Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Elterliche Hilfe beim häuslichen Lernen als Funktion epistemologischer Überzeugungen
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2008
Judith Gerber
Elke Wild
Obwohl elterliche Überzeugungen etwa hinsichtlich der eigenen "Lehrkompetenz" nachweislich mit Unterschieden im elterlichen Schulengagement einhergehen, mangelt es an Erkenntnissen zur Rolle epistemologischer Überzeugungen. In dieser Studie wird daher untersucht, ob sich epistemologische Überzeugungen als Funktion des Bildungsniveaus von Eltern darstellen lassen und systematisch mit Unterschieden in der Ausgestaltung häuslicher Lehr-Lern-Situationen assoziiert sind. Insgesamt 208 Fünftklässler und ihre Eltern wurden gebeten, die von den Eltern realisierte Art der Hilfe zu beurteilen. Darüber hinaus wurden die epistemologischen Überzeugungen der Eltern und der elterliche Bildungshintergrund erfasst. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass epistemologische Überzeugungen in Abhängigkeit vom Bildungsniveau variieren, die Zusammenhänge zur elterlichen Hilfe teilweise erwartungswidrig ausfallen. In der Diskussion werden mögliche konzeptuelle und methodische Erklärungen thematisiert.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2008, 55, 276 - 287 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Elterliche Hilfe beim häuslichen Lernen als Funktion epistemologischer Überzeugungen Judith Gerber, Elke Wild Universität Bielefeld Epistemological Beliefs and Instructional Strategies of Parents during Homework Summary: Although empirical findings underline the significance of personal beliefs such as parental self-efficacy, little is known concerning the determinants of epistemological beliefs of parents and their consequences on parental involvement in schooling. Therefore, the present study analyses linkages between parents’ epistemological beliefs, their socio-economic status, and their instructional strategies during homework situations. A total of 208 German 5th graders and their parents participating in a longitudinal study were asked to rate parental instructional strategies in terms of autonomy support, structure, control and emotional assistance. In addition, parents’ epistemological beliefs as well as their SES were assessed. Results suggest that more relativistic epistemological beliefs are associated with higher skill levels but were linked to parents’ instructional strategies in a somewhat contradictory manner. Theoretical and methodological considerations will be discussed. Keywords: Parental involvement, epistemological beliefs, instructional strategies Zusammenfassung: Obwohl elterliche Überzeugungen etwa hinsichtlich der eigenen „Lehrkompetenz“ nachweislich mit Unterschieden im elterlichen Schulengagement einhergehen, mangelt es an Erkenntnissen zur Rolle epistemologischer Überzeugungen. In dieser Studie wird daher untersucht, ob sich epistemologische Überzeugungen als Funktion des Bildungsniveaus von Eltern darstellen lassen und systematisch mit Unterschieden in der Ausgestaltung häuslicher Lehr-Lern-Situationen assoziiert sind. Insgesamt 208 Fünftklässler und ihre Eltern wurden gebeten, die von den Eltern realisierte Art der Hilfe zu beurteilen. Darüber hinaus wurden die epistemologischen Überzeugungen der Eltern und der elterliche Bildungshintergrund erfasst. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass epistemologische Überzeugungen in Abhängigkeit vom Bildungsniveau variieren, die Zusammenhänge zur elterlichen Hilfe teilweise erwartungswidrig ausfallen. In der Diskussion werden mögliche konzeptuelle und methodische Erklärungen thematisiert. Schlüsselbegriffe: Epistemologische Überzeugungen, elterliche Hilfe, Hausaufgaben Unstrittig ist, dass der Art und Weise, in der Eltern die Lernumgebung ihrer Kinder gestalten, eine prognostische Bedeutung für die schulische Entwicklung ihrer Kinder zukommt (zusf. Hoover-Dempsey, Battiato, Walker, Reed, DeJong & Jones, 2001; Ryan, Adams, Gullotta, Wissberg & Hampton, 1995; Wild 2004). Vor allem im anglo-amerikanischen Sprachraum wurden deshalb zahlreiche Programme entwickelt, die auf eine verstärkte Elternpartizipation und Optimierung der elterlichen Unterstützung beim Lernen abzielen. Evaluationsstudien zu diesen Programmen kommen jedoch zu inkonsistenten Ergebnissen, wofür wesentlich methodische Unzulänglichkeiten im Design der Studien verantwortlich gemacht werden (zusf. Mattingly, Prislin, McKenzie & Kayzar, 2002). Da allerdings auch Programme zur Modifizierung des Lehrerhandelns nur dann Erfolg versprechend sind, wenn sie ihren Ausgang von Elterliche Hilfe beim häuslichen Lernen 277 den individuellen Vorstellungen der Lehrer nehmen (zusf. Fischer, Schröder, Tonhäuser & Zedler, 2002), könnten durch die Identifikation der dem elterlichen Handeln