eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 53/4

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
101
2006
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Arbeitsgedächtnisleistungen bei unterschiedlich guten Rechnern im Kindergartenalter

101
2006
Gabi Ricken
Annemarie Fritz
Es wurde die Frage untersucht, ob Kinder mit sehr guten mathematischen Leistungen über besser entwickelte, leistungsfähigere Arbeitsgedächtnissysteme verfügen. Gestützt auf das Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley (1986) wurde dies für das Subsystem der phonologischen Schleife und die zentrale Exekutive überprüft. Im ersten Schritt wurden die Arbeitsgedächtnisleistungen von Kindern gegenübergestellt, die in einem Rechentest sehr gute Leistungen (PR > 88) versus durchschnittliche Leistungen (38 < PR< 62) zeigten. Im zweiten Schritt wurden die mathematischen Leistungen im Zusammenhang mit der Intelligenz der Kinder analysiert. Dafür wurden Kinder mit hoher (IQ > 125) und durchschnittlicher (IQ 85 – 115) Intelligenz verglichen. Sehr gute mathematische Leistungen erreichten Kinder mit hoher als auch durchschnittlicher Intelligenz. Vergleicht man die Arbeitsgedächtnisleistungen der Kinder mit hoher und durchschnittlicher mathematischer Leistung, zeigen sich Unterschiede. Bezieht man die Intelligenz ein, reduzieren sich diese. Nur Kinder mit sehr guten mathematischen Leistungen und überdurchschnittlicher Intelligenz verfügen über besser entwickelte Arbeitsgedächtnissysteme. Sehr gute mathematische Leistungen sind jedoch auch ohne diese Leistungsvorteile möglich, was auf den Einsatz effektiverer Strategien verweist.
3_053_2006_4_0004
Ausgangslage Die vorliegende Studie ist im Rahmen eines Forschungsprojektes entstanden, in dem die Entwicklung mathematischer Kompetenzen im Vorschul- und frühen Grundschulalter untersucht wird. Die Bedeutung der Frage resultiert aus der großen interindividuellen Stabilität (Weinert & Stefanek, 1997) und der hohen prognostischen Bedeutsamkeit früher mathematischer Leistungen, die bis zum Ende der Grundschulzeit nachzuweisen sind (Krajewski, 2003; Krajewski & Schneider, 2006, in diesem Band). Working Memory Functions in Children with Different Arithmetical Performance at Kindergarten Summary: This study was conducted in order to examine the idea that the working memory system of children who do very well in mathematics has more plasticity and shows better performance than that of children who do poorer in mathematics. Based on Baddeley’s model of working memory (Baddeley, 1986) functions of the central executive and the subsystem of phonological loop were analyzed. First the performances in working memory for children with top performance in mathematics (PR > 88) versus average performance (PR 38 < PR < 62) in mathematics were compared. Furthermore the relationship between intelligence and mathematics was analyzed. Scores for children with high intelligence (IQ = > 125) versus averaged intelligence (IQ 85 - 115) were computed. Top performances in mathematics were produced by children with high abilities in intellectual functioning as well as average abilities. The performance of children with top and average mathematical achievement in working memory tasks was compared. The findings suggest that the working memory of children with top scoring achievement in the field of mathematics is not fundamentally better developed but these children seem to be able to use that system much better than others, probably because of having access to much more effective strategies. Keywords: Central executive, articulatory loop, competence levels, preschool age, giftedness Zusammenfassung: Es wurde die Frage untersucht, ob Kinder mit sehr guten mathematischen Leistungen über besser entwickelte, leistungsfähigere Arbeitsgedächtnissysteme verfügen. Gestützt auf das Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley (1986) wurde dies für das Subsystem der phonologischen Schleife und die zentrale Exekutive überprüft. Im ersten Schritt wurden die Arbeitsgedächtnisleistungen von Kindern gegenübergestellt, die in einem Rechentest sehr gute Leistungen (PR > 88) versus durchschnittliche Leistungen (38 < PR < 62) zeigten. Im zweiten Schritt wurden die mathematischen Leistungen im Zusammenhang mit der Intelligenz der Kinder analysiert. Dafür wurden Kinder mit hoher (IQ > 125) und durchschnittlicher (IQ 85 - 115) Intelligenz verglichen. Sehr gute mathematische Leistungen erreichten Kinder mit hoher als auch durchschnittlicher Intelligenz. Vergleicht man die Arbeitsgedächtnisleistungen der Kinder mit hoher und durchschnittlicher mathematischer Leistung, zeigen sich Unterschiede. Bezieht man die Intelligenz ein, reduzieren sich diese. Nur Kinder mit sehr guten mathematischen Leistungen und überdurchschnittlicher Intelligenz verfügen über besser entwickelte Arbeitsgedächtnissysteme. Sehr gute mathematische Leistungen sind jedoch auch ohne diese Leistungsvorteile möglich, was auf den Einsatz effektiverer Strategien verweist. Schlüsselbegriffe: Zentrale Exekutive, phonologische Schleife, mathematische Kompetenzen, Vorschulalter, Hochbegabung ■ Empirische Arbeit Arbeitsgedächtnisleistungen bei unterschiedlich guten Rechnern im Kindergartenalter Gabi Ricken Annemarie