eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 54/4

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
101
2007
544

Entwicklung eines Lesekompetenz- und Lesemotivationstrainings für die siebte Klassenstufe

101
2007
Liliane Streblow
Manfred Holodynski
Ulrich Schiefele
Auf der Basis der bisherigen Forschung zum Textverstehen und angeregt durch die Befunde der PISA-Studie wurde das Lesetraining LEKOLEMO (Programm zur Förderung der Lesekompetenz und Lesemotivation) für Schülerinnen und Schüler der 7. Jahrgangsstufe entwickelt. Das Training unterscheidet sich von bereits existierenden Lesetrainings durch folgende drei Aspekte: (1) Es vermittelt neben Wissen über Lesestrategien und deren Nutzung auch Wissen über unterschiedliche kontinuierliche und nicht-kontinuierliche Sachtextformate. (2) Es integriert Aufgaben zu den Dimensionen des Lesens „Informationen ermitteln“, „Textbezogenes Interpretieren“ sowie „Reflektieren und Bewerten“. (3) Es zielt auf eine explizite Förderung der Lesemotivation. In diesem Beitrag werden das Trainingskonzept und die Ergebnisse zweier Evaluationsstudien vorgestellt (Kontrollgruppendesign mit Messwiederholung). In der ersten Studie mit einem Umfang von 10 Unterrichtsstunden zeigten sich keine positiven Trainingseffekte. In der zweiten Studie mit einem Umfang von 10 Doppelunterrichtsstunden und modifizierten Übungsaufgaben konnten ebenfalls keine positiven Trainingseffekte erzielt werden. Die Ergebnisse stellen dennoch eine wichtige Grundlage für die weitere Entwicklung des Lesekompetenztrainings dar.
3_054_2007_4_0004
Development of a Reading Competence and Reading Motivation Training for Grade Seven Report about two Evaluation Studies Summary: Based on existing research on text comprehension and inspired by results from the PISA study, the program LEKOLEMO (Program for fostering reading literacy and reading motivation) for 7 th grade students was developed. The training differs from existing training programs in three aspects: (1) In addition to knowledge of reading strategies and their utilization, the program conveys knowledge of different continuous and non-continuous formats of expository texts. (2) The program integrates tasks pertaining to the reading dimensions “detecting information”, “text-related interpretation”, and “reflection and evaluation”. (3) The programs explicitly aims at a fostering of reading motivation. The present article introduces the concept of the training and provides an overview of the results of two evaluation studies (control group design with repeated measurement). The first study, comprising 10 lessons, did not yield positive effects of the training. In the second study, based on 10 double lessons and modified training tasks, again no positive effects were found. Nevertheless the results represent an important base for the further development of the training program of reading competence. Keywords: Training, reading competence, reading motivation Zusammenfassung: Auf der Basis der bisherigen Forschung zum Textverstehen und angeregt durch die Befunde der PISA-Studie wurde das Lesetraining LEKOLEMO (Programm zur Förderung der Lesekompetenz und Lesemotivation) für Schülerinnen und Schüler der 7. Jahrgangsstufe entwickelt. Das Training unterscheidet sich von bereits existierenden Lesetrainings durch folgende drei Aspekte: (1) Es vermittelt neben Wissen über Lesestrategien und deren Nutzung auch Wissen über unterschiedliche kontinuierliche und nicht-kontinuierliche Sachtextformate. (2) Es integriert Aufgaben zu den Dimensionen des Lesens „Informationen ermitteln“, „Textbezogenes Interpretieren“ sowie „Reflektieren und Bewerten“. (3) Es zielt auf eine explizite Förderung der Lesemotivation. In diesem Beitrag werden das Trainingskonzept und die Ergebnisse zweier Evaluationsstudien vorgestellt (Kontrollgruppendesign mit Messwiederholung). In der ersten Studie mit einem Umfang von 10 Unterrichtsstunden zeigten sich keine positiven Trainingseffekte. In der zweiten Studie mit einem Umfang von 10 Doppelunterrichtsstunden und modifizierten Übungsaufgaben konnten ebenfalls keine positiven Trainingseffekte erzielt werden. Die Ergebnisse stellen dennoch eine wichtige Grundlage für die weitere Entwicklung des Lesekompetenztrainings dar. Schlüsselbegriffe: Training, Lesekompetenz, Lesemotivation Empirische Arbeit Entwicklung eines Lesekompetenz- und Lesemotivationstrainings für die siebte Klassenstufe Bericht über zwei Evaluationsstudien Lilian Streblow Manfred Holodynski Ulrich Schiefele Universität Bielefeld Universität Münster Universität