unterliegenden Überzeugungen wichtige Hinweise zur Optimierung vorliegender Trainings und Programme gewonnen werden. Die vorliegende Studie setzt an diesem Forschungsdefizit an, indem den Bedingungen epistemologischer Überzeugungen von Eltern und deren Zusammenhang zur Ausgestaltung häuslicher Lehr- Lern-Situationen nachgegangen wird. Zur Konzeption und Genese epistemologischer Überzeugungen Auch wenn über die konstitutiven Merkmale epistemologischer Überzeugungen kontrovers diskutiert wird (Hofer & Pintrich, 1997), werden unter dem Begriff der epistemologischen Überzeugungen doch durchgängig „beliefs about the organization and source of knowledge, its truth value and justification criteria of assertions“ gefasst (Mason & Boscolo, 2004; S. 104). Interindividuelle Unterschiede in epistemologischen Überzeugungen lassen sich neueren Klassifikationen zufolge (zusf. Hofer & Pintrich, 1997) auf vier Dimensionen abbilden: • hinsichtlich der Sicherheit des Wissens, d. h. des Ausmaßes, indem eine Person von der Existenz absoluter und verbindlicher „Wahrheiten“ überzeugt ist, die nicht hinterfragt werden müssen, • hinsichtlich der Komplexität des Wissens, d.h. des Grades, in dem Wissen als Kanon einzelner, mehr oder weniger unverbundener Fakten verstanden wird, • hinsichtlich der Wissensquelle, d. h. inwiefern Wissen als Ergebnis sozialer (ko-konstruktiver) Prozesse erachtet wird und • hinsichtlich der Wissensbegründung, d. h. des Ausmaßes, in dem Experten oder Autoritäten die (alleinige) Kompetenz zur Bewertung von Erkenntnissen zugeschrieben wird. In fast allen Taxonomien werden epistemologische Überzeugungen auf einem Kontinuum von eher dualistischen („naiven“) hin zu eher relativistischen („sophistizierten“) Vorstellungen von Wissen angeordnet (z. B. Brownlee, Bolton-Lewis & Purdie, 2002). Relativistische Überzeugungen zeichnen sich dadurch aus, dass die Komplexität und Vorläufigkeit von Wissen anerkannt wird und die fortlaufende kritische Reflexion nicht allein als Aufgabe von Experten gesehen wird. Personen mit dualistischen Überzeugungen hingegen glauben an einen Kanon „objektiv“ feststellbarer und voneinander unabhängig als „richtig“ oder „falsch“ zu klassifizierender Fakten, deren Wahrheitsgehalt vor allem Experten oder Autoritäten beurteilen können. Bezüglich der Genese wissensbezogener Überzeugungen wird mehrheitlich davon ausgegangen, dass sich relativistische Vorstellungen nicht im Zuge der kognitiven Entwicklung oder persönlicher Reifungsprozesse herausbilden, sondern von dem Grad abhängen, in dem Personen neue Informationen aufnehmen und aktiv verarbeiten. Befunde, wonach mit steigendem Ausbildungsgrad relativistische Sichtweisen zunehmen, stützen diese These, wobei allerdings in fast allen vorliegenden Studien Alters- und Ausbildungseffekte konfundiert sind (Gerber, 2005). Zur handlungsleitenden Funktion epistemologischer Überzeugungen In der Pädagogischen Psychologie haben wissensbezogene Vorstellungen in dem Maße an Bedeutung gewonnen, in dem systematische Zusammenhänge zum unterrichtsmethodischen Vorgehen von Lehrenden nachgewiesen werden konnten. Vorliegenden Studien (z. B. Hashweh, 1996; Gallagher, 1991) zufolge verfügen Lehrer mit relativistischen Überzeugungen nicht nur über ein größeres Repertoire an Lehrstrategien und setzen häufiger solche Lehrstrategien ein, die Veränderungen von Fehlkonzepten begünstigen. Vielmehr scheinen sie auch eher bereit und in der 278 Judith Gerber, Elke Wild Lage zu sein, alternative Lösungswege der Schüler anzuerkennen bzw. aufzugreifen (Hashweh, 1996). Obwohl es nahe liegt, diese Erkenntnisse auf das häusliche Lernen zu übertragen und Unterschiede in Art und Ausmaß der elterlichen Hilfe (auch) als Funktion der epistemologischen Überzeugungen von Eltern zu interpretieren, wurde dieser Frage unseres Wissens bislang nicht empirisch nachgegangen. Im Folgenden wird daher der Forschungsstand zum häuslichen Lernen unter der Frage zusammengefasst, welche Formen der elterlichen Unterstützung als (dys-)funktional gelten und inwiefern diese in Abhängigkeit von den naiven erkenntnistheoretischen Positionen der Eltern variieren sollten. Formen elterlicher Lernunterstützung In Reaktion auf inkonsistente Befunde zur Rolle des elterlichen Schulengagements haben Forscher in den letzten Jahren zwischen den vielfältigen Aktivitäten von Eltern zu differenzieren begonnen, die bis dahin meist zu einem globalen Wert für das Ausmaß „der“ Elternpartizipation verrechnet wurden (z. B. Hoover- Dempsey & Sandler, 1997; Cooper & Lindsay, 2000). Neuere mehrdimensionale Konzeptionen elterlichen Schulengagements (z. B. Lorenz & Wild, 2007) fokussieren dabei wesentlich auf eine Beschreibung von Unterschieden in der Art der Ausgestaltung häuslicher Lehr- Lern-Gelegenheiten, da diesen ein höherer Stellenwert als distalen Faktoren wie der