Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Neue Besen kehren gut: Das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen soll die nationalen Bildungsstandards in Deutschland überprüfen
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Olaf Köller
Im Winter 2004/2005 hat das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) seine Arbeiten zur Weiterentwicklung und Normierung der nationalen Bildungsstandards aufgenommen. Der vorliegende Beitrag schildert die Entstehungsgeschichte des IQB, die Aufgaben und die angedachten Konsequenzen für die Evaluation von Schulen, die Weiterentwicklung des Unterrichts sowie die Lehr-Lernforschung
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Mit ihrem Beschluss vom 4. Dezember 2003 hat die Kultusministerkonferenz (KMK) die nationalen Bildungsstandards für den mittleren Abschluss in den Fächern Deutsch, Mathematik und erste Fremdsprache (Englisch/ Französisch) verabschiedet. Im August 2004 folgten die Entwürfe für die Naturwissenschaften und im Oktober lagen die entsprechenden Standards für den Hauptschulabschluss vor, ebenso die Standards für Deutsch und Mathematik in der Grundschule. Die nationalen Bildungsstandards beschreiben Leistungserwartungen in verschiedenen Schulfächern zu festen Zeitpunkten in den Bildungskarrieren unserer Schülerinnen und Schüler. Mit ihrer Einführung ist die Hoffnung verbunden, langfristig die Lehrpläne zu optimieren, die Lehreraus- und -fortbildung zu verbessern und Unterrichtsprozesse so zu gestalten, dass sie zu nachhaltigem Wissen und vertieften Kompetenzen führen. Im Dezember 2004 hat das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Humboldt-Universität zu Berlin, das die Bildungsstandards weiterentwickeln, operationalisieren und überprüfen soll, seine Arbeit aufgenommen. Das IQB ist eine unabhängige wissenschaftliche Einrichtung der Länder der Bundesrepublik Deutschland, die neben ihrer Arbeit an den Bildungsstandards auch Forschungsarbeiten in den Bereichen der pädagogisch-psychologischen Diagnostik und der angewandten Lehr-Lernforschung übernehmen soll. Die Arbeit an Bildungsstandards wie auch die Gründung des IQB haben ihre Vorgeschichte und lassen sich allein vor dem Hintergrund der internationalen Schulleistungsstudien der letzten Jahre und der internationalen Diskussion um Bildungsziele verstehen. Dementsprechend wird im Folgenden zunächst auf die Vorgeschichte der Standards eingegangen, es ■ Forum Neue Besen kehren gut: Das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen soll die nationalen Bildungsstandards in Deutschland überprüfen Olaf Köller Humboldt-Universität zu Berlin Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2005, 52, 281 - 286 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel A New Broom Sweeps Clean: The German Institute for Educational Progress Strives to Assess the National Educational Standards Summary: The Institute for Educational Progress (IQB) has started its work on the further development and assessment of the national educational standards at the end of 2004. The current paper describes the genesis of the IQB, its major goals, and implications for the assessment of schools, the improvement of instruction, and for research in learning and instruction. Keywords: Evaluation, assessment, improvement of instruction Zusammenfassung: Im Winter 2004/ 2005 hat das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) seine Arbeiten zur Weiterentwicklung und Normierung der nationalen Bildungsstandards aufgenommen. Der vorliegende Beitrag schildert die Entstehungsgeschichte des IQB, die Aufgaben und die angedachten Konsequenzen für die Evaluation von Schulen, die Weiterentwicklung des Unterrichts sowie die Lehr-Lernforschung. Schlüsselbegriffe: Evaluation, Leistungsmessung, Unterrichtsentwicklung 282 Olaf Köller folgen dann Ausführungen über Inhalte und Eigenschaften von Bildungsstandards. Danach wird auf die Überprüfung von Bildungsstandards und den mit Standards verbundenen Chancen für den Unterricht eingegangen. Zum Abschluss wird ein kurzer Ausblick auf die Forschungsaktivitäten des IQB gegeben. Die Vorgeschichte: TIMSS und PISA In Deutschland fehlte bis in die 1990er Jahre eine systematische und regelmäßige Überprüfung von Erträgen schulischer Bildungsprozesse, wie dies etwa in den USA durch Programme wie NAEP (National Assessment of Educational Progress) üblich war und ist. Dies galt für den Fachleistungsbereich ebenso wie für die sozial-kognitive und motivationale Entwicklung. Ein Hauptinteresse lag bis dahin in der Entwicklung und Erprobung von Modellen zur Optimierung der Arbeit in Einzelschulen und dem Entwurf didaktischer Modelle und deren Einführung in die Unterrichtspraxis (Input-Orientierung). Die Vergewisserung über das im Unterricht Erreichte trat demgegenüber in den Hintergrund. In dieser Situation waren Untersuchungen wie die Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie (TIMSS; vgl. Baumert, Lehmann et al., 1997; Baumert, Bos & Lehmann, 2000 a, 2000 b), die auf einer breiten empirischen Basis die Beschreibung und Analyse der Erträge fachlichen Lernens in den Mittelpunkt rückten, unzeitgemäße Vorhaben. Umso bemerkenswerter waren die öffentlichen Reaktionen, welche die Befunde auslösten. Die Bereitstellung von Basisinformationen über Ertragslagen deutscher Schulen stürzte das Bildungssystem auf Grund der schwachen Leistungen unserer Schülerinnen und Schüler in die Krise. In Folge von TIMSS kam es zur empirischen Wende in der Pädagogik, die pädagogische Psychologie und die Psychometrie gewannen im Kontext Schule an Bedeutung und weitere große Schulleistungsstudien auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene wurden initiiert. Reflexionen über die Messbarkeit von Bildungserträgen traten in den Hintergrund zugunsten einer festen Überzeugung, dass fachliche Kompetenzen mit Hilfe von Schulleistungstests mess- und überprüfbar seien, eine Überzeugung, die im Übrigen durch das Agieren von Lehrkräften im schulischen Alltag, in dem Lernerfolgskontrollen selbstverständlich sind, gestützt wurde. Im Vordergrund stand jetzt die Frage, welche konkreten Leistungsniveaus Schülerinnen und Schüler erreichten (Outcome-Orientierung). Den vorläufigen Höhepunkt dieser Entwicklung stellte PISA 2000 (Deutsches PISA-Konsortium, 2001) dar. Das erneut schwache Abschneiden deutscher Jugendlicher löste neue Evaluationsmaßnahmen aus. In den meisten Bundesländern wurden daraufhin Programme für flächendeckende Vergleichsarbeiten in verschiedenen Jahrgangsstufen und Fächern aufgelegt und auf Seiten der KMK wurde die Arbeit an den Bildungsstandards begonnen. Diese auf den Weg gebrachten Arbeiten konnten natürlich nicht das mäßige Abschneiden deutscher 15-Jähriger in PISA 2003 (Deutsches PISA- Konsortium, 2004) verhindern, da ihre positiven Wirkungen eher langfristig sichtbar sein werden. Was sind Bildungsstandards? In ihrer Expertise haben Klieme et al. (2003) ausgeführt, wodurch sich nationale Bildungsstandards auszeichnen sollen. Danach benennen die Standards präzise, verständlich und fokussiert die wesentlichen Ziele pädagogischer Arbeit, ausgedrückt als erwünschte Lernergebnisse bzw. Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler zu bestimmten Zeitpunkten ihrer Bildungsbiografien. Indem im Sinne einer Outcome-Orientierung gewünschte Lernergebnisse formuliert werden, findet eine klare Abgrenzung von Lehrplänen statt, die Unterrichtsinhalte präzisieren, also einer Input- Orientierung folgen. Bildungsstandards, die erheblich dem Einfluss der Diskussionen in den USA unterliegen (z. B. NCTM, 1989), haben zwei wesentliche Funktionen: Zum einen Neue Besen kehren gut 283 definieren sie für Schulen in ausgewählten Fächern verbindliche Zielvorgaben, lassen aber im Sinne der Eigenverantwortung von Schulen Freiräume, wie diese Ziele erreicht werden können. Zum anderen werden die Kompetenzen in den Standards so konkret beschrieben, dass sie in Aufgaben umgesetzt und mit Hilfe von Tests überprüft werden können. Gerade ihre Messbzw. Operationalisierbarkeit zeichnet sie national und international aus und diese Eigenschaft erlaubt es uns, zu bestimmten Zeitpunkten festzustellen, ob und in welchem Ausmaß Schülerinnen und Schüler für das weitere Leben gerüstet sind bzw. ob Optimierungsbedarf im Bildungssystem besteht. In ihrer Messbarkeit liegt also weniger eine Beschränkung als vielmehr die Stärke der Bildungsstandards. Konkrete Inhalte der Bildungsstandards sollen an drei Beispielen illustriert werden: (1) Im Bereich des Lesens für den mittleren Abschluss wird u. a. gefordert, dass Schülerinnen und Schüler in der Lage sein sollen, eigene Deutungen eines Textes zu entwickeln, am Text zu belegen und sich mit anderen darüber zu verständigen. (2) In der Mathematik (ebenfalls für den mittleren Abschluss) definieren die Standards beispielsweise Problemlösen als eine zentrale Kompetenz, welche die Teilkompetenzen (a) vorgegebene und selbst formulierte Probleme bearbeiten, (b) geeignete heuristische Hilfsmittel, Strategien und Prinzipien zum Problemlösen auswählen und anwenden und (c) die Plausibilität der Ergebnisse überprüfen sowie das Finden von Lösungsideen und die Lösungswege reflektieren, umfasst. (3) Im Bereich der ersten Fremdsprache (Englisch oder Französisch) verlangen die Standards für den mittleren Abschluss im Bereich des Hör- und Sehverstehens, dass die Schülerinnen und Schüler unkomplizierte Sachinformationen über gewöhnliche alltags- oder berufsbezogene Themen verstehen und dabei die Hauptaussagen und Einzelinformationen erkennen, wenn in deutlich artikulierter Standardsprache gesprochen wird. Bildungsstandards, Grund- und Allgemeinbildung Im Gegensatz zu den oftmals sehr ausführlichen Lehrplänen konzentrieren sich Bildungsstandards auf Kernbereiche eines Faches und formulieren Basisqualifikationen, die für die weitere schulische und berufliche Ausbildung von Bedeutung sind und anschlussfähiges Lernen ermöglichen sollen. Sie folgen damit in Teilen der angelsächsischen Tradition der Grundbildung (Literacy; vgl. NCTM, 1989; 1991; AAAS, 1993; NRC, 1995). Danach gehören vor allem die Beherrschung der Muttersprache in Wort und Schrift sowie ein hinreichend sicherer Umgang mit mathematischen Symbolen und Modellen zum Kern-bestand kultureller Literalität. Schwerwiegende Defizite in beiden Domänen gefährden die Teilnahme an zentralen gesellschaftlichen Entwicklungen und stellen Risikofaktoren im Hinblick auf eine gelingende Berufs- und Lebensperspektive dar. Das Gleiche gilt im Übrigen auch für die modernen Fremdsprachen, hier vor allem Englisch. Wer Englisch nicht beherrscht, schließt sich aus dem Wettbewerb der Leistungsgesellschaft aus (vgl. Tenorth, 2001). Dieses funktionalistische Konzept von Bildung steht dabei keineswegs im Gegensatz zum bedeutungsschweren deutschen Konzept der Bildung bzw. Allgemeinbildung. Vielmehr stellen die formulierten Basiskompetenzen notwendige Voraussetzungen für einen erfolgreichen Zugang zu einer vertieften Allgemeinbildung dar. Überprüfung von Bildungsstandards Die große Stärke der Nationalen Bildungsstandards liegt in ihrer relativ konkreten Formulierung und ihrer Verankerung in Kompetenzmodellen. Dadurch wird es möglich, große Aufgabenpools zu generieren, welche die Überprüfung der Standards