Psychologie in Erziehung und Unterricht
3
0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
101
2007
544
Förderung des Leseverständnisses in Lerntandems und in Kleingruppen: Ergebnisse einer Trainingsstudie zu Methoden des reziproken Lehrens
101
2007
Nadine Spörer
Joachim C. Brunstein
Katrin Arbeiter
In dieser Studie wurde untersucht, wie das Leseverständnis von Schülern der 6. Klasse mit Hilfe des reziproken Lehrens gefördert werden kann. Die Stichprobe bestand aus 47 Schülern, die entweder einer von zwei Trainingsbedingungen oder einer Kontrollbedingung zugewiesen wurden. Schülern beider Trainingsbedingungen wurden zunächst vier Lesestrategien (Zusammenfassen, Fragen, Klären, Vorhersagen) vermittelt. Danach lernten die Schüler entweder in Tandems (2 Schüler) oder in Kleingruppen (5 Schüler) weiter. Die trainierten Schüler erreichten beim Posttest und beim Follow-up (4 Wochen nach Abschluss des Trainings) höhere Leistungen im Leseverständnis als Schüler der Kontrollgruppe und verbesserten sich auch bei der Anwendung der vier Lesestrategien. Drei der Strategien (Zusammenfassen, Fragen und Klären) erwiesen sich als Mediatoren des Effekts des Trainings auf das Leseverständnis. Die Leistungen von Schülern der Lerntandems näherten sich den Leistungen von Schülern an, die reziprokes Lehren im traditionellen Kleingruppensetting erhalten hatten.
3_054_2007_4_0005
Lesen ist eine universelle Kulturtechnik, die eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben ermöglicht. Lesen dient dem Aufbau von Wissensstrukturen und ist vor dem Hintergrund des lebenslangen Lernens von größter Bedeutung. Aktuelle Studien zum Leseverständnis zeigen, dass ein bedeutsamer Teil der 15-jährigen Schüler in Deutschland nicht in der Lage ist, sinnentnehmend zu lesen. Gegenüber anderen OECD-Staaten finden sich in Deutschland vergleichsweise viele Schüler (ca. 10 %) mit sehr schwachen Leistungen im sinnentnehmenden Lesen. Darüber hinaus weist die Lesekompetenz der deutschen Schüler eine sehr große Streuung Fostering Reading Comprehension in Peer-Tutored Tandems and in Small Groups: Results of a Training Study on Reciprocal Teaching Methods Summary: This study investigated how the reading comprehension of 6th-grade students can be improved through reciprocal teaching methods. The sample consisted of 47 students who were assigned either to one of two reciprocal teaching conditions or to a control condition. Training students were first taught four reading strategies (summarizing, questioning, clarifying, predicting) and then continued to practice these strategies either in peer-tutored tandems (2 students) or in small groups (5 students). At posttest and at maintenance (4 weeks after the intervention) students of both reciprocal teaching conditions attained higher scores on measures of reading comprehension and strategy use than control students. Three strategies (summarizing, questioning, and clarifying) mediated the intervention effects on students reading comprehension. The reading achievement of students in the peer-tutored condition approximated that of students in the traditional reciprocal teaching condition. Keywords: Reciprocal teaching, reading comprehension, reading strategies Zusammenfassung: In dieser Studie wurde untersucht, wie das Leseverständnis von Schülern der 6. Klasse mit Hilfe des reziproken Lehrens gefördert werden kann. Die Stichprobe bestand aus 47 Schülern, die entweder einer von zwei Trainingsbedingungen oder einer Kontrollbedingung zugewiesen wurden. Schülern beider Trainingsbedingungen wurden zunächst vier Lesestrategien (Zusammenfassen, Fragen, Klären, Vorhersagen) vermittelt. Danach lernten die Schüler entweder in Tandems (2 Schüler) oder in Kleingruppen (5 Schüler) weiter. Die trainierten Schüler erreichten beim Posttest und beim Follow-up (4 Wochen nach Abschluss des Trainings) höhere Leistungen im Leseverständnis als Schüler der Kontrollgruppe und verbesserten sich auch bei der Anwendung der vier Lesestrategien. Drei der Strategien (Zusammenfassen, Fragen und Klären) erwiesen sich als Mediatoren des Effekts des Trainings auf das Leseverständnis. Die Leistungen von Schülern der Lerntandems näherten sich den Leistungen von Schülern an, die reziprokes Lehren im traditionellen Kleingruppensetting erhalten hatten. Schlüsselbegriffe: Reziprokes Lehren, Leseverständnis, Lesestrategien Empirische Arbeit Förderung des Leseverständnisses in Lerntandems und in Kleingruppen: Ergebnisse einer Trainingsstudie zu Methoden des reziproken Lehrens Nadine Spörer, Joachim C. Brunstein, Katrin Arbeiter Universität Gießen Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2007, 54, 298 - 313 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Förderung des Leseverständnisses 299 auf. Im internationalen Vergleich liegen hierzulande die Leseleistungen der schwächsten und der stärksten Leser am weitesten auseinander (Artelt, Stanat, Schneider & Schiefele, 2001). Zudem hängt die Leseleistung stärker als in anderen Ländern von der Sozial- und Bildungsschicht der Familien ab (Baumert & Schümer, 2001). Dies ist ein Hinweis, dass es im deutschen Schulsystem nur unzureichend gelingt, leistungsschwache Schüler angemessen zu fördern (Artelt, Schiefele & Schneider, 2002). In der vorliegenden Studie wurde die Wirksamkeit einer Methode zur Förderung des Leseverständnisses, des sogenannten reziproken Lehrens, bei Schülern einer 6. Klasse mit schwachen Leseleistungen überprüft. Dabei wurden zwei Varianten des reziproken Lehrens erprobt und hinsichtlich ihrer Ergebnisse mit einer untrainierten Kontrollgruppe verglichen. Reziprokes Lehren Reziprokes Lehren ist eine Interventionsmethode, die Palincsar und Brown (1984) entwickelt haben, um Kinder mit gravierenden Rückständen im sinnentnehmenden Lesen zu fördern. Diese beiden Autorinnen beobachteten, dass Kinder, die an sich flüssig lesen konnten, mitunter große Schwierigkeiten hatten, die Bedeutung des gelesenen Textes zu erfassen und erarbeiteten daher eine Methode, bei der Schüler vier Lesestrategien (Textabschnitte zusammenfassen, Fragen formulieren, Unklarheiten beseitigen und Vorhersagen treffen) erlernen, um sich so in ihrem Leseverständnis zu verbessern. Die Strategien werden in der Form eines Erkenntnisdialoges vermittelt und angewandt. Die Schüler arbeiten in Kleingruppen (4 bis 6 Schüler). Jeweils ein Schüler schlüpft in die „Lehrerrolle“ und leitet die Gruppe darin an, welche Strategien einzusetzen sind. Im gemeinsamen Gespräch (im sogenannten reziproken Dialog) diskutieren die Schüler den Inhalt des Textes. Dabei helfen, korrigieren und ergänzen sie sich wechselseitig. Nur zu Beginn wird die Lehrerrolle von einem Trainer übernommen, der die Strategien erläutert und zeigt, wann und wie sie anzuwenden sind (durch kognitives Modellieren der Strategien). Auf diese Weise erlernen Schüler einen reflektierten Umgang mit Texten: Sie werden angeleitet, ihr eigenes Lesen (metakognitiv) zu steuern und in seinen Ergebnissen zu überwachen. Die Kinder lesen einen Text nicht nur ab, sondern bearbeiten ihn mit Hilfe ihrer Strategien und überprüfen fortwährend, ob sie den Kern einer Aussage verstanden haben (Demmrich & Brunstein, 2003). In ihren ersten Studien erprobten Palincsar und Brown (1984) dieses Vorgehen bei leseschwachen Siebtklässlern und fanden, dass die Schüler Rückstände von bis zu zwei Schuljahren aufholen konnten. Rosenshine und Meister (1994) ermittelten in einer Metaanalyse eine durchschnittliche Effektstärke von d = 0.88 (bezogen auf selbst konstruierte Tests) bzw. d = .32 (bezogen auf standardisierte Test) für die Wirksamkeit dieses Interventionsprogramms. Reziprokes Lehren stellt somit ein effektives Verfahren zur Förderung des Leseverständnisses in Kleingruppen dar. Ein neuerer Überblick des US-amerikanischen Reading Panel unterstreicht ebenfalls, dass sinnverstehendes Lesen durch reziprokes Lehren nachhaltig gefördert werden kann (National Institute of Child Health and Human Development, 2000). Ob trainierte Schüler die vermittelten Lesestrategien tatsächlich besser beherrschen und in welchem Umfang die mutmaßlich erworbenen Strategien für den Trainingserfolg verantwortlich sind, wurde bislang jedoch kaum untersucht (für eine Ausnahme in einer studentischen Stichprobe vgl. Hart & Speece, 1998). Ein bedeutsamer Trainingseffekt konnte bislang nur für die Strategie des Zusammenfassens nachgewiesen werden. Für die Strategie des Fragens liegt keine entsprechende Evidenz vor (Rosenshine & Meister, 1994). Trainingseffekte auf die Qualität von Vorhersagen wurden überhaupt erst einmal untersucht, wobei sich die reziprok trainierte Gruppe einer untrainierten Gruppe als überlegen erwies (Dermody, 1988). Zur Strategie des Klärens liegen nach unserem Kenntnisstand keine Befunde vor. Die Frage, ob reziprokes Lehren tatsächlich so wie inten- 300 Nadine Spörer et al. diert wirkt (verbessertes Leseverständnis durch Strategieerwerb), kann derzeit nicht schlüssig beantwortet werden. In der Literatur wird zudem häufiger berichtet, dass es schwierig sei, reziprokes Lehren im Regelunterricht zu realisieren (vgl. Fuchs et al., 2001). So dokumentierten Hacker und Tenent (2002), dass Grundschullehrer vielfältige Modifikationen vornehmen, um die Methode des reziproken Lehrens den Erfordernissen des Regelunterrichts anzupassen. Einige kombinierten z.B. Kleingruppenarbeit mit Frontalunterricht, um ihre Schüler, aber auch sich selbst, zu entlasten. Andere Lehrer ließen die Strategien still bearbeiten und individuelle Zusammenfassungen, Fragen und Vorhersagen niederschreiben. Marks et al. (1993) berichteten, dass Lehrer die Methode oft so weit abänderten, dass zentrale Elemente des ursprünglichen Programms in der tatsächlich praktizierten Version völlig fehlten, wie z. B. die Vermittlung einzelner Lesestrategien oder die kontinuierliche Reflexion in reziproken Dialogen. Tutorielles Lernen Eine Möglichkeit, wie reziprokes Lehren in den Unterricht integriert werden kann, ohne zentrale Programmpunkte aufzugeben, besteht darin, dieses Verfahren mit Merkmalen des tutoriellen Lernens zu kombinieren. Der bekannteste Ansatz dazu stellt das von D. Fuchs, L. S. Fuchs und Burish (2000) entwickelte Programm „Peer-Assisted Learning Strategies“ (PALS) dar. Die Lehrerin erarbeitet zunächst mit der gesamten Klasse Lesestrategien, wie Zusammenfassen und Vorhersagen. Dazu demonstriert sie jede Strategie und kommentiert ihr Vorgehen durch lautes Verbalisieren ihrer handlungsleitenden Kognitionen. Danach werden einzelne Schüler angewiesen, die jeweilige Strategie vor der ganzen Klasse anzuwenden. Dabei werden die Schüler von der Lehrerin angeleitet und unterstützt. Wenn die Schüler alle Strategien beherrschen, wird in Zweiergruppen (oder Lerntandems) weitergearbeitet. Die Schüler übernehmen abwechselnd die Tutorenrolle und lernen, dem Partner angemessene Rückmeldungen zum Gebrauch der Lesestrategien zu geben. Jede Arbeit im Tandem wird vom lesestärkeren Schüler begonnen, der damit als Modell für den leseschwächeren Schüler dient. Zunächst wird ein längerer Abschnitt laut vorgelesen. Die Schüler haben die Aufgabe, Hauptideen zu benennen, Abschnitte zusammenzufassen und vorherzusagen, wie der Text weitergehen wird. Für jede erledigte Aufgabe, aber auch für korrektes Tutorenverhalten, wird das Tandem mit Punkten belohnt. Der Lehrerin beobachtet die Tandems und unterstützt sie ggf. (McMaster, Fuchs & Fuchs, 2006). Im Vergleich zum reziproken Lehren weist das tutorielle Lesen mehrere Vorteile auf. Zum einen hat jeder Schüler mehr Gelegenheiten, eine Strategie zu üben, weil in Tandems statt Kleingruppen gearbeitet wird. Zum anderen ähnelt das partnergestützte Lesen stärker jenen Methoden, die Lehrer von sich aus im Unterricht anwenden. Es gilt daher als leichter erlernbar und wird von Lehrern eher akzeptiert (Fuchs et. al., 2001). Zudem protokollieren und bewerten die Tandems ihr Vorgehen mithilfe von Arbeitsblättern. Diese stellen externe metakognitive Hilfen dar und fördern das strukturierte Arbeiten in den Tandems. Die Wirksamkeit von PALS wurde primär bei Schülern der 2. bis 6. Klasse überprüft. D. Fuchs, L. S. Fuchs, Mathes und Simmons (1997) ermittelten, dass Schüler mit Lernschwierigkeiten ebenso wie Schüler mit unterdurchschnittlichen, aber auch mit durchschnittlichen Leseleistungen von PALS profitierten. Sie verglichen 20 Klassen, in denen PALS über einen Zeitraum von 15 Wochen regelmäßig durchgeführt wurde mit 20 Kontrollklassen. In jeder Klasse wurden drei Schüler ausgewählt, die den oben genannten Lerntypen entsprachen. Der Vergleich der Prä- und Posttestwerte ergab, dass alle Schüler gleichermaßen gefördert worden waren. Es wurden kleine bis mittlere Effekte für Leseflüssigkeit (d = .22) und Leseverständnis (d = .55) ermittelt. Palincsar, Brown und Martin (1987) untersuchten bei 24 Schülern der 7. Klasse, wie mit Hilfe des tutoriellen Lernens das sinnver- Förderung des Leseverständnisses 301 stehende Lesen gefördert werden kann. Dazu modifizierten sie das von ihnen entwickelte reziproke Lehrprogramm. Auf der Grundlage von Vortestergebnissen legten sie fest, welche (leistungsstärkeren) Schüler die Tutorenrolle und welche (leistungsschwächeren) Schüler die Tuteerolle übernehmen sollten. Zuerst wurden allen Schülern die vier Lesestrategien (Zusammenfassen, Fragen, Klären, Vorhersagen) durch Lehrer vermittelt. Anschließend wurden die Tutoren geschult und sodann Zweier- oder Dreiergruppen zugewiesen (1 Tutor und 1 bis 2 Tutees). Die Gruppen lasen im Rahmen des Förderunterrichts täglich für 45 Minuten Sachtexte und setzten dabei die vier Lesestrategien ein. Die Verantwortung für die Bearbeitung der Textsabschnitte ging zunehmend vom Tutor auf die Tutees über. Nachtest- und Follow-up-Untersuchungen zeigten, dass sich sowohl die Tutoren als auch die Tutees in ihrem Leseverständnis verbessert hatten. Eine Kontrollgruppe wurde allerdings nicht eingesetzt. In einer Metaanalyse untersuchten Rohrbeck, Ginsburg-Block, Fantuzzo und Miller (2003) die Wirksamkeit von Tutorenprogrammen in der Grundschule und ermittelten eine durchschnittliche Effektstärke von d = .59 (ungewichtet) bzw. d = .33 (bereinigt um Extremwerte). PALS-Programme zur Leseförderung erreichten eine durchschnittliche Effektstärke von d = .26. Die Höhe der Effektstärken wurde durch mehrere Faktoren moderiert. So waren diejenigen Tutorenprogramme wirksamer, welche den Schülern ein hohes Maß an Autonomie zudachten. Schüler mit geringem sozioökonomischen Status und Schüler mit Migrationshintergrund profitierten von der tutoriellen Förderung am stärksten. Die Dauer der Intervention spielte keine Rolle. Weitere Parameter, wie die Gruppengröße und Rollenverteilung (statisch vs. wechselnd), wurden nicht untersucht. Fragestellung Anschließend berichten wir die Ergebnisse einer Trainingsstudie, in der zwei Varianten des reziproken Lehrens (traditionell und tutoriell) bei Realschülern der 6. Klasse erprobt wurden. Obgleich bei Realschülern generell von einem mittleren Bildungsniveau auszugehen ist, wählten wir solche Klassen aus, bei denen gemäß Sozialstatus