Schichtzugehörigkeit zugesprochen wird (zusf. Ryan et al., 1995). Systematische Zusammenhänge zu motivationalen Aspekten und schulischen Leistungen wurden insbesondere zu folgenden Dimensionen gefunden (zusf. Lorenz & Wild, 2007; Pomeranz, Grolnick & Price, 2005; Trudewind, 1975): • Als förderlich für die Lernmotivation und den Lernfortschritt hat sich insbesondere eine autonomieunterstützende Hilfe herauskristallisiert, die durch die Anerkennung des kindlichen Autonomiestrebens, den Verzicht auf kleinschrittige Anleitungen und eine aktive Unterstützung nach der Maxime: „so wenig Unterstützung wie möglich, so viel wie nötig“ charakterisiert ist. • Eine zweite Dimension ergänzt die erste insofern, als strukturgebende Aktivitäten auf eine (adaptive) Eingrenzung des Handlungsspielraums abzielen, sodass das Kind - jeweils seinen Selbstregulationskompetenzen entsprechend - selbstgesteuert lernen kann. • Klar demotivierend und leistungshemmend sind direktiv-kontrollierende Strategien, die auf eine mehr oder weniger vollständige Übernahme der Verantwortung für den Lernprozess durch die Eltern hinauslaufen, sowie Formen leistungsorientierten Drucks (z. B. Liebesentzug), die der Internalisierung von Werten und Normen entgegenwirken. • Insbesondere unter motivationalen Aspekten ist hingegen eine emotionale Unterstützung als förderlich zu bewerten, die an dem Ausmaß festgemacht wird, in dem sich Kinder in Lernsituationen akzeptiert und wertgeschätzt fühlen, ein Interesse der Eltern an schulischen Belangen wahrnehmen und bei Misserfolgen Trost und Zuspruch erfahren. Determinanten elterlicher Lernunterstützung Arbeiten zu Determinanten elterlichen Schulengagements weisen neben kindbezogenen Faktoren eine Reihe sozio-ökonomischer und familienstruktureller Merkmale der Familie sowie schulbezogene Bedingungen als bedeutsam aus. Für die vorliegende Fragestellung sind jedoch insbesondere Studien der Arbeitsgruppen um Hoover-Dempsey (zusf. Hoover-Dempsey et al., 1997), McGillicuddy-DeLisi und Sigel (zusf. Sigel, McGillicuddy-DeLisi & Goodnow, 1992) und Stevenson (z. B. Stevenson & Stigler, 1992) aufschlussreich, da sie der handlungslei- Elterliche Hilfe beim häuslichen Lernen 279 tenden Funktion elterlicher Überzeugungen nachgehen. Zusammengenommen zeigen sie, dass das elterliche Schulengagement stärker ausgeprägt ist, wenn Eltern die Wissensvermittlung nicht allein als Aufgabe der Schule verstehen (z.B. Ritter, Mont-Reynaud & Dornbusch, 1993) und überzeugt sind, die schulische Entwicklung ihres Kindes effektiv beeinflussen können (Hoover-Dempsey et al., 1997). In welcher Form sich Eltern einbringen, scheint von impliziten Intelligenztheorien, Vorstellungen zur Funktion von Hausaufgaben sowie der darauf bezogenen Elternrolle abzuhängen (McGillicuddy-DeLisi, 1982; Renshaw & Gardener, 1990). Darüber hinaus finden sich aber auch systematische Beziehungen zwischen der Qualität elterlicher Hilfe und naiven lehr-lernpsychologischen Vorstellungen von Eltern, darunter intuitiven Vorstellungen über den kindlichen Wissenserwerb (Schaefer & Edgerton, 1985) und relevanten Mechanismen beim Lernen (McGillicuddy-DeLisi, 1982; Sigel, 1994). Dass über das lernpsychologische und didaktische Vorverständnis von Eltern hinaus nicht auch deren epistemologische Überzeugungen untersucht wurden, ist angesichts der immer wieder (z. B. Hashweh, 1996; Gallagher, 1991) berichteten Zusammenhänge zwischen (naiven) lehr-lernbezogenen Überzeugungen von Lehrenden und ihren Vorstellungen von der Beschaffenheit von Wissen erstaunlich. Die vorliegende Studie geht deshalb der Frage nach, ob sich systematische Zusammenhänge zwischen den epistemologischen Überzeugungen von Eltern einerseits und dem Bildungsgrad von Eltern sowie der elterlichen Hilfe beim häuslichen Lernen andererseits finden lassen. Während epistemologische Überzeugungen häufig als domainübergreifende Überzeugungen gefasst werden, gilt es der Bereichsspezifität (außer-)schulischer Lehr-Lern-Prozesse Rechnung zu tragen, indem das elterliche Unterstützungsverhalten auf eine Domäne bezogen wird. In diesem Beitrag wird exemplarisch auf die Hilfe bei der Bearbeitung von Mathematik-Hausaufgaben abgehoben. Das Fach Mathematik bietet sich an, weil es in allen Schularten und Klassenstufen unterrichtet wird und Eltern dem Lernerfolg in diesem Kernfach einen hohen Stellenwert zumessen. Darüber hinaus könnten epistemologische Überzeugungen gerade bei der Herangehensweise an mathematische Aufgaben zum Tragen kommen, da naive und wissenschaftliche Vorstellungen von Mathematik besonders stark auseinanderklaffen. Während in der Fachliteratur Mathematik längst als Sprache zur Modellierung und Vorhersage alltäglicher Phänomene und Probleme gesehen wird, erachten Eltern und Schüler Mathematik häufig als praktisch wenig bedeutsam. Während die für das Fach