eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 55/2

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2008
552

Die Entwicklung des schulischen Fähigkeitsselbstkonzepts bei Primarschulkindern mit einer Lehrernomination als hochbegabt

41
2008
Liliane Schulthess-Singeisen
Markus P. Neuenschwander
Walter Herzog
Hochbegabte Kinder weisen im Vergleich zu durchschnittlich begabten Kindern ein höheres schulisches Fähigkeitsselbstkonzept auf. Zur Prüfung dieser These wurde anhand einer quasi-experimentellen Längsschnittuntersuchung bei Primarschulkindern mit und ohne Lehrernomination „hochbegabt“ die Entwicklung des schulischen Fähigkeitsselbstkonzepts und des globalen Selbstwerts in Abhängigkeit ihrer Intelligenz analysiert. Auf dem Hintergrund des Eccles-Modells zum schulischen Leistungshandeln (Wigfield & Eccles, 2000) wurden spezifische Entwicklungsmuster des Selbstkonzepts in Abhängigkeit einer Lehrernomination als hochbegabt und der Intelligenz vermutet. Unabhängig vom Intelligenztestergebnis wiesen alle nominierten Kinder ein höheres schulisches Fähigkeitsselbstkonzept auf und erhielten positivere Einschätzungen ihrer Fähigkeiten. Das Wissen um die Intelligenzidentifikation hatte weder bei den Eltern noch bei den Lehrern einen Einfluss auf die Entwicklung der Einschätzung der Kinder mit hochbegabtenspezifischen Verhaltensmerkmalen. Die Ergebnisse belegen die hohe Bedeutung, die die Beurteilungen signifikanter Bezugspersonen sowohl für die Selbstkonzeptentwicklung als auch bei der Hochbegabungsnomination haben.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2008, 55, 143 - 151 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Schulische Fähigkeitsselbstkonzepte gelten als wichtiges Bindeglied zwischen Fähigkeitspotenzialen und Leistungsäußerungen. Vergleichsstudien zum Selbstkonzept von hoch- und durchschnittlich begabten Kindern zeigen, dass diejenigen Hochbegabten, die ihre Leistungsfähigkeit im schulischen Umfeld umsetzen können, über ein deutlich positiveres schulisches Die Entwicklung des schulischen Fähigkeitsselbstkonzepts bei Primarschulkindern mit einer Lehrernomination als hochbegabt Liliane Schulthess-Singeisen Markus P. Neuenschwander Walter Herzog Universität Bern Universität Zürich Universität Bern Development of Academic Self-Concept of Primary School Children Nominated as Gifted by their Teachers Summary: Gifted children report a higher academic self-concept compared with children of average talents. To test this hypothesis we examined by a quasi-experimental design the academic selfconcept and global self-esteem of primary school children with different intelligence scores but all nominated by teachers as gifted. Wigfield & Eccles (2000) emphasized the evaluations of others as a mediatonale variable on students self-concept as on their achievement. So parents and teachers also rated their children’s abilities and self-esteem. Independent of students’ intelligence scores, children with teacher nominations as gifted expressed a higher academic self-concept and received better evaluations than the control students. The identification of giftedness by psychometric testing did not influence parents’ nor teachers’ descriptions of gifted behaviour characteristics of the children. The results illustrate the significance of evaluative labeling by significant others to the development of self-concept and also to the nomination of giftedness. Keywords: Academic self-concept, giftedness, teacher nomination, parent evaluations, primary school children Zusammenfassung: Hochbegabte Kinder weisen im Vergleich zu durchschnittlich begabten Kindern ein höheres schulisches Fähigkeitsselbstkonzept auf. Zur Prüfung dieser These wurde anhand einer quasi-experimentellen Längsschnittuntersuchung bei Primarschulkindern mit und ohne Lehrernomination „hochbegabt“ die Entwicklung des schulischen Fähigkeitsselbstkonzepts und des globalen Selbstwerts in Abhängigkeit ihrer Intelligenz analysiert. Auf dem Hintergrund des Eccles-Modells zum schulischen Leistungshandeln (Wigfield & Eccles, 2000) wurden spezifische Entwicklungsmuster des Selbstkonzepts in Abhängigkeit einer Lehrernomination