Bielefeld Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2007, 54, 287 - 297 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel 288 Lilian Streblow et al. Die Befunde der PISA-Studien 2000 und 2003 belegen, dass die Lesekompetenz der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler der deutschen Stichprobe im internationalen Vergleich unterdurchschnittlich ausgeprägt ist und darüber hinaus eine sehr große Streuung aufweist (Baumert et al., 2001; Prenzel et al., 2004; Artelt, Schiefele & Schneider, 2001; Artelt, Stanat, Schneider & Schiefele, 2001). Im vorliegenden Beitrag werden zwei Evaluationsstudien zu einem Lesetraining berichtet, das zur Förderung des sinnentnehmenden Lesens von Sachtexten für Schülerinnen und Schüler der 7. Jahrgangsstufe entwickelt wurde. Lesekompetenz im Sinne von PISA wird als Fähigkeit verstanden, „geschriebene Texte zu verstehen, zu nutzen und über sie zu reflektieren, um eigene Ziele zu erreichen, das eigene Wissen und Potential weiterzuentwickeln und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“ (Baumert et al., 2001). Es werden folgende empirisch trennbare Lesedimensionen unterschieden: die textimmanente Verstehensleistung (1) „Informationen ermitteln“ sowie die wissensbasierten Verstehensleistungen (2) „textbezogenes Interpretieren“ und (3) „Reflektieren und Bewerten“ (Artelt, Stanat, Schneider & Schiefele, 2001; vgl. Kirsch, 1995; Kirsch, Jungeblut & Mosenthal, 1998). Darüber hinaus sollten diese Fähigkeiten nicht nur auf kontinuierliche Sachtextformate wie Darlegungen oder Anweisungen, sondern auch auf nichtkontinuierliche Sachtextformate wie Tabellen, Diagramme, Schaubilder und Karten angewendet werden können. Es existieren bereits Trainingsprogramme, die zur Förderung der Lesekompetenz konzipiert worden sind (vgl. Streblow, 2004, für einen Überblick; Artelt et al. 2005). Zu diesen Lesetrainings gehören: „Reciprocal Teaching“ von Palincsar und Brown (1984), „Transactional Strategies Instruction“ (Pressley et al., 1998), das Programm von van Keer (2004), „Informed Strategies Learning“ von Paris und Jakobs (1984) sowie die darauf aufbauenden Trainings von Hasselhorn und Körkel (1986). Zentral für diese genannten Trainings ist, dass der Schwerpunkt vor allem auf der Vermittlung wichtiger Lesestrategien und Übungen zu deren effizienter Nutzung liegt. Im Folgenden soll eine Auswahl der Lesetrainings kurz skizziert werden, in denen zusätzlich zur Vermittlung von Lesestrategien Aspekte zur Motivationsförderung berücksichtigt worden sind. Guthrie und Wigfield (2000; Guthrie, Wigfield & Parencevich, 2004) betrachten den verstehenden Umgang mit Texten als eine komplexe Form selbstregulierten Lernens, die das Zusammenspiel motivationaler und kognitiver Prozesse erfordert. Sie entwickelten das Programm Concept-Oriented Reading Instruction (CORI) für Schüler der 3. Klasse, das neben der Strategievermittlung einen besonderen Schwerpunkt in der Förderung intrinsischer und extrinsischer Motivation hat (Guthrie, van Meter, Hancock, McCann, Anderson & Alao, 1998; Guthrie, Wigfield & von Secker, 2000). Für den deutschsprachigen Raum haben Schreblowski und Hasselhorn (2001) erstmals ein Lesetraining mit einer Maßnahme zur Motivationsförderung kombiniert. Sie erweiterten das Trainingsprogramm von Hasselhorn und Körkel für Fünftklässler um eine Motivänderungskomponente. Die Kinder („Textdetektive“) lernen einzelne Lesestrategien als sogenannte „Detektivmethoden“ (z. B. Wichtiges unterstreichen) kennen, die ihnen beim Erforschen von Texten behilflich sein sollen. Die Grundlage lieferte das auf dem Selbstbewertungsmodell von Heckhausen basierende Motivänderungsprogramm von Krug und Hanel (1976), bei dem eine realistische Zielsetzung, der Abbau ungünstiger Kausalattributionen und die Hinleitung zu einer positiven Selbstbewertungsbilanz angestrebt werden. Souvignier, Küppers & Gold (2003) haben ausgehend vom Training von Schreblowski und Hasselhorn ein Programm entwickelt, dem als Großgruppentraining eine besonders hohe praktische Bedeutung zukommt. Auch in diesem Training wird die Vermittlung von Lesestrategien mit Übungen zu den drei Prozessvariablen des Selbstbewertungsmodells kombiniert (Gold, Mokhlesgerami, Rühl, Schreb- Entwicklung und Evaluation eines Lesekompetenztrainings 289 lowski & Souvignier, 2004; Mokhlesgerami, Souvignier & Gentsch, in Druck). Zusätzlich zum Großgruppentraining für fünfte Schulklassen adaptierten sie das Programm für ältere Schüler mit Lernschwierigkeiten (Souvignier & Rühl, 2005). Zusammenfassend kann über bestehende Lesetrainings gesagt werden, dass der