Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2006
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Förderung schulischer Vorläuferfähigkeiten durch das didaktische Konzept "Komm mit ins Zahlenland"
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2006
Gerhard Friedrich
Horst Munz
Sollen Kinder im Vorschulalter nachhaltige Lernerfahrungen machen, bedarf es dazu spezifischer didaktischer Konzeptionen. Anhand eines speziell für diese Altersgruppe entwickelten Konzeptes zur Vermittlung elementarer Mathematik zeigt unsere Studie, dass Vorschulkinder in weit größerem Umfang als bisher erwartet in der Lage sind, sich ein fundiertes Grundverständnis des Zahlenraums von 1 bis 10 und darüber hinaus anzueignen. Wir können des Weiteren nachweisen, dass der Aufbau mathematischer Handlungskompetenzen von einem Prozess wachsender Sprachkompetenz begleitet wird. Von besonderer Bedeutung erscheint dabei der geringe zeitliche Rahmen, innerhalb dessen die Ergebnisse zu erzielen waren.
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Zur Konzeptentwicklung Dieser empirischen Arbeit vorweg liefen im Jahr 2002 kleinere konzeptionelle Pilotprojekte in Kindergärten der Stadt Lahr (Baden- Württemberg), in denen erste inhaltliche und methodische Überlegungen zum Zahlenlandkonzept auf deren elementarpädagogische Praxistauglichkeit hin überprüft wurden (Friedrich, 2003 a). Vorrangiges Ziel dieser wissenschaftlich nicht begleiteten Projekte war es, ein didaktisches Konzept zu entwickeln, welches zum Inhalt hat, den Zahlenraum von 1 bis 10 sowohl in die Lebenswelt der Kinder als auch in die pädagogische Arbeit im Kindergarten einzubinden. Dabei sollten nicht die Bildungsinhalte der ersten Klassenstufe aus dem Schulfach Mathematik in den Kindergarten vorverlegt werden, sondern es ging darum, der kindlichen Neugierde und Lernfreude mit ausgewählten Inhalten im Sinne der Förderung schulischer Vorläuferfähigkeiten (Kammermeyer, 2004) zu begegnen, um so den Kindern vielfältige Könnenserfahrungen zu ermöglichen. 1 In der Folgezeit wurde das didaktische Konzept stetig weiterentwickelt, verdichtet und um neue, Enhancing Preschool Abilities with „Let’s visit Number Land“, a Didactical Concept for Early Mathematics Summary: In order to provide 3 to 6 year old children with lasting learning experiences, specific teaching methods are required. Studies on a concept specifically designed to teach this age-group basic mathematics prove that preschoolers are, much more than it had been expected so far, able to acquire a profound understanding of the numbers from 1 to 10 and beyond. In addition, we are able to prove that the increase in mathematic capabilities is being accompanied by a process of growing linguistic competence at the same time. It is particularly interesting in what very short period of time the results could be achieved. Keywords: Early fostering, elementary education, “integrated” learning, practically orientated learning unit, didactics of mathematics, early childhood and learning, action orientation, test-control-group-design Zusammenfassung: Sollen Kinder im Vorschulalter nachhaltige Lernerfahrungen machen, bedarf es dazu spezifischer didaktischer Konzeptionen. Anhand eines speziell für diese Altersgruppe entwickelten Konzeptes zur Vermittlung elementarer Mathematik zeigt unsere Studie, dass Vorschulkinder in weit größerem Umfang als bisher erwartet in der Lage sind, sich ein fundiertes Grundverständnis des Zahlenraums von 1 bis 10 und darüber hinaus anzueignen. Wir können des Weiteren nachweisen, dass der Aufbau mathematischer Handlungskompetenzen von einem Prozess wachsender Sprachkompetenz begleitet wird. Von besonderer Bedeutung erscheint dabei der geringe zeitliche Rahmen, innerhalb dessen die Ergebnisse zu erzielen waren. Schlüsselbegriffe: Frühförderung, Elementarpädagogik, „ganzheitliches“ Lernen, Lernfelddidaktik, Mathematikdidaktik, frühe Kindheit und Lernen, Handlungsorientierung, Experimental-Kontrollgruppen-Design ■ Empirische Arbeit Förderung schulischer Vorläuferfähigkeiten durch das didaktische Konzept „Komm mit ins Zahlenland“ Gerhard Friedrich, Horst Munz Landratsamt Ortenaukreis Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2006, 53, 134 - 146 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Förderung schulischer Vorläuferfähigkeiten 135 zentrale Dimensionen erweitert (Friedrich, 2003 b; Friedrich u. Galgóczy, 2004; Friedrich u. Munz, 2004 a; Friedrich u. Munz, 2004 b; Friedrich u. Munz, 2004 c, Friedrich u. Schindelhauer 2005, Friedrich, 