eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 55/2

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Kompetenzen von Schulanfängern: Was sollten Schulanfänger können?

41
2008
Julia Riebel
Reinhold S. Jäger
In der vorliegenden Delphi-Studie wurde der Frage nachgegangen, welche Kompetenzen Schülerinnen und Schüler beim Eintritt in die erste Klasse aufweisen sollen. Dabei wurden 169 Lehrende nach Kompetenzen aus den Bereichen „kognitive“, „soziale“ und „motorische Kompetenzen“ befragt. Die ausformulierten Kompetenzbereiche wurden einer zweiten Gruppe von Lehrenden vorgelegt, die eine Einschätzung der Wichtigkeit dieser Bereiche vornehmen sollten. Es zeigte sich, dass die Befragten sämtliche Kompetenzen als sehr bedeutsam betrachteten, dass es kaum Abweichungen von diesem Wichtigkeitsurteil gab und dass die Einschätzung unabhängig war von den Personenmerkmalen Alter, Geschlecht und Dienstalter. Des Weiteren konnte die Gliederung der Kompetenzen in die Bereiche „kognitiv“, „sozial“ und „motorisch“ faktorenanalytisch bestätigt werden. Die vorliegende Studie schließt eine Wissenslücke, da bisher keine umfassende Auflistung der bedeutsamen Kompetenzen neueren Datums vorliegt. Sie zeigt außerdem weitere Lücken auf, da weder für die Messung der hier erfragten Kompetenzen noch für die der ihnen vorausgehenden Vorläuferfähigkeiten ausreichend Instrumente vorliegen.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2008, 55, 132 - 142 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Kompetenzen von Schulanfängern: Was sollten Schulanfänger können? Julia Riebel, Reinhold S. Jäger Zentrum für empirische pädagogische Forschung (zepf) Universität Koblenz - Landau, Campus Landau Competencies of School Beginners: What Competencies should School Beginners have? Summary: In this delphi-study, 169 teachers were asked which competencies pupils should have when they enter primary school. They were asked to nominate cognitive, social as well as motor skills. In the second part of the study, a partly different sample of teachers rated those skills regarding their relevance. It can be shown, that not only did the teachers consider all the mentioned competencies as important, but also did they hardly differ in their ratings. It was also found, that the rating of importance is independent from various characteristics like e. g. age, gender or age of professional experience. Moreover an exploratory factor analysis over the set of competencies revealed the same latent structure as the one based on theoretical assumptions, which is the classification as cognitive, social and motor competencies. A next step would be to develop instruments for measuring the competencies as well as the underlying basic forerunner abilities. Keywords: School begin, entering school, competencies, forerunner abilities Zusammenfassung: In der vorliegenden Delphi-Studie wurde der Frage nachgegangen, welche Kompetenzen Schülerinnen und Schüler beim Eintritt in die erste Klasse aufweisen sollen. Dabei wurden 169 Lehrende nach Kompetenzen aus den Bereichen „kognitive“, „soziale“ und „motorische Kompetenzen“ befragt. Die ausformulierten Kompetenzbereiche wurden einer zweiten Gruppe von Lehrenden vorgelegt, die eine Einschätzung der Wichtigkeit dieser Bereiche vornehmen sollten. Es zeigte sich, dass die Befragten sämtliche Kompetenzen als sehr bedeutsam betrachteten, dass es kaum Abweichungen von diesem Wichtigkeitsurteil gab und dass die Einschätzung unabhängig war von den Personenmerkmalen Alter, Geschlecht und Dienstalter. Des Weiteren konnte die Gliederung der Kompetenzen in die Bereiche „kognitiv“, „sozial“ und „motorisch“ faktorenanalytisch bestätigt werden. Die vorliegende Studie schließt eine Wissenslücke, da bisher keine umfassende Auflistung der bedeutsamen Kompetenzen neueren Datums vorliegt. Sie zeigt außerdem weitere Lücken auf, da weder für die Messung der hier erfragten Kompetenzen noch für die der ihnen vorausgehenden Vorläuferfähigkeiten ausreichend Instrumente vorliegen. Schlüsselbegriffe: Schulanfang, Schuleintritt, Kompetenzen, Vorläuferfähigkeiten Was macht man, wenn wenig über ein Merkmal bekannt ist? Wie kommt man zu Aussagen über die geforderten Kompetenzen von Schulanfängern? Dieser Beitrag gibt das Ergebnis einer Studie wieder, die dazu durchgeführt wurde, einerseits die Schuleingangsdiagnostik inhaltlich auf neue Füße zu stellen, andererseits die Erfahrung von Lehrkräften im Bereich der Grundschulpädagogik einzubeziehen. Nutzt man die Ergebnisse des Bildungsbarometers (Arbinger, Jäger, Jäger-Flor, Lissmann & Mengelkamp, 2006), so ist festzustellen, dass