eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 55/4

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
101
2008
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Familiäre Bedingungen von Schülerleistungen: ein typologischer Ansatz

101
2008
Markus P. Neuenschwander
Stefanie Goltz
Die Ausprägung kognitiver Schülerleistungen wird entscheidend durch die pädagogischen Orientierungen und sozialen Prozesse in Familien bestimmt. Aufgrund des von uns gewählten systemtheoretischen Ansatzes arbeiteten wir nach dem Person-Ansatz (Magnusson, 2003) und bildeten vier Familientypen: (1) vernachlässigende, (2) leistungsorientierte, (3) wachsen lassende, (4) fördernde Familien. In zwei parallel in der 6. und 8. Klassenstufe durchgeführten Untersuchungen befragten wir insgesamt 1151 Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern (N = 999) im Jahr 2002 und führten Leistungstests in Mathematik und Deutsch durch. Insgesamt 300 Jugendliche des 6. Schuljahres bearbeiteten im Frühling 2006 ein zweites Mal Leistungstests (Längsschnittstichprobe). In beiden Kohorten konnte die theoretisch hergeleitete Familientypologie mittels Clusteranalysen bestätigt werden. Die Leistungen von Jugendlichen aus fördernden Familien waren besonders hoch, selbst nach Kontrolle des sozio-ökonomischen Status’ der Familie und des Geschlechts. In längsschnittlichen Kovarianzanalysen konnten die gleichen Effekte vier Jahre später wieder gefunden werden.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2008, 55, 265 - 275 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Familiäre Bedingungen von Schülerleistungen: ein typologischer Ansatz Markus P. Neuenschwander 1 Stefanie Goltz Universität Zürich Erziehungsberatung Bern Family Determinants of Student Achievement: a Typological Approach Summary: Academic student achievement is highly determined by the educational orientation and social processes in families. Based on system theory we followed a person-centered approach (Magnusson, 2003) and defined four family types: (1) neglecting, (2) achievement oriented, (3) permitting, and (4) supportive family. We analyzed standardized questionnaire data from a sample of 1151 6th and 8th graders and their parents (N = 999) from 2002. A total of 300 6th graders completed achievement tests in math and German in 2006 a second time (longitudinal sample). In both age cohorts, the theory driven family typology could be found by cluster analyses. Student achievement from supportive families was high, even after having controlled for socio-economic status and gender. In longitudinal analyses, the same effects were found four years later. Keywords: Family, student achievement, cluster analysis, person-centered approach Zusammenfassung: Die Ausprägung kognitiver Schülerleistungen wird entscheidend durch die pädagogischen Orientierungen und sozialen Prozesse in Familien bestimmt. Aufgrund des von uns gewählten systemtheoretischen Ansatzes arbeiteten wir nach dem Person-Ansatz (Magnusson, 2003) und bildeten vier Familientypen: (1) vernachlässigende, (2) leistungsorientierte, (3) wachsen lassende, (4) fördernde Familien. In zwei parallel in der 6. und 8. Klassenstufe durchgeführten Untersuchungen befragten wir insgesamt 1151 Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern (N = 999) im Jahr 2002 und führten Leistungstests in Mathematik und Deutsch durch. Insgesamt 300 Jugendliche des 6. Schuljahres bearbeiteten im Frühling 2006 ein zweites Mal Leistungstests (Längsschnittstichprobe). In beiden Kohorten konnte die theoretisch hergeleitete Familientypologie mittels Clusteranalysen bestätigt werden. Die Leistungen von Jugendlichen aus fördernden Familien waren besonders hoch, selbst nach Kontrolle des sozio-ökonomischen Status’ der Familie und des Geschlechts. In längsschnittlichen Kovarianzanalysen konnten die gleichen Effekte vier Jahre später wieder gefunden werden. Schlüsselbegriffe: Familie, Schülerleistungen, Clusteranalyse, Person-Ansatz Familiäre Bedingungen von Schülerleistungen - ein typologischer Ansatz Die U.S.-amerikanische Forschung hat seit den 60er Jahren (Coleman, Campbell, Hobson, McPartland, Mood et al., 1966) den wichtigen Beitrag der Familie zum Aufbau hoher Schülerleistungen belegt. Als förderlich erwiesen sich leistungsbejahende Elternwerte (Eccles, 2005), hohe Elternerwartungen (Alexander, Entwisle, Bedinger, 1994), ein autoritativer Erziehungsstil (Dornbusch, Ritter, Leiderman, Roberts, Fraleigh, 1987) und ein stimulierendes familiäres Umfeld (Grolnick & Ryan, 1989). Da aktuelle europäische Studien zum Einfluss der Familie auf die Schülerleistung selten sind (vgl. Wild & Remy, 2001), stellt sich die Frage, inwiefern die Befunde dieser U.S.