eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 54/3

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2007
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Tests und Programme (3/07)

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Die Diagnose von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen im Vorschulalter basiert bisher überwiegend auf Exploration der Eltern und anderer Bezugspersonen und der Verhaltensbeobachtung in Untersuchungs- und Therapiesettings, oft unter Vorgabe von Ratingskalen. Für eine testpsychologische Untersuchung von Aufmerksamkeitsfunktionen stehen im Vorschulalter jedoch nahezu keine Instrumente zur Verfügung. Diese Lücke wollen Ettrich und Ettrich mit dem im Alter von 3;0 bis 6;11 Jahren anwendbaren Konzentrations-Handlungsverfahren für Vorschulkinder KHV-VK schließen. Ziel des Verfahrens ist es „Schwierigkeiten der Kinder im Bereich von Aufmerksamkeit und Konzentration rechtzeitig zu erkennen, um ihnen Förderung und Hilfe zukommen zu lassen“ (Manual, S. 5).
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252 Ettrich, Klaus Udo & Ettrich, Christine (2005): KHV-VK. Konzentrations-Handlungsverfahren für Vorschulkinder. Göttingen: Hogrefe (Preis: Test komplett: € 159,-; 25 Auswertungsbogen € 8,75) Die Diagnose von Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen im Vorschulalter basiert bisher überwiegend auf Exploration der Eltern und anderer Bezugspersonen und der Verhaltensbeobachtung in Untersuchungs- und Therapiesettings, oft unter Vorgabe von Ratingskalen. Für eine testpsychologische Untersuchung von Aufmerksamkeitsfunktionen stehen im Vorschulalter jedoch nahezu keine Instrumente zur Verfügung. Diese Lücke wollen Ettrich und Ettrich mit dem im Alter von 3; 0 bis 6; 11 Jahren anwendbaren Konzentrations-Handlungsverfahren für Vorschulkinder KHV-VK schließen. Ziel des Verfahrens ist es „Schwierigkeiten der Kinder im Bereich von Aufmerksamkeit und Konzentration rechtzeitig zu erkennen, um ihnen Förderung und Hilfe zukommen zu lassen“ (Manual, S. 5). Theoretischer Hintergrund Konzentrationsfähigkeit wird von den Testautoren als „Vorfeldfunktion der Intelligenz“ (Manual, S. 5) und als „Voraussetzung für erfolgreiches Lernen“ (Manual, S. 13) bezeichnet. Da sich erst mit Schuleintritt höhere Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit von Kindern stellten, würden Defizite häufig zu spät erkannt und beeinträchtigten die Lernergebnisse. Von Konzentrationsfähigkeit - im Gegensatz zu Aufmerksamkeit - sollte erst dann gesprochen werden, wenn „eine Aufgabe unter dem Einsatz eigener Ressourcen und unter Verzicht auf eigene Ziele (Motive) bei gleichzeitiger Übernahme von Fremdzielen“ (Manual, S. 6) bewältigt wird. Praktische Anwendung Beim KHV-VK müssen 44 Karten, auf denen jeweils 12 verschiedene Figuren (Schwarzweißzeichnungen, z. B. Stern, Ball) angeordnet sind, sortiert werden. Zwei Figuren sind als kritische Reize definiert. Die Karten müssen bei der Standarddurchführung (Vierer-Sort) in eins von vier Fächern der Sortierbox abgelegt werden. Zwei der Fächer sollen Karten aufnehmen, die nur einen der kritischen Reize aufweisen. In ein drittes Fach sollen Karten gelegt werden, auf denen beide kritische Reize zu sehen sind. In das vierte Fach werden Karten abgelegt, auf denen sich kein kritischer Reiz befindet. Die korrekte Bearbeitung der Aufgabe erfordert also ein systematisches Absuchen der Karte nach den Zielreizen. Dies geschieht über einen Zeitraum von maximal 10 Minuten weitgehend selbstgesteuert. Da auch das gemeinsame Auftreten beider Zielreize zu beachten ist, muss zudem bei Identifikation eines Zielreizes der Impuls, eine Karte vorschnell abzulegen, gehemmt und der Suchprozess bis zum Ende fortgesetzt werden. Der KHV-VK wird stets als Einzeltest durchgeführt. Bei einer Parallelform werden die gleichen Karten, jedoch andere kritische Reize verwendet. Bei