formulierten Bildungsstandards (vgl. National Council of Teachers of Mathematics, 2000) über die Vermittlung mathematischen Wissens hinaus auch eine Hinführung zu elaborierteren Überzeugungen vorsehen, steht gleichwohl im Zentrum des traditionellen Mathematikunterrichts der Erwerb von Faktenwissen und die Anwendung von Standardprozeduren. Die Variabilität von Lösungsvorgängen wird selten thematisiert, sodass die Verbreitung unangemessener epistemologischer Überzeugungen (mathematical beliefs) begünstigt wird (z. B. Stein, Silver & Smith, 1998). Da das didaktische Vorverständnis von Eltern vermutlich stark an den eigenen schulischen Erfahrungen orientiert ist, erscheint es plausibel anzunehmen, dass Eltern nicht selten unangemessene epistemologische Überzeugungen hegen und sich diese in der Art ihrer Hilfe niederschlagen. Da im vorliegenden Beitrag dieser Frage erstmalig nachgegangen wird, orientieren sich die Hypothesen wesentlich an den oben genannten Befunden zur Rolle von Bildungserfahrungen für die Herausbildung reiferer erkenntnistheoretischer Positionen im Erwachsenenalter sowie an Befunden zur handlungsleitenden Funktion epistemologischer Überzeugungen von Lehrern. Angewendet auf das Verhalten von Eltern beim häuslichen Lernen ergeben sich danach folgende forschungsleitende Annahmen: 280 Judith Gerber, Elke Wild 1. Da der Grad, in dem Personen eher relativistische vs. dualistische Überzeugungen über die Beschaffenheit von Wissen hegen, vom Ausmaß der intellektuellen Auseinandersetzung mit Sachverhalten abzuhängen scheint, wird ein positiver Zusammenhang zwischen dem elterlichen Bildungsgrad und der Elaboriertheit epistemologischer Überzeugungen angenommen. Auch bei Kontrolle des Alters sollten Personen umso eher (a) die Komplexität von Wissen anerkennen, (b) überzeugt sein, dass Sachverhalte je nach Perspektive durchaus unterschiedlich beurteilt werden können und (c) einmal gewonnene Erkenntnisse nicht unveränderbar sind und daher fortlaufend (d) nicht nur von Experten, sondern auch durch die eigene Person hinsichtlich ihrer Gültigkeit hinterfragt werden müssen, je höher ihre schulische/ berufliche Ausbildung ist. 2. Eltern mit eher relativistischeren Überzeugungen sollten der kindlichen Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie der eigenständigen Auseinandersetzung des Kindes mit schulischen Inhalten einen hohen Stellenwert beimessen. Entsprechend sollten sie sich bei der Ausgestaltung häuslicher Lernumgebungen weniger am Lernergebnis als am Lernprozess orientieren und die aktive gedankliche Auseinandersetzung des Kindes mit dem jeweiligen Inhalt zu fördern versuchen. In lernbezogenen Interaktionen mit ihrem Kind sollten Eltern mit eher relativistischen Überzeugungen somit dazu tendieren, (a) dem Kind ein hohes Maß an Eigenverantwortung für den Lernprozess zuzugestehen und abzuverlangen, (b) durch strukturgebende Aktivitäten einen den kindlichen Fähigkeiten angemessenen Rahmen zu schaffen, (c) auf Kontrolle und Leistungsdruck zu verzichten und (d) die Bereitschaft des Kindes, auf Schwierigkeiten mit erhöhter Anstrengung zu reagieren, durch ein hohes Maß an emotionaler Unterstützung zu fördern. Methode Stichprobe Die den Analysen zugrunde liegenden Daten stammen aus einer Längsschnittuntersuchung (vgl. Wild & Remy, 2001), in der Familien mit Drittklässlern über sechs Jahre im Jahresabstand befragt wurden. Die Freiwilligkeit der Teilnahme und die bewusste Beschränkung auf Familien ohne Migrationshintergrund führte zu der in familienpsychologischen Arbeiten typischen Überrepräsentation von Familien der mittleren und oberen Mittelschicht. Die vorliegenden Analysen basieren auf Daten der 208 zum dritten Zeitpunkt teilnehmenden Eltern mit Fünftklässlern, da hier erstmalig der Fragebogen zur Erfassung epistemologischer Überzeugungen zum Einsatz kam. Das Durchschnittsalter der Mütter lag bei 41 Jahren, das der Väter bei 44 Jahren und das der Kinder (48 % Jungen) bei 11 Jahren. Der Anteil der Gymnasiasten fiel mit 63 % deutlich höher aus als der Anteil der Haupt-, Real- und Gesamtschüler (4 % vs. 8 % vs. 12 %). Die Angaben zur elterlichen Hausaufgabenbetreuung stammen überwiegend (93 %) von den Müttern, seltener von beiden Elternteilen oder Vätern. Instrumente Epistemologische Überzeugungen: In Ermangelung eines deutschsprachigen Instruments zur Erfassung domainübergreifender epistemologischer Überzeugungen wurde im Rahmen des Projekts ein Fragebogen konstruiert, der die vier von Hofer und Pintrich (1997) postulierten Dimensionen abbilden sollte. Alle Items waren auf einer vierstufigen Likert-Skala (1 = stimmt gar nicht bis 4 = stimmt völlig) zu beantworten. Da exploratorische Faktorenanalysen zeitstabil eine dreidimensionale Konzeption nahelegten (Gerber, 2005), wurden drei Skalen gebildet, die niedrig bis moderat interkorrelieren ( vgl. Tabelle 3): „Komplexität des Wissens“ (Ich bemühe mich, Informationen aus verschiedenen Bereichen zusammenzubringen.), „Sicherheit des Wissens“ (Es ist möglich, die Wahrheit über fast alles herauszubekommen.) und „Wissensquelle“ (Es bringt nichts, sich selbst den Kopf zu zerbrechen, man sollte lieber einen Fachmann fragen.). Die interne Konsistenz der 5 bis 11 Items umfassenden Skalen ist zufriedenstellend (vgl. Tabelle 1). Die Skalenmittelwerte deuten darauf hin, dass die befragten Eltern Ansichten über die Beschaffenheit des Wissens vertreten, die eher am relativistischen Endpol des Kontinuums einzustufen sind. Elterliche Hilfe beim häuslichen Lernen 281 Elterliche Unterstützung beim Lernen: Zur Erfassung der elterlichen Hilfe wurde auf Skalen zurückgegriffen, die in Anlehnung an den SRQ von Ryan und Conell (1989) konstruiert worden waren und hypothesenkonform mit verschiedenen Formen der Lernmotivation zusammenhängen (vgl. Wild, 1999): „Autonomieunterstützende Hilfe“ (Bei einer schlechten Note versuche ich, gemeinsam mit meinem Kind den Grund für die schlechte Note herauszufinden.), „Strukturgebende Aktivitäten“ (Wenn mein Kind für eine Arbeit lernt, weiß es ganz genau, wie viel Anstrengung ich von ihm erwarte.), „Leistungsorientierter Druck“ (Bei einer schlechten Note schimpfe ich mit meinem Kind und verlange von ihm, mehr zu lernen.) und „emotionale Unterstützung“ (Ich interessiere mich dafür, was mein Kind in der Schule lernt.). Um der häufig konstatierten unterschiedlichen Wahrnehmung von Eltern und Kindern (z. B. Wild & Hofer, 2000) Rechnung zu tragen, wurden analoge Skalen zur Erfassung der selbstberichteten und kindperzipierten Hilfe eingesetzt. Die interne Konsistenz der Skalen ist gut bis zufriedenstellend (vgl. Tabelle 1), die Interkorrelationen zwischen den Elternbzw. Kinderskalen fallen erwartungsgemäß niedrig bis moderat aus (vgl. Tabelle 3). Bezogen auf den Bildungshintergrund der Eltern wurde unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Mütter Hauptansprechpartner bei den Hausaufgaben sind (z. B. Wild & Gerber, 2007), zunächst deren höchster Schulbzw. Ausbildungsabschluss herangezogen. Erwartungsgemäß fiel der Anteil der Mütter ohne Schulabschluss oder allenfalls dem Hauptschulabschluss mit 9 % gering aus. Von den übrigen Müttern verfügten 42 % über die Mittlere Reife, 13 % über Fachhochschul- und weitere 35 % über Hochschulreife. Die berufliche Ausbildung beendeten 7 % der Mütter ohne einen formalen Abschluss, 6 % schlossen eine gewerbliche oder landwirtschaftliche Lehre erfolgreich ab und 4 % absolvierten erfolgreich eine Ausbildung zum Meister/ Techniker. Über den Abschluss einer kaufmännischen Lehre verfügen 37 % der Mütter, weitere 17 % haben einen Berufsfachschulabschluss, 9 % einen Fachhochschulabschluss und 18 % einen Hochschulabschluss. Zur Bildung eines Index, der neben der Dauer und Qualität der schulischen wie beruflichen Ausbildung berücksichtigt die Fähigkeiten in Rechnung stellt, die im Zuge der Berufserfahrung oder informeller beruflicher Weiterbildung erlangt werden können, wurden die Angaben bzgl. des derzeit ausgeübten Berufs anhand der Internationalen Standardklassifizierung der Berufe 1988 (ISCO-88) (Gazeboom, 2000) kodiert, die zwischen vier Hierarchieebenen (Skill Level) differenziert: • Dem Skill Level 1 werden Personen zugeordnet, die nur eine Primarausbildung absolviert haben und lediglich eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter ausüben. • Auf Skill Level 2 sind Personen zusammengefasst, die die Sekundarstufe I und II durchlaufen oder nach einer Phase der betrieblichen Ausbil- Elterliches Instruktionsverhalten selbstberichtet kindperzipiert N M SD a N M SD a Autonomieunterstützung 203 3.36 .44 .64 208 3.23 .61 .78 Leistungsdruck 208 1.63 .50 .70 208 1.96 .61 .57 Strukturgebende Aktivitäten 206 2.67 .65 .74 208 2.89 .64 .73 Emotionale Unterstützung 207 3.65 .54 .67 208 3.55 .54 .85 Epistemologische Überzeugungen der Eltern N M SD a Sicherheit 207 2.78 .40 .71 Komplexität 208 3.49 .37 .87 Wissensquelle 208 1.84 .47 .66 Tabelle 1: Deskriptive Angaben zum selbstberichteten und kindperzipierten Elternverhalten und den elterlichen epistemologischen Überzeugungen 282 Judith Gerber, Elke Wild dung über ihre Berufserfahrung Kompetenzen erworben haben, die denen einer Person mit Abitur entsprechen. • Skill Level 3 bildet ab, ob mit ca. 17 Jahren eine Ausbildung aufgenommen und erfolgreich abgeschlossen wurde, die maximal einem Fachhochschulabschluss gleichwertig ist. • Skill Level 4 wird kodiert, wenn Personen ihre Ausbildung mit einem Universitätsabschluss, einem Postgraduiertenabschluss oder einem anderen, gleichwertigen Abschluss beendet haben. In 179 Fällen lagen die zur Klassifikation benötigten Angaben vor. Unter diesen entfallen lediglich 3 % auf Skill Level 1, 44 % sind dem