-amerikanischen Studien auf die Situation in der Schweiz übertragbar sind. 266 Markus P. Neuenschwander, Stefanie Goltz Typologie pädagogischer Orientierungen von Familien Bisher wurden die familiären Bedingungen von Schülerleistungen meistens mit einer Auswahl von Einzelvariablen untersucht. Die Untersuchung von einzelnen Variablen impliziert die Suche nach Zusammenhängen zwischen einzelnen Familienvariablen und Leistungsindikatoren. Ein systemtheoretisches Verständnis von Familienprozessen (z. B. Schauerte, Branje, van Aken, 2003) legt hingegen nahe, Familienvariablen nicht additiv aneinanderzureihen, sondern Strukturen in der Familiendynamik zu suchen. Damit ist die Kombination von mehreren Variablen in verschiedenen Ausprägungen zu Typen gemeint. Magnusson (2003; Bergmann & El-Khouri, 2003) unterschied entsprechend zwischen dem Variablen-Ansatz und dem Person-Ansatz. Im Gegensatz zum Variablen-Ansatz unterstellt der Person-Ansatz der Familie Ganzheitlichkeit und Eigendynamik, welche sich in typischen Strukturen oder Mustern ausdrückt. Es wird angenommen, dass die daraus resultierenden Familientypen typische Muster von pädagogischen Orientierungen in Familien bezeichnen. Zugrunde liegen folgende Dimensionen: a) Die Erziehungsdynamik wird in der Kinderperspektive mit dem Erziehungsstil der Eltern und der kognitiven Stimulation durch anregende soziale Interaktionen in der Familie abgebildet. Wild (1999) schlug die vier Erziehungsstile kontrollierend, strukturierend, Autonomie fördernd und zuwendungsorientiert vor. Für Schülerleistungen ist zudem die soziale Stimulation in der Familie bedeutsam (Votruba-Drzal, 2003). b) Schulbezogene Einstellungen in der Perspektive der Eltern dürften die Ausprägung von Schülerleistungen mitbestimmen. Günstig ist, wenn Eltern ihre Kinder zu selbstständigen Hausaufgaben ermutigen (Wild, 1999). Die Zusammenhänge zwischen den Hausaufgaben und den Schülerleistungen sind noch nicht vollständig geklärt (Trautwein & Köller, 2003). Daneben wurden immer wieder die leistungssteigernden Effekte hoher Elternerwartungen gezeigt (Jussim & Eccles, 1992; Neuenschwander, Vida, Garrett, Eccles, 2007). Es wird keine Status- oder Milieutypologie entwickelt, vielmehr sollen neue pädagogisch bedeutsame Prozessmerkmale der Familie („pädagogische Orientierung“) zugrunde gelegt werden. Diese orientieren sich an der Struktur der vier Erziehungsstile autoritativ, autoritär, permissiv und vernachlässigend (Dornbusch et al., 1987). Konkret werden folgende vier Familientypen vorgeschlagen: (1) In fördernden Familien erleben die Heranwachsenden ein stimulierendes und Autonomie förderliches Umfeld. Eltern richten zwar hohe leistungsbezogene Erwartungen an ihre Kinder, doch legen sie gleichzeitig Wert auf hohe Autonomie. (2) In leistungsorientierten Familien nehmen Kinder geringe Zuwendung und Stimulation ihrer Eltern wahr; Eltern haben eher positive, leistungsbetonte Erwartungen. (3) Im Unterschied zu diesen beiden Familientypen sind in wachsen lassenden Familien die Elternaspirationen gering. Für die Kinder ist die Familie von Zuwendung, Autonomie und Selbstständigkeit gekennzeichnet. (4) Ein vierter Familientyp wird als vernachlässigend bezeichnet, da ein gegenseitiges Desinteresse dominiert. Der Erziehungsstil ist wenig Autonomie unterstützend und von geringer Zuwendung gekennzeichnet. Es gibt wenig familieninterne Anregung. Eltern richten eher tiefe Leistungserwartungen an ihre Kinder. Pädagogische Orientierung von Familien und Schülerleistungen Die vier Familientypen repräsentieren unterschiedliche pädagogische Haltungen und erklären deshalb Unterschiede der Schülerleistungen und deren Entwicklung. Für die Selektion in höhere Schulen sind die Leistungen in den Fächern Deutsch und Mathematik besonders bedeutsam. Epstein (1991) sowie Neuenschwander, Balmer, Gasser, Goltz, Hirt et al. (2005) zeigten, dass der Einfluss der Familie auf die Leistungen im Fach Schulsprache größer ist als Familiäre Bedingungen von Schülerleistungen 267 in Mathematik. Sie vermuten, dass sich die Familiensozialisation auf die kommunikativen Kompetenzen, die in Deutsch getestet werden, stärker niederschlägt als auf formale kognitive Kompetenzen, die im Fach Mathematik bedeutsam sind. Weil die Befundlage zu fachspezifischen Effekten der familiären Sozialisation inkonsistent ist, werden hierzu keine expliziten Hypothesen formuliert. Schicht, Geschlecht und Schülerleistungen Allerdings können die verschiedenen Sozialisationsprozesse in verschiedenen Familientypen schichtspezifisch verbreitet sein. Familien aus höheren Schichten dürften häufiger fördernd, Familien aus tieferen Schichten häufiger vernachlässigend sein (vgl. etwa Bourdieu, 1983). Überdies bestimmt offenbar die Schicht der Familie die Schülerleistungen in Mathematik und Deutsch als eigene Komponente mit (Zahner Rossier, Berweger, Brühwiler, Holzer, Mariotta et al., 2004; Sirin, 2005). Schließlich haben frühere Studien gezeigt, dass die Leistungen der Schülerinnen in Deutsch und die der Schüler in Mathematik eher besser als die des Gegengeschlechts sind (Zahner Rossier et al., 2004; Neuenschwander et al., 2005). Die erste Klassenstufe bildet das 6. Schuljahr, das letzte Primarschuljahr vor der Selektion in die Sekundarstufe I. Als Klassenstufe für die Zweitprüfung wurde das 8. Schuljahr gewählt, in welchem die Schülerinnen und Schüler zwei unterschiedliche Schultypen (Grundansprüche, d. h. Realschule, oder erweiterte Ansprüche, d. h. Sekundarschule) besuchen. Zusammenfassend werden folgende Hypothesen überprüft: 1. Jugendliche aus fördernden Familien erbringen besonders gute Leistungen, aus vernachlässigenden Familien besonders schlechte. Die pädagogische Orientierung von Familien beeinflusst die Leistungsentwicklung. 