erlauben, m. a. W.: Bildungserträge werden messbar! Genau dies ist eines der Hauptanliegen des IQB. Dort sollen in einem ersten Schritt für die verschiedenen Fächer und Abschlüsse 284 Olaf Köller große Aufgabenmengen generiert werden. In einem zweiten Schritt werden die Aufgaben hinsichtlich ihrer Eignung (Verständlichkeit, Schwierigkeit, Trennschärfe, Fairness etc.) an Schülerstichproben erprobt. Schließlich werden die verbliebenen geeigneten Aufgaben in einem dritten Schritt an großen Stichproben von Schülerinnen und Schülern normiert, d. h. es erfolgen Skalierungsarbeiten, Dimensionsanalysen und es wird anhand der definierten Skalen geschätzt, wie groß die Schüleranteile sind, welche die Standards erreichen bzw. verfehlen. In weiteren Schritten können dann die Bundesländer die normierten Aufgaben unter standardisierten Bedingungen für ihre landesweiten Vergleichsarbeiten verwenden. Auch Einzelschulen können Aufgaben einsetzen, um sich an den nationalen Bildungsstandards zu messen. Um die Aufgabe der Generierung großer Itemzahlen bewältigen zu können, werden am IQB für zunächst fünf Jahre 10 bis 15 wissenschaftliche Mitarbeiter plus vier nicht-wissenschaftliche Mitarbeiter arbeiten. Die Finanzierung der Personal- und Programmmittel erfolgt durch die Länder der Bundesrepublik Deutschland. Die Humboldt-Universität stellt die nötigen Räume sowie die erforderliche Infrastruktur zur Verfügung. Neben der wissenschaftlichen Leitung (C4- Professur-S für empirische Bildungsforschung) wird es eine weitere W2-Stiftungsprofessur für Pädagogische Diagnostik sowie eine Gastprofessur mit dem Schwerpunkt Testtheorie geben. Die W2-Stiftungsprofessur wird durch den Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft getragen. Ihre spezifische Aufgabe wird es sein, in den nächsten Jahren technische Lösungen für die computerbasierte Testung von schulischen Kompetenzen zu entwickeln und bereitzustellen. Das IQB wird sich zudem in der Lehr-/ Lernforschung platzieren und hier für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Möglichkeit zur Promotion und Habilitation bieten. Chancen für die Schul- und Unterrichtsentwicklung Kernaufgabe des IQB ist die Arbeit an den nationalen Bildungsstandards. Mit ihnen ist die Hoffnung verbunden, dass sie die Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklung in Schulen anregen. Im Folgenden sollen einige positive Konsequenzen skizziert werden, die aus den vorgelegten Bildungsstandards resultieren werden. Bildungsstandards und Lehrplanentwicklung: Mit der Verabschiedung der nationalen Bildungsstandards haben sich trotz Kulturhoheit und unterschiedlichen Traditionen in der Lehrplanarbeit alle 16 Länder auf verbindliche Zielvorgaben festgelegt und sich verpflichtet, alles zu tun, um diese Vorgaben auch einzuhalten. Damit wurde - wenn auch nicht explizit intendiert - der erste Schritt zu einer Vereinheitlichung, vor allem aber zu einer Verschlankung der Lehrpläne hin zu Kerncurricula, getan. Nach der Definition der Leistungserwartungen in Form der Bildungsstandards gilt für die zukünftige Lehrplanarbeit, dass sie festlegen muss, wie Unterricht zu gestalten ist, damit die Standards von großen Schüleranteilen erreicht werden. Auch wenn die Länderhoheit bei der Bildung bestehen bleibt, wird dies vermutlich dazu führen, dass die Lehrpläne über die Ländergrenzen hinweg vergleichbar werden. Bildungsstandards und Standardsicherung in Einzelschulen: Die Schulleistungsuntersuchungen der letzten Jahre haben deutlich werden lassen, dass es Lehrkräften oftmals schwer fällt, den Leistungsstand ihrer Schülerinnen und Schüler realistisch einzuschätzen. So war ein zentrales Ergebnis der PISA-2000-Untersuchung, dass fast 90 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die auf Grund des