Psychologie in Erziehung und Unterricht
3
0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
3_056_2009_1/3_056_2009_1.pdf11
2009
561
Machen Kleider wirklich Schule? Eine längsschnittliche Analyse der Effekte des Tragens von einheitlicher Schulkleidung
11
2009
Oliver Dickhäuser
Johannes Helgert
Anna Köppe
Es wurde untersucht, welche Effekte das Tragen von Schulkleidung hat. Die Längsschnittstichprobe umfasste n = 333 Schüler, darunter Schüler einer Versuchsschule, die entweder verpflichtend (Stufe 5) oder freiwillig (Stufe 6) Schulkleidung trugen und Schüler einer anderen Schule, in der es keine einheitlichen Bekleidungsvorschriften gab. Erfasst wurden zu Beginn und Ende des Schuljahres soziale Merkmale (Sozialklima) und stärker unterrichtsbezogene Variablen (Lernzielorientierung, Aufmerksamkeit) sowie der Stellenwert von Kleidung und die Einstellung zu Schulkleidung im Selbstbericht. Zu einem dritten Messzeitpunkt wurde die Schulleistung anhand eines standardisierten Jahrgangsstufentests erfasst. Die Variablen entwickelten sich für die Träger vs. Nichtträger nicht unterschiedlich. Einzige Ausnahme bildete die Einstellung zu Schulkleidung: Diese wurde im Laufe des Schuljahres bei den Trägern von Schulkleidung stärker negativ als bei den Nichtträgern. Mögliche Ursachen für die Befunde werden diskutiert.
3_056_2009_1_0004
n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2009, 56, 38 - 48 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Machen Kleider wirklich Schule? Eine längsschnittliche Analyse der Effekte des Tragens von einheitlicher Schulkleidung 1 Oliver Dickhäuser Johannes Helgert, Anna Köppe Universität Mannheim Universität Erlangen-Nürnberg Do Clothes Make the Student? A Longitudinal Analysis of the Effects of Student Uniforms Summary: We analyzed the relation between student uniforms and student characteristics at the secondary school level. The longitudinal sample consisted of n = 333 students partly from classes with a mandatory uniform policy (grade 5) or a voluntary uniform policy (grade 6) and partly from a second school without a uniform policy. We assessed social variables (classroom climate), learning-related variables (learning goal orientation, students’ attention) as well as the perceived importance of clothing and students’ attitudes concerning uniforms at the beginning and at the end of the school year. At the beginning of the second school year, we also assessed students’ achievement in a standardized test. Changes in the dependent variables were not different for students wearing vs. not wearing uniforms. The only exception was the attitude concerning student uniforms: The attitudes of students wearing uniforms became more negative than the attitudes of students without uniforms. We discuss possible reasons for these findings. Keywords: Clothing, Classroom-Environment, Student-Characteristics, High-School-Students Zusammenfassung: Es wurde untersucht, welche Effekte das Tragen von Schulkleidung hat. Die Längsschnittstichprobe umfasste n = 333 Schüler, darunter Schüler einer Versuchsschule, die entweder verpflichtend (Stufe 5) oder freiwillig (Stufe 6) Schulkleidung trugen und Schüler einer anderen Schule, in der es keine einheitlichen Bekleidungsvorschriften gab. Erfasst wurden zu Beginn und Ende des Schuljahres soziale Merkmale (Sozialklima) und stärker unterrichtsbezogene Variablen (Lernzielorientierung, Aufmerksamkeit) sowie der Stellenwert von Kleidung und die Einstellung zu Schulkleidung im Selbstbericht. Zu einem dritten Messzeitpunkt wurde die Schulleistung anhand eines standardisierten Jahrgangsstufentests erfasst. Die Variablen entwickelten sich für die Träger vs. Nichtträger nicht unterschiedlich. Einzige Ausnahme bildete die Einstellung zu Schulkleidung: Diese wurde im Laufe des Schuljahres bei den Trägern von Schulkleidung stärker negativ als bei den Nichtträgern. Mögliche Ursachen für die Befunde werden diskutiert. Schlüsselbegriffe: Kleidung, Schulklassenumwelt, Schüler- und Studentenmerkmale, Schüler der Sekundarstufe In der vorliegenden Studie wird für die Sekundarstufe I erstmalig im deutschen Sprachraum längsschnittlich der Frage nachgegangen, welche Veränderungen sich bei Schülern in Folge des verpflichtenden Tragens einheitlicher Schulkleidung einstellen. Die Debatte über Vor- und Nachteile einer einheitlichen Bekleidung von Schülern wird in der Öffentlichkeit kontrovers geführt. In dieser Diskussion, die oft durch anekdotische Erlebnisberichte scheinbar empirisch untermauert werden soll, wird die Einführung einer einheitlichen Kleidung durch Schulkleidung 39 verschiedenste Argumente begründet. Im Einzelnen wird vermutet, dass (a) Schüler sich hierdurch weniger stark einem unerwünschten Modediktat unterwerfen müssen, (b) es zu einem höheren Zusammenhalt in den Klassen käme, weil Ausgrenzung aufgrund von Kleidung wegfalle und (c) Schüler sich durch die einheitliche Kleidung im Sinne einer stärkeren Corporate Identity an die Ziele der Institution Schule (etwa aufmerksam und dem Lernen verpflichtet zu sein) stärker gebunden fühlen würden (z. B. Ryan & Ryan, 1998). Diesen Überlegungen folgend wäre zu vermuten, dass das Tragen von Schulkleidung einhergeht mit (a) der Entwicklung eines niedrigeren Stellenwerts von Kleidung bei den Schülern, (b) einem höheren Sozialklima sowie (c) mit einer höheren Lernzielorientierung und einer höheren Aufmerksamkeit. Vermittelt über Faktoren wie die Lernzielorientierung und die Aufmerksamkeit könnte es in einem nächsten Schritt unabhängig vom Schulfach zu einer höheren Leistung der Schüler kommen (vgl. für diese Hypothese Ryan & Ryan, 1998). Kritiker einheitlicher Kleidung argumentieren, das Vorschreiben zu tragender Kleidung sei ein übermäßiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von Schülern und nehme diesen die Möglichkeit, sich mittels ihrer Kleidung auszudrücken (King, 1998). Mitunter werden auch ausdrücklich negative Effekte einer einheitlichen Kleidung vermutet: Durch Einheitskleidung komme es möglicherweise zu höherem Konformismus und Autoritarismus bei Schülern, außerdem könne sich das Modediktat auf andere Kleidungsstücke abseits der Schulkleidung (z. B. besonders aktuelle Turnschuhe) oder aber auf technische Statussymbole (wie etwa Handys oder MP3-Player) verschieben. Die internationale Befundlage zu Effekten einheitlicher Kleidung an Schulen ergibt ein unklares Bild. Am häufigsten zitiert werden Befunde aus dem Long Beach Unified School District, Kalifornien, der mit Beginn des Schuljahres 1994/ 95 obligatorische Schuluniformen für alle Schüler (rund 60.000) der Grund- und Mittelstufen einführte. Die Kriminalstatistik verzeichnete parallel zur Einführung der Schuluniformen einen Rückgang von tätlichen Auseinandersetzungen, weniger Vorfälle mit Waffen sowie weniger Erpressungen unter Schülern (Long Beach Unified School District, 2004; vgl. auch Cohn, 1996). In einer Arbeit von Wade und Stafford (2003) wurden sowohl Schülerwie Lehrerwahrnehmungen des Schulklimas und der Präsenz von Banden an der jeweiligen Schule erfasst. Hinsichtlich des Schulklimas zeigten sich weder in der Lehrernoch in der Schülerwahrnehmung statistisch bedeutsame Unterschiede zwischen Schülern mit und Schülern ohne Einheitskleidung. Gleiches galt für die Schülerwahrnehmung von Bandenpräsenz. Im Lehrerurteil war das Ausmaß wahrgenommener Aktivität von Banden an Schulen mit einheitlicher Kleidung jedoch niedriger als an Schulen ohne Einheitskleidung. Brunsma und Rockquemore (1998) fanden auf der Basis des Datensatzes der National Educational Longitudinal Study 1988 uneinheitliche Effekte von Schuluniformen. In der Gesamtstichprobe erzielten die Träger von Schuluniformen bessere Leistungen in standardisierten Tests. Dieser Vergleich auf der Grundlage der Gesamtstichprobe ist aber problematisch, da in den USA die Träger von Uniformen zum weitaus größeren Teil aus Privatschulen als aus öffentlichen