Aspekt der Vermittlung von Lesestrategien explizit realisiert worden ist, während die Vermittlung eines umfassenden Leseverständnisses sowie von Textformatwissen und die direkte Förderung der intrinsischen Lesemotivation nur im Lesetraining von Guthrie und Wigfield (2000) für den Grundschulbereich berücksichtigt worden sind. LEKOLEMO - Trainingsprinzipien und ihre Umsetzung Wir strebten an, alle genannten Aspekte bei der Konzeption eines neuen Trainings zur Förderung der Lesekompetenz und Lesemotivation für die 7. Jahrgangsstufe einzubeziehen: 1. Vermittlung metakognitiven Wissens über Lesestrategien sowie Übungen zu deren effektiver Nutzung. Die Lesestrategien, die wir auf der Basis der bisherigen Trainingsstudien für besonders zielführend halten, werden explizit vermittelt und anhand einer Vielzahl unterschiedlicher Sachtexte geübt. Dazu zählt eine Lesestrategie, die einzusetzen ist, bevor ein Text gelesen wird: (1) Vorwissen aktivieren (z.B. indem die Schüler aufgefordert werden, Erwartungen an den Text zu formulieren und ihren Mitschülern zu erzählen, was sie bereits über das Thema wissen). Des Weiteren werden zwei Lesestrategien vermittelt, die während des Lesens einzusetzen sind: (2) Wichtiges unterstreichen und (3) Methoden zum Umgang mit Textschwierigkeiten. Und es sind überdies zwei Lesestrategien im Programm berücksichtigt worden, die nach dem Lesen des Textes einzusetzen sind: (4) Wichtiges zusammenfassen und (5) fragen, ob die Erwartungen an den Text erfüllt wurden. Diese Strategien liegen den Jugendlichen während des ganzen Trainings in Form eines grafisch ansprechend gestalteten Strategiefahrplans vor. 2. Übungen zu den drei Lesedimensionen. Auch wenn die einzelnen Lesedimensionen in der PISA-Studie hoch korreliert waren, erscheint ihre Unterscheidung auf Aufgabenebene sinnvoll. Um den ersten Aspekt der Lesekompetenz „Informationen ermitteln“ zu trainieren, wurden Aufgaben formuliert, in denen einzelne konkrete Informationen erfragt werden, die direkt dem Text entnommen werden konnten oder die indirekt zu erschließen waren. Die Übungen zum zweiten Aspekt des Lesens, der „textbezogenen Interpretation“, verlangten von den Schülern die Generierung eines Situationsmodells im Sinne Kintschs (1998). Anhand entsprechender Aufgaben werden die Schüler trainiert, die Bedeutung von Texten zu erfassen und Schlussfolgerungen aus Texten abzuleiten. Für die Umsetzung des dritten Aspekts der Lesekompetenz, „Reflektieren und Bewerten“, wurden Übungen konzipiert, in denen sich die Schüler nicht nur mit der Bewertung der inhaltlichen Aussagen eines Textes, sondern auch mit seiner formalen Gestaltung (Textformatanalyse) auseinandersetzen sollten. 3. Vermittlung von Textformatwissen und dessen Nutzung. Den Schülerinnen und Schülern wird im LEKOLEMO-Training Wissen über Textformate und deren spezifische Stilmittel vermittelt. Das Erkennen dieser Formate und die Nutzung dieses Wissens für das Textverständnis wird anhand der Sachtexte geübt, bei deren Erstellung folgende Textformate berücksichtigt wurden: Darlegung, Tabelle, Schaubild, Diagramm und Karte. Die Bearbeitung von Fragen und Übungen soll den Schülern helfen, ein adäquates Situationsmodell des Textinhalts aufzubauen, Schlussfolgerungen zu ziehen, wichtige Informationen zu lokalisieren sowie Inhalt und Form eines Textes besser einschätzen zu können. Auch van Dijk und Kintsch (1983) betrachten Textschemata neben dem inhaltlichen Vorwissen als eine Fassette des relevanten Vorwissens. 290 Lilian Streblow et al. 4. Förderung der intrinsischen Lesemotivation. Mit LEKOLEMO soll - ähnlich wie in CORI - explizit die intrinsische Lesemotivation (vgl. Möller & Schiefele, 2004) positiv beeinflusst werden, um langfristig das freiwillige Lesen zu fördern. Überdies sollen mit den Übungen in LEKOLEMO auch unterschiedliche inhaltliche Interessen der Schülerinnen und Schüler aufgegriffen bzw. geweckt werden. Studien haben gezeigt, dass auch ein thematisches Interesse am Lesestoff eine tiefere Verarbeitung beim Textlernen bedingt (Schiefele, 1999). Auf diese Weise sollten eine möglichst intensive Auseinandersetzung mit dem Trainingsmaterial und vor allem eine engagierte Anwendung der Lesestrategien gefördert werden. Nach Schiefele (2004) erscheinen konkrete motivationsfördernde Maßnahmen in den Bereichen soziale Einbindung, Selbstbestimmung, Kompetenzwahrnehmung und Bedeutungsgehalt des Lerngegenstands erfolgversprechend zu sein. Die ersten drei Aspekte entsprechen dabei den in der Selbstbestimmungstheorie postulierten psychologischen Grundbedürfnissen (Deci & Ryan, 1985, 1993). Für