2005 b; Friedrich, 2005 c). In die Zeit der konzeptionellen Arbeiten an Didaktik und Methodik des Zahlenlandkonzeptes platzte die OECD-PISA-Studie, die wie keine andere Bildungsstudie zuvor die deutsche Bildungslandschaft einem Erdbeben gleich erschütterte. Seit diesem Zeitpunkt gab es in der BRD wohl kein einziges großes Nachrichtenmagazin oder keine einzige größere Illustrierte, welche sich nicht in irgendeiner Form dem Thema der „Qualität in unseren Bildungseinrichtungen“ unter einer ausdrücklich vorschulischen Perspektive gewidmet hat. Unisono waren die Urteile dahingehend, dass in den bundesrepublikanischen Kindergärten insgesamt zu wenig bildungsbezogene Arbeit auf qualitativ hohem Niveau geleistet würde. Diese in der Presse populär dargestellten Behauptungen korrespondieren mit vielerlei wissenschaftlichen Erkenntnissen, insbesondere eben auch mit jenen aus internationalen Vergleichsstudien, aber auch mit Erkenntnissen der modernen Kognitionsforschung und Hirnforschung (Singer, 2003; Friedrich u. Streit, 2002; Friedrich u. Preiß, 2003; Friedrich, 2005 d). Eine von den Autoren daraufhin unternommene Durchsicht von Konzepten, die geeignet erscheinen, diesem „didaktischen Mangel“ in der Elementarpädagogik zu begegnen, machte uns deutlich, dass es zwar durchaus eine große Fülle von spezifischen Programmen mit klarem Trainingsplan für die Altersstufen von 3 bis 6 Jahren gibt (z. B. Küspert u. Schneider, 2003), allerdings sind diese eher ausschließlich defizitorientiert. Es wurde uns deutlich, dass es offensichtlich an didaktischen Konzepten fehlt, die es erlauben, Kinder ohne vorherige Selektion in den ganz normalen altersgemischten Stammgruppen zu fördern. Genau dies aber ist der Fokus unseres Konzeptes. In der hier vorgestellten Studie gingen wir deshalb der Frage nach, inwieweit es möglich ist, mit einem alltagstauglichen didaktischen Konzept für die Elementarpädagogik Kindergartenkinder effektiv in schulrelevanten Kompetenzen zu fördern. Ein wichtiges Anliegen erschien uns neben der Untersuchung der Förderergebnisse die Beantwortung der Frage, inwieweit unser Konzept „alltagstauglich“ erscheint, d. h., inwieweit es auf breite Akzeptanz bei den Beteiligten (vor allem Elternakzeptanz und Erzieherinnenbzw. Erzieherakzeptanz) stößt. Die Entwicklung bzw. Evaluation eines didaktischen Konzeptes macht längerfristig nur dann einen Sinn, wenn es die Chance hat, in die Alltagspraxis adaptiert zu werden. Eine „akademische Trockenübung“ erschien uns nicht erstrebenswert, selbst wenn sie die erhofften Erfolge liefern sollte. Verfolgt man solch einen Anspruch, ist es wichtig, das Konzept so zu entwerfen, dass es auf die didaktische Handlungskompetenz der Erzieherinnen und Erzieher zielt bzw. diese herausfordert. Ein Lernprogramm in Sinne einer lernpsychologischen Instruktionsanweisung erschien uns nicht erstrebenswert. Es gilt, ein methodisches Rahmenkonzept maximalen Inhaltes so vorzugeben, dass es situativ an die soziokulturellen und individuellen Voraussetzungen und Bedingungen angepasst werden kann. Diese Anpassung und Konkretisierung kann jedoch nur der Pädagoge vor Ort leisten. Aus diesem Grunde sollte das Konzept auch dafür offen sein, didaktische und methodische Ideen der Erzieherinnen und Erzieher aufzugreifen und umzusetzen. Um die Einstellung aller Beteiligten zum „Zahlenland“ zu erkunden, haben wir sowohl für die Erzieherinnen und Erzieher als auch für die Eltern der Projektkinder alle uns wichtig erscheinenden Aspekte in Fragen gekleidet. Am Ende lagen uns Antworten von insgesamt 142 Eltern sowie 34 Erzieherinnen vor, Antworten, die uns sicherlich die Berechtigung geben, von der Alltagstauglichkeit unseres Konzeptes sprechen zu dürfen (Ergebnisse unter: www.ifvl.de; Link: Das Projekt). 136 Gerhard Friedrich, Horst Munz Das Konzept „Zahlenland“ Das Zahlenlandkonzept (vgl. dazu ausführlich Friedrich u. Bordihn, 2003 u. Friedrich u. Galgóczy, 2004) bzw. dessen methodische Umsetzung basiert auf einer einfachen Grundidee, nämlich auf der sehr konkreten Interpretation des aus der Didaktik der Mathematik stammenden Begriffs „Zahlenraum“. Dieser Begriff verweist auf den engen Zusammenhang der Zahlen zur Geometrie. Für diesen Zahlenraum von 1 bis 10 wurde nach einer streng mathematischen Systematik ein Ort geschaffen, in welchem die Zahlen „zu Hause sind“: das so genannte Zahlenland. Wesentliche Elemente des Zahlenlandes sind „Zahlengärten“ (geometrische Formen) und Zahlenpuppen, der Zahlenweg, die Zahlenhäuser und -türme, besondere Zahlenmärchen und