eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 55/1

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2008
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Stand der Berufswahl und Qualität des berufsbezogenen Explorationsverhaltens im Jugendalter

11
2008
Bärbel Kracke
Nadja Olyai
Jenny Wesiger
Die Auseinandersetzung mit der Frage nach einer zukünftigen Berufstätigkeit ist eine zentrale Entwicklungsaufgabe im Jugendalter. Jugendliche unterscheiden sich allerdings deutlich im Ausmaß und der Art, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Bei 110 GymnasiastInnen der neunten und zehnten Klasse wurde daher untersucht, inwieweit die Sicherheit über das eigene berufliche Ziel mit Unterschieden in der Berufsbezogenen Informationssuche im Rahmen des Besuchs eines Berufsinformationszentrums (BIZ) zusammenhing. Zusätzlich interessierte, ob Jugendliche je nach Stand in der Berufswahl in unterschiedlichem Maße von dem Besuch in Bezug auf ihr subjektives Gefühl der Informiertheit hinsichtlich zentraler Voraussetzungen für eine fundierte Berufswahl profitierten. Hierzu wurden die Jugendlichen vor und nach dem Besuch eines Berufsinformationszentrums per Fragebogen befragt. Es zeigte sich unabhängig vom Geschlecht, dass Jugendliche, die fortgeschrittener in Fragen der Berufswahl waren, spezifischere berufsbezogene Informationen suchten, während unsichere Jugendliche stärker allgemeine Merkmale von Berufen explorierten. Vor allem die unsicheren Jugendlichen profitierten in Bezug auf die Sicherheit bezüglich ihrer Berufswahl und in Bezug auf allgemeine Berufswahlbezogene Informationen von dem Besuch des Berufsinformationszentrums.
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n Empirische Arbeit Sich über den eigenen beruflichen Werdegang und die damit verbundenen nachschulischen Ausbildungswege klar zu werden, ist eine zentrale Entwicklungsaufgabe im Jugendalter, die von verschiedenen gesellschaftlichen Institutionen unterstützt wird (Grob, Flammer & Rhyn, 1995; Havighurst, 1948, Reinders, 2002). Die Beschäftigung mit dieser Aufgabe wird für die Heranwachsenden mit dem nahenden Ende der Schulzeit immer dringlicher (Dreher & Dreher, 1985; Grob, Flammer & Rhyn, 1995; Kracke, 2004). Ein wesentliches Mittel, eine Vorstel- Stand der Berufswahl und Qualität des berufsbezogenen Explorationsverhaltens im Jugendalter Bärbel Kracke, Nadja Olyai Jenny Wesiger Universität Erfurt Friedrich-Schiller-Universität Jena The Actual State of Vocational Choice and the Quality of Vocational Exploration in Adolescence Summary: Becoming certain about a future occupation is a major developmental task in adolescence. However, adolescents vary a lot in the extent they actively engage in coping with this task. In this study, the occupational exploration of 110 students attending ninth and tenth grades of German Gymnasiums in a career information centre was examined. It was examined whether the quality of exploration was dependent on the certainty about the individuals’ occupational goals and how subjective impressions about the individual state of being informed about essential requirements for occupational choice changed. The students completed questionnaires before and after the visit of a career information centre. The results showed that students with better defined occupational goals were searching more specific job related information whereas students with ill-defined goals were looking for more general information. Moreover, students with ill-defined goals improved most concerning their state of being informed about essential requirements for occupational choice. Keywords: Adolescents, occupational preparation, career exploration Zusammenfassung: Die Auseinandersetzung mit der Frage nach einer zukünftigen Berufstätigkeit ist eine zentrale Entwicklungsaufgabe im Jugendalter. Jugendliche unterscheiden sich allerdings deutlich im Ausmaß und der Art, sich mit dieser Frage zu beschäftigen. Bei 110 GymnasiastInnen der neunten und zehnten Klasse wurde daher untersucht, inwieweit die Sicherheit über das eigene berufliche Ziel mit Unterschieden in der Berufsbezogenen Informationssuche im Rahmen des Besuchs eines Berufsinformationszentrums (BIZ) zusammenhing. Zusätzlich interessierte, ob Jugendliche je nach Stand in der Berufswahl in unterschiedlichem Maße von dem Besuch in Bezug auf ihr subjektives Gefühl der Informiertheit hinsichtlich zentraler Voraussetzungen für eine fundierte Berufswahl profitierten. Hierzu wurden die Jugendlichen vor und nach dem Besuch eines Berufsinformationszentrums per Fragebogen befragt. Es zeigte sich unabhängig vom Geschlecht, dass Jugendliche, die fortgeschrittener in Fragen der Berufswahl waren, spezifischere berufsbezogene Informationen suchten, während unsichere Jugendliche stärker allgemeine Merkmale von Berufen explorierten. Vor allem die unsicheren