Fritz Universität Hamburg Universität Duisburg-Essen Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2006, 53, 263 - 274 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel 264 Gabi Ricken, Annemarie Fritz Ein Ziel des Projekts besteht dabei darin, Meilensteine oder „Nadelöhre“ zu identifizieren, die sich als wesentliche Kompetenzen im Entwicklungsverlauf in dem Sinne erweisen, als dass sich daran Entwicklungsbeeinträchtigungen oder auch -fortschritte erkennen lassen. In diesem Rahmen wurde ein Entwicklungsmodell zum Rechnen lernen auf der Basis der Theorien von Karen Fuson und Lauren Resnick entwickelt, das Grundlage für die Konstruktion der Testversion ist (Mathematische Kompetenzen im Vorschulalter, Ricken & Fritz, i. V.), die in der vorgelegten Studie verwendet wurde. Über das fertigkeitsspezifische Vorwissen - als entscheidendem Prädiktor - hinaus (z. B. Gaupp, 2003; Krajewski 2003), trägt die Einbeziehung kognitiver Basisfähigkeiten zur weiteren Varianzaufklärung bei. In diesem Sinne sind Untersuchungen zum Einfluss der Verarbeitungskapazität (Gedächtnisspanne und Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung) von Bedeutung. Aktuelle Untersuchungen belegen, dass bei Kindern trotz durchschnittlicher Intelligenz Defizite im Arbeitsgedächtnis als jener kognitiven Struktur nachweisbar waren, die das Bewussthalten und Verarbeiten von Informationen ermöglicht, und dass diese die Entwicklungen des Lesens, Schreibens und Rechnens zu erschweren scheinen (z. B. Hasselhorn & Marx, 2000; Krajewski, 2003; Gaupp, 2003; Pickering & Gathercole, 2004; Grube 2006). Im Gegenzug ist zu prüfen, ob bei akzelerierten Entwicklungen Vorteile in der Leistungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses bestehen. Allgemein wird von einer effektiveren Nutzung des Arbeitsgedächtnisses und einem schnelleren Zugriff auf Wissensinhalte ausgegangen (Perleth, 2001), wobei diese Annahmen bisher nicht geprüft sind. In der vorzustellenden Studie wird dieser Zusammenhang zwischen akzelerierter mathematischer Leistung und Arbeitsgedächtnisleistungen im Vorschulalter geprüft, einer Entwicklungsphase, in der Weichen für den frühen Wissensaufbau und Kompetenzerwerb gestellt werden. Im Zentrum steht die Frage, ob Kinder mit gut entwickelten mathematischen Kompetenzen im Vorschulalter über leistungsfähigere Arbeitsgedächtnissysteme als Kinder mit durchschnittlichen mathematischen Vorkenntnissen verfügen. Wie sich diese beiden Fähigkeiten gegenseitig bedingen, kann nur in längsschnittlich angelegten Studien geklärt werden. In der darzustellenden Pilotstudie wurde geprüft, ob sich überhaupt systematische Befunde für den Zusammenhang von Arbeitsgedächtnisleistungen und sehr guten Rechenleistungen im Vorschulalter finden lassen. Ist dies der Fall, dann können gestützt auf diese Befunde weitere Hypothesen generiert werden. Weitere Fragen wären dann z. B., ob die Kompetenzentwicklung ihrerseits die Leistungsfähigkeit der Arbeitsgedächtnissysteme verändert, da von wechselseitigen Beeinflussungen in der Entwicklung von Arbeitsgedächtnis, Wissensbasis und Strategienutzung auszugehen ist (Grube, 2005). Auch die Frage des Einflusses der Arbeitsgedächtnissysteme im Verlauf verschiedener Rechenprozesse ist zu beobachten. Im Folgenden werden zunächst theoretische Annahmen zum Arbeitsgedächtnis skizziert, die die Basis für die Konstruktion der in dieser Studie verwendeten Aufgaben darstellen. Ausgehend von Befunden zum Zusammenhang zwischen Rechen- und Arbeitsgedächtnisleistungen wird dann der Zugang zur Erfassung mathematischen Vorwissens dargelegt. Arbeitsgedächtnissysteme nach Baddeley Das Modell von Baddeley (1986, 1996 a) stellt mit seinen drei postulierten Arbeitsgedächtnissystemen eine differenzierte Basis dar, für die empirische Evidenzen erbracht wurden (Baddeley & Logie, 1999). Es werden zwei Subsysteme, die die Information während der Bearbeitung von Aufgaben präsent halten, und ein übergeordnetes System - die zentrale Exekutive - unterschieden. Entwicklungsstand exekutiver Funktionen 265 Für die beiden Subsysteme wird eine Kapazitätsbegrenzung und eine Modalitätsspezifik angenommen. In der phonologischen Schleife werden Informationen in einem phonologischen Speicher aufrechterhalten und durch artikulatorische Rehearsalprozesse wiederholt. Für die Leistungsfähigkeit dieser Schleife ist die Geschwindigkeit und der Automatisierungsgrad der Rehearsalprozesse entscheidend (Hasselhorn, Grube & Mähler, 2000). Die Speicherung visueller bzw. räumlicher Informationen erfolgt in einem Speicher, der als visuell-räumlicher Notizblock bezeichnet wird. Er speichert sowohl statische Merkmale wie Formen als auch Bewegungssequenzen. Beide Hilfsspeichersysteme werden durch die zentrale Exekutive während der Aufgabenbearbeitung koordiniert und kontrolliert. Außerdem werden der zentralen Exekutive folgende Funktionen zugeordnet: Ausrichtung der Aufmerksamkeit, Aktivierung von Wissen im Langzeitgedächtnis und Auswahl von Strategien (vgl. Baddeley 1996 b). Im Folgenden werden einige Befunde skizziert, die Zusammenhänge zwischen diesen Arbeitsgedächtnisleistungen und mathematischen Kompetenzen belegen. Befunde zum Zusammenhang von Arbeitsgedächtnisleistungen und mathematischen Leistungen Vergleicht man