unser Training wurden zunächst folgende motivationsförderliche Aspekte realisiert: a) Arbeit in Kleingruppen. Um die soziale Einbindung zu stärken, wird das Training in Kleingruppen durchgeführt. Die Gruppen werden von der Deutschlehrerin bzw. dem Deutschlehrer leistungs- und geschlechtsheterogen zusammengestellt. Sympathien und Antipathien zwischen den Schülerinnen und Schülern sollten auch berücksichtigt werden. b) Freie Themenwahl. Um Selbstbestimmung zu ermöglichen, sollen die Schüler innerhalb der Kleingruppen selbst festlegen, welche Sachthemen sie im Rahmen des Trainings besprechen wollen. Dazu können sie Texte aus Sachthemen auswählen (z. B. Kraken, Joanne K. Rowling, Das Wunder von Bern, Michael Jordan, Street Style, Capoeira). Die Themen wurden anhand einer Befragung an 12bis 14-Jährigen ausgewählt und Sachtexte mit Aufgaben zu den PISA-Dimensionen verfasst. c) Schüler als Experten. Um das Kompetenzerleben zu fördern, wählen die Jugendlichen zu Beginn des Trainings Themen aus, welche sie als „Experte“ mit ihren Mitschülern in der Kleingruppe besprechen wollen. Es werden Aspekte der Methode des „Reciprocal Teaching“ (Palincsar & Brown, 1984) aufgegriffen und für unser Programm modifiziert. In LEKOLEMO übernimmt jeder Schüler/ jede Schülerin in einer Trainingssitzung die Leitung in seiner/ ihrer Kleingruppe. Er oder sie darf für die Sitzung das inhaltliche Thema festlegen, führt die Gruppe durch die Textbearbeitung und beantwortet anschließend gemeinsam mit der Gruppe die Fragen. Dabei hat der Schüler/ die Schülerin die Aufgabe, auf den zielführenden Einsatz der Lesestrategien (gemäß dem Strategiefahrplan) zu achten. Der externe Trainer greift immer dann korrigierend ein, falls die Bearbeitung ins Stocken gerät oder Hinweise auf die Strategienutzung vergessen werden. d) Nutzen der Inhalte betonen und Bezüge zur Lebenswelt der Schüler herstellen. Um die Inhalte des Lesetrainings für die Schüler bedeutsam zu machen, wird besonderer Wert auf die genaue Erläuterung des konkreten Nutzens aller Trainingsinhalte gelegt und in den Trainingssitzungen so viel Zeit eingeplant, dass die Jugendlichen die Gelegenheit haben, miteinander über eigene Erfahrungen zu den jeweiligen Themen zu sprechen. Die konkrete Umsetzung erfolgt z. B., indem jeder Schüler/ jede Schülerin vor der Textarbeit Fragen zu dem gewählten Thema formulieren soll, die ihn/ sie persönlich interessieren. e) Motivierende Rückmeldungen geben. Jeder Schülerin/ jedem Schüler soll es im Rahmen der Kleingruppenarbeit ermöglicht werden, positive Rückmeldungen zu erhalten. Das können richtig beantwortete Fragen sein, aber auch interessante Fragen, eine wichti- Entwicklung und Evaluation eines Lesekompetenztrainings 291 ge kritische Anmerkung etc. Wichtig ist, dass jeder Jugendliche sich in der Gruppe nicht kontrolliert fühlt, sondern Kompetenzerleben erfahren kann, indem die Aufgaben dem individuellen Leistungsstand entsprechend auf die Mitglieder der Kleingruppe verteilt werden. Trainingsstudie I In der ersten Trainingsstudie ging es darum, eine Basiseinheit des LEKOLEMO-Trainings, bestehend aus zunächst 10 Trainingseinheiten zu jeweils 45 Minuten (eine Schulstunde), auf Praktikabilität und Effektivität hin zu überprüfen. Dazu wählten wir eine 7. Klasse einer Realschule aus, die in Kleingruppen zu fünf Schülern von jeweils einem geschulten externen Trainer unterrichtet wurde. Die Bildung der Kleingruppen erfolgte durch die Klassenlehrerin, die die Gruppen leistungsheterogen zusammenstellte und gebeten wurde, Sympathien und Antipathien der Jugendlichen zu berücksichtigen. Jeder Schüler erhielt eine Mappe mit dem LEKOLEMO-Unterrichtsmaterial. Dieses umfasst den Strategiefahrplan, Informationen zu den Lesestrategien und Textformaten, eine Sammlung der oben aufgezählten Sachtexte, die jeweils die beschriebenen Textformate (Darlegung, Tabelle, Diagramm, Schaubild, Karte) enthalten, sowie die Fragensammlungen zu den einzelnen Texten. Das Training folgte in den Inhalten, Methoden und im Verlauf der oben skizzierten Trainingsbeschreibung. Über die Praktikabilitätsprüfung hinaus erwarteten wir einen positiven Trainingseffekt auf die Lesekompetenz und die Lesemotivation der Schüler. Methode Stichprobe An der Studie nahmen zwei Klassen der siebten Jahrgangsstufe einer Realschule teil. Die Zuordnung der Klassen zu den Bedingungen erfolgte zufällig. Die Lesetrainingsklasse umfasste 12 Jungen und 18 Mädchen, wovon ein Junge und 3 Mädchen nicht am Prä- oder Posttest teilnahmen. Die Kontrollgruppe umfasste 10 Jungen und 20 Mädchen, wovon ein Junge und ein Mädchen nicht