als hochbegabt und der Intelligenz vermutet. Unabhängig vom Intelligenztestergebnis wiesen alle nominierten Kinder ein höheres schulisches Fähigkeitsselbstkonzept auf und erhielten positivere Einschätzungen ihrer Fähigkeiten. Das Wissen um die Intelligenzidentifikation hatte weder bei den Eltern noch bei den Lehrern einen Einfluss auf die Entwicklung der Einschätzung der Kinder mit hochbegabtenspezifischen Verhaltensmerkmalen. Die Ergebnisse belegen die hohe Bedeutung, die die Beurteilungen signifikanter Bezugspersonen sowohl für die Selbstkonzeptentwicklung als auch bei der Hochbegabungsnomination haben. Schlüsselbegriffe: Schulisches Fähigkeitsselbstkonzept, Hochbegabung, Lehrernomination, Elterneinschätzung, Primarschulkinder 144 Liliane Schulthess-Singeisen et al. Fähigkeitsselbstkonzept und damit verbunden meist auch über einen höheren globalen Selbstwert verfügen (Colangelo & Assouline, 1995). Diese höhere Ausprägung wird vorwiegend mit den guten Schulleistungen und den damit verbundenen positiven Rückmeldungen erklärt (Marsh, 1986, 1987). In Selbstkonzeptdimensionen, die sich auf den außerschulischen Bereich beziehen, unterscheiden sie sich hingegen nicht konsistent von durchschnittlich begabten Schülerinnen und Schülern (Schilling, 2003). Das Modell von Eccles et al. (1983) postuliert, dass Unterschiede im Fähigkeitsselbstkonzept vor allem auf unterschiedliche Erwartungen und Werte zentraler Bezugspersonen wie Eltern und Lehrpersonen zurückzuführen sind. So konnten aufgrund der Leistungsfähigkeit der Kinder in Elternsicht sowohl die kindliche Selbsteinschätzung als auch das effektive Leistungshandeln vorhergesagt werden (Frome & Eccles, 1998; Eccles, 2003). Lehrererwartungen und Lehrernominationen spielen bei der Zuweisung von Schülerinnen und Schülern zu Förderprogrammen für Hochbegabte häufig eine wichtige Rolle. Unabhängig von der Feststellung, dass Lehrernominationen nur bedingt zur Identifizierung hochbegabter Kinder geeignet sind (Wild, 1993), werden durch die Nomination „hochbegabt“ Lehrerfähigkeitszuschreibungen für alle Beteiligten manifest, und es ist daher anzunehmen, dass diese Fähigkeitsfremdeinschätzungen Auswirkungen auf das Selbstkonzept der betroffenen Kinder haben (Cole, Maxwell & Martin, 1997). Untersuchungen belegen, dass Lehrereinschätzungen der Fähigkeiten des Kindes sowohl die Einschätzung der Mutter als auch die Selbsteinschätzung des Kindes beeinflussen (Eccles, 2003; Tiedemann, 2000). Dieser Beitrag greift einerseits die Frage nach der Entwicklung des Selbstkonzepts in Abhängigkeit von der Begabung auf, andererseits interessiert, ob sich in den Einschätzungen der schulischen Fähigkeiten von Kindern durch signifikante Bezugspersonen hochbegabtenspezifische Unterschiede ausmachen lassen, was auf dem Hintergrund der hohen Bedeutung von Fremdeinschätzungen (z. B. Lehrernomination, Checklisten) bei der Zuweisung von Kindern zu Begabungsförderprogrammen von eminent praktischer Bedeutung ist. Frage 1 fokussiert die Entwicklung des Fähigkeitsselbstkonzepts und des globalen Selbstwerts bei hochbegabten Kindern im Vergleich einerseits zu lehrernominierten Kindern, die nicht als hochbegabt identifiziert worden sind und daher für ein Förderprogramm abgelehnt wurden, und andererseits zu Kindern einer zufällig ausgewählten Kontrollgruppe. Hypothese 1: Ausgehend vom Eccles-Modell vermuten wir, dass unabhängig einer allfälligen Hochbegabung alle Kinder mit der Lehrernomination „hochbegabt“ über ein positiveres Fähigkeitsselbstkonzept und einen höheren globalen Selbstwert verfügen. Hingegen erwarten wir aufgrund sozialer Zuschreibungsprozesse, dass sich nach der Identifikation von Hochbegabung basierend auf Intelligenztests in der Selbstkonzeptentwicklung mit zunehmendem Alter Gruppenunterschiede (insbes. Hochbegabte vs. Nicht-Hochbegabte) abbilden werden. Frage 2 greift die Eltern- und Lehrereinschätzungen der schulischen Fähigkeiten und des Selbstwerts der Kinder auf. Hypothese 2: Analog zu der in Frage 1 beschriebenen Hypothese erwarten wir auch bei den Eltern- und Lehrerbeurteilungen keine hochbegabtenspezifische, sondern nominationsabhängige Unterschiede. Unter