Lesetests als extrem leseschwach diagnostiziert worden waren, nicht von ihren Lehrkräften als solche erkannt wurden (Deutsches PISA-Konsortium, 2001). Mit Hilfe der Bildungsstandards bzw. den langfristig verfügbaren Aufgaben werden Lehrkräfte wichtige Hilfsmittel an die Hand bekommen, die Neue Besen kehren gut 285 • im Sinne eines benchmarkings den Vergleich einer einzelnen Klasse mit einheitlichen bundesweiten Standards ermöglichen, • den Vergleich mit Parallelklassen und/ oder Klassen mit ähnlicher Schülerschaft und ähnlichem Einzugsgebiet erlauben, • die Verteilung der eigenen Schüler auf unterschiedliche Kompetenzniveaus zulassen, • die Identifikation von Stärken und Schwächen der Klasse bzw. der Schülerinnen und Schüler ermöglichen und schließlich • Vergleiche im zeitlichen Verlauf erlauben (Trendanalyse), Schulen also die Möglichkeit geben, Optimierungsprozesse in Ergebnissen sichtbar zu machen. Bildungsstandards, Unterrichtsoptimierung und Förderung: Bildungsstandards definieren die Ziele schulischen Unterrichts, Kerncurricula geben die grobe Richtung vor, wie der Unterricht dazu beitragen kann, dass die Ziele erreicht werden. Es bleibt dabei erheblicher Spielraum für das konkrete Vorgehen im Unterricht. Die Bildungsstandards sollen in diesem Sinne die fachdidaktischen Diskussionen in Lehrerkollegien sowie die Zusammenarbeit der Kolleginnen und Kollegen anregen. Gemeinsame Unterrichtsplanung und Entwicklung von Aufgaben sollen die Unterrichtskultur verbessern. Notwendige Voraussetzung hierfür ist die Akzeptanz und das Verstehen der Standards sowie die Vertrautheit mit ihnen. Um das zu erreichen, ist insbesondere die Lehreraus- und -weiterbildung gefordert. Aktuell stellen sich die Landesinstitute für Schule der 16 Länder darauf ein, diese Fortbildungsaufgaben zu übernehmen. Eine besondere Bedeutung werden im Bereich des Unterrichts die am IQB entwickelten Aufgaben spielen. Geplant ist - und dies wird aktuell auch bereits im Bereich der Mathematik realisiert - kommentierte Aufgabensammlungen für den Unterricht bereitzustellen. Die Aufgaben sollen kompetenzorientiert sein und vielfältige Lösungsmöglichkeiten erlauben. Zudem sollen typische Fehler bei diesen Aufgaben dokumentiert werden, um Lehrkräften im Unterricht die Möglichkeit zu geben, konstruktiv mit „falschen“ Schülerantworten umzugehen. Besondere Chancen der Bildungsstandards können sich für Schulen in schwieriger Lage ergeben, deren Schülerschaft zu großen Anteilen aus sozial benachteiligten und Kindern nicht-deutscher Herkunft besteht. Hier wird die Überprüfung der Bildungsstandards deutlich machen, dass viele Schülerinnen und Schüler die vorgegebene Messlatte nicht überspringen und die Schulaufsicht bzw. Politik wird in die Zwangslage versetzt werden, über Auswege aus dieser extrem schwierigen Lage in Form von besonderen Förderprogrammen nachzudenken. Nationale Bildungsstandards und Forschungsimpulse Das IQB als universitäre Einrichtung hat neben den Arbeiten zu den Bildungsstandards einen Forschungsauftrag, der sich in erster Linie auf die Gebiete der empirisch ausgerichteten Lehr-/ Lernforschung, der Evaluation und der pädagogisch-psychologischen Diagnostik bezieht. Alle drei Forschungsgebiete nehmen dabei direkten Bezug auf die Bildungsstandards. Im Bereich der Lehr-/ Lernforschung werden in den nächsten Jahren unter anderem gemeinsam mit den Fachdidaktiken sowie mit den Erziehungswissenschaften und der Psychologie Anstrengungen unternommen, Bedingungen gelingenden Unterrichts zu identifizieren. Damit soll das Handlungswissen zur Verfügung gestellt werden, mit dessen Hilfe Lehrerinnen und Lehrer es leichter haben werden, die Kompetenzen ihrer Schülerinnen und Schüler zu steigern. Im Bereich der Evaluation wird es um die wissenschaftliche