Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Einfluss elterlicher Mathematikkompetenz und familialer Prozesse auf den Kompetenzerwerb von Kindern in Mathematik
101
2008
Timo Ehmke
Thilo Siegle
In der vorliegenden Studie wird die mathematische Kompetenz von Eltern im Zusammenhang mit Struktur- und Prozessmerkmalen des Elternhauses als Prädiktor für den Kompetenzerwerb von Kindern in Mathematik analysiert. Drei Fragestellungen werden untersucht: (1) In welchem Zusammenhang steht die Ausgestaltung des häuslichen Lernumfeldes mit der mathematischen Kompetenz der Eltern? (2) Wie hängt das mathematische Kompetenzniveau der Kinder mit der mathematischen Kompetenz der Eltern, den strukturellen Herkunftsmerkmalen und den familialen Prozessmerkmalen zusammen? (3) Welche Rolle spielt die mathematische Kompetenz der Eltern und die Ausgestaltung des häuslichen Lernumfeldes für die Entwicklung der mathematischen Kompetenz der Kinder von der 9. zur 10. Klassenstufe? Die Datengrundlage bildet eine Stichprobe von 73 Müttern, 77 Vätern sowie 74 Elternpaaren (Mutter und Vater), deren Kinder an der Schulleistungsstudie PISA-I-Plus teilgenommen haben. Die Ergebnisse belegen mittlere Zusammenhänge zwischen Merkmalen der sozialen Lage und dem mathematischen Kompetenzniveau der Eltern. In Familien mit höherer elterlicher Mathematikkompetenz wird häufiger über lernförderliche Prozesse berichtet. Einer hohen elterlichen Mathematikkompetenz kommt eine positive Vorhersagekraft auf das von den Jugendlichen erreichte mathematische Kompetenzniveau und tendenziell auch auf die Kompetenzentwicklung im Verlaufe eines Schuljahres zu. Dabei wird der Einfluss der elterlichen Mathematikkompetenz durch lernförderliche Prozesse im Elternhaus vermittelt.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2008, 55, 253 - 264 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Einfluss elterlicher Mathematikkompetenz und familialer Prozesse auf den Kompetenzerwerb von Kindern in Mathematik Timo Ehmke, Thilo Siegle Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften (IPN) Influence of Parental Competency in Mathematics and of Learning-Related Processes on Children’s Mathematics Achievement Summary: The study analyses the mathematical competency of parents in connection with families’ social background and families’ educational processes as influencing factors on children’s competency in mathematics. Three research questions are analyzed: 1. How is the mathematical competency of parents related to families’ social background and to families’ educational processes? 2. How is the level of children’s mathematics competency related with that of their parents and with the home environment? 3. How can the development of children’s mathematical competency from 9th to 10th grade be predicted by the level of parent’s mathematics competency and by indicators of home environment? The sample used for this study consists of 73 mothers, 77 fathers, and 74 pairs of mothers and fathers whose children participated in an additional study of the Programme for International Student Assessment (PISA) in Germany. Results indicate medium correlations between families’ social background and parents’ mathematical competency. Families with higher parental competencies in mathematics tend to report more often on families’ educational processes conductive to learning. High competence of parents has a positive effect on predicting the competency level reached in mathematics by the children and on the development of mathematics competency during the course of one school year. This influence is thereby mediated by families’ educational processes. Keywords: Mathematics competency, home environment, parental involvement, mathematics achievement Zusammenfassung: In der vorliegenden Studie wird die mathematische Kompetenz von Eltern im Zusammenhang mit Struktur- und Prozessmerkmalen des Elternhauses als Prädiktor für den Kompetenzerwerb von Kindern in Mathematik analysiert. Drei Fragestellungen werden untersucht: (1) In welchem Zusammenhang steht die Ausgestaltung des häuslichen Lernumfeldes mit der mathematischen Kompetenz der Eltern? (2) Wie hängt das mathematische Kompetenzniveau der Kinder mit der mathematischen Kompetenz der Eltern, den strukturellen Herkunftsmerkmalen und den familialen Prozessmerkmalen zusammen? (3) Welche Rolle spielt die mathematische Kompetenz der Eltern und die Ausgestaltung des häuslichen Lernumfeldes für die Entwicklung der mathematischen Kompetenz der Kinder von der 9. zur 10. Klassenstufe? Die Datengrundlage bildet eine Stichprobe von 73 Müttern, 77 Vätern sowie 74 Elternpaaren (Mutter und Vater), deren Kinder an der Schulleistungsstudie PISA-I-Plus teilgenommen haben. Die Ergebnisse belegen mittlere Zusammenhänge zwischen Merkmalen der sozialen Lage und dem