und Migrationshintergrund mit schwachen Leseleistungen zu rechnen war. Maße der Strategiebeherrschung und des Leseverständnisses wurden in einem Prätest-Posttest-Follow-up-Test Design erhoben, wobei die Leistungen trainierter Schüler mit denen untrainierter Schüler verglichen wurden. Mit unserer Studie verfolgten wir zwei Ziele: Erstens ging es uns darum, die Frage zu klären, ob die vier Lesestrategien für den (erwarteten) Lernerfolg des reziproken Lehrens verantwortlich sind. Dazu überprüften wir ein Set von Mediationshypothesen i. S. der von Baron und Kenny (1986) aufgestellten Kriterien: Die Teilnahme an einem Programm zum reziproken Lehren sollte demzufolge (a) zu einer besseren Beherrschung der (trainierten) Lesestrategien führen, (b) ein erhöhtes Leseverständnis vermitteln und (c) verbessertes Leseverständnis durch zunehmende Strategiebeherrschung bewirken. Der Nachweis einer solchen (statistischen) Mediation (der Trainingserfolg wird durch die Lesestrategien vermittelt) ist für das Verständnis der Wirkmechanismen des reziproken Lehrens wesentlich, wurde nach unserem Kenntnisstand aber bislang nicht erbracht (oder erst gar nicht erprobt). Zweitens ging es uns darum, das traditionelle reziproke Verfahren mit einer tutoriellen Variante des gleichen Programms zu vergleichen. Kontrastierungen unterschiedlicher Verfahren des reziproken Lehrens innerhalb der gleichen Untersuchung sind bislang die Ausnahme geblieben. Nach dem bestehenden Kenntnisstand ist davon auszugehen, dass beide Versionen zu verbesserten Leseverständnisleistungen führen, wobei die in der Literatur berichteten Effektstärken für die traditionelle Methode (starke Effekte) etwas höher als für die tutorielle Methode (kleine bis mittlere Effekte) ausgefallen sind. Wir verzichteten hier auf 302 Nadine Spörer et al. die Formulierung einer gerichteten Hypothese. Vielmehr ging es uns darum, zu überprüfen, ob die tutorielle Methode der traditionellen Methode unterlegen oder annähernd gleichwertig ist. Als tutorielles Verfahren wählten wir, ähnlich wie bei dem oben erwähnten PALS-Programm, ein Vorgehen, bei dem der Strategieerwerb anfänglich durch Trainer angeleitet und durch die Arbeit in Kleingruppen unterstützt wird, die eigentliche Übungsphase dann aber in Lerntandems (statt in Kleingruppen) vollzogen wird. Methode Stichprobe Die Studie wurde im zweiten Halbjahr des Schuljahres 2004/ 05 in zwei hessischen Realschulklassen der Jahrgangsstufe 6 durchgeführt. Die Schule war in einem Stadtteil angesiedelt, in dem mehrheitlich einkommensschwache Familie leben (aus Datenschutzgründen konnten wir keine Angaben zu den tatsächlichen Beschäftigungs- und Einkommensverhältnissen der Eltern erheben). Die Mehrheit der Schüler stammte aus Familien mit Migrationshintergrund. Insgesamt nahmen 47 Schüler (24 Mädchen und 23 Jungen) teil. Ihr Durchschnittsalter betrug 12.15 Jahre (SD = 0.75). 28.3 % der Eltern stammten aus Deutschland, 82.6 % der Schüler wurden in Deutschland geboren. 43.5 % der Schüler gaben deutsch als Familiensprache an, 28.3 % wuchsen zweisprachig auf und 28.2 % gaben an, dass in der Familie nicht Deutsch gesprochen werde. In der Klasse, in der das Training durchgeführt wurde, begannen 26 von 30 Schülern mit dem Training. Im weiteren Verlauf schieden vier Schüler aus (z. B. wg. eines Klinikaufenthalts), sodass 22 Schüler das Trainingsprogramm vollständig durchliefen. Zwölf Schüler wurden der tutoriellen Bedingung (6 Tandems), zehn Schüler der rein reziproken Bedingung (2 Gruppen) zugewiesen. Die Zuweisung erfolgte auf der Grundlage der Ausgangswerte in einem standardisierten Leseverständnistest (ZLVT, s. u.). Zunächst wurden die Schüler hinsichtlich ihres Lesverständnisses parallelisiert. Danach wurde per Zufall jeweils ein Paarling der reziproken Bedingung oder der tutoriellen Bedingung zugewiesen. In der Klasse, die als Kontrollgruppe fungierte, nahmen alle 21 Schüler an der Untersuchung teil. Ablauf der Untersuchung Der Prätest wurde eine Woche vor dem Training, der Posttest einen Tag nach dem Training durchgeführt. Die Follow-up-Testung erfolgte vier Wochen nach dem Posttest. Das Training umfasste 16 Schulstunden (45 Minuten), die sich über einen Zeitraum von acht Wochen verteilten (2 Sitzungen pro Woche) und fand sowohl im Regelunterricht (8 Stunden) als auch in Zusatzstunden nach dem Schulunterricht (8 Stunden) statt. Im ersten Trainingsabschnitt (1. bis 9. Stunde) wurden Schülern beider Interventionsgruppen die vier Lesestrategien - Zusammenfassen, Fragen, Klären und Vorhersagen - auf die gleiche Weise vermittelt. Beim Zusammenfassen hatte ein Schüler die Aufgabe, den Kern eines Textabschnitts in eigenen Worten wiederzugeben. Außerdem sollten Fragen formuliert werden, die andere Schüler mit Hilfe des gelesenen Abschnitts beantworten konnten. Beim Klären ging es darum, die Bedeutung unbekannter Wörter oder Wortgruppen herauszufinden. Beim Vorhersagen sollte ein Schüler erklären, wie der Text weitergehen könnte. Das Vorgehen glich dem von Palincsar und Brown (1984) beschriebenen Verfahren. Zunächst arbeiteten die Schüler unter Anleitung einer Lerntrainerin. Danach wurde in jeder Gruppe ein Schüler bestimmt, der mit Unterstützung, dann aber zunehmend selbstständig, die Lehrerrolle übernehmen sollte. Das „Lehrerkind“ verteilte die Aufgaben, gab seinen Mitschülern Rückmeldungen, machte Verbesserungsvorschläge und modellierte ggf. selbst den Einsatz der Strategie. Nach jedem Abschnitt wurde ein neues Lehrerkind bestimmt. Im zweiten Abschnitt des Trainings (10. bis 16. Stunde) wendeten die Schüler die erlernten Strategien selbstständig an. Dabei arbeiteten sie entweder in Lerntandems (tutorielle Bedingung) oder in Kleingruppen (reziproke Bedingung). Das Trainingsmaterial war in beiden Bedingungen identisch, sodass alle Gruppen in jeder Stunde die gleichen Texte bearbeiteten. Die Texte behandelten Naturthemen (Leben von Pandabären, Ausbruch von Vulkanen), die der Zeitschrift „Geolino“ entnommen wurden. Es handelte sich ausnahmslos um kontinuierliche Texte, die in Abschnitte untergliedert waren. In der reziproken Bedingung behielten die Schüler die Arbeitsweise bei, die sie zuvor erlernt hatten. Die Lerntrainerinnen (zwei geschulte Psychologiestudentinnen) protokollierten die Gruppenarbeit, griffen aber nur dann unterstützend ein, wenn dies von den Schülern ausdrücklich gefordert wurde (was nur Förderung des Leseverständnisses 303 sehr selten der Fall war). In der tutoriellen Bedingung notierte der Tutor auf einem vorgegebenen Protokollbogen die Qualität der Leseleistung und der angewendeten Strategien des Trainingspartners (Fuchs et al., 2001). Der Tutee vermerkte auf einem eigenen Bogen die Qualität der vom Tutor gegebenen Einschätzung. Die Tandems wurden in jeder Stunde neu zusammengesetzt, wobei stets ein relativ leistungsstarker mit einem weniger leistungsstarken Schüler (bezogen auf das Leseverständnis) kombiniert wurde. In jeder Stunde übernahm zunächst der leistungsstärkere Schüler die Tutorenrolle. Der leistungsschwächere Schüler las den ersten Textabschnitt vor und wendete dann die vier Lesestrategien an. Nach jedem Abschnitt wurden die Rollen getauscht. Auch hier griffen die Lerntrainerinnen nur auf ausdrückliches Nachfragen ein. Um die Vergleichbarkeit der beiden Trainingsbedingungen zu sichern, wurde auf die Einführung eines Belohnungssystems, wie es Fuchs et al. (2000) empfehlen, verzichtet. Die beiden Bedingungen unterschieden sich nur in der Anzahl der Schüler (Zweiergruppen vs. Fünfergruppen) und in der Form der