am Posttest teilnahmen. Entsprechend verringerte sich die Zahl der Teilnehmer auf 26 Kinder in der Lesetrainingsgruppe und 28 in der Kontrollgruppe. Die Schüler beider Klassen unterschieden sich nicht im Notendurchschnitt im Fach Deutsch (Trainingsgruppe: M = 3.00, SD = .94; Kontrollgruppe: M = 3.04, SD = 1.04; t(52) = -0.13, ns.). Versuchsdesign Zur Überprüfung der Trainingseffekte wurde ein Evaluationsdesign mit Kontrollgruppe verwendet. Einen Tag vor Beginn des Trainings und einen Tag nach Abschluss wurden die Schüler der Trainings- und Kontrollklasse bzgl. ihrer Lesekompetenz und Lesemotivation untersucht. Der genaue Ablauf des Trainings ist Tabelle 1 zu entnehmen. Variablen Der Lesetest und die Skalen für die Prä- und Posttrainingsmessung waren in einem Fragebogen zusammengefasst. Die Schüler bearbeiteten erst den Lesetest und dann die Skala zur Lesemotivation. Die Messungen (jeweils ca. 60 min.) wurden in der Trainings- und Kontrollklasse einen Tag vor Trainingsbeginn und drei Tage nach Trainingsende durchgeführt. Lesekompetenz. Für die Erfassung der Lesekompetenz wurden Lesetests aus dem veröffentlichten Aufgabenpool der PISA-Studie (Baumert et al., 2001) herangezogen. Für den Prätest waren dies die Texte „Computerspiele sind nur selten schlecht für Kinder“ (aus dem nationalen Ergänzungstest) und „Graffiti“. Für den Lesetest ergab sich eine nur schwache interne Konsistenz von α = .582. Zum Computertext gab es drei Multiple-Choice und sieben offene Fragen. Zu dem Graffititext gab es eine Multiple-Choice und neun offene Fragen. Für den Posttest wurden die Texte „Die Entstehung des Mondes“ (aus dem nationalen Ergänzungstest) und „Programm zur freiwilligen Grippeschutzimpfung bei ACOL“ ausgewählt. Für den Lesetest ergab sich eine befriedigende interne Konsistenz von α = .710. Zum ersten Text gab es drei Multiple-Choice und vier offene Fragen, beim zweiten Text gab es sechs Multiple-Choice und sieben offene Fragen. Die Länge von Prä- und Posttest sowie die Anzahl der zu bearbeitenden Fragen und der maximalen Punktzahl waren gleich. Es handelt sich aber 292 Lilian Streblow et al. nicht um Parallelformen, sodass Unterschiede in der Schwierigkeit bestehen können. Die Bearbeitungszeit wurde für jeden Text auf 20 Minuten begrenzt. Die Antworten der Schüler wurden von zwei studentischen Hilfskräften unabhängig voneinander ausgewertet. Bei Prä- und Postmessung konnte jeweils ein maximaler Wert von 39 Punkten erzielt werden. Die getrennt durchgeführten Auswertungen der beiden Studierenden stimmten in hohem Maß überein, sodass die Objektivität der Auswertung als gegeben betrachtet wird (annähernd 100%ige Übereinstimmung). Lesemotivation. Diese Skala enthielt sechs sechsstufige Items mit den Polen 0 (trifft überhaupt nicht zu) bis 5 (trifft völlig zu): (1) Lesen wirkt sich meist positiv auf meine Stimmung aus. (2) Die Beschäftigung mit Büchern und Texten gehört nicht gerade zu meinen Lieblingstätigkeiten. (umgepolt). (3) Lesen ist mir wichtiger als Fernsehen oder Computerspiele. (4) Wenn ich genügend Zeit hätte, würde ich noch mehr lesen. (5) Lesen ist für mich von großer persönlicher Bedeutung. (6) Wenn ich ehrlich sein soll, lese ich ziemlich ungern. (umgepolt). Die interne Konsistenz betrug für den Prätest .84 und für den Posttest .83. Durchführung Die Trainingsgruppe absolvierte 10 Unterrichtsstunden zu je 45 Min. Dauer innerhalb von 9 Schultagen. Das Training fand während des regulären Unterrichts statt. Die Schüler wurden auf sechs gemischt geschlechtliche Kleingruppen mit je 5 Schülern auf- Sitzung Sozialform Inhalt Material 1 Klasse 1. Einführung: Bedeutung des Lesens Gecko 2. Ziele des Trainings: Lesen von Sachtexten optimieren Erfolg von a. Strategiewissen vermitteln Harry Potter b. Textformatwissen vermitteln 2 Klasse 1. Wiederholung Strategien & Textformate Das Ungeheuer Kleingruppen 2. Bildung der Kleingruppen von Loch Ness 3. Bearbeitung eines langen Textes 3 Kleingruppen 1. Wiederholung Strategien & Textformate Auswahl: 2. Einen Text zur Bearbeitung wählen La Platna-Delphin 3. Bearbeitung von Fragen zu allen PISA-Dimensionen Seepferdchen 4. Vorstellung der Expertenrunde Kraken (Kinder bekommen Themen zur Wahl, s. 6. Sitzung) Albatrosse 4 Kleingruppen 1. Festlegung der Expertenrunde Grand Canyon (d. h. die SchülerInnen suchen sich jeweils ein Thema für ihre Expertenrunde aus und legen so für jede Kleingruppe die Themen für die Sitzungen 5 - 9 fest) 2. Informationen aus kontinuierlichen Texten in nichtkontinuierliche Textformate übertragen 5 Kleingruppen Expertenrunde Schüler A Die übrigen Texte 6 