mathematischen Kompetenzniveau der Eltern. In Familien mit höherer elterlicher Mathematikkompetenz wird häufiger über lernförderliche Prozesse berichtet. Einer hohen elterlichen Mathematikkompetenz kommt eine positive Vorhersagekraft auf das von den Jugendlichen erreichte mathematische Kompetenzniveau und tendenziell auch auf die Kompetenzentwicklung im Verlaufe eines Schuljahres zu. Dabei wird der Einfluss der elterlichen Mathematikkompetenz durch lernförderliche Prozesse im Elternhaus vermittelt. Schlüsselbegriffe: Elternhaus, Mathematische Kompetenz, familiale Prozesse, Mathematikleistung 254 Timo Ehmke, Thilo Siegle Einleitung Mathematische Kompetenz gilt in der heutigen Wissensgesellschaft als eine wichtige Schlüsselkompetenz. Die Anforderung, in vielfältigen Situationen mathematische Sachverhalte und Methoden zu verstehen und anzuwenden, gewinnt sowohl in beruflichen Feldern als auch im privatem Umfeld zunehmend an Bedeutung (NCTM, 2003; OECD, 2003). Obwohl der mathematischen Kompetenz eine hohe prädiktive Vorhersagekraft für die kulturelle Teilhabe zukommt (OECD & Statistics Canada, 2005), ist weitgehend ungeklärt, welche Rolle die fachspezifische Kompetenz von Eltern im Hinblick auf den Lernort Familie spielt. Dies verwundert umso mehr, da man vermuten kann, dass sich abhängig von der elterlichen Mathematikkompetenz das häusliche Lernumfeld in einer Familie verschieden ausgestaltet. Unterschiede können sich dabei zum einen darauf beziehen, dass Eltern mit einer hohen fachlichen Kompetenz eine tutorielle Funktion übernehmen und als Ansprechpartner bei fachlichen Problemen bereitstehen können. Zum anderen ist davon auszugehen, dass auch Unterschiede in der elterlichen fachbezogenen Wertschätzung bestehen. Letztlich ist auch ein positiver Zusammenhang zwischen Fachkompetenz der Eltern und der sozialen Lage der Familie durch Studien im Bereich der Adult Literacy belegt (OECD & Statistics Canada, 2005). Vor dem Hintergrund dieses Forschungsdefizits verfolgt die Studie das Ziel, das Zusammenspiel zwischen (a) der mathematischen Kompetenz von Eltern, (b) der sozialen Lage der Familie, (c) der Ausgestaltung des häuslichen Lernumfelds im Hinblick auf lernrelevante Einstellungen und Verhaltensweisen und (d) dem Kompetenzerwerb der Kinder in Mathematik zu analysieren. Bedeutung des Elternhauses für den Kompetenzerwerb Merkmale der familialen Sozialisation, die für die schulische Entwicklung von Kindern und Jugendlichen bedeutsam sind, lassen sich nach ihrer theoretischen Nähe zu den abhängigen Konstrukten differenzieren (vgl. Pekrun, 2001; Helmke & Weinert, 1997). Demnach kann man zwischen distalen Status- und Strukturmerkmalen und eher proximalen Prozessmerkmalen unterscheiden. Status- und Strukturmerkmale Zu den distalen Faktoren, die im positiven Zusammenhang mit der schulischen Leistungsentwicklung stehen, zählen familiale Status- und Strukturmerkmale. Statusmerkmale lassen sich beispielsweise festmachen am sozioökonomischen Status der Eltern, an der Zugehörigkeit zu bestimmten Sozialschichten oder am elterlichen Bildungsabschluss. Strukturelle Merkmale von Familien können sich auf die Familienkonstellation, die Vollständigkeit der Familie, die Zahl der Kinder oder den Berufstätigkeitsstatus der Eltern beziehen. Zahlreiche Studien belegen systematische Zusammenhänge zwischen dem sozioökonomischen Status der Eltern und der schulischen Leistung ihrer Kinder. So analysierte Sirin (2005) in einer Metaanalyse die Befunde von 74 US-amerikanischen Studien, die zwischen 1990 und 2000 publiziert worden sind. Die Ergebnisse zeigen einen mittleren bis starken Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status des Elternhauses und der schulischen Leistung der Kinder (vgl. auch die Meta-Analyse von White, 1982). Dass der Zusammenhang zwischen dem sozioökonomischen Status der Eltern und der Kompetenz ihrer Kinder in Deutschland im Vergleich zu anderen OECD-Staaten besonders ausgeprägt ist, hat sich in internationalen Schulleistungsvergleichen gezeigt (Baumert & Schümer, 2001; Ehmke & Baumert, 2007). Strukturelle Familienmerkmale stehen zwar im korrelativen Zusammenhang mit den erreichten Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern, doch gibt es keinen direkten kausalen Zusammenhang mit dem Kompetenzerwerb (Helmke & Weinert, 1997). Vielmehr wird die Kopplung zwischen Kompetenz und struktu- Einfluss elterlicher Mathematikkompetenz 255 rellen Herkunftsmerkmalen über Prozesse im Elternhaus wie dem elterlichen Erziehungs- und Sozialisationsverhalten vermittelt (Pekrun, 2001; Zimmermann & Spangler, 2001). Prozessmerkmale des Elternhauses Zu den proximalen Faktoren in der Familie zählen Prozessmerkmale wie das elterliche Erziehungs- und Sozialverhalten, bei denen von einer intendierten und kausalen Wirkung auf die kognitive und