der Annahme vermuteter Etikettierungsprozesse (Hoge & Renzulli, 1993) sollten sich jedoch die Eltern- und Lehrereinschätzungen nach der Hochbegabungsidentifikation unterschiedlich entwickeln. Frage 3 thematisiert, ob Eltern und Lehrpersonen bei der Einschätzung der Kinder mit als für Hochbegabte charakteristisch geltenden Verhaltensmerkmalen zwischen hoch und durchschnittlich begabten Kindern differieren. Nach Buch, Sparfeldt & Rost (2006) unterscheiden sich Elterneinschätzungen lediglich in den Aspekten der kognitiven Entwicklung konsistent zwischen hoch und durchschnittlich begabten Grundschulkindern. Hypothese 3: Kinder mit einer Lehrernomination „hochbe- Primarschulkinder mit Lehrernomination „hochbegabt“ 145 gabt“ unterscheiden sich in den für Hochbegabte spezifischen Verhaltensweisen je nach Intelligenz nicht. Wir nehmen jedoch an, dass nach der psychometrischen Hochbegabungsidentifikation diese Zuschreibungen bei den falsch nominierten Kindern, v.a. hinsichtlich kognitiver Aspekte, mit der Zeit abnehmen. Obwohl zurzeit multiple Hochbegabungskonzeptionen favorisiert werden (Heller, 2004), wird Hochbegabung in diesem Beitrag analog zur Hochbegabungskonzeption der Marburger- Studie (Rost, 2000) als hohe Intelligenzleistung (IQ ≥ 130) verstanden. Methode Stichprobe und Design Die vorliegende Untersuchung steht im Kontext eines Schulversuchs zur Förderung hochbegabter Kinder (Februar 2000 bis Juli 2003). Die Stichprobe setzte sich aus der (vorselektionierten) Gruppe der Kinder mit einer Lehrernomination hochbegabt sowie einer zufällig ausgewählten Kontrollgruppe zusammen. Versuchspersonen waren 314 Schülerinnen und Schüler (124 Mädchen, 190 Jungen) aus zweiten bis siebten Klassen (2. - 4. Klasse: N = 155 und 5. - 7. Klasse: N = 159) aus dem Kanton Bern, Schweiz. Das Alter der Kinder lag zwischen 7 und 13 Jahren (M = 10.2 Jahre). Die Stichprobe wurde in vier Intelligenzgruppen unterteilt: (1) Kinder mit hoher Intelligenz, die in ein Förderprogramm für hochbegabte Kinder aufgenommen wurden (IQ ≥ 130, N = 113). (2) Überdurchschnittlich intelligente lehrernominierte Kinder, deren Aufnahme in das Förderprogramm abgelehnt wurde (130 ≤ IQ ≤ 115, N = 72). (3) Durchschnittlich intelligente lehrernominierte Kinder mit einer Ablehnung in das Förderprogramm (115 ≤ IQ ≤ 85, N = 37). (4) Die Kontrollgruppe, die aus fünf zufällig ausgewählten Schulklassen ohne Bezug zu begabungsfördernden Maßnahmen (N = 92) bestand. Mittels Fragebogen wurden zu drei Messzeitpunkten (t 1: Januar/ Februar 2001, t 2: Mai/ Juni 2001, t 3: Januar/ Februar 2002) Selbsteinschätzungen der Kinder sowie Einschätzungen ihrer Eltern und Klassenlehrpersonen zum schulischen Fähigkeitsselbstkonzept bzw. zu den schulischen Fähigkeiten, zum globalen Selbstwert und zu Verhaltensmerkmalen hochbegabter Kinder (nur t 1 und t 3) erhoben. Instrumente und Durchführung Das schulische Fähigkeitsselbstkonzept und der globale Selbstwert wurden anhand der beiden Faktoren „Schulisches Fähigkeitsselbstkonzept“ (Neuenschwander et al., 1998) und „Globaler Selbstwert“ (Buff, 1991) erfasst. Die Items wurden auf einer vierstufigen Antwortskala beantwortet (1: stimmt gar nicht, 2: stimmt eher nicht, 3: stimmt eher, 4: stimmt genau). Der Faktor „Schulisches Fähigkeitsselbstkonzept (FSK)“ (fünf Items) zeigte gute Reliabilitätswerte (Cronbach’s Alpha) (bei t 1; Kinder: a = .77, M = 3.64, SD=.40, N=297; Eltern: a = .91, M = 3.65, SD = .52, N = 309; Lehrpersonen: a = .94, M = 3.49, SD = .68, N = 280). Beim Faktor „Globaler Selbstwert (SW)“ (drei Items) war die Reliabilität akzeptabel (bei t1; Kinder a = .52, M = 3.43, SD = .52, N = 297; Eltern t 1: a = .69, M = 3.18, SD = .5, N = 309; Lehrpersonen t 1 a = .74, M = 3.09, SD = .62, N= 277). Die Faktorenlösung war über alle drei Messzeitpunkte sowie über die Stichproben Kinder, Eltern und Lehrer stabil. Die erklärte Varianz der Faktorenanalyse betrug bei den Eltern pro Messzeitpunkt 72 % bis 74 %, bei den Lehrpersonen zwischen 77 % und 78 % und bei den Kindern 59 % bis 66 %. Die innere Konsistenz der Faktoren blieb über alle drei Messzeitpunkte vergleichbar. Die Intelligenz wurde mittels des HAWIK-III