speziell für dieses Projekt komponierte Musik. Zahlengärten und Zahlenpuppen: In diesem „Land der Zahlen“ erhält jede Zahl von 1 bis 10 einen festen „geometrisch dargestellten Wohnort“ (Kreis, Ellipse, Dreieck, Viereck, …, Zehneck, vgl. Abb. 1) und in Form einer Zahlenpuppe einen spezifischen Charakter bzw. eine unverwechselbare Identität. Mit Hilfe dieser Zahlenpuppen, die in ihrer Form den einzelnen Ziffern nachempfunden sind und die zugleich den Anzahlaspekt der jeweiligen Zahl repräsentieren, werden vielfältige Aktionen ausgeführt. (Die Puppe Eins trägt eine Zipfelmütze, die Zwei eine Brille … die Neun besitzt 5 Zähne oben und 4 unten, die Zehn hat 2 mal 5 Finger.) Das Zahlenland ist dementsprechend das pädagogische Äquivalent für den fachdidaktischen Begriff des Zahlenraums. Im Zahlenland sind die Zahlen zu Hause, sie besitzen beseelte Eigenschaften und geben in personalisierter Weise ihre mathematischen Eigenschaften kund. Zahlenweg: Dem Zahlenweg liegt eine entsprechend einfache Grundidee wie bei der Zahlenlandidee selbst zugrunde. Handelt es sich beim Zahlenland um die denkbar konkreteste Interpretation des Zahlenraumbegriffs, so entspricht der Zahlenweg dem bekannten Zahlenstrahl aus der Mathematikdidaktik. Der Zahlenweg erfüllt die gleiche Veranschaulichungsfunktion wie der Zahlenstrahl mit dem gerade für kleine Kinder großen Vorteil, dass dieser im Raum motorisch mit dem ganzen Körper erkundet werden kann. Zahlenmärchen und Musik: Zu jeder Zahl gibt es entsprechende Märchen mit mathematischen Inhalten. Eine Geschichte über die Eins erzählt etwa von der Eins und ihrem Einhorn, dem ein Zahlkobold sein Horn gestohlen hat und das deshalb nun ein „Keinhorn“ ist. Die Geschichte der Zwei handelt davon, dass die Zwei sich darüber ärgert, weil die Menschen meinen, sie stottere, obwohl das gar nicht stimmt, denn „alle alle Zweien Zweien reden reden so so wie wie sie sie“. Es gibt eine Drei, die drei Wünsche erfüllen kann, eine kranke Vier, deren Krankheit dazu führt, das alle Viererdinge (Tischbeine, Autobereifung usw.) durcheinander geraten, oder eine Fünf, die internationalen Besuch von 5 Kindern aus den 5 Kontinenten bekommt usw. Korrespondierend zu diesen Zahlengeschichten arbeiten wir mit Zahlenliedern, die sich bezüglich des Textinhaltes an diesen Märchen Abbildung 1: Schematischer Aufbau des Zahlenlandes Förderung schulischer Vorläuferfähigkeiten 137 orientieren, zugleich jedoch streng „mathematisch“ komponiert wurden. So singt die „Eins“ ihr Lied mit nur einem einzigen Ton im Einertakt. Die „Zwei“ entsprechend mit zwei Tönen im 2/ 4 Takt, die „Drei“ liebt den Walzer und kommt mit genau drei Tönen aus usw. Zahlenhäuser und Zahlentürme: Die Zahlenhäuser und die Zahlentürme sind die einzigen vorgefertigten Lernmaterialien. Sie dienen als Einrichtungsgegenstände bei den Zahlengärten. Als „Zahlenhäuser“ bezeichnen wir Holzwürfel, auf denen die Zahlen von „Eins“ bis „Fünf“ Abbildung 2: Photo mit Kindern in einem Zahlenlandausschnitt (Garten der Fünf) mit Zahlenhaus, Zahlenturm, Zahlenpuppe und einem Ausschnitt des Zahlenwegs (Tina Fecke). Abbildung 3: Noten des Fünfer-Lieds im 5/ 4-Takt mit dem Tonumfang einer Quinte (Vio de Galgóczy) 138 Gerhard Friedrich, Horst Munz - entsprechend den bekannten Würfelbilderdarstellungen - mit Hilfe einfacher Bohrungen abgebildet sind. Diese Bohrungen, für die Kinder sind es Häuserfenster, lassen sich auf der Vorderseite mit Stöpseln verschließen. Die Fenster bzw. die Gegenstände verkörpern damit den kardinalen Zahlaspekt. Ein herausnehmbares Fähnchen für die Ziffern lässt sich auf der Oberseite des Holzrahmens aufstecken. In der Idee der Zahlenlandes entsprechen die Ziffernfähnchen den Hausnummern. Bis zum sechsten Termin wurde der Zahlenraum von 1 bis 5 thematisiert und anschließend als Basis benutzt, um den Zahlenraum bis 10 zu erweitern. Dies geschah dadurch, dass der gesamte Zahlenraum von 1 bis 5, beginnend ab der 6, quasi nochmals benutzt wurde. Den Zahlen, beginnend ab der 6, wird stets die Zahl 5, bzw. ein Haus der Zahl „Fünf“, beigestellt: 6 = 1 + 5; 7 = 2 + 5 bis 10 = 5 + 5. Auf diese Weise entstehen erste additive Zahlkombinationen. Sie entsprechen nicht nur der räumlichen Anordnung des Zahlenlandes, sondern ebenso unserem durch die Natur vorgegebenen Zahlempfinden (5 Finger). Solche Zahlkombinationen ließen sich auch mit den Zahlentürmen darstellen. Bei den Zahlentürmen handelt es sich um farblich gekennzeichnete Holzwürfel, die mit Hilfe eines Holzzylinders aufeinanderstapelbar und drehbar sind. Diese