motivationale Entwicklung der Kinder auszugehen ist. Helmke & Weinert (1997) klassifizieren schulleistungsrelevante Aspekte des Elternverhaltens, die sich in Längsschnittstudien als bedeutsam gezeigt haben (Helmke, Schrader & Lehneis-Klepper, 1991). Direkte Effekte auf die Kompetenzentwicklung lassen sich für den Anregungsgehalt der häuslichen Umgebung nachweisen. Durch eine anregende und aktivierende häusliche Umwelt, die Lerngelegenheiten bietet und Interesse und Neugierde weckt, können Eltern zur Kompetenzentwicklung beitragen (Trudewind & Wegge, 1989). Weniger eindeutig ist die empirische Befundlage hinsichtlich der schulbezogenen Instruktion durch Eltern. Studien zur elterlichen Unterstützung bei den Hausaufgaben weisen darauf hin, dass ein solches Engagement häufig eine Reaktion auf schulische Leistungsprobleme ist. Nicht selten konnte dabei beobachtet werden, dass die Hausaufgabenhilfe durch die Eltern in einer dysfunktionalen oder suboptimalen Form erfolgte (Wild & Remy, 2002; Exeler & Wild, 2003) und mit einer ungünstigen Leistungsentwicklung verbunden war (Niggli, Trautwein, Schnyder, Lüdtke & Neumann, 2007; Trautwein & Köller, 2003; vgl. auch Pomerantz & Moorman, 2007). Helmke, Schrader und Lehneis-Klepper (1991) konnten aber belegen, dass insbesondere prozessorientierte Formen der Hausaufgabenunterstützung wie die Förderung von Strategien oder Hilfen zum Selbstlernen effizient waren. Eine Wirkung auf die Leistungsergebnisse ihrer Kinder können Eltern auch erzielen, indem sie die motivationalen, affektiven und emotionalen Einstellungen ihrer Kinder beeinflussen. Dies konnte gezeigt werden (vgl. Helmke & Weinert, 1997): (a) für die schulleistungsbezogenen Erwartungen und die Bildungsaspirationen der Eltern (Stamm, 2005), (b) für leistungsbezogene Überzeugungen, Einstellungen und Orientierungen wie etwa der fachspezifischen Wertschätzung (Fuligni & Stevenson, 1996) bzw. dem Leistungsdruck (Helmke et al., 1991) oder (c) für Prozesse der Belohnung und Bestrafung, die als Anregungs- oder Sanktionsstrategie eingesetzt werden können (Gottfried, Fleming & Gottfried, 1994). Letztlich können Eltern die Kompetenzentwicklung ihrer Kinder beeinflussen, indem sie Modelle für ihre Kinder repräsentieren (Kreppner, 1991). Durch Beobachtungslernen übernehmen Kinder Strategien ihrer Eltern etwa beim Umgang mit Leistungsanforderungen, Erfolgen und Misserfolgen (Bauer, 1999). Fragestellungen und Hypothesen Für unsere Analysen verwenden wir ein theoretisches Modell, das die familialen Wirkzusammenhänge beim außerschulischen Kompetenzerwerb in Mathematik abbilden soll (vgl. dazu auch die Struktur-Prozess-Modelle in Watermann & Baumert, 2006, und in Ehmke, Hohensee, Siegle und Prenzel, 2006). Das Modell unterscheidet dabei neben der mathematischen Kompetenz der Eltern zwischen strukturellen und prozessorientierten Elternhausmerkmalen. Auf Seiten der Kinder wird die mathematische Kompetenz anhand von zwei Messzeitpunkten in der neunten und in der zehnten Klassenstufe modelliert (Abbildung 1). Als distale Merkmale der Herkunftsfamilie berücksichtigen wir in dem Modell den sozioökonomischen Status und den Bildungsabschluss der Eltern. Wie im vorangehenden Abschnitt dargelegt, sind bei den proximalen Familienmerkmalen neben einer stimulierenden Lernumgebung im Elternhaus auch instruktions- und motivationsbezogene Prozessmerkmale für den außerschulischen Kompetenzerwerb prädiktiv. 256 Timo Ehmke, Thilo Siegle Als Indikator für ein stimulierendes Lernumfeld in der Familie nutzen wir zum einen ein Maß für das Vorhandensein kultureller und lernrelevanter Besitztümer. Die Investition in derartige Besitztümer liefert Hinweise darauf, welcher Spielraum in einer Familie für informelle Lernprozesse zur Verfügung steht. Zum anderen berücksichtigen wir einen stärker verhaltensorientierten Indikator für kulturelle Aktivitäten in der Familie. Wie die Analysen von Watermann & Baumert (2006) und Ehmke et al. (2006) gezeigt haben, besitzen kulturelle Prozesse im Elternhaus eine spezifische Erklärungskraft für die Vorhersage des Kompetenzerwerbs in Mathematik von Jugendlichen. Inwieweit bereichsübergreifende Prozesse im Zusammenhang mit der mathematischen Kompetenz von Eltern stehen, ist bislang allerdings noch ungeklärt. Nach Helmke & Weinert (1997) kommt den instruktionalen Aktivitäten der Eltern eine wichtige Bedeutung zu. In dem Modell wird daher die allgemeine schulbezogene Unterstützung bei Hausaufgaben oder anderen Arbeiten für die Schule berücksichtigt. Ein weiterer Indikator, der hingegen bereichsspezifisch für das Fach Mathematik ist, bezieht sich auf die potenzielle Lernunterstützung durch die Eltern in dieser Domäne. Bei beiden Maßnahmen ist von einer intendierten leistungsförderlichen Wirkung auf die Kompetenzentwicklung auszugehen. Wie im vorangehenden