Skill Level 2 zuzuordnen, 23 % dem Skill Level 3 und 30 % dem Skill Level 4. Ergebnisse Epistemologische Überzeugungen als Funktion des Bildungshintergrunds Für alle drei Bildungsindikatoren zeigen sich erwartungsgemäß negative Zusammenhänge zu den Dimensionen Sicherheit des Wissens und Wissensquelle. Mit zunehmender Schulbildung sinkt die Überzeugung, Wissen sei „objektiv“ feststellbar (Sicherheit des Wissens: r = -.39***) und würde in erster Linie von Autoritäten definiert (Wissensquelle: r = -.25**). Vergleichbare Korrelationskoeffizienten ergaben sich, wenn der Ausbildungsabschluss (Sicherheit des Wissens: r = -.32***; Wissensquelle: r = -.18*) bzw. das Skill Level (Sicherheit des Wissens: r = -.29***; Wissensquelle: r = -.37***) herangezogen wurde. Ebenfalls hypothesenkonform wird die Komplexität des Wissens umso eher anerkannt, je höher die schulische Ausbildung (r = .15*) bzw. das Bildungsniveau (r = .21**) war. Lediglich die Höhe des beruflichen Ausbildungsabschlusses ist nicht mit Vorstellungen hinsichtlich der Komplexität des Wissens assoziiert (r = .10 ns.). Die Zusammenhangsmuster veränderten sich auch bei der Auspartialisierung des Alters nicht wesentlich. Um den Anteil der Varianz in allen drei Dimensionen epistemologischer Überzeugungen bestimmen zu können, der sich mithilfe der Bildungsindikatoren insgesamt aufklären lässt, wurden ergänzend zu den bivariaten (Partial-) Korrelationen Regressionsanalysen durchgeführt. Wie aus Tabelle 2 hervorgeht, schwankt der Anteil aufgeklärter Varianz zwischen 6 % und 21 %. Bei gleichzeitiger Berücksichtigung der (interkorrelierten) Bildungsindikatoren erweisen sich für die Sicherheit des Wissens sowohl der Schulals auch Ausbildungsabschluss als prognostisch bedeutsam. Für die Wissensquelle hingegen besitzt nur das Skill Level der Mutter prognostische Bedeutsamkeit, während für die Komplexität des Wissens kein Bildungsindikator Vorhersagekraft besitzt. Epistemologische Überzeugungen und elterliche Hilfe Werden Zusammenhänge zwischen einzelnen Dimensionen epistemologischer Überzeugungen zunächst in Beziehung zu den von Eltern berichteten Formen elterlicher Hilfe untersucht (vgl. Tabelle 3), so wird erwartungsgemäß umso eher eine autonomieunterstützende Hil- Komplexität Sicherheit Wissensquelle des Wissens des Wissens Schulabschluss .13 -.26** -.04 Ausbildungsabschluss -.14 -.26** .01 Skill Level .20 + -.02 -.39*** Alter .07 .01 .10 R 2 R 2 = .06* R 2 = .21*** R 2 = .16*** Legende: *** p < .001; ** p < .01; * p < .0 Tabelle 2: Vorhersage epistemologischer Überzeugungen durch die Bildungsindikatoren Elterliche Hilfe beim häuslichen Lernen 283 fe, die Bereitstellung eines angemessenen strukturellen Rahmens und eine emotionale Unterstützung beim gemeinsamen häuslichen Lernen realisiert, je mehr Wissen als ein komplexes Gefüge aus interdependenten Erkenntnissen verstanden wird. Entgegen den Erwartungen ergibt sich jedoch ebenfalls ein positiver Zusammenhang zwischen Überzeugungen hinsichtlich der Sicherheit von Wissen und dem Grad autonomieunterstützender und strukturgebender Hilfen sowie emotionaler Unterstützung. Ebenfalls erwartungswidrig geht die Überzeugung, die Bewertung von Wissen obliege Experten, mit strukturgebender Hilfe einher. Unterschiede im Ausmaß von Leistungsdruck dagegen variieren unabhängig von allen drei Aspekten epistemologischer Überzeugungen. Bezüglich der kindperzipierten elterlichen Hilfe zeigt sich ebenfalls hypothesenkonform, dass relativistischere Überzeugungen hinsichtlich der Komplexität von Wissen mit autonomieunterstützenden Hilfen und dem Verzicht auf kontrollierende Maßnahmen korrespondieren. Auch der Zusammenhang zwischen eher dualistischen Überzeugungen von der Herkunft des Wissens weist in die postulierte Richtung. Je mehr Eltern davon ausgehen, dass die Meinung von Autoritäten nicht hinterfragt werden sollte, umso weniger nehmen Kinder ihre Eltern als emotional unterstützend wahr. Auch bei Heranziehung der Kindperzeption fällt der positive Zusammenhang zwischen der Überzeugung von der Sicherheit des Wissens und dem Ausmaß strukturgebender Maßnahmen erwartungswidrig aus. Der gemeinsame Beitrag, den epistemologische Überzeugungen zur Aufklärung von Unterschieden im elterlichen Instruktionsverhalten leisten, wurde mithilfe schrittweiser Regressionen ermittelt (vgl. Tabelle 4). In einem ersten Schritt wurden zunächst alle drei Dimensionen epistemologischer Überzeugungen als Prädiktoren einbezogen, in einem zweiten Schritt wurden zusätzlich die Bildungsindikatoren und das Alter aufgenommen. Bei Heranziehung der Elternangaben zeigte sich, dass epistemologische Überzeugungen einen statistisch bedeutsamen Beitrag zur Aufklärung der Varianz in allen Formen elterlicher Hilfe mit Ausnahme des leistungsorientierten Drucks leisten und der genuine Beitrag der einzelnen Dimensionen