eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 54/2

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2007
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Bindung und Erziehung im Vorschulalter - erste Schritte zu einer familiensystemischen Perspektive

41
2007
Annika Falkner
Urs Fuhrer
In der vorliegenden Studie wurde untersucht, inwieweit sich Zusammenhänge zwischen der kindlichen Bindungsrepräsentation im Vorschulalter und den elterlichen Erziehungseinstellungen finden lassen. Unter Einbezug der väterlichen und mütterlichen Daten wurden erste Schritte in Richtung einer systemisch orientierten Forschung unternommen.Die Daten der 32 Kernfamilien umfassenden Stichprobe lassen differenzierte Zusammenhänge zwischen Bindung und Erziehung erkennen, die zum Teil erst durch die gemeinsame Betrachtung der mütterlichen und väterlichen Erziehungseinstellungen sichtbar werden.Darüber hinaus wird deutlich, welcher außerordentliche Stellenwert dem kindlichen Geschlecht in der Erziehung zukommt. Während die Bindungsrepräsentation der Mädchen mit bestimmten Ausprägungen verschiedener väterlicher Erziehungsbereiche einhergeht, zeigen sich bei den Jungen Zusammenhänge mit den Distanzen zwischen Mutter und Vater in der Erziehung. Die Ergebnisse stellen damit eine erste Basis für weiterführende Forschungsarbeiten dar und unterstützen die Forderung nach einer differenzierten, systemisch orientierten Betrachtungsweise.
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Einleitung und theoretischer Hintergrund Die elterliche Erziehung und das Konstrukt der emotionalen Bindung gehören zu den Forschungsbereichen, die seit längerem intensiv beforscht werden. Doch obwohl aus der entwicklungs- und familienpsychologischen Forschung zahlreiche Befunde zu diesen Bereichen vorliegen, fehlt es an Untersuchungen, die beide Konstrukte miteinander in Beziehung setzen. Die Bindungsforschung der letzten Jahre und Jahrzehnte konzentrierte sich vorrangig auf die Entstehung von Bindung, die Transmission bestimmter Bindungsstile sowie mögliche Einflussfaktoren auf die Bindungsentwicklung (für Attachment and Parenting in Preschool Age: First Steps toward a Systemic Perspective Summary: This study examines how the mental representation of attachment in preschool children relates to parental attitudes toward childrearing. 32 nuclear families participated in this study. Parenting questionnaires were completed by mothers and fathers of the families. This contribution should be considered a first step towards a systemic research. The results show complex correlations between children’s attachment status and parental attitudes. In addition, they clarify the meaning of children’s gender concerning parenting. While girls’ attachment status is related to specific areas of paternal parenting, the attachment representation of boys shows correlations with differences between maternal and paternal attitudes toward childrearing. These findings underline the importance of a systemic view and represent a basis for further investigations. Keywords: Attachment, parenting, parental attitudes, systemic perspective Zusammenfassung: In der vorliegenden Studie wurde untersucht, inwieweit sich Zusammenhänge zwischen der kindlichen Bindungsrepräsentation im Vorschulalter und den elterlichen Erziehungseinstellungen finden lassen. Unter Einbezug der väterlichen und mütterlichen Daten wurden erste Schritte in Richtung einer systemisch orientierten Forschung unternommen. Die Daten der 32 Kernfamilien umfassenden Stichprobe lassen differenzierte Zusammenhänge zwischen Bindung und Erziehung erkennen, die zum Teil erst durch die gemeinsame Betrachtung der mütterlichen und väterlichen Erziehungseinstellungen sichtbar werden. Darüber hinaus wird deutlich, welcher außerordentliche Stellenwert dem kindlichen Geschlecht in der Erziehung zukommt. Während die Bindungsrepräsentation der Mädchen mit bestimmten Ausprägungen verschiedener väterlicher Erziehungsbereiche einhergeht, zeigen sich bei den Jungen Zusammenhänge mit den Distanzen zwischen Mutter und Vater in der Erziehung. Die Ergebnisse stellen damit eine erste Basis für weiterführende Forschungsarbeiten dar und unterstützen die Forderung nach einer differenzierten, systemisch orientierten Betrachtungsweise. Schlüsselbegriffe: Bindung, Erziehung, Erziehungseinstellungen, systemische Betrachtung Empirische Arbeit Bindung und Erziehung im Vorschulalter - erste Schritte zu einer familiensystemischen Perspektive Annika Falkner, Urs Fuhrer Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2007, 54, 103 - 117 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel 104 Annika Falkner, Urs Fuhrer eine Übersicht vgl. De Wolff & van IJzendoorn, 1997). So konnte gezeigt werden, dass der elterlichen Feinfühligkeit, der Synchronität und Reziprozität des elterlichen Verhaltens sowie Aspekten elterlicher Unterstützung eine besondere Bedeutung zukommt (z. B. Ainsworth, Blehar, Waters & Wall, 1978; Isabella, Belsky & von Eye, 1989; Belsky, 1999). Die vorliegenden Untersuchungsbefunde resultieren dabei vorrangig aus der Betrachtung mütterlicher Verhaltensmerkmale, während die Aspekte väterlichen Verhaltens lange Zeit vernachlässigt wurden und erst in jüngeren Studien Eingang fanden (z. B. Grossmann, Grossmann, Fremmer-Bombik, Kindler, Scheuerer-Englisch & Zimmermann, 2002). Der Begriff Bindung ist allgemeiner Natur und bezieht sich im psychologischen Sinne auf den Zustand und die Qualität einer Bindung zu einer anderen Person. Aus jener Bindungsqualität resultiert ein entsprechendes Bindungsverhalten, das durch eine tatsächliche oder drohende Trennung von der Bindungsfigur ausgelöst wird und alle Verhaltensweisen umfasst, die Nähe zu der entsprechenden Person herstellen bzw. aufrechterhalten. Nach Bowlby (1969) kann Bindungsverhalten durch zwei Ursachen ausgelöst werden. Zum einen, wenn sich das Kind in einer Gefahrensituation befindet bzw. einen bestimmten Reiz als bedrohlich wahrnimmt. Zum anderen, wenn das Kind primäre Bedürfnisse wie Hunger oder Müdigkeit verspürt bzw. von Schmerzen oder Unwohlsein geplagt ist. Somit kann das Bindungssystem sowohl durch äußere Umweltreize als auch durch innere, vom Kind ausgehende Faktoren aktiviert werden. Bedeutsam für die Bindungsforschung ist das Konzept des inneren Arbeitsmodells (Bowlby, 1973), das als mentale Repräsentation der Bezugspersonen, des Selbst, der weiteren Umwelt sowie der Beziehungen zwischen diesen Teilsystemen aufgefasst werden kann (Bretherton, 1991). Mittels des inneren Arbeitsmodells wird es möglich, bindungsrelevante Situationen zu interpretieren, Verhaltensweisen des Bindungspartners vorherzusagen und entsprechend zu reagieren. Nach Bowlby (1973) liegt der Ursprung der inneren Arbeitsmodelle in den Interaktionen, die ein Kind mit den Bezugspersonen hat. Je nachdem, welche Reaktionen und Verhaltensweisen es erfährt, führen diese Interaktionen zu einer allgemeinen Vorstellung über Bindung bzw. zwischenmenschliche Beziehungen. In der