Abschnitt dargelegt, sind für die Erklärung von Leistungsunterschieden bei Schülerinnen und Schülern auch die mathematikbezogenen Einstellungen der Eltern relevant, die auf die motivationalen Einstellungen der Kinder abzielen und so eine Kompetenzförderung bewirken können. In dem Modell werden diese Prozesse durch drei Indikatoren abgebildet: mathematikbezogener Leistungsdruck, mathematikbezogene Autonomieunterstützung und intrinsische Wertschätzung von Mathematik. Abbildung 1: Modell zum theoretischen Zusammenspiel der mathematischen Kompetenz der Eltern mit den strukturellen und prozessorientierten Familienmerkmalen für den Kompetenzerwerb der Kinder in Mathematik Einfluss elterlicher Mathematikkompetenz 257 Um eine lernförderliche Wirkung zu erzielen, sollte der durch die Eltern ausgeübte Leistungsdruck in Mathematik nicht zu hoch ausgeprägt sein, da er sonst die Entwicklung einer selbstbestimmten Lernmotivation negativ beeinflussen kann (Grolnick & Ryan, 1989). Wie Forschungsbefunde zum häuslichen Lernen zeigen, sind elterliche Hilfestellungen motivationsförderlich, sofern sie möglichst autonomieunterstützend erfolgen, dabei auf kleinschrittige Anleitungen verzichten und das Kind ermutigen, Probleme selbstständig zu lösen (Wild & Krapp, 1995). Letztlich ist auch für die fachspezifische Wertschätzung durch Eltern ein lernförderlicher Einfluss auf die Kinder belegt, der zu einer Kompetenzförderung beitragen kann (Ma & Kishor, 1997; Patterson, Perry, Decker, Eckert, Klaus, Wendling & Papanastasiou, 2003). Anhand des Modells verfolgen wir drei Forschungsfragen: 1) In welchem Zusammenhang steht die Ausgestaltung des häuslichen Lernumfeldes mit der mathematischen Kompetenz der Eltern? 2) Wie hängt das mathematische Kompetenzniveau der Kinder mit der mathematischen Kompetenz der Eltern, den strukturellen Herkunftsmerkmalen und den familialen Prozessmerkmalen zusammen? 3) Welche Rolle spielt die mathematische Kompetenz der Eltern und die Ausgestaltung des häuslichen Lernumfeldes für die Entwicklung der mathematischen Kompetenz der Kinder von der 9. zur 10. Klassenstufe? Zu 1): Zwischen der mathematischen Kompetenz von Erwachsenen und Merkmalen der sozialen Lage erwarten wir positive Zusammenhänge. Insbesondere sollte die mathematische Kompetenz der Eltern positiv mit der Höhe ihres Bildungsabschlusses korrelieren. Eine längere schulische und fachliche Ausbildung sollte in einer höheren Fachkompetenz resultieren. Für die familialen Prozessmerkmale kann vermutet werden, dass eine hohe mathematische Kompetenz der Eltern auch mit einer hohen Wertschätzung von Mathematik einhergeht. Für die Lernunterstützung in Mathematik ist anzunehmen, dass Eltern mit höherem mathematischem Verständnis leichter mathematische Fehlkonzepte bei ihren Kindern erkennen und daher eine bessere und gezieltere Lernunterstützung bieten können. Inwieweit eine hohe Fachkompetenz bei den Eltern auch mit einer autonomieförderlicheren Problemhilfe einhergeht, ist bislang ungeklärt. Denkbar ist, dass Eltern mit hoher mathematischer Kompetenz eher in der Lage sind, eine gestufte Hilfestellung bei Verständnisproblemen in Mathematik zu gewährleisten und so autonomieunterstützend und lernmotivationsförderlich zu wirken. Für das Merkmal Leistungsdruck in Mathematik liegen ebenfalls keine empirischen Befunde vor. Plausible Vermutungen gibt es in beiden Richtungen: Einerseits ist denkbar, dass Eltern mit hoher mathematischer Kompetenz auch eine hohe Wertschätzung von Mathematik besitzen und deshalb entsprechend gute Schulleistungen in Mathematik bei ihren Kindern erwarten. Möglicherweise erkennen aber Eltern mit hoher mathematischer Kompetenz auch die lernmotivationshemmende Funktion, die von hohem Leistungsdruck ausgeht, und üben daher eher weniger Leistungsdruck aus. Zu 2): Die zweite Forschungsfrage bezieht sich auf eine querschnittliche Analyse, in der die Bedeutung der elterlichen Mathematikkompetenz für das mathematische Kompetenzniveau der Kinder analysiert wird. Das Kompetenzniveau bezieht sich dabei auf die kumulativ bis zur 9. Klassenstufe erworbene Kompetenz in Mathematik. Wie bereits in Ehmke & Siegle (2007) gezeigt, besteht ein positiver Zusammenhang zwischen dem mathematischen Kompetenzniveau von Eltern und ihren Kindern (r = .28, p < 0.01). Ungeklärt ist allerdings, inwieweit dieser Zusammenhang auch durch 258 Timo Ehmke, Thilo Siegle lernförderliche Prozesse im Elternhaus vermittelt wird. Dabei ist anzunehmen, dass vor allem den fachspezifischen Prozessen aufgrund der Nähe zur Mathematik eine höhere Vorhersagekraft zukommt als den bereichsübergreifenden Prozessen. Zu 3): Die dritte Forschungsfrage bezieht sich auf eine längsschnittliche Analyse, in der die Bedeutung der elterlichen Mathematikkompetenz für die Entwicklung der mathematischen Kompetenz der