Protokollierung (Schüler vs. Lerntrainerin). Da die Hälfte der Trainingsstunden aus organisatorischen Gründen nach dem regulären Unterricht stattfinden musste, erhielten die Schüler der Trainingsbedingungen in dieser Zeit mehr Unterricht. Die Schüler der Kontrollgruppe bearbeiteten keinen der Trainingstexte, sondern nahmen am regulären Deutschunterricht teil. Nach Absprache mit der Deutschlehrerin der Klasse wurde in dieser Zeit der Umgang mit Texten unterrichtet (s. auch hessischer Rahmenplan für das Fach Deutsch im Bildungsgang Realschule). Neben der Auseinandersetzung mit verschiedenen literarischen Texten sieht der Lehrplan vor, Arbeitstechniken zur Sachtexterschließung und zur Informationsaufbereitung einzuüben. Kontrollvariablen Lesekompetenz. Vor Beginn des Trainings wurden folgende Tests durchgeführt. Die Lesefertigkeit wurde mit dem Züricher Lesetest (ZLT, Linder & Grissemann, 2000) geprüft. Ermittelt wurden Lesegeschwindigkeit und Lesekorrektheit (d.h. die Zahl der Lesefehler). Die Leistungen der untersuchten Schüler erwiesen sich als unterdurchschnittlich. Sowohl bei der Lesezeit als auch bei den Lesefehlern lag der mittlere Prozentrang bei PR = 5. Das Leseverständnis wurde mit dem Züricher Leseverständnistest für das 4. bis 6. Schuljahr (ZLVT 4-6, Grissemann & Baumberger, 2000) erfasst. Bei diesem Test erreichten die untersuchten Schüler mit einem mittleren Prozentrang von PR = 20 (SD = 18.14) ein Leistungsniveau, das im ZLVT als auffällig klassifiziert wird. Sowohl ZLT als auch ZLVT sind Individualtests und wurden nur zur Vortestung eingesetzt. Zur wiederholten Messung des Leseverständnisses wurde, ähnlich wie in anderen Studien (vgl. Palincsar & Brown, 1984; Hart & Speece, 1998), auf selbst konstruierte Tests zurückgegriffen. Intelligenz. Es wurden drei Subtests des Prüfsystems für Schul- und Bildungsberatung (PSB-R 4-6, Horn, 2004) eingesetzt. Das induktive Denken wurde mit den Subtests 2 und 3 („Zahlenreihen“ und „Buchstabenreihen“), das sprachlogische Denken mit dem Subtest 8 („Gemeinsamkeiten finden“) erfasst. In den Subtests 2 und 3 erreichten die individuell getesteten Schüler einen durchschnittlichen Standardwert von 98.9 (SD = 6.70). Für Subtest 8 lag der Standardwert bei 95 (SD = 7.26). Abhängige Variablen Zu jedem Zeitpunkt wurden das Leseverständnis (Produktvariable) und die Beherrschung der vier Lesestrategien (Strategievariablen) erfasst. Dazu wurde zu jedem Messzeitpunkt im Rahmen einer Schulstunde ein anderer Text bearbeitet (Prätest: „Kängurus“, Posttest: „See-Elefanten“, Follow-up-Test: „Geckos“), wobei alle drei Texte der gleichen Quelle („Geolino“) entstammten und gleich lang waren (426 Wörter). Die Struktur der Texte (Überschrift, Gliederung in Abschnitte, Länge) war vergleichbar mit denjenigen Texten, die während des Trainings genutzt wurden. Die Überprüfung der Strategievariablen orientierte sich an dem von Hart und Speece (1998) vorgelegten Auswertungsschlüssel. Die Aufgaben wurden bei allen Messzeitpunkten als Gruppentests durchgeführt. Zur Überprüfung der Strategie des Vorhersagens wurde den Schülern nur der erste Absatz des jeweiligen Textes zum Lesen vorgelegt. Anschließend wurden die Schüler aufgefordert, eine Vorhersage zu formulieren, wie der Text weitergehen könnte („Schreibe auf, wovon der Text handeln könnte“). Danach lasen sie den vollständigen Text. Um die Strategie des Klärens zu überprüfen, sollten die Schüler diejenigen Wörter und Zusammenhänge notieren, die sie 304 Nadine Spörer et al. nicht verstanden hatten („Schreibe aus dem Text die Wörter und Zusammenhänge heraus, von denen du dir wünschen würdest, dass die Lehrerin sie noch einmal erklärt“). Danach sollten sich die Schüler Fragen zum Text überlegen („Überlege dir Fragen, die deine Lehrerin zu diesem Text stellen würde und schreibe sie auf“). Abschließend sollten die Schüler eine Zusammenfassung des gesamten Textes schreiben. Bei der Anwendung der Strategien war es den Schülern erlaubt, im Text nachzusehen und sich dort auch Notizen zu machen. Vor der Überprüfung des Leseverständnisses wurden der Text und das Testheft eingesammelt. Danach wurden den Schülern 10 offene Fragen zum Inhalt des Textes gestellt. Die Beantwortung erfolgte schriftlich. Die Fragen wurden für jeden Text anhand ihres Schwierigkeitsgrades ausgewählt, wobei wir uns an der Klassifikation unterschiedlicher Fragetypen von Raphael und Pearson (1985) orientierten. Es wurden nur Fragen des Typs I (Fragen, deren Antwort in einem Satz zu finden ist) und des Typs II (Fragen, deren Beantwortung die Integration von zwei oder mehr Sätzen erfordert) verwendet. Der Fragetyp III (Fragen, deren Antwort nicht im Text steht, sondern die eine Verbindung von Textinhalt und Vorwissen erfordern) wurde nicht verwendet, weil die Beantwortung solcher Fragen vom Vorwissen eines Schülers abhängig ist. Die Texte wurden von allen Schülern nach ihrer Schwierigkeit beurteilt. Auf einer fünfstufigen Skala gaben die Schüler an, wie gut sie den Text verstanden hatten. Eine Varianzanalyse mit der Textschwierigkeit als abhängiger Variable, dem dreifach gestuften Faktor Bedingung als Zwischensubjektfaktor und dem dreifach gestuften Faktor Messzeitpunkt als Innersubjektfaktor ergab weder für die Hauptnoch für die Interaktionseffekte ein statistisch bedeutsames Ergebnis. Auswertung der Produkt- und Strategievariablen Die Angaben zum Leseverständnis wurden nach folgendem Schema bewertet: Bei jeder Frage wurde beurteilt, ob sie richtig (1 Punkt) oder falsch bzw. gar nicht (0 Punkte) beantwortet worden war. Bei jeder Testung konnten die Schüler maximal 10 Punkte erreichen. Ein Drittel der Schülerangaben wurde zweifach ausgewertet (von zwei geschulten Beurteilern). Der Intraclass-Korrelationskoeffizient (ICC) fiel für alle drei Zeitpunkte sehr hoch aus (ICC = .97 bis .99). Die Beantwortung der Strategieaufgaben wurde nach dem Auswertungsschema von Hart und Speece (1998) bewertet und auf Skalen von 0 bis 5 Punkten eingestuft (das vollständige Schema kann von der Erstautorin angefordert werden). Auch hier wurde ein Drittel der Angaben zweifach ausgewertet (von zwei geschulten Beurteilern). Bei der Strategie des Fragens wurde diejenige Frage gewertet, welche die höchste Punktzahl erhielt. Für die Bewertung war maßgeblich, ob sich eine Frage auf die Hauptidee des Abschnitts bezog, einer eigenen Formulierung entsprang und auf eine tiefere Verarbeitung des Abschnitts hindeutete (Vergleiche, Bewertungen, Schlussfolgerungen). In der Reihenfolge der drei Testungen war die Beurteilerübereinstimmung wie folgt: ICC = .95, .97 und .95. Die Zusammenfassungen wurden nach formalen und inhaltlichen Aspekten ausgewertet. Es wurde z. B. geprüft, ob die (fünf) wichtigsten Aussagen eines Textes (Hauptideen) korrekt wiedergegeben worden waren und inwieweit die Aussagen selbst formuliert oder nur abgeschrieben worden waren. Für die drei Zeitpunkte ergaben sich folgende Intraclass- Korrelationen: ICC = .73, .94, und .98. Die Angaben zur Strategie des Klärens (ICC = .95, .97 und .96) wurden daraufhin überprüft, ob das zu klärende Wort oder Konzept direkt oder indirekt im Text erläutert wurde. Wörter oder Konzepte, deren Erklärung nicht im Text enthalten war, wurden entsprechend höher bewertet. Nannte ein Schüler mehrere zu klärende Begriffe, so wurde derjenige Begriff gewertet, welcher die höchste Punktzahl erhielt. Um die Qualität der Vorhersagen zu ermitteln, wurde geprüft, ob sich die Vorhersage auf Inhalte des Textabschnitts bezog. Vorhersagen, die mehrere Aspekte des Textes einbezogen