2a. Die Schicht der Familie bestimmt ihre pädagogische Orientierung. 2b. Die pädagogische Orientierung vermittelt zwischen der Schichtzugehörigkeit der Familie und den Leistungen (Mediatorhypothese). 3. Weibliche Jugendliche erbringen höhere Leistungen in Deutsch, männliche Jugendliche erreichen höhere Leistungen in Mathematik (siehe oben). Methode Die Daten zur Modellprüfung wurden mittels zwei parallel auf der 6. und 8. Klassenstufe durchgeführten Untersuchungen erhoben. Es wurden sowohl Schülerinnen und Schüler als auch die wichtigste Bezugsperson des Kindes mit standardisierten Fragebogen befragt. Zusätzlich füllten die Schülerinnen und Schüler einen Leistungstest aus. Alle Messinstrumente sind ausführlich in Neuenschwander et al. (2003 a - 2003 d; 2007 a, b) beschrieben. Stichprobe Die Stichprobe wurde mittels eines geschichteten Auswahlverfahrens gebildet und ist für die Schülerinnen und Schüler des deutschsprachigen Kantons Bern der Klassenstufen 6 und 8 repräsentativ. Dabei wurden 26 Schulstandorte aus städtischen und ländlichen Regionen und in jeder Schule zwei bis drei Klassen des Zielschuljahres zufällig ausgewählt. Drei Stichproben werden im Folgenden beschrieben: 6. Klasse: Es nahmen insgesamt 234 Schülerinnen und 220 Schüler aus 25 Klassen teil (Durchschnittsalter 11.9 Jahre). Der Rücklauf der Befragung der wichtigsten Bezugsperson („Elternbefragung“) lag bei 89 % (N = 406), wobei in 85 % der Fälle die leibliche Mutter und in 12 % der Fälle der leibliche Vater den Fragebogen ausgefüllt hatten. Die Elternstichprobe setzte sich also primär aus Müttern zusammen und bestand zu 75.6 % aus Personen mit Schweizer Staatsbürgerschaft. 8. Klasse: Die Untersuchungsgruppe bestand aus 349 Schülerinnen und 348 Schülern aus 39 Klassen (Durchschnittsalter 13.0 Jahre) aus Schultypen mit Grund- und erweiterten Ansprüchen 1 . Der Rücklauf bei der Elternbefragung betrug 85 % (N = 593), wo- 1 Die Regelschule im Kanton Bern ist in der Sekundarstufe I (7. bis 9. Schuljahr) in ein Schulniveau mit Grundansprüchen (entspricht etwa der Hauptschule in Deutschland) und ein Schulniveau mit erweiterten Ansprüchen (entspricht etwa der Realschule in Deutschland) gegliedert. 268 Markus P. Neuenschwander, Stefanie Goltz bei in 84 % der Fälle die leibliche Mutter und in 15 % der Fälle der leibliche Vater den Fragebogen ausfüllte (Anteil Schweiz 75.3 %). Längsschnittstichprobe. Den Jugendlichen des 6. Schuljahres wurden im Frühling 2006 ein zweiter Fragebogen und Leistungstests vorgelegt. Insgesamt 345 Jugendliche dieser Stichprobe nahmen an der zweiten Befragung teil (Rücklauf 76 %). Von diesen Jugendlichen füllten 300 den Leistungstest Mathematik aus. Der Rücklauf der Leistungstests ist geringer als derjenige der Fragebogen, weil wir die Leistungstests gruppenweise durchführten und nur diejenigen Jugendlichen getestet werden konnten, die zu einer Befragungsgruppe versammelt werden konnten. Der Fragebogen wurde hingegen individuell ausgefüllt und sein Rücklauf konnte dank postalischer Mahnung der nicht antwortenden Jugendlichen gesteigert werden. Instrumente Die Datenerhebung erfolgte mittels standardisierter Fragebogen und Leistungstests. Die Elternfragebogen waren nicht nur in Deutsch, sondern auch in den fünf häufigsten Fremdsprachen im Kanton Bern (Italienisch, Spanisch, Albanisch, Türkisch, Serbisch) erhältlich, um das Ausfüllen der Fragebogen durch die Eltern mit Migrationshintergrund zu unterstützen. Die Items des Fragebogens waren für beide Alterskohorten identisch, die Faktoren- und Reliabilitätsanalysen der Fragebogen wurden entsprechend über beide Alterskohorten hinweg berechnet. Es wurden Hauptachsenanalysen statt Hauptkomponentenanalysen gerechnet, weil wir uns primär für Strukturen zwischen Variablen und nicht für eine maximale Varianzaufklärung interessierten (Fabrigar, Wegener, MacCallum, Strahan, 1999). Daher war die Varianzaufklärung weniger hoch. Die selber entwickelten Leistungstests wurden je nach Klassenstufe mit zwei getrennten Testversionen durchgeführt, welche im Schwierigkeitsgrad der Klassenstufe angepasst waren. Die Itemanalysen der Leistungstests erfolgten getrennt für das 6. und 8. Schuljahr. Schülerangaben: Der elterliche Erziehungsstil wurde aus Schülersicht mit Items von Wild (1999) erhoben. Abweichend zu Wild (1999) fanden sich in der vorliegenden Studie mittels der durchgeführten Hauptachsenanalyse nur zwei Faktoren mit Eigenwert > 1 (Varianzaufklärung 32 %). Die Items wurden auf