bei der Frühförderung - im Vergleich zu anderen Bereichen - der größte Veränderungsbedarf gesehen wird. Seit der Erstbefragung 1 hat der Anteil der Personen zugenommen, welche in der Frühförderung einen zunehmenden Bedarf sehen. Kompetenzen von Schulanfängern 133 Dass frühkindliche Erziehung so im Mittelpunkt des Interesses steht, ist nicht nur der Ausdruck einer Vielzahl von Initiativen von Ministerien 2 , sondern auch auf privatwirtschaftliche 3 oder Aktivitäten von Stiftungen 4 zurückzuführen. Diese Bemühungen werden durch Forschungsergebnisse gestützt, die nahelegen, dass sogenannte Vorläuferfähigkeiten bedeutsam sind. Forscher kommen zum Resultat, dass der Schulanfang nicht die „Stunde Null“ ist und Schulanfänger nicht mit einer tabula rasa starten (Richter & Brügelmann 1994, Schneider 1989, 1997). Vielmehr wird davon ausgegangen, dass beispielsweise der Erwerb der Schriftsprache oder der Mathematik als ein Entwicklungsprozess aufzufassen ist, welcher bereits der Einschulung vorgelagert ist und daher die frühkindliche Erziehung und Bildung unmittelbar betrifft. Es ist trivial festzuhalten, dass lernzielnahe Befähigungen, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem späteren Schulerfolg stehen, für anschlussfähige Bildungsprozesse eine besondere Bedeutung haben. Das ist schon deswegen theoretisch anzunehmen, weil der Grad der Überlappung zwischen vorausgehenden Faktoren und nachfolgenden Kriterien, welche den Erfolg bei der Realisierung von Lernzielen indizieren, eben jenen Zusammenhang ausmacht. Die vorliegende Studie 5 ist eine explorative mit dem Ziel, die Kenntnisse über Voraussetzungen (Vorläuferfähigkeiten, Bedingungen für Resilienz, Motivation und dergleichen) zum Schulbeginn zu gewinnen und damit implizites Wissen von Experten (hier Lehrkräfte) explizit zu machen. Sie baut auf der theoretischen Position auf, dass Prädiktoren, die aus der Forschung zu den genannten Voraussetzungen eine gute Prognose für diejenigen Befähigungen darstellen, welche zum Zeitpunkt des Schuleintritts als bedeutsam angesehen werden. Diese Faktoren werden nachfolgend allesamt mit dem Terminus Vorläuferfähigkeiten belegt. Es liegt nahe, diejenigen Befähigungen, die zum Zeitpunkt des Schuleintritts gegeben sind, als Kompetenzen zu bezeichnen. Sie zeichnen Schulanfänger durch ihre Konfiguration und Variabilität aus. Da sie den Vorläuferfähigkeiten zeitlich nachgeordnet sind, sind sie auch als Kriterien zu kennzeichnen. Beide - die Vorläuferfähigkeiten als auch die Kriterien - müssen diagnostisch erfasst werden, um die so gewonnenen Informationen für nachfolgende Interventionen zu nutzen. Da nur ein Teil der Vorläuferfähigkeiten bekannt ist und zugleich hinsichtlich der Kompetenzen zum Zeitpunkt des Schuleingangs kaum gesicherte Erkenntnisse vorliegen, wurde eine Delphi-Studie durchgeführt, um die ausstehenden notwendigen empirischen Basisdaten zu gewinnen. Methode Die Delphi-Methode ist weit verbreitet und gilt als anerkanntes Verfahren auch bei Fragestellungen, welche eine vorausschauende Erkenntnis von Trends und Perspektiven angehen (Linstone, 1978). Sie ist eine Forschungsmethode der Sozialwissenschaften, die dort eingesetzt wird, wo ein offenes (Erkenntnis-)Feld existiert (Behrens, 2000). In Rahmen der hier gegebenen Fragestellung wurde eine Papier-Bleistift-Version der Methode gewählt, bei der die Zielgruppe (Lehrkräfte der Grundschule) schriftlich um Mitarbeit gebeten wurde. Das Verfahren lief zweistufig ab: In einer ersten Delphi-Runde wurde Lehrkräften ein semistrukturierter Fragebogen vorgelegt. Die Semistrukturierung wurde dadurch erreicht, dass die Zielgruppe gebeten wurde, zu drei Kompetenzbereichen (kognitive, soziale und motorische Kompetenzen) diejenigen Kompetenzaspekte zu benennen, welche aus der Sicht der einzelnen Lehrkraft als bedeutsam angesehen werden. Die Bedeutsamkeit kam bereits dadurch zum Tragen, dass ein Teilaspekt benannt wurde, weil die einzelne Lehrkraft davon ausgeht, dass der mit der Benennung einhergehende Aspekt zum Zeitpunkt des Schuleintritts als Voraussetzung für das weitere soziale Agieren, Lernen etc. in der ersten Klasse relevant ist. Dadurch, dass eine größere Anzahl von Lehrkräften teilnahm (N = 168 Schulen, bei 169 teilnehmenden Lehrkräften, Alter: M = 44.57, s = 11.18; Dienstjahre: M = 18.98; s = 10.64), konnte eine Inventarisierung (Schmidtke, 1998) realisiert werden. Das bedeutet: Aufgrund der Ergebnisse der Delphi- 134 Julia Riebel, Reinhold S. Jäger Befragung kann davon ausgegangen werden, dass mit Hilfe der Anzahl von Lehrkräften der Ereignisraum Kompetenzen von Schulanfängern ausgeschöpft