eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 53/1

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2006
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Aumerksamkeitskontrolle als Indikator der Selbstregulation und ihr Einfluss auf Schulleistungen: Ergebnisse einer Längsschnittanalyse

11
2006
Nadine Spörer
Joachim C. Brunstein
Cornelia Glaser
In einer Studie mit 195 Schülern untersuchten wir über den Zeitraum eines Schuljahrs hinweg, wie sich Selbstregulation (hier: Aufmerksamkeitskontrolle) und Schulleistung wechselseitig beeinflussen. Jeweils zu Beginn der 8. und 9. Klasse bearbeiteten die Schüler einen Fragebogen, den R. Schwarzer (1996) entwickelt hat, um individuelle Differenzen in der Selbstregulation zu messen. Als Leistungsmaße wurden die Durchschnittsnote in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch sowie das Ergebnis eines Mathematiktests (TIMSS-Aufgaben) erfasst. Pfadanalysen ergaben folgende Befunde: Hohe Selbstregulation sagte positive Veränderungen in der TIMSSLeistung vorher. Umgekehrt prognostizierten bessere TIMSS-Leistungen eine Steigerung der Selbstregulation im Verlauf eines Jahres. Ähnliche Befunde ergaben sich für die Noten: Gute selbstregulatorische Fertigkeiten sagten eine Verbesserung des Notendurchschnitts vorher; bessere Noten prognostizierten umgekehrt eine Erhöhung selbstregulatorischer Kompetenzen in der Wahrnehmung der Schüler. Theoretische Implikationen (Welche Vermittlungsprozesse mediieren die Beziehung zwischen Selbstregulation und Leistung?) und praktische Schlussfolgerungen (Wie kann Selbstregulation im Unterricht gefördert werden?) dieser Befunde werden abschließend diskutiert.
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Die Fähigkeit zur Selbstregulation spielt in nahezu allen Lebensbereichen eine zentrale Rolle. Selbstregulationsprozesse beeinflussen die schulische Leistungsentwicklung ebenso wie den beruflichen Erfolg und das Gesundheitsverhalten (Boekaerts, Maes & Karoly, 2005). Pädagogisch-psychologisch fundierte Modelle der Selbstregulation beschreiben und erklären Lernprozesse und betrachten Merkmale selbstregulierten Lernens als Einflussgrößen akademischer Leistungen (Boekaerts & Corno, 2005). Schulen kommt die Aufgabe zu, Kindern und Jugendlichen solche Lerngelegenheiten anzubieten, die lebenslanges Attention Control as Indicator of Self-Regulation and its Influence on Scholastic Achievement: Results of a Longitudinal Analysis Summary: In a longitudinal study with 195 students as participants, we investigated how self-regulation (attention control) relates to scholastic achievements. At the beginning of the eighth and the ninth grade, students were administered a questionnaire developed by R. Schwarzer (1996) to assess individual differences in self-regulation. Grade point average in German, English, and mathematics as well as students’ achievement in a math test (TIMSS tasks) served as indicators of scholastic achievement. Path analyses revealed the following results. High self-regulation predicted an increase in students’ math performance. Conversely, math performance turned out to be a positive predictor of students’ self-regulation over one year. Similar results were obtained from an analysis of students’ grades. High self-regulatory skills predicted better grades, and better grades predicted in turn an increase in students’ perception of self-regulatory skills. The article concludes by outlining theoretical implications (What kind of variables mediate the relation between selfregulation and performance? ) and practical consequences (How can the development of selfregulation be promoted through instructional approaches? ) of the reported results. Keywords: Self-regulation, attention control, scholastic achievement Zusammenfassung: In einer Studie mit 195 Schülern untersuchten wir über den Zeitraum eines Schuljahrs hinweg, wie sich Selbstregulation (hier: Aufmerksamkeitskontrolle) und Schulleistung wechselseitig beeinflussen. Jeweils zu Beginn der 8. und 9. Klasse bearbeiteten die Schüler einen Fragebogen, den R. Schwarzer (1996) entwickelt hat, um individuelle Differenzen in der Selbstregulation zu messen. Als Leistungsmaße wurden die Durchschnittsnote in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch sowie das Ergebnis eines Mathematiktests (TIMSS-Aufgaben) erfasst. Pfadanalysen ergaben folgende Befunde: Hohe Selbstregulation sagte positive Veränderungen in