heutigen Bindungsforschung wird davon ausgegangen, dass diese geistigen Repräsentationen in Form von Ereignisschemata - sogenannten Skripts - im Gedächtnis gespeichert werden (Bretherton, 1991). Ainsworth et al. (1978) gelang es, einen empirischen Zugang zu dem Bindungskonstrukt zu finden, der die Erfassung der kindlichen Bindung im Kleinkindalter ermöglicht. Mittels des sogenannten „Fremde-Situations-Tests“, in dessen Verlauf das Kind mit zwei Trennungen bzw. Wiedervereinigungen seitens der Bezugsperson sowie mit der Anwesenheit einer fremden Person konfrontiert wird, konnten Ainsworth et al. (1978) drei Bindungstypen identifizieren: die Gruppe der sicher gebundenen Kinder, der unsicher-vermeidend sowie unsicher-ambivalent gebundenen Kinder. Sicher gebundene Kinder suchen nach der Trennung den aktiven Kontakt zur Bindungsperson, lassen sich schnell von ihr beruhigen und wenden sich wieder zügig ihrem Spiel zu. In Stichproben stabiler Mittelschichtsfamilien liegt die Quote an sicher gebundenen Kindern im deutschsprachigen Raum bei 59 % (Gloger-Tippelt, Vetter & Rauh, 2000); in Stichproben, in denen die Kinder biologischen oder sozialen Risiken (z. B. Frühgeburt, Kind eines alleinerziehenden Elternteils aus der Unterschicht) ausgesetzt sind, beträgt die Quote weniger als 50 % (Asendorpf & Banse, 2000). Kinder mit unsicher-vermeidendem Bindungstyp zeigen während der Trennung kaum Vermissensgefühle und vermeiden bei Rückkehr der Bezugsperson den Kontakt bzw. ignorieren sie. Bei unsicher-ambivalent gebundenen Kindern lässt sich während der Trennung tiefer Kummer beobachten und ein ambivalentes Verhalten während der Wiedervereinigung - Weinen und Klammern auf der einen, Abwehr der Bezugsperson auf der ande- Bindung und Erziehung im Vorschulalter 105 ren Seite. Die Ergebnisse von Untersuchungen im deutschsprachigen Raum zeigen einen höheren Prozentsatz an unsicher-vermeidenden Bindungen (ca. 29 %), während nur ca. 8 % der Kinder ein unsicher-ambivalentes Muster aufweisen (Gloger-Tippelt et al., 2000). Durch spätere Arbeiten wurde ein weiterer Bindungsstatus hinzugefügt, der sich auf den Organisationsaspekt bezieht - die sogenannte Bindungsdesorganisation (D-Status). Kinder mit Bindungsdesorganisation können sich für keine klare Verhaltensstrategie während der Trennung bzw. Wiedervereinigung entscheiden und brechen Verhaltenssequenzen ab oder zeigen bizarres Verhalten. Die Prävalenz für Bindungsdesorganisation liegt zwischen 15 % und 25 % (Main, 1995). Die meisten Forschungsarbeiten, die Bindung thematisieren und empirisch untersuchen, nutzen dieses Klassifikationssystem, was vor allem auf die methodischen Grundlagen der vorliegenden Messinstrumente zurückzuführen ist. Eine für die Bindungsmessung im Vorschulalter in den letzten Jahren häufiger eingesetzte Methodik sind die sogenannten Geschichtenergänzungsverfahren (story stemm, doll story). Hierbei werden den Kindern unter Einsatz von Puppen Geschichtenanfänge mit bindungsrelevantem Inhalt präsentiert, die von den Kindern vervollständigt werden sollen. Im deutschsprachigen Raum lässt sich - ähnlich wie beim „Fremde-Situations-Test“ - ein im internationalen Vergleich etwas höherer Anteil an unsicher-vermeidend gebundenen Kindern finden (z. B. Gloger-Tippelt, 1999). Auch das Gebiet der elterlichen Erziehung ist in den letzten Jahrzehnten intensiv beforscht worden. Die Teilbereiche von Erziehung, die dabei betrachtet wurden, gestalten sich sehr heterogen, was bereits anhand der Vielzahl existierender Erziehungsbegriffe deutlich wird (Fuhrer, 2005). Eingang in die Erziehungsforschung fand der Einfluss elterlicher Wärme, Wertschätzung und Kontrolle sowie verschiedene Eltern- und Kindmerkmale. Von enormer Bedeutung ist hierbei das Konzept des Erziehungsstils, das maßgeblich durch die Forschungsarbeiten von Baumrind (1966, 1971) geprägt wurde. Entsprechend der Ausprägung der zwei Hauptdimensionen „Elterliche Unterstützung“ und „Elterliche Kontrolle“ können vier verschiedene Erziehungsstile unterschieden werden, die als autoritativer, permissiver, autoritärer und vernachlässigender Erziehungsstil bezeichnet werden. Der autoritative Erziehungsstil, der auch als reifer Erziehungsstil bezeichnet wird, zeichnet sich durch ein hohes Maß sowohl an elterlicher Unterstützung als auch an elterlicher Kontrolle und Forderung aus. Permissiv erziehende Eltern weisen ein hohes Maß an Unterstützung und Wärme gegenüber ihren Kindern auf, jedoch ein geringes Maß an Kontrolle. Bei autoritären Eltern lässt sich - im Gegensatz zu den permissiven - viel Forderung und Kontrolle beobachten, aber dafür wenig Unterstützung und Wärme. Der vernachlässigende Erziehungsstil zeichnet sich durch fehlende Erziehungsverantwortung aus und es lassen sich weder elterliche Unterstützung noch elterliche Kontrolle beobachten. Spätere Arbeiten zeigen, dass es sinnvoll ist, die Kontrolldimension in die Bereiche „Verhaltenskontrolle“ und „Psychologische Kontrolle“ zu unterteilen (vgl. Barber, 2002). Darüber hinaus wird seit den 90er Jahren wie auch in der aktuellen Erziehungsforschung zunehmend eine systemisch-kontextualistische Betrachtungsweise eingenommen (z. B. Darling & Steinberg, 1993). Gleichzeitig werden Fragestellungen veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen in Verbindung mit Erziehung sowie die Erziehungssituation in Familien, die nicht dem Kernfamilienmodell entsprechen, bearbeitet (z. B. Hetherington, 1999). Mit Blick auf die Zusammenhänge zwischen elterlicher Erziehung und emotionaler Bindung kann festgestellt werden, dass kaum empirische Arbeiten existieren, die beide Konstrukte - speziell im Vor- und Grundschulalter - direkt miteinander in Beziehung setzen. Forschungsarbeiten in diesem Bereich konzentrieren sich vorrangig auf den Bereich der frühen Kindheit (De Wolff & van IJzendoorn, 1997) und thematisieren die Zusammenhänge zwischen elterlichem Verhalten und Bindung. Der 106 Annika Falkner, Urs Fuhrer Fokus der Betrachtung liegt dabei in der Regel nicht auf dem erzieherischen Verhalten der Eltern, sondern auf Aspekten der Pflege des Kindes und der allgemeinen Interaktion zwischen Elternteil und Kind. Cummings und Cummings (2002) betonen in ihrer konzeptionellen Arbeit zu Bindung und elterlichem Erziehungsverhalten die enorme Wichtigkeit empirischer Studien zu den Zusammenhängen zwischen beiden Konstrukten und fordern die Aufnahme einer intensiven Forschungsarbeit zu dem Thema bzw. den Ausbau bereits vorhandener Forschungstätigkeiten. Für ihre Forderung führen die Autoren verschiedene Argumente an. Zum einen weisen sie darauf hin, dass die Stabilität der Bindungsrepräsentation über die Zeit nur erwartet werden kann, wenn die umgebenden Kontextfaktoren in der familiären Umwelt des Kindes konstant bleiben. Zu diesen Kontextfaktoren zählt das elterliche Verhalten. Entsprechend naheliegend ist die Annahme, dass die elterliche Erziehung die Bindungsentwicklung entscheidend beeinflusst. Zum anderen argumentieren Cummings und Cummings (2002) mit