die Studien, so zeigt sich, dass mit unterschiedlichen Altersgruppen und unterschiedlichen mathematischen Anforderungen (Kopfrechenaufgaben, Grundrechenarten, auch fortgeschrittene Operationen) gearbeitet wurde und die Befunde kein einheitliches Bild ergeben (Gaupp, 2003; Landerl, Bevan & Butterworth, 2004; Grube 2006). Korrelativ ausgerichtete Studien zeigen ebenso wie Gruppenvergleiche (rechenschwache und normalentwickelte Kinder) mehrheitlich, dass schwächere Rechenleistungen mit schwächeren Leistungen in allen drei Arbeitsgedächtnissystemen - insbesondere der zentralen Exekutive - einhergehen (Gaupp, 2003; Grube, 2006). Es wird angenommen, dass die phonologische Schleife während des Rechenprozesses Aufgabeninformationen und Zwischenergebnisse speichert, wohingegen Rechenprozesse selbst von der Leistungsfähigkeit der zentralen Exekutive hinsichtlich der Aufmerksamkeitsausrichtung, der Koordination oder des Abrufs von Ergebnissen aus dem Langzeitgedächtnis beeinflusst werden (Seitz & Schumann-Hengsteler, 2002). Wird z. B. durch eine zweite Aufgabe (Doppelaufgabenparadigma) die Ressource der zentralen Exekutive beansprucht, zeigt sich eine Verschlechterung der Lösungshäufigkeit bei einfachen Rechenaufgaben. Dies konnte Grube (2006) bei jüngeren Grundschulkindern bzw. bei Kindern, die aufwändige Rechenstrategien (Zählstrategien) benutzen, nachweisen. Fürst und Hitch (2000) legten ähnliche Befunde für die mentale Addition dreistelliger Zahlen vor, Seitz und Schumann-Hengsteler (2000) wiesen dies für die mentale Multiplikation von einmit zweistelligen Zahlen nach. Die phonologische Schleife scheint insbesondere bei komplexeren Aufgaben (schriftliches Rechnen) oder aber beim Wissensaufbau eine Rolle zu spielen, folgt man den Daten von Grube (2006). Bei schwachen Rechnern mit durchschnittlicher Intelligenz sind Defizite in den Arbeitsgedächtnisleistungen neben den Beeinträchtigungen im basisnumerischen Wissen zu beobachten (z. B. Gaupp, 2003). Dies ist eine Seite der Betrachtung. Die andere ist die Frage danach, wie Kinder zur Verfügung stehende Ressourcen einsetzen. Aufwändige Rechenstrategien wie Zählstrategien beanspruchen diese stärker als effektivere Strategien - vor allem scheint dies für die Ressourcen der zentralen Exekutive zu gelten (Grube, 2006). Umgekehrt ist dann aber auch eine Entlastung der Ressourcen bei zunehmender Automatisierung von Informationsverarbeitungsprozessen, effektiven Strategien bzw. einem schnellen Zugriff auf Wissensinhalte zu erwarten. Befunde in dieser Richtung fand Ehlert (2006), die fünf- und sechsjährigen Vor- 266 Gabi Ricken, Annemarie Fritz schulkindern ein komplexes Set von Aufgaben vorgab (mathematische Anforderungen: z. B. Zählen, Seriationsaufgaben, simultane Mengenerfassung; Arbeitsgedächtnisaufgaben: Zahlennachsprechen vorwärts, rückwärts, Kunstwörter nachsprechen, Corsi-Block). Die Ergebnisse der Pfadanalysen zeigen bemerkenswerte quantitative Verschiebungen in dem Sinne, dass bei den älteren Kindern weniger Beziehungen zwischen den Leistungen beim Zahlennachsprechen rückwärts (zentrale Exekutive) und den Rechenaufgaben bestehen (nur noch simultanes Mengen erfassen) als bei jüngeren (Zahlen, Transkodieren, Seriationsaufgaben). Es liegt nahe, darin den Befund von Grube (2006) wiederzuerkennen: Steigende Leistungsfähigkeit in den mathematischen Kompetenzen trägt zur Entlastung der zentralen Exekutive bei. Damit rücken Prozesse der Kompetenzentwicklung in den Blickpunkt, für deren Analyse Modellvorstellungen erforderlich sind. Was macht die Anforderung der Aufgaben aus? Welche Einsichten sind auf Seiten der Kinder nötig? Was verändert sich in der Kompetenzentwicklung? Welche Arbeitsgedächtnisressourcen sind dafür erforderlich? In der vorliegenden Studie sollen zunächst die Voraussetzungen für die Bearbeitung der oben aufgeworfenen Fragen geklärt werden, indem zuerst einmal nach dem Zusammenhang zwischen guter mathematischer Leistungsfähigkeit im Vorschulalter Arbeitsgedächtnisleistungen dieser Kinder gefragt wird. Fragestellung Geprüft wird, ob Kinder mit sehr guten mathematischen Vorkenntnissen bereits im Vorschulalter bessere Arbeitsgedächtnisleistungen zeigen als Kinder mit durchschnittlich entwickelten Kenntnissen. Dies wird für die zentrale Exekutive und für die phonologische Schleife untersucht. Da gute mathematische Vorkenntnisse mit einer hohen Intelligenzausprägung einhergehen können, wird diese Variable in einem zweiten Auswertungsschritt einbezogen. Einerseits werden exzellente Leistungen von den Kindern erwartet, die nach Rost (2000) über eine sehr hohe Ausprägung der allgemeinen Intelligenz (IQ über 130) im Sinne des Spearman’schen Generalfaktors verfügen (Hochbegabte). Andererseits können Kinder auch mit durchschnittlicher Intelligenz herausragende mathematische Leistungen (operationalisiert über die Rohwertsummen in der eingesetzten Testversion) zeigen (Hochleistende). Die Arbeitsgedächtnisleistungen hochbegabter und hochleistender Kinder werden mit durchschnittlich intelligenten und durchschnittlich guten Rechnern verglichen. Methode Stichprobe und Versuchsplan Als Ausgangsstichprobe wurden 60 Kinder aus fünf Kindergärten im Alter von fünf und sechs Jahren untersucht. Um Stichprobeneffekte durch eine gezielte