Jugendlichen profitierten in Bezug auf die Sicherheit bezüglich ihrer Berufswahl und in Bezug auf allgemeine Berufswahlbezogene Informationen von dem Besuch des Berufsinformationszentrums. Schlüsselbegriffe: Jugendliche, Berufswahlvorbereitung, Informationssuche, Stand in der Berufswahl Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2008, 55, 51 - 60 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel lung über die eigene berufliche Zukunft zu entwickeln, besteht darin, aktiv Informationen über sich selbst und die Ausbildungs- und Berufswelt zu suchen (Kracke, 2004; Super, Saviackas & Super, 1996). Wie in jedem Entwicklungsbereich existieren große interindividuelle Unterschiede im Grad der Bewältigung sowie in den persönlichen und sozialen Voraussetzungen, die die Art und das Ausmaß der Beschäftigung mit dieser Entwicklungsaufgabe beeinflussen. Die Schule hat neben dem Elternhaus und der Bundesagentur für Arbeit den klar definierten Auftrag, Jugendliche bei der Bewältigung dieser Entwicklungsaufgabe zu unterstützen und sie für eigenverantwortliche und sachkundige Berufswahlbezogene Entscheidungen vorzubereiten (Dedering, 2002). Jüngere Studien zeigen, dass gerade im schulischen Kontext in Bezug auf die Berufsorientierung die Berücksichtigung individueller Unterschiede wenig ausgeprägt ist. Die Jugendlichen werden als relativ homogene Gruppe behandelt und mit eher standardisierten Informationen, meist im Rahmen von Vorträgen über Berufe oder Studiengänge, konfrontiert (Oechsle, Knauf, Maschetzke & Rosowski, 2007, zum Überblick Schudy, 2002). Vor allem in Gymnasien werden individuelle Informationsbedürfnisse, die sich aus dem unterschiedlichen Grad der Entschiedenheit der Jugendlichen für ihren nachschulischen Werdegang ergeben, noch wenig berücksichtigt (Hany & Driesel-Lange, 2006; Kracke, 2006; Oechsle et al., 2007; Müller, 2002). Die Ergebnisse von Oechsle und Kolleginnen (Oechsle et al., 2007), die in einem ausgesuchten Schulamtsbezirk in Nordrhein-Westfalen Gymnasien nach ihren Berufsorientierungsmaßnahmen und Schüler nach ihren Erfahrungen damit befragten, zeigten, dass die häufigsten Angebote der Schulen in Besuchen von Universitäten, Einladungen von Berufsberatern der Bundesagentur sowie Besuchen des Besuchsinformationszentrums der Bundesagentur (BIZ) bestanden. Qualitative Interviews mit den Schülern ergaben, dass Angebote wie ein BIZ-Besuch oder der Besuch einer Universität vor allem von jenen Jugendlichen als hilfreich angesehen wurden, die schon erste berufliche Pläne hatten. Noch weitgehend orientierungslose Jugendliche konnten mit solchen Veranstaltungen dagegen weniger anfangen und werteten sie negativ. Nach Auskunft der Lehrer verhielten sich solche Jugendliche in den Informationsveranstaltungen eher passiv und stellten keine Fragen, während die Jugendlichen mit ersten konkreteren Zukunftsvorstellungen auch aktiver Informationen suchten. In diese Richtung wiesen auch eigene Fragebogenstudien, die bei Schülern unterschiedlicher Schularten in verschiedenen Klassenstufen durchgeführt wurden. Sie zeigten, dass Jugendliche, die noch nicht sicher wussten, in welche Richtung ihre nachschulischen Pläne gingen, in geringerem Maße dazu tendierten, mit anderen Gespräche über mögliche Berufe für sich zu führen, darüber nachzudenken, wo ihre Interessen und Fähigkeiten liegen, und sich zielgerichtet über Berufe zu informieren (Kracke, 2004; Kracke & Schmitt-Rodermund, 2001). Insgesamt sind aber Studien, die die schulische Berufsorientierung näher betrachten, noch rar. So sind auch globale Aussagen über den Wert der Schule im Berufswahlprozess mit großer Vorsicht zu betrachten. Wenn man das verschiedentlich beschriebene Spektrum von Informationsangeboten, die die Schule bereit stellt oder zu denen sie den Jugendlichen Zugang verschafft, näher beleuchtet, zeigt sich, dass die Möglichkeit zur Individualisierung der Informationssuche zwischen den Angeboten stark variiert. Während Vorträge kaum Interessen gesteuerte Eigenaktivität zulassen, dürfte der Besuch eines Berufsinformationszentrums (BIZ) mehr Gelegenheit zur Individualisierung der Informationssuche bieten. Um die Vielfalt von Aktivitäten der Jugendlichen im Kontext der Berufswahl detaillierter beschreiben zu können, soll in der vorliegenden Studie mit dem Besuch des BIZ eine Situation näher betrachtet werden, die die meisten Jugendlichen mindestens einmal durchlaufen, weil sie Bestandteil der Kooperation von Schule und Bundesagentur für Arbeit im Berufswahlprozess ist (Dedering, 2002), und 52 Bärbel Kracke et al. die zudem die Möglichkeit zu Interessen gesteuerter Aktivität zulässt. Auch wenn das Setting BIZ Jugendliche nahezu dazu drängt, Informationen zur Kenntnis zu nehmen, dürfte sich dennoch die unterschiedliche Ausgangslage der Jugendlichen in einer unterschiedlichen Nutzung äußern. Im Sinne der Befunde von Oechsle