werden kann. Diese Nennungen wurden in einem anschließenden Auswertungsschritt inhaltsanalytisch verarbeitet (Auflistung aller Nennungen, Zusammenfassung zu einem Begriff, wenn ähnliche Nennungen vorgegeben waren), sodass dann eine Liste mit den genannten Kompetenzen - je getrennt für die oben genannten Bereiche - resultierte. Es ergaben sich für die nachfolgenden Kompetenzen folgende Einzelnennungen: Kognitive Kompetenzen: Anstrengungs- und Leistungsbereitschaft; Aufmerksamkeit; Autonomie; Differenzierungs- und Wahrnehmungsfähigkeit (optisch und akustisch); Gliederungsfähigkeit; Konzentration und Ausdauer; Logisch-Schlussfolgerndes Denken; Mathematische Grundfertigkeiten; Merkfähigkeit; Orientierungsfähigkeit; Sprachverhalten und Sprachfähigkeit; Verkehrsverhalten; Wissen Soziale Kompetenzen: Akzeptanz; Empathie; Integrations- und Gruppenfähigkeit; Kommunikationsfähigkeit; Konfliktfähigkeit; Kontaktfähigkeit; Kooperationsbereitschaft; Regelbewusstsein; Verantwortungsbewusstsein Motorische Kompetenzen: Feinmotorik; Grobmotorik Für den zweiten Teil der Delphi-Befragung wurden die oben genannten Kompetenzen durch die von den Lehrkräften mitgeteilten Teilkompetenzen operationalisiert und einer Bewertung unterzogen. Die Experten hatten nunmehr die Aufgabe, jede Teilkompetenz auf einer sechsstufigen Likert-Skala (0 = keine Bedeutung,… 5 = sehr bedeutend, bei grafisch vorgegeben äquidistanten Werten) hinsichtlich ihrer Bedeutung zu bewerten. An dieser zweiten Delphi-Befragung partizipierten zum Teil Personen aus der ersten Befragungsgruppe, zum Teil kamen neue Personen hinzu. Da jede Lehrkraft nur einen kleinen Teil der jeweils anfallenden Kompetenzen im ersten Teil der Delphi-Studien jeweils selbst benannt hatte, ergibt sich kein Problem bezüglich des möglichen Zirkelschlusses, nämlich die persönlich genannten Sachverhalte selbst entsprechend positiv zu bewerten. An der zweiten - und für diese Veröffentlichung entscheidenden - Untersuchung nahmen insgesamt 110 Lehrkräfte teil, davon 109 Lehrkräfte und ein Sozialpädagoge/ -pädagogin. Die Stichprobe wurde aus dem Aufsichtsbereich der Aufsichts- und Dienstdirektion (ADD) Neustadt/ Pfalz gewonnen. An der zweiten Befragung haben 95 Lehrerinnen und 14 Lehrer teilgenommen. Das Altersmittel der weiblichen Lehrkräfte beträgt 44.23 Jahre (Min: 23; Max: 65; s = 11.29), das der männlichen Lehrkräfte 49.07 Jahre (Min: 32; Max: 57; s = 7.78). Die beiden Teilstichproben (männliche und weibliche Teilnehmer) unterscheiden sich hinsichtlich des Alters nicht signifikant (t = -1.54; df = 107, p > .05). Zwar ist der Durchschnitt der Dienstjahre bei den teilnehmenden Frauen (M = 17.73) etwas geringer als bei den Männern (M = 23.5); aber auch hier sind beide Gruppen statistisch miteinander vergleichbar (t = -1.75; df = 106, p > .05). Damit kann bei der weiteren Überprüfung der Daten aufgrund der Gruppierungsvariablen Alter, Geschlecht sowie der Dienstjahre nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Unterschiede in den jeweiligen Teilstichproben auf Unterschiede in der Zusammensetzung der Stichprobe zurückgeführt werden können. Ergebnisse Aufgabe der Experten war, die Kriterien, welche in der ersten Delphi-Befragung gewonnen wurden, auf einer Likert-Skala (0 - 5) zu bewerten (s. o.). Diese Bewertungen werden nunmehr als Grundlage für die weiteren Darstellungen herangezogen. Diese haben zunächst deskriptiven Charakter; nachfolgend werden aber die einzelnen Kriterien zur Kompetenz differenziert bewertet. Dabei spielen folgende Aspekte eine Rolle: 1. Der Mittelwert der Bewertungen: Je höher der Mittelwert ausfällt, desto bedeutsamer wird die jeweilige Kompetenz eingeschätzt. 2. Die auf der Basis der Daten bestimmte Standardabweichung der Bewertungen: Sie gibt eine Auskunft darüber, wie homogen oder heterogen die Beurteilung über alle einschätzenden Personen ausfällt. 3. Die empirische Abhängigkeit der Bewertungen von Alter, Dienstalter und Geschlecht: Je unabhängiger die Einschätzungen sind, desto eher ergibt sich eine Maßgabe dafür, die jeweilige Kompetenz im Sinn der oben genannten theoretischen Position für weiterführende Entwicklungen heranziehen zu können. Kompetenzen von Schulanfängern 135 Empirische Werte der Kompetenzklassen: Mittelwerte und Standardabweichungen für einzelne Kompetenzen In Tabelle 1 werden die Ergebnisse aus dem Bereich kognitive Kompetenzen dargestellt. Hierbei werden die Mittelwerte und Standardabweichungen der Teilkompetenzen getrennt in zwei Spalten angeführt. Die einzelnen Kompetenzen sind aufsteigend sortiert, beginnend mit dem niedrigsten Mittelwert. Die Reihung erfolgt auf