Kinder untersucht wird. Für die Kompetenzentwicklung ist hier ebenfalls von einer positiven Wirkung der mathematischen Kompetenz der Eltern auszugehen. Dieser Effekt sollte allerdings weitgehend durch die im Elternhaus stattfindenden lernförderlichen Prozesse vermittelt werden. Insgesamt sind für die Vorhersage der Kompetenzentwicklung kleinere Effekte zu erwarten als in der querschnittlichen Fragestellung. Dies liegt vor allem darin begründet, dass am Ende der Sekundarstufe I der Einfluss des Elternhauses geringer ist als etwa in der Grundschulzeit (Lerner, 1986). Methode Stichprobe Die Studie ist methodisch verkoppelt mit der Studie PISA-I-Plus (Prenzel, Baumert, Blum, Lehmann, Leutner, Neubrand, Pekrun, Rost & Schiefele, 2006). Die Erwachsenenstichprobe besteht aus einer Teilstichprobe der Eltern von Schülerinnen und Schülern aus PISA-I-Plus. Von den 198 Schulen in PISA-I-Plus haben an der Elternstudie 18 Gymnasien, 2 Realschulen, 3 Integrierte Gesamtschulen und 2 Schulen mit mehreren Bildungsgängen teilgenommen. An den 25 Schulen wurden insgesamt 1237 Schülerinnen und Schüler im Rahmen von PISA-I- Plus getestet. Von diesen Kindern haben 73 Mütter, 77 Väter sowie 74 Elternpaare (Mutter und Vater) an der Elternstudie teilgenommen. Insgesamt liegen damit Daten von Eltern zu 224 Neuntklässlern vor. Das durchschnittliche Alter der Eltern beträgt 46.5 Jahre (SD = 4.9 Jahre). Die Eltern erhielten für die Teilnahme an der Testsitzung in den Schulen eine Aufwandsentschädigung in Höhe von 20 Euro. Durch die Koppelung der Elternstudie mit PI- SA-I-Plus ist es möglich, anhand der Angaben in den Schülerfragebögen auch Aussagen über diejenigen Eltern zu treffen, die nicht an der Elternstudie teilgenommen haben. Die Selektivität der Elternstichprobe kann so etwa für Merkmale der sozialen Herkunft abgeschätzt werden (vgl. Ehmke & Siegle, 2005, S. 89f.). Befunde haben gezeigt, dass teilnehmende Eltern in Merkmalen der sozialen Herkunft (sozioökonomischer Status, Bildungsabschluss, Erwerbstätigkeitsstatus) erwartungskonform höhere Werte als nicht teilnehmende Eltern erreichten. Die Effektstärken lagen dabei in der Höhe von 0.08 ≤ d ≤ 0.35. Instrumente Mathematische Kompetenz Die Mathematikkompetenz von Erwachsenen wurde anhand eines Tests mit 30 PISA-Aufgaben (Reliabilität nach Erwartungswertmethode a = .86) erfasst. In dem Test stammen 4 Aufgaben aus dem internationalen Mathematiktest PISA 2000 (OECD, 2002), 3 Aufgaben aus PISA 2003 sowie 23 Aufgaben aus dem deutschen PISA-Ergänzungstest in Mathematik (Neubrand, Biehler, Blum, Cohors-Fresenburg, Flade, Knoche, Lind, Löding, Möller & Wynands, 2001). Status- und Strukturmerkmale familialer Lebensverhältnisse Der sozioökonomische Status der Familien wurde anhand des von Ganzeboom, de Graaf, Treiman und de Leeuw (1992) entwickelten International Socio- Economic Index (ISEI) gemessen. Der ISEI wird aus der Angabe des zuletzt ausgeübten Berufs der erwachsenen Bezugspersonen gebildet. In den Analysen verwenden wir den höchsten ISEI-Wert in der Familie (HISEI = Highest ISEI). Der Bildungsabschluss der Eltern wurde mit Hilfe der International Standard Classification of Education (ISCED) erfasst. Für die Datenanalysen, die ein kontinuierliches Maß voraussetzen, wurde der höchste Bildungsabschluss von Vater und Mutter in die Anzahl von Bildungsjahren umgerechnet (OECD, 2005, S. 422). Einfluss elterlicher Mathematikkompetenz 259 Prozessmerkmale familialer Lebensverhältnisse Aus Sicht der Schülerinnen und Schüler: Als ein Maß für „kulturelle und lernbezogene Besitztümer“ im Elternhaus nutzen wir einen Index für häusliche Besitztümer (OECD, 2005), der das Vorhandensein von kulturellen, lernbezogenen und computerbezogenen Gütern anhand von 14 Einzelitems erfasst (Beispiel: „Gibt es bei Dir zu Hause Bücher, die beim Arbeiten für die Schule helfen? “, Cronbachs a = .80). Als Indikator für familiäre kulturelle Prozesse verwenden wir die Skala „kulturelle Aktivitäten“ (Ramm, Prenzel, Baumert, Blum, Lehmann, Leutner, Neubrand, Pekrun, Rolff, Rost & Schiefele, 2006, S. 204), die anhand von vier Items gebildet wird (Beispiel: „Wie oft hast Du im letzten Jahr … ein Museum, eine Kunstausstellung, ein klassisches Konzert oder ein Theater besucht? “, Cronbachs a = .53). Die Skala für die „schulische Unterstützung“ bei den Hausaufgaben oder anderen Arbeiten für die Schule (Ramm et al., 2006, S. 156) umfasst 7 Items (Beispiel: „Wie oft helfen Dir die folgenden Personen bei den Hausaufgaben oder anderen Arbeiten für die Schule? “, Cronbachs a = .67). Aus Sicht der Eltern: Die „mathematikbezogenen Einstellungen“ der Familie werden durch eine Skala zur intrinsischen Wertschätzung von Mathematik (Ramm et al., 2006, S. 221) anhand von fünf Items gemessen (Beispiel: „Wir interessieren uns in unserer Familie für Mathematik“, Cronbachs