Forschungsbefunden zu der Beziehung zwischen elterlichem Verhalten und kindlicher Bindung in der frühen Kindheit; diese zeigen deutliche Belege für die Existenz von Zusammenhängen zwischen den beiden Konstrukten. Daher sei anzunehmen, dass entsprechende Zusammenhänge auch nach dem Lebensabschnitt der frühen Kindheit zu finden seien. Darüber hinaus weisen die Autoren darauf hin, dass die vermuteten Einflüsse nicht nur direkter Natur sein müssen, sondern auch auf indirektem Wege wirksam werden können. Grusec und Goodnow (1994) konnten zeigen, dass eine positive emotionale Beziehung zwischen Eltern und Kindern die Effektivität elterlicher Erziehung erhöht. Zu einem ähnlichen Befund kommt die Arbeit von Kochanska, Aksan, Knaack und Rhines (2004). Auch die gefundenen Zusammenhänge zwischen der elterlichen Paarbeziehung und der kindlichen Bindung (Owen & Cox, 1997) können möglicherweise durch die elterliche Erziehung und Sensitivität moderiert werden. Befunde aus der Forschung in der frühen Kindheit (erstes und zweites Lebensjahr) weisen darauf hin, dass ein warmes, unterstützendes und nicht-strafendes mütterliches Verhalten die Entwicklung einer sicheren Bindung bei Kindern fördert (Egeland & Sroufe, 1981). Entsprechende empirische Arbeiten für das Vorschulalter bzw. Arbeiten, die gleichzeitig auch das väterliche Erziehungsverhalten und eventuell vorhandene geschlechtsspezifische Unterschiede einbeziehen, konnten aktuell nicht gefunden werden. Mit der vorliegenden Arbeit werden daher erste Schritte unternommen, diese Forschungslücke zu schließen. Es soll untersucht werden, inwieweit sich direkte Zusammenhänge zwischen der elterlichen Erziehung und der kindlichen Bindungsrepräsentation finden lassen. Auf Grund der Annahme, dass sowohl die Rolle des Vaters als auch eventuell vorhandene Unterschiede oder Ähnlichkeiten zwischen der mütterlichen und väterlichen Erziehung relevant sind, wird sowohl die mütterliche als auch die väterliche Sichtweise in die Betrachtung einbezogen. Dass ein derartiges Vorgehen sinnvoll ist, zeigen auch die Befunde von Grossmann et al. (2002), nach denen insbesondere dem feinfühligen väterlichen Spiel mit dem Nachwuchs eine herausragende Bedeutung zukommt. Grossmann und Grossmann (2004) weisen dabei mit Bezug auf diese Ergebnisse auf die Rolle der Unterschiede in der mütterlichen und väterlichen Feinfühligkeit für die kindliche Bindungsentwicklung hin. Des Weiteren soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, inwieweit dem kindlichen Geschlecht eine besondere Bedeutung zukommt. Unter Berücksichtigung von Befunden, nach denen Mütter und Väter durchaus geschlechtsspezifisch mit ihren Kindern interagieren (z. B. Lindsey & Mize, 2001) und daher bei Annahme von direkten Zusammenhängen zwischen Erziehung und Bindung auch geschlechtsspezifische Zusammenhänge denkbar sind, erscheint dies sinnvoll. In dieser Studie soll unter Berücksichtigung des kindlichen Geschlechts daher untersucht werden, inwieweit sich Zusammenhänge zwi- Bindung und Erziehung im Vorschulalter 107 schen den mütterlichen und väterlichen Erziehungseinstellungen und der Bindungsrepräsentation des Kindes im Vorschulalter finden lassen. Methode Stichprobe Im Rahmen der Studie wurden 32 Kernfamilien aus Magdeburg und dem angrenzenden Umland untersucht. Wie der Begriff Kernfamilie impliziert, handelt es sich um die in einem Haushalt lebenden leiblichen Eltern und das Vorschulkind. Die Geschlechterverteilung unter den Kindern ist ausgeglichen; es wurden 16 Jungen und 16 Mädchen untersucht. Das eventuelle Vorhandensein von Geschwisterkindern wurde im Rahmen der Erfragung demografischer Daten mit erfasst. Die Kinder der Stichprobe waren im Durchschnitt 5,7 Jahre alt; das jüngste Kind war 5,0 Jahre alt, das älteste 6,6 Jahre. Die Hälfte der untersuchten Kinder waren Einzelkinder, während die andere Hälfte vorwiegend ein Geschwisterkind hatte. Alle Kinder besuchten zum Untersuchungszeitpunkt einen Kindergarten, was unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Untersuchung in einem ostdeutschen Bundesland durchgeführt wurde, wo nach Angaben des Ministeriums für Gesundheit und Soziales in Sachsen-Anhalt ca. 90 % aller Kinder einen Kindergarten besuchen, als nicht ungewöhnlich einzustufen ist. Die Mütter der Stichprobe waren zum Untersuchungszeitpunkt durchschnittlich 33,8 Jahre alt (range: 27 - 40 Jahre). Etwa zwei Drittel von ihnen (63 %) gaben an, einen Realschulabschluss zu besitzen; ein weiteres Drittel (37 %) hat die Hochschulbzw. Fachhochschulreife. Alle Mütter waren zum Untersuchungszeitpunkt berufstätig. Darüber hinaus gaben 28,1 % der Mütter eine chronische Krankheit oder Behinderung an; 31,1 % berichteten, in den letzten fünf Jahren ein kritisches Lebensereignis erfahren zu haben. Es ist darauf hinzuweisen, dass die Angaben zu Krankheiten und kritischen Lebensereignissen nicht durch ein standardisiertes Instrument erfolgte, sondern durch eine entsprechende Frage (mit in Klammern stehender Erklärung) im Rahmen des demografischen Fragebogens. Die Väter der Stichprobe waren im Mittel zum Untersuchungszeitpunkt 36,0 Jahre (range: 30 - 44 Jahre) alt. Mit Sicht auf die Schulbildung fällt auf, dass bei den Vätern ein geringerer Teil das Abitur oder die FH-Reife erworben hat als bei den Müttern. Etwa 28 % haben die Schule mit Hochschul- oder Fachhochschulreife verlassen, während ca. 72 % einen Realschulabschluss erworben haben. Mit Blick auf die Erwerbstätigkeit unter den Vätern ist auch hier eine deutliche Überrepräsentation der erwerbstätigen Väter festzustellen. 97 % der untersuchten Väter gingen zum Untersuchungszeitpunkt einem Erwerb nach, während nur 3 % eine Erwerbslosigkeit angaben; dies entspricht einem Untersuchungsteilnehmer. Der Anteil an Vätern, der von chronischer Krankheit/ Behinderung sowie von einem kritischen Lebensereignis in den zurückliegenden fünf Jahren betroffen ist, liegt mit 6,3 % bzw. 12,5 % deutlich niedriger als in der Mütterstichprobe. Darüber hinaus ist zu erwähnen, dass alle Teilnehmer der Untersuchung zu diesem Zeitpunkt die deutsche Staatsbürgerschaft trugen und in Deutschland aufwuchsen. Messinstrumente Messung der kindlichen Bindungsrepräsentation Die kindliche Bindungsrepräsentation wurde qualitativ unter Einsatz eines Geschichtenergänzungsverfahrens (Attachment Story Completion Task) erfasst. Dieses Verfahren, welches ursprünglich von Bretherton, Ridgeway und Cassidy (1990) entwickelt wurde und in der deutschen Version von Geyer, Wietek und Spangler (1999) überarbeitet wurde, ermöglicht eine Erfassung der Bindungsrepräsentation von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren. Dabei werden den Kindern mit Hilfe von kleinen Puppen kurze Geschichtenstämme (story stem) mit bindungsrelevantem Inhalt dargeboten, welche von den Kindern fortgesetzt werden sollen. Im Vorfeld erfolgt die Präsentation einer Warmup-Geschichte, die keinerlei bindungsrelevanten Inhalt enthält und dazu dient, das Kind mit den Versuchsmaterialien und der Versuchssituation