erhoben. Nach Schlagheck & Petermann (2006) kann der HAWIK-III trotz bekanntem Deckeneffekt in der Hochbegabtendiagnostik eingesetzt werden. Zur Einschätzung von als charakteristisch geltenden Hochbegabungsmerkmalen wurden Eltern und Lehrpersonen zum ersten und dritten Messzeitpunkt drei Skalen des für den Schulversuch des Kantons Bern adaptierten Fragebogens „Skalen zur Bewertung von Verhaltensmerkmalen überdurchschnittlich fähiger Schülerinnen und Schüler“ (Renzulli et al., 1976, dt. Übers. Rogalla, 1999) vorgelegt. Die Items wurden auf einer sechsstufigen Antwortskala beantwortet (1: nie, 2: sehr selten, 3: selten, 4: manchmal, 5: oft, 6: immer). Faktorenanalytisch bestätigt wurden die drei Faktoren „Intellektuelles Verhalten“, „Kreativität“ und „Durchhaltevermögen“, gegenüber der Originalversion jedoch in reduzierter Form, weil Items mit hohen Nebenladungen ausgeschlossen wurden (Itemanzahl pro Faktor entspricht 5 bis 7, statt ursprünglich 9 bis 11). Die Dreidimensionalität der erhaltenen Konstrukte bestätigte sich vor allem für die Lehrpersonen recht gut (aufgeklärte Varianz Lehrpersonen für beide Messzeitpunkte R 2 = 74 %, Eltern t 1: R 2 = 58 %, t 3: R 2 = 59 %). 146 Liliane Schulthess-Singeisen et al. Der Faktor „Intellektuelles Verhalten“ (fünf Items) zeigte eine gute interne Konsistenz (bei t 1; Lehrpersonen: a = .95, M = 4.72, SD = .87, N = 279; Eltern a = .91, M = 4.89, SD = .66, N = 308). Beim Faktor „Kreativität“ (fünf Items) waren die Reliabilitätswerte bei den Lehrpersonen deutlich höher als bei den Eltern (bei t 1; Lehrpersonen: a = .85, M = 4.39, SD = .77, N = 279; Eltern: a = .67, M = 4.79, SD = .55, N = 307). Der Faktor „Durchhaltevermögen“ (sieben Items) wies hohe Reliabilitätswerte auf (bei t 1; Lehrpersonen: a = .93, M = 4.86, SD = .79, N = 278; Eltern: a = .85, M = 4.87, SD = .63, N = 306). Die Erhebungen erfolgten bei Eltern (E) und Lehrpersonen (L) postalisch. Die Kinder wurden teilweise während des Unterrichts (Kinder mit hoher Intelligenz, Kontrollgruppe) befragt, teilweise postalisch (Abgelehnte Kinder mit überdurchschnittlicher und durchschnittlicher Intelligenz). Ergebnisse (1) Entwicklung von schulischem Fähigkeitsselbstkonzept und globalem Selbstwert Zur Überprüfung der Hypothese 1 wurde für die Entwicklung der abhängigen Variablen schulisches Fähigkeitsselbstkonzept und globaler Selbstwert eine multivariate Varianzanalyse mit dem Faktor Intelligenzgruppe (Hohe Intelligenz, Überdurchschnittliche Intelligenz, Durchschnittliche Intelligenz, Kontrollgruppe) und dem Faktor Zeit (t1, t2, t3) durchgeführt. Diese Varianzanalyse wurde getrennt für die drei Datenquellen Kind, Eltern, Lehrer berechnet. In der Längsschnittsauswertung der Lehrerdaten konnte nur der Verlauf vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt untersucht werden, da viele Kinder (N = 158) nach dem zweiten Messzeitpunkt einen Lehrerwechsel hatten. Tabelle 1 stellt die Mittelwertsverteilung pro Gruppenvergleich und Datenquelle dar. In Bezug auf das schulische Fähigkeitsselbstkonzept war ein signifikanter Intelligenzgruppeneffekt (F(3, 210) = 36.6, p < .001, η 2 = .34) sichtbar. Dabei wiesen alle nominierten Kinder im Vergleich zur Kontrollgruppe ein signifikant höheres schulisches Fähigkeitsselbstkonzept auf (Scheffé, p < .001). Über die Zeit hinweg blieb Überdurchschn. Int.: Überdurchschnittliche Intelligenz, Durchschn. Int.: Durchschnittliche Intelligenz; t 1 : erster Messzeitpunkt, t 2 : zweiter Messzeitpunkt, t3: dritter Messzeitpunkt Tabelle 1: Schulisches Fähigkeitsselbstkonzept und globaler Selbstwert: Mittelwerte und Standardabweichungen (in Klammern) der Datenquellen (Kinder, Eltern und Lehrpersonen) pro Messzeitpunkt und Intelligenzgruppe Fähigkeits- Kinder Eltern Lehrpersonen selbstkonzept N t1 t2 t3 N t1 t2 t3 N t1 t2 Hohe Intelligenz 60 3.78 (.28) 3.76 (.30) 3.74 (.29) 57 3.91 (.22) 3.85 (.28) 3.82 (.29) 68 3.80 (.34) 3.78 (.37) Überdurchschn. Int. 53 3.81 (.28) 3.83 (.25) 3.83 (.26) 60 3.86 (.26) 3.84 (.25) 3.79 (.31) 48 3.79 (.27) 3.76 (.34) Durchschn. Int. 24 3.86 (.17) 3.78 (.28) 3.80 (.24) 28 3.80 (.34) 3.72 (.37) 3.57 (.42) 20 3.80 (.34) 3.69 (.35) Kontrollgruppe 77 3.39 (.41) 3.39 (.41) 3.35 (.46) 54 3.23 (.58) 3.14 (.62) 3.13 (.61) 88 2.93 (.83) 2.90 (.87) Selbstwert Kinder Eltern Lehrpersonen N t1 t2 t3 N t1 t2 t3 N t1 t2 Hohe Intelligenz 60 3.39 (.54) 3.46 (.60) 3.52 (.45) 57 3.22 (.64) 3.20 (.54) 3.29 (.55) 68 3.16 (.54) 3.20 (.56) Überdurchschn. Int. 53 3.49 (.49) 3.57 (.49) 3.66 (.45) 60 3.18 (.53) 3.20 (.66) 3.35 (.57) 48 3.27 (.59) 3.28 (.48) Durchschn. Int. 24 3.78 (.21) 3.64 (.54) 3.61 (.46) 28 3.25 (.56) 3.23 (.69) 3.25 (.58) 20 3.08 (.63) 3.17 (.57) Kontrollgruppe 77 3.26 (.57) 3.32 (.57) 3.40 (.59) 54 3.26 (.56) 3.14 (.61) 3.09 (.62) 88 2.84 (.65) 3.01 (.69) Primarschulkinder mit Lehrernomination „hochbegabt“ 147 das schulische Fähigkeitsselbstkonzept in allen Intelligenzgruppen stabil. Die beobachteten Selbstkonzeptunterschiede beziehen sich also hypothesengemäß nicht auf die Intelligenz oder auf die Hochbegabung, sondern auf die Lehrernomination. In Bezug auf den globalen Selbstwert zeigten die abgelehnten Schülerinnen und Schüler einen deutlich höheren Selbstwert als die Kinder der Kontrollgruppe (F(3, 210) = 5.8, p < .001, η 2 = .08; Scheffé: B > D: p < .05; C > D: p < .01). Diese Kinder scheinen sich recht wohl zu fühlen und können, wie angesichts der Lehrernomination „hochbegabt“ zu vermuten ist, ihr Leistungspotenzial schulisch gut umsetzen. Da über die Zeit keine Veränderung sichtbar wurde, ist anzunehmen, dass das negative Selektionsergebnis bei den abgelehnten Kindern keinen Selbstwerteinbruch zur Folge hatte, obwohl dies im Rahmen von Selektionsentscheiden oft befürchtet wird. Bei den Kindern mit hoher Intelligenz ließen sich im Vergleich zur Kontrollgruppe keine statistisch bedeutsamen Unterschiede feststellen, dies in Übereinstimmung mit der These, wonach in außerschulischen Facetten des Selbstkonzepts hochbegabte Kinder keine spezifische Gruppe darstellen (Rost & Hanses, 2000). (2) Einschätzungen von Eltern und Lehrpersonen In der Analyse der Entwicklung der Einschätzungen der schulischen Fähigkeiten und des globalen Selbstwerts durch Eltern und Lehrer (Hypothese 2) überprüften wir zuerst die Übereinstimmung der Wahrnehmung zwischen Eltern, Lehrpersonen und Kindern. Die Einschätzungen der Kinder korrelierten erwartungsgemäß stärker mit denjenigen der Eltern als mit denjenigen der Lehrpersonen. Dabei fielen die Einschätzungen von Eltern, Lehrern und Kindern zu den schulischen Fähigkeiten übereinstimmender aus als ihre Beurteilung des globalen Selbstwerts (Pearson bei t 1 : FSK: K - E = .67, K - L = .66, E - L = .80; SW: K - E = .37, K - L= .31, E - L = .24; jeweils p < .01). Auffallend ist die hohe Korrelation der Eltern- und Lehrerurteile zu den schulischen Fähigkeiten der Kinder. Grundsätzlich war der bei den Kindern beobachtete Nominationseffekt auch bei den Einschätzungen der Eltern und Lehrpersonen sichtbar. Alle Kinder mit der Lehrernomination „hochbegabt“ wurden unabhängig von ihrer Intelligenz in Bezug auf ihre schulischen Fähigkeiten signifikant positiver beurteilt als die Kontrollgruppenkinder (Eltern: F(3, 195) = 42.6, p < .001, η 2 = .40; Lehrpersonen: F(3, 220) = 39.5, p < .001, η 2 = .35; Scheffé jeweils p < .001). Das im Eccles-Modell formulierte Zusammenspiel von Erwartungen von Eltern und Lehrpersonen bezüglich des schulischen Leistungshandelns der Kinder scheint in hohem Ausmaß verwirklicht zu sein. In Bezug auf die Einschätzung des globalen Selbstwerts zeigte sich nur bei den Lehrpersonen ein Intelligenzgruppeneffekt (F(3, 220) = 5.2, p < .01, η 2 = .07) bei den Eltern hingegen nicht. So schrieben Lehrpersonen den Kindern mit hoher Intelligenz (Scheffé p < .05) und jenen mit überdurchschnittlicher Intelligenz (Scheffé p < 0.01) einen deutlich größeren Selbstwert zu als den Kontrollgruppenkindern. Der Perspektivenvergleich von Kindern, Eltern und Lehrpersonen, berechnet mit einer dreifaktoriellen Varianzanalyse mit den Faktoren Datenquelle (Kind, Eltern, Lehrer), Intelligenzgruppe (Hohe Intelligenz, Überdurchschnittliche Intelligenz, Durchschnittliche Intelligenz, Kontrollgruppe) und Zeit (t1, t2), ergab, dass die Lehrpersonen die schulischen Fähigkeiten der Kinder tiefer einschätzten als die Kinder selbst