und bei denen ein klarer Zusammenhang zwischen dem gelesenen Abschnitt und der Vorhersage erkennbar war, wurden höher eingestuft als Vorhersagen, die in keiner erkennbaren Beziehung zum Text standen. Bei mehreren Vorhersagen wurde diejenige gewertet, welche die höchste Punktzahl erhielt. Die zugehörigen Intraclass-Korrelationen betrugen: ICC = .92, .97, .95. Zur Abschätzung der Validität des Leseverständnismaßes wurde der Zusammenhang zwischen ZLVT- Maß und dem zum Prätest erhobenen selbst konstruierten Leseverständnismaß bestimmt ( r = .52, p < .001). Auch der Zusammenhang zwischen den mittels ZLT erfassten Lesefehlern und dem Leseverständnismaß fiel statistisch bedeutsam aus ( r = -.32, p < .05). Die interne Konsistenz des selbst konstruierten Leseverständnismaßes war zu allen drei Zeitpunkten zufrieden stellend: Cronbachs α = .60, .73, .71. Förderung des Leseverständnisses 305 Datenauswertung und Voranalysen Zur Ermittlung der kurz- (Posttest) und mittelfristigen (Follow-up) Trainingseffekte wurden Kovarianzanalysen mit dem dreifach gestuften Faktor Bedingung (TT: tutoriell trainierte Gruppe, RT: reziprok trainierte Gruppe, KG: Kontrollgruppe) und den Ausgangswerten (Prätest = Kovariate) der jeweiligen abhängigen Variablen auf statistische Bedeutsamkeit hin geprüft. Unterschiede zwischen den drei Untersuchungsbedingungen wurden mittels orthogonaler Kontraste getestet: Kontrast 1 für den Vergleich der trainierten mit den untrainierten Schülern; Kontrast 2 für den Vergleich der beiden Trainingsbedingungen. Die ANOCA-Voraussetzung (vgl. Keselman et al., 1998), dass die Steigungen der Regressionen in den Untersuchungsbedingungen homogen sein müssen (also keine Interaktion zwischen Bedingung und Kovariate existieren darf), wurde für das selbst konstruierte Maß des Leseverständnisses ebenso wie für die Maße der Lesestrategien in allen Fällen erfüllt. Gruppenunterschiede im Ausgangsniveau der selbst konstruierten Strategie- und Leseverständnistests wurden nicht festgestellt. Zudem berechneten wir um Vortestunterschiede korrigierte Effektstärken. Entsprechend Cohen (1988) bezeichnen wir eine Effektstärke ab .20 als kleinen, ab .50 als mittleren und ab .80 als großen Effekt. In Voranalysen prüften wir, ob sich Schüler der drei Untersuchungsgruppen hinsichtlich der Kontrollvariablen Intelligenz und Lesekompetenz (Lesekorrektheit, Lesegeschwindigkeit, Leseverständnis) voneinander unterschieden. Für die ZLT-Variablen Lesekorrektheit, F(2, 40) = 11.4, und Lesegeschwindigkeit, F(2, 40) = 12.8, erwiesen sich die Gruppenunterschiede als signifikant. Schüler der Trainingsbedingungen wiesen schwächere Leseleistungen als Schüler der Kontrollgruppe auf. Alle nachfolgend berichteten Analysen wurden daher zunächst für Unterschiede in diesen beiden Lesemaßen kontrolliert (als Kovariaten). Keine der beiden Variablen hatte einen bedeutsamen Einfluss auf die Leseverständnis- und Lesestrategiemaße beim Posttest und beim Follow-up. Außerdem unterschieden sich die drei Gruppen weder in der Intelligenz noch in der Leistung beim standardisierten Leseverständnistest (ZLVT). Im Ergebnisteil werden die vorgenannten Kontrollvariablen daher nicht weiter erwähnt. Um zu prüfen, ob die vier Strategievariablen als Mediatoren der Trainingseffekte auf das Leseverständnis fungierten, folgten wir dem von Baron und Kenny (1986) vorgeschlagenen (regressionsstatistischen) Vorgehen und prüften folgende Fragestellungen: (a) Ist der Effekt der unabhängigen Variable (Bedingung) auf die abhängige Variable (Leseverständnis) signifikant? (b) Kann ein signifikanter Effekt der unabhängigen Variable auf den Mediator (die jeweilige Lesestrategie) und ein signifikanter Zusammenhang des Mediators mit der abhängigen Variablen nachgewiesen werden? (c) Sinkt bei gleichzeitiger Kontrolle des Mediators der Effekt der unabhängigen auf die abhängige Variable ab? Die drei Abstufungen der Untersuchungsbedingung wurden mittels der beiden oben erwähnten Kontraste kodiert. Die Abschwächung der Bedingungseffekte nach Auspartialisierung der Mediatoren wurde regressionsanalytisch geprüft (durch den Vergleich der Regressionskoeffizienten bzw. ihres Signifikanzniveaus). Ergebnisse Tabelle 1 zeigt die Mittelwerte und Standardabweichungen für das Leseverständnis und die Anwendung der Lesestrategien für alle Messzeitpunkte und Untersuchungsbedingungen. Leseverständnis Eine Kovarianzanalyse 1 mit dem zum Posttest gemessenen Leseverständnis als abhängiger Variable, dem Faktor Bedingung (KG: Kontrollgruppe, TT: tutorielle Gruppe, RT: reziproke Gruppe) als Zwischensubjektfaktor und dem zum Prätest gemessenen Leseverständnis als Kovariate ergab neben einem signifikanten Effekt für die Kovariate, F(1, 39) = 40.01, p < .001, einen signifikanten Haupteffekt für den Faktor Bedingung, F(2, 39) = 6.02, p < .01. Die Analyse der Gruppenkontraste zeigte, dass Schüler beider Trainingsbedingungen bessere Werte im Leseverständnis erzielten als Schüler der Kontrollbedingung (Kontrast 1, p < .001). Der Unterschied zwischen den beiden Trainingsvarianten (Kontrast 2) war nicht signifikant. Für den Follow-up ergaben sich ähnliche Befunde. Der Haupteffekt für den Faktor Bedingung, F(2, 39) = 3.72, p < .05, war neben dem Effekt der Kovariate, F(1, 39) = 11.19, p < 01, signifikant. Schüler der beiden Trainingsbedingungen zeig- 306 Nadine Spörer et al. Tabelle 1: Mittelwerte (und Standardabweichungen) der Kontroll-, Leseverständnis- und Strategievariablen als Funktion von Zeit und Bedingung Anmerkung: Maximalwert in Klammern nach der Variablenbezeichnung. KG = Kontrollgruppe, TT = tutorielle Gruppe, RT = reziproke Gruppe. Es wurden nur dann Indizes verwendet, wenn statistisch bedeutsame Gruppenunterschiede beobachtet werden konnten. Lesebeispiel: Zum Posttest erreichen Schüler der tutoriellen und der reziproken Gruppe ein signifikant besseres Leseverständnis als Schüler der Kontrollgruppe. Tutoriell trainierte Schüler unterscheiden sich jedoch nicht bedeutsam von reziprok trainierten Schülern. Prätest Posttest Follow-up-Test KG TT RT KG TT RT KG TT RT ZLT - Lesegeschwindigkeit (sec) 293.86 x 340.83 x, y 399.40 y (47.04) (45.48) (76.79) ZLT - Lesekorrektheit (Fehlerzahl) 13.52 x 18.33 x 30.10 y (4.96) (8.88) (14.59) ZLVT - Leseverständnis (max. 32) 22.19 22.92 23.20 (3.64) (3.48) (3.08) PSB-R (IQ) 98.17 99.14 93.80 (5.99) (5.74) (3.86) Leseverständnis (max. 10) 4.71 4.25 4.90 4.62 x 6.17 y 6.70 y 5.29 x 6.00 y 7.60 y (2.26) (1.44) (2.64) (2.62) (2.17) (2.87) (2.61) (2.30) (1.90) Zusammenfassen (max. 5) 1.90 2.21 1.8 1.95 x 2.88 y 3.50 z 2.00 x 2.63 y 2.60 y (0.93) (0.54) (0.67) (0.96) (0.53) (0.41) (1.02) (0.48) (0.66) Fragen (max. 5) 2.76 2.50 2.20 2.38 x 3.42 y 4.20 y 2.14 x 3.50 y 3.60 y (1.84) (1.83) (1.69) (1.69) (1.44) (1.14) (1.88) (1.51) (0.84) Klären (max. 5) 2.14 2.92 1.70 1.52 x 2.83 y 2.40 y 1.81 x 3.17 y 4.10 y (1.68) (0.90) (1.42) (1.75) (1.12) (1.27) (1.81) (1.12) (0.99) Vorhersagen (max. 5) 2.19 3.33 2.70 2.10 x 3.17 y 4.30 y 2.67 3.25 3.30 (1.72) (1.30) (1.34) (2.07) (1.40) (1.16) (1.98) (1.49) (1.83) Förderung des Leseverständnisses 307 ten erneut ein besseres Leseverständnis als Schüler der Kontrollgruppe (Kontrast 1, p < .05). Kontrast 2 verfehlte auch in dieser Analyse die statistische Signifikanz. Die um Vortestunterschiede korrigierten Effektstärken fielen mittelstark bis groß aus. Für den Posttest ergaben sich folgende Werte: d = .78 (TT/ RT vs. KG), d = .86 (TT vs. KG) sowie d = .69 (RT vs. KG). Die Effektstärken für den Follow-up waren wie folgt: d = .67 (TT/ RT vs. KG), d = .51 (TT vs. KG) sowie d = .88 (RT vs. KG). Zwischen den beiden Trainingsbedingungen (TT vs. RT) ergab sich zum Posttest eine (vernachlässigenswerte) Effektstärke von d = -.10. Beim Follow-up war die Effektstärke mittelstark: d = .44. Wenngleich statistisch nicht signifikant, schnitten Schüler der reziproken Bedingung vier Wochen nach Abschluss des Trainings graduell besser ab als Schüler der tutoriellen Bedingung. Anwendung der Lesestrategien Korrelationsanalysen zeigten, dass zum Prätest lediglich zwischen den beiden Lesestrategien Zusammenfassen und Vorhersagen ein bedeutsamer Zusammenhang bestand (r = .41, p < .01). Das Leseverständnis (selbst konstruierter Test) korrelierte mit keiner der vier Lesestrategien. Zum Posttest wurden signifikante Zusammenhänge zwischen den Strategien Fragen und Vorhersagen (r = .44, p < .01), Zusammenfassen und Vorhersagen (r = .52, p < .01) sowie Zusammenfassen und Fragen (r = .52, p < .01) festgestellt. Zudem korrelierte das Leseverständnis bedeutsam mit folgenden Strategien: Zusammenfassen (r = .52, p < .01), Fragen (r = .40, p < .01) und Vorhersagen (r = .29, p < .05). Zum Followup fielen die Korrelationen für Zusammenfassen und Vorhersagen (r = .33, p < .05), Zusammenfassen und Klären (r = .33, p < .05) sowie Zusammenfassen und Fragen (r = .39, p < .01) signifikant aus. Ein statistisch bedeutsamer Zusammenhang zwischen den Lesestrategien und dem Leseverständnis zeigte sich hier für Zusammenfassen (r = .36, p < .05), Fragen (r = .33, p < .05) und Klären (r = .52, p < .001). Eine Kovarianzanalyse mit der Posttest- Qualität der Zusammenfassungen als abhängiger Variable, dem Faktor Bedingung als Zwischensubjektfaktor und der zum Prätest gemessenen Qualität der Zusammenfassungen als Kovariate ergab neben einem signifikanten Effekt der Kovariate, F(1, 39) = 11.12, p < .01, einen signifikanten Haupteffekt für den Faktor Bedingung, F(2, 39) = 19.45, p < .001. Schüler beider Trainingsbedingungen schrieben bessere Zusammenfassungen als Schüler der Kontrollbedingung (Kontrast 1, p < .001). Zudem erwiesen sich Schüler der reziproken Bedingung ihren Mitschülern in der tutoriellen Bedingung als überlegen (Kontrast 2, p < .01). Zum Follow-up schwächten sich die Effekte ab. Die Kovarianzanalyse zeigte einen Haupteffekt für den Faktor Bedingung, F(2, 39) = 3.13, p = .05, und einen Effekt für die Kovariate, F(1, 39) = 10.30, p < .01. Beide Trainingsgruppen unterschieden sich erneut von der Kontrollgruppe (Kontrast 1, p < .05). Der Unterschied zwischen den beiden Trainingsvarianten (Kontrast 2) war nicht bedeutsam. Bezüglich der Strategie des Fragens ergab eine analoge Analyse der Posttest-Werte einen Haupteffekt für den Faktor Bedingung, F(2, 39) = .5.65, p < .01. Die Kovariate (Fragen zum Prätest) war nicht signifikant, F(1, 39) = 1.09. Schüler beider Trainingsgruppen schnitten auch bei dieser Strategie besser ab als Schüler der Kontrollgruppe (Kontrast 1, p < .01). Unterschiede zwischen den Trainingsbedingungen (Kontrast 2) zeigten sich nicht. Ähnlich ergab sich für den Follow-up ein Haupteffekt für den Faktor Bedingung, F(2, 39) = 5.55, p < .01. Der Einfluss der Kovariate war statistisch bedeutsam, F(1, 39) = 6.14, p < .05. Die Kontraste fielen analog zum Posttest aus (Kontrast 1, p < .01; Kontrast 2, n.s.). Schüler beider Trainingsbedingungen formulierten qualitativ bessere Fragen als Schüler der Kontrollbedingung. Für die Strategie des Klärens ergab sich beim Posttest ein signifikanter Haupteffekt für den Faktor Bedingung, F(2, 39) = 3.22, p = .05. Die Kovariate hatte keinen bedeutsamen Einfluss, 308 Nadine Spörer et al. F(1, 39) = 0.16. Trainierte Schüler erzielten hier höhere Werte als untrainierte (Kontrast 1, p < .05). Zwischen der tutoriellen und der reziproken Bedingung (Kontrast 2) konnte kein bedeutsamer Unterschied ermittelt werden. Zum Follow-up zeigte sich gleichfalls ein Haupteffekt für den Faktor Bedingung, F(2, 39) = 8.76, p < .01. Der Einfluss der Kovariate war unbedeutend, F(1, 39) = 0.27. Trainierte Schüler beherrschten auch beim Follow-up die Strategie des Klärens deutlich besser als Schüler der Kontrollgruppe (Kontrast 1, p = .001). Eine entsprechende Kovarianzanalyse für die Posttest-Messung der Vorhersagen ergab einen signifikanten Haupteffekt für den Faktor Bedingung, F(2, 39) = 4.95, p < .05. Der Effekt für die Kovariate war nicht bedeutsam, F(1, 39) = 1.42. Schüler beider Trainingsbedingungen formulierten bessere Vorhersagen als Schüler der Kontrollbedingung (Kontrast 1, p < .05), ohne dass ein bedeutsamer Unterschied zwischen Schülern der beiden Trainingsbedingungen festzustellen war (Kontrast 2). Zum Followup wurden keine statistisch bedeutsamen Unterschiede zwischen den Bedingungen aufgedeckt, F(2, 39) = 0.81. Eine Betrachtung der Veränderungen der Mittelwerte (s. Tabelle 1) zeigt, dass sich Schüler der Kontrollgruppe zu diesem Zeitpunkt in der Qualität ihrer Vorhersagen deutlich steigern konnten, sodass sich ihre Werte denen der Trainingsgruppen annäherten. Tabelle 2 zeigt die zugehörigen Effektstärken. Vergleicht man die Trainingsbedingungen mit der Kontrollbedingung, so fallen die Effekte für Zusammenfassen und Fragen stark, für Klären mittelstark und für Vorhersagen schwach aus. Zusätzlich wurde analysiert, ob die Schüler der reziproken und tutoriellen Bedingung unterschiedlich schnell arbeiteten. Es zeigte sich, dass tutoriell trainierte Schüler im Vergleich zu reziprok trainierten Schülern pro Sitzung mehr Abschnitte lasen (M = 3.97, SD = 1.18 vs. M = 2.90, SD = 0.74; t[40] = 2.70, p = .01; d = 1.09) und dabei auch mehr Strategien einsetzten (M = 15.16, SD = 5.07 vs. M = 9.90, SD = 3.35; t[40] = 3.06, p < .01; d = 1.22). Tabelle 2: Kurz- und mittelfristige Trainingseffekte Anmerkung: Es werden korrigierte Effektstärken (d) dargestellt Leseverständnis Zusammenfassen Fragen Klären Vorhersagen Prä-Post Prä- Prä-Post Prä- Prä-Post Prä- Prä-Post Prä- Prä-Post Prä- Follow-up Follow-up Follow-up Follow-up Follow-up Tutorielles und reziprokes Training vs. Kontrollgruppe .78 .67 1.40 .60 1.14 1.12 .61 1.04 .34 -.23 Tutorielles Training vs. Kontrollgruppe .86 .51 .73 .34 .79 .92 .30 1.13 -.14 -.44 Reziprokes Training vs. Kontrollgruppe .69 .88 1.99 .77 1.50 1.21 .82 1.70 .88 .01 Reziprokes vs. tutorielles Training -.10 .44 1.97 .63 .76 .25 .69 1.92 1.35 .51 Förderung des Leseverständnisses 309 Mediatoranalysen Die vorgenannten Ergebnisse (signifikante Effekte der Untersuchungsbedingungen auf Leseverständnis und Strategiebeherrschung) erfüllen, zumindest bezüglich der Gegenüberstellung von Trainingsteilnehmern und Kontrollschülern (Kontrast 1), die Voraussetzungen für die Durchführung von Mediationsanalysen, deren Ergebnisse in Abbildung 1 im Überblick dargestellt werden. Unter den Strategien waren Zusammenfassen und Fragen sowohl zum Posttest als auch zum Follow-up signifikant mit dem Leseverständnis korreliert. Für Vorhersagen galt dies nur zum Posttest, für Klären nur zum Follow-up. Für den Posttest fielen die Ergebnisse wie folgt aus: Der ursprünglich signifikante Effekt der Trainingsteilnahme (trainierte vs. untrainierte Schüler, p < .05) auf das Leseverständnis fiel unter Berücksichtigung der Strategie des Zusammenfassens nicht mehr signifikant aus (p = .85). Ein analoger Mediator-Effekt ergab sich für die Strategie des Fragens. Beide Strategien blieben in der multiplen Regression (im Unterschied zu Kontrast 1) signifikant (p < .05), was ihre Funktion als Mediatoren unterstreicht. Zum Follow-up war der Effekt für die Trainingsteilnahme (Kontrast 1) gleichfalls signifikant (p < .05). Eine mediierende Rolle konnte hier für Zusammenfassen und Klären, nicht aber für Fragen, nachgewiesen werden. Nach Kontrolle der jeweiligen Strategievariable fiel der (zuvor signifikante) Effekt der Trainingsteilnahme nicht mehr signifikant aus (ps > . 