einer vierstufigen Ratingskala mit den Polen „stimmt überhaupt nicht“ (1) und „stimmt genau“ (4) bearbeitet. Die von Wild identifizierten Faktoren Struktur und Kontrolle fielen in einen Faktor mit fünf Items wie zum Beispiel „Wenn ich etwas getan habe, was meine Eltern nicht gut finden, weiß ich schon vorher, wie sie reagieren werden“ zusammen (Cronbachs Alpha = .60, M = 2.98, SD = .49), die Faktoren autonomieunterstützender Erziehungsstil und Zuwendung ergaben den zweiten Faktor (Cronbachs Alpha = .81, M = 3.39, SD = .43). Dieser umfasste neun Items wie „Meine Eltern fragen mich oft nach meiner Meinung“. Die Skala Stimulation erfasste, wie kulturell und intellektuell stimulierend die Kinder ihr familiäres Umfeld erleben, und enthielt acht Items wie „Meine Eltern diskutieren mit mir über Themen, die mich interessieren“. Auf die Items konnte auf einer fünfstufigen Ratingskala mit den Polen „nie“ und „immer“ reagiert werden. Die Hälfte der Items wurden neu konstruiert (z. B. „meine Eltern machen mich immer wieder auf neue Dinge aufmerksam“ oder „Meine Eltern ermutigen mich zur Teilnahme an Kursen/ Ausflügen, z. B. Ferienexkursion“), die andere Hälfte von Wild (1999) sowie Wild und Remy (2001) übernommen. Die Hauptachsenanalyse ergab einen Faktor mit Eigenwert > 1, welcher 29 % der Varianz erklärte (Alpha = .76, M = 3.41, SD = .62). Elternangaben: Die Hausaufgabensituation wurde anhand von neun Items erfasst, die faktorenanalytisch zwei Faktoren ergaben (Varianzaufklärung der Hauptachsenanalyse 36 %, 5-Punkte-Antwortskala mit den Extremen 1 „nie“ und 5 „immer“). In der vorliegenden Analyse wurde nur der Faktor Selbstständigkeit verwendet, der sich aus vier Items zusammensetzt wie zum Beispiel „Wie oft löst Ihr Kind Hausaufgaben, ohne dass Sie es auffordern müssen? “ (rekodiert; Alpha = .62, M = 3.95, SD = .65). Die Bildungserwartungen der Eltern an das Kind wurden mittels einer 9-stufigen Skala erfasst, auf der die Eltern angaben, welchen höchsten Ausbildungsabschluss ihr Kind vermutlich erreichen wird. Die Skala reichte vom Realschulbis zum Hochschulabschluss. Der sozioökonomische Status der Familie wurde aufgrund der Berufsangaben der beiden wichtigsten Bezugspersonen des Kindes ermittelt. Die Berufsangaben wurden gemäß der International Standard Classification of Occupations (ISCO 88) kodiert. Familiäre Bedingungen von Schülerleistungen 269 Danach wurde den Angaben ein Wert zum „Standard International Socio-Economic Index of Occupational Status“ (ISEI-Skala) zugewiesen. Zur Bestimmung des sozio-ökonomischen Status’ der Familie wurde der jeweils höhere ISEI-Wert der beiden wichtigsten Bezugspersonen des Kindes gewählt. Leistungstests: Für die 6. und 8. Klassen wurde je ein separater Deutschtest konstruiert (vgl. Testdokumentation in Neuenschwander et al., 2003 c). Der Test erfasste die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Hörverstehen (6. Klasse: 10 Items, 8. Klasse: 8 Items), Textproduktion (6. Klasse: 12 Items, 8. Klasse: 12 Items), Leseverständnis (3 Items), Rechtschreibung und Grammatik (12 Items), Wortschatz (6. Klasse: 8 Items, 8. Klasse: 13 Items) und orientierte sich an den Lehrplänen des Kantons Bern. Mit Ausnahme der Textproduktion wurden Multiple- Choice-Fragen eingesetzt. Zum Beispiel das Hörverstehen wurde so geprüft, dass zuerst ein kurzes Hörspiel ab Band gespielt wurde, danach sollten die Jugendlichen Verständnisfragen dazu beantworten wie zum Beispiel: „Wie kommt die Tante ums Leben? “, wobei drei falsche und eine richtige Antwortkategorien vorgegeben wurden. Die Textproduktionen wurden bezüglich Inhalt, Satzbau, Ausdrucksfähigkeit sowie sprachlicher Korrektheit von dafür trainierten Projektmitgliedern kodiert. Außerdem wurde nach drei Monaten einer zufällig ausgewählten Teilstichprobe der Test erneut vorgelegt und Test- Retest-Reliabilitäten berechnet. In der 6. Klasse lag das Leistungsmittel bei 42.4 Punkten (SD = 10.5, Minimum = 9, Maximum = 72, Test-Retest-Stabilität r = .84). Der Mittelwert in der 8. Klasse betrug 44.6 Punkte (SD = 10.5, Minimum = 12, Maximum = 72, Test-Retest-Stabilität r = .67). Den Jugendlichen des 6. Schuljahres wurde im 9. Schuljahr ein zweiter Deutschtest vorgelegt (Neuenschwander, Schaub, Angehrn, 2007 a). Dieser Test wurde abermals explizit für diese Untersuchung konstruiert und erfasste die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Hörverstehen (Anzahl Punkte: M = 6.25, SD = 2.28, Maximum = 13.3), Leseverstehen (Anzahl Punkte: M = 8.35, SD = 2.22, Maximum = 13.0), grammatische Korrektheit (Anzahl Punkte: M = 16.10, SD = 3.68, Maximum = 26.50), Textproduktion (Anzahl Punkte: M = 12.20, SD = 6.19, Maximum = 35.0). Er orientierte sich an den Lehrplänen der Kantone Bern und Zürich des 8. Schuljahrs, die sehr ähnliche Grundlagen für die Testkonstruktion bildeten. Der erste Bereich wurde mit Multiple-Choice-Fragen operationalisiert, die übrigen Bereiche bestanden aus einer Mischung von offenen und geschlossenen Fragen. Die