und Mitarbeiterinnen könnte man beispielsweise erwarten, dass Jugendliche ohne konkrete Ziele wahllos Informationsmaterial durchschauen oder passiv verharren, bis die Situation vorüber ist, während Jugendliche mit genaueren Berufsvorstellungen gezielt Informationen suchen. So war es zum einen das Ziel der vorliegenden Studie, die Informationssuche von Jugendlichen in einer typischen schulorganisierten berufswahlbezogenen Situation in Abhängigkeit von ihrer individuellen Sicherheit in Bezug auf ein berufliches Ziel detaillierter zu erfassen, um Anregungen für die Optimierung solcher Situationen je nach den individuellen Bedürfnissen der Jugendlichen zu erhalten. Zum anderen sollte ermittelt werden, ob Jugendliche je nach Sicherheit über ihr berufliches Ziel in unterschiedlichem Maße von der Informationssituation im Sinne besserer Informiertheit oder stärkerer Sicherheit über ihr Ziel profitieren. Konkret sollten die folgenden Fragen mit unserer Studie beantwortet werden: (1) Suchen Jugendliche in einer Situation, in der sie relativ selbst gesteuert Informationen recherchieren können (BIZ-Besuch), unterschiedliche Informationen je nachdem, wie sicher sie sich bereits in ihrer Entscheidung über einen möglichen Beruf sind? (2) Profitieren sichere und unsichere Jugendliche in unterschiedlichem Maße von der Informationsgelegenheit Berufsinformationszentrum? Methode Stichprobe Im Frühjahr 2004 nahmen 110 Schülerinnen und Schüler dreier neunter (n = 58) und zweier zehnter Gymnasialklassen (n = 52) einer Großstadt in Thüringen an dieser Studie teil. 56 Jugendliche waren weiblich (50.9 %), 54 (49.1 %) waren männlich. Die Jugendlichen der neunten Klassen waren im Mittel 15 Jahre alt (M = 14.95, SD = .54), die Jugendlichen der zehnten Klassen 16 (M = 15.87, SD = .49). 93 % der Jugendlichen strebten das Abitur an. 70 % hatten vor, ein Studium aufzunehmen. Damit liegt der Anteil an einem Studium Interessierter in unserer Stichprobe deutlich höher als eine aktuelle Studie der HIS GmbH 2005 für Gymnasiasten der zwölften Klassen in Thüringen ermittelte (Heine, Scheller & Willich, 2005). Hier gaben nur 49 % an, nach dem Abitur ein Studium aufnehmen zu wollen. Da sich in früheren Studien gezeigt hatte, dass der Bildungshintergrund des Elternhauses nicht bedeutsam mit dem Explorationsverhalten der Jugendlichen zusammenhing (Kracke, 1997), wurde auf die Erhebung von Angaben zum sozioökonomischen Hintergrund verzichtet. Erhebungssituation Die Jugendlichen waren durch ihre Lehrer informiert worden, dass sie bei ihrem BIZ-Besuch an einer Befragung zu ihrer Berufswahlvorbereitung teilnehmen könnten. Sie wurden bei ihrer Ankunft im Berufsinformationszentrum von der Zweitautorin begrüßt, die das Vorgehen der Untersuchung erläuterte. Darauf folgte eine etwa fünfminütige Begrüßung durch den Berater der Arbeitsagentur, der für Abiturienten zuständig ist. Im Anschluss daran wurde der erste Fragebogen ausgeteilt, in dem der aktuelle Stand der Berufswahl erfasst wurde. Das Ausfüllen des Fragebogens dauerte etwa 15 Minuten. Dann wurde den Jugendlichen in einem 45-minütigen Vortrag des Abiturientenbetreuers ein Überblick über das Angebot des BIZ gegeben. An diesen Vortrag schloss sich die selbstständige Explorationsphase der Jugendlichen von 45 bis 60 Minuten in den Räumen des Berufsinformationszentrums an. Zum Abschluss ihres BIZ-Besuchs füllten die Jugendlichen einen zweiten Fragebogen aus, in dem erfragt wurde, über welche Bereiche sich die Jugendlichen informiert hatten. Außerdem wurden sie gebeten, ihren jetzigen Stand der Berufswahl einzuschätzen. Messinstrumente Zum ersten Messzeitpunkt (vor Beginn der selbstständigen Beschäftigung im BIZ) wurde der Stand der Berufswahl erhoben. Die Jugendlichen wurden gefragt, welche Ausbildung oder welches Studienfach sie gegenwärtig für sich in Erwägung ziehen würden. Stand der Berufswahl 53 Auch bei Fehlen eines konkreten Berufs- oder Studienwunsches sollten die Jugendlichen einen Bereich angeben, für den sie sich interessierten. Der subjektiv eingeschätzte Stand in der Berufswahl wurde erstens über die Einschätzung erfasst, wie weit das Ziel, sich über die eigene Ausbildungsbzw. Berufswahl sicher zu sein, bereits erreicht war. Der Grad der Zielerreichung wurde mit dem folgenden Item angesprochen: „Bei der Berufswahl geht es darum zu wissen, welchen Beruf man später einmal haben möchte und wie man dieses Ziel erreichen kann. Es geht aber auch darum, sich für eine bestimmte Ausbildung oder für ein bestimmtes Studium zu entscheiden. Was meinst Du, wie weit Du das schon erreicht hast? “ Die Antwortmöglichkeiten waren (1) = noch gar nicht erreicht, (2) = wenig erreicht, (3) = etwas erreicht und (4) = schon voll erreicht. Die Jugendlichen sollten diese Frage sowohl in Bezug auf einen späteren Beruf als auch bezüglich einer Ausbildung bzw. eines Studiums beantworten. Da