Schulen stammen. Insofern sind bei dem Vergleich die potenziellen Wirkgrößen Schuluniform und Schulart (privat vs. öffentlich) konfundiert. Betrachteten Brunsma und Rockquemore dagegen nur die Substichprobe katholischer Privatschulen, so zeigte sich, dass hier die Träger von Schuluniformen schlechtere Leistungen erzielten als die Nichtträger. Diese Publikation ist jedoch methodisch kritisiert worden. So merkt Bodine (2003) an, Brunsma und Rockquemore (1998) könnten aus der Beobachtung eines negativen Zusammenhangs zwischen dem Tragen von Schulkleidung und Schulleistung an katholischen Privatschulen nicht auf analoge negative Zusammenhänge an öffentlichen Schulen schließen (vgl. hierzu auch Brunsma & Rockquemore, 2003). 40 Oliver Dickhäuser et al. Im deutschen Sprachraum existieren bislang nur zwei Veröffentlichungen, in denen möglichen Auswirkungen und Korrelaten des Tragens von einheitlicher Schulkleidung empirisch nachgegangen wurde (Dickhäuser, Lutz, Wenzel & Schöne, 2004; Spörer & Brunstein, 2007). Dickhäuser et al. (2004) untersuchten in zwei Hamburger Schulen Korrelate des Tragens einheitlicher Kleidung. Dazu befragten die Autoren Schüler aus zwei Schulen, wobei in einer Schule Schulkleidung getragen wurde, in der Vergleichsschule jedoch nicht. Befragt wurden Schüler der fünften Klassenstufe (die zum Zeitpunkt der Befragung in der Schule mit Schulkleidung erst seit Kurzem Schulkleidung trugen) sowie Schüler der Klassenstufen sieben und acht (die zum Zeitpunkt der Befragung in der Schule mit Schulkleidung bereits seit zwei oder drei Jahren Schulkleidung trugen). Die Ergebnisse der Studie zeigten in den Klassen mit einheitlicher Schulkleidung ein besseres Sozialklima, eine höhere selbst berichtete Aufmerksamkeit sowie einen generell niedrigeren Stellenwert von Kleidung als in Vergleichsklassen ohne einheitliche Bekleidungsregelung; diese Unterschiede zeigten sich jedoch ausgeprägt erst in höheren Klassen bei älteren Schülern, die die einheitliche Schulkleidung bereits seit einiger Zeit trugen. Ingesamt lagen die Effektstärken im Bereich kleiner bis mittlerer Effekte. Einschränkend muss bei der Interpretation der Befunde dieser Studie bedacht werden, dass ihr Design nicht längsschnittlich angelegt war, sodass sie offen lässt, welche Veränderungen sich im Zusammenhang mit dem Tragen von Schulkleidung im Laufe der Zeit einstellen. Die Studie von Spörer und Brunstein (2007) gibt auf diese Frage eine Antwort. Hier wurden Veränderungen in Abhängigkeit des Tragens oder Nichttragens von Schulkleidung in der Grundschule längsschnittlich untersucht. Befragt wurden 155 Schüler einer Schule (Versuchsschule), an der freiwillig Schulkleidung getragen wurde (75 Prozent der Schüler hatten Schulkleidung erworben, das Trageverhalten war jedoch in den verschiedenen Klassenstufen sehr unterschiedlich), und 96 Schüler einer Vergleichsschule ohne einheitliche Kleidung. Bei Kontrolle von Vortestunterschieden zeigten sich keine Unterschiede im Klassenklima, in der sozialen Integration oder der Anstrengungsbereitschaft zwischen Versuchs- und Vergleichsschule. Für die Lernfreude zeigte sich, dass Schüler an der Schule mit einheitlicher Schulkleidung bei Kontrolle von Vortestwerten niedrigere Werte aufwiesen als Schüler der Vergleichsschule. Spörer und Brunstein diskutieren, dass positive Effekte des Tragens von Schulkleidung in der Grundschule möglicherweise deshalb ausbleiben, weil Kleidung als individuelles Stilmittel erst im Jugendalter an Bedeutung gewinnt. Bei der Interpretation der Befunde von Spörer und Brunstein ist weiterhin zu beachten, dass an der untersuchten Versuchsschule das Tragen der Schulkleidung freiwillig war. Die Autoren erwähnen selbst, dass etwaige Effekte von Schulkleidung weniger stark ausgeprägt sein könnten, wenn das Tragen von Schulkleidung freiwillig ist, da in diesem Fall individuelle Kleidung das Ausbilden einer Gruppenidentität erschweren könne. Die wenigen Studien zu