der Grundlage des jeweils erzielten Mittelwerts aus der zweiten Stufe der Delphi- Befragung. Bereich: Kognitive Kompetenzen M s Grundverständnis zum Zeitbegriff* 3.09 1.00 Vorwissen über Natur, Kunst und Musik* 3.18 .94 Silben klatschen* 3.29 1.04 Muster erkennen und fortsetzen 3.48 .90 problemlösendes Denken 3.49 .83 Reime hören und bilden 3.53 .99 Beziehungen herstellen, Zusammenhänge erfassen 3.62 .85 Bilder ordnen 3.64 .87 Lese- und Schreibrichtung kennen 3.65 1.14 Kinderlieder, Verse etc. auswendig können 3.73 .92 Vornamen erkennen und schreiben können 3.78 1.27 Orientierung in Räumen 3.84 .92 Verkehrsregeln kennen 3.87 1.09 Personalien wiedergeben 3.87 1.06 Farben, Formen, Größen erkennen, benennen, unterscheiden 3.89 .91 Lagebeziehungen kennen und anwenden 3.89 .92 Schulweg meistern 3.90 .91 selbstständiges Handeln 3.90 .82 Mengen ordnen 3.93 .78 simultanes Erfassen kleiner Mengen 3.97 .95 neugierig sein 4.01 .90 Misserfolge verkraften 4.04 .88 angemessenes Verhalten im Straßenverkehr 4.05 .90 Ordnung am Arbeitsplatz 4.08 .84 Würfelbilder kennen 4.09 .99 Unterschiede feststellen können 4.10 .80 Gegenstände erkennen, benennen, zuordnen 4.12 .75 von 1 -10 vorwärts zählen 4.12 1.07 Arbeit beenden 4.13 .92 Laute hören und unterscheiden 4.15 .90 sich geduldig zeigen 4.17 .83 Interesse an Schule 4.18 .87 verständlich, laut und deutlich, grammatikalisch richtig fragen und antworten 4.18 .87 Aufträge merken und umsetzen 4.23 .78 Dinge aus schulischem Umfeld und täglichem Gebrauch benennen und beschreiben können 4.27 .81 altersgemäßer Wortschatz in Deutsch 4.39 .83 vom Elternhaus lösen während Schulzeit 4.42 .75 Anweisungen verstehen und ausführen 4.51 .72 alleine zur Toilette gehen 4.56 .81 10 - 20 Min. auf eine Sache konzentrieren können 4.72 .54 zuhören können 4.80 .46 Tabelle 1: Ergebnisse der Kompetenzeinschätzung: kognitive Kompetenzen Anmerkung: * Item wurde aufgrund des erzielten Mittelwertes und der Standardabweichung verworfen. 136 Julia Riebel, Reinhold S. Jäger Geht man davon aus, dass der Erwartungswert des Mittelwerts der Einschätzungen bei der sechsstufigen Likert-Skala (0 = keine Bedeutung; 5 = sehr bedeutend) bei 2.5 liegt, so werden alle Kompetenzen mit einem empirischen Mittelwert < 3.5 (= Erwartungswert plus eine Standardabweichung in der Likert-Skala) sowie einer Standardabweichung > 1 verworfen: In diesen Fällen wird einerseits die Bedeutung der jeweiligen Teilkompetenz zu niedrig eingeschätzt, andererseits ist die Variation der eingeschätzten Bedeutung über die Beurteilenden hinweg zu groß. Unter dieser Voraussetzung werden die ersten drei Teilkompetenzen des Bereichs Kognitive Kompetenzen gemäß den vorgenannten Kriterien selektiert. Diese Aussage gilt zunächst unabhängig von weiteren Auswertungen (s. o.). Darüber hinaus zeigt sich bei der Variablen „Vornamen erkennen und schreiben können“, dass die berechnete Standardabweichung von 1.27 eine vergleichsweise hohe Inhomogenität in der Beurteilung indiziert, doch kann diese Variable angesichts des erzielten empirischen Mittelwerts akzeptiert werden. Bereich: Soziale Kompetenzen M s enge Freundschaften schließen* 3.19 1.08 Offenheit gegenüber anderen* 3.50 1.12 Empathie 3.79 .96 andere Meinungen wahrnehmen und akzeptieren 3.83 .82 eigene Meinung äußern und vertreten 3.83 .83 Konfliktlösungsstrategien kennen und anwenden 3.87 .80 Fragen stellen, Antworten geben, nachfragen 3.93 .88 Konflikte selbstständig und gewaltfrei lösen 3.95 .95 Kontakte aufnehmen und fortführen 3.95 .83 Tischmanieren kennen und einhalten 3.97 1.04 Verantwortung für übertragene Aufgaben 3.99 .90 Gruppen-/ Partnerarbeit 4.02 .90 Toleranz gegenüber Mitschülern 4.05 .80 Kritik ertragen und annehmen 4.06 .84 Kompromisse schließen 4.06 .78 still sitzen 4.09 1.05 Wünsche, Gefühle etc. mitteilen 4.11 .82 eigene Bedürfnisse zeitweilig zurückstellen 4.13 .81 teilen 4.15 .90 Frustrationstoleranz 4.18 .77 sich in Klasse/ Gruppe einordnen, einbringen und zurechtfinden 4.23 .77 Verantwortung für eigene Materialien 4.24 .79 eigene Fehler einsehen 4.26 .73 Höflichkeits- und Umgangsformen 4.26 .83 Hilfsbereitschaft zeigen und annehmen 4.35 .81 zuhören, ohne dazwischenzureden 4.38 .84 sich bei gemeinschaftlichen Spielen/ Arbeiten beteiligen & ein-/ unterordnen können 4.40 .80 rücksichtsvoller Umgang mit anderen 4.40 .74 Respekt gegenüber anderen 4.41 .78 abwarten 4.41 .74 schwächere/ kranke Mitschüler akzeptieren 4.47 .78 Eigentum achten & Unrechtsbewusstsein besitzen 4.49 .74 an Regeln halten 4.53 .76 Tabelle 2: Ergebnisse der Kompetenzeinschätzung: Soziale Kompetenzen Anmerkung: * Item wurde aufgrund des erzielten