Textproduktionen wurden bezüglich Inhalt, Satzbau, Ausdrucksfähigkeit sowie sprachlicher Korrektheit von dafür trainierten Projektmitgliedern kodiert. Die Reliabilitäten waren akzeptabel (Konsistenz Cronbachs Alpha = .71, Split half nach Guttman r = .70). Der Mathematiktest erfasste die Kompetenzbereiche Vorstellungsvermögen/ Kenntnisse/ Fertigkeiten, Mathematisierfähigkeit, Arithmetik, Sachrechnen und Geometrie (vgl. Testdokumentation in Neuenschwander et al., 2003 d). Eine Beispielaufgabe aus Sachrechnen im 6. Schuljahr lautete: „Vier Knaben haben beim Fußball spielen eine Fensterscheibe eingeschlagen. An den Schaden von 540 Fr. bezahlt der „Schütze“ ein Drittel. Den Rest teilen die drei Mitspieler unter sich auf. Wie viel bezahlt somit der Schütze und wie viel bezahlen die drei Mitspieler? “ Die Kompetenzbereiche und die konkreten Aufgaben wurden auf der Grundlage der Lehrpläne des Kantons Bern festgelegt (6. Klasse: 16 Aufgaben, 8. Klasse: 19 Aufgaben). Die Punktevergabe für jede Aufgabe erfolgte durch geschulte Mitglieder der Projektgruppe. Außerdem wurde der Test nach 3 Monaten einer zufällig ausgewählten Teilstichprobe erneut vorgelegt und Test-Retest-Reliabilitäten berechnet. In der 6. Klasse lag das Leistungsmittel bei 17.4 Punkten (SD = 8.24, Minimum = 0, Maximum = 42, Test-Retest-Stabilität r = .83). Im 8. Schuljahr erreichten die Jugendlichen durchschnittlich 15.0 Punkte (SD = 6.65, Minimum = 0, Maximum = 39, Test-Retest-Stabilität r = .68). Den Jugendlichen des 6. Schuljahres wurde im 9. Schuljahr ein zweiter Mathematiktest mit 7 Aufgaben vorgelegt (Neuenschwander, Schaub, Angehrn, 2007 b). Dieser Test wurde eigens für diese Untersuchung konstruiert und erfasste die Kompetenz der Schülerinnen und Schüler in den Bereichen Arithmetik, Algebra und Geometrie. Er orientierte sich an den Lehrplänen des 8. Schuljahres der Kantone Bern und Zürich. Die Punktevergabe für jede der 7 Aufgaben erfolgte durch geschulte Mitglieder der Projektgruppe (M = 2.79, SD = 3.07, Maximum = 12.0). Die Reliabilitäten waren akzeptabel (Konsistenz Cronbachs Alpha = .77, Split half nach Guttman r = .80). 270 Markus P. Neuenschwander, Stefanie Goltz Durchführung Die Datenerhebung fand im Spätherbst 2002 statt. Dabei besuchte ein Mitglied der Projektgruppe jede Klasse zwei Mal während 90 Minuten im Abstand von zwei bis drei Wochen. Am Ende des ersten Besuchs nahmen die Schülerinnen und Schüler einen Briefumschlag mit dem Elternfragebogen nach Hause, der zum zweiten Zeitpunkt ausgefüllt wieder eingesammelt wurde. Der hohe Rücklauf der Elternbefragung wurde dank der Lehrpersonen erreicht, welche das Einsammeln der verteilten Elternfragebogen unterstützten. Die Datenerhebung im Jahr 2006 erfolgte soweit möglich gruppenweise. Die Schüler waren nach dem Übertritt ins 7. Schuljahr in unterschiedliche Klassen verteilt. Aufgrund der Schülerdatenbank in der Schule und den uns vorliegenden privaten Adressen wurden die Schülerinnen und Schüler in einem sorgfältigen Verfahren identifiziert und in ihrer ursprünglichen Klassenzusammensetzung gruppiert. In den ersten beiden Lektionen wurde der Fragebogen bearbeitet, in den beiden Folgelektionen wurden der Mathematik- und Deutschtest in einem standardisierten Verfahren durchgeführt. Ergebnisse Alle Analysen wurden in einem ersten Schritt mit den Daten der 6. Klassenstufe durchgeführt. Sie wurden danach mit der Stichprobe der 8. Klassenstufe wiederholt. Korrelationsmatrix Bevor die postulierten Familientypen gebildet wurden, berechneten wir die Interkorrelationen zwischen den Dimensionen, die den Familientypen zugrunde lagen, sowie den Leistungstests, getrennt für die beiden Alterskohorten (vgl. Tabelle 1), um deskriptive Grundlagen der Clusteranalyse und lineare Zusammenhangsmuster zu den Leistungstestergebnissen zu erhalten. Die Korrelationen zeigen, wie die einzelnen Dimensionen untereinander und mit den Leistungstestergebnissen zusammenhängen. Die bivariaten Korrelationen sind mittelmäßig aber nur teilweise signifikant. Immerhin korrelieren ein autonomieunterstützender und zuwendungsorientierter Erziehungsstil mit Stimulation (r = .55 im 6. Schuljahr bzw. r = .61 im 8. Schuljahr, p < .001). Mit Ausnahme des autonomieunterstützenden und zuwendungsorientierten Erziehungsstils und der Stimulation korrelieren alle Faktoren mit den Leistungen in Deutsch und Mathematik, wenn auch teilweise nicht hoch. Bildung der Familientypen Aus dem Schülerfragebogen flossen die z-standardisierten Faktoren Erziehungsstil Autonomie/ Zuwendung, Struktur/ Kontrolle sowie der Faktoren 1 2 3 4 5 6 7 1. Erziehungsstil: Autonomie/ Zuwendung (S) .04 .55*** .10* .16** .14** .07 2. Erziehungsstil: Struktur/ Kontrolle (S) -.11** .05 -.11* -.09 -.11* -.13** 3. Stimulation (S) .61*** -.01 -.04 .15** .10* .09 4. Hausaufgaben: Selbstständigkeit (E) .04 -.01 -.04 .17*** .20*** .18*** 5. Bildungserwartungen (E) .13** -.05 .21*** .10* .39*** .39*** 6. Leistungen in Deutsch (L) .06 -.09* .12** .22*** .32*** .58*** 