etwaigen Effekten einheitlicher Kleidung liefern somit ein uneinheitliches Bild. Die Bedeutung, die dem Faktor Freiwilligkeit für die Ausprägung etwaiger Effekte zukommt, ist bislang nicht systematisch untersucht. An dieser Stelle setzt die vorliegende Studie an. Sie untersucht anhand eines längsschnittlichen Designs für die Sekundarstufe I, inwieweit das Tragen von Schulkleidung ein besseres Sozialklima, eine höhere Lernzielorientierung, eine höhere Aufmerksamkeit und einen niedrigeren Stellenwert von Kleidung mit sich bringt. Ebenfalls untersuchen wir etwaige negative Effekte der Schulkleidung auf Autoritarismus, Konformismus und auf die Wertschätzung von Kleidung abseits der Schulkleidung und technischen Statussysbolen. Dabei wird auch exploriert, ob etwaige Effekte von Schulkleidung stärker ausgeprägt sind, wenn diese verpflichtend getragen wird. Schulkleidung 41 Methode Versuchspersonen An der Untersuchung nahmen zu T 1 (Beginn des Schuljahres) 394 und zu T 2 (Ende des Schuljahres) 376 Schüler teil. Von 333 Schülern liegen zu T 1 und T 2 vollständige Datensätze vor. Nachfolgende Angaben beziehen sich auf diese 333 Schüler (182 Mädchen und 151 Jungen). Zu einem dritten Zeitpunkt (T 3, Beginn des nachfolgenden Schuljahres) wurden Leistungsdaten für einen Teil der Schülerschaft erfasst. Das Alter der Schüler lag zu T 1 zwischen 10 und 13 Jahren und betrug im Mittel 11.0 Jahre. 173 der befragten Schüler besuchten Klassen in einer Schule A, in denen einheitliche Schulkleidung getragen wird. Dies waren vier fünfte Klassen (n = 98), in denen die einheitliche Kleidung verpflichtend zu tragen war, und vier sechste Klassen (n = 75), in denen die einheitliche Kleidung von den Schülern freiwillig getragen werden konnte, wobei zu T 1 71 Prozent der Schüler angaben, dies zu tun. In den Klassen wurde die Schulkleidung seit Schuljahresbeginn getragen. Die Schule A führte zum Schuljahr 2005/ 2006 beginnend mit den fünften Klassen einheitliche Schulkleidung auf Wunsch der Schüler und der Elternschaft als regulären Bestandteil ihres Schulprogramms ein. Die Eltern der Schüler erklärten sich bei der Anmeldung mit der Idee der einheitlichen Schulkleidung einverstanden. Die Schulkleidung selbst besteht aus einem einheitlich farbigen Oberteil verschiedener Schnittmuster, das mit einem Schullogo versehen ist. Jeder Schüler hat die Möglichkeit, verschiedene Oberteile zu erwerben und kann sich dann an verschiedenen Tagen auch verschieden kleiden. 160 der befragten Schüler besuchten vier fünfte (n = 88) und drei sechste Klassen (n = 72) einer Schule B, in denen keine einheitliche Schulkleidung getragen wird. Das Einzugsgebiet der Schule B ist mit dem der Schule A vergleichbar, es handelt sich bei dieser Schule ebenso wie bei Schule A um eine staatliche Realschule in Bayern. Bei beiden Schulen handelt es sich um die einzigen Realschulen vor Ort, sodass eine Entscheidung der Eltern für oder gegen eine Schule aufgrund der Schulkleidungspolitik ausgeschlossen werden kann. Material und Durchführung Die Erhebung der interessierenden Variablen zu T 1 und T 2 erfolgte per Fragebogen im Klassenverband während regulärer Schulstunden durch geschulte Versuchsleiter. Zu T 1 dauerte die Befragung zwei Schulstunden, wobei in der ersten Stunde die Intelligenz der Schüler erfasst wurde, anschließend die anderen interessierenden Variablen. Zu T 2 betrug die Befragungsdauer etwa eine Schulstunde. Zu T 3 wurden die Klassenlehrer gebeten, für die Schüler ihrer Klasse Angaben zum Leistungsstand zu machen (s. u.). Die Lehrerbefragung erfolgte postalisch. Zu T 1 und T 2 wurden das Sozialklima, die Lernzielorientierung der Schüler, die Aufmerksamkeit und der allgemeine Stellenwert von Kleidung sowie die Einstellung zu Schulkleidung auf die gleiche Weise, wie in der Studie von Dickhäuser et al. (2004) erfasst. Einen Überblick über die eingesetzten Skalen gibt Tabelle 1. Als Kontrollvariable wurde zu T 1 die Intelligenz der Schüler anhand