Zahlentürme bieten eine große Vielfalt an spielerischen Möglichkeiten der Zahlerkundung, insbesondere für das Thema „Zahlzerlegung“ bzw. den Rechenaspekt der Zahlen. Durchführung des didaktischen Konzepts Zahlenland In den Projektkindergärten wurde mit vier festen Gruppen (Gruppengröße 9 bis 15 Kinder) gearbeitet. Die Gruppen trafen sich einmal in der Woche rund 50 bis 60 Minuten zu einem festen Termin, bei dem eine Zahl (gemäß unserem Konzept der „Zahl der Woche“) im Mittelpunkt stand. Insgesamt wurde also, dem Zahlenraum von 1 bis 10 entsprechend, jede Gruppe nur 10 Stunden gezielt gefördert. Während der Woche wurden den Projektkindern die zur Zahl der Woche passenden Lernmaterialien (vor allem Gärten, Häuser, Türme) in Freiarbeitsphasen zur Verfügung gestellt und die Erzieherinnen wiederholten Abzählreime, Spiele, Lieder, die Übungen auf dem Zahlenweg und die Geschichten, wann immer sich ein situativer Zusammenhang ergab. Die gezielte Förderung begann stets mit dem Betreten des Zahlenlandes jedes einzelnen Kindes über den Zahlenweg. Mit Fortschreiten des Projektes wurden zusätzliche Übungen für den Zahlenweg eingebaut (Friedrich, 2005 a). Als nächster Schritt erfolgte das Einrichten bzw. Schmücken der Zahlenländer, wobei bei dieser Aufgabe die Zahlenpuppen „beratend eingreifen“ konnten. So berichtet die Puppe „Eins“ im Rollenspiel mit einer Erzieherin, dass es in ihrem Garten alles genau einmal gibt, die „Zwei“, dass bei ihr alle Dinge doppelt vorkommen usw. Steine, Kastanien, Nüsse, Bälle und die vorgefertigten Zahlenhäuser und Zahlentürme wurden hierbei benutzt. Im Verlauf des Projekts wurde die Einrichtung immer reichhaltiger (z. B. eine Spinnenattrappe im Achterland, eine Eierschachtel im Zehnerland und vieles mehr). Im Abschluss daran wurde unter Zuhilfenahme der Zahlenpuppe das Märchen zur Zahl der Woche vorgetragen und das entsprechende Lied gesungen. Es schlossen sich spezifische, mathematisch zur jeweiligen Zahl passende Spiele, das Aufsagen bzw. Auszählen mittels Abzählreimen und weitere Aktivitäten an. Eine besonders beliebte und effektive Aktivität war das Auftreten eines Zahlenkoboldes, der die Ordnung der eingerichteten Zahlenländer und die Ziffernfließen des Zahlenwegs durcheinander brachte. Die Kinder korrigierten stets dieses Durcheinander ohne weitere Aufforderungen dazu. Das Ende einer Zahlenlandstunde vollzog sich ritualisiert durch ein Rückwärtsgehen auf dem Zahlenweg, um auf diese Weise das Zahlenland zu verlassen. Förderung schulischer Vorläuferfähigkeiten 139 Theoretischer Hintergrund Seine methodischen Ideen schöpft das Projekt aus verschiedenen Wissensbereichen, von denen wir die drei wichtigsten kurz erwähnen möchten. 2 Der erste Bereich ist die „Neurodidaktik“. Wir benutzen diesen Begriff als funktionalen Hilfsbegriff, um die Zusammenhänge zwischen den neurobiologischen Bedingungen des Menschen und seiner Lernfähigkeit zu beschreiben. Das Ziel einer Neurodidaktik wäre es demnach, eine Brücke zwischen relevanten Ergebnissen aus der Hirnforschung und der Pädagogik zu bauen. Die Schlüsselidee ist dabei die, dass die Plastizität des Gehirns - also seine materielle Form- oder Veränderbarkeit - und Lernen in unauflöslicher Beziehung zueinander stehen. Wir sind der Überzeugung, dass erste Bausteine für diesen Brückenbau existieren. Aus der Hirnforschung wissen wir beispielsweise, dass das Gedächtnis der Kinder in erster Linie durch konkrete Situationen und besondere Erlebnisse geprägt ist. Dies gilt insbesondere, wenn diese Erlebnisse oder Ereignisse einen Neuigkeitswert besitzen und den Kindern bedeutsam erscheinen. Aber Kinder können sich nicht nur die Ereignisse gut merken, sondern auch die Orte, an denen sie stattfanden. Beim Einspeichern einer Episode werden auch die zugehörigen Ortskoordinaten eingespeichert (Friedrich u. Preiß, 2003; Friedrich 2005 d). Diesen beiden Tatsachen versuchen wir dadurch Rechnung zu tragen, indem jede Zahl einen festen Ort im Raum erhält und wir unsere Grundzahlen zu „Zahlereignissen“ werden lassen. Aus diesem Grund arbeiten wir neben vielgestaltigen Spielen vor allem mit Zahlenliedern, Zahlengeschichten oder auch Abzählreimen mit dem Ziel, die Zahlen in episodische Handlungsabläufe einzubetten. Der zweite Bereich ist die Entwicklungspsychologie in Verbindung mit der Elementarpädagogik. Bei der Begegnung der Vorschulkinder mit der Welt der elementaren Mathematik bzw. der Zahlen arbeiten wir ganz bewusst mit so genannten Anthropomorphismen (Oerter, 1969). Darunter versteht man ganz allgemein die Zuschreibung