Auswahl spezifischer Kinder zu vermeiden, wurden möglichst alle Kinder einer Gruppe getestet, für die Zustimmungen der Eltern vorlagen. Da sich die fünf- und sechsjährigen Kinder nicht signifikant in den Punktwerten der mathematischen Aufgaben unterschieden, wurden diese in der weiteren Analyse zusammengefasst. Des Weiteren wurde eine Gruppe (n = 20) von fünf- und sechsjährigen Kindern getestet, die in Einrichtungen zur Förderung hochbegabter Kinder vorgestellt worden waren. Da bisher keine Normwerte vorliegen, wurde die Unterscheidung der mathematischen Leistungen anhand der Verteilung der Rohwertsummen in der Testversion vorgenommen. Dabei wurden Kinder mit einem IQ über 125 ausgeschlossen. Als überdurchschnittliche mathematische Leistungen gelten jene, die im obersten halben Quartil liegen, also Rohwerte, die einem Prozentrangwert von 88 und besser entsprechen. Zur Gruppe der durchschnittlichen Rechner wurden die Kinder der mittleren beiden Quartilhälften gezählt (Prozentrangwert zwischen 38 und 62). Für den ersten Vergleichsschritt wurden 19 Kinder mit überdurchschnittlichen und 22 Kinder mit durchschnittlichen Rechenleistungen in ihren Arbeitsgedächtnisleistungen verglichen. Die Tabelle 1 zeigt die Merkmale dieser Stichproben. Für die zweite Analyse wurde die Kindergruppe nach der Intelligenz differenziert. Die Bestimmung der Intelligenz erfolgte anhand des IQ- Wertes für die Summen der Subtests 3, 4 und 5 des CFT 1 (Cattell, Weiß & Osterland, 1997). Kinder Entwicklungsstand exekutiver Funktionen 267 mit IQ-Werten im Bereich von 85 bis 115 bilden die Gruppe der durchschnittlich intelligenten Kinder. Die Gruppe der Hochbegabten wurde aus den Kindern zusammengesetzt, deren IQ-Werte über 125 und damit über dem Konfidenzintervall (95 %) eines Kindes mit maximalem Durchschnittswert (115 +/ - 9,3 IQ-Punkte) lagen. Damit wurde zugunsten einer größeren Teilstichprobe das strenge Kriterium für die Hochbegabung etwas unterschritten. Durch diese Gruppenbildung und -trennung reduziert sich die Stichprobe im zweiten Auswertungsschritt um den Anteil der Kinder, die in ihren Intelligenz- und Rechenleistungen zwischen den gebildeten Gruppen lagen. Sie setzt sich folgendermaßen zusammen (siehe Tabelle 2). Die Untersuchungen wurden in je zwei Einzelsitzungen von ca. einer Stunde durchgeführt. Dabei wurde die Reihenfolge der Aufgaben in der Ausgangsstichprobe ausbalanciert. Anforderungen Die Aufgaben des Rechentests „Mathematische Kompetenzen im Vorschulalter“ (Ricken & Fritz, i. V.) wurden entsprechend der Entwicklungsstufentheorie von Fuson (Fuson, Richards & Briars 1982; Fuson & Hall 1983; Fuson 1988, 1992 a, 1992 b) konstruiert. Die Entwicklung wird dabei als Veränderung entlang von fünf „Stufen“ beschrieben, die nicht sukzessiv aufeinander aufbauen, sondern sich überlappend entwickeln - vergleichbar mit den Lösungsstrategien beim Addieren (Siegler, 1987). Gewissermaßen „quer“ zu diesen Entwicklungen findet die Erweiterung der jeweiligen Zahlenräume statt, wie Rinkens, Eilerts und Schaper (2004) dies für Erstklässler nachwiesen. Die Stufen und die Aufgaben, die zur Operationalisierung dienen, werden kurz skizziert bzw. beispielhaft vorgestellt. Stufe I (string level): Auf der ersten Stufe findet nach Fuson lediglich das „Aufsagen“ eines Teils der Zahlwortfolge statt, wobei die Kinder mit den Zahlen noch keine spezifischen Bedeutungen verbinden. Dies geschieht spontan, aus Spaß an der Sprachproduktion oder wenn die Kinder dazu aufgefordert werden. Nach Gelman und Gallistel (1978) konnten die meisten Zweijährigen die Zahlwortreihe von 1 - 3 korrekt aufsagen, danach führten sie diese fehlerhaft und unterschiedlich fort. Da der Test für den Altersbereich ab vier Jahren konstruiert wurde, ist nur eine Aufgabe enthalten, die diese erste Stufe abbildet und als Eisbrecheraufgabe dient. Die Kinder wurden gebeten, so weit zu zählen, wie sie konnten. Stufe II (Unbreakable List Level): Im nächsten Schritt werden Zahlworte mit Objekten verknüpft. Dies erfolgt über ein 1-zu-1-Zuordnen, indem die Zahlwortreihe von eins an beginnend aufgesagt wird. Kinder verstehen auf dieser Ebene, dass sie, Mathematisch durchschnittlich Überdurchschnittlich Kompetenzen 12 - 20 Punkte über 29 Punkte N 22 19 Alter in Monaten 69.5 (7.1) 72 (4) IQ 109.5 (14) 127.0 (10) Matheleistung 15.0 (2.6) 33 (1.5) Tabelle 1: Zusammensetzung der Teilstichproben sehr gute und durchschnittlich rechnende Kinder: Anzahl, Alter, IQ und Matheleistung - Median (halber Quartilabstand) Intelligenz durchschnittlich Intelligenz überdurchschnittlich (IQ: 85 - 115) (IQ größer 125) Mathematisch durchschnittlich überdurchschnittlich durchschnittlich überdurchschnittlich Kompetenzen (12 - 20 Punkte) über 29 Punkte (12 - 20 Punkte) über 29 Punkte N 12 5 4 12 Alter in Monaten 69.6 (7.9) 69.0 (4.0) 71.5 (5.0) 76.5 (4.5) IQ 98 (9.1) 100 (4.0) 126 (2.3) 132 (2.8) Matheleistung 13 (3.4) 30 (1.0) 15.5 (2.0) 33.0 (0.9) Tabelle 2: Zusammensetzung der Teilstichproben nach Matheleistung und Intelligenz: Anzahl, Alter, IQ und Mathematikleistung - Median (halber Quartilabstand) 268 Gabi Ricken, Annemarie Fritz je weiter sie in der Zahlwortreihe fortschreiten, umso mehr Objekte gezählt haben. Die Zahlwortreihe wird zum ordinalen Zahlenstrahl (Resnick, 