sich zeigte, dass die Jugendlichen auf beide Fragen sehr ähnlich antworteten, wurden im Folgenden nur die Angaben zur beruflichen Zielerreichung weiterverwendet. Für die folgenden Auswertungen wurden die Jugendlichen, die angaben, das Ziel, sich für eine bestimmte Ausbildung entscheiden zu können, noch gar nicht oder wenig erreicht zu haben, zu der Gruppe der Zielunsicheren und jene, die das Ziel etwas oder schon voll erreicht hatten, zur Gruppe der Zielsicheren zusammengefasst. Zweitens wurde erfasst, wie weit sich Jugendliche über ihre eigenen Interessen und Ausbildungsmöglichkeiten informiert fühlten. Die Aussagen sind in Richtung mangelnde Kenntnisse formuliert. Sie entstammen den etablierten Skalen Informationsdefizit über Informationswege und Ausbildungsmöglichkeiten sowie Unsicherheit bei der Berufswahl von Seifert und Bergmann (1992). Die Skala Informationsdefizit umfasste sieben Items und sprach beispielsweise den Mangel an Kenntnissen über Ausbildungsmöglichkeiten, Informationswege und Anforderungen in Berufen an (z. B. „Ich kenne die nach Beendigung der Schulzeit verfügbaren Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten noch zu wenig.“). Cronbach Alphas von .80 zum ersten Messzeitpunkt und .79 zum zweiten Messzeitpunkt sprechen für eine hohe interne Konsistenz der Skala. Die Skala Unsicherheit erfasste mit neun Items verschiedene Aspekte von Unsicherheit, z. B. über die eigene Eignung für Berufe oder Entscheidungsschwierigkeiten (Beispielitem: „Ich weiß noch nicht, für welche Berufe ich mit meinen Stärken und Schwächen eigentlich geeignet wäre.“) und war mit Alphas von .88 zu beiden Messzeitpunkten hoch reliabel. Da in der vorliegenden Stichprobe Informationsdefizit und Unsicherheit zum ersten Messzeitpunkt mit r = .80 (p < 001) und zum zweiten Messzeitpunkt mit r = .68 (p < .001) korrelierten, wurden sie zu einer übergreifenden Skala Berufswahlbezogene Unsicherheit zusammengefasst, die mit einem Cronbach Alpha von .90 zum ersten MZP und .89 zum zweiten MZP hohe interne Konsistenzen aufwies. Die Antwortmöglichkeiten für alle Items waren (1) trifft gar nicht zu, (2) = trifft wenig zu, (3) = trifft etwas zu und (4) trifft sehr zu. Beide Indikatoren für den subjektiven Berufswahlstatus korrelieren statistisch bedeutsam zu r = -.50 (p < .000). Je weiter sich also die Jugendlichen in Bezug auf das Erreichen der Entwicklungsaufgabe Berufswahl einschätzen, desto geringer ist ihre Unsicherheit in Bezug auf ihre eigenen Interessen und Fähigkeiten sowie ihre Uninformiertheit in Bezug auf nachschulische Ausbildungsmöglichkeiten. Der mittelhohe korrelative Zusammenhang der beiden hier untersuchten Indikatoren für den Berufswahlstatus deutet darauf hin, dass sie zwar Überschneidungen aufweisen, dennoch aber unterschiedliche Facetten der Unsicherheit hinsichtlich der beruflichen Zukunft abbilden und daher unabhängig betrachtet werden können. Nach dem BIZ-Besuch (Fragebogen zum zweiten Messzeitpunkt) wurde der subjektive Berufswahlstatus wiederum durch die beiden oben beschriebenen Facetten Zielerreichung und Berufswahlbezogene Unsicherheit erhoben. Im Mittelpunkt der zweiten Befragung standen jedoch die Informationsaktivitäten, denen die Jugendlichen im Verlauf ihres 45bis 60-minütigen Besuchs des Berufsinformationszentrums nachgegangen waren. Sie wurden mit offener Antwortmöglichkeit gefragt, über wie viele Berufe und Ausbildungsmöglichkeiten sie sich informiert hatten („Über wie viele und welche Berufe/ Berufsbereiche, Ausbildungs- und Studienmöglichkeiten hast Du Dich heute im Berufsinformationszentrum (BIZ) informiert? “). Weiterhin wurde gefragt, mit welchen Inhalten sich die Jugendlichen beschäftig hatten („Worüber hast Du Dich heute im BIZ informiert? “). Die siebzehn möglichen Inhaltsbereiche waren von den Autorinnen unter Rückgriff auf eine Selbstdarstellung des BIZ in Bezug auf seine Informationsangebote formuliert worden. Sie stellen für die Berufsorientierung typische Inhaltsbereiche dar, wie sie z.B. auch in Berufswahlbroschüren vor- 54 Bärbel Kracke et al. kommen und in den Skalen Berufsbezogenes Wissen und Berufsbezogene Unsicherheit aufgegriffen wurden. Die Items ließen sich in einer Faktorenanalyse mit Varimax-Rotation bis auf eins („Lösung meiner Probleme und Schwierigkeiten, mich für einen Beruf zu entscheiden“) vier latenten Dimensionen zuordnen. Die erste Dimension bildete mit sechs Items Inhalte ab, die konkrete auf spezifische Ausbildungsmöglichkeiten abzielende Informationen boten. Dazu gehörten Informationen darüber, (1) wie Bewerbungen geschrieben werden, (2) das Verhalten in Vorstellungsgesprächen, (3) wo freie Lehrstellen zu finden sind, (4) wie man an einen Ausbildungsplatz kommt, (5) wie im angestrebten Beruf Familie und Berufstätigkeit zu vereinbaren sind und (6) Zukunftschancen im angestrebten Beruf. Die Skala Spezifische Berufsinformationen