7. Leistungen in Mathematik (L) .02 -.11** .09* .02 .28*** .47*** Tabelle 1: Familiendimensionen und Leistungen (6. Schuljahr oberhalb Diagonale, 8. Schuljahr unterhalb Diagonale) Legende: (S): Schülerdaten, (E): Elterndaten, (L): Leistungstests, Pearson-Korrelationen mit Signifikanzniveau *: p < .05, **: p < .01, ***: p < .001 (6. Klasse: 359 < n < 459, 8. Klasse: 566 < n < 697) Familiäre Bedingungen von Schülerleistungen 271 Faktor Stimulation ein. Aus dem Elternfragebogen wurden die z-standardisierten Faktoren zur Selbstständigkeit bei Hausaufgaben und Bildungserwartungen einbezogen. Es wurde ausschließlich mit der Teilstichprobe gearbeitet, für welche Elterndaten vorliegen (listwise deletion). Dies war kein Problem, weil der Rücklauf der Elternbefragung sehr hoch war und weil keine systematische Rücklaufverzerrung vorlag. Es wurden explorative hierarchische Clusteranalysen gerechnet, um die Clusterzahl zu prüfen und zu untersuchen, ob die berücksichtigten Variablen durch die Cluster ausreichend erklärt werden konnten. Im ersten Schritt wurde zur Prüfung der Clusterzahl getrennt für die beiden Kohorten je eine hierarchische Clusteranalyse mit dem Ward- Algorithmus gerechnet (Software SAS 9.1.3 for windows). Der Verlauf der Varianzaufklärung und des Cubic-Clustering-Criteriums vom zweiten zum zehnten Cluster bestätigte die vier- Cluster-Lösung. Diese Lösung wurde in einer iterativen Clusteranalyse mit dem k-Mean-Algorithmus optimiert. Damit sollten, wie beim WARD-Algorithmus, möglichst homogene, aber voneinander unabhängige Cluster mit etwa ausgeglichenen Gruppengrößen gebildet werden. Durch diese Clusteranalyse konnte der Faktor Erziehungsstil Struktur/ Kontrolle nicht signifikant durch die Cluster erklärt werden. Der Faktor wurde daher aus der Clusteranalyse ausgeschlossen. Die hierarchische Clusteranalyse mit nach geschalteter iterativer Optimierung wurde wiederholt. Sie konvergierte bei der Stichprobe der jüngeren Jugendlichen nach fünf Iterationen, bei den älteren Jugendlichen nach sieben Iterationen. Sie erklärte nun 46.6 % der Varianz, die Pseudo-F-Statistik betrug 109.4 im 6. Schuljahr bzw. erklärte 46.5 % der Varianz im 8. Schuljahr mit einer Pseudo-F- Statistik von 162.5. Diese Varianzaufklärungen können als befriedigend bezeichnet werden. Alle Dimensionen unterschieden sich in beiden Kohorten zwischen den Clustern signifikant. Die Clustermittelwerte mit Standardabweichungen sind in Tabelle 2 dargestellt. Die Items haben einen Mittelwert von Null. 6. Schuljahr 8. Schuljahr Cl 1: Cl 2: Cl 3: Cl 4: F, p Cl 1: Cl 2: Cl 3: Cl 4: F, p leistungswachsen fördernd vernachdf Z = 3, leistungswachsen fördernd vernachdf Z = 3, orientiert lassend lässigend df N, = 354 orientiert lassend lässigend df N, = 562 n 85 124 79 70 163 165 169 69 1. Erziehungsstil: Autonomie/ Zuwendung (S) -1.34 (.79) .47 (.54) .63 (.63) -.09 (.68) 165.7, .001 -.41 (.72) .40 (.60) .72 (.58) -1.61 (.93) 230.7, .001 2. Stimulation (S) -.99 (.77) .36 (.77) .66 (.80) -.29 (.80) 76.2, .001 -.48 (.57) .25 (.76) .79 (.66) -1.31 (.75) 196.6, .001 3. Hausaufgaben: Selbstständigkeit (E) .18 (.76) .15 (.65) .77 (.73) -1.30 (.68) 116.4, .001 .69 (.66) -.85 (.81) .47 (.68) -.78 (.76) 176.3, .001 4. Bildungserwartungen (E) .04 (.78) -.39 (.74) 1.18 (.66) -.68 (.80) 96.7, .001 -.04 (.91) -.55 (.79) .80 (.77) -.52 (.90) 84.2, .001 Tabelle 2: Clustermittelwerte mit Standardabweichungen, getrennt für das 6. und 8. Schuljahr, sowie F-Statistik Legende: n: Anzahl Personen, df Z : degrees of freedom Zähler, df N : degrees of freedom Nenner, Cl: Cluster; (S): Schülerdaten, (E): Elterndaten (*: p < .05, **: p < .01, ***: p < .001) 272 Markus P. Neuenschwander, Stefanie Goltz In beiden Kohorten bezeichnete Cluster 1 leistungsorientierte Familien, Cluster 2 wachsen lassende (permissive) Familien, Cluster 3 fördernde Familien und Cluster 4 vernachlässigende Familien. Die Verteilung der Cluster unterschied sich im 6. und im 8. Schuljahr nach dem Geschlecht (6. Klasse: c 2 = 11.6, df = 3, p < .01, 8. Klasse: c 2 = 17.2, df = 3, p < .001): In beiden Kohorten sind die weiblichen Jugendlichen häufiger in wachsen lassenden Familien, männliche Jugendliche häufiger in vernachlässigenden Familien zu finden. Die Verteilung unterschied sich aber nicht nach der Familienform oder der Nationalität. Die Verteilung zwischen den Clustern unterschied sich zwischen den Kohorten (c 2 = 68.1, df = 3, p < .001): Im 6. Schuljahr gehörten mehr Jugendliche als zufällig erwartet zu wachsen lassenden oder vernachlässigenden Familien, im 8. Schuljahr sind leistungsorientierte und fördernde Familien häufiger als zufällig erwartet. Pädagogische Orientierung in Familien und Schülerleistungen Zur Prüfung der Hypothesen 1 und 3 wurden neben dem Familientyp die Faktoren Geschlecht und die Interaktion Familientyp mal Geschlecht sowie die Kovariate sozio-ökonomischer Status einbezogen. In der multivariaten zweifaktoriellen Kovarianzanalyse erwiesen sich das Geschlecht (6. Schuljahr: Hotelling-Lawley Trace F = 19.4, df = 2, 327, p < .001, 8. Schuljahr: Hotelling-Lawley Trace F = 47.3, df = 2, 506, p < .001) sowie die Familientypen (6. Schuljahr: Hotelling-Lawley Trace F = 10.0, df = 6, 434, p < .001, 8. Schuljahr: Hotelling- Lawley Trace F = 4.6, df = 6, 672, p < .001) als signifikant, nicht aber die Interaktion Familie mal Geschlecht (vgl. Mittelwerte und univariate Effekte in Tabelle 3). Es konnten im 6. Schuljahr 18.2 % der Varianz in Mathematik und 21.8 % der Varianz in Deutsch aufgeklärt werden (8. Schuljahr Mathematik 10.1 %, Deutsch: 17.6 %). Die Effekte im 8. Schuljahr sind also etwas schwächer als im 6. Schuljahr. Tabelle 3: Leistungen in Mathematik und Deutsch, differenziert nach Cluster, Geschlecht und SES: geschätzte Mittelwerte mit univariater F-Statistik Legende: Cl: Cluster, df Z : degrees of freedom Zähler, df N : degrees of freedom Nenner, F G : F-Statistik zum Geschlechtervergleich, F Isei = F-Statistik der Kovariate Schicht, b Isei = standardisierter Regressionskoeffizient der Kovariate Schicht auf die Leistungen; *: p < .05, **: p < .01, ***: p < .001 Cl 1: Cl 2: Cl 3: Cl 4: männlich weiblich F Cl , F G , F CxG , F Isei , b Isei leistungswachsen fördernd vernach- (df Z = 3), (df Z = 1), (df Z = 3), (df Z = 1), orientiert lassend lässigend df N , p df N , p df N , p df N , p n 81 113 76 66 150 186 Math 49.27 49.34 57.42 46.35 51.81 49.36 17.4, 5.4, 1.1, 3.9, .08* 6. Klasse 327, *** 327, * 327, n.s. 327, * Deutsch 49.31 49.56 56.26 48.67 49.07 52.83 11.6, 14,6 1.2, 17.2, .16*** 6. Klasse 327, *** 327, *** 327, n.s. 327, *** n 155 150 150 61 258 258 Math 51.48 48.82 52.49 48.62 52.41 48.19 4.8, 23.0, 1.8, 13.1, .12*** 8. Klasse 517, ** 517, *** 517, n.s. 517, *** Deutsch 56.35 54.79 57.85 52.08 53.06 57.48 8.0, 30.7, 1.2, 24.1, .15*** 8. Klasse 510, *** 510, *** 510, n.s. 510, *** Familiäre Bedingungen von Schülerleistungen 273 In beiden Fächern und Klassenstufen waren in Übereinstimmung mit Hypothese 1 die Leistungen der Schülerinnen und Schüler aus fördernden Familien am höchsten, in vernachlässigenden Familien am geringsten. Diese Ergebnisse unterstützten zudem Hypothese 3: Die männlichen Jugendlichen erreichten sowohl im 6. wie auch im 8. Schuljahr bessere Leistungen in Mathematik als die weiblichen Jugendlichen, in Deutsch war der Effekt hingegen umgekehrt. Im nächsten Schritt wurde geprüft, ob die Familientypen die Leistungsveränderung vom 6. ins 9. Schuljahr erklären konnten. Es wurden dafür für beide Fächer getrennt je einfaktorielle Kovarianzanalysen mit dem Faktor Familientyp und den beiden Kovariaten Schicht (ISEI) sowie Leistungstest im jeweiligen Fachbereich gerechnet. Alle unabhängigen Variablen wurden zum 1. Messzeitpunkt erfasst, die abhängigen Variablen Leistungen zum zweiten Messzeitpunkt. Gemäß Tabelle 4 erklärten die Familientypen die Leistungsunterschiede in Deutsch und Mathematik im 9. Schuljahr auch nach Kontrolle der früheren Leistung bzw. des Schichtindikators signifikant. Offenbar vermochten die Familientypen auch die Leistungsveränderung in Mathematik und Deutsch im Zeitraum von 4 Jahren vorherzusagen. Mediatorhypothese Zur Prüfung der in Hypothese 2 a dargelegten Vermutung, dass zwischen der Schicht und den Familientypen ein Zusammenhang besteht, rechneten wir - getrennt für die 6. und 8. Klasse - multinomiale Analysen mit der Schicht als unabhängiger und dem Familientyp als abhängiger Variable. Die Ergebnisse zeigten, dass die Schicht sowohl in der 6. als auch in der 8. Klasse signifikant die Familientypen vorhersagen konnte (6. Klasse: c 2 = 16.2, df = 3, p < .01, 8. Klasse: c 2 = 36.5, df = 3, p < .001). Jugendliche im 6. und im 8. Schuljahr aus höheren Schichten befinden sich eher in fördernden Familien als in vernachlässigenden Familien. Zur Prüfung der Hypothese 2 b wurden zuerst einfache Regressionsanalysen gerechnet. Der Faktor Schicht erwies sich im 6. Schuljahr als signifikant im Hinblick auf die Leistungen in Mathematik (b = .17, p < .001) und in Deutsch (b = .29, p < .001) bzw. im 8. Schuljahr bezüglich Mathematik (b = .21, p < .001) und Deutsch (b = .23, p < .001). Danach wurden die Beträge der einfachen Regressionsanalyse mit den Beträgen der zweifaktoriellen multivariaten Kovarianzanalyse (Tabelle 3, rechte Spalte) verglichen. Eine allfällige Reduktion der beta- Koeffizienten nach Einbezug der beiden Faktoren Familientyp, Geschlecht und ihrer Interaktion würde auf einen Mediatoreffekt zwischen Schicht und Leistungen hinweisen. Tatsächlich nahmen nach Einbezug von Familientyp und Geschlecht zwar die Beträge der Regressionskoeffizienten in der multiplen Analyse ab, aber nicht substanziell. Die Reduktion ist vergleichsweise am höchsten beim Deutschtest in der 6. Klassenstufe (b = .29, p < .001 in der Analyse Cl 1: Cl 2: Cl 3: Cl 4: F Cl , F Leistung , F Isei , leistungswachsen fördernd vernachd fZ , df N , p df Z , df N , p df Z , df N , p orientiert lassend lässigend n 51 81 42 48 Math 49.32 47.70 53.46 47.54 6.5, 