einer vereinfachten Form (Zweier-Sort mit vier Parallelformen), die im Alter von 3; 0 - 5; 11 Jahren angewendet werden kann, ist nur zu beurteilen, ob ein kritischer Reiz vorhanden ist oder nicht. In beiden Varianten wird die Durchführung anhand der vier ersten Karten eingeübt, was in der eigenen Testpraxis nicht immer ausreichte, um das Aufgabenverständnis zu sichern. Neben der quantitativen Auswertung von Bearbeitungszeit und Fehlerzahl ist auch eine grafische Darstellung des Fehlerverlaufs möglich. Testanalyse und Normierung Die Testinstruktion erlaubt eine annähernd objektive Durchführung. Allerdings wären wörtliche Anweisungen nicht nur für den Testbeginn, sondern auch für den weiteren Verlauf zu wünschen. Die Auswertungsobjektivität ist gewährleistet, die Interpretationsobjektivität ist für die quantitative Auswertung durch den Bezug auf Normwerte gesichert. Im Theorieteil des Manuals weisen die Autoren ausführlich auf Faktoren hin, die die Interpretierbarkeit von Konzentrationstests erschweren können. Reliabilitätskennwerte werden nur für den Vierer-Sort angegeben. Je nach Methode (odd-even, Retest, Paralleltest) und Altersgruppe liegen die Werte zwischen .67 und .83 für die Fehlerzahl und zwischen .83 und .89 für die Bearbeitungszeit und somit in einem für Entwicklungstests befriedigenden Bereich. Tests und Programme Tests und Programme 253 Aufgrund der speziellen Aufgabenstruktur kann dem KHV-VK eine gewisse inhaltliche Validität attestiert werden, wobei das Testergebnis von unterschiedlichen Aufmerksamkeitskomponenten beeinflusst wird. Die Testrohwerte zeigen - wie von einem Entwicklungstest zu fordern - einen Leistungsanstieg mit dem Lebensalter. Empirische Untersuchungen zur konvergenten Validität (z. B. mit Eltern- und Erzieherratings) werden nicht berichtet, ebenso fehlen Angaben zur prognostischen Validität. Sehr knapp werden noch Daten aus der Leipziger Längsschnittstudie (s. a. Ettrich, 2000) dargestellt, wonach mit dem KHV-VK bedeutsame Leistungsunterschiede zwischen „entwicklungsunauffälligen“, „leichtgradig entwicklungsauffälligen“ und „deutlich entwicklungsauffälligen“ dreijährigen Kindern gefunden wurden. Dies kann allerdings nicht als Beleg für die Validität des KHV-VK angesehen werden, da von einem Konzentrationstest zu fordern wäre, dass er auch innerhalb dieser Gruppen aufmerksamkeitsschwache Kinder identifiziert und nicht Ergebnisse liefert, die überwiegend durch den allgemeinen Entwicklungsstand erklärbar sind. Vergleichsdaten für klinische Gruppen (z. B. Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizitstörungen oder neurologischen Erkrankungen) werden nicht bereitgestellt. Für den Zweier-Sort wurden Korrelationen mit Intelligenzmaßen und visuomotorischen Leistungen berechnet, die überwiegend gering ausfielen (zwischen .00 und -.40), was als Indiz für die divergente Validität gesehen werden kann. Bei nicht näher beschriebenen entwicklungsbeeinträchtigten dreijährigen Kindern fanden sich dagegen hohe Korrelationen (.78 - .92) des Vierer-Sorts mit verschiedenen Entwicklungstests. Die bei den Validitätsstudien eingesetzten Referenzverfahren müssen zum Teil als eindeutig veraltet bezeichnet werden (z. B. Kramer-Test; Kramer, 1972). Eine Normierung im üblichen Sinne fand für den KHV-VK nicht statt. Die Daten für den Zweier-Sort beruhen auf der in den 80er Jahren durchgeführten Leipziger Längsschnittstudie. Diese Stichprobe (N = 285) weist nach Ettrich (2000) einen deutlich überproportionalen Anteil von entwicklungsverzögerten Kindern auf und ist daher definitiv nicht repräsentativ. Die 1983 bis 2003 erhobenen Normen des Vierer-Sorts basieren auf 1.887 Datensätzen aus unterschiedlichen Quellen (darunter auch „Praktikumsarbeiten“). Nähere Angaben zur Stichprobenrekrutierung werden nicht gemacht, es fehlen Angaben zu drop-outs und zur Qualitätssicherung bei der Datensammlung. Normen (Staninewerte; keine