oder deren Eltern (F(2, 157) = 4.4, p < .05, η 2 = .05; Scheffé je Messzeitpunkt und Paarvergleich p < .01). Zusätzlich gab es innerhalb der Intelligenzgruppen signifikant unterschiedliche Einschätzungen zwischen den drei Perspektiven (F(6, 312) = 6.6, p < .001, η 2 = .12). So fielen die Elterneinschätzungen bei den hoch- und überdurchschnittlich intelligenten Kindern generell höher aus als die Selbstbeurteilung der Kinder (vgl. Tabelle 1). Bei der Gruppe der nominierten Kinder mit durchschnittlicher Intelligenz und bei der Kontrollgruppe schrieben die 148 Liliane Schulthess-Singeisen et al. Eltern den Kindern jedoch tiefere Fähigkeiten zu (Kinder mit durchschnittlicher Intelligenz: Eltern M = 3.76, Kinder M = 3.83; Kontrollgruppe: Eltern M = 3.13, Kinder M = 3.34). Generell sanken die Einschätzungen der schulischen Fähigkeiten mit der Zeit bei allen befragten Gruppen (F(1, 158) = 6.1, p < .05, η 2 = .04), was übereinstimmend mit der Literatur mit der zunehmenden Differenzierung durch Erfahrungen und Rückmeldungen erklärt wird. Der globale Selbstwert wurde von den Kindern generell positiver eingeschätzt als von den Erwachsenen (F(2, 157) = 42.7, p < .001, η 2 = .35, Vergleich K > E, K > L, Scheffé p < .001). Auch hier divergierten je nach Intelligenzgruppe die Beurteilungen von Eltern, Lehrpersonen und Kindern (F(6, 312) = 2.28, p < .05, η 2 = .04). Am deutlichsten war dies in der Gruppe der durchschnittlich intelligenten, abgelehnten Kinder festzustellen. Dort waren die Einschätzungen der Kinder deutlich höher als diejenigen der Eltern und der Lehrpersonen (Vergleich K > E, K > L, Scheffé p < .001). Bei Eltern und Kindern blieben die Einschätzungen des globalen Selbstwerts zwischen den Messzeitpunkten stabil; nur bei den Einschätzungen der Lehrpersonen stieg sie mit der Zeit an (F(1, 220) = 5.8, p < .05, η 2 = .03). (3) Zuschreibung hochbegabter Verhaltensmerkmale Um den Prozess der Hochbegabungsnomination besser zu verstehen, untersuchten wir in Frage 3, ob die den Kindern zugeschriebenen Hochbegabungsmerkmale von Lehrpersonen und Eltern je nach Intelligenzgruppe unterschiedlich ausfallen. Die Auswertung der Zuschreibungen von als für Hochbegabte charakteristisch geltenden Verhaltensmerkmalen durch Eltern und Lehrpersonen erfolgte beim ersten und dritten Messzeitpunkt (t1, t3) durch eine zweifache Varianzanalyse mit den Faktoren Intelligenzgruppe (Hohe Intelligenz, Überdurchschnittliche Intelligenz, Durchschnittliche Intelligenz, Kontrollgruppe) und Datenquelle Tabelle 2: Einschätzungen hochbegabter Verhaltensmerkmale durch Eltern und Lehrpersonen zu zwei Messzeitpunkten (t 1 und t 3 ): Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD, in Klammern) pro Faktor und Intelligenzgruppe Eltern t 1 Lehrer t 1 Eltern t 3 Lehrer t 3 N M (SD) M (SD) N M (SD) M (SD) Intellektuelle Hohe Intelligenz 100 5.18 (.47) 5.02 (.53) 49 5.18 (.44) 4.95 (.56) Merkmale Überdurchschnittliche Intelligenz 60 5.11 (.49) 5.10 (.54) 48 5.12 (.43) 5.04 (.55) Durchschnittliche Intelligenz 26 4.98 (.43) 4.86 (.62) 19 4.96 (.52) 5.00 (.64) Kontrollgruppe 83 4.32 (.72) 4.08 (1.08) 66 4.49 (.77) 4.30 (.92) Kreative Hohe Intelligenz 99 4.86 (.50) 4.59 (.61) 49 4.80 (.50) 4.49 (.84) Merkmale Überdurchschnittliche Intelligenz 60 4.94 (.55) 4.76 (.63) 48 4.88 (.59) 4.62 (.64) Durchschnittliche Intelligenz 26 4.68 (.69) 4.12 (.69) 21 4.81 (.50) 4.39 (.71) Kontrollgruppe 83 4.62 (.51) 4.01 (.85) 66 4.63 (.52) 4.34 (.61) Durchhalte- Hohe Intelligenz 99 4.97 (.55) 5.02 (.66) 49 4.97 (.58) 4.89 (.81) vermögen Überdurchschnittliche Intelligenz 59 4.96 (.56) 5.12 (.62) 48 4.91 (.63) 4.99 (.61) Durchschnittliche Intelligenz 26 5.02 (.66) 4.90 (.76) 21 5.19 (.62) 5.22 (.62) Kontrollgruppe 82 4.57 (.71) 4.56 (.89) 66 4.67 (.62) 4.60 (.64) Primarschulkinder mit Lehrernomination „hochbegabt“ 149 (Eltern, Lehrer). Bei den Elterneinschätzungen war zusätzlich eine Verlaufsanalyse über diese beiden Messzeitpunkte möglich, während eine solche bei den Lehrpersonen aufgrund des häufigen Lehrerwechsels nach dem zweiten Messzeitpunkt (t2) nicht möglich war. Die Ergebnisse zu den Einschätzungen von hochbegabten Verhaltensmerkmalen (vgl. Tabelle 