1983), auf dem sich die Kinder „bewegen“. Vorgänger- und Nachfolgerzahlen sind bestimmbar, Mengen können ausgezählt und Textaufgaben der Form a + b = c bearbeitet werden, immer von eins an zählend. Geprüft wurde dies z. B. durch folgende Testaufgaben: Wie heißt die Zahl, die vor der 5 kommt? Kannst du die Punkte (9) zählen? Oder auch: Lukas hat zwei Bausteine. Paul gibt ihm noch zwei dazu. Wie viele Bausteine hat Lukas jetzt? Die Schwierigkeiten liegen für diese Itemgruppe zwischen .70 und .85. Stufe III (Breakable Chain Level nach Fuson): Auf dieser Stufe wird die Mächtigkeit der Menge („the manyness“; Fuson & Hall, 1983, S. 58) als die Anzahl der in ihr enthaltenen Elemente verstanden. Vorgänger- und Nachfolgerbeziehungen werden nun auch in kardinaler Relation verstanden, in der der Abstand zwischen Vorgänger und Nachfolger je 1 beträgt. Der Zahlenstrahl ist so ein metrischer, Zahlworte werden in ihrem Kardinalwert interpretiert. Eine Integration von Zähl- und Kardinalzahl zeigt sich darin, dass Zähl- und Kardinalzahlen wechselseitig aufeinander bezogen werden können. Aus der Zählzahl wird die Kardinalzahl bestimmt (count-to-cardinal transition) und aus der Menge (Kardinalzahl) werden Objekte abgezählt (cardinalto-count transition). Damit sind die Voraussetzungen für Aufgaben gegeben, in denen aus einer Ausgangsmenge eine Teilmenge abgezählt werden muss. Um dieses Wissen zu prüfen, wurden die Kinder gebeten, rückwärts zu zählen, fehlende Mengen in einer vorgegebenen Reihe zu ergänzen oder herauszufinden, welche Zahl um eins kleiner ist als drei. Die Schwierigkeitswerte dieser Aufgaben liegen zwischen .6 und .4. Stufe IV (Numerable Chain Level nach Fuson): Auf dieser Stufe stellt jedes Zahlwort eine zählbare Einheit dar. „Drei“ kann bedeuten: „eins-zweidrei“ aber auch „sechs-sieben-acht“. „Drei“ bezeichnet einen bestimmten Abstand auf einem Zahlenstrahl, der beliebig verschoben werden kann (relationaler Zahlbegriff). Dies erlaubt ein Weiterzählen um eine bestimmte Anzahl von beliebigen Startpunkten aus. Mit der letzten Itemgruppe des Tests, deren Schwierigkeiten unter .4 lagen, wurde dieses relationale Verständnis geprüft. Beispiele für Aufgaben sind: Wie heißt die Zahl, die um zwei größer ist als 7? Welche Menge von zwei vorgegebenen ist größer und um wie viele Elemente ist sie größer? Weiterhin gehören zu dieser Stufe Textaufgaben, die den so genannten compare-Aufgaben zuzuordnen sind: Die Affen im Zoo möchten schaukeln. Es gibt eine Schaukel und drei Affenkinder. Wie viele Schaukeln gibt es weniger als Affenkinder? Stufe V (truly numerical counting nach Fuson): Da die Fähigkeiten, die auf dieser Stufe liegen, hauptsächlich im Grundschulalter entstehen, wurden in der verwendeten Testversion hierzu keine Operationalisierungen vorgenommen. Der Vollständigkeit halber sei jedoch das Wesentliche hervorgehoben. Jedes Zahlwort wird als eigene Einheit aufgefasst, die einerseits ihren Platz in der Zahlwortreihe hat und andererseits die Menge aller vorausgegangenen Zahlworte umfasst (Resnick, 1983). Damit wird eine wesentliche konzeptuelle Erweiterung möglich: Wenn Zahlen ihre Vorgänger beinhalten, bedeutet das, dass sie aus anderen Zahlen zusammengesetzt sind. Das Erreichen dieser Stufe ermöglicht den Kindern flexible Lösungen. Im Tripel: 2 - 5 - 7 ist 7 das Ganze und 2 und 5 sind die Teile. Diese Beziehung bleibt bestehen, egal ob das Problem als 5 + 2 = ? ; 7 - 5 = ? ; 7 - 2 = ? ; 2 + ? = 7 oder ? + 5 = 7 gegeben wird (vgl. Resnick, 1983). Mit dem Verständnis dieses Zusammenhangs werden sämtliche Aufgaben des Typs: a +/ b = ? ; a +/ - ? = c; und ? +/ b = c für die Kinder gleich schwierig, wohingegen ohne das Verständnis des Teil-Teil-Ganzes Zusammenhangs Aufgaben mit unbekannter Anfangsmenge unlösbar bleiben (Resnick, 1983). Diese Interpretation von Zahlen als aus Teilen zusammengesetzte Mengen stellt den bedeutsamsten konzeptuellen Fortschritt innerhalb der ersten Schuljahre dar (Gerster, 2003). Aus den Ergebnissen der Untersuchungen, in denen Sachaufgaben systematisch variiert werden, ist zu erkennen, dass sich dieses Verständnis weit ins Grundschulalter hinein entwickelt (Stern, 1997). Die Validierung dieser Stufen erfordert nicht nur die Auswertung der Lösungshäufigkeiten der Aufgaben, sondern auch die Bewertung von Lösungsstrategien. Auf diese Analysen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. Zu belegen ist jedoch, dass sich die Stufen im Schwierigkeitsanstieg der Aufgaben wieder finden lassen und damit eine brauchbare Konstruktionsbasis darstellen. Für die vorliegende Analyse erwies sich die Auswertung der quantitativen Ausprägungen der mathematischen Leistungen als ausreichend. Insgesamt wurden 34 Aufgaben verwendet, deren richtige Lösung mit je einem Punkt bewertet wurde. Die Trennschärfen der Aufgaben liegen abgesehen von der ersten Aufgabe, die von allen Kindern bewältigt wurde, zwischen .4 und .8. Die Schwierigkeiten verteilen sich ebenfalls angemessen im Bereich von 1 bis .22. Die Aufgabenreihe weist eine Reliabilität von .94 (Cronbachs Alpha) auf. Als abhängige Variablen wurden für die Prüfung der zentralen Exekutive zwei Aufgaben verwendet Entwicklungsstand exekutiver Funktionen 269 (vgl. Hasselhorn et al. 2003). Mit dem Zahlennachsprechen rückwärts