der TIMSS- Leistung vorher. Umgekehrt prognostizierten bessere TIMSS-Leistungen eine Steigerung der Selbstregulation im Verlauf eines Jahres. Ähnliche Befunde ergaben sich für die Noten: Gute selbstregulatorische Fertigkeiten sagten eine Verbesserung des Notendurchschnitts vorher; bessere Noten prognostizierten umgekehrt eine Erhöhung selbstregulatorischer Kompetenzen in der Wahrnehmung der Schüler. Theoretische Implikationen (Welche Vermittlungsprozesse mediieren die Beziehung zwischen Selbstregulation und Leistung? ) und praktische Schlussfolgerungen (Wie kann Selbstregulation im Unterricht gefördert werden? ) dieser Befunde werden abschließend diskutiert. Schlüsselbegriffe: Selbstregulation, Aufmerksamkeitskontrolle, Leistung ■ Empirische Arbeit Aufmerksamkeitskontrolle als Indikator der Selbstregulation und ihr Einfluss auf Schulleistungen: Ergebnisse einer Längsschnittanalyse Nadine Spörer, Joachim C. Brunstein, Cornelia Glaser Universität Gießen Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2006, 53, 1 - 11 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel 2 Nadine Spörer et al. Weiterlernen fördern. Dem Lernenden wird dabei eine aktive Rolle zugeschrieben. Die individuelle Selbstregulationskompetenz des Lernenden bestimmt, wie gut Wissenserwerbsprozesse eingeleitet und aufrechterhalten werden (Brunstein & Spörer, 2001; Friedrich & Mandl, 1995). Selbstregulationsmodellen liegt die Vorstellung zugrunde, dass akademische Leistungen mit selbstregulatorischen Aktivitäten kovariieren und dass diese Aktivitäten vor allem dann eine wichtige Rolle spielen, wenn schwierige und anspruchsvolle Aufgaben zu meistern sind (Boekaerts & Corno, 2005). Die Regulation kann dabei in zwei Richtungen erfolgen: top down und bottom up. Von Topdown-Regulation wird gesprochen, wenn die individuelle Lernmotivation zur Aneignung neuen Wissens führt und die zugehörigen Lern- und Leistungsziele Wissenserwerbsprozesse anleiten und stimulieren. Topdown-Regulation ist ein charakteristisches Merkmal selbstregulierten Lernens (Winne, 1995). Die Ziele, die Schüler im Unterricht verfolgen, sind zwar vielfältig, aber stimmen nicht immer mit den Zielen des Lehrers überein. Neben Lern- und Leistungszielen werden auch soziale Ziele (z. B. Anerkennung durch Klassenkameraden) verfolgt. In diesen Situationen können Bottom-up-Prozesse die Wissensaneignung unterstützen. Bottom-up- Regulation setzt dann ein, wenn Lernprozesse durch situationale Aspekte angeregt werden (z. B. durch vorgegebene Aufgabenstellungen). Anstelle selbst gesetzter Ziele wirken Rückmeldungen durch Lehrer und Klassenkameraden energetisierend und als Korrektiv des eigenen Lernverhaltens (Boekaerts, 1997). Gemäß dieser Unterscheidung lassen sich zwei Unterrichtssituationen skizzieren (s. a. Kuhl, 1985): Im ersten Fall gelingt es Schülern gut, eigene Lernziele umzusetzen und Lernfortschritte zu erzielen (Top-down-Regulation). Im zweiten Fall werden Schüler mit Lernzielen konfrontiert, die schwierig zu internalisieren sind. Dies ist z. B. der Fall, wenn das Thema uninteressant ist, die Aufgabe zu schwierig erscheint oder wenn konkurrierende Ziele verfolgt werden. Unter diesen Umständen helfen volitionale Strategien, die Lernintention auch unter schwierigen Bedingungen aufrecht zu halten (Corno, 2001). Zu den volitionalen Strategien zählen Maßnahmen des inneren Ressourcenmanagements, wie z. B. die Anpassung von Anstrengung, Aufmerksamkeit und Lernzeit an die jeweilige Anforderung (vgl. Wild & Schiefele, 1994). Volitionale Strategien ermöglichen es Personen, schwierige und ablenkungsanfällige Aufgaben zu meistern (Kuhl & Kraska, 1989) und Lernprozesse bei anspruchsvollen Aufgaben (z. B. Lösen mathematischer Probleme) in Gang zu halten (Vermeer, Boekaerts & Seegers, 2000). Nach Boekaerts und Corno (2005) erfüllen volitionale Strategien zwei Funktionen: Zum einen stellen sie sicher, dass es einer Person gelingt, selbst gesetzte Lern- und Leistungsziele zu erreichen (d. h. volitionale Strategien unterstützen die Top-down-Regulation). Zum anderen bewirken sie, dass Situations- und Aufgabenmerkmale (i. S. einer Bottom-up-Regulation) in den Vordergrund der Aufmerksamkeit treten und konkurrierende Ziele an Einfluss verlieren. Des Weiteren wird angenommen, dass diejenigen Lernenden, die mit Hilfe volitionaler Strategien schwierige Lernsituationen meistern, bessere Leistungen erzielen. Schiefele, Streblow, Ermgassen und Moschner (2003) fanden, dass die per Fragebogen (LIST; Wild & Schiefele, 1994) erfasste Fähigkeit, die eigene Anstrengung zu regulieren, die Vordiplomsleistungen von Studierenden vorhersagte. Ähnlich ermittelten Spörer und Brunstein (2005), dass Studierende, die sowohl Tiefenstrategien (z. B. Elaboration von Lerninhalten) als auch Regulationsstrategien (angestrengte Aufmerksamkeit) beim Lernen nutzten, die besten Ergebnisse bei einer schriftlichen Leistungsüberprüfung erreichten. Nur bei hoher Selbstregulationskompetenz wirkten sich tiefenverarbeitende Strate- Aufmerksamkeitskontrolle als Indikator der Selbstregulation 3 gien günstig auf den Lernerfolg aus. Ergebnisse in gleicher Richtung berichteten Boerner, Seeber, Keller und Beinhorn (2005) in einer Untersuchung mit Fernstudierenden. Auch hier sagten Strategien des internen (Konzentration und Zeitmanagement) und externen Ressourcenmanagements (sachliche und soziale Unterstützung) die Qualität der Studienleistungen vorher. In den berichteten Studien erwiesen sich insbesondere Strategien, welche der Aufrechterhaltung konzentrierten Lernens und Arbeitens dienen, als wichtige Einflussgrößen des Lernerfolgs. Kuhl (2000) betrachtet Aufmerksamkeitskontrolle, definiert als Fähigkeit, die Aufmerksamkeit selektiv auf die Realisierung einer aktuellen Intention auszurichten und die betreffende Intention von konkurrierenden Absichten abzuschirmen, als zentralen volitionalen Prozess, der die Realisierung absichtsvollen Handelns auch in schwierigen Passagen (z. B. bei Ablenkung) sicherstellt. Ähnlich betrachtet Schwarzer (1996) die Fähigkeit, die eigene Aufmerksamkeit auf eine aktuelle Aufgabe auszurichten und gegenüber konkurrierenden Handlungsimpulsen abzuschirmen, als zentralen Bestandteil jeder Form der Selbstregulation. Mit dieser Kompetenz sind weitere selbstregulatorische Leistungen und Überzeugungen verbunden, wie Luszczynska, Diehl, Gutierrez-Dona, Kuusinen und Schwarzer (2004) berichteten. In einer Serie von Untersuchungen, an denen Studierende und Berufstätige aus unterschiedlichen Ländern teilnahmen, fanden diese Autoren, dass eine Skala („Selbstregulation“), welche Aufmerksamkeitskontrolle als konstituierendes Merkmal der Selbstregulation erfasst, positiv mit Einschätzungen der Selbstwirksamkeit korreliert und zudem die Fähigkeit impliziert, negative Emotionen, wie z. B. depressive Affekte, zu reduzieren. Bezogen auf den schulischen Kontext fand Boekaerts (1994), dass Sekundarschüler, die über ein hohes Maß an Aufmerksamkeitskontrolle verfügten, die besten Leistungen bei Leseverständnisaufgaben erzielten. Auch wenn in bisherigen Untersuchungen sowohl querals auch längsschnittliche Zusammenhänge zwischen selbstregulatorischen Fertigkeiten und akademischen Leistungen aufgedeckt werden konnten, blieb zumeist ungeklärt, auf welche Art Selbstregulation und Leistung zueinander in Beziehung stehen. Hierzu sind drei Varianten denkbar: (a) Gute selbstregulatorische Fähigkeiten führen zu besseren Leistungen (einseitige Wirkung). (b) Gute Leistungen fördern die Fähigkeit zur Selbstregulation (einseitige Wirkung). (c) Die Wirkungen verstärken sich wechselseitig. Hohe Leistungen bedingen Zuwächse in selbstregulatorischen Fähigkeiten, die einen neuerlichen Anstieg der Leistung nach sich ziehen. Ganz im Sinne der dritten Variante (Variante c) betrachten Schunk und Ertmer (2000) Selbstregulation als eine Kompetenz, die auf früheren, erfolgsbetonten Lernerfahrungen aufbaut. Das Vertrauen in die eigenen selbstregulatorischen Fähigkeiten begünstigt dann wiederum die Lernmotivation und steigert darüber vermittelt den zukünftigen Lernerfolg. In der Folge tritt in der Wahrnehmung der handelnden Person eine Stabilisierung der Selbstregulationskompetenz auf hohem Niveau auf (zu ähnlichen Vorstellungen vgl. auch Bandura, 1989; Pintrich, 1999). Befunde von Wood und Bandura (1989) unterstützen die Gültigkeit einer solchen Kreuzwirkungshypothese. Diese Autoren konfrontierten Probanden mit einer komplexen Problemlöseaufgabe und stellten dabei fest, dass sich die Einschätzung eigener Fertigkeiten und die Höhe der individuellen Zielsetzung zunächst an früheren Leistungen bei ähnlichen Aufgaben orientierten. Bei zunehmender Erfahrung mit der Aufgabe erwies sich aber dann die im Zusammenhang mit der Aufgabenbearbeitung erlebte Selbstregulationskompetenz als maßgebliche Einflussgröße der erbrachten Leistung. 