vertraut zu machen. Die im Anschluss daran dargebotenen Geschichten mit bindungsrelevantem Inhalt aktivieren mit steigender Intensität das kindliche Bindungssystem. Inhaltlich werden dabei Schmerz bzw. Angst des Kindes sowie Trennung und Wiedervereinigung thematisiert. Das gesamte Geschehen im Versuchsraum wurde per Videokamera aufgezeichnet und durch einen Kodierer, bei dem es sich nicht um den Versuchsleiter handelte, nach einem speziellen standardisierten Leitfaden kodiert bzw. proto- 108 Annika Falkner, Urs Fuhrer kolliert. Berücksichtigt werden dabei die verbalen Äußerungen des Kindes, durchgeführte Spielhandlungen und das Verhalten sowie die Mimik des Kindes während der Geschichten. Im Anschluss erfolgte auf Grundlage dieser Kriterien eine Klassifikation in die Kategorien „sicher gebunden“ (B), „unsichervermeidend gebunden“ (A) und „unsicher-ambivalent gebunden“ (C). Darüber hinaus wurde beurteilt, ob bei dem entsprechenden Kind eine Bindungsdesorganisation (D-Status) vorliegt. Kodierung der Videoaufzeichnungen des Geschichtenergänzungsverfahrens Die Kodierung der Geschichten auf Grundlage der Videoaufzeichnungen erfolgte nach dem von Geyer et al. (1999) entwickelten Kodierverfahren. Für die Bindungsklassifikation des Kindes sind drei Hauptkategorien im Rahmen des Kodierungsprozesses entscheidend. Die wichtigste Kategorie betrifft die vom Kind vorgeschlagene Lösung der präsentierten Problematik. Sicher gebundene Kinder präsentieren mehrheitlich adäquate Lösungen, wie z. B. Fürsorge und Verarztung durch die Eltern im Fall des verletzten Knies. Die zweite wichtige Kategorie im Zuge des Kodierungsprozesses betrifft eventuell vorhandene Besonderheiten im Erzählprozess. Während sicher gebundene Kinder ihre Geschichten schlüssig und ohne logische Brüche bzw. Brüche im verbalen Fluss erzählen, weisen Kinder mit unsicherer Bindungsrepräsentation derartige Brüche, wie z. B. lange Erzählpausen oder zusammenhangloses Geschehen, auf. Die dritte wichtige Kategorie im Kodierungsprozess hängt eng mit den Besonderheiten im Erzählprozess zusammen und bezieht sich auf die Kohärenz der kindlichen Geschichte. Unterstützend für die Beurteilung der Geschichten hinsichtlich der drei Hauptkategorien werden verschiedene Inhaltscodes genutzt, die eine Einordnung bzw. Kodierung des verbalen Geschehens und der Spielhandlung des Kindes ermöglichen. Darüber hinaus werden u. a. die Dauer und der Beginn der Geschichtenergänzung kodiert und es erfolgt eine Einschätzung der emotionalen Betroffenheit des erzählenden Kindes. Diese Informationen dienen nicht nur der Unterstützung zur Beurteilung der drei Hauptkategorien (Lösung, Besonderheiten im Erzählprozess und Kohärenz), sondern liefern darüber hinaus wichtige Zusatzinformationen für den Fall, dass die Informationen der drei Hauptkategorien für die Klassifikation des Bindungsstils nicht ausreichend sind. Die Beobachterübereinstimmung mit dem Eichbeobachter als Schätzung der Reliabilität der Beobachtung nach dem Training in der beschriebenen Methode ist mit 89 % bei der Bindungssicherheit und 84 % bei der Bindungsdesorganisation als zufriedenstellend einzustufen. Eine erneute Berechnung des Übereinstimmungsmaßes bei der vorliegenden Stichprobe war nicht möglich, da es keinen verfügbaren zweiten Beobachter gab, der in der Methode geschult und entsprechend reliabel in der Beobachtung war. Messung der elterlichen Erziehungseinstellungen Die Messung der elterlichen Erziehungseinstellungen erfolgte mittels des gleichnamigen Fragebogens (Questionnaire on Parental Attitudes) von Goldberg und Easterbrooks (1988). Der Fragebogen beinhaltet 65 Aussagen zur Kindeserziehung, bezüglich derer die Eltern entscheiden sollen, inwieweit sie diesen Aussagen zustimmen bzw. sie ablehnen. Als Antwortformat wählten die Autorinnen eine sechsstufige Likert-Skala („das lehne ich völlig ab“ bis „ich stimme völlig zu“). Die Originalversion des Fragebogens von Goldberg und Easterbrooks (1988) beinhaltet drei verschiedene Subskalen. Die Skala „Wärme und Respekt“ (n = 23 Items, Cronbach’s Alpha = .89) entspricht nach Angaben der Autorinnen einer autoritativen Erziehungseinstellung, nach der Wärme und Respekt gegenüber dem Kind mit Unterstützung bei der Bewältigung von Aufgaben und dem Fördern von Autonomiebemühungen einhergehen. Die Skala „Strenge und Überbehütung“ (n = 16 Items, Cronbach’s Alpha = .73) spiegelt eine autoritäre Erziehungseinstellung wider und zeichnet sich durch Zustimmung zu strikten Regeln und hohe Kontrolle aus. Die dritte Subskala „Eltern-Kind-Konflikte und Ärger“ (n = 10 Items, Cronbach’s Alpha = .69) steht als Indikator der Konflikthäufigkeit und -intensität in der Eltern-Kind-Interaktion. Die von Goldberg und Easterbrooks (1988) vorgeschlagenen Skalen erwiesen sich in der vorliegenden Stichprobe als nicht einsetzbar, worauf die als absolut unbefriedigend einzuschätzenden Reliabilitäten hinwiesen. Daher wurde es notwendig, die Skalenstruktur zu überarbeiten und mittels einer eigenen Faktorenanalyse anhand der Daten von 89 Vätern und Müttern zu optimieren. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Stichprobengröße für ein derartiges methodisches Verfahren sehr klein ist, wurde sehr konservativ vorgegangen. Als Verfahren wurde die Hauptachsenanalyse gewählt, als Rotationsform wurde unter Annahme von Korrelationen Bindung und Erziehung im Vorschulalter 109 zwischen den Faktoren ein obliques Verfahren gewählt (Oblimin-Methode). Bei der Extraktion der Faktoren und dazugehörigen Items wurden nach Costello und Osborne (2005) Screetest, Faktorladungen und -struktur einbezogen. In der für die vorliegende Studie daraufhin entwickelten deutschen Version erwies sich die Extraktion von vier Faktoren als die beste Lösung. Die Subskala „Wärme und Wertschätzung“ beinhaltet 7 Items (Cronbach’s Alpha = .80) und entspricht inhaltlich der Kombination aus Wärme und Zugewandtheit sowie Unterstützung bei der Bewältigung von Aufgaben. Beispielitems sind „Ich finde es interessant und pädagogisch wertvoll, für längere Zeitperioden mit meinem Kind zusammen zu sein.“, „Ich ermutige mein Kind dazu, immer sein Bestes zu tun.“. Die Subskala „Überbehütung“ umfasst 8 Items (Cronbach’s Alpha = .69) und betont stark behütendes elterliches Verhalten sowie die Ablehnung gegenüber dem kindlichen Übernehmen von kleinen Aufgaben und Pflichten (Beispielitems: »Ich versuche mein Kind von Familien und Kindern fernzuhalten, bei denen andere Werte und Einstellungen herrschen.“, „Ich versuche mein Kind von Raufereien abzuhalten.“). Die dritte Subskala „Sorge“ erfasst die Ausprägung elterlicher Besorgtheit bezüglich des kindlichen Wohlergehens und wird mittels 6 Items gemessen (Cronbach’s Alpha = .63). Beispielhafte Items sind „Ich mache mir um die schlimmen und traurigen Dinge Sorgen, die meinem Kind passieren könnten, wenn es größer wird.“, „Ich sorge mich um die Gesundheit meines Kindes.