wurde die Koordinationsleistung operationalisiert. Die Aufgabe besteht darin, dass Reihen aus zwei oder drei Zahlen vorgesprochen werden und vom Kind in umgekehrter Reihenfolge zu wiederholen sind. Es wurden insgesamt 13 Zahlenreihen verwendet, für jede richtig wiederholte Reihe wurde ein Punkt vergeben. Mit der Hörspannenaufgabe wird die Aktivierung von Wissen im Langzeitgedächtnis (Entscheidung über Sätze) und die gleichzeitige Speicherung von Information (Wortreihen) geprüft. Verwendet wurde eine Aufgabe, die der Grundanforderung von Gathercole und Pickering (2001) entspricht, aber für das Vorschulalter angepasst wurde. In der ursprünglichen Form hören die Kinder Sätze (Hühner tragen Hüte), deren Richtigkeit sie bewerten sollen (stimmt/ stimmt nicht). Sodann sollen sie das letzte Wort wiederholen und speichern. In Vorversuchen zeigte sich, dass die Vorschulkinder Schwierigkeiten hatten, nur das jeweils letzte Wort in einem Satz zu bestimmen. Deshalb wurden die Sätze so geändert, dass das letzte Wort immer ein Farbname ist (Ist die Maus grau? ). Die Kinder wurden dann gebeten, über die Frage zu entscheiden und die Farbe zu wiederholen. Darauf folgte ein zweiter Satz (Ist der Elefant blau? ). Nach einer bestimmten Anzahl von Sätzen (vier Blöcke mit je zwei, drei, vier oder fünf Sätzen) waren die Farben für den Block zu wiederholen (grau, blau). Für jede richtige reproduzierte Satzgruppe wurde ein Punkt vergeben. Die maximale Punktzahl betrug 16. Mit der Aufgabe des Zahlennachsprechens vorwärts wurde die phonologische Schleife operationalisiert. Es wurden Zahlenreihen mit drei, vier oder fünf Zahlen vorgegeben, die in der vorgegebenen Reihenfolge zu wiederholen waren. Für jede richtig wiederholte Reihe wurde ein Punkt vergeben (maximale Punktzahl ist 14). Die Aufgaben Zahlennachsprechen vorwärts und rückwärts wurden in der Version von Ehlert (2006) durchgeführt. In ihren Voruntersuchungen konnten beide Aufgaben faktorenanalytisch unterschieden werden. Reliabilitätsüberprüfungen ergaben bei fünf- und sechsjährigen Kindern Cronbachs Alpha-Werte für das Zahlennachsprechen rückwärts zwischen .66 und .64. Beim Zahlennachsprechen vorwärts liegen die Werte zwischen.86 und .80. Die Version der Hörspannenaufgabe wurde in der vorliegenden Form erstmalig verwendet. Die Auswertung wurde aufgrund der geringen Stichprobenumfänge mit nonparametrischen Verfahren vorgenommen. Im ersten Schritt wurden die Teilstichproben mit unterschiedlichen mathematischen Vorkenntnissen verglichen. Im zweiten Schritt wurde die Auswirkung der Intelligenzausprägung (durchschnittlich und überdurchschnittlich) geprüft. Ergebnisse Tabelle 1 enthält die Werte für die Stichproben sehr gut und durchschnittlich rechnender Kinder hinsichtlich des Alters, des IQs und der Leistung im Rechentest. Beide Gruppen unterscheiden sich nicht in ihrem Alter aber in ihren Intelligenzleistungen (U = 101, p < 0.05). Vergleicht man auf dieser Ebene die Gruppen hinsichtlich der Arbeitsgedächtnisleistungen, ergibt sich das folgende Bild. Kinder, deren mathematisches Vorwissen bereits sehr gut entwickelt ist, erhalten beim Zahlennachsprechen vorwärts im Mittel 11 Punkte (halbes Quartil = 4.13) und Kinder mit durchschnittlichem Wissen 8.5 Punkte (halbes Quartil = 2.5). Beim Zahlennachsprechen rückwärts erreichen die sehr guten Rechner 9 Punkte (halbes Quartil = 2) vs. 6.5 Punkte (halbes Quartil = 3.5), die die durchschnittlich rechnenden Kinder erreichen. Die Differenzen der Medianwerte sind statistisch signifikant (Zahlennachsprechen vorwärts U = 111, p < 0.05; Zahlennachsprechen rückwärts U = 124, p < 0.05). Kein signifikanter Unterschied lässt sich bei der Hörspannenaufgabe nachweisen (sehr gute Rechner: Median = 4, halbes Quartil = 4; durchschnittliche Rechner: Median = 2, halbes Quartil = 3). Damit tragen die beiden Aufgaben, die zentral exekutive Leistungen erfassen sollen, unterschiedlich zur Differenzierung der Gruppen bei. Über alle beiden Gruppen hinweg ergibt sich eine signifikante Korrelation zwischen der Hörspannenaufgabe und dem Zahlennachsprechen rückwärts (n = 41, r = .52, bivariate Korrelation nach Spearman, p < 0.05). Aufgrund der Unterschiede in den Intelligenzleistungen ist eine genauere Analyse des Intelligenzeinflusses erforderlich. Dafür werden zwei Stichproben gebildet, die sich in ihrer Intelligenzausprägung klar trennen lassen (durchschnittlich 85 - 115 und überdurchschnittlich ab 125). Die Kombination der Merkmale Intelligenz und mathematische Vorkenntnisse treten in folgenden Häufigkeiten auf (vgl. Tabelle 2). 