefundene Fehler 62.22 4.06 65.13 3.95 .26 .00 Falsche Alarme 1.43 .25 1.52 .24 .06 .00 Bilder ergänzen 59.83 3.38 69.19 3.28 3.95* .06 Bilder beschriften 73.48 2.76 81.89 2.68 4.78* .07 Korrelationen zwischen Vorwissen und den Lernerfolgsmaßen Lernerfolg über beide Textabrufgruppen F (1,64) η 2 Haupteffekt Faktenwissen .60 35.95** .36 Vorwissen Transfer .47 19.30** .23 Gefundene Fehler .37 10.35** .14 Falsche Alarme -.07 .37 .01 Bilder ergänzen .29 6.24** .09 Bilder beschriften .60 38.85** .38 Tabelle 3: ANCOVAs der Effekte von Vorwissen und Textabruf auf den Lernerfolg Anm: ** p ≤ .01, * p ≤ .05; n lin = 33, n bild = 35; Die Ergebnisse bzgl. der Interaktion werden nicht berichtet, da sich keinerlei signifikante Effekte ergaben Linearer vs. bildbezogener Textabruf und Vorwissen 219 gehend keine Unterschiede zwischen Probanden mit niedrigem und hohem Vorwissen festzustellen waren. Lernleistungen Gemäß den univariaten Analysen (siehe Tab. 3) unterschieden sich die Lerngruppen nur in den Bilderaufgaben. Die bildselektive Lerngruppe konnte besser die Bilder ergänzen und beschriften. In den textbasierten Aufgaben Faktenwissen, Transfer, Gefundene Fehler und Falsche Alarme ergaben sich keine Unterschiede. Dagegen zeigte sich erwartungsgemäß, dass das Vorwissen die Lernerfolgsmaße stark beeinflusste. Lediglich die Falschen Alarme beim Fehler finden in Texten bildeten eine Ausnahme. Die größten Zusammenhänge finden sich zum Faktenwissen und Bilder beschriften, die niedrigsten zu den gefundenen Fehlern in Texten und zum Bilder ergänzen, der Zusammenhang zum Transfer liegt dazwischen. Interaktionen mit dem Textabruf ergaben sich entgegen den Erwartungen nicht. Programmnutzung Bei linearem Textabruf wurden die Einleitungen von allen Versuchspersonen (33 von 33) vollständig bearbeitet, während dies beim bildbezogenen Textabruf nur in etwa der Hälfte der Fälle zutraf (18 von 35; Fisher-exact: p < .01, ω = .56). Vorwissen spielte für die Bearbeitung der Einleitungen keine Rolle. Die Anzahl bearbeiteter Glossarbegriffe war bei linearem Textabruf (M = 9.19) geringer als bei bildbezogenem Textabruf (M = 15.57, F (1,64) = 4.76, p < .05, η 2 = .07). Darüber hinaus bestand ein signifikanter Interaktionseffekt (F (1,64) = 5.42, p < .05, η 2 = .08). Demnach ging bei linearem Textabruf ein höheres Vorwissen mit häufigerer Nutzung der Glossarbegriffe einher (r = .33), während dies bei bildbezogenem Textabruf umgekehrt war (r = -.25). Bei den Detailtexten und Zusammenfassungen gab es keine Effekte von Textabruf und Vorwissen. Weiterhin unterschieden sich die Bearbeitungszeiten der Einleitungen, Detailtexte und Glossarbegriffe, aber nicht der Zusammenfassungen (siehe Tab. 4). Dabei bearbeitete die Korrigierte Mittelwerte und Standardfehler der Textabrufgruppen linear bildbezogen Programmnutzung M SE M SE F (1,64) η 2 Haupteffekt Einleitungen 15.07 .59 6.10 .57 119.80** .65 Textabruf Detailtexte 61.63 1.47 67.44 1.42 8.03** .11 Zusammenfassungen 16.90 1.38 15.70 1.34 .39 .01 Glossar 6.38 1.36 10.74 1.32 5.30* .08 Korrelationen zwischen Vorwissen und den Nutzungsmaßen getrennt nach Textabrufgruppen Programmnutzung linear bildbezogen Interaktion Einleitungen .09 -.06 .35 .00 Vorwissen Detailtexte -.10 .37 5.22* .07 × Zusammenfassungen -.13 -.15 .15 .00 Textabruf Glossar .22 -.22 3.31 + .05 Tabelle 4: ANCOVAs der Bearbeitungsdauer einzelner Textteile in Prozent an Lernzeit Anm.: ** p ≤ .01, * p ≤ .05, + p ≤ .10; n lin = 33, n bild = 35; Die Ergebnisse bzgl. des Haupteffekts des Vorwissens werden nicht berichtet, da sich keinerlei signifikante Effekte ergaben 220 Klaus Stiller, Marion Bartsch lineare Lerngruppe die Einleitungen länger und die Detailtexte und das Glossar kürzer. Bzgl. der Einleitungen und des Glossars beruhte dies z. T. auf den Bearbeitungsmengen. Das Vorwissen hatte keinen Einfluss auf die Bearbeitungszeiten von Einleitungen, Detailtexten, Zusammenfassungen und Glossar (r aus [-.14; .13]). Allerdings ergaben sich ein signifikanter Interaktionseffekt mit dem Textabruf für die Bearbeitungszeit der Detailtexte und eine Tendenz für das