“. Die vierte Subskala ist „Konfliktvermeidung und soziale Erwünschtheit“, welche 6 Items umfasst (Cronbach’s Alpha = .71). Diese Skala erfasst, inwieweit Eltern manchmal auftretende Konflikte oder manchmal auftretendes inkonsequentes Verhalten zugeben. Beispielitems der Subskala sind „Es passiert nicht, dass ich vergesse, wenn ich meinem Kind etwas versprochen habe.“ sowie „Ich drohe Bestrafungen nicht öfter an, als ich sie dann wirklich ausführe.“. Messung der Sprach- und Kognitionsentwicklung als Kontrollvariablen Da es sich bei der Bindungsrepräsentation um eine mentale Repräsentation handelt, gibt es einen klaren Bezug zur Kognition. Darüber hinaus erfordert die Erhebung der Bindungsrepräsentation mittels des Geschichtenergänzungsverfahrens sprachliche Fertigkeiten, wodurch es notwendig wird, eventuelle Einflüsse der Bindungsklassifikation durch die kindliche Sprachkompetenz zu kontrollieren. Unter Einsatz entsprechender Untertests des Wiener Entwicklungstests (WET) (Kastner-Koller & Deimann, 1998) und des Heidelberger Sprachentwicklungstests (H-S-E-T) (Grimm & Schöler, 1991) wurden die kognitiven und sprachlichen Kompetenzen der Kinder erhoben. Die dem WET entnommenen Subskalen umfassen die Tests zum Funktionsbereich „Lernen und Gedächtnis“ (phonologischer und visuellräumlicher Speicher), „Kognitive Entwicklung“ (räumliches, induktives und analoges Denken sowie Orientierung in der Lebenswelt) und „Sprache“ (sprachliche Begriffsbildung und Verständnis für grammatikalische Strukturen). Die angewendeten Untertests des H-S-E-T beziehen sich auf die Bereiche „Satzbedeutung“ (semantische Konsistenz von Sätzen und Satzbildung) sowie „Interaktive Bedeutung der Sprache“ (Benennungsflexibilität und Beziehung zwischen verbaler und nonverbaler Information). Nach Auswertung der Ergebnisse werden die Kinder bezüglich ihrer gemessenen kognitiven und sprachlichen Kompetenzen einer von drei Gruppen zugeordnet. Gruppe 1 umfasst hierbei Kinder, deren kognitive und/ oder sprachliche Fähigkeiten unterhalb des entsprechenden Altersdurchschnitts liegen. Die Mehrzahl der ermittelten Werte in den Untertests liegt bei diesen Kindern mehr als eine Standardabweichung unterhalb des Mittelwerts. Kinder, die in den Sprach- und Kognitionstests vorrangig Ergebnisse im Bereich des Altersdurchschnitts erreicht haben (Bereich einer Standardabweichung oberhalb und unterhalb des Mittelwerts), wurden der Gruppe 2 zugeordnet. Die Gruppe 3 umfasst schließlich Kinder, die mehrheitlich überdurchschnittliche Leistungen (oberhalb einer Standardabweichung über dem Mittelwert) in den Funktionsbereichen Sprache und Kognition erreicht haben. Durchführung der Untersuchung Die Durchführung der Untersuchung fand in den Räumen des Instituts für Psychologie der Universität Magdeburg statt. Das hier ansässige Familienberatungszentrum des DIEZ e.V. (Diagnostik-, Interventions- und Evaluationszentrum) bietet aufgrund der kinder- und familienfreundlichen Ausstattung sowie der Möglichkeit zur Videoübertragung und -aufnahme sehr gute Bedingungen für eine derartige Studie. Die Rekrutierung der Stichprobe erfolgte in Kindertagesstätten verschiedener Stadtteile Magdeburgs. Im Rahmen von Elternabenden wurden Informa- 110 Annika Falkner, Urs Fuhrer tionsveranstaltungen durchgeführt und die Eltern hatten die Möglichkeit, sich zur Teilnahme anzumelden. Im Bewusstsein des Aufwandes, den eine Teilnahme für die Familie bedeutet, wurde den Eltern angeboten, eine schriftliche Rückmeldung über die Ergebnisse des Sprach- und Kognitionstests ihres Kindes zu bekommen. Darüber hinaus erhielten die Kinder die Möglichkeit, einen Schnupperkurs in Kinderkarate zu besuchen. Die Erhebung der elterlichen Erziehungseinstellungen und der kindlichen Bindungsrepräsentation erfolgte im Zuge eines gemeinsamen Termins, während die Untersuchung der kindlichen kognitiven und sprachlichen Kompetenzen im Rahmen eines zweiten Termins durchgeführt wurde. Bei dem ersten Termin zur Erziehungs- und Bindungsmessung waren stets zwei Versuchsleiter (VL) gleichzeitig tätig, um das Verfahren für die Familie nicht unnötig lang werden zu lassen. Ein VL befand sich hierbei in einem separaten Raum zusammen mit dem Kind und führte das Geschichtenergänzungsverfahren zur Bindungsmessung durch. In einem angrenzenden Raum befanden sich die Eltern zusammen mit dem zweiten VL und bearbeiteten den Fragebogen zu den Erziehungseinstellungen. Dabei wurde vom VL darauf geachtet, dass die Eltern keine Möglichkeit zur Kommunikation und gegenseitigen Abstimmung hatten. Um sowohl den Eltern als auch den Kindern ein Gefühl der Kontrolle und Sicherheit zu geben, wurde die Untersuchung des Kindes per Videoübertragung in den Raum der Eltern übertragen, ohne jedoch den Ton anzustellen. Somit konnten die Eltern nicht die Geschichten der Kinder hören, hatten jedoch immer die Möglichkeit, ein Auge auf das Geschehen im Nebenraum zu werfen. Den Kindern wiederum war bewusst, dass ihre Eltern sie trotz der Abwesenheit nicht ganz allein lassen (ohne sie jedoch hören zu können) und jederzeit erscheinen können, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Im Rahmen eines zweiten Termins wurde die Messung der kindlichen Sprach- und Kognitionskompetenz durchgeführt. Auch hier befand sich der VL zusammen mit dem Kind in einem separaten Raum, um Ablenkung durch die Anwesenheit des begleitenden Elternteils zu vermeiden. Nach Abschluss dieser zweiten Erhebung erhielten die Kinder ein kleines Geschenk. Die Rückmeldung über die Leistungen beim Sprach- und Kognitionstest erfolgte - sofern erwünscht - schriftlich per Post einige Tage nach Abschluss der Untersuchung. Ergebnisse Deskriptive Daten Kindliche Bindungsrepräsentation Die Klassifikation der Bindungsrepräsentation wurde nach dem bekannten ABCD-Schema vorgenommen. Das A-Bindungsmuster bezeichnet die unsicher-vermeidend gebundenen Kinder, der B-Bindungsstil die sicher gebundene Gruppe und das C-Muster die unsicher-ambivalent gebundenen Kinder. Der D-Status bezieht sich auf eine vorhandene versus nicht vorhandene Bindungsdesorganisation des Kindes. In der Untersuchungsstichprobe konnten 17 Kinder (53 %) als „sicher“ klassifiziert werden, 13 (41 %) wurde das unsicher-vermeidende Muster zugeordnet und zwei der untersuchten Kinder (6 %) zeigten ein unsicher-ambivalentes Bindungsverhalten. Bei keinem Kind der vorliegenden Stichprobe konnte ein desorganisiertes Bindungsverhalten beobachtet werden. Das Geschlecht des Kindes oder andere demografische Variablen zeigten keinen signifikanten Zusammenhang mit der beobachteten Bindungsrepräsentation. Aufgrund der geringen Anzahl an Kindern mit unsicher-ambivalentem Bindungsmuster wird bei folgenden Analysen keine Differenzierung zwischen unsicher-vermeidend und unsicher-ambivalent gebundenen Kindern vorgenommen. Im Folgenden wird daher nur noch von einer sicheren versus unsicheren Bindungsrepräsentation gesprochen. Die Überprüfung möglicher Zusammenhänge mit persönlichen Angaben der Familienmitglieder bzw. mit Angaben zur Kinderbetreuung in öffentlichen Einrichtungen (z. B. Häufigkeit und Dauer des Kita-Besuchs) ergab keine