4 Nadine Spörer et al. Neben der Analyse von experimentellen Lernsituationen eigenen sich längsschnittliche Studien dafür, kognitive und motivationale Entwicklungsverläufe nachzuzeichnen, um so kausale Wirkrichtungen aufzudecken. Im Rahmen groß angelegter Schulleistungserhebungen wird zunehmend auf die Bedeutung fächerübergreifende Kompetenzen hingewiesen (Klieme, Artelt & Stanat, 2000), wobei die Bedeutung selbstregulierten Lernens besonders betont wird. Dies gilt z. B. für die PISA- Erhebungen (Baumert et al., 2001). Artelt, Stanat, Schneider und Schiefele (2001) berichteten, dass lernstrategisches Wissen eine positive Einflussgröße der Lesekompetenz darstellt. Welche Rolle selbstregulatorische Fähigkeiten im engeren Sinne für den Lernerfolg spielen, wurde jedoch nicht untersucht. Zudem beinhalten nur wenige Schulleistungsstudien mehrere Messzeitpunkte (z. B. PISA). Selbst dort, wo längsschnittliche Analysen möglich wären, wird der Zusammenhang zwischen selbstregulatorischen Fähigkeiten und schulischen Leistungen oft nur im Querschnitt überprüft (vgl. z. B. Lehmann, Peek, Gänsfuß & Husfeldt, 2002). Dieses Vorgehen gestattet keine kausalen Schlüsse und lässt die Art der Beziehung, die zwischen fächerübergreifenden Kompetenzen (hier: Selbstregulation) und der Leistungsentwicklung besteht, letztlich ungeklärt. Aus diesem Grund führten wir eine Studie durch, in der die Beziehung zwischen selbstregulatorischen Fähigkeiten und Schulleistung über einen Zeitraum von einem Schuljahr analysiert wurde. Von diesem Vorgehen versprachen wir uns wichtige Aufschlüsse bezüglich der Frage, in welcher Beziehung diese beiden Variablen zueinander stehen. Fragestellung Die vorliegende Untersuchung prüft mittels eines Kreuzkorrelationsdesigns (Rogosa, 1980) die längsschnittlichen Wirkmechanismen zwischen schulischen Leistungsindikatoren und Selbstregulationskompetenzen (hier: Aufmerksamkeitskontrolle). Die Datenerhebung umfasste zwei Zeitpunkte (1 Schuljahr). Wir nahmen an, dass sich Selbstregulation und Schulleistung wechselseitig beeinflussen können (Boekaerts, 1997; Wood & Bandura, 1989) und formulierten dementsprechend die folgende Hypothese (vgl. Abbildung 1): Unter Berücksichtigung der Merkmalsstabilitäten (r x1x2 und r y1y2 ) und der Ausgangskorrelation (r x1y1 und r x2y2 ) besteht ein positiver Kreuzzusammenhang zwischen Leistung und Selbstregulation (Pfadkoeffizienten: β x1y2 und β y1x2 ). Methode Design und Stichprobe Die Untersuchung fand im Jahr 2000 und 2001 statt. Zu Beginn des 8. und zu Beginn des 9. Schuljahrs wurden 215 Potsdamer Schüler befragt. Davon nahmen 195 Schüler (99 männlich, 96 weiblich) sowohl am ersten als auch am zweiten Messzeitpunkt teil. Die Längsschnittstichprobe setzte sich aus 93 Gymnasiasten, 67 Realschülern und 35 Gesamtschülern aus jeweils einer Schule zusammen. Alle statistischen Analysen zeigten, dass sich Schüler der Real- und Gesamtschule in ihren Angaben sehr ähnlich waren. Im Ergebnisteil werden die Daten der Real- und der Gesamtschüler da- Selbstregulation T 1 Selbstregulation T 2 Leistung T 1 Leistung T 2 r x1y1 β x1y2 β y1x2 r x2y2 r x1x2 r y1y2 Abbildung 1: Kreuzkorrelationsmodell Aufmerksamkeitskontrolle als Indikator der Selbstregulation 5 her zusammengefasst und den Angaben der Gymnasiasten gegenübergestellt. Die schriftliche Befragung fand zu beiden Messzeitpunkten während des Unterrichts im Klassenverband statt. Untersuchungsvariablen Die subjektive Einschätzung selbstregulatorischer Fertigkeiten wurde mit der Skala „Selbstregulation“ von Schwarzer (1996) erfasst. Die Skala umfasst zehn Items, die Fähigkeiten der Aufmerksamkeitskontrolle thematisieren. Andere selbstregulatorische Facetten werden mit dieser Skala nicht erfasst. Ein (typisches) Beispiel lautet: „Nach einer Unterbrechung finde ich problemlos zu einer konzentrierten Arbeitsweise zurück.“ Jedes Item wird auf einer vierstufigen Skala beantwortet. In der vorliegenden Studie ergaben sich für die Skala interne Konsistenzen ( α = .77 bzw. .83 für die Messzeitpunkte 1 und 2), die weitgehend den von Luszczynska et al. (2004) berichteten Reliabilitätskennwerten entsprachen (.73 < α < .77). 