Mittelwertes und der Standardabweichung verworfen. Kompetenzen von Schulanfängern 137 In Tabelle 2 sind die empirischen Ergebnisse hinsichtlich der sozialen Kompetenzen angeführt. Wiederum wird nach dem gleichen Muster wie bei den kognitiven Kompetenzen verfahren. Berücksichtigt man die gleichen Voraussetzungen, so können bis auf zwei Ausnahmen alle weiteren Merkmale, welche in der zweiten Delphi-Studie bewertet wurden, als bedeutsam angesehen werden. Diese Merkmale finden sich wiederum im oberen Teil der Tabelle 2. In Tabelle 3 werden anschließend die empirischen Daten für die motorischen Kompetenzen mitgeteilt. Legt man die gleichen Kriterien wie vorher an, so resultieren bei keinem Merkmal Probleme hinsichtlich der Akzeptanz der Merkmale durch die Beurteiler. Insgesamt zeigt sich, dass die Einschätzung im Rahmen der Delphi-Studie zu Daten führt, die für praktische Entscheidungen verwendet werden können. Zum einen wird der Ereignisraum „Was sollen Schulanfänger können? “ definiert, zum anderen wird durch die eingeschlagene methodische Vorgehensweise eine Einengung vorgenommen. Abhängigkeit der Kompetenzen von Geschlecht, Alter und Dienstalter der Befragten Nachfolgend wird der Frage nachgegangen, ob die bereits berichteten empirischen Daten von einer Reihe von Einflussgrößen abhängig sind, die für Unterschiede in den Einschätzungen verantwortlich gemacht werden können. Überprüft werden hierbei Alter (medianhalbiert: Alter > 48; Alter < 47), Geschlecht und Dienstjahre (medianhalbiert: Dienstjahre > 16; Dienstjahre < 15). Um einen Indikator für die Unterschiede zu erhalten, wird ein t-Test für unabhängige Stichproben zur Bestimmung des Mittelwertsunterschieds gerechnet. Zur Abschätzung der Bedeutsamkeit der resultierenden Ergebnisse wird ein Maß der Effektstärke bestimmt (vgl. Wolf, 2006). Hierzu wird das entsprechende Programm von Fischer (2001) eingesetzt. Aufgrund der von Cohen (1977) vorgegebenen Werte gilt dann ein Unterschied als bedeutsam, wenn der w 2 -Wert von .3 erreicht oder überschritten wird. In diesen Fällen, nämlich bei w 2 ≥ .3, wird das Maß der Effektstärke als mittelstark eingeschätzt. Nur dann gehen wir davon aus, dass vorgefundene Mittelwertsunterschiede auf Effekte hinweisen, die bedeutsam sind. Zur Demonstration des Vorgehens sei auf die Variable „Lese- und Schreibrichtung kennen“ zurückgegriffen. Hier bewerten die Lehrerinnen das Item mit 3.73, die Lehrer mit 2.93. Der Unterschied zwischen beiden Mittelwerten ist zwar statistisch signifikant (t = 2.51; df = 109; Bereich: Motorische Kompetenzen M s Ballspiel 3.47 .97 Umgang mit verschiedenen Schriftarten 3.58 .95 Einbeinstand, vorwärts und rückwärts hüpfen 3.63 1.05 rückwärts gehen 3.73 1.13 auf Baumstamm balancieren 3.76 1.03 sauberes An- und Ausmalen 3.80 .92 Hampelmann 3.81 .99 ausschneiden 3.94 .91 richtige Stifthaltung 3.95 .95 mit starker Hand motorische Grundarbeitstechniken beherrschen 4.04 .90 Gleichgewicht halten 4.04 .81 verschiedene Bewegungsarten beherrschen 4.25 .85 richtiges Treppensteigen beherrschen 4.26 .92 nachfahren 4.27 .72 sachgerechter Umgang mit Arbeitsutensilien 4.35 .74 selbstständiges An- und Ausziehen 4.47 .76 Tabelle 3: Ergebnisse der Kompetenzeinschätzungen: Motorische Kompetenzen 138 Julia Riebel, Reinhold S. Jäger p < .05), aber wegen des vorgefundenen w 2 = .05 praktisch nicht bedeutsam. Alle Berechnungen führen zu dem Ergebnis, dass die vorgefundenen Differenzwerte zwischen den jeweiligen Vergleichsgruppen auf der Basis von Alter, Geschlecht und Dienstjahren als klein bis sehr klein anzusehen sind. Demnach sind die Unterschiede unter dem Blickwinkel der praktischen Signifikanz als wenig relevant zu bewerten. Als Konsequenz daraus haben die vorgenannten Ergebnisse der Tabellen 1 bis 3 Bestand. Faktorenanalysen der Ratings der Experten In einem nächsten Schritt wird nun der Frage nachgegangen, ob sich die vorgegebene Dreiteilung der Kompetenzen in kognitive, soziale und motorische aus den Ratingdaten heraus bestätigen lässt. Hierzu wird die Methode der Faktorenanalyse verwendet. Wie aus den Tabellen 1 bis 3 ersichtlich ist, resultiert eine sehr geringe Varianz in der Einschätzung der Beurteiler. Die vergleichsweise hohen Mittelwerte und Standardabweichungen zeigen, dass die Experten die Kompetenzen tendenziell eher als bedeutsam einstufen und sich in dieser Antworttendenz untereinander recht homogen verhalten. Um eine Faktorenanalyse über die Ratings rechnen zu können, ist eine Varianzoptimierung auf der Ebene der Einzelitems notwendig. Deshalb werden alle Items auf der Basis der empirischen Werte jedes Items dichotomisiert: Hierzu