signifikanten Zusammenhänge. Dies gilt auch für mögliche Zusammenhänge mit den als Kontrollvariablen erhobenen kognitiven und sprachlichen Kompetenzen der Kinder. Elterliche Erziehungseinstellungen Bevor weitere Ergebnisse der Studie berichtet werden, wird darauf hingewiesen, dass die folgenden Ergebnisse auf der Datenanalyse mit Bindung und Erziehung im Vorschulalter 111 nonparametrischen Verfahren beruhen, da die Überprüfung der Verteilungen der Erziehungsvariablen bei zwei Skalen die Annahme einer Normalverteilung nicht zulässt. Die im Text mit r s gekennzeichnete Korrelation steht für den entsprechend der Skaleneigenschaften eingesetzten Rangkorrelationskoeffizienten nach Spearman; bei den für die Datenanalyse verwendeten Unterschiedtests handelt es sich um den U-Test nach Mann-Whitney bzw. den Wilcoxon-Test. Nach Bortz (1999) geht die Verteilung der U- und T-Werte ab einer Stichprobengröße von n > 10 in eine Normalverteilung über, weshalb im Text stets die z-Werte als statistische Prüfgröße angegeben werden. Die Prüfung der korrelativen Zusammenhänge zwischen den Erziehungsskalen in der Gesamtstichprobe zeigt einen geringen signifikanten Zusammenhang zwischen den Skalen „Überbehütung“ und „Sorge“ (r s = .28, p < .01). Zwischen den anderen Subskalen haben sich keine statistisch bedeutsamen Interkorrelationen ergeben. Wie aus der Tabelle 1 ersichtlich wird, liegt bei den Subskalen zu den elterlichen Erziehungseinstellungen - ausgenommen die Skala „Überbehütung“ - eine leicht bis deutlich rechtsschiefe Verteilung vor. Die Betrachtung der deskriptiven Werte erfolgt differenziert nach Müttern und Vätern, da eine derartige Sichtweise im systemischen Denken zentral ist. Im weiteren Verlauf wurde geprüft, inwieweit sich die mütterlichen und väterlichen Werte auf den Erziehungsskalen unterscheiden. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass insbesondere kindliche Geschlechtsunterschiede von Interesse sind, wird die statistische Prüfung auf signifikante Unterschiede zwischen Müttern und Vätern in der Erziehung auch getrennt nach Jungen und Mädchen vorgenommen. Die Ergebnisse des dafür eingesetzten Wilcoxon- Tests zur nonparametrischen Prüfung von Unterschiedshypothesen bei zwei verbundenen Stichproben zeigt, dass sich Mütter und Väter in ihren Werten auf der Skala „Sorge“ signifikant voneinander unterscheiden (z = -2,23, p < .05). Die geschlechtsspezifische Unterschiedsanalyse verdeutlicht, dass dieser Unterschied zwischen den mütterlichen und väterlichen Werten auf der Skala „Sorge“ durch die Mädchenstichprobe (n = 16) hervorgerufen wird. Während sich in der Jungenstichprobe (n = 16) dieser Unterschied nicht mehr als statistisch bedeutsam darstellt (z = -.76, p < .45), ist er in der Mädchenstichprobe eindeutig nachzuweisen (z = -2,24, p < .05). Bezüglich der anderen Erziehungsvariablen haben sich keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen Müttern und Vätern ergeben. Des Weiteren wurde geprüft, inwieweit es mögliche Zusammenhänge der mütterlichen bzw. väterlichen Erziehungsparameter mit den demografischen Variablen gibt. Als einflussreich Wärme und Überbehütung Sorge Konfliktvermeidung Wertschätzung und soziale Erwünschtheit Mutter (n = 32) M (SD) 5.1 (.49) 3.2 (.68) 5.1 (.55) 4.0 (.75) Md 5.3 3.1 5.3 4.0 Vater (n = 32) M (SD) 4.9 (.75) 3.0 (.75) 4.8 (.57) 4.1 (.79) Md 5.1 3.0 4.9 4.1 Tabelle 1: Mittelwerte (M), Mediane (Md) und Standardabweichungen (SD) der mütterlichen und väterlichen Erziehungseinstellungen 112 Annika Falkner, Urs Fuhrer erweisen sich hierbei das Vorhandensein von Geschwistern sowie eventuell vorhandene Krankheiten/ Behinderungen bei den Müttern und Kindern. Die Ergebnisse des eingesetzten U-Tests nach Mann-Whitney zeigen einen signifikanten Unterschied auf der Skala „Konfliktvermeidung und soziale Erwünschtheit“ zwischen Vätern von Kindern mit Geschwistern und Vätern von Kindern ohne Geschwister (z = -2,45, p < .01). Väter von Kindern ohne Geschwister (n = 16) haben signifikant geringere Werte auf der Skala als Väter mit mehr als einem Kind (n = 16). In der Mütterstichprobe zeigt sich der statistisch bedeutsame Unterschied in Abhängigkeit von dem Vorhandensein von Geschwistern auf der Skala „Überbehütung“ (z = -2,65, p < 01). Mütter von mehr als einem Kind weisen in dem Bereich „Überbehütung“ deutlich höhere Werte auf als Mütter von Einzelkindern. Das Geschlecht und das Alter der Geschwisterkinder spielte bei den aufgezeigten Unterschieden keine Rolle. Die Prüfung statistisch bedeutsamer Unterschiede in Abhängigkeit von eventuell vorhandenen chronischen Krankheiten und Behinderungen zeigt einen signifikanten Unterschied auf der Skala „Sorge“ zwischen Vätern von Kindern mit einer chronischen Krankheit oder Behinderung (n = 5) und Vätern von gesunden Kindern (n = 27) (z = -2,59, p < .01). Dabei weisen Väter von gesunden Kindern höhere Werte auf der Skala „Sorge“ auf als die von Kindern mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen. Ein weiteres - vor allem aus systemischer Perspektive - wichtiges Ergebnis betrifft Unterschiede der väterlichen Werte auf den Erziehungsskalen in Abhängigkeit von dem Vorhandensein chronischer Krankheiten oder Behinderungen bei den Müttern der Stichprobe. Ein statistisch bedeutsamer Unterschied ergibt sich für die Väter auf den Skalen „Wärme und Wertschätzung“ sowie „Konfliktvermeidung und soziale Erwünschtheit“ (z = -2,22, p < .05 bzw. z = 2,10, p < .05). Väter von Familien, in denen die Mütter eine chronische Krankheit oder Behinderung haben (n = 9), weisen signifikant geringere Werte auf der Skala „Wärme und Wertschätzung“ und signifikant höhere Werte auf der Skala „Konfliktvermeidung und soziale Erwünschtheit“ auf als Väter, deren Frauen keine chronische Krankheit oder Behinderung angeben (n = 23). Die weitere Prüfung möglicher Zusammenhänge zwischen persönlichen Angaben der Untersuchungsteilnehmer und den Skalen zu Erziehungseinstellungen ergab keine zusätzlichen signifikanten Ergebnisse. Zusammenhänge zwischen Erziehung und Bindung Die Prüfung möglicher Zusammenhänge zwischen den elterlichen Erziehungsskalen und der kindlichen Bindungsrepräsentation ergibt keine geschlechtsunspezifischen Zusammenhänge zwischen diesen Konstrukten. Die geschlechtsspezifische Betrachtung dagegen verdeutlicht, dass die Bindungsrepräsentation von sowohl Jungen als auch Mädchen spezifische Zusammenhänge mit der elterlichen Erziehung aufweist. Im Speziellen zeigt die Prüfung statistisch bedeutsamer Zusammenhänge bzw. Unterschiede, dass sich Väter in ihren Werten auf den Erziehungsskalen in Abhängigkeit von der Bindungsrepräsentation ihrer Töchter unterscheiden. Das Ergebnis des U-Tests nach Mann- Whitney, mit dem die Unterschiede in den väterlichen Erziehungseinstellungen in Abhängigkeit von einer sicheren versus unsicheren Bindung getestet wurden, zeigt einen signifikanten Unterschied auf der Skala „Überbehütung“ (z = -2,01, p < .05) sowie einen tendenziellen Unterschied auf den Skalen „Wärme und Wertschätzung“ und „Sorge“ (z = -1,61, p < .10 bzw. z = -1,70, p < .10). Väter von sicher gebundenen Töchtern (n = 10) weisen in den drei genannten Erziehungsbereichen höhere Werte auf als Väter von Töchtern mit unsicherer Bindungsrepräsentation (n = 6). Für die Aufklärung der vorhandenen Zusammenhänge zwischen Bindung und Erziehung bei den Jungen werden die Werte beider Eltern betrachtet. Die statistische Analyse zeigt, Bindung und Erziehung im Vorschulalter 113 dass die elterlichen Distanzen auf zwei der vier Erziehungsskalen in Abhängigkeit von der kindlichen Bindungsrepräsentation bei den Söhnen variieren. Die mütterlichen und väterlichen Werte auf den Skalen „Wärme und Wertschätzung“ sowie „Überbehütung“ unterscheiden sich bei Eltern von sicher gebundenen Söhnen (n = 7) signifikant stärker als die von Eltern unsicher gebundener Söhne (n = 9) (z = -1,93, p < .05 bzw. z = -1,92, p < .05). Zur Spezifizierung und Aufklärung dieses Befunds wurden die mütterlichen und väterlichen Ausprägungen auf den zwei bedeutsamen Skalen einer genaueren Betrachtung unterzogen. Im Ergebnis zeigte sich, dass Väter von Söhnen mit sicherer Bindungsrepräsentation deutlich geringere Werte auf der Skala „Wärme und Wertschätzung“ aufwiesen als die Mütter; dieser Unterschied erweist sich bei Durchführung des entsprechenden Unterschiedstests als statistisch tendenziell bedeutsam (z = -1,69, p < .10). Die Werte der Eltern von unsicher gebundenen Söhnen auf dieser Skala waren hingegen vergleichbar. Mit Blick auf die mütterlichen und väterlichen Ausprägungen auf der Skala „Überbehütung“ zeigt sich, dass die Väter von sicher gebundenen Söhnen ebenfalls deutlich niedrigere Werte haben als die Mütter; dieser Unterschied verfehlt jedoch die statistische Signifikanz. Diskussion und Ausblick In der vorliegenden Studie wurde unter Berücksichtigung einer systemischen Betrachtungsweise untersucht, inwieweit sich direkte Zusammenhänge zwischen den elterlichen Erziehungseinstellungen und der kindlichen Bindungsrepräsentation finden lassen. Die vorliegenden Ergebnisse weisen darauf hin, dass es direkte Zusammenhänge gibt und dass es notwendig und lohnenswert ist, nicht nur eine einzelne Dyade des Familiensystems zu betrachten (z. B. Mutter-Kind-Dyade), sondern die Sichtweise mehrerer Familienmitglieder - vor allem die von Mutter und Vater - einzubeziehen. Damit stützen die Befunde die Hypothese von Cummings und Cummings (2002), nach der die Existenz von direkten Zusammenhängen zwischen Erziehung und Bindung naheliegend ist. Zwei Aspekte werden durch die Ergebnisse besonders hervorgehoben. Zum einen zeigt sich, dass die Berücksichtigung des kindlichen Geschlechts für die wissenschaftliche Betrachtung elterlicher Erziehung sowie deren Zusammenhänge mit anderen kindlichen Parametern, in diesem Fall die Bindungsrepräsentation, von entscheidender Bedeutung ist. Zum anderen zeigt sich die Notwendigkeit einer systemisch orientierten Betrachtungsweise, da ein Teil der möglichen Zusammenhänge nur durch den Einbezug der Sichtweisen beider Elternteile sichtbar wird. Die im Vorfeld vorgenommene Analyse zu Zusammenhängen der Daten von Bindung und Erziehung mit den demografischen Angaben zeigt einige interessante Befunde. Zunächst kann mit Blick auf die Verteilung der Bindungsmuster festgestellt werden, dass mit rund 53 % sicher gebundenen Kindern und rund 47 % unsicher gebundenen Kindern die Ergebnisse anderer Studien, nach denen im deutschen Sprachraum das unsichere Bindungsmuster etwas häufiger gefunden wird, bestätigen. Dieser Trend bestätigt sich auch bei Einsatz des Geschichtenergänzungsverfahrens, bei dem die Auftretenshäufigkeit des unsicheren Bindungsmusters im deutschen Raum sogar noch höher ist als in Studien, in denen der „Fremde-Situations-Test“ eingesetzt wurde (z. B. Gloger-Tippelt, Gomille, König & Vetter, 2002). Des Weiteren liefert der aufgezeigte signifikante Unterschied zwischen Müttern und Vätern auf der Skala „Sorge“ in Abhängigkeit vom kindlichen Geschlecht einen Hinweis auf die geschlechtsspezifische Erziehung bei Eltern, die in dem Bereich Sorge und Behütung bereits mehrfach in Studien belegt werden konnte. Gildemeister (1988) wie auch Eickhoff, Hasenberg und Zinnecker (1999) konnten in ihren Arbeiten zur geschlechtsdifferenzierenden Erziehung feststellen, dass Mütter von Töchtern besser über deren Tun informiert sind und sie stärker beaufsichtigen als sie dies bei Söhnen tun bzw. als dies Väter im Allgemeinen tun. Dieser Befund 114 Annika Falkner, Urs Fuhrer wird durch den Unterschied zwischen den sich stärker sorgenden Müttern und den sich signifikant weniger sorgenden Vätern von Töchtern bestätigt. Ein vor dem Hintergrund der systemischen Betrachtungsweise wichtiger Zusammenhang betrifft die väterlichen Erziehungseinstellungen in Familien, in denen die Mütter eine chronische Krankheit oder Behinderung aufweisen. Diese Väter haben deutlich geringere Werte auf der Skala „Wärme und Wertschätzung“ sowie höhere Ausprägungen in dem Bereich „Konfliktvermeidung und soziale Erwünschtheit“. Auch wenn bei der Interpretation dieses Ergebnisses die geringe Stichprobengröße (n = 9) klar berücksichtigt werden muss, ist es denkbar, dass Vätern in diesem Fall weniger Ressourcen für die Erziehung zur Verfügung stehen und im Gegenzug ein größerer Teil der Aufmerksamkeit den Müttern gewidmet wird. Ebenfalls mit Vorsicht interpretiert werden müssen die statistisch bedeutsamen Zusammenhänge zwischen den väterlichen Werten auf der Skala „Konfliktvermeidung und soziale Erwünschtheit“ und dem Vorhandensein von Geschwistern sowie zwischen den Ausprägungen des Vaters in dem Bereich „Sorge“ und vorhandenen chronischen Krankheiten/ Behinderungen des Kindes. Zu beiden Befunden konnten aktuell keine Hinweise in der Literatur gefunden werden und unter Berücksichtigung der geringen Stichprobengröße ist es notwendig zu prüfen, ob ein derartiges oder ähnliches Ergebnis erneut gefunden werden kann. Dies betrifft auch die signifikant höheren Werte auf der Skala „Überbehütung“, die bei den Müttern von Kindern mit Geschwistern gefunden wurden. Die Ergebnisse zu den in dieser Arbeit thematisierten direkten Zusammenhängen zwischen Erziehung und Bindung gestalten sich sehr interessant, müssen jedoch stets vor dem Hintergrund der geringen Stichprobengröße verstanden werden. Die Befunde der Studie bestätigen nicht nur die Existenz von direkten Zusammenhängen zwischen beiden Konstrukten, sondern weisen auch darauf hin, dass die Annahme von geschlechts- und elternspezifischen Effekten ein Schritt in die richtige Richtung ist. Bei geschlechtsunspezifischer Betrachtung lassen sich keine statistisch signifikanten Verbindungen zwischen Erziehung und Bindung feststellen. Dieses Bild ändert sich jedoch unter Berücksichtigung des kindlichen Geschlechts. Dabei erweist sich die väterliche Erziehung in der Mädchenstichprobe für die kindliche Bindungsrepräsentation überraschenderweise als besonders bedeutsam. Die Väter sicher gebundener Töchter haben deutlich höhere