2) bestätigten Hypothese 3, dass die Zuschreibungen von Eltern und Lehrpersonen grundsätzlich nicht zwischen den Intelligenzgruppen, sondern zwischen der Kontrollgruppe und allen Kindern mit der Lehrernomination „hochbegabt“ unterschieden. Im Faktor „intellektuelle Verhaltensmerkmale“ bildete sich dieses Resultat zwar hypothesengemäß zum ersten Messzeitpunkt ab (F(3, 265) = 49.18, p < .001, η 2 = .34; Scheffé: D < A, B, C, p < .001), war jedoch auch beim dritten Messzeitpunkt zu finden (F(3, 318) = 18.71, p < .001, η 2 = .24; Scheffé: D < A, B, p < .001; D < C, p < .01), als den Eltern und Lehrern das Intelligenztestresultat bekannt war. Dabei wurden die Kinder von ihren Eltern positiver beurteilt als von den Lehrpersonen (t1: F(1, 265) = 6.5, p < .05; η 2 = .24; t3: F(1, 178) = 4.9, p < .05, η 2 = .03). Auch beim Faktor „Durchhaltevermögen“ zeigten sich Intelligenzgruppenunterschiede noch ein Jahr später nominationsabhängig (t1: F(3, 262) = 11.2, p < .001, η 2 = .11; t3: F(3, 180) = 7.9, η 2 = .12; Scheffé; Vergleich bei t1: D < A, B, p < .001; D < C, p < .05; Vergleich bei t3: D < A, B, p < .05; D < C, p < .001). Bei diesem Faktor waren sich Eltern und Lehrpersonen zu beiden Messzeitpunkten in der Zuschreibung einig. Einzig beim Faktor „kreative Verhaltensmerkmale“ unterschieden sich beim ersten Messzeitpunkt die hoch- und überdurchschnittlich begabten Kinder sowohl signifikant von der Kontrollgruppe (F(3, 264) = 18.9, p < .001, η 2 = .18; Scheffé, p ≤ .001) als auch von den abgelehnten, durchschnittlich begabten Kindern (Scheffé, Vergleich C < A, p < .05; Vergleich C < B, p < .001). Ein Jahr später (t3) war nur noch ein Unterschied von der Kontrollgruppe zu den überdurchschnittlich intelligenten Kindern festzustellen (F(3, 180) = 3.14, p < .05, η 2 = .05; Scheffé, Vergleich D < B, p ≤ .05). Die hochbegabten Kinder wurden in Bezug auf die Zuschreibung kreativer Verhaltensmerkmale von Eltern wie von Lehrpersonen nicht mehr spezifisch unterschieden. Allein bei diesem Faktor zeigte sich ein Intelligenzgruppeneffekt, wenn auch nur bezüglich der Schnittstelle durchschnittlich begabt vs. überdurchschnittlich begabt und nicht wie erwartet in Bezug auf die Hochbegabung. Obwohl man hier argumentieren könnte, dass eine gewisse Intelligenz nötig ist, um ein „kreatives und schöpferisches Denkvermögen“ oder eine „intellektuelle Verspieltheit“ (Itembeispiele) aufzuweisen, gehen wir von einem Etikettiereffekt aus, da sich die Hochbegabten in dieser Hinsicht nicht stabil von der Kontrollgruppe unterscheiden lassen. Bei den Ergebnissen zu den Zuschreibungen hochbegabter Verhaltensmerkmale muss jedoch berücksichtigt werden, dass das hochbegabte Verhalten nach den Renzulli-Skalen wenig mit einer hohen Intelligenztestleistung zusammenhängt. Die Korrelationsanalyse zwischen dem Gesamt-Intelligenztestwert (HAWIK-III) und den Renzulli-Skalen bei den Einschätzungen der Lehrpersonen ergab nur geringe Werte (t1: Intelligenzfaktor: r = .10, ns.; Kreativitätsfaktor: r = .19, p < .01.; Durchhaltevermögen: r = .09, ns.). In der Verlaufsanalyse der Elterneinschätzungen hatte die testpsychologische Identifikation keinen Einfluss auf die nachfolgende Attribuierung hochbegabter Verhaltensmerkmale. Überraschenderweise veränderten sich die Zuschreibungen hochbegabter Verhaltensmerkmale bei den Eltern über beide Messzeitpunkte hinweg nicht und blieb in allen drei Faktoren recht stabil (Stabilitätskorrelationen t1 zu t3 nach Pearson, Intelligenz: r = .72, Kreativität: r = .66, Durchhaltevermögen: r = .70, alle bei p < .001). Das Wissen um die potenzielle Hochbegabung ihres Kindes bzw. die Lehrerzuschreibung von Hochbegabung schien bei den Eltern bedeutsamer zu sein als das Wissen um das Resultat der testpsychologischen Identifikation. Die in Hypothese 3 formulierte Annahme, dass 150 Liliane Schulthess-Singeisen et al. sich die Elternzuschreibungen je nach Hochbegabungsidentifikation verändern, konnte also nicht bestätigt werden. Diskussion Alle Schüler mit einer Lehrernomination als hochbegabt wiesen unabhängig von ihrer Intelligenzausprägung ein höheres schulisches Fähigkeitsselbstkonzept und einen positiveren Selbstwert