wird für jedes Item (für jede Teilkompetenz) der empirische Median bestimmt und damit die ursprüngliche Antwortskala auf zwei Bereiche - „von geringer Bedeutsamkeit“ vs. „von hoher Bedeutsamkeit“ - reduziert. Ob der Median zum oberen oder zum unteren Bereich hinzugenommen wird, wird anhand des Kriteriums der Varianzmaximierung entschieden. Diese Maximierung ist erreicht, wenn gilt: p * q ≈ .25. p und q sind die Anteile derjenigen Personen, die unter bzw. über dem Median angesiedelt sind. Über die so erhaltenen dichotomisierten Variablen wird im Anschluss eine explorative Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation gerechnet. Das Ziel der Faktorenanalyse besteht darin, auf explorativem Wege in Erfahrung zu bringen, ob die ursprüngliche Ordnung der Kompetenzen (kognitive, soziale und motorische) beibehalten werden kann. Im ersten Durchlauf lassen sich zwar die drei Dimensionen soziale Kompetenzen, kognitive Kompetenzen und motorische Kompetenzen bestätigen, einige Items laden allerdings nicht auf dem Ursprungs-Referenzfaktor. Diese Tatsache wird als inhaltliche Unbestimmtheit der Items interpretiert; diese Items werden vor einer weiteren Analyse selektiert. In einem zweiten Schritt werden all jene Items entfernt, die Nebenladungen über .30 auf anderen Faktoren aufweisen, da sich auch diese offensichtlich nicht eindeutig zuordnen lassen. Auf diese Art und Weise wird dem Einfach-Kriterium Genüge geleistet. Die Ergebnisse dieser endgültigen Lösung sind in Tabelle 4 dargestellt. Dieses Ergebnis ist insoweit bedeutsam, als es gelungen ist, die ursprüngliche Voreinteilung in die drei Kompetenzen widerzuspiegeln. Ob dieses Resultat in nachfolgenden Untersuchungen - nach der Operationalisierung der verschiedenen Teilkompetenzen in entsprechenden diagnostischen Verfahren - repliziert werden kann, bleibt abzuwarten. Die so entstandenen und bestätigten Skalen (kognitive, soziale und motorische Kompetenzen) werden einer Reliabilitätsanalyse unterzogen. Als Maß der Zuverlässigkeit wird Cronbach’s a berechnet. Wie aus Tabelle 5 ersichtlich ist, sind die Reliabilitäten der Skalen zufriedenstellend (r tt > .70). Auch die Trennschärfen aller Items übersteigen den von Rost (2004) geforderten Mindestwert von .30. Wie korrelieren die genannten Skalen miteinander? Alle Skalen korrelieren signifikant untereinander (.30 < r xy < .46). Die Effekte (w 2 ) - resultierend aus den vorgefundenen Korrelationen - sind nach Cohen (1977) als mittelstark zu betrachten. Das bedeutet, dass unter diesen empirischen Bedingungen die als Skalen abgeleiteten Werte empirisch nicht unabhängig voneinander sind und die Höhe des Zusammenhangs als bedeutsam anzusehen ist. Kompetenzen von Schulanfängern 139 Skala Cronbachs a M (Schwierigkeit) s (Schwierigkeit) Anzahl der Items Kognitive Kompetenz .75 .45 .27 9 Soziale Kompetenz .93 .40 .31 20 Motorische Kompetenz .88 .34 .32 10 Tabelle 5: Skalenbeschreibung Item Ladungen auf den Faktoren sozial motorisch kognitiv Hilfsbereitschaft zeigen und annehmen .75 .29 Kritik ertragen und annehmen .75 .24 Toleranz gegenüber Mitschülern .74 .18 teilen .73 .22 Respekt gegenüber anderen .73 .11 sich bei gemeinschaftlichen Spielen/ Arbeiten beteiligen & ein-/ unterordnen können .72 .12 .11 rücksichtsvoller Umgang mit anderen .70 .10 Empathie .70 .28 Höflichkeits- und Umgangsformen .70 Tischmanieren kennen und einhalten .70 .13 schwächere/ kranke Mitschüler akzeptieren .69 .18 .13 Frustrationstoleranz .66 .19 .20 andere Meinungen wahrnehmen und akzeptieren .65 Verantwortung für übertragene Aufgaben .57 .24 .12 an Regeln halten .55 .19 Eigentum achten & Unrechtsbewusstsein besitzen .53 .10 Fragen stellen, Antworten geben, nachfragen .51 .23 .27 Offenheit gegenüber anderen .49 .20 .26 enge Freundschaften schließen .47 .23 Konfliktlösungsstrategien kennen und anwenden .35 .21 auf Baumstamm balancieren .82 .10 Gleichgewicht halten .16 .80 Einbeinstand, vorwärts und rückwärts hüpfen .79 .19 rückwärts gehen .19 .77 Hampelmann .21 .73 richtiges Treppensteigen beherrschen .13 .69 -.13 verschiedene Bewegungsarten beherrschen .67 .10 Ballspiel .53 .24 sauberes An- und Ausmalen .27 .49 .18 nachfahren .22 .40 angemessenes Verhalten im Straßenverkehr .19 .79 Verkehrsregeln kennen .15 .77 Schulweg meistern .14 .11 .67 10 - 20 min. auf eine Sache konzentrieren können .17 -.11 .51 Muster erkennen und fortsetzen .16 .17 .49 Silben klatschen .28 .47 Arbeit beenden .28 .43 problemlösendes Denken .24 .42 Laute hören und unterscheiden .29 .30 Tabelle 4: Faktorladungen der Expertenratings Anmerkung: Die Ladungen auf Hauptfaktor sind jeweils hervorgehoben. 