a = .84). Die Skala „elterliche Lernunterstützung“ in Mathematik (Ramm et al., 2006, S. 223) umfasst vier Items (Beispiel: „Wenn unsere Tochter/ unser Sohn in einer Mathematikprüfung etwas nicht verstanden hat, kann sie/ er uns jederzeit um Rat fragen“, Cronbachs a = .84). Der „elterliche Leistungsdruck“ in Mathematik (Ramm et al., 2006, S. 223) besteht aus drei Fragen (Beispiel: „Wir wollen in Mathematik gute Leistungen sehen, egal wie sehr sich unsere Tochter/ unser Sohn dafür anstrengen muss“, Cronbachs a = .80). Die Skala „elterliche Autonomieunterstützung“ in Mathematik umfasst vier Items („Wenn wir unserer Tochter/ unserem Sohn bei den Mathematikhausaufgaben helfen, ermuntern wir sie/ ihn, erst einmal selbst die richtige Lösung zu finden“, Cronbachs a = .69). Technisches Vorgehen Die Kompetenzwerte in Mathematik für die Jugendlichen wurden in PISA 2003 analog zum internationalen Vorgehen (OECD, 2005) mit Methoden der Item-Response-Theory skaliert. Die Kompetenzwerte liegen in der Metrik der internationalen PISA- Mathematikskala vor, mit einem Mittelwert von 500 und einer Standardabweichung von 100 im OECD- Durchschnitt. Die Daten des Mathematiktests der Erwachsenen wurden nach dem gleichen Verfahren wie die Daten der Schülerinnen und Schüler skaliert (Carstensen, Knoll, Rost & Prenzel, 2004). Die Fragebogenskalen für die Prozessmerkmale wurden Rasch-skaliert und gehen als WLE-Schätzer in die Analysen ein. Um Verzerrungen bei den Ergebnisanalysen durch fehlende Werte zu vermeiden, wurden für alle Skalen nachträglich fehlende Werte mit der Software Norm 2.03 (Schafer, 2000; Schafer & Graham, 2002) mittels multiple imputation geschätzt. Es wurden 5 Datensätze mit „vollständigen“ Daten erzeugt. Alle Analysen wurden anschließend mit dem Programm Mplus 4.21 (Muthén & Muthén, 2007) durchgeführt. Ergebnisse Zwischen dem elterlichen Kompetenzniveau in Mathematik und dem sozioökonomischen Status der Eltern besteht ein signifikanter Zusammenhang (Mütter: r = .26, Väter: r = .45, p < .05). Ebenso zeigen sich bedeutsame Korrelationen zwischen dem Kompetenzniveau der Eltern und der Höhe ihres Bildungsabschlusses (Mütter: r = .44, Väter: r = .45, p < .05). Jugendliche, deren Eltern eine hohe Mathematikkompetenz aufweisen, berichten häufiger über kulturelle Aktivitäten in der Familie (r = .17, p < .05), über mehr Lernunterstützung (r = .42, p < .05), über mehr Autonomieunterstützung (r = .16, p < .05), über mehr kulturelle und lernrelevante Besitztümer (r= .23, p < .05) sowie über eine höhere mathematikbezogene Wertschätzung (r = .25, p < .05) durch ihre Eltern. Beim Leistungsdruck in Mathematik zeigt sich hingegen ein negativer Zusammenhang mit der Mathematikkompetenz der Eltern (r = -.19, p < .05). Die Häufigkeit, mit der Eltern ihren Kindern bei Hausaufgaben oder anderen Arbeiten für die Schule helfen, steht in keinem statistisch abgesicherten Zusammenhang mit der elterlichen Mathematikkompetenz. 260 Timo Ehmke, Thilo Siegle Die relative Bedeutung von familialen Struktur- und Prozessmerkmalen und der elterlichen Mathematikkompetenz für die mathematische Kompetenz der Kinder wurde anhand von vier multiplen Regressionsanalysen analysiert (Tabelle 1). Das Modell 1 berücksichtigt als Prädiktoren die mathematische Kompetenz der Eltern und die distalen Statusmerkmale für die Vorhersage des Kompetenzniveaus der Kinder in der 9. Klassenstufe. Die mathematische Kompetenz der Eltern weist hier als einziger Prädiktor einen signifikanten Vorhersagebeitrag auf (b = 0.30). Das Modell klärt 12 Prozent der Unterschiede in der mathematischen Kompetenz der Neuntklässler auf. In Modell 2 wird geprüft, inwieweit den proximalen Prozessmerkmalen eine vermittelnde Wirkung zukommt. Die Analyse macht deutlich, dass die Vorhersagekraft der elterlichen Mathematikkompetenz abnimmt, wenn gleichzeitig Prozessmerkmale im Elternhaus kontrolliert werden. Der Regressionskoeffizient der elterlichen Mathematikkompetenz reduziert sich in Modell 2 auf b = 0.23. Damit lässt sich ein Teil der Vorhersagekraft der Elternkompetenz auf Unterschiede in den familialen Prozessen zurückführen. Die Bedeutung des sozioökonomischen Status und des Bildungsabschlusses wird vollständig durch die untersuchten Prozessmerkmale im Elternhaus vermittelt. Insgesamt erhöht sich der Anteil an aufgeklärter Mathematische Kompetenz Mathematische Kompetenz 9. Klasse 10. Klasse Modell 1 Modell 2 Modell 3 Modell 4 Mathematische Kompetenz 9. Klasse 0.68* 0.61* Elterliche Mathematikkompetenz 0.30* 0.23* 0.13* 0.10 Sozioökonomischer Status (max. Eltern) 0.13 0.03 0.12* 0.09 Bildungsabschluss in Jahren (max. Eltern) -0.04 -0.05 0.00 -0.02 Kulturelle Aktivitäten 0.15* 0.08 Häufigkeit der schulischen Unterstützung -0.25* -0.07 Elterliche Lernunterstützung in Mathematik -0.09 0.00 Elterliche