auf, sowohl in der Selbstzuschreibung wie auch in der Zuschreibung durch Eltern und Lehrpersonen (vgl. Hypothesen 1 und 2). Diese Resultate sowie die übereinstimmenden Einschätzungen von Kindern, Eltern und Lehrpersonen belegen die Annahmen des Eccles-Modells (Eccles et al., 1983), wonach die Selbstkonzeptentwicklung primär aufgrund von sozialen Zuschreibungen und nicht aufgrund der Intelligenz erklärt werden kann. Da der Nominationseffekt auch ein Jahr nach der testpsychologischen Hochbegabungsidentifikation bestehen blieb, konnte der von uns in Hypothese 2 angenommene Etikettiereffekt (Hoge & Renzulli, 1993) nicht bestätigt werden. In unserer Studie unterschied sich im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht die Gruppe der Hochbegabten, sondern die Gruppe der durchschnittlich begabten (falsch nominierten) Kinder am eindeutigsten. Diese Gruppe verfügte über ein äußerst hohes Fähigkeitsselbstkonzept und einen positiven globalen Selbstwert. In der Tat bildet das schulische Fähigkeitsselbstkonzept eine Einflussgröße für das Schulleistungsverhalten (Köller & Baumert, 2001; Eckert, Schilling & Stiensmeier-Pelster, 2006). Nach der Münchner SCHOLASTIK-Studie beurteilten Lehrpersonen die Schülerinnen und Schüler bei gleicher Schulleistung umso positiver, je höher neben der Intelligenz das Selbstkonzept ausgeprägt war (Schrader & Helmke, 1990). Es stellt sich daher die Frage, inwieweit bei der Zuweisung zu einem Begabungsförderprogramm das positive Selbstkonzept dieser Kinder die Lehrernomination beeinflusst. Aufgrund unserer Studienergebnisse erscheint es notwendig, die Rolle des Selbstkonzepts sowie die enge und komplexe Beziehung zwischen Selbstbeurteilung und Fremdbeurteilungen durch weitere Untersuchungen näher zu beleuchten. Im Eltern- und Lehrerurteil fanden sich in Übereinstimmung mit Hypothese 3 keine hochbegabtenspezifischen Unterschiede bei der Zuschreibung von als für Hochbegabte charakteristisch geltenden Verhaltensmerkmalen (Rost, 1993), obwohl nach Heller, Reimann & Senfter (2005) Lehrpersonen bis zu einem gewissen Grad eine intellektuelle Hochbegabung beurteilen können. Wie bei der Einschätzung der schulischen Fähigkeiten blieb bei Eltern und Lehrpersonen auch nach der Hochbegabungsidentifikation der Nominationseffekt bestehen. Unabhängig von der Validität solcher Checklisten und Ratingskalen als Selektionsverfahren in Begabungsförderprogrammen (Buch et al., 2006; Perleth, Leithner & Preckel, 2006), bestätigt dieses Resultat die Bedeutung der Attribuierungen für schulische Selbstkonzepte. Die geringen Korrelationen zwischen den in der Studie verwendeten Renzulli-Skalen und dem HAWIK-III zeigen hingegen, dass die vorgeschlagenen Verhaltensmerkmale mit Intelligenztestergebnissen wenig gemeinsam haben. In der Frage der Hochbegabungsidentifikation wird aktuell häufig für eine sequenzielle Identifikationsstrategie plädiert, wobei Checklisten für ein erstes Screening eine wichtige Rolle spielen (Heller, 2004). Angesichts unserer Befunde erscheint es dringend nötig, dass die Instrumente zur Identifikation von Hochbegabung weiterentwickelt werden. Die vorliegende Untersuchung hat verschiedene Grenzen. Die vorausgelesene Stichprobe verhinderte eine nähere Analyse über den wechselseitigen Einfluss der Lehrernomination „hochbegabt“ und dem schulischen Leistungshandeln der Kinder. Ebenfalls muss vermutet werden, dass der bildungsnahe familiäre Hintergrund der nominierten Kinder mit der Lehrernomination und mit Variablen wie „elterliche Unterstützung“ oder „sozial angepasstes Verhalten“ konfundiert sein könnte. Die Ergeb- Primarschulkinder mit Lehrernomination „hochbegabt“ 151 nisse sind daher nur beschränkt generalisierbar. In weiteren Untersuchungen sollte das Zusammenspiel von Zuschreibungen hochbegabten Verhaltens durch Eltern und Lehrpersonen und der schulischen Leistungen der Kinder - sinnvollerweise unter Einbezug von Angaben zur effektiven schulischen Leistungsfähigkeit - näher überprüft werden. Literatur Buch, S. R., Sparfeldt, J., Rost, D. H. (2006). Eltern beurteilen die Entwicklung ihrer hochbegabten Kinder. 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