140 Julia Riebel, Reinhold S. Jäger Fazit und Schlussfolgerungen Die allermeisten der in der ersten Stufe der Delphi-Studie erfragten Kompetenzen werden in der zweiten Stufe der Befragung von den einbezogenen Experten in homogener Weise als bedeutsam eingeschätzt. Die hohe Übereinstimmung unter den Experten lässt darauf schließen, dass hierbei diejenigen Kompetenzen genannt sind, die für den Schulanfang wichtig sind. Der Ereignisraum „Kompetenzen zum Schulbeginn“ ist damit offensichtlich gut ausgeschöpft. Zwar bleibt zu bedenken, dass die Einschätzung, welche Kompetenzen zu einem bestimmten Zeitpunkt von den Lehrkräften als relevant eingestuft werden, immer abhängig ist vom aktuellen Zeitgeist, gesellschaftspolitischen Strömungen und momentanen bildungspolitischen Diskussionen - man denke zum Beispiel an die Ergebnisse der PISA-Studien (PISA-Konsortium Deutschland, 2001). Allerdings kann man davon ausgehen, dass die hier erfragten Kompetenzen auch in den nächsten Jahren Relevanz besitzen werden. Schließlich können die Befragten im Mittel auf eine Berufserfahrung von 19 Jahren zurückgreifen und sind somit als kompetente Experten in diesem Bildungsbereich zu betrachten. Gleichwohl sind die in dieser Studie identifizierten Kompetenzen und Kompetenzbereiche keinesfalls als endgültige Antwort auf die Frage „Was sollten Schulanfänger können? “ zu betrachten, sondern vielmehr als eine weiter ausbaufähige Groborientierung, die jederzeit an neue gesellschaftliche Anforderungen angepasst werden kann. Eine Delphi-Analyse, wie sie zur Erhebung von Kompetenzen durchgeführt wurde, kann lediglich als eine Vorbedingung dafür angesehen werden, welche Kompetenzen aus der Sicht von Lehrkräften relevant erscheinen. Keineswegs ist damit festgehalten, dass diese Kompetenzen bei der Zielgruppe von Schülerinnen und Schülern (a) zufriedenstellend operationalisierbar sind und (b) nach einer Operationalisierung so erfasst werden können, dass eine hinreichende Differenzierung zwischen Schülerinnen und Schülern erreicht werden kann. In den nächsten Schritten der weiteren Forschungsentwicklung geht es nun darum herauszufinden, welche Vorläuferfähigkeiten sich aus den erfassten Kompetenzbereichen ableiten lassen. Darüber hinaus wird auch der Frage nachgegangen werden müssen, wie man sowohl die Vorläuferfähigkeiten als auch die in dieser Untersuchung gewonnenen Kompetenzen operationalisieren kann, um diagnostische Verfahren zu entwickeln, mit deren Hilfe man beide Aspekte schon frühzeitig - möglichst schon im vorschulischen Bereich - erfassen kann. So wäre zum Beispiel ein umfassender Einschulungstest denkbar, der alle genannten Kompetenzbereiche abdeckt und mit dessen Hilfe eine zuverlässige Diagnose darüber gewonnen werden kann, ob und inwieweit ein Kind bereits die notwendigen Fertigkeiten für einen erfolgreichen Grundschulbesuch mitbringt. Dieses Verfahren wäre dann aber nicht zu Selektionszwecken einzusetzen, sondern ausschließlich dazu, Vorinformationen zu gewinnen, um nachfolgend Interventionen mit den betreffenden Kindern durchzuführen. Spätestens seit PISA (PISA-Konsortium Deutschland, 2001) wurde auch der allgemeinen Öffentlichkeit verdeutlicht, dass das Interesse beispielsweise für die Lesekompetenz eine bedeutsame Rolle spielt. Solche Interessen sind nach Krapp (2001) am Schulanfang auch für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig. Hierbei gilt Motivation als eine bedeutende Voraussetzung für Lernprozesse jeder Art. Für einen gelingenden Schulanfang können neben dem Interesse kognitive Vorläuferfähigkeiten verantwortlich gemacht werden, ebenso auch die Sozialkompetenz, die Resilienz (Wustmann, 2003) sowie die Transition. Die Resilienz betrifft die zentrale Frage, was Kinder stark macht und über welche entscheidenden Ressourcen sie verfügen, dass sie im Vergleich zu anderen Kindern schwerwiegende Lebensbelastungen und lebensverändernde Ereignisse so erfolgreich bewältigen können. Die Transition hingegen betrifft generell Übergänge von einer Sozialisierungsinstitution zur anderen. Kompetenzen von Schulanfängern 141 Alle genannten Aspekte werden in der Literatur auch unter der Perspektive erörtert, wie Förderungen umgesetzt werden können. Im Kontext des Schuleintritts muss man der Frage nachgehen, ob mit Interventionsprogrammen vor oder nach dem Beginn der Schulzeit Veränderungen hinsichtlich verschiedener in Frage stehender individueller Voraussetzungen derart erreicht werden können, dass Kinder, welche zunächst nicht über die notwendigen Voraussetzungen verfügen, von entsprechenden Interventionsprogrammen profitieren. Stellt man die Frage, ob