Werte im Bereich der „Überbehütung“ sowie tendenziell höhere Ausprägungen in den Bereichen „Sorge“ und „Wärme und Wertschätzung“ als Väter von unsicher gebundenen Töchtern. Dagegen ließen sich keine statistisch signifikanten Zusammenhänge mit den Müttern der Stichprobe finden. Bei Jungen hingegen scheint insbesondere die Kombination verschiedener Ausprägungen in bestimmten Bereichen der mütterlichen und väterlichen Erziehung von Bedeutung für die Bindungsrepräsentation zu sein. Hohe elterliche Distanzen auf den Skalen „Wärme und Wertschätzung“ sowie „Überbehütung“ gehen mit einer sicheren Bindungsrepräsentation bei den Söhnen einher. Im Speziellen heißt das, hohe Ausprägungen auf diesen Skalen bei den Müttern und niedrige Werte bei den Vätern treten vorrangig bei sicher gebundenen Söhnen auf, während die Werte der Eltern unsicher gebundener Söhne in diesen Erziehungsbereichen vergleichbar sind. Statistisch betrachtet erweist sich dabei vor allem die elterliche Distanz im Bereich „Wärme und Wertschätzung“ als tendenziell bedeutsam. Die besondere Bedeutung eines warmen und unterstützenden mütterlichen Verhaltens für die kindliche Bindung, wie es bei Egeland und Sroufe (1981) für die frühe Kindheit berichtet wird, kann in den vorliegenden Daten zum Vorschulalter nicht mehr gefunden werden. Vielmehr scheint im Vorschulalter den Vätern eine besondere Bedeutung zuzukommen. Dabei profitieren Mädchen in Bezug auf die Bindung offensichtlich von einem warmen, behütenden und sorgenden Vater, während Jungen Bindung und Erziehung im Vorschulalter 115 insbesondere die Kombination einer mit Wärme erziehenden Mutter und eines weniger warm erziehenden Vaters zugute zu kommen scheint. Der Befund bei den Jungen erscheint auf den ersten Blick unverständlich, doch unter Berücksichtigung der Befunde zur väterlichen Spielfeinfühligkeit von Grossmann et al. (2002) sowie der Ergebnisse von MacDonald und Parke (1986) sowie Jacklin, DiPietro und Maccoby (1984) zum väterlichen Verhalten gegenüber Söhnen ist dieser Zusammenhang erklärbar. Im Umgang mit Söhnen unterscheidet sich das Verhalten von Vätern klar von dem der Mütter. Wie MacDonald und Parke (1986) sowie Jacklin et al. (1984) berichten, ist das väterliche Verhalten gegenüber Söhnen durch mehr körperbetontes und herausforderndes Spiel (z. B. Kempeln und Raufen) gekennzeichnet. Während Söhne ihre Mütter eher als Quelle zur Beruhigung betrachten, werden Väter als Spielgefährten bevorzugt (Lamb, 1997). Diese bedeutende Art des Spiels, in der auch Feinfühligkeit eine wichtige Rolle spielt, wird jedoch mit der verwendeten Skala „Wärme und Wertschätzung“ nicht erfasst; diese erhebt vorrangig die Art und Weise, mit der Mütter Wärme signalisieren. Vor diesem Hintergrund ist es erklärbar, warum die Kombination einer hohen Ausprägung auf der Skala „Wärme und Wertschätzung“ bei der Mutter und einer geringen Ausprägung bei dem Vater mit einer sicheren Bindungsrepräsentation bei den Jungen einhergeht. Interessant ist hierbei auch, dass dieser Befund als Hinweis darauf verstanden werden kann, dass es im Sinne einer positiven Entwicklung auch wertvoller Unterschiede zwischen den Eltern in einigen Erziehungsbereichen bedarf und eine hohe elterliche Übereinstimmung in allen Facetten der Erziehung nicht immer eine positive Entwicklung fördert. Bei Mädchen hingegen scheint sich ein warmes, sehr behütendes und sorgendes Verhalten seitens des Vaters positiv auszuwirken. Aktuell nicht erklärbar ist, warum die Mütter - insbesondere bei den Mädchen - bei den Zusammenhängen zwischen Erziehung und Bindung nicht in Erscheinung treten. Möglicherweise spielt, wie schon mehrfach erwähnt wurde, die geringe Stichprobengröße eine Rolle. Zudem konnten aufgrund der Stichprobengröße keine kausalen Aussagen getätigt werden. Wichtig für die Interpretation der Ergebnisse ist ebenfalls, dass in der aktuellen Untersuchung lediglich die Erziehungseinstellungen erhoben wurden und keine Daten zum tatsächlichen Erziehungshandeln vorliegen. Die Erhebung beider Variablen würde in diesem Zusammenhang jedoch einen erheblichen Erkenntnisgewinn bedeuten. Auch die Optimierung des eingesetzten Fragebogens zur Messung der elterlichen Erziehungseinstellungen oder aber der Einsatz eines anderen Erziehungsmessinstruments könnten wichtige zusätzliche Informationen liefern. Mit dem Instrument von Goldberg und Easterbrooks (1988) kam ein Fragebogen zum Einsatz, der bisher im deutschsprachigen Raum noch nicht eingesetzt wurde und mittels einer kleinen Stichprobe in der Skalenstruktur überarbeitet werden musste. Ziel zukünftiger Untersuchungen sollte es daher nicht nur sein, die berichteten Zusammenhänge zu überprüfen, sondern auch Aussagen zu ermöglichen, die über die Zusammenhangsebene hinausgehen. Zusätzlich müssten auch regionale Besonderheiten als wichtige Einflussquelle berücksichtigt werden. Die Erhebung der Daten erfolgte ausschließlich in Sachsen-Anhalt und möglicherweise existieren Unterschiede zwischen den Bundesländern. Allein die Tatsache, dass alle untersuchten Kinder eine Kindestagesstätte besuchen, stellt ein bedeutendes Merkmal dar, das jedoch charakteristisch für die neuen Bundesländer ist. Diese Studie als ein erster Schritt in Richtung einer systemisch orientierten Forschung zu den Zusammenhängen zwischen Erziehung und Bindung liefert erste empirische Einblicke in diesen Bereich und ermutigt mit ihren interessanten Ergebnissen zur Ausweitung und Intensivierung der Forschungstätigkeit auf diesem Gebiet. Dabei gilt es zum einen die Daten- und Befundlage bei den Kernfamilien zu erweitern bzw. zu stabilisieren sowie eventuell vorhandene Interaktions- und Moderatoreffekte aufzu- 116 Annika Falkner, Urs Fuhrer decken. Zum anderen ist es aber auch von hohem Interesse, die Forschung auf andere Familienformen auszudehnen (z. B. Stief- und Einelternfamilien) und weitere Variablen, wie z.B. die elterliche bzw. kindliche Persönlichkeit sowie Geschwisterbeziehungen, zu berücksichtigen. Im Sinne einer systemisch-kontextualistischen Betrachtungsweise sollte der Anspruch, möglichst mehrere Subsysteme einzubeziehen, um ein Verständnis für die Zusammenhänge zwischen familienpsychologisch relevanten Konstrukten auf Seiten der Eltern und Kinder zu gewinnen, bestehen bleiben. Literatur Ainsworth, M. D. S., Blehar, M. C., Waters, E. & Wall, S. (1978). Patterns of attachment: A psychological study of the strange situation. Hillsdale, NJ: Erlbaum. Asendorpf, J. & Banse, R. (2000). Psychologie der Beziehung. Bern: Huber. Barber, B. K. (2002). Reintroducing parental psychological control. In B. K. Barber (Ed.), Intrusive parenting: How psychological control affects children and adolescents (pp. 3 - 13). 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Annika Falkner Prof. Dr. Urs Fuhrer Institut für Psychologie I Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg Postfach 4120 D - 39016 Magdeburg E-Mail: annika.falkner@gse-w.uni-magdeburg.de E-Mail: urs-fuhrer@gse-w.uni-magdeburg.de Fax: ++49 3 91 6 71 19 14