menschlicher Eigenschaften oder Verhaltensweisen auf nichtmenschliche Objekte oder auch Tiere (Lück, 2003). Seit Piaget spricht man in diesem Zusammenhang auch von Animismus. In unserem Konzept werden gezielt konstruierte Anthropomorphismen (in Form personalisierter Zahlen) als didaktische Hilfsmittel eingesetzt. Kinder der Altersstufe von 3 bis 6 Jahren betrachten die Dinge um sich herum wesentlich stärker emotional als rational und sie haben ihre eigene, altersbedingte kognitive Erlebnis- und Denkweise. Daher kommt es, dass sie Gegenständen Gefühle, Leben und Absichten unterstellen. Die Dinge der kindlichen Umwelt sind entweder brav oder böse, freundlich oder unfreundlich, sie schauen für das Kind vertrauenerweckend oder beängstigend aus. Kinder in diesem Alter sind außerdem vom magischen und finalistischen Denken geprägt. Dabei werden Vorgänge, die eine logische Ursache haben, als geheimnisvoll erlebt und so gedeutet, als könne man sie durch Zauberei, durch Magie und - vor allem - durch eigene Wünsche beeinflussen. Alles, was geschieht, hat einen bestimmten Zweck oder verfolgt eine bestimmte Absicht. Vor diesem entwicklungspsychologischen Hintergrund kann es beim Thema „Mathematik im Kindergarten“ nicht darum gehen, Inhalte des Grundschulunterrichts in typisch „fachlich orientierter“ Manier vorwegzunehmen. Uns geht es vielmehr darum, Kindern einen altersgemäßen Zugang zur Welt der Zahlen anzubieten. Somit stellt der methodische Weg, die Grundlagen der elementaren Mathematik in eine fantasievolle Welt zu projizieren, in der die Zahlen in beseelter und personalisierter Weise ihre mathematischen Eigenschaften kundtun und in der z. B. auch ein Zahlenkobold sein Unwesen treibt, für die Kinder eine große Motivation dar. 3 Der dritte Bereich ist die Didaktik der elementaren Mathematik. Hier bewegen wir uns 140 Gerhard Friedrich, Horst Munz auf verschiedenen Handlungs- und Erfahrungsbereichen, z. B. der Zahlenstadt, den Zahlengärten mit ihren besonderen Häusern und Türmen und dem Zahlenweg (Friedrich u. Bordihn, 2003). Es geht darum, der Vielfalt verschiedener Zahlbedeutungen möglichst umfassend gerecht zu werden. Bei der Zahl Fünf sieht dies beispielsweise etwa so aus: Der Zahlengarten der Zahl Fünf befindet sich zwischen dem der Vier und dem der Sechs (ordinaler Zahlaspekt). Der Garten selbst ist als regelmäßiges Fünfeck konstruiert (geometrischer Aspekt) und kann an jeder Ecke verziert werden (Eins-zu-Eins-Zuordnung). Im Garten befindet sich ein Haus mit fünf Fenstern (kardinaler Zahlaspekt) und aufsteckbarer Hausnummer (Kodierungsaspekt) sowie ein Zahlenturm, mit dessen Hilfe Zahlzerlegungen (Rechenaspekt: 1 + 4 oder 3 + 2) veranschaulicht bzw. konstruiert werden können. Eine besonders erfolgreiche Methode, Kindern den Ordnungsaspekt der Zahlen erfahrbar zu machen, ist die Verwendung eines Zahlenweges, bei dem die Bewegung der Kinder als Stützfunktion in den mathematischen Lernprozess eingreift. Die Motorik spielt nachweislich eine große Bedeutung beim Verarbeiten, Speichern und Erinnern von Informationen. Dies bestätigen z. B. auch vielfältige Erfahrungen aus der Arbeit mit Kindern, die eine Lese-Rechtschreibschwäche haben (Michel, 2001). Für den Zahlenweg gibt es eine Fülle von Lernmöglichkeiten, die in unserem Projekt Anwendung erfuhren (Friedrich u. Galgóczy, 2004 u. Friedrich, 2005 a). Hypothesen Es gab 3 zentrale Hypothesen: 1. Projektkinder (PK) profitieren vom „Zahlenland“ dergestalt, dass ihre Testleistungen im Nachtest signifikant über denen der Kontrollkinder liegen, wobei sich vor Projektbeginn die beiden Gruppen nicht signifikant unterschieden haben dürfen. 2. Jüngere Kinder (hier gruppiert bis 4; 6 Jahre) unterscheiden sich in ihren Leistungen signifikant von älteren Kindern und dies unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit und vom Testzeitpunkt. Hintergrund dieser Hypothese ist der bekannte Entwicklungsvorsprung von älteren Kindern, der in dieser Altersspanne besonders deutlich wird. 3. Die Geschlechtszugehörigkeit hat keinen wesentlichen Einfluss auf die Testleistung. Die Überprüfung der Hypothesen erfolgte mit Hilfe von Varianzanalysen und (analog einem Grundprinzip psychologischer Testpraxis) über den Vergleich von Konfidenzintervallen (der jeweiligen Gruppenmittelwerte). Methode Stichproben Bei der Durchführung des Projektes „Komm mit ins Zahlenland“ können 3 Phasen unterschieden werden (vgl. Tab. 1). Die Kinder der beiden ersten Phasen kamen aus insgesamt 7 Kindergärten in Lahr. Im Schuljahr 2004/ 2005 wurde ein