128.2, 2.8, 9. Klasse 3, 216, *** 1, 216, *** 1, 216, .10 Deutsch 52.48 51.13 54.32 47.60 8.0, 184.9, 4.4, 9. Klasse 3, 214, *** 3, 214, *** 1, 214, * Tabelle 4: Leistungen in Mathematik und Deutsch im 9. Schuljahr, differenziert nach Cluster, frühere Leistungen und sozio-ökonomischem Status im 6. Schuljahr: geschätzte Mittelwerte mit F-Statistik Legende: Cl: Cluster, df Z : degrees of freedom Zähler, df Z : degrees of freedom Nenner, F Leistung : F-Statistik zur Kovariate frühere Leistungen, F ISEI = F-Statistik der Kovariate Schicht, n: Anzahl Personen, *: p < .05, **: p < .01, ***: p < .001 274 Markus P. Neuenschwander, Stefanie Goltz ohne Familientyp und Geschlecht, b = .16, p < .001 in der Analyse mit Familientyp und Geschlecht). Es kann daher nur von einer partiellen Mediation der pädagogischen Orientierung in Familien zwischen dem sozio-ökonomischen Status und den Schülerleistungen gesprochen werden. Der sozio-ökonomische Status trägt zusätzlich zu Familientyp und Geschlecht zur Varianzaufklärung bei. Diskussion Die Studie ging der Frage nach, wie Sozialisationsprozesse in der Familie die Schülerleistungen in der 6. und 8. Klassenstufe sowie die Leistungsveränderung von der 6. zur 9. Klassenstufe beeinflussen. Das Besondere der Studie liegt im Vorgehen nach dem Person-Ansatz. Es wurden unter Einbezug der Eltern- und der Schülerperspektive vier Familientypen auf der Basis systemtheoretischer Überlegungen gebildet, die sich nach ihrer pädagogischen Orientierung unterschieden und deren Struktur mit iterativen Clusteranalysen in zwei verschiedenen Klassenstufen überwiegend bestätigt werden konnte. Die vier Familientypen haben eine gewisse inhaltliche Ähnlichkeit mit den vier Erziehungsstilen von Dornbusch (et al., 1987). Sie schließen einen Erziehungsstil ein, werden aber als Typen pädagogischer Orientierung interpretiert, weil sie Einstellungen und Verhalten von Eltern und Kindern einschließen. Der Einbezug von zwei Informationsquellen (Eltern und Schüler) erlaubt die mehrperspektivische Erfassung der Familientypen, der längsschnittliche Zugang die Vorhersage der Leistungsentwicklung. Die Erklärung von Leistungsunterschieden durch die Cluster gelang deutlich besser als es die einzelnen Dimensionen der Cluster zuließen (vgl. Korrelationsanalysen). Neuenschwander (2006) zeigte, dass diese Familientypen auch mit unterschiedlichen Ausprägungen in verschiedenen Dimensionen sozialer Kompetenzen zusammenhängen. Offenbar werden in diesen Familientypen verschiedene Kompetenzen unterschiedlich stark entwickelt. Konsistent stützen die Ergebnisse die erste Hypothese, dass die Jugendlichen in fördernden Familien besonders hohe Leistungen in Deutsch und Mathematik erbringen. Sie können für die jüngere Kohorte auch in der längsschnittlichen Analyse gefunden werden. Weil entsprechende Längsschnittdaten für die ältere Kohorte fehlen, konnte diese längsschnittliche Analyse für die ältere Kohorte nicht durchgeführt werden. Die Effekte sind in Deutsch nicht stärker als in Mathematik. Um allfällige Beurteilungsverzerrungen durch Lehrpersonen auszuschließen, wurden Leistungstests statt Noten als Prüfkriterien eingesetzt.Die unterschiedlichen Prozessdynamiken, die die vier Familientypen repräsentieren, korrespondieren mit unterschiedlichen Leistungsniveaus der Schülerinnen und Schüler. Der sozio-ökonomische Status der Familie erklärt Schülerleistungen auch nach Kontrolle der pädagogischen Orientierung der Familie - wenn auch weniger stark. Es kann daher höchstens von einer partiellen Mediation durch die pädagogische Orientierung der Familie gesprochen werden. Die Ergebnisse belegen die Bedeutung der Familiensozialisation für die Leistungsentwicklung in der Schule. Um die soziale Ungleichheit zwischen sozialen Schichten nicht zu verstärken, brauchen insbesondere Eltern aus unteren Schichten Hilfestellungen, wie sie ihren Kindern ein anregendes familiäres Umfeld schaffen können. Es werden auch die Grenzen der vorliegenden Untersuchung sichtbar. Allerdings stößt man dabei auch an Grenzen der Auswertungsmöglichkeiten. Insgesamt bietet unseres Erachtens der Person-Ansatz interessante und bisher unausgeschöpfte Möglichkeiten, indem Interaktionsmuster zwischen verschiedenen Variablen integral miteinander verglichen werden können. Anmerkung 1 Ich danke der Pädagogischen Hochschule Bern (Projektnummer 0101s017) und dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Projektnummer 100013-107733) für die finanziellen Beiträge. Familiäre Bedingungen von Schülerleistungen 275 Literatur Alexander, K. L., Entwisle, D. R. & Bedinger, S. D. (1994). When expectations work: Race and socioeconomic differences in school performance. Social Psychology Quarterly, 57 (4), 283 - 299. Bergmann, L. R. & El-Khouri, B. M. (2003). A personoriented approach: Methods for today and methods for tomorrow. New Directions for Child and Adolescent Development, 101, 25 - 38. Bourdieu, P. (1983). 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