20), während der Effekt für die Strategievariablen signifikant (Klären: p < .001) oder annähernd signifikant (Zusammenfassen: p = .06) blieb. Für die Strategie des Vorhersagens ließen sich weder zum Posttest noch zum Follow-up Mediatoreffekte nachweisen. Diskussion Trainingseffekte Die Befunde unserer Studie sind in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Zum einen konnten wir zeigen, dass sich im Vergleich zu einer untrainierten Kontrollgruppe diejenigen Schüler, die (entweder reziprok oder tutoriell) trainiert wurden, in ihrem Leseverständnis verbesserten. Der Trainingseffekt blieb vier Wochen nach Ende des Trainings stabil. Bezogen auf das Leseverständnis wurden mittlere bis große Effekte erzielt, was die praktische Bedeutsamkeit der statistischen Ergebnisse unterstreicht. Die hier berichteten Effekte für die (rein) reziprok trainierten Gruppen stimmen weitgehend mit der von Rosenshine und Meister (1994) ermittelten Effektstärke von d = .88 überein. Die Effekte, die durch das tutorielle Training erzielt wurden, übertrafen die von Rohrbeck et al. (2003) berichtete Effektstärke für tutorielles Lernen im Bereich Lesen (d = .26). Die von uns untersuchten sehr leseschwachen Schüler lernten im Laufe des Trainings, die vermittelten Strategien erfolgreich anzuwenden. Beim Vergleich der Prätestmit den Posttestergebnissen waren die Trainingseffekte zum Teil (sehr) stark. Zum Follow-up fielen die (zumeist mittelstarken) Effekte vergleichsweise schwächer aber immer noch substanziell und positiv aus. Bei der Interpretation dieser Befunde ist zu berücksichtigen, dass aufgrund des hohen Trainingsaufwands die Stichprobe relativ klein ausfiel. Dennoch sollten die berichteten Ergebnisse an einer größeren Schülerstichprobe repliziert werden. Dies gilt insbesondere auch für den Vergleich der beiden Trainingsvarianten (s. u.). Zudem ist zu beachten, dass das Training teilweise außerhalb des Unterrichts stattfand, sodass die trainierten Schüler mehr Unterricht erhielten als die nicht trainierten Schüler der Kontrollgruppe. Daher können wir letztlich nicht ausschließen, dass die beobachteten Effekte zumindest teilweise auf die zusätzliche Lernzeit zurückgingen. Da es nicht möglich war, das gesamte Training innerhalb des Unterrichts durchzuführen, wäre als Alternative denkbar gewesen, die Schüler der Kontrollgruppe am Nachmittag gleichfalls mit einer schwachen Intervention zu beschäftigen (wie z. B. gemeinsames Lesen von Texten). Diese Überlegung haben wir teils aus ethischen (wg. der erwarteten 310 Nadine Spörer et al. Abbildung 1: Die vermittelnde Rolle der Lesestrategien bei der Vorhersage des Leseverständnisses (vor dem Schrägstrich: b-Gewicht der einfachen Regression, nach dem Schrägstrich: b-Gewicht der multiplen Regression; # p = .06, * p < .05, ** p < .01, *** p < .001). Förderung des Leseverständnisses 311 Ineffektivität dieser Maßnahme) und teils aus motivationalen (wg. der geringen Bereitschaft, an einer solchen Maßnahme teilzunehmen) Gesichtspunkten verworfen. Die Höhe der erzielten Effekte spricht aber dafür, dass der Kompetenzzuwachs der Schüler nicht nur auf die Quantität, sondern primär auf die Effektivität der Lernphase zurückging. Durch die wiederholte Testung der No-Treatment-Kontrollgruppe konnten wir zudem ausschließen, dass die Trainingseffekte auf Retesteffekte (d. h. auf das Erlernen eines strategischen Vorgehens durch die Bearbeitung der Testaufgaben) bzw. auf Effekte der zunehmenden Vertrautheit mit dem Aufgabenmaterial zurückzuführen waren (Klauer, 2001). Die Rolle der Lesestrategien Ein wichtiges Anliegen unserer Studie bestand darin, die vermittelnde Funktion der vier Lesestrategien für das Leseverständnis zu überprüfen. Zusammenfassen, Fragen und Klären erwiesen sich als Mediatoren der Verbesserung des Leseverständnisses von Trainingsschülern im Vergleich zu Kontrollschülern. Die trainierten Schüler hatten gelernt, Textabschnitte prägnanter zusammenzufassen, hochwertigere Fragen zu formulierten und Unklarheiten besser zu erkennen, und dieser Zuwachs an strategischen Fertigkeiten verhalf ihnen dazu, die Texte besser zu verstehen. Diese Befunde gehen über bestehende Erkenntnisse zum reziproken Lehren hinaus (Palincsar & Brown, 1984; Rosenshine & Meister, 1994). Wir konnten zeigen, dass der Leistungszuwachs im Leseverständnis tatsächlich auf die Beherrschung der Lesestrategien zurückzuführen ist. Die Strategie des Vorhersagens trug nichts Substanzielles zur Verbesserung des Leseverständnisses bei. Es wäre jedoch verfrüht, diese Strategie aus dem Trainingsprogramm zu entfernen. Dazu müssten Studien durchgeführt werden, in denen ein vollständiges Strategiepaket mit einem um die Strategie des Vorhersagens gekürzten Strategieprogramm kontrastiert wird. Reziprokes Lehren in Tandems und Kleingruppen Neben der Analyse der Lesestrategien ging es uns darum, die traditionelle Methode des reziproken Lehrens in Kleingruppen mit dem Lernen in Tandems zu vergleichen. Die Frage war, ob Schüler, welche die Lesestrategien in Lerntandems praktizieren, ähnlich gut abschneiden wie reziprok arbeitende Kleingruppen. Diese Frage war nicht zuletzt aus dem Sachverhalt motiviert, dass tutorielles Lernen, im Vergleich zu reziproker Kleingruppenarbeit, häufig als unterrichtsfreundlicheres Verfahren betrachtet wird. Im Ergebnis zeigte sich, dass Schüler der tutoriellen Bedingung in ihrem Leseverständnis nicht schlechter als Schüler der reziproken Bedingung abschnitten, gemessen an den Ergebnissen der Kovarianzanalysen. Die vergleichsweise geringeren Effektstärken verweisen dennoch auf Einbußen beim tutoriellen Vorgehen. Denkbar ist, dass die reziprok trainierten Schüler stärker von der Gruppenarbeit profitierten, weil sie dort mehr Raum für gemeinsame Diskussionen und für die Reflexion der erörterten Texte erhielten. In Lerntandems ist der Austausch naturgemäß auf nur zwei Schüler begrenzt. Nach den Beobachtungen der hier beteiligten Trainerinnen lernten die Schüler in den Tandems äußerst diszipliniert und arbeiteten systematisch an ihren Texten. Ihre Zusammenarbeit glich jedoch mehr dem Abarbeiten vorgegebener Aufgaben als einem lebhaften Diskurs. Protokollaufzeichnungen zeigten, dass in den Tandems, im Vergleich zu den Kleingruppen, mehr Abschnitte pro Text gelesen wurden, dafür über die Abschnitte weniger ausführlich diskutiert wurden. In Folgestudien sollte daher versucht werden, die Effektivität der Lerntandems weiter zu erhöhen, indem Aufgaben gestellt werden, die einen intensiven gedanklichen Austausch über den Text fördern (z.B. Schreiben einer gemeinsamen Zusammenfassung). Und schließlich ist denkbar, dass die relative (aber statistisch nicht bedeutsame) Überlegenheit der reziproken Kleingruppen auf den Umstand zurückgegangen sein mag, dass sich Schüler der tutoriellen Bedingung in der zweiten Phase des Trainings auf eine veränderte Arbeitsweise (wechselnde Zweierteams) umstellen mussten. Dies sind Spekulationen, die aber Anregungen für die Optimierung des tutoriellen Vorgehens bieten. Fazit Zusammenfassend zeigte unsere Studie, dass sich die beiden untersuchten Varianten des reziproken Lehrens dafür eignen, Lesestrategien zu vermitteln, um auf diesem Weg das Leseverständnis zu erhöhen. Dies fanden wir bei Schülern, die