Glossar. Diese beruhen darauf, dass in der bildselektiven Lerngruppe mehr Vorwissen mit einer längeren Bearbeitungszeit der Detailtexte und tendenziell mit einer niedrigeren Bearbeitungszeit des Glossars (aber auch der Einleitungen und Zusammenfassungen) einherging, während in der linearen Gruppe die Verhältnisse umgekehrt standen. Diskussion Lernstrategien Der tendenzielle Einfluss des Vorwissens kann entsprechend einer allgemein postulierten Beziehung gedeutet werden, wie sie z. B. bei Friedrich und Mandl (1992, S. 19) nachlesbar ist: „Bereichsspezifisches Wissen und Strategieeinsatz stehen häufig in einem kompensatorischen Verhältnis zueinander.“ Dies gilt in dieser Untersuchung allerdings nur für das Programm mit dem linearen Textabruf und für die bildbezogenen Strategien des Aufmerksamkeitsmanagements, Wiederholens (tendenziell), Organisierens und der metakognitiven Strategien. Dabei berichten die linear Lernenden mit mehr Vorwissen einen niedrigeren Einsatz der Strategien. Hier scheint wenig Vorwissen durch einen höheren Strategieeinsatz ausgeglichen werden zu müssen (Friedrich & Mandl, 1992). Allerdings gelingt die Kompensation nur zum Teil, wenn man die Korrelationen zwischen Vorwissen und den Leistungsmaßen betrachtet. Dagegen verschwand mit bildbezogenem Textabruf dieser kompensatorische Effekt bzgl. der Lernstrategien. Diese Textabrufart war anscheinend in der Lage, die Lernenden mit Vorwissen „aktiver“ zu halten. Warum dies so ist, kann nicht beantwortet werden. Eventuell spielen hier motivationale Faktoren eine Rolle (Friedrich & Mandl, 1992). Wie bei Stiller und Mate (2003) wurden durch einen Textabruf über Bilder die bildbezogenen Lernstrategien teilweise gefördert. Lediglich für das Management der Aufmerksamkeit und Integrieren konnte kein Einfluss festgestellt werden. Allgemein belegt dies, dass die enge Verknüpfung einer Interaktionsform mit einer Informationsart deren Verarbeitung beeinflussen kann. Die Effekte fielen dabei nicht so groß aus wie bei Stiller und Mate (2003). Zu bedenken ist dabei, dass einer retrospektiven Erhebung von Lernstrategien per Fragebogen der Zweifel anhaftet, tatsächlich situativ bedingte Lerngeschehen gut abbilden zu können (Lompscher, 1996). Insofern ist es als schwaches Indiz für eine Beeinflussung der SOI-Verarbeitung zu werten. Einen handfesteren Beleg liefern daher Lernerfolgsmaße. Insofern passen die höheren Leistungen bei den Bilderaufgaben zu den erhöhten Ratings bildbezogener Lernstrategien mit bildbezogenem Textabruf. Lernleistungen Das Vorwissen hat den erwarteten und allgemein gut bestätigten positiven Einfluss auf das Lernergebnis. Interaktionen mit dem Textabrufmodus ergaben sich nicht, d. h. dass sich ein bildbezogener Textabruf weder förderlich für Lernende mit wenig Vorwissen noch ein höheres Vorwissen als ausgleichender Faktor für eine als suboptimal angenommene lineare Textpräsentation erwiesen hat. Nebenbei entspricht das Ergebnis auch nicht der allgemeinen Erkenntnis aus der Hypertextforschung, dass Lernende mit wenig Vorwissen meist mehr von strukturierten Vorgaben profitieren (Milheim & Martin, 1991; Gerdes, 1997; Naumann, Waniek & Krems, 2001). Die Lerngruppe mit bildbezogenem Textabruf schnitt besser in den Bilderaufgaben ab, während die Textaufgaben gleich gut wie in der linearen Lerngruppe gelöst wurden. Das Linearer vs. bildbezogener Textabruf und Vorwissen 221 zeigt, dass mehr über die Bilder gelernt wurde (Bilder vervollständigen) und die Text- und Bildinformationen besser verknüpft worden sind (Beschriftungen). Es unterstützt aber weder die Annahme, dass ein linearer Textabruf die Verarbeitung der Texte ins Zentrum rückt (Stiller & Mate, 2003), noch dass durch eine Förderung der Bildverarbeitung die Textinformationen besser reproduziert und verstanden werden (Stiller, 2001). Gemäß der kognitiven Theorie des multimedialen Lernens spricht dies dafür, dass ein besseres bildhaftes Modell aufgebaut wurde und eine bessere Integration mit dem verbalen Modell stattgefunden hatte, sich aber nicht auf dem höheren Maß bedeutungsvollen Lernens, dem Transfer, zeigte