hatte ein zufriedenstellend hohes Alpha von .82. Die zweite Dimension erfasste mit vier Items generelle Informationen über Berufe, wie (1) verschiedene Berufe allgemein, (2) Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen in verschiedenen Berufen, (3) Anforderungen in verschiedenen Berufen und (4) Beschäftigungsaussichten. Diese Skala Allgemeine Berufsinformationen wies angesichts ihrer Kürze ein hohes Alpha von .71 auf. Die dritte Dimension sprach mit vier Items Selbstkonzeptbezogene Informationen wie (1) eigene berufliche Fähigkeiten, (2) berufliche Interessen, (3) individuell passende Berufe und (4) individuell empfehlenswerte Berufe an und hatte ein Alpha von .74. Die vierte Dimension umfasste zwei Items, die sich auf Studienmöglichkeiten bezogen: (1) Ausbildungswege/ Studienmöglichkeiten/ Fachschulen, (2) wo man das gewünschte Studienfach studieren kann. Diese beiden Items korrelieren zu .58 und konnten daher zu einer Kurzskala Studienbezogene Informationen zusammengefasst werden. Die Antwortmöglichkeiten für die Items zu den Inhalten der Informationssuche waren (1) = nein, (2) = ein wenig und (3) = ja. Ergebnisse Bevor die Fragen zum Zusammenhang zwischen dem Stand in der Berufswahl und der berufsbezogenen Exploration, welche die vorliegende Studie motiviert haben, beantwortet werden, sollen kurz einige Berufswahl bezogene Merkmale der Stichprobe, die deskriptiven Merkmale der verwendeten Skalen sowie mögliche Alters- und Geschlechtsunterschiede dargestellt werden. Das ermöglicht einen allgemeinen Eindruck vom Stand der Berufswahl und vom Explorationsverhalten in der untersuchten Gruppe von Gymnasiasten der neunten und zehnten Jahrgangsstufe. Obgleich 98.8 Prozent der befragten Jugendlichen zumindest einen beruflichen Bereich angaben, den sie gegenwärtig für sich in Erwägung zogen, gab, wie Tabelle 1 zeigt, in Bezug auf den subjektiven Eindruck über die Zielerreichung der Entwicklungsaufgabe Berufswahl nur die Hälfte der Jugendlichen an, bereits schon eher zu wissen, was sie einmal beruflich machen wollten und wie sie dieses Ziel erreichen könnten, während die andere Hälfte noch nicht so weit war (52 % sagten, sie hätten das Ziel zu T1 T2 M (SD) n M (SD) n Berufswahlstatus Berufszielsicherheit 2.46 (.73) 107 2.74 (.68) 100 Berufswahlbezogene Unsicherheit 2.56 (.61) 109 2.35 (.54) 101 Informationssuche Anzahl explorierter Berufe 2.48 (1.55) 91 Allgemeine Berufsbezogene Information 2.32 (.55) 104 Spezifische Berufsbezogene Information 1.56 (.51) 104 Selbstkonzeptbezogene Information 2.21 (.56) 104 Studienbezogene Information 2.06 (.67) 104 Tabelle 1: Mittelwerte und Standardabweichungen für den Berufswahlstatus und das berufsbezogene Explorationsverhalten Stand der Berufswahl 55 wissen, welchen Beruf sie später einmal haben wollten, etwas oder schon voll erreicht). Ähnlich verhielt es sich mit der Unsicherheit über Informationsquellen und Ausbildungswege und das berufsbezogene Wissen. Der beobachtete Mittelwert liegt nahe bei dem Skalenmittelwert von 2.5, was darauf hinweist, dass etwa die Hälfte der befragten Jugendlichen zu mehr und die andere Hälfte zu weniger Unsicherheit tendiert. Die Jugendlichen informierten sich während des BIZ-Besuches im Mittel über etwa zwei bis drei Berufe. Sie suchten eher allgemeine berufsbezogene sowie Selbstkonzeptbezogene Informationen, seltener Studienbezogene und sehr selten spezifische berufsbezogene Informationen. Eine zweifaktorielle multivariate Varianzanalyse mit den Faktoren Alter und Geschlecht aller in Tabelle 1 genannten Aspekte der Berufwahl erbrachte weder signifikante Haupteffekte noch einen bedeutsamen Interaktionseffekt auf die hier untersuchten Aspekte des Berufswahlstatus und des Explorationsverhaltens. Somit befanden sich die hier untersuchten Jugendlichen trotz des Altersunterschieds im Mittel in etwa auf dem gleichen Niveau der Berufsorientierung. Ihre Daten können daher im Folgenden für die Beantwortung der Fragen in Bezug auf die Bedeutung der Zielerreichung für das Explorationsverhalten gemeinsam analysiert werden. (1) Unterscheiden sich Jugendliche in ihrer Informationssuche während des BIZ-Besuchs, je nachdem wie sicher sie sich in Bezug auf ihre Berufswahl sind? In Bezug auf die Anzahl der Berufe, über die sich die Jugendlichen während ihres BIZ- Aufenthaltes informierten, zeigten t-Tests für unabhängige Stichproben, dass sich die Jugendlichen nicht in der Anzahl der betrachteten Berufe unterschieden je nachdem, wie weit sie in ihrer Berufswahl fortgeschritten waren. Die sich in Bezug auf ihr Berufsziel Unsicheren schauten sich ebenso zwei bis drei Berufe näher an (M = 2.39, SD = 1.32) wie die sich ihres Berufsziels Sicheren (M = 2.58, SD = 1.74), t(87) = -.58, p = n.s. Weiterhin wurde betrachtet, ob sich die Art der Informationen, die die Jugendlichen je nach erreichtem Entwicklungsstand suchten, unterschied. Die