Kleingruppen Expertenrunde Schüler B s. 5. Sitzung 7 Kleingruppen Expertenrunde Schüler C s. 5. Sitzung 8 Kleingruppen Expertenrunde Schüler D s. 5. Sitzung 9 Kleingruppen Expertenrunde Schüler E s. 5. Sitzung 10 Klasse Reflexion Tabelle 1: Ablauf des Trainings Entwicklung und Evaluation eines Lesekompetenztrainings 293 geteilt, die die Deutschlehrerin nach Maßgabe verträglicher Zusammenarbeit und nach Leistungsheterogenität zusammenstellte. Zur Einführung wurde eine Doppelstunde im Klassenverband unterrichtet, die anderen 8 Stunden in Kleingruppen. Die Kontrollgruppe absolvierte in der Zwischenzeit ihren normalen Unterricht. Ergebnisse Vergleich des Ausgangsniveaus Um zu überprüfen, ob die Trainings- und Kontrollgruppe ein vergleichbares Ausgangsniveau aufwiesen, wurde für jede abhängige Variable eine Varianzanalyse mit der Versuchsbedingung als unabhängigem Faktor berechnet. Es ergaben sich keine signifikanten Unterschiede zwischen Trainings- und Kontrollgruppe (vgl. Tabelle 2). Die Jugendlichen der Lese- und der Kontrollklasse zeigten vergleichbare Lesetestleistungen (F(1,53) = 1.360, p = .249, ns.) und Einschätzungen in der Lesemotivation (F(1,53) = .007, p = .933, ns.). Prüfung der Trainingseffekte Zur Überprüfung der Trainingseffekte wurde für die Motivationsskala eine Varianzanalyse mit Messwiederholung gerechnet, bei der die Versuchsbedingung (Training vs. kein Training) und der Messwiederholungsfaktor berücksichtigt wurden. Da die Lesekompetenz mit zwei unterschiedlichen Tests in Prä- und Posttrainingsmessung erfasst wurden, konnte hier nur eine Varianzanalyse mit Versuchsbedingung als unabhängiger Variable und der jeweiligen Prämessung als Kovariate gerechnet werden. Tabelle 2 sind die Mittelwerte und Streuungen zu entnehmen. Die beiden Messungen der Lesekompetenz kovariieren signifikant 1 (F(1,51) = 13.21, p = .001, eta 2 = .206). Es zeigte sich aber kein Effekt der Versuchsgruppe (F(1,51) = 2.47, p = .122, ns.). Es ergeben sich somit keine Hinweise, dass das Training die Lesekompetenz der Kinder zu steigern vermag. Die Prätestmessung zur Lesemotivation kovariierte signifikant mit der Posttestmessung (F(1,51) = 219.39, p < .000, eta 2 = .811). Darüber hinaus zeigte sich zwar ein Haupteffekt für den Faktor Zeit (F(1,52) = 4.140, p = .047, eta 2 = .074) sowie ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Zeit und Versuchsbedingung (F(1,52) = 11.362, p = .001, eta 2 = .176), allerdings in der entgegengesetzten Richtung: Die Trainingsgruppe schätzte ihre Lesemotivation im Posttest geringer ein als die Kontrollgruppe. 1 Das Effektsstärkemaß eta 2 gibt an, wie viel Prozent der Varianz der AV durch die Gruppenzugehörigkeit (Training vs. kein Training) aufgeklärt wird. Nach Cohen (1988) werden Effektstärken zwischen .01 und .058 als klein, Effektstärken zwischen .058 und .138 als mittel und Effektsstärken über .138 als groß bezeichnet. Lesekompetenz Lesemotivation t1 t2 t1 t2 Studie I TG 16.65 (4.55) 17.68/ 17.8 a (5.38) 2.48 (1.34) 2.05 (1.31) KG 15.11 (5.23) 15.88/ 16.06 a (3.75) 2.50 (1.33) 2.57 (1.28) Studie II TG 15.62 (3.85) 16.54/ 16.2 a (6.63) 1.71 (1.07) 1.78 (1.04) KG 12.17 (6.61) 16.50/ 16.97 a (4.98) 1.91 (1.09) 1.58 (1.26) Tabelle 2: Mittelwerte und (in Klammern) Standardabweichungen für Lesekompetenz und Lesemotivation getrennt nach Versuchsgruppe für die Trainingsstudie I und II. Anmerkungen: Lesetestskala von 0 bis 39 Punkte; a = um Prätestwerte bereinigte Mittelwerte. Skala zur Lesemotivation von 0 bis 5 (maximale positive Ausprägung); TG = Trainingsgruppe, KG = Kontrollgruppe. 294 Lilian Streblow et al. Diskussion Das Training führte nicht zu dem erwarteten positiven Effekt auf die Lesekompetenz. Des Weiteren schätzten die Schüler der Trainingsklasse ihre Lesemotivation überraschenderweise nach dem Training niedriger ein als die Kontrollgruppe. Demnach konnte die Basisversion des LEKOLEMO-Trainings mit nur 10 Schulstunden Umfang die Lesekompetenz der Schüler nicht steigern. Eine einfache Möglichkeit, die Wirksamkeit des Trainings zu erhöhen, wäre die Ausweitung des Trainingsumfangs, um den Schülern mehr Gelegenheiten zu geben, das Wissen über Textformate und Lesestrategien zu festigen und auf das Textverstehen anzuwenden. Bei dieser ersten Studie war es besonders wichtig zu prüfen, ob die Trainingseinheiten durchführbar sind, die Zeitplanung realistisch ist und die Jugendlichen die Texte interessant und angemessen in der Schwierigkeit finden. Die Einschätzungen der Trainer zeigte, dass das Trainingsmaterial und die Trainingsdurchführung verbessert werden konnten: (1) Einzelne Passagen