Teil von ihnen eingeschult. Diese Kinder wurden (s. u.) zum Ende des 1. Schuljahres nacherfasst. Die Kinder waren im Durchschnitt 60 Monate alt (SD = 11.0, Spannweite zwischen 36 und 77 Monaten). Zu Analysezwecken wurden die Kinder in drei Altersgruppen eingeteilt: A1 (bis 54 Monate), A2 (55 bis 66 Monate) und A3 (älter als 66 Monate). Für die eigentliche Projektphase wurde die Vergleichbarkeit von Experimentalgruppe (EG) (auch Tabelle 1: Die 3 Projektphasen im Überblick (N Anzahl der Kinder) Zeitraum Phase Messinstrument N Frühjahr/ Sommer 2003 Voruntersuchung Informeller Test (aus KEV) 66 Sommer 2003 bis Eigentliche Projektphase Informeller Test 92 Sommer 2004 (Gegenstand dieses Berichtes) (aus KEV + DES) Juni 2005 Nacherhebung DEMAT 1 + 23 Förderung schulischer Vorläuferfähigkeiten 141 Projektkinder (PK) genannt, also Kinder, die am Zahlenland teilnahmen) und Kontrollgruppe (KG) über die Variablen Alter und Geschlecht sowie Testwerte im Vortest (Pre-Test) sichergestellt, was in Tabelle 2 bzw. Tabelle 3 belegt ist. Die optimale Passung der Gruppen war dadurch möglich, dass aus einer großen Zahl möglicher Kontroll-Kinder quasi „Paarlinge“ zu den Projektkindern ausgewählt werden konnten. Untersuchungsplan Der Untersuchung liegt eine quasi-experimentelle Versuchsanordnung zugrunde. Es gibt eine experimentelle Bedingung (10 Stunden gezieltes Training mit dem „Zahlenland“) und eine Kontrollbedingung (kein Training, ganz normaler Besuch des Kindergartens). Als abhängige Variable (AV) fungiert ein Test (s. Messinstrumente), der in identischer Form sowohl als Vortest als auch ca. 12 Wochen danach als Nachtest durchgeführt wurde. Als unabhängige Variablen (UV) waren von besonderem Interesse die Gruppenzugehörigkeit (Projektkinder/ Kontrollkinder), das Alter und das Geschlecht der Kinder. Messinstrumente Der verwendete Test (als Vortest und Nachtest in identischer Form durchgeführt) stellt eine Kombination von Aufgaben aus dem „Kieler Einschulungsverfahren“ (KEV) (Einzeluntersuchung) (Fröse, Mölders, Wallrodt, 1986) und den „Diagnostischen Einschätzskalen“ (DES) (Barth, 1998) dar, und kann somit als „informeller Test“ (Lienert, 1969, S. 21) angesehen werden. Im Einzelnen entstammen dem KEV Aufgabe 2 (Mengen erfassen und Mengen herstellen), Aufgabe 3 (Farben und Formauffassung), Aufgabe 4 (Zahlennachsprechen, Zahlengedächtnis), Aufgabe 5 (Mustertafeln, allgemeine Denkfähigkeit), Aufgabe 6 (zu vorgelegten Bildern eine Geschichte erzählen) und Aufgabe 7 (Bildervergleich, detailbeachtende Wahrnehmung). Aus den DES (Barth, 2000) wurden 4 Aufgaben entnommen. In der einen wird kontrolliert, welche Inhalte aus einer vorgelesenen Geschichte die Kinder noch erinnern (Sprachgedächtnis, auditive Merkfähigkeit), die drei weiteren Aufgaben prüfen, inwieweit verbale Instruktionen unterschiedlicher Komplexität befolgt werden können (Handlungsplanung, Sequenzgedächtnis, Sprachverständnis). Erfasst werden also neben „Zahlenland-nahen“ Bereichen auch wesentliche Elemente sowohl der aktiven als auch der passiven Sprachkompetenz der Kinder. Auf eine detaillierte Sprachstandsanalyse wurde nicht nur aus Zeitgründen verzichtet, sondern auch deshalb, weil das vorrangige Ziel des „Zahlenlandes“ ja nicht die Sprachförderung im engeren Sinne ist. Bei der Auswertung des Tests werden jeweils 3 Kennwerte angegeben: „Gesamtleistung“ (GL) (erreichte Punktzahl in allen 13 Testaufgaben), „Anschauungsgebundenes Denken“ (AD) (Punktzahl in den Aufgaben 1 - 5, sowie 7 + 8) und „Verbale Fähigkeiten“ (VF) (Punktzahl in den Aufgaben 4 + 9, 10 - 13). Die Bezeichnungen AD und VF ergeben sich augenscheinlich (s. o.) aus dem Aufgabencharakter. Ergebnisse Zur Prüfung der Hypothesen wurden zunächst dreifaktorielle Varianzanalysen für die Gesamtleistung, das Anschauungsgebundene Denken und die Verbalen Fähigkeiten berechnet mit einem Messwiederholungsfaktor für Veränderung (Vortest, Nachtest) und einem unabhängigen Faktor für Gruppe (Experimentalgruppe, Kontrollgruppe) und Geschlecht (Jungen, Mädchen). Für die Gesamtleistung zeigte sich hier ein signifikanter Haupteffekt für Veränderung (F(1,88) = 188.7, p < .001, η 2 = .68) sowie eine signifikante Wechselwirkung zwischen Veränderung und Gruppe (F(1,88) = 171.5, p < .001, η 2 = .66). Das gleiche Bild ergab sich für das Anschauungsgebundene Denken mit einem signifikanten Haupteffekt für Veränderung (F(1,88) = 161.2, p < .001, η 2 = .65) und einer signifikanten Wechselwirkung zwischen Veränderung und Gruppe (F(1,88) = 143.5, p < .001, η 2 = .62) sowie für die Verbalen Fähigkeiten mit einem signifikanten Haupteffekt für Veränderung (F(1,88) = 98.6, p < .001, η 2 = .53) und einer Tabelle 2: Vergleich Experimentalgruppe mit Kontrollgruppe hinsichtlich der Variablen Alter und Geschlecht. Gruppe N Alter Geschlecht M (s) Jungen / Mädchen % Experimental- 46 60.4 61 / 39 gruppe (11.3) Kontroll- 46 59.5 54 / 46 gruppe (10.9) Anmerkung: Signifikanzprüfungen im Hinblick auf das Alter (T-test) sowie die prozentuale Zusammensetzung nach Geschlecht (chi-Quadrat-Test) ergaben keine bedeutsamen Unterschiede zwischen den Gruppen. 