Interventionsprogramme zu Hause oder im Setting eines Kindergartens erfolgreicher sind, so lassen sich hierzu Daten einer Metaanalyse von Blok, Fukkink, Gebhardt und Leseman (2005) heranziehen. Sie deuten darauf hin, dass Interventionsprogramme im Kindergarten (und folglich wahrscheinlich auch solche nach Schuleintritt) im Vergleich zu reinen Familieninterventionsprogrammen effektiver sind. Ein wesentlicher Grund für die Überlegenheit kann darin gesehen werden, dass die Interventionsprogramme im Kindergartensetting unabhängig von den Eltern realisiert werden, also gewissermaßen auch kompensatorisch wirksam werden können. Vorschulische Förderprogramme gibt es zuhauf. Eines, das sich seit vielen Jahren hält, ist die Sesamstraße im öffentlich rechtlichen Fernsehen der BRD. Mehrere internationale wissenschaftliche Studien belegen die Wirkung dieser vorschulischen Förderprogramme. Hierzu gehören unter anderem die US-amerikanische Perry Preschool Study von Barnett (1992), das Abecedarian Project von Campbell und Ramey (1994), die israelische Studie Bright Start von Tzuriel, Kaniel, Kanner und Haywood (1999) sowie das englische Effective Provision of Pre-School Education Project (EPPE) von Sylva, Melhuish, Sammons, Siraj-Blatchford, Taggart und Elliott (2004): Sie stehen den Ergebnissen der Studie von Jensen (1969), welcher zu einem eher vernichtenden Urteil über die damaligen Förderprogramme kam, konträr gegenüber. Der Grund muss in der Situiertheit der neueren Förderprogramme gesehen werden, also den Alltag und die Lebenswelt der Kinder in die Programme einzubeziehen und die Entwicklung motivationaler und emotionaler Faktoren zu berücksichtigen (Mayr 2000, Schweinhart & Weikart 1987). Die Situiertheit bietet dabei eine Voraussetzung für das effektive Andocken neuer Wissenselemente an bereits bekannte Sachverhalte (s. Arbinger, Jäger, Jäger-Flor, 2006), was sich förderlich für den Erwerb weiteren deklarativen, prozeduralen und metakognitiven Wissens auswirkt. Wenn es aber das Ziel sein soll, einerseits die Resilienz zu erhöhen, die Transition zu erleichtern und andererseits die Vorläuferfähigkeiten gewissermaßen mit Blick auf die Anforderungen von Schule maßgeschneidert zu trainieren, dann sind Kenntnisse darüber notwendig, welche Kompetenzen in der Grundschule erwartet werden, damit Lehrkräfte möglichst unmittelbar mit den Bildungsprozessen beginnen können. Hierzu hat diese Studie entsprechende Daten bereitgestellt. Anmerkungen 1 http: / / www.bildungsbarometer.de (12. 01. 06) 2 http: / / www.wissen-und-wachsen.de (12. 01. 06); Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen (Hg.).(2003); Ministerium für Bildung, Frauen und Jugend (2004) 3 z. B. http: / / www.mckinsey-bildet.de (12. 01. 06) oder http: / / www.standort-ludwigshafen.basf.de/ Offensive _Bildung.2460.0.html 4 http: / / www.bosch-stiftung.de/ foerderung/ fr_0200 0000.html oder.http: / / www.bertelsmann-stiftung.de/ cps/ rde/ xchg/ SID-0A000F0A-C6812F0D/ bst/ hs. xsl/ 335.htm (12. 01. 06) 5 Wir danken Frau Tina Kempf, welche im Rahmen ihrer Staatsexamensarbeit mitgeholfen hat, die Daten der Studie zu erheben und teilweise zu verarbeiten (Kempf, 2005) Literatur Arbinger, R., Jäger, R. S. & Jäger-Flor, D. (2006). Lernen lernen - ein Lehr- und Arbeitsbuch. Landau: Verlag Empirische Pädagogik. Arbinger, R., Jäger, R. S., Jäger-Flor, D., Lissmann, U. & Mengelkamp, C. (2006). Bildung in Deutschland. Ein Jahr Bildungsbarometer. Landau: Verlag Empirische Pädagogik. Barnett, W. S. (1992). Benefits of compensatory preschool education. Journal of Human Ressources, 27, 333 - 342. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen (Hg.).(2003). Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Entwurf für die Erprobung. Weinheim: Beltz. 142 Julia Riebel, Reinhold S. Jäger Behrens, U. (2000). In Wosnitza, M. & Jäger, R. S. (Hrsg.). Daten erfassen, auswerten und präsentieren - aber wie? Eine elementare Einführung in sozialwissenschaftliche Forschungsmethoden, Statistik, computerunterstützte Datenanalyse und Ergebnispräsentation. Landau: Verlag Empirische Pädagogik. Blok, H., Fukking, R. G., Gebhardt, E. C. & Leseman, P. P. M. (2005). The relevance of delivery mode and other programme characteristics for the effectiveness of early childhood intervention. International Journal of Behavioral Development, 29, 1, 35 - 47. Campbell, F. A. & Ramey, C.T. (1994). Effects of early intervention on intellectual and academic achievement: A follow-up study of children from low-income families. Child Development, 65, 684 - 698. Cohen, J. (1977). 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