in den Texten waren für die Schüler zu schwer geschrieben; die Aufgaben waren zum Teil zu unspezifisch oder zu schwer (gerade zur Lesedimension „über Inhalt und Form des Textes reflektieren“). (2) Die Texte wurden von den Schülern in Bezug auf Verständlichkeit und Attraktivität recht unterschiedlich eingeschätzt; und es hätten noch mehr Texte aus einem noch breiteren Themenspektrum verfügbar sein können. (3) Die Dauer einer Schulstunde für eine Trainingseinheit war in der Regel zu kurz, um die vorgesehenen Aufgaben zu einem Text zu bearbeiten und auch noch Rückmeldungen geben zu können, zumal in den Schulstunden z.T. deutlich weniger als 45 Minuten Trainingszeit zur Verfügung standen. Da es aus inhaltlichen Gründen nicht sinnvoll erschien, die Aufgaben und Texte zu kürzen, war eine Ausweitung der Trainingszeit pro Text angezeigt. Trainingsstudie II Für die zweite Trainingsstudie wurde das Trainingsmaterial und die Durchführung bzgl. der oben genannten Kritikpunkte verbessert: Der Inhalt und das Layout der Texte wurden überarbeitet und auf ein vergleichbares Verständlichkeitsniveau gebracht; die textbezogenen Fragen wurden präzisiert und sichtbar den drei Lesedimensionen zugeordnet, um die Lesedimensionen für Schüler transparenter zu machen. Des Weiteren ergänzten wir die Textsammlung um weitere Sachtexte mit den entsprechenden Textformaten und Verstehensfragen. Der Umfang einer Trainingseinheit wurde auf eine Doppelstunde (2 x 45 Minuten) erhöht, um mehr Zeit für das Lesen der Texte und das Bearbeiten und Diskutieren der Lesefragen zu haben und somit einen größeren Trainingseffekt zu erzielen. Auf diese Weise verdoppelte sich der Trainingsumfang auf 20 Schulstunden. Der Ablauf der Studie entspricht der in Tabelle 1 dargestellten Struktur. Wir nahmen an, dass der größere Umfang und die inhaltliche Verbesserung des LEKOLEMO-Trainings zu positiven Effekten auf die Lesekompetenz und die Lesemotivation der Schülerinnen und Schüler führen werden. Methode Stichprobe An der Studie nahmen wiederum zwei Klassen der siebten Jahrgangsstufe einer (anderen) Realschule teil. Die Zuordnung der Klassen zu den Bedingungen erfolgte zufällig. Die Experimentalklasse mit dem Lesetraining umfasste 12 Jungen und 14 Mädchen, die bis auf ein Mädchen alle am Training und dem Prä- und Posttest teilnahmen. Die Kontrollklasse umfasste 14 Mädchen und 16 Jungen, von denen 9 Kinder keine Erlaubnis ihrer Eltern bekamen, am Prä- und Posttest teilzunehmen. Darüber hinaus waren 3 Kinder am Tag des Prä- oder Posttests krank, sodass insgesamt Daten von 9 Jungen und 9 Mädchen in der Kontrollgruppe erhoben werden konnten. Die Schüler beider Klassen unterschieden sich nicht hinsichtlich des Notendurchschnitts im Fach Deutsch (Lesetrainingsgruppe: Entwicklung und Evaluation eines Lesekompetenztrainings 295 M = 3.16, SD = .75; Kontrollgruppe: M = 3.56, SD = .78; t (41) = -1.68, ns. ). Versuchsdesign Zur Überprüfung der Trainingseffekte wurde wie in der ersten Studie ein Evaluationsdesign mit Kontrollgruppe verwendet. Die Schüler der Trainings- und der Kontrollklasse wurden bzgl. der gleichen Fähigkeiten und Einstellungen untersucht, wie in der ersten Studie, nämlich der Lesekompetenz sowie der Lesemotivation. Variablen Es wurden die gleichen Lesetests und Motivationsskalen wie in der ersten Studie verwendet. Daher werden im Folgenden nur noch die internen Konsistenzen der Skalen in der hier untersuchten Stichprobe angeführt. Bezüglich der Lesekompetenz stimmten die von zwei Beurteilern unabhängig vorgenommenen Auswertungen der Lesetests wie in Studie 1 nahezu vollständig überein. Für die Lesetests der Prämessung ergab sich eine nur schwache interne Konsistenz von α = .574. Für die Leseaufgaben des Posttests ergab sich eine befriedigende interne Konsistenz von α = .738. Die interne Konsistenz für die Skala zur Lesemotivation betrug für die Prämessung .76 und für die Postmessung .80. Durchführung Die Lesetrainingsgruppe absolvierte 10 Doppelstunden mit jeweils 90 Minuten Dauer innerhalb von 16 Schultagen. Das Training fand während der regulären Unterrichtszeit statt, wofür die Zeiten des Deutsch- und weiteren Fachunterrichts herangezogen wurden. Die Schülerinnen und Schüler wurden auf fünf gemischt geschlechtliche, leistungsheterogene Kleingruppen aufgeteilt, die die Deutschlehrerin zusammenstellte. Dabei ergaben sich zwei Kleingruppen mit je vier Kindern, und drei Kleingruppen mit je 6 Schülern. Da die Bildung einer Zweiergruppe vermieden werden sollte, entstanden zwei Kleingruppen mit je 4 Schülerinnen und Schülern sowie drei Gruppen mit je 6 Jugendlichen. Die