Konfidenzintervalle) werden für die Fehlerzahl und Bearbeitungszeit für drei Altersgruppen beim Zweier-Sort und vier Altersgruppen beim Vierer-Sort, die jeweils zwölf Monate umfassen, bereitgestellt. Bewertung Untersuchungen von Kindern mit Entwicklungs- oder Intelligenztests sind i. d. R. gekennzeichnet durch eine hohe Situationsstrukturierung und abwechslungsreiche Anforderungen, sodass oft nur erhebliche Aufmerksamkeits- und Konzentrationsdefizite in der Verhaltensbeobachtung erkannt werden können. Dagegen bietet der KHV-VK die Möglichkeit, das Arbeitsverhalten von Vorschulkindern bei einer kognitiv weniger anspruchsvollen Aufgabenstellung, die eigenständiges Arbeiten, systematisches visuelles Suchen, Durchhaltevermögen und die Fähigkeit zur Reaktionshemmung bei geringer motorischer Beanspruchung verlangt, zu beobachten. Der Zweier-Sort ist auch bei entwicklungsverzögerten Kindern anwendbar. Der KHV-VK erweitert insofern das testdiagnostische Spektrum und wird in Frühförderstellen und Sozialpädiatrischen Zentren mit Interesse aufgenommen werden. Allerdings muss sich jeder Anwender der Mängel und Grenzen des Verfahrens bewusst sein. Die theoretische Fundierung entspricht nicht dem aktuellen Stand der entwicklungspsychologischen Aufmerksamkeitsforschung, in der ein globales Aufmerksamkeitskonstrukt zugunsten differenzierterer Beschreibungen aufgegeben wurde (s. z. B. Ruff & Rothbart, 1996). Die Testautoren weisen selbst darauf hin, dass im KHV-VK auditive Aufmerksamkeitsleistungen nicht erfasst werden. Die klassischen Testgütekriterien sind nur teilweise erfüllt. Die Validität als spezifischer Konzentrationstest, als Instrument zur Prognose von Konzentrationsstörungen im Schulalter und zur Indikationsstellung von Therapiemaßnahmen ist nicht belegt. Zumindest bei entwicklungsverzögerten dreijährigen Kindern sprechen die Daten für eine Abhängigkeit der Testwerte des Vierer-Sorts vom kognitiven Entwicklungsstand. Die Normierung, die auf den ersten Blick mit einer großen Stichprobe beeindruckt, ist durch den äußerst langen Erhebungszeitraum und die unsystematische Datenerhebung von fraglicher Qualität. Die Normierung des Zweier-Sorts ist aufgrund des sehr hohen Anteils entwicklungsverzögerter Kinder unbrauchbar. Der KHV-VK kann daher allenfalls als ein Baustein in einer umfassenden klinischen Bewertung der Konzentrationsfähigkeit angesehen werden. Über- oder unterdurchschnittliche Testwerte können die Diagnose einer Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsstörung weder belegen noch ausschließen. Auf jeden Fall gehört der KHV- VK nur in die Hand von Anwendern, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung in der Lage sind, die Konsequenzen der inhaltlichen und psychometrischen Mängel für die Einzelfalldiagnostik zu beurteilen. Literatur Ettrich, K. U. (2000).Entwicklungsdiagnostik im Vorschulalter. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht. Kramer, J. (1972). Kramer-Test. Solothurn: Antonius. Ruff, H. A. & Rothbart, M. K. (1996). Attention in Early Development: Themes and Variations. New York: Oxford University Press. Dr. Gerolf Renner Wilhelm-Dröscher-Str. 17 D-55765 Birkenfeld Tel.: (0 67 82) 63 88 E-Mail: renner.gerolf@t-online.de 254 Tests und Programme/ Berichte und Mitteilungen European Conference on Developmental Psychology Die 13rd European Conference on Developmental Psychology findet vom 21. bis 25. August 2007 in Jena statt. Nähere Informationen unter www. esdp2007.de Tagung Entwicklungspsychologie Die 18. Tagung Entwicklungspsychologie findet vom 24. bis 26. September 2007 in Heidelberg statt. Nähere Informationen unter www.fachtagung-entwicklung07.de Kinder Verhaltenstherapietage Die 44. und 45. Kinder Verhaltenstherapietage finden am 13./ 14. Oktober 2007 bzw. am 5./ 6. April 2008 an der Universität Bremen statt. Nähere Informationen unter www.zrf.uni-bremen.de Berichte und Mitteilungen