zu Beginn der Untersuchung unterdurchschnittliche Lesefertigkeiten besaßen. Eine Replikation unserer Befunde anhand größerer Stichproben und standardisierter Testverfahren steht noch aus. Immerhin konnten wir aber zeigen, dass sich die meisten der trainierten Strategien (Zusammenfassen, Fragen, Klären) in dem Sinne als effektiv erwiesen, als dass sie den erreichten Zuwachs im Leseverständnis nach strengen statistischen Prüfkriterien auch erklärten (Mediatoranalyse). Im nächsten Schritt wird es darauf ankommen, unterschiedliche Varianten des Programms weiter zu optimieren (v. a. in Bezug auf tutorielle Vorgehensweisen), kritisch miteinander zu vergleichen und sie an die Erfordernisse des Schulunterrichts anzupassen. Dies würde die Voraussetzung dafür schaffen, dass reziprokes Lehren an Lehrer weitergegeben werden kann, die dieses Förderprogramm dann, auf einer breiteren Basis als bislang, im Unterricht implementieren. Anmerkung 1 Bei der Analyse von Gruppenunterschieden in Prä- Post-Follow-up-Test-Kontrollgruppendesigns haben sich Kovarianzanalysen im Vergleich zu (Messwiederholungs-)Varianzanalysen als in der Regel präziseres (höhere Testpower wg. Reduzierung der Fehlervarianz) und robusteres (wg. der bei Messwiederholungsanalysen häufig auftretenden Verletzung der sog. Sphärizitätsannahme) Verfahren der Datenanalyse erwiesen (Keselman et al., 1998; Maxwell, 1998). Auf Anregung eines Gutachters hin führten wir aber zusätzlich auch Varianzanalysen mit Messwiederholung durch, die im Vergleich zu den im Text berichteten Kovarianzanalysen zu ganz ähnlichen Ergebnissen führten. Eine Varianzanalyse mit dem Leseverständnis als abhängiger Variable, dem Faktor Bedingung als Zwischensubjektfaktor und dem dreifach gestuften Faktor Messzeitpunkt (Prä-, Post- und Follow-up-Test) als Innersubjektfaktor erbrachte z. B. neben einem signifikanten Haupteffekt für den Faktor Messzeitpunkt, F(2, 80) = 13.14, p < .001, einen signifikanten Interaktionseffekt für den Term Messzeitpunkt x Bedingung, F(4, 80) = 3.07, p < .05, der bei dieser Form der Testung den Effekt des Treatments widerspiegelt. Literatur Artelt, C., Stanat, P., Schneider, W. & Schiefele, U. (2001). Lesekompetenz: Testkonzeption und Ergebnisse. In Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.). PISA 2000: Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich (S. 69 - 137). Opladen: Leske + Budrich. Artelt, C., Schiefele, U. & Schneider, W. (2001). Predictors of reading literacy. European Journal of Psychology of Education, 16, 363 - 383. Baron, R. M. & Kenny, D. A. (1986). The moderator-mediator variable distinction in social psychological research: Conceptual, strategic, and statistical considerations. Journal of Personality and Social Psychology, 51, 1173 - 1182. Baumert, J. & Schümer, G. (2001). Familiäre Lebensverhältnisse, Bildungsbeteiligung und Kompetenzerwerb. In Deutsches PISA-Konsortium (Hrsg.). PISA 2000: Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich (S. 323 - 407). Opladen: Leske + Budrich. Demmrich, A. & Brunstein, J. C. (2003). Förderung sinnverstehenden Lesens durch „Reziprokes Lehren“. In G. W. Lauth, M. Grünke & J. C. Brunstein (Hrsg.). Interventionen bei Lernstörungen (S. 279 - 290). Göttingen: Hogrefe. Dermody, M. (1988). Metacognitive strategies for development of reading comprehension for younger children. Paper presented at the American Association of Colleges for Teacher Education, New Orleans, LA. Fuchs, D. & Fuchs, L. S. & Burish, P. (2000). Peer-assisted learning strategies: An evidence-based practice to promote reading achievement. Learning Disabilities Research and Practice, 15, 85 - 91. Fuchs, D., Fuchs, L. S., Mathes, P. G. & Simmons, D. C. (1997). Peer-Assisted Learning Strategies: Making classrooms more responsive to diversity. American Educational Research Journal, 34, 174 - 206. Fuchs, D., Fuchs, L. S., Thompson, A., Stevenson, E., Yen, L. Otaiba, S. A., Yang, N., McMaster, K. N., Prentice, K., Kazdan, S. & Saenz, L. (2001). Peer-assisted learning strategies in reading: Extensions for kindergarten, first grade, and high school. Remedial & Special Education, 22, 15 - 21. Grissemann, H. & Baumberger, W. (2000). Züricher Leseverständnistest ZLVT für das 4. - 6. Schuljahr (2. Aufl.). Bern: Hans Huber. Hacker, D. J. & Tenent, A. (2002). Implementing reciprocal teaching in the classroom: Overcoming obstacles and making modifications. Journal of Educational Psychology, 94, 699 - 718. 312 Nadine Spörer et al. Förderung des Leseverständnisses 313 Hart, E. R. & Speece, D. L. (1998). Reciprocal teaching goes to college: Effects of postsecondary students at risk for academic failure. Journal of Educational Psychology, 90, 670 - 681. Horn, W. (2004). Prüfsystem für Schul- und Bildungsberatung für die 6. bis 13. Klassen (PSB-R 6-13). Göttingen: Hogrefe. Keselman, H. J., Huberty, C. J., Lix, L. M., Olejnik, S., Cribbie, R. A., Donohue, B., Kowalchuk, R. K., Lowman, L. L., Petosky, M. D., Keselman, J. C. & Levin, J. R. (1998). Statistical practices of educational researchers: An Analysis of their ANOVA, MANOVA, and ANCOVA analyses. Review of Educational Research, 68, 350 - 386. Klauer, K. J. (2001). Trainingsforschung: Ansätze - Theorien - Ergebnisse. In K. J. Klauer (Hrsg.), Handbuch kognitives Training (2. Aufl., S. 3 - 66). Göttingen: Hogrefe. Linder, M. & Grissemann, H. (2000). Züricher Lesetest ZLT (6. Aufl.). Bern: Hans Huber. Marks, M., Pressley, M., Coley, J. D., Craig, S., Gardner, R., DePinto, W. & Rose, W. (1993). Three teachers’ adaptions of reciprocal teaching in comparision to traditional reciprocal teaching. The Elementary School Journal, 94, 267 - 283. Marston, D., Deno, S. L., Kim, D., Diment, K. & Rogers, D. (1995). Comparison of reading intervention approaches for students with mild disabilities. Exceptional Children, 62, 20 - 37. Maxwell, S. E. (1998). Longitudinal designs in randomized group comparisons: When will intermediate observations increase statistical power? Psychological Methods, 3, 275 - 290. McMaster, K. L., Fuchs, D. & Fuchs, L. S. (2006). Research on peer-assisted learning strategies: The promise and limitations of peer-mediated instruction. Reading & Writing Quarterly, 22, 5 - 25. National Institute of Child Health and Human Development (2000). Report of the National Reading Panel: Teaching Children to Read: Reports of the Subgroups. Washington, DC: U.S. Government Printing Office. Palincsar, A. S. & Brown, A. L. (1984). Reciprocal teaching of comprehension-fostering and comprehension-monitoring activities. Cognition and Instruction, 1, 117 - 175. Palincsar, A. S., Brown, A. L. & Martin, S. M. (1987). Peer interaction in reading comprehension instruction. Educational Psychologist, 22, 231 - 253. Raphael, T. & Pearson, P. D. (1985). Increasing students’ awareness of sources of information for answering questions. American Educational Research Journal, 22, 217 - 235. Rohrbeck, C. A., Ginsburg-Block, M. D., Fantuzzo, J. W. & Miller, T. R. (2003). Peer-assisted learning interventions with elementary school students: A meta-analytic review. Journal of Educational Psychology, 95, 240 - 257. Rosenshine, B. & Meister, C. (1994). Reciprocal teaching: A review of the research. Review of Educational Research, 64, 479 - 530. Dr. Nadine Spörer Abteilung für Pädagogische Psychologie Fachbereich Psychologie und Sportwissenschaft Justus-Liebig-Universität Gießen Otto-Behaghel-Str. 10 F D-35394 Gießen Tel. (06 41) 99-2 61 94 Fax (06 41) 99-2 61 99 E-Mail: nadine.spoerer@psychol.uni-giessen.de