zur Varianzaufklärung praktisch unverändert bleibt, wenn im zweiten 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 Elternbericht 1. Autonomie .12 -.25*** .35*** .13* .02 -.11 .08 .20** .21** -.03 2. Struktur .25*** .18** -.18** .13* .22** -.10 .20** .11* .15* 3. Leistungsdruck .05 -.11 .11 .35*** -.01 .07 .04 .04 4. Emotionale Unterstützung .01 .14* .06 .22** .20** .23** -.02 Kindersicht 5. Autonomie .23** -.29*** .51*** .10 .16* -.06 6. Struktur .25*** .24** .21** -.00 .00 7. Leistungsdruck -.24** .05 -.13* .05 8. Emotionale Unterstützung .08 .07 -.12* Elternbericht 9. Sicherheit des Wissens .13* .20** 10. Komplexität des Wissens -.32*** 11. Wissensquelle Tabelle 3: Korrelationen zwischen Formen elterlicher Hilfe (Eltern- und Kindersicht) und epistemologischen Überzeugungen der Mütter Legende: *** p < .001; ** p < .01; * p < .05 284 Judith Gerber, Elke Wild Elternberichtetes Instruktionsverhalten Kindperzipiertes Instruktionsverhalten Autonomie- Leistungs- Struktur Emotionale Autonomie- Leistungs- Struktur Emotionale unterstützung druck Unterstützung unterstützung druck Unterstützung Step 1 Step 1 Komplexität .18* .04 .18* .18* .15* -.15* -.03 .03 Sicherheit .19* .07 .13 .20** .10 .04 .15* .03 Wissensquelle -.02 .04 .19* -.00 -.09 .02 -.04 -.09 R 2 = .08** R 2 = .01 R 2 = .08** R 2 = .08** R 2 = .03* R 2 = .03 R 2 = .02 R 2 = .01 Step 2 Step 2 Komplexität .20* .06 .12* .20* .13 -.13 -.05 .01 Sicherheit .19* .02 .11* .18* .05 .11 .21* .07 Wissensquelle -.03 .03 .10* -.02 -.04 -.01 -.04 -.12 Schulabschluss -.00 -.04 .08 .09 -.07 .04 .01 -.02 Ausbildung .10 -.09 .19* -.01 -.10 .19 -.07 -.15 Skill Level -.09 .02 -.17 -.11 .08 -.13 .04 .10 Alter -.05 -.05 .06 -.13 .10 -.15 .06 .19* R 2 = .09** R 2 = .02 R 2 = .11** R 2 = .10** R 2 = .05 R 2 = .07 R 2 = .05 R 2 = .06 Tabelle 4: Vorhersage elternberichteten und kindperzipierten Instruktionsverhaltens durch epistemologische Überzeugungen bzw. epistemologische Überzeugungen, Bildungsindikatoren und Alter Legende: *** p < .001; ** p < .01; * p < .05 Elterliche Hilfe beim häuslichen Lernen 285 Schritt die drei Bildungsindikatoren als weitere Prädiktoren hinzugenommen werden. Die Höhe der quadrierten multiplen Korrelationskoeffizienten (.01 < R 2 < .08) unterstreicht jedoch, dass epistemologische Überzeugungen einen eher geringen Varianzanteil in den Kriteriumsvariablen aufklären. Wird die kindperzipierte Hilfe von Eltern vorherzusagen versucht, so leisten epistemologische Überzeugungen nur für das Kriterium „autonomieunterstützende Hilfe“ einen signifikanten Beitrag zur Varianzaufklärung. Dies ist allerdings nicht mehr der Fall, wenn die Bildungsindikatoren und das Alter mit einbezogen werden. Diskussion Epistemologische Überzeugungen und ihre Auswirkungen auf den Lehr-Lernprozess rücken in den vergangenen Jahren immer mehr ins Zentrum der pädagogisch-psychologischen Forschung. Da vorliegende Studien zur handlungsleitenden Funktion von epistemologischen Überzeugungen für die Ausgestaltung von Lehr-Lern-Arrangements ausschließlich auf Lehrer fokussieren, sollte in dieser Studie erstmals der Frage nachgegangen werden, ob erkenntnistheoretische Positionen von Eltern von ihrem Bildungsgrad abhängen und mit unterschiedlichen Formen elterlicher Hilfe beim häuslichen Lernen kovariieren. In Einklang mit der Literatur sprechen die Ergebnisse zunächst dafür, dass epistemologische Überzeugungen als Funktion von Bildungserfahrungen verstanden werden können und diese je nach betrachteter Dimension zwischen 6 % und 21 % der Varianz aufklären. Unsere Ergebnisse erweitern die Befundlage insofern, als der Zusammenhang zwischen Bildung und Elaboriertheit wissensbezogener Überzeugungen auch bei Kontrolle des Alters nachgewiesen werden konnte. Gleichwohl lassen die eher niedrigen Koeffizienten eine Suche nach weiteren Sozialisationsprozessen jenseits der formalen (Aus- und Weiter-)Bildung lohnenswert erscheinen. Bezogen auf die von den Eltern berichtete Hilfe klären epistemologische Überzeugungen bis zu 11 % der Varianz auf. Die bivariaten Korrelationen weisen auf erwartungskonforme Zusammenhänge vor allem mit der Dimension „Komplexität“ hin. Wird die elterliche Hilfe aus Eltern- oder Kindersicht erfasst, geht die Anerkennung der Komplexität von Wissen mit einer größeren Bereitschaft einher, die kindliche Selbstständigkeit beim Lernen durch eine autonomieunterstützende und strukturgebende Hilfe sowie durch ein hohes Maß an emotionaler Zuwendung zu fördern. Eine ähnlich funktionale Ausgestaltung häuslicher Lehr-Lern-Arrangements findet sich allerdings auch in Familien mit eher dualistischen Vorstellungen hinsichtlich der Sicherheit des Wissens. Interpretationen dieser erwartungswidrigen Zusammenhänge sind zwangsläufig spekulativ, da epistemologische Überzeugungen ein relativ junges Forschungsfeld darstellen und die