270 Gabi Ricken, Annemarie Fritz Ein Teil der Kinder mit sehr guten mathematischen Vorkenntnissen zeigt überdurchschnittliche intellektuelle Leistungen, ein anderer Teil nicht. Ebenso führt die gut entwickelte Intelligenz nicht immer dazu, dass auch sehr gute (überdurchschnittliche) mathematische Leistungen möglich sind. Damit werden vier Gruppen weiter betrachtet: • 1. Gruppe: IQ hoch/ Matheleistung hoch • 2. Gruppe: IQ im Durchschnitt/ Matheleistung hoch • 3. Gruppe: IQ hoch/ Matheleistung im Durchschnitt • 4. Gruppe: IQ im Durchschnitt/ Matheleistung im Durchschnitt Aufgrund der empirischen Datenlage konnte die Altersvariable nicht ausreichend ausbalanciert werden. Die Extremgruppenbildung führte somit dazu, dass die Gruppen alterskonfundiert sind (Kruskal-Wallis-Test, Chi- Quadrat = 8.36, p < 0.05). Die Gruppe mit den besten Leistungen ist zugleich auch die Gruppe mit den ältesten Kindern. Da die Datenlage keine Kovarianzanalyse erlaubt, wurden Gruppen nochmals paarweise (Intelligenz hoch vs. durchschnittlich) hinsichtlich des Alters verglichen. Unter beiden Bedingungen gibt es keinen bedeutsamen Altersunterschied (U-Test). Im Einzelnen sind Differenzen in folgender Weise feststellbar. Zahlennachsprechen rückwärts Die Abbildung 1 zeigt die Mediane und halben Quartilabstände für alle Arbeitsgedächtnisaufgaben grafisch. Im Vergleich aller Gruppenmittelwerte zeigt sich ein signifikanter Einfluss der Gruppenbildung (Kruskal-Wallis-Test, Chi-Quadrat = 12.7, p < 0.05). Für unsere Fragestellung ist der Unterschied zwischen Kindern mit durchschnittlichem und überdurchschnittlichem mathematischen Vorwissen bedeutsam. Sowohl unter der Bedingung überdurchschnittlicher Intelligenz als auch durchschnittlicher Intelligenz ergeben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den Matheleistungsgruppen (U-Test). Abbildung 1: Rohwertsummen (Mediane und halbe Quartilabstände) für das Zahlennachsprechen vorwärts, das Zahlennachsprechen rückwärts und für die Hörspannenaufgabe gruppiert nach Mathematikleistung und Intelligenz o ı o o ı + + ı o + ı + o ı o o ı + + ı o + ı + o ı o o ı + + ı o + ı + Zahlennachsprechen vorwärts (max. 14) Zahlennachsprechen rückwärts (max. 14) Hörspanne (max. 16) Intelligenz ı Mathematik o durchschnittlich + überdurchschnittlich 16 15 14 13 12 11 10 9 8 7 6 5 4 3 2 1 0 -1 -2 -3 Entwicklungsstand exekutiver Funktionen 271 Hörspannenaufgabe Der Mittelwertsvergleich insgesamt zeigt wiederum einen signifikanten Einfluss der Gruppenbildung (Kruskal-Wallis-Test, Chi-Quadrat = 8.84, p < 0.05). Unterschiedlich gut rechnende Kinder unterscheiden sich jedoch auch hier wiederum nicht signifikant (U-Test), wenn dies jeweils für die Bedingung durchschnittlicher oder hoher Intelligenz betrachtet wird. Die Leistungen in beiden Aufgaben der zentralen Exekutive (Hörspanne und Zahlennachsprechen rückwärts) korrelieren in der Gesamtstichprobe (n = 33, bivariate Korrelation nach Spearman, r = .63, p < 0.05). Zahlennachsprechen vorwärts Die Prüfung aller Mittelwerte zeigt auch bei dieser Anforderung einen bedeutsamen Einfluss der Gruppenbildung an (Kruskal-Wallis-Test, Chi-Quadrat = 15.75, p < 0.05). Vergleicht man auch hier die Gruppen mit unterschiedlich guten mathematischen Leistungen, dann bewältigen hochbegabte Kinder mit sehr guten mathematischen Leistungen diese Anforderung signifikant besser (U = 3, p < 0.05) als die hochbegabten mit durchschnittlichen Leistungen. Kinder mit unterschiedlichen mathematischen Leistungen bei durchschnittlicher Intelligenz aber unterscheiden sich nicht (vgl. Abbildung 1). Diskussion Die vorliegende Studie ist ein Teil eines größeren Forschungsprojektes der Autorinnen zur Analyse der Entwicklung mathematischer Kompetenzen im Vorschulalter. Ziel der Studie ist es, den aktuell viel diskutierten Zusammenhang zwischen der mathematischen Kompetenzentwicklung und der Funktionstüchtigkeit des Arbeitsgedächtnisses genauer zu betrachten, um letztlich auch die Annahme der Abhängigkeiten von mathematischer Kompetenz und Intelligenz zu differenzieren (Grube, 2006). Nachdem eine Reihe von Untersuchungen Evidenzen für einen Zusammenhang von Entwicklungsbeeinträchtigungen im Erwerb des Lesens, Schreibens und Rechnens und Defiziten in den Arbeitsgedächtnissystemen erbracht hat, soll hier umgekehrt geprüft werden, ob Kinder mit sehr guten mathematischen Leistungen über besser entwickelte, leistungsfähigere Arbeitsgedächtnissysteme verfügen. Die Arbeitsgedächtnisleistungen der Kinder wurden mit drei Aufgaben erhoben: zwei Verfahren zur Erfassung der zentralen Exekutive (Zahlen nachsprechen rückwärts, Hörspannenaufgabe) und einem Verfahren zur Erfassung der phonologischen Schleife (Zahlen nachsprechen vorwärts). Alle Kinder nahmen weiterhin an einem Test zur Erfassung mathematischer Kompetenzen teil (Ricken & Fritz, in Vorb.), dessen psychometrische Eigenschaften eine weitere Interpretation der Ergebnisse erlauben, obwohl noch keine Normwerte vorliegen. Unerwartet ist der Befund, dass sich die Werte in diesem Test zwischen fünf- und sechsjährigen Kindern nicht unterscheiden. Das deutet eine Heterogenität in der Entwicklung an, die mit der Altersvariable nicht ausreichend dargestellt werden kann und vielmehr die Einbeziehung sozialer Bedingungen und der spezifischen Förderung in Kindergärten erfordert. Wie sind die Ergebnisse zu bewerten? In den Aufgaben, die die Operationalisierung der phonologische Schleife und der zentral exekutive Funktion der Koordination verschiedener Prozesse (Zahlennachsprechen rückwärts) darstellen, unterscheiden sich sehr gute und durchschnittlich rechnende Kinder in der Lösungshäufigkeit. Für die Hörspannenaufgabe, mit der Aspekte des Wissensabrufs operationalisiert werden können, ist dies nicht der Fall. Allerdings variieren die Leistungen bei dieser Aufgabe stark. Bezieht man die Intelligenz der Kinder in die Analyse ein, differenzieren sich die Zusammenhänge. Trennt man Kinder mit durchschnittlicher und überdurchschnittlicher Intelligenz, dann sind in Verbindung mit der mathematischen Leistungsfähigkeit vier Kombinationen möglich. 