Autonomieunterstützung in Mathematik 0.09 0.00 Elterlicher Leistungsdruck in Mathematik -0.20* -0.08 Elterliche Wertschätzung in Mathematik 0.21* 0.09 Kulturelle und lernrelevante Besitztümer 0.09 0.09 R 2 [in %] 11.7 30.1 58.1 60.9 Tabelle 1: Multiple Regressionsanalysen zur Vorhersage der mathematischen Kompetenz der Kinder in der 9. und 10. Klasse * Signifikanzniveau bei p < 0.05 Einfluss elterlicher Mathematikkompetenz 261 Varianz in den Leistungen der Schülerinnen und Schüler auf 30 Prozent. Vier Prozessindikatoren weisen in Modell 2 einen spezifischen Vorhersagebeitrag für das Kompetenzniveau der Kinder auf. So erreichen diejenigen Neuntklässler ein höheres Kompetenzniveau in Mathematik, die häufiger in ihrer Freizeit kulturellen Aktivitäten nachgehen (b = 0.15) oder deren Eltern der Mathematik eine hohe Wertschätzung beimessen (b = 0.21). Ein negativer Vorhersagebeitrag geht vom elterlichen Leistungsdruck aus (b = -0.20). Je höher der Leistungsdruck in Mathematik ist, desto geringer ist das erreichte Kompetenzniveau der Schülerinnen und Schüler in Mathematik. Letztlich weisen diejenigen Neuntklässler ein höheres mathematisches Kompetenzniveau auf, die seltener über schulbezogene Unterstützung berichten (b = -0.25). Mit den Modellen 3 und 4 wurde untersucht, inwieweit die Entwicklung der mathematischen Kompetenz im Verlaufe eines Schuljahres von der 9. zur 10. Klassenstufe durch die mathematische Kompetenz der Eltern, den strukturellen und den prozessorientierten Elternhausmerkmalen vorhergesagt werden kann. Die Kompetenzentwicklung wird in den Analysen erfasst durch die mathematische Kompetenz in Klassenstufe 10 bei gleichzeitiger Kontrolle des mathematischen Kompetenzniveaus in Klassenstufe 9. Das Modell 3 weist die mathematische Kompetenz der Eltern (b = 0.13) und den sozioökonomischen Status (b = 0.12) als signifikante Prädiktoren für die Kompetenzentwicklung der Jugendlichen auf. Der Anteil der aufgeklärten Varianz beträgt 58 Prozent. Das Modell 4 belegt eine vermittelnde Bedeutung der proximalen Prozessmerkmale für die Kompetenzentwicklung von der 9. zur 10. Klassenstufe. Die Höhe der Regressionskoeffizienten für die elterliche Mathematikkompetenz und den sozioökonomischen Status verringern sich in Modell 4 im Vergleich zu Modell 3. Insgesamt verbessert sich die Genauigkeit der Vorhersage in Modell 4 auf R 2 = 61 Prozent. Allerdings kann mit den vorliegenden Daten für keinen der Prädiktoren mehr ein spezifischer Vorhersagebeitrag nachgewiesen werden, der sich statistisch absichern lässt. Tendenziell (b ≥ 0.09) weisen aber noch die elterliche Mathematikkompetenz, die kulturellen Besitztümer und die elterliche Wertschätzung von Mathematik einen positiven Vorhersagebeitrag für die Kompetenzentwicklung bei den Jugendlichen auf. Diskussion Ziel dieser Studie war es, die Zusammenhänge der elterlichen Mathematikkompetenz mit der sozialen Lage der Familie und mit der Ausgestaltung des häuslichen Lernumfelds zu untersuchen und das Zusammenspiel dieser Merkmale für den Kompetenzerwerb der Kinder in Mathematik zu analysieren. Die Befunde zeigten, dass das mathematische Kompetenzniveau der Eltern im signifikanten Zusammenhang mit Merkmalen der sozialen Lage der Familie steht. Dies bestätigt die Befunde aus anderen Studien zu Adult Literacy (Darcovich, OECD & Statistics Canada, 1997). Erwartungskonform fand sich ein positiver Zusammenhang zwischen der elterlichen Mathematikkompetenz und den prozessbezogenen Merkmalen einer lernförderlichen häuslichen Umgebung. Dabei ergaben sich nicht nur positive Zusammenhänge zwischen der elterlichen Mathematikkompetenz und den stärker mathematikbezogenen Prozessmerkmalen (mathematikbezogene Lern- und Autonomieunterstützung, Abwesenheit von Leistungsdruck und Wertschätzung in Mathematik), sondern auch mit den beiden bereichsübergreifenden Prozessmerkmalen (kulturelle Aktivitäten und lernrelevante Besitztümer). Das heißt, Kinder und Jugendliche von Eltern mit hoher Mathematikkompetenz profitieren zweifach von den elterlichen Ressourcen. Einerseits finden häufiger kulturelle Aktivitäten in den Familien statt, von denen informelle Lernprozesse ausgehen (Rauschenbach, Düx & Sass, 2006). Andererseits finden öfter mathematikbezogene Prozesse 262 Timo Ehmke, Thilo Siegle statt, die sich als lernförderlich erweisen. Inwieweit diese interfamiliären Unterschiede nun tatsächlich mit dem erreichten Kompetenzniveau in Mathematik und mit der Kompetenzentwicklung im Verlaufe eines Schuljahres zusammenhängen, konnte anhand von Regressionsanalysen belegt werden. Allein aufgrund der sozialen Lage und der elterlichen Mathematikkompetenz konnten 12 Prozent der Varianz in der Mathematikkompetenz bei den Neuntklässlern aufgeklärt werden. Wurden in den Regressionsanalysen gleichzeitig Indikatoren für die im Elternhaus stattfindenden