und auch nicht auf das verbale Modell rückwirkte. Im Vergleich zu Stiller und Mate (2003) konnte wiederum eine fördernde Wirkung eines bildbezogenen Textabrufs für Bilderaufgaben beobachtet werden, während für den linearen Textabruf der äquivalente Effekt nicht feststellbar war. Andererseits trat hier auch nicht das teilweise unvorteilhafte Vorgehen beim Lernen mit bildbezogenem Textabruf wie bei Stiller und Mate (2003) auf. Angesichts der spezifischen Effekte für die Bilderaufgaben sollte dieser Textabruf-Effekt entsprechend auf die Art der Interaktion attribuiert werden und weniger auf die Topologie eines Hypertextes oder den Grad an Lernerfreiheit, da sonst ebenso Effekte in den textbasierten Aufgaben beobachtet hätten werden sollen. Programmnutzung Der Einfluss des Vorwissens ist marginal und beschränkt sich gemäß den univariaten Testungen auf Effekte bzgl. der Detailtexte und des Glossars. Ob dies tatsächlich von Bedeutung ist, sollte sich in weiteren Studien zeigen. Es ist durchaus denkbar, dass die Lernsituation (Zeitbeschränkung, Arbeitsauftrag etc.) die Freiheit der Lernenden soweit beschränkt, dass sich Vorwissensunterschiede nur punktuell im Nutzungsverhalten zeigen. Insgesamt ist festzustellen, dass die Art des Textabrufs bestimmt, welche Texte wie lange bearbeitet werden. Dabei bewirkte ein bildbezogener Textabruf eine stärkere Beachtung der über die Bilder abrufbaren Texte und des Glossars, während die Einleitungen weniger Zuwendung erfuhren. Lediglich bzgl. der Zusammenfassungen gab es keine Unterschiede. Während bei Stiller und Mate (2003) aus dem Nutzungsverhalten geschlossen wurde, dass der lineare Textabruf mehr zu einer systematischen und intensiven Bearbeitung der Themen anregt und der bildbezogene Textabruf zu einer überblicksartigen Bearbeitung, wobei die Informationen nur unzureichend aufeinander bezogen werden, kann dies hier nicht bestätigt werden. Beide Lerngruppen scheinen die Texteinheiten angemessen zu nutzen, wobei die bildbezogene Lerngruppe die Texte auch freier nutzt, d. h. insgesamt intensiver Glossarbegriffe bearbeitet und weniger intensiv Einleitungen. Dies lässt vermuten, dass der extreme Einfluss der Abrufmodi, wie er von Stiller und Mate (2003) berichtet wurde, von bislang unbekannten Lernermerkmalen abhängt, z. B. vom metakognitiven und strategischen Wissen zur adäquaten Nutzung bzw. zum adäquaten Lernvorgehen. Praktische Bedeutung Insgesamt ist das Programm mit bildbezogenem Textabruf einem linearen bei Studenten vorzuziehen. Es steigert die Bildverarbeitung, soweit Fragebogendaten diese Aussage zulassen, und das Bildwissen bei vergleichbarem Textwissen. Somit würde sich ein bildbezogener Textabruf besonders für Inhaltsbereiche eignen, in denen relevantes bildbezogenes Wissen erworben werden soll, wie in der Physik, Medizin, Biologie etc. So ist es z. B. in der Physik nicht unüblich, Versuchsskizzen zu erstellen oder Versuchsaufbauten nachstellen zu können. Entsprechend könnte dieses Wissen auch für die Bewältigung praktischer Aufgaben hilfreich sein. Darüber hinaus scheinen die verwendeten Programme nicht für differenzierende Schulungsmaßnah- 222 Klaus Stiller, Marion Bartsch men bzgl. des Vorwissens geeignet zu sein, in dem Sinne, dass es Lernende mit einer bestimmten Ausprägung von Vorwissen besonders fördert. Literatur Ballstaedt, S.-P. (1997). Wissensvermittlung. Die Gestaltung von Lernmaterial. Weinheim: PVU. Calisir, F. & Gurel, Z. (2003). Influence of text structure and prior knowledge of the learner on reading comprehension, browsing and perceived control. Computers in Human Behavior, 19, 135 - 145. Chen, C. & Rada, R. (1996). Interacting with hypertext: A meta-analysis of experimental studies. Human- Computer Interaction, 11, 125 - 156. Dillon, A. & Gabbard, R. (1998). 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Dr. Klaus Stiller Universität Regensburg D-93040 Regensburg Tel. (09 41) 9 43-35 98 Fax (09 41) 9 43-19 76 E-Mail: klaus.stiller@psychologie.uni-regensburg.de Dipl.-Psych. Marion Bartsch Universität Regensburg D-93040 Regensburg E-Mail: marion@markusbiber.de