vier unterschiedlichen Informationsbereiche (allgemeine Berufsinformationen, spezifische Berufsinformation, Selbstkonzeptbezogene Information, Studieninformationen) wurden zunächst einer multivariaten Varianzanalyse mit dem Faktor Berufszielsicherheit unterzogen, um zu überprüfen, ob sich die Jugendlichen generell in ihrer Informationssuche je nach Klarheit des beruflichen Ziels unterschieden. Tatsächlich wies ein signifikanter multivariater F-Wert auf Unterschiede in der Art der gesuchten Information in Abhängigkeit von der Sicherheit über das berufliche Ziel hin (Fmult (4,96) = 3.13, p < .05, eta-square = .12). Tabelle 2 zeigt die Ergebnisse der univariaten Varianzanalysen. Im Einzelnen zeigte sich, dass sich die Jugendlichen in Bezug auf die Studien bezogenen und die Selbstkonzept bezogenen Informationen nicht unterschieden, je nachdem wie weit M (SD) F df p eta 2 Berufsziel- Berufszielsicherheit sicherheit gering hoch (n = 47) (n = 54) Spezifische berufsbezogene Information 1.44 (.43) 1.66 (.55) 4.74 1,99 .05 .05 Allgemeine berufsbezogene Information 2.44 (.56) 2.23 (.54) 3.66 1,99 .10 .04 Selbstkonzeptbezogene Information 2.26 (.56) 2.17 (.57) .62 1,99 ns .01 Studienbezogene Information 2.00 (.65) 2.13 (.68) .95 1,99 ns .01 Tabelle 2: Unterschiede in der Art der im Berufsinformationszentrum gesuchten Information je nach Berufszielsicherheit. Mittelwerte, Standardabweichungen sowie F-Werte und aufgeklärte Varianz 56 Bärbel Kracke et al. sie bereits zu wissen meinten, was sie werden wollten. Hinsichtlich der allgemeinen und der spezifischen Berufsinformation zeigten sich jedoch Unterschiede, wobei der Unterschied in der allgemeinen Berufsinformation nur der Tendenz nach bedeutsam war. Es wurde deutlich, dass sich jene Jugendlichen, die schon weiter in ihrer Berufswahl waren, stärker für die ansonsten in der Stichprobe eher selten explorierten Informationsbereiche wie das Verfassen von Bewerbungen und das Verhalten in Bewerbungsgesprächen interessierten, während Jugendliche, die sich als noch nicht so weit fortgeschritten in ihrer Berufswahl betrachteten, dazu tendierten, häufiger allgemeine berufsbezogene Informationen wie Tätigkeiten und Anforderungen zu explorieren. Insgesamt wird deutlich, dass alle Jugendlichen, egal wie weit sie sich persönlich hinsichtlich ihrer Berufswahl fortgeschritten sahen, die Zeit im Berufsinformationszentrum nutzten, um sich über mehrere Berufe zu informieren. Dabei ist die Art der gesuchten Information unterschiedlich. Jugendliche, die schon besser wissen, wohin es beruflich gehen soll, suchen spezifischere Informationen, während die weniger orientierten Jugendlichen noch mehr Informationen über die Art der Tätigkeiten und die Anforderungen in bestimmten Berufen suchen. Allen Jugendlichen waren jedoch die Informationen wichtig, die sich auf die Passung von Berufen zum Selbstkonzept bezogen. (2) Profitieren Jugendliche in unterschiedlichem Maße von der Informationsgelegenheit je nachdem, wie sicher sie sich in Bezug auf ihre Berufswahl sind? Mit dem schulorganisierten BIZ-Besuch soll einerseits die Institution mit ihren Informationsangeboten kennengelernt werden. Die Jugendlichen sollen also im Nachhinein besser wissen, wie sie an bestimmte Informationen gelangen können. Auf der anderen Seite soll der BIZ-Besuch dazu dienen, die Jugendlichen konkret bezogen auf ihre Berufswahl weiterzubringen. Sie sollen also relevante Informationen mitnehmen, die sie sicherer machen in Bezug M (SD) Effekte Berufsziel- Berufsziel- Berufszielsicherheit T1 Zeit Berufszielsicherheit sicherheit sicherheit xZeit gering T1 hoch T1 (n=46) (n = 51) F df p eta-sq F df p eta-sq F df p sta-aq Berufswahlbezogene Unsicherheit T1 2.81 (.56) 2.37 (.55) Berufswahlbezogene Unsicherheit Berufswahlbezogene Unsicherheit T2 2.49 (.50) 2.22 (.54) 13.08 1,95 .001 .12 28.08 1,95 .001 .23 3.82 1,95 .05 .04 Berufszielsicherheit T1 1.80 (.40) 3.06 (.24) Berufszielsicherheit Berufszielsicherheit T2 2.50 (.69) 3.00 (.57) 120.77 1,95 .001 .56 25.49 1,95 .001 .21 35.77 1,95 .001 .27 Tabelle 3: Unterschiede in der Veränderung im Fortschritt der Berufsorientierung je nach Berufszielsicherheit zu Beginn des BIZ-Besuchs (T1). Mittelwerte, Standardabweichungen sowie F-Werte und aufgeklärte Varianzanteile Stand der Berufswahl 57 auf die Frage, welche Berufe zu ihnen aufgrund ihrer Inhalte passen könnten. Diese Berufswahlrelevanten Bereiche, in denen mit dem BIZ-Besuch bedeutsame Erfahrungen gemacht werden, sollten mit den Skalen Berufswahl bezogene Unsicherheit und durch die allgemeine Einschätzung, wie weit man das Ziel zu wissen, was man werden will, erreicht hat, abgebildet werden. Der Frage nach differenziellen Effekten des BIZ-Besuchs auf diese Aspekte der Berufsorientierung je nach Stand in der Berufswahl zu Beginn des Besuchs wurde mittels einer einfaktoriellen multivariaten