142 Gerhard Friedrich, Horst Munz signifikanten Wechselwirkung zwischen Veränderung und Gruppe (F(1,88) = 109.2, p < .001, η 2 = .55). Bei den verbalen Fähigkeiten zeigte sich zusätzlich ein Haupteffekt für Gruppe (F(1,88) = 7.5, p < .01, η 2 = .08). Bei allen drei Variablen traten im Posthoc-T-Test keine bedeutsamen Unterschiede im Vortest auf, während nur in der Experimentalgruppe jeweils ein signifikanter Anstieg der Leistungen bzw. im Nachtest im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant höhere Werte festgestellt wurden (alle p < .001, vgl. Tab. 3). Signifikante Geschlechtseffekte konnten sowohl als Haupteffekte als auch als Wechselwirkungen mit den anderen Faktoren in keinem Fall identifiziert werden. Führt man die gleichen Varianzanalysen unter Verwendung eines Faktors für Alter durch, so zeigten sich die gleichen Veränderungseffekte mit jeweils einem zusätzlichen signifikanten Haupteffekt für Alter bei allen drei Variablen (Gesamtleistung: F(2,86) = 62.1, p < .001, η 2 = .59; Anschauungsgebundenes Denken: F(2,86) = 55.8, p < .001, η 2 = .57; Verbale Fähigkeiten: F(2,86) = 47.7, p < .001, η 2 = .53). Hier zeigten sich in Posthoc-Tests (nach Duncan) für alle drei Variablen signifikant niedrigere Werte zwischen den jüngeren Kindern (A1) und den beiden älteren Gruppen (A2 und A3) (p < .01). Die Unterschiede zwischen den beiden älteren Gruppen waren zwar geringer, trotzdem aber meist (mit Ausnahme der Verbalen Fähigkeiten im Posttest) statistisch bedeutsam (p < .05). Die Befunde der Varianzanalysen untermauern recht eindrucksvoll die drei aufgestellten Hypothesen. Wie vermutet unterscheiden sich die Gruppen nur im Post-Test (belegbar in allen 3 Kennwerten), signifikant. Die in Hypothese 2 vermutete Überlegenheit der älteren Kinder bestätigt sich auch und zwar ebenfalls - wie vermutet - unabhängig vom Testzeitpunkt und der Gruppenzugehörigkeit. Schließlich lassen sich an keiner Stelle signifikante Leistungsunterschiede zwischen den Geschlechtern nachweisen (Hypothese 3). Die Diagramme in Abbildung 4 geben im Detail einen Überblick über die Effekte, die mit den Varianzanalysen ganz generell belegt wurden. In der Testpsychologie ist es üblich, erst dann von unterschiedlichen Testergebnissen zu sprechen, wenn sich die Konfidenzintervalle der verglichenen Testleistungen nicht mehr überschneiden. Abbildung 4 (Teil 1) veranschaulicht dieses Prinzip (bezogen auf die jeweiligen Gruppenmittelwerte) und zeigt für die Gesamtleistung deutlich die folgenden signifikanten Unterschiede: 1. Die Projektkinder zeigen im Nachtest (po) deutlich bessere Leistungen als die Kontrollkinder und dies, obwohl sie im Vortest (pr) eine zumindest tendenziell schlechtere Ausgangslage hatten. Bei den Kontrollkindern dagegen ist keine Entwicklung zwischen Vortest und Nachtest zu erkennen. 2. Die Kinder zeigten mit zunehmendem Alter höhere Leistungswerte, wobei sich die Tabelle 3: Mittelwerte und Standardabweichungen (in Klammern) für die abhängigen Variablen Gesamtleistung, Anschauungsgebundenes Denken und Verbale Fähigkeiten im Pretest und Posttest in der Experimental- und Kontrollgruppe. Experimentalgruppe Kontrollgruppe vorher nachher vorher nachher Gesamtleistung 18.4 (12.5) 32.2 (12.6) 20.1 (12.5) 20.5 (12.7) Anschauungsgebundenes 7.5 (5.7) 14.0 (6.4) 9.4 (6.2) 9.6 (6.4) Denken Verbale Fähigkeiten 10.7 (7.2) 18.9 (6.8) 11.0 (7.0) 10.8 (6.6) Förderung schulischer Vorläuferfähigkeiten 143 jüngsten Kinder (A1) am deutlichsten unterschieden, während die Unterschiede zwischen den anderen beiden Altersgruppen (A2 u. A3) geringer, aber statistisch bedeutsam waren. 3. Die Mädchen haben tendenziell bessere Werte, die Konfidenzintervalle überschneiden sich jedoch. 4. Der „Aufwärtstrend“ der Projektkinder (sie machen genau die Hälfte der Gesamtgruppe aus) zeigt sich in einem Anstieg der Leistungen vom Vortest zum Nachtest sowohl bei den Altersgruppen als auch bei den Geschlechtern. Dies spricht für die Stärke des Lerneffekts durch das Projekt „Zahlenland“. 