1 Zur Erfassung der schulischen Leistung wurden zum einen die Noten in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch erhoben. Zum ersten Messzeitpunkt wurden die Endjahresnoten der 7. Klassenstufe erfragt. Mit der zweiten Erhebung wurden die Endjahresnoten der 8. Klasse erfasst. Zum anderen bearbeiteten die Schüler zum ersten und zweiten Messzeitpunkt jeweils 14 Aufgaben, die der Third International Mathematics and Science Study (TIMSS) entnommen wurden (Baumert et al., 1997). Die Testaufgaben wurden nach Inhalt und Anforderungsart ausgewählt und entstammten den Stoffgebieten Zahlen und Zahlenverständnis, Messen und Maßeinheiten, Algebra, Proportionalitäten sowie Darstellung und Analyse von Daten. Ein weiteres Auswahlkriterium stellte das Antwortformat dar. Es wurden nur Aufgaben mit Mehrfachwahlantworten eingesetzt. Zum zweiten Messzeitpunkt wurden andere Aufgaben eingesetzt als zum ersten Messzeitpunkt. Die Lösungswahrscheinlichkeiten, die sich für die Potsdamer Schülerstichprobe ergaben, entsprachen weitestgehend den Werten der TIMSS-Stichprobe. Als Referenzmaß diente die deutsche Lösungswahrscheinlichkeit der jeweiligen Aufgabe für die 8. Jahrgangsstufe. Die mittlere Abweichung der Lösungswahrscheinlichkeit betrug zum ersten Messzeitpunkt |.05| und zum zweiten Messzeitpunkt |.12|. Statistisches Vorgehen Zur Klärung der Wirkmechanismen wurden die Messwiederholungswerte der interessierenden Variablen Selbstregulation und schulische Leistung zueinander in Beziehung gesetzt (Kenny & Harackiewicz, 1979). Unser Augenmerk richtete sich vor allem auf den Vergleich der Pfadkoeffizienten β x1y2 und β y1x2 . Der Zusammenhang bei Kreuzkorrelationen wird dabei aus zwei Einzeleffekten gespeist (Rogosa, 1980): Zum einen wirkt Merkmal A direkt auf Merkmal B ein. Zum anderen besteht ein indirekter Einfluss über die Stabilität der Merkmale. Mittels Pfadanalysen können die direkten und indirekten Effekte separiert werden. Liegen beide Pfadkoeffizienten auf einem vergleichbar hohen Niveau, so ist von einer wechselseitigen Beeinflussung auszugehen. Treten dagegen deutliche Unterschiede zwischen den beiden Werten auf, so spricht dies für eine einseitig gerichtete Beziehung zwischen den Variablen. Fehlende Werte Jede der interessierenden Variablen wies zwischen ein und zehn Prozent fehlende Werte auf. Die Missings wurden per Regressionsanalysen substituiert. Dazu wurde die jeweilige Variable mittels der korrespondierenden Variable des anderen Messzeitpunktes prädiziert und fehlende Werte durch vorhergesagte Werte ersetzt. Die auf dieser Grundlage berechneten Ergebnisse glichen denen, die unter Ausschluss von Probanden mit fehlenden Werten probeweise berechnet wurden. Ergebnisse Deskriptive Statistik Zunächst wurde geprüft, wie sich die Einschätzung der Selbstregulation und die schulische Leistung im Laufe eines Schuljahres veränderten. Dabei wurden Veränderungen im Niveau und in der Rangreihe der Schüler untersucht (s. Tabellen 1 und 2). Der Notendurchschnitt 2 wies die höchste Stabilität auf (r = .83), aber auch TIMSS-Leistung (r = .57) und Selbstregulation (r = .61) waren vergleichsweise stabil. Zudem veränderte sich die Höhe der Ausprägungen über die Zeit (Notendurchschnitt: F[1, 191] = 23.299, p < .001, 1 Luszczynska et al. (2004) verwendeten eine sieben Items umfassende Variante der von Schwarzer (1996) entwickelten Skala. Drei negativ formulierte Items wurden aus der Skala entfernt. In der vorliegenden Studie setzten wir hingegen Schwarzers (1996) Originalskala ein und verzichteten aufgrund zufrieden stellender Reliabilitäten auf die von Luszczynska et al. vorgenommene Kürzung. 2 Die erhobenen Noten in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch korrelierten zu beiden Messzeitpunkten hoch signifikant (Deutsch - Mathematik: r T1 = .47, r T2 = .41; Deutsch - Englisch: r T1 = .60, r T2 = .62; Mathematik - Englisch: r T1 = .42 , r T2 = .47) (p < .001), sodass eine Durchschnittsbildung sinnvoll erschien. Die Stabilitäten fielen hoch aus (Deutsch: r = .68, Mathematik: r = .63, Englisch: r = .83). 6 Nadine Spörer et al. η 2 = .11; TIMSS-Leistung: F[1,191] = 6.82, p < .01, η 2 = .03; Selbstregulation: F [1, 191] = 6.78, p < .01, η 2 = .03). Die befragten Schüler verschlechterten sich in ihrem Notendurchschnitt und erreichten im zweiten TIMSS- Test weniger Punkte als im ersten. Die Einschätzung der Selbstregulationskompetenz stieg im gleichen Zeitraum an. Es zeigte sich, dass die Ausgangswerte der drei Variablen Notendurchschnitt, TIMSS-Leistung und Selbstregulation in Abhängigkeit von der Schulform (Gymnasium vs. Nicht- Gymnasium) und dem Geschlecht variierten. Gymnasiasten erhielten bessere Noten als Nicht-Gymnasiasten; F(1, 191) = 71.93, p < .001, η 2 = .27). Die TIMSS-Leistung variierte