Begleitung von Schul- und Modellversuchen gehen, die sich direkt auf die Arbeit mit Standards beziehen. Schließlich wird im Bereich der pädagogisch-psycholo- 286 Olaf Köller gischen Diagnostik in enger Abstimmung mit nationalen und internationalen Arbeitsgruppen nach Lösungen im Bereich des technologie-basierten Testens von schulischen Kompetenzen gesucht werden. Fragen der Diagnostik von sprachproduktiven Kompetenzen oder auch naturwissenschaftlicher Kompetenzen können vermutlich ohne entsprechende Entwicklungsarbeiten kaum beantwortet werden. Resümee Bildungsstandards stellen einen länderübergreifenden Konsens hinsichtlich der Leistungserwartungen in ausgewählten Fächern dar. Mit ihnen ist das explizite Ziel verbunden, Bildungserträge zu optimieren, und zwar zum einen durch qualitätssichernde Evaluationsmaßnahmen, zum anderen durch die Implementation im Unterricht, indem die neu konstruierten Aufgaben direkt Eingang in die Unterrichtspraxis finden. Für beide Bereiche wird das IQB Aufgaben bereitstellen. Die Ausführungen sollten deutlich gemacht haben, dass nationale Bildungsstandards in der Tat vielfältige Chancen hinsichtlich der Verbesserung schulischer Bildungsprozesse beinhalten, Schulen aber auch dazu verpflichten, durch regelmäßige Überprüfungen die Erträge eigenen Arbeitens kritisch zu hinterfragen. Für wissenschaftliche Arbeiten geben die Bildungsstandards, auch das sollte deutlich geworden sein, wichtige Anstöße in der Lehr-/ Lernforschung und der pädagogisch-psychologischen Diagnostik. Literatur American Association for the Advancement of Science (AAAS) (Ed.) (1993). Benchmarks for science literacy. Project 2061. New York: Oxford University Press. Baumert, J., Bos, W. & Lehmann, R. (Hrsg.) (2000 a). Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie: Mathematische und naturwissenschaftliche Bildung am Ende der Schullaufbahn. Bd. 1: Mathematisch-naturwissenschaftliche Grundbildung am Ende der Pflichtschulzeit. Opladen: Leske + Budrich. Baumert, J., Bos, W. & Lehmann, R. (Hrsg.) (2000 b). Dritte Internationale Mathematik- und Naturwissenschaftsstudie: Mathematische und naturwissenschaftliche Bildung am Ende der Schullaufbahn. Bd. 2: Mathematische und physikalische Kompetenzen am Ende der gymnasialen Oberstufe. Opladen: Leske + Budrich. Baumert, J., Lehmann, R. H. et al. (1997). TIMSS: Mathematisch-naturwissenschaftlicher Unterricht im internationalen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich. Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.) (2001): PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich. Opladen: Leske + Budrich. Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.) (2004). PISA 2003: Der Bildungsstand der Jugendlichen in Deutschland - Ergebnisse des zweiten internationalen Vergleichs. Münster: Waxmann. Klieme, E. et al. (2003). Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards. Eine Expertise. Bonn: BMBF. National Council of Teachers of Mathematics (NCTM) (1989). Curriculum and evaluation standards for school mathematics. Reston, VA: NCTM National Council of Teachers of Mathematics (NCTM) (1991). Professional standards for teaching mathematics. Reston, VA: NCTM. National Research Council (NRC) (Ed.) (1995). National science education standards. Washington, DC: National Academy Press. Tenorth, H.-E. (2001). Englisch: Ein Kerncurriculum, seine Notwendigkeit und seine Gestalt - Zusammenfassung. In H.-E. Tenorth (Hrsg.), Kerncurriculum Oberstufe Mathematik - Deutsch - Englisch (S. 156 - 161). Weinheim: Beltz. Prof. Dr. Olaf Köller Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen Humboldt-Universität zu Berlin Unter den Linden 6 D-10099 Berlin E-Mail: iqboffice@iqb.hu-berlin.de Tel.: (0 30) 20 93 53 35 Fax: (0 30) 20 93 53 36