Ergebnisse zur elterlichen Hilfe nicht mit Befunden aus anderen Studien verglichen werden können. So bleibt zunächst zu prüfen, inwiefern konzeptuelle bzw. methodische Probleme ausschlaggebend sein könnten. Eine erste Erklärung könnte auf die mangelnde Güte der eingesetzten Skalen abheben. Die Zusammenhänge zwischen epistemologischen Überzeugungen und dem elterlichen Bildungshintergrund einerseits und die andernorts (Wild, 1999; Wild & Remy, 2002) berichteten Beziehungen zwischen den hier erfassten Formen elterlicher Hilfe und Motivationsmaßen andererseits sprechen jedoch für die Validität der Instrumente. Unter konzeptuellen Gesichtspunkten ist zu berücksichtigen, dass Überzeugungen als domainübergreifende Konstrukte erfasst wurden, Letztere hingegen als (domainspezifische) Formen des Umgangs mit mathematischen Aufgabenstellungen. Da Einstellungen nachweislich höhere prognostische Relevanz zukommt, wenn sie auf demselben Abstraktionsniveau wie das vorherzusagende Verhalten erfasst werden, könnten domainspezifisch gefasste epistemologische Überzeugungen einen größeren Beitrag 286 Judith Gerber, Elke Wild zur Erklärung von Unterschieden in der elterlichen Hilfe leisten. Stärkere Zusammenhänge könnten sich ferner zeigen, wenn Daten einer größeren und hinsichtlich des Bildungshintergrunds disparateren Stichprobe herangezogen würden. Die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ist insofern eingeschränkt, als die Analysen auf querschnittlichen Daten basieren, die keine kausale Interpretation erlauben. Die skizzierten Überlegungen heben auf die Höhe der erwartbaren Zusammenhänge ab, liefern jedoch keine Erklärung dafür, warum eine lernförderliche Ausgestaltung mit Überzeugungen assoziiert ist, die teils am relativistischen Pol (Komplexität des Wissens) und teils am dualistischen Pol (Sicherheit des Wissens) anzusiedeln sind. Unsere theoretischen Überlegungen zur Erklärung dieser - als gegenläufig postulierten - Beziehungen setzen an der Beurteilung schulischer Anforderungen durch die Eltern an. Sozial privilegiertere Eltern, die von der Vorläufigkeit von Erkenntnissen überzeugt sind, könnten besonders bewusst die hinter dem traditionellen Mathematik-Unterricht stehende Philosophie wahrnehmen, wonach häufig eine bloße Einübung und Anwendung von Prozeduren gefordert wird und die vom Lehrer vorgegebenen Lösungswege strikt zu befolgen sind (z.B. Stein et al., 1998). Entsprechend könnten sie - zumindest beim häuslichen Lernen - das Ziel einer Förderung der kindlichen Reflexions- und Urteilsfähigkeit zugunsten der Erfüllung der unterrichtlichen Anforderungen zurückstellen. Dies würde ein Rückzug der Eltern aus häuslichen Lehr-Lern-Arragements verständlich machen. Die ausbleibenden Zusammenhänge zur Wissensquelle könnten auf gegenläufige Antworttendenzen von Teilgruppen hindeuten. Während Eltern, die die Bedeutung von Autoritäten relativieren, aber zugleich die Ambivalenz einer die Arbeitsaufträge von Lehrern hinterfragenden Haltung aufseiten des Kindes wahrnehmen, zumindest teilweise von einer gezielten Förderung der kindlichen Selbstständigkeit Abstand nehmen könnten, dürften Eltern mit eher dualistischen Vorstellungen ihr Engagement nicht zuletzt von der Einschätzung der Kompetenz und Autorität des jeweiligen Lehrers abhängig machen. Bei der Interpretation des Zusammenhangs zwischen Struktur und dem elterlichen Glauben an die Bedeutung von Autoritäten schließlich ist die Zweischneidigkeit dieses Unterstützungsaspekts zu berücksichtigen, die darin zum Ausdruck kommt, dass Struktur sowohl mit dem (kindperzipierten) Ausmaß autonomieunterstützender Hilfe als auch dem Grad direktivkontrollierenden Verhaltens assoziiert ist. Das Vorverständnis von Eltern und deren Auffassungen von der Funktion von Hausaufgaben (Renshaw & Gardener, 1990) scheinen somit weniger mit Unterschieden im Ausmaß strukturgebender Hilfen einherzugehen als mit der Art und Weise der Umsetzung. Insgesamt bleibt damit festzuhalten, dass zukünftige Studien zur elterlichen Hilfe als Funktion epistemologischer Überzeugungen stärker Faktoren wie die von Eltern eingeschätzte Qualität des Unterrichts, die Bewertung der von Lehrern gestellten Aufgaben sowie das eigene Rollenverständnis als potenzielle Moderatorvariablen berücksichtigen sollten. 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Dr. Judith Gerber Universität Bielefeld Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft Arbeitseinheit Pädagogische Psychologie Universitätsstr. 25 D-33615 Bielefeld Tel.: (05 21) 1 06 45 23 Fax: (05 21) 1 06 80 17 Email: judith.gerber@uni-bielefeld.de Prof. Dr. Elke Wild Universität Bielefeld Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft Arbeitseinheit Pädagogische Psychologie Universitätsstr. 25 D-33615 Bielefeld Tel.: 0521-1064524 Fax: 0521-1068017 Email: elke.wild@uni-bielefeld.de