Kleingruppen wurden bereits zu Beginn der ersten Doppelstunde gebildet, sodass das gesamte Training in Kleingruppen ablief. Die Kontrollgruppe absolvierte in der Zwischenzeit ihren normalen Unterricht. Prä- und Posttest wurden wie in der ersten Studie durchgeführt. Ergebnisse Vergleich des Ausgangsniveaus Wie in der ersten Studie wurden zur Überprüfung des Ausgangsniveaus der Trainings- und Kontrollgruppe univariate Varianzanalysen mit der Versuchsbedingung als unabhängiger Variable und Lesekompetenz und Lesemotivation jeweils als abhängigen Variablen berechnet. Bei der Lesekompetenz lag vor dem Training ein bedeutsamer Unterschied zu Ungunsten der Kontrollgruppe vor (F(1,41) = 4.657, p = .037, eta 2 = 102). Danach zeigte die Kontrollgruppe zum ersten Messzeitpunkt schlechtere Leseleistungen als die Lesegruppe (vgl. Tabelle 2). Im Hinblick auf die Lesemotivation zeigten sich hingegen keine signifikanten Unterschiede (F(1, 41) = .367, p = .548, ns.). Prüfung der Trainingseffekte Zur Überprüfung der Trainingseffekte wurde wie in Studie 1 für die Lesekompetenz eine univariate Varianzanalyse mit der Versuchsbedingung als unabhängiger Variable und der jeweiligen Prätestmessung als Kovariate gerechnet. Für die Lesemotivation wurde eine Messwiederholungsvarianzanalyse gerechnet. Die Mittelwerte, Standardabweichungen stehen in Tabelle 3. Die Messung der Lesekompetenz zum Zeitpunkt t1 kovariierte nicht mit der Messung nach Durchführung des Lesetrainings (F(1,40) = 1.730, p = .196, eta 2 = .041). Dieser Befund ist überraschend und deutet darauf hin, dass die beiden Lesetests unterschiedliche Aspekte der Lesekompetenz abbilden. Da allerdings dieselben Tests zur Erfassung der Lesekompetenz eingesetzt worden waren wie in Studie 1 und die Tests dort kovariierten, könnte dieser Befund auch stichprobenbedingt sein. Des Weiteren zeigte sich kein Haupteffekt der Versuchsbedingung (F(1,38) = 11.83, p = -.001, eta 2 = .237). Auch in der zweiten Studie zeigten sich trotz der Veränderungen, die an dem Training vorgenommen worden waren, keine positiven Trainingseffekte auf die Lesekompetenz. 296 Lilian Streblow et al. Die Prämessung zur Lesemotivation kovariierte signifikant mit der Postmessung (F(1,40) = 59.745, p = .000, eta 2 = .599). Darüber hinaus zeigte sich ein tendenzieller Interaktionseffekt zwischen Zeit und Versuchsbedingung (F(1,41) = 3.042, p = .089, eta 2 = .069), der allerdings auf eine Abnahme der Lesemotivation von t1 zu t2 bei der Kontrollgruppe zurückzuführen ist. Diskussion Es zeigte sich, dass auch mit dem überarbeiteten Training mit einem verdoppelten Umfang von 20 Unterrichtsstunden keine positiven Effekte auf die Lesemotivation und die Lesekompetenz erzielt werden konnten. Dies kann verschiedene Gründe haben: Neben organisatorischen Gründen (der Posttest fand nur einen Tag vor den Sommerferien statt, und insbesondere die Jungen der Trainingsgruppe waren nur schwer zur Teilnahme zu motivieren) kommen erhebungsmethodische Probleme als Erklärung in Frage. So hätte die Stichprobe größer sein können. Zudem sollten nicht nur die Klassen, sondern die Personen auf die Bedingungen zufällig verteilt werden. Auch sollte die Bildung der Kleingruppen in zukünftigen Studien den Schülerinnen und Schülern selbst überlassen werden, um konsequenter den Aspekt der Selbstbestimmung zur Förderung der intrinsischen Motivation zu berücksichtigen. Momentan allerdings kann die Nullhypothese des nicht vorhandenen Kompetenzgewinns durch das Training nicht zurückgewiesen werden. Wie kann das Training verbessert werden? Es zeigte sich auch in der zweiten Studie, dass das Interesse der Jugendlichen an den ausgewählten Themen so disparat war, dass es einigen Schülerinnen und Schülern schwer fiel, bei für sie uninteressanten Sachtexten hinreichend mitzuarbeiten. Bei der Weiterentwicklung des Trainings müssten insbesondere weitere Themen ergänzt werden, die die Jugendlichen interessieren und sie zu einer engagierten Teilnahme an dem Training anregen könnten. Insgesamt lassen die Beobachtungen allerdings Zweifel aufkommen, ob die motivationsfördernden Elemente des LEKOLEMO-Trainings für Schüler in dieser Entwicklungsphase hinreichend sind, um ihre intrinsische Lesemotivation zu steigern. Insgesamt haben die beiden Evaluationsstudien wichtige Hinweise erbracht, dass das LEKOLEMO-Training konzeptuell optimiert werden muss. Literatur Artelt, C. et al. (2005). Expertise - Förderung von Lesekompetenz. Bildungsreform Bd. 17. Berlin: BMBF. Artelt, C., Schiefele, U. & Schneider, W. (2001). 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