sowohl in Abhängigkeit von der Schulform (F[1,191] = 191.69, p < .001, η 2 = .50) als auch vom Geschlecht (F[1,191] = 17.48, p < .001, η 2 = .08). Schüler des Gymnasiums zeigten die besseren Leistungen. Jungen erreichten höhere Punktzahlen als Mädchen. Außerdem schätzten Gymnasiasten ihre Selbstregulation höher ein als Nicht-Gymnasiasten (F[1,191] = 7.55, p < .01, η 2 = .04). Diese Effekte wurden in den anschließend berichteten Analysen berücksichtigt. Selbstregulation und TIMSS-Leistung Um den Zusammenhang zwischen Selbstregulation und schulischer Leistung zu analysieren, führten wir nachfolgend eine Pfadanalyse durch. In das Modell wurden neben der TIMSS-Leistung und der Selbstregulation auch Geschlecht (männlich = 1, weiblich = 0) und Schulform (Gymnasium = 1, Gesamt- und T 1 T 2 Geschlecht Schulform N M SD M SD Noten männlich Gym 41 2.26 .45 2.45 .64 GRS 58 3.10 .65 3.25 .61 weiblich Gym 52 2.33 .49 2.44 .53 GRS 44 2.85 .64 2.97 .60 TIMSS-Leistung männlich Gym 41 11.39 1.77 11.49 1.49 GRS 58 7.81 2.67 7.17 2.51 weiblich Gym 52 10.31 2.32 9.65 2.28 GRS 44 7.20 1.93 6.39 2.22 Selbstregulation männlich Gym 41 2.88 .47 2.97 .57 GRS 58 2.58 .45 2.62 .42 weiblich Gym 52 2.67 .42 2.76 .46 GRS 44 2.64 .57 2.75 .54 Anmerkung: GYM = Gymnasialschüler, GRS = Gesamt- und Realschüler. Notenskala von 1 bis 6. TIMSS- Leistung von 0 bis 14. Skala zur Selbstregulationskompetenz von 1 bis 4 Tabelle 1: Deskriptive Statistiken 1 2 3 1 Selbstregulation (.61**) .29** -.35** 2 TIMSS-Leistung .29** (.57**) -.41** 3 Notendurchschnitt -.31** -.53** (.83**) Anmerkung: ** p < .01 Tabelle 2: Interkorrelationen (T1 unterhalb der Diagonale, T2 oberhalb der Diagonale) und Test-Retest- Stabilitäten (Diagonale) Aufmerksamkeitskontrolle als Indikator der Selbstregulation 7 Realschule = 0) als Kontrollvariablen aufgenommen. TIMSS-Leistung und Selbstregulation zum zweiten Messzeitpunkt bildeten die abhängigen Variablen. TIMSS-Leistung und Selbstregulation zum ersten Messzeitpunkt sowie Schulform und Geschlecht bildeten die Prädiktoren. Abbildung 2 zeigt das durch Elimination nicht-signifikanter Pfade schrittweise optimierte Modell, dessen Anpassungsgüte zufrieden stellend ausfiel, χ 2 (3, N = 195) = 2.63, p = .45, RMR = .190, GFI = .996, AGFI = .969. Die Kreuzpfade zwischen Selbstregulation und TIMSS-Leistung erwiesen sich als signifikant. Auch unter Beachtung der Merkmalsstabilitäten sowie der Einflüsse von Schulform und Geschlecht blieben die positiven Beziehungen zwischen Selbstregulation und TIMSS-Leistung bestehen, was unsere Wechselwirkungshypothese stützt. Längsschnittlich betrachtet wurde das Erleben von Selbstregulationskompetenz durch positive Ausgangsleistungen gefördert ( β = .14). Umgekehrt übte gute Selbstregulation einen positiven Effekt auf die spätere TIMSS-Leistung aus ( β = .11). Selbstregulation und Noten Im Folgenden werden die Zusammenhänge zwischen Selbstregulation und Notendurchschnitt dargestellt. Das Vorgehen entsprach der oben beschriebenen Analyse der TIMSS- Leistung. Es wurde geprüft, ob ein Kreuzzusammenhang zwischen den Merkmalen Selbstregulation und Notendurchschnitt unter Beachtung der Merkmalsstabilitäten und der Ausgangskorrelation gesichert werden kann. Mittels Pfadanalyse und unter Kontrolle von Schulform- und Geschlechtseffekten wurden die Kreuzwirkungen geprüft. Das Modell wurde durch die Eliminierung nicht-signifikanter Pfade schrittweise modifiziert. Dies führte dazu, dass die Kontrollvariable Geschlecht im optimierten Modell nicht mehr enthalten ist. Das in Abbildung 3 dargestellte Pfadmodell wies eine gute Anpassungsgüte auf, χ 2 (2, N = 195) = 0.98, p = .61, RMR = .032, GFI = .998, AGFI = .985. In Übereinstimmung mit unserer Hypothese ließ sich der Notendurchschnitt des zweiten Messzeitpunkts durch die Selbstregulationskompetenz des ersten Messzeitpunkts vorhersagen ( β = -.13). Selbstregulation T 1 Selbstregulation T 2 TIMMS T 1 Schulform Geschlecht TIMMS T 2 .29*** .58*** -.13* .11* .14* .57*** .24*** .49*** .18*** .05 .16* .07 Abbildung 2: Pfadmodell zum Zusammenhang zwischen TIMSS-Leistung und Selbstregulation (* p < 05, ** p < .01, *** p < .001) 8 Nadine Spörer et al. Der zum ersten Messzeitpunkt erreichte Notendurchschnitt war zugleich ein Prädiktor für die 1 Jahr später gemessene Selbstregulationskompetenz ( β = -.13). Kurz gesagt bedeutet dies Folgendes: Gute Selbstregulation zog eine Verbesserung der Zeugnisnoten nach sich. Gute Noten förderten