Varianzanalyse mit Messwiederholung nachgegangen (Faktor Berufszielsicherheit). Es zeigten sich signifikante multivariate F-Werte für alle untersuchten Effekte, den Stand der Berufswahl (Fmult(2,94) = 61.95, p < .000), die Zeit (Fmult(2,94) = 20.87, p < .000) und die Interaktion zwischen Stand der Berufswahl und der Zeit (Fmult(2,94) = 17.76, p < .000) betreffend. Tabelle 3 zeigt die Mittelwerte der Skalen zu beiden Messzeitpunkten sowie die Ergebnisse der univariaten Varianzanalysen. Zunächst wird ein signifikanter Effekt des Status der Berufswahl zu Beginn des Besuchs im BIZ auf die berufsbezogene Unsicherheit und die Zielerreichung deutlich. Jugendliche, die zum ersten Erhebungszeitpunkt noch nicht wussten, was sie beruflich einmal machen wollten, zeigten sowohl vor als auch nach dem Informationsbesuch im BIZ eine höhere Berufswahlbezogene Unsicherheit (z.B. geringere Klarheit über eigene Interessen sowie Optionen des Ausbildungsmarktes) und insgesamt einen geringeren Grad der Zielerreichung. Dass sich die Jugendlichen zum ersten Messzeitpunkt im Grad der Zielerreichung bedeutsam unterschieden, liegt auf der Hand, da ja die Gruppeneinteilung, nach der der Faktor für die Varianzanalyse gebildet wurde, genau an dieser Variable erfolgte. Dass aber auch zum zweiten Messzeitpunkt bedeutsame Unterschiede bestanden, ist hingegen nicht trivial. Es zeigte sich, dass anfangs Verunsicherte durch diesen BIZ-Besuch nicht sofort auf den Stand in Fragen Berufswahl bereits weiter entwickelter Jugendlicher gebracht werden konnten. Ein Zeiteffekt ließ sich sowohl für den Grad der Zielerreichung als auch die berufswahlbezogene Unsicherheit verzeichnen. Für alle Jugendlichen, unabhängig von ihrem Fortschritt im Berufswahlprozess, verminderte sich die berufswahlbezogene Unsicherheit. In Bezug auf die Einschätzung über den Fortschritt im Berufswahlprozess ging dieser Effekt vor allem auf diejenigen zurück, die anfangs noch nicht wussten, was sie werden sollten. Die Frage nach differenziellen Entwicklungen beantwortet der Interaktionseffekt von Stand in der Berufswahl und Zeit. Die univariaten Varianzanalysen ergaben, dass die Jugendlichen je nach Stand in der Berufswahl sicherer wurden bzw. ihre berufswahlbezogene Unsicherheit signifikant abbauten. Offenbar profitierten Jugendliche, die sich zu Beginn des Besuchs des Berufsinformationszentrums unsicher waren, stärker von dem Besuch als in der Berufswahl bereits weiter Fortgeschrittene. Wie ein Blick auf die Mittelwerte zeigt, verringerten die anfangs deutlich unsicheren Jugendlichen ihre Unsicherheit durch den Besuch des BIZ und näherten sich fast dem Niveau an, auf dem die in der Berufswahl Fortgeschritteneren den BIZ-Besuch begonnen hatten. Diskussion Mit der vorliegenden Studie sollte überprüft werden, ob Jugendliche je nachdem, wie sicher sie sich über ihr berufliches Ziel waren, eine für alle gleichermaßen bereitgestellte Informationsmöglichkeit unterschiedlich nutzten und inwieweit sie davon jeweils profitierten. Indem eine genau definierte Informationssituation betrachtet wurde, war es möglich, die Art der gesuchten Information näher zu bestimmen. Damit können frühere Befunde, die allgemein gezeigt hatten, dass Jugendliche mit klareren beruflichen Zielen intensiver und jene ohne klare Ziele in geringerem Maße explorieren, spezifiziert und für die pädagogische Arbeit besser nutzbar gemacht werden. Es wurden Gymnasiasten neunter und zehnter Klassen vor und nach ihrem Besuch in einem Berufsinformationszentrum der Bundesagentur für Arbeit 58 Bärbel Kracke et al. nach ihren Erfahrungen mit Fragebögen befragt. Die Ergebnisse stellen eine Momentaufnahme von einem kleinen Teilstück in einem längerfristigen Orientierungsprozess dar. Obgleich für die meisten der untersuchten Jugendlichen die konkrete Entscheidung für eine Berufsausbildung oder ein Studium noch in einiger Ferne lag (98 % strebten das Abitur an und hatten somit noch 2 bis 3 Schuljahre vor sich), konnten fast alle der hier untersuchten Gymnasiasten der neunten und zehnten Klassen einen Beruf oder einen Beschäftigungsbereich angeben, den sie gegenwärtig für sich als Möglichkeit in Betracht zogen. Dies steht im Einklang mit den Befunden früherer Untersuchungen, dass Jugendliche ab der 9. Klasse schon ein erstes berufliches Selbstkonzept ausgebildet haben, das ihre Informationssuche vor allem in Bezug auf geschlechtskonforme und sozialprestigekonforme, aber auch in Bezug auf interessengeleitete Aspekte beeinflusst (Hartung et al., 2005; Gottfredson, 2002). Dennoch unterschieden sich die Jugendlichen in dem Ausmaß, wie sicher sie sich in dieser ersten Festlegung auf einen Bereich, der sie beruflich interessieren könnte, waren. Mit diesen Unterschieden in der subjektiven Sicherheit über das Ziel und die Art und Weise der Zielerreichung ging einher, dass sie sich zum Teil über unterschiedliche