144 Gerhard Friedrich, Horst Munz Im Bereich des Anschauungsgebundenen Denkens lassen sich dieselben Effekte erkennen, allerdings treten zwei Abweichungen im Vergleich zu den Ergebnissen bei GL hervor: 1. Die Ausgangslage der Projektkinder war bei diesem Testteil deutlich schwächer als die der Kontrollkinder, ihr Lernzuwachs ist also umso eindrucksvoller. 2. Beim AD erzielen die Mädchen beinahe signifikant bessere Ergebnisse als die Jungen. Eine detaillierte Klärung dieses Befundes steht noch aus. Dass auch im Bereich der gemessenen verbalen Fähigkeiten die o. g. Befunde repliziert werden können, erstaunt, da das „Zahlenland“ zumindest nicht primär auf die Förderung verbaler Fähigkeiten abzielt (s. Diskussion). Diskussion Betrachtet man das beim „Zahlenland“ verwendete Trainingsmaterial sowie die didaktische Konzeption, so war zu erwarten, dass die geförderten Kinder im Vergleich zu Kindern, die nicht auf ähnliche Weise gefördert wurden, in den Bereichen Zahlen, Mengen, Formen und Wahrnehmung Fortschritte machen würden. Bedenkt man jedoch, dass lediglich 10 Stunden gezielt trainiert wurde, dann sind die Ergebnisse doch sehr beeindruckend, zumal sich in der Kontrollgruppe ja praktisch keinerlei Veränderungen gezeigt haben. Die Aussage, dass das Zahlenlandkonzept ein umfassendes Förderprogramm ist, welches nicht auf die Entwicklung lediglich des Zahlbegriffs bei Kindern reduziert werden darf, gewinnt durch die Ergebnisse im Testbereich „Verbale Fähigkeiten“ an Gewicht. Nimmt man die Resultate beider Projektphasen zusammen und bezieht auch die Befunde der Nacherhebung zum Ende des 1. Schuljahres mit ein, in der bei den eingeschulten Projektkindern gegenüber den eingeschulten Kontrollkindern höhere Werte im DEMAT 1 + (Deutscher Mathematiktest für erste Klassen) Abbildung 4: Mittelwerte (MW) und Konfidenzintervalle für den Gesamttest, das Anschauungsgebundene Denken und die Verbalen Fähigkeiten im Vortest (pr) und Nachtest (po) für die Gesamtgruppe der Projektkinder (P) und Kontrollkinder (K), für die Altersgruppen A1 (bis 54 Monate), A2 (55 bis 66 Monate), A3 (älter als 66 Monate), sowie für Jungen (ml) und Mädchen (wbl). (cfu/ cfo = untere/ obere Intervallgrenze) Förderung schulischer Vorläuferfähigkeiten 145 (Krajewski, Küspert und Schneider, 2002) festgestellt wurden, so kann man festhalten, dass durch die Arbeit mit dem „Zahlenland“ neben spezifischen (z. B. Zahlbegriff, Mengen und Formauffassung) auch ganz allgemeine (z. B. Sprachförderung) Fördereffekte zustande kommen. Im Gegensatz zu vielen Projekten im Bereich der Pädagogik, deren Effizienz zwar behauptet oder durch Befragungen der Beteiligten „belegt“ wird, werden hier „harte Daten“ (Testergebnisse) vorgelegt, die es erlauben, die Hypothese eines generellen Fördereffektes aufrecht erhalten zu können. Nicht mehr, aber auch nicht weniger kann aufgrund der empirischen Datenlage zum Zahlenland ausgesagt werden. Anmerkungen 1 Schulische Vorläuferfähigkeiten geraten zunehmend im Hinblick auf den Mathematikunterricht der Grundschulen in den Blick (Krajewski, 2003). Es existieren bereits im Vorschulbereich spezifisch mathematische Prädiktoren, die entscheidenden Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg des Mathematikunterrichts der Grundschule haben. Dazu zählen etwa die Fähigkeit zur Seriation oder auch einfache Zählfertigkeiten, wie Vorgänger- und Nachfolgerbestimmung und Mengenvergleiche (Krajewski, Küspert, Schneider, 2002). 2 Dabei ist die Idee, die Welt der Zahlen in Märchenformen zu verkleiden, alles andere als neu. So erschien beispielsweise bereits vor über 30 Jahren das Kinderbuch „Die Kinder im Zahlenland“ (Matute, 1971). 3 Der Zahlenkobold entspricht dem aus der Didaktik bekannten Figur des „Fehlerteufels“. Er trat in Form eines verkleideten Erwachsenen im Durchschnitt bei jedem zweiten Termin unangekündigt auf und brachte die mathematische Ordnung des Zahlenlandes durcheinander. Dies veranlasste die Kinder, wieder alles in Ordnung zu bringen. Literatur Barth, K. H. (1998). Die diagnostischen Einschätzskalen (DES) zur Beurteilung des Entwicklungsstandes und der Schulfähigkeit. München, Basel: Verlag Reinhardt. Barth, K. H., (2000) Lernschwächen früh erkennen. 3. Aufl. (S. 207 - 208), München; Basel: Verlag Reinhardt. 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Horst Munz Amt für Soziale und Psychologische Dienste Schulpsychologische Beratungsstelle Ortenaukreis Tel.: (0 78 21) 9 19-1 20 Fax: (0 78 21) 9 19-1 99 E-Mail: horst.munz@ortenaukreis.de