umgekehrt aber auch die Selbstregulation, wie sie von den befragten Schülern berichtet wurde. Diskussion Das Ziel dieser Studie bestand darin, den Zusammenhang zwischen Selbstregulation und schulischen Leistungen über einen signifikanten Zeitraum hinweg zu analysieren. In Anlehnung an Kuhl (2000) und Schwarzer (1996) wurde Selbstregulation als das Vermögen operationalisiert, die eigene Aufmerksamkeit auf die anliegende Aufgabe auszurichten und das eigene Lernverhalten gegenüber konkurrierenden Absichten abzuschirmen. Auf der Grundlage früherer Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen Volition und Lernen (Corno, 2001) gingen wir davon aus, dass sich Selbstregulation und Leistung wechselseitig beeinflussen können. Bisherige Untersuchungen nutzten experimentell kontrollierte Lernsituationen, um die Wirkmechanismen zwischen Selbstregulation und Leistung zu untersuchen (Wood & Bandura, 1989), oder betrachteten den Zusammenhang zwischen fächerübergreifenden Kompetenzen und schulischen Leistungsindikatoren in der Momentaufnahme von Querschnittsuntersuchungen (Artelt et al., 2001). Die berichtete Studie wurde im schulischen Kontext angesiedelt und verfolgte die Leistungsentwicklung sowie Veränderung der Selbstregulationskompetenz über ein Schuljahr hinweg. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1) Selbstregulation und Schulleistung (Notendurchschnitt und TIMSS-Leistung) wiesen ein beträchtliches Maß an Stabilität auf. 2) Selbstregulation und Leistungsindikatoren korrelierten zu beiden Messzeitpunkten bedeutsam miteinander. Schüler mit besseren Noten und höheren Punktzahlen im TIMSS-Test schrieben sich auch bessere Selbstregulationskompetenzen zu. 3) Unter Beachtung der Stabilität der Untersuchungsvariablen sowie ihrer Ausgangskorrelationen (1. Messzeitpunkt) blieben die Kreuzzusammenhänge zwischen Selbstregulation und Schulleistung signifikant, was sehr deutlich für eine wechselseitige Beeinflussung beider Merkmale spricht (d. h.: für die eingangs beschriebene Variante c). Veränderungen des einen Selbstregulation T 1 Selbstregulation T 2 Noten T 1 Schulform Noten T 2 -.31*** -.51*** -.13* -.13** .57*** .74*** -.10* .16* Abbildung 3: Pfadmodell zum Zusammenhang zwischen Noten und Selbstregulation (* p = .05, ** p < .01, *** p < .001) Aufmerksamkeitskontrolle als Indikator der Selbstregulation 9 Merkmals konnten mit dem Ausgangswert des jeweils anderen Merkmals vorhergesagt werden. Schüler, die sich zum ersten Messzeitpunkt höhere selbstregulatorische Fertigkeiten zuschrieben, verbesserten sich stärker im Notendurchschnitt und im TIMSS-Test als Schüler, die sich solche Fertigkeiten in geringerem Maße zuschrieben. Gleiches galt aber auch umgekehrt: Schüler mit positiveren Ausgangswerten in ihren Noten und im TIMSS-Test verbesserten sich in der Selbstregulation stärker als Schüler mit schlechteren Ausgangsleistungen. Diese Ergebnisse bestätigen Befunde früherer Untersuchungen (Boerner et al., 2005; Schiefele et al., 2003; Spörer & Brunstein, 2005), wonach selbstregulatorische Fertigkeiten positiv mit Lernleistungen korreliert sind. Unsere Studie geht aber in einem wichtigen Punkt über bisherige Ergebnisse hinaus: Aufgrund des Kreuzkorrelationsdesigns konnten die Wirkzusammenhänge gerichtet und über die Zeit hinweg untersucht werden. Dabei konnten direkte Effekte von indirekten Effekten getrennt werden. Dass Selbstregulation und Leistung wechselseitig aufeinander einwirken, konnte für beide Leistungskriterien (Notendurchschnitt und TIMSS- Leistung) bestätigt werden, auch wenn dabei die Ausgangskorrelation und die Kontrollvariablen Geschlecht und Schulform kontrolliert wurden. Unsere Befunde werfen weitere Forschungsfragen auf. Erstens ist zu prüfen, ob sich unsere Ergebnisse bei einer Erweiterung des Designs auf drei Messzeitpunkte replizieren (und ergänzen) lassen (vgl. dazu Rogosa, 1980). Bisher konnte gezeigt werden, dass Leistungen Zuwächse in der Selbstregulation bedingen und dass dies auch in umgekehrter Richtung gilt. Mit einer dritten Erhebung könnte überprüft werden, ob ein auf hohe Leistungsniveaus zurückgehender Anstieg der Selbstregulation in der Folge einen weiteren Anstieg der Schulleistung nach sich zieht. Zweitens sollten neben Selbsteinschätzungen auch Fremdbeurteilungen und Beobachtungsdaten in die Modellprüfung einbezogen werden. Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Angaben zu lernstrategischen Kompetenzen in Abhängigkeit vom Untersuchungsinstrument stark variieren können (Artelt, 2000; Patrick & Middleton, 2002). In diesem Zusammenhang ist die Validität von Fragebogenaussagen immer wieder angezweifelt worden. Um das hier vorgestellte Modell noch stringenter zu überprüfen, wäre es sinnvoll, selbstregulatorische Fertigkeiten mit unterschiedlichen Verfahren zu erfassen (z. B. auch durch handlungsnahe Beobachtungsdaten), um so die Methodenabhängigkeit der Ergebnisse überprüfen zu können. Drittens ist die Frage der Mediation noch ungeklärt (Wie kommt der Zusammenhang zwischen Selbstregulation und Leistung zustande? ). Hierfür bieten sich handlungsnahe kognitive und motivationale Merkmale des Lernverhaltens an. Luszczynska et al. (2004) berichteten, dass selbstregulatorische Fertigkeiten positiv mit Selbstwirksamkeitserwartungen verbunden sind. Spörer und Brunstein (2005) fanden, dass Lernstrategien effektiver eingesetzt werden, wenn die Fähigkeit zur Selbstregulation (Kontrolle von Aufmerksamkeit und Anstrengung) hoch ausgeprägt ist. Denkbar ist allerdings auch, dass Aufmerksamkeitskontrolle bei praktisch allen anspruchsvollen und ablenkungssensitiven Aufgaben direkt auf die Leistung einwirkt. Um ein vollständigeres Bild von leistungsrelevanten Merkmalen der Selbstregulation zu erhalten, ist es zudem erforderlich, weitere Komponenten, wie Emotions- und Motivationskontrolle (vgl. Kuhl, 2000) in die Analysen einzubeziehen. Viertens sollte überprüft werden, inwieweit das hier unterbreitete Modell auch auf andere Altersstufen und Schülergruppen generalisiert werden kann. In letzter Zeit wird das Fehlen bzw. der Aufbau selbstregulatorischer Kompetenzen gerade auch im Zusammenhang mit der spezifischen Förderung leis- 10 Nadine Spörer et al. tungs- und lernschwacher Schüler diskutiert (Glaser & Brunstein, 2004; Spörer & Brunstein, 2004). Hier bietet es sich an, Interventionen zu implementieren, die auf eine Steigerung der Selbstregulation abzielen, um sodann die Interventionseffekte auf die Entwicklung der Schulleistung zu überprüfen. Die vorliegenden korrelationsstatistischen Befunde bedürften der Ergänzung und Erweiterung durch Interventionsstudien mit (quasi-) experimentellen Designs. Damit sind bereits die praktischen Implikationen unserer Befunde angesprochen. Die berichteten Ergebnisse stützen Förderkonzepte, die neben dem Aufbau kognitiver Strategien des Wissenserwerbs auch metakognitive und ressourcenorganisierende Strategien berücksichtigen. Zimmerman, Bonner und Kovach (1996) haben Trainingsprogramme zur Förderung strategischen Denkens und Lernens im Kontext des Schulunterrichts vorgelegt, die selbstregulatorische Kompetenzen integrieren, um sie für den Aufbau spezifischer Fertigkeiten (z. B. Leseverständnis) zu nutzen. Butler (1998) und Perry, VandeKamp, Mercer und Nordby (2002) beschreiben, wie sich solche Förderkonzepte auf der Ebene der Schulentwicklung und Lehrerfortbildung implementieren lassen. Merkmale wie Zielsetzung, Handlungsplanung, Selbstbeobachtung und Selbstbewertung mögen sich dafür eignen, die Entwicklung planvollen Lernens und effektiven Arbeitens zu unterstützen. Ihre Effekte sollten daher auch auf der Ebene relativ stabiler Personenmerkmale (hier: Aufmerksamkeitskontrolle) geprüft werden, und zwar schon deshalb, weil solche (wünschenswerten) Effekte die Nachhaltigkeit der Intervention beeinflussen könnten. Unsere Ergebnisse zeigen, dass das Vertrauen in die Fähigkeit, die eigene Aufmerksamkeit auf die jeweils anliegende Aufgabe zu konzentrieren, eine wichtige Rolle für den schulischen Erfolg spielt (s. a. Helmke, 1992) - aber auch umgekehrt, dass positive Schulleistungen einen günstigen Einfluss auf die Entwicklung der Selbstregulation ausüben. Unterrichts- und Trainingsmodelle, welche die Förderung der Selbstregulation mit dem Aufbau fachspezifischer Kenntnisse und Fertigkeiten kombinieren, dürften der Wechselseitigkeit dieser Beziehung am besten gerecht werden, um eine solide Basis für eine gelingende Schullaufbahn herzustellen. Literatur Artelt, C. (2000). Wie prädiktiv sind retrospektive Selbstberichte über den Gebrauch von Lernstrategien für strategisches Lernen? Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 14, 72 - 84. Artelt, C., Stanat, P., Schneider, W., & Schiefele, U. (2001). Lesekompetenz: Testkonzeption und Ergebnisse. In J. Baumert, E. Klieme, M. Neubrand, M. Prenzel, U. 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