Prozesse berücksichtigt, reduzierte sich zwar der Regressionskoeffizient für die elterliche Mathematikkompetenz. Der Effekt der elterlichen Mathematikkompetenz wird also teilweise über die Prozesse im Elternhaus vermittelt. Es blieb aber ein spezifischer Vorhersagebeitrag für die Mathematikkompetenz der Eltern erhalten. Dieser Befund weist darauf hin, dass im Elternhaus weitere Prozesse stattfinden, die eng mit der elterlichen Mathematikkompetenz zusammenhängen, aber in den vorliegenden Analysemodellen nicht berücksichtigt sind. So misst etwa die Skala „Lernunterstützung in Mathematik“ eher die potenzielle Möglichkeit, ob und inwieweit Eltern bei mathematikbezogenen Problemstellungen als Ansprechpartner verfügbar sind. Damit ist aber noch nicht die Qualität der Problemhilfe im Sinne einer lernprozessorientierten Lernunterstützung durch die Eltern berücksichtigt. Man kann davon ausgehen, dass gerade die Förderung des Lernverständnisses auch von der elterlichen Fachkompetenz abhängt. Auch bezieht sich die Skala „schulische Unterstützung“ nur auf die Häufigkeit von Hilfen bei Hausaufgaben und anderen schulischen Arbeiten. Inwieweit die Eltern tatsächlich im Fach Mathematik unterstützen, wird damit nicht erfasst. Der negative Koeffizient, der sich bei der Vorhersage des mathematischen Kompetenzniveaus bei den Kindern ergab, deutet darauf hin, dass Schülerinnen und Schüler mit niedrigen Schulleistungen häufiger auf eine Unterstützung durch Eltern angewiesen sind. Ein gleicher Befund zeigte sich auch in der Stichprobe aller Neuntklässler in PISA-I-Plus (Ehmke, Hohensee, Siegle & Prenzel, 2006) sowie in anderen Studien zum elterlichen Unterstützungsverhalten (Clark, 1993; Dauber & Epstein, 1993; Levin, Levy-Shiff, Appelbaum-Peled, Katz, Komar & Meiran, 1997). Das Verhalten der Eltern lässt sich in diesen Fällen als kompensierend interpretieren, d. h. bei auftretenden geringen schulischen Leistungen werden häufiger unterstützende Hilfen von den Eltern angeboten bzw. von den Kindern nachgefragt (Helmke, Schrader & Hosenfeld, 2004). Für die Vorhersage der Kompetenzentwicklung von der 9. zur 10. Klassenstufe konnte ein positiver Vorhersagebeitrag der elterlichen Mathematikkompetenz festgestellt werden. Ein Mediatoreffekt zeigte sich für die betrachteten Prozessmerkmale. Dass sich in dem Gesamtmodell keine Prädiktoren mehr zufallskritisch absichern ließen, ist vermutlich zum einen darauf zurückzuführen, dass das Elternhaus am Ende der Sekundarstufe I einen geringeren Einfluss besitzt als bei jüngeren Kindern. Zum anderen kann auch die Interkorrelation der Prädiktoren dazu führen, dass mit zunehmender Prädiktorenzahl die relative Bedeutung der einzelnen Indikatoren abnimmt. Inwieweit die Bedeutung der elterlichen Mathematikkompetenz auch auf weitere Klassenstufen übertragen werden kann, bleibt weitgehend ungeklärt. Forschungsbefunde zeigen, dass die instruktionale und motivationale Unterstützung durch das Elternhaus vor allem bei jüngeren Schülerinnen und Schülern, etwa in der Grundschule oder am Anfang der Sekundarstufe I, eine Rolle spielt (Hoover-Dempsey, Battiato, Walker, Reed, De Jong & Jones, 2001). Dabei ist es eine offene Frage, ob eine hohe Mathematikkompetenz der Eltern nur bei mathematisch anspruchsvolleren Lerninhalten wichtig ist oder ob Eltern mit hoher mathematischer Kompetenz auch schon bei Inhalten der Grundschulmathematik eine qualitativ bessere Lernunterstützung bieten können. Auch bleibt ungeklärt, inwieweit die Befunde auf Schülerinnen und Schüler aus ande- Einfluss elterlicher Mathematikkompetenz 263 ren Schularten übertragen werden können. Die Schulstichprobe dieser Studie bezieht sich mehrheitlich auf Gymnasien. Eltern an dieser Schulart sind fast zur Hälfte dem oberen Viertel des sozioökonomischen Status zuzurechnen. Entsprechend geringer ist vermutlich die durchschnittliche mathematische Kompetenz von Eltern aus bildungsferneren Schichten. Dadurch sinkt möglicherweise die relative Bedeutung der elterlichen Mathematikkompetenz für die Kompetenzentwicklung der Kinder. Diesen offenen Fragen soll in weiteren Untersuchungen nachgegangen werden. Literatur Bauer, M. (1999). Modellierungsmethoden in der Verhaltenstheorie. Regensburg: Roderer. Baumert, J. & Schümer, G. (2001). Familiäre Lebensverhältnisse, Bildungsbeteiligung und Kompetenzerwerb. In J. Baumert, E. Klieme, M. Neubrand, M. Prenzel, U. Schiefele, W. Schneider, P. Stanat, K.-J. Tillmann & M. Weiß (Hrsg.), PISA 2000 Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich (S. 323 - 407). Opladen: Leske + Budrich. Carstensen, C. H., Knoll, S., Rost, J. & Prenzel, M. (2004). Technische Grundlagen. In M. Prenzel, J. Baumert, W. Blum, R. Lehmann, D. Leutner, M. Neubrand, R. Pekrun, H.-G. Rolff, J. Rost & U. 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