Dinge informierten. So waren es für die eher unsicheren Jugendlichen Informationen, die Anforderungen und Inhalte von Berufen betrafen. Wenn die Jugendlichen schon sicherer waren, für welchen Beruf sie sich interessierten, suchten sie Informationen, die beispielsweise den konkreten Bewerbungsprozess betrafen. Damit ergeben sich Hinweise auf die Gestaltung des Angebots für Jugendliche in der Berufswahl. Zu Beginn des Orientierungsprozesses sind Informationen vonnöten, die klären helfen, inwieweit eigene Interessen und Fähigkeiten in bestimmten Berufen realisierbar sind. Die Informationen über Berufe müssen also umfassend und anschaulich sein und die Gelegenheit zur individuellen Identifikation bieten. Später sind konkrete Hilfen gefragt, die das Verhalten beispielsweise in der Bewerbungssituation betreffen. Unsere Befunde zeigen, dass die Institution Berufsinformationszentrum der Unterschiedlichkeit in der Ausgangslage der Jugendlichen einigermaßen gerecht wird. Je nach Ausgangslage können unterschiedliche Informationen gesucht werden, was offenbar als Möglichkeit auch angenommen wird. Allerdings profitieren von dem Besuch stärker jene Jugendlichen, die sich zu Beginn über ihre Ziele noch unsicher waren. Für Jugendliche, die schon weiter in ihrer Berufswahl sind, bringt der Besuch nicht ganz so viel. Unter Umständen könnte man den Nutzen für alle optimieren, indem die Jugendlichen eingangs je nach Stand in ihrem Berufswahlprozess gezielt mit unterschiedlichen Informationen versorgt bzw. auf entsprechende Angebote hingewiesen werden. Dieser Stand der Berufswahl könnte vorbereitend in der Schule ermittelt werden, mit den Jugendlichen könnten individuelle Ziele für die Informationsveranstaltung erarbeitet werden, deren Erreichung wiederum in der Schule reflektiert werden könnte. Damit wäre es möglich, der in anderen Untersuchungen (vgl. Oechsle et al., 2007) formulierten Bedürfnisse von SchülerInnen nach einer Individualisierung der Berufswahlvorbereitung Rechnung zu tragen. In jedem Fall zeigen die hier ermittelten Befunde, dass auch von Jugendlichen mit unklarerer Zielperspektive eine Informationssituation aktiv genutzt wird, wenn Informationen für ihre Bedürfnisse bereitstehen. Über die Langfristigkeit der Erfolge des Besuchs des Berufsinformationszentrums kann leider keine Aussage gemacht werden. Direkt im Anschluss an den Besuch des Informationszentrums berichten die Jugendlichen zwar über signifikante Zuwächse in der Sicherheit in puncto Berufswahl, ob dieser Gewinn an Sicherheit aber langfristig ist und ob er ein vertieftes Nachdenken über Fragen der Berufswahl, weitere BIZ-Besuche oder Gespräche über die Berufswahl anregt, muss leider an dieser Stelle offen bleiben. Dieser Frage könnte in einer weiteren Untersuchung nachgegangen werden, die den gesamten Berufswahlprozess kleinschrittiger verfolgt und den mittelfristigen Folgen solcher besonderen Interventionen nachgeht. Stand der Berufswahl 59 Einschränkend muss gerade auch angesichts der zum Teil nur kleinen Effekte über die vorliegende Studie gesagt werden, dass vor allem subjektive Maße erhoben wurden. Damit ist nicht auf rein methodischer Ebene die Frage nach der Validität oder dem Bedarf nach einem weiteren, objektiveren Indikator angesprochen. Vielmehr verweist es auf die mögliche eigenständige Bedeutung subjektiver Sicherheitsgefühle im Berufswahlprozess. Es ist daran zu erinnern, dass ja praktisch alle Jugendlichen ein berufliches Betätigungsfeld für sich in Erwägung gezogen hatten und kein Unterschied hinsichtlich der Anzahl der explorierten Berufe bestand. Wir sehen dies als Anhaltspunkt dafür, dass die objektiven Unterschiede möglicherweise geringer ausfielen als die individuell empfundener Sicherheit, Letzteres aber entscheidend für die Suchstrategie sein mag. Damit wären die erfassten Variationen mehr als ein rein folgerichtiges Auffüllen von unterschiedlichen Informationsdefiziten und würden weitergehende Implikationen für die Arbeit in Schule und BIZ haben. Diese Überlegungen bleiben am gegebenen Punkt aber spekulativ und erfordern den Einbezug objektiver Maße zusätzlich zu den hier erfassten subjektiven in zukünftigen Forschungsbemühungen. Literatur Dreher, E. & Dreher, M. (1985). Entwicklungsaufgaben im Jugendalter. Bedeutsamkeit und Bewältigungskonzepte. In D. Liepmann & A. Stiksrud (Eds.), Entwicklungsaufgaben und Bewältigungsprobleme in der Adoleszenz (pp. 56 - 70). Göttingen: Hogrefe. Gottfredson, L. (2002). Gottfredson’s theory of circumscription, compromise, and self-creation. In Brown, D. (2002). 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Prof. Dr. Bärbel Kracke Dipl.-Psych. Nadja Olyai Fachgebiet Psychologie Professur für Entwicklungs- und Erziehungspsychologie Universität Erfurt Nordhäuser Str. 63 D-09089 Erfurt Dipl.-Psych. Jenny Wesiger Loderstr. 1 D-07743 Jena 60 Bärbel Kracke et al.