33 Kinder wurden den folgenden Gruppen, wenngleich mit unterschiedlicher Zellenbesetzung, zugeordnet: 272 Gabi Ricken, Annemarie Fritz • 1. Gruppe: IQ hoch/ Matheleistung hoch • 2. Gruppe: IQ im Durchschnitt/ Matheleistung hoch • 3. Gruppe: IQ hoch/ Matheleistung im Durchschnitt • 4. Gruppe: IQ im Durchschnitt/ Matheleistung im Durchschnitt Damit macht es Sinn nach Rost (2000) hochbegabte und hochleistende Kinder zu unterscheiden. Die Vergleiche zeigen Gruppenunterschiede, die im Wesentlichen auf die Gruppe 1 zurückgehen dürften. Hält man die Intelligenz konstant (jeweils durchschnittlich bzw. überdurchschnittlich), unterscheiden sich durchschnittliche und überdurchschnittliche Rechner nicht in ihren exekutiven Leistungen. Besonders gute Rechner verfügen somit im Gegensatz zur Defizithypothese bei rechenschwachen Kindern nicht über Leistungsvorteile der zentralen Exekutive in den betrachteten Anforderungen. Ein differenzierter Vergleich der Gruppen führt zu folgendem Bild: In der Gruppe 1 zeigt sich der erwartete enge Zusammenhang zwischen den drei Komponenten: Intelligenz, mathematische Leistung und Arbeitsgedächtnis. Ob die guten Arbeitsgedächtnisleistungen dabei die sehr guten mathematischen Leistungen ermöglichen oder lediglich den engen Zusammenhang zwischen intellektueller Hochbegabung und gutem Arbeitsgedächtnis belegen, ist nicht zu entscheiden. Für letztere Annahme sprechen die Ergebnisse der Gruppe 3. Bei intellektueller Hochbegabung weisen diese Kinder nur durchschnittliche Rechenleistungen auf. Die Testleistungen für die zentrale Exekutive unterscheiden sich nicht von den Leistungen der Gruppe 1. Ein Blick auf die Leistungen der Gruppe 2 zeigt, dass bei „nur“ durchschnittlicher Intelligenz und sehr hohen Rechenleistungen auch die Arbeitsgedächtnisleistungen nur durchschnittlich entwickelt sind und den Arbeitsgedächtnisleistungen der Gruppe 4 entsprechen. Leistungsunterschiede müssen offensichtlich durch andere Variablen erklärt werden wie z. B. den Einsatz weniger effektiver Strategien. Im Zahlennachsprechen vorwärts (phonologische Schleife) zeigt sich der einzige bedeutsame Unterschied zwischen den Gruppen. Kinder mit hoher Intelligenz und durchschnittlichen mathematischen Leistungen bewältigen das Zahlennachsprechen vorwärts schlechter als Kinder mit maximalen Ausprägungen in beiden Bereichen. Wenn die Hypothese von Grube (2006) zutreffend ist, dass die phonologische Schleife in Verbindung mit den Wissenserwerbsprozessen zu sehen ist, dann wäre die besser entwickelte phonologische Schleife eine günstige Bedingung für den Wissensaufbau für Kinder dieser Gruppe. Hohe mathematische Kompetenzen gehen offenbar nicht zwangläufig mit sehr gut entwickelten Arbeitsgedächtnisleistungen einher. Bei gleicher Ausprägung der Intelligenz und gleicher Funktionstüchtigkeit des Arbeitsgedächtnisses unterscheiden sich diese beiden Gruppen deutlich in ihren mathematischen Kompetenzen. Eine Erklärung hierzu kann letztlich nur in den effektiveren mathematischen Strategien gesehen werden (wie in Gruppe 2), die die Arbeitsgedächtnisressourcen weniger stark belasten. Den Kindern gelingt offensichtlich höchst effektiv die Ausschöpfung ihrer vorhandenen Ressourcen (Intelligenz und Arbeitsgedächtnis). Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen sind die Befunde zur Gruppe 3 auch eher „mathematisch“ zu erklären im Sinne einer geringen Verfügbarkeit über effektivere Strategien denn als Funktionsdefizit in der phonologischen Schleife. Dies zumal, da die Leistung in diesem Untertest der Leistung der Gruppen 2 und 4 entspricht. Die Aufgabe für weiterführende Studien besteht einerseits in der Replizierung der Befunde. Dies ist vor allem deshalb wichtig, da für die Erfassung von Arbeitsgedächtnisleistungen im Vorschulbereich wenige Erfahrungen vorliegen. Dies betrifft vor allem die Hörspannenaufgabe. Die Korrelation mit dem Entwicklungsstand exekutiver Funktionen 273 Zahlennachsprechen rückwärts spricht jedoch für die prinzipielle Nutzbarkeit der Variante der Hörspannenaufgabe für die Erfassung der Leistung der zentralen Exekutive. Daran schließt sich die vielleicht wichtigste Frage an, die darin besteht, genauer zu analysieren, welche Strategien beim Lösen der verschiedenen Aufgaben Arbeitsgedächtnisfunktionen stärker be- oder entlasten. Damit verschiebt sich die allgemeine Frage nach den Leistungsvorteilen durch besser entwickelte Funktionen hin zu der Frage des effektiven Einsatzes der Ressourcen. Literatur Baddeley, A. D. (1986). Working memory. Oxford: University Press. Baddeley, A. D. (1996 a). The concept of working memory. In S. E. Gathercole (Ed.), Models of short-term memory (pp 1 - 27). Hove: Psychology Press. Baddeley, A. D. (1996 b). Exploring the central executive. The Quarterly Journal of Experimental Psychology, 49, 5 - 28. Baddeley, A. D. & Logie, R. H. (1999). Working memory: The multiple-component model. In A. Miyake & P. Shah (Eds.), Models of working memory: Mechanisms of active maintenance and executive control (pp 28 - 61). New York: Cambridge University Press. Cattell, R. B., Weiß, R. 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