der Kurzform des CFT 20 (Weiß, 1998) erfasst. Nur zu T 2 wurden Autoritarismus, Konformitätszwang, der Stellenwert, den die Schüler Kleidung abseits der Schulkleidung beimessen, und der Stellenwert, den die Schüler technischen Statussymbolen beimessen, erfasst. Die Autoritarismus-Skala (Dalbert, 1996) erfasst als Selbstbeurteilungsinstrument den Glauben an Autoritäten, autoritäre Unterordnung und Intoleranz gegenüber anderen Personen. Der Konformitätszwang wurde anhand einer Skala von Fend und Prester (1986) erfasst. Hohe Werte in dieser Skala zeigen an, dass innerhalb einer Schulklasse - in der Wahrnehmung der Schüler - Binnensolidarität auf Kosten der Individualität des Einzelnen geht. Wie Tabelle 1 zeigt, waren die internen Konsistenzen (Cronbachs Alpha) aller eingesetzten Skalen für Gruppenvergleiche hinreichend. Für jede Skala wurde daher der Summenwert ermittelt und durch die Anzahl der Items geteilt. Der mögliche Antwort- Range der Skalen liegt zwischen 1 und 4, bei der Skala Lernzielorientierung zwischen 1 und 5 und bei der Autoritarismus-Skala zwischen 1 und 6. Zu einem dritten Erhebungszeitpunkt wurden für einen Teil der Stichprobe Leistungsdaten erfasst. In Bayern nehmen Schüler in Stufe 6 an zentralen Jahrgangsstufentests teil. Für die Leistungen eines Schülers werden Noten auf der Grundlage der regulären Notenskala vergeben. Da die Aufgaben und der Notenschlüssel einheitlich sind, können die resultierenden Noten über Schulklassen und Schulen hinweg verglichen werden. Zu T 3 (im September des nach T 2 folgenden Schuljahres, kurz nach dem Schreiben der Jahrgangsstufentests) wurden per Lehrerangabe die Noten der Schüler in den Jahrgangsstufentests in 42 Oliver Dickhäuser et al. Deutsch und Mathematik erfasst. Demnach liegen für die Schüler, die zu T 1 und T 2 die fünfte Klassenstufe besuchten, Leistungskennwerte vor. Ergebnisse Für die sowohl zu T 1 (Schuljahresbeginn) wie zu T 2 (Schuljahresende) erfassten Variablen sind die Mittelwerte und Standardabweichungen getrennt nach Schulkleidung (Schulkleidung/ keine Schulkleidung), Messzeitpunkt und Klassenstufe (5./ 6. Stufe) in Tabelle 2 dargestellt. Wegen der Anzahl der durchgeführten Analysen wurde zur Vermeidung einer Alpha- Fehler-Inflationierung das Alpha-Niveau auf .01 gesetzt. Mit Hilfe von fünf Varianzanalysen mit Messwiederholung wurde überprüft, ob sich die Konstrukt Quelle Itembeispiel/ Items Anzahl der Items a T1 a T2 Sozialklima Schwarzer & Jerusalem (1999) Wenn jemand Schwierigkeiten hat, helfen ihm die Mitschüler. 4 .61 .57 Lernzielorientierung Spinath et al. (2002) In der Schule geht es mir darum, neue Ideen zu bekommen. 8 .80 .87 Aufmerksamkeit Dickhäuser et al. (2004) In meiner Klasse kann ich mich während des Unterrichts gut auf den Lernstoff konzentrieren. 4 .50 .61 Allgemeiner Stellenwert von Kleidung Dickhäuser et al. (2004) In der Schule reden wir oft über Klamotten. 3 .61 .71 Einstellung zu Schulkleidung Dickhäuser et al. (2004) Durch Schulkleidung ist man weniger vom Unterricht abgelenkt. 8 .81 .84 Autoritarismus (nur T 2) Dalbert (1996) Gehorsam und Achtung vor Autoritäten sind die wichtigsten Tugenden, die Kinder lernen sollten. 7 - .60 Konformitätszwang (nur T 2) Fend & Prester (1986) Bei uns wird man leicht zum Außenseiter, wenn man nicht tut, was die Klasse für richtig hält. 4 - .80 Stellenwert von Kleidung abseits der Schulkleidung (nur T 2) Eigenentwicklung Es ist mir wichtig, in der Schule trendige Hosen zu tragen. Ich lege großen Wert darauf, in der Schule coole Schuhe zu tragen. 2 - .78 Stellenwert von technischen Statussymbolen (nur T 2) Eigenentwicklung Ich lege großen Wert darauf, ein aktuelles Handy oder einen neuen MP 3-Player zu besitzen. In der Pause reden wir oft über aktuelle Computerspiele (z. B. X-Box, PS 2, etc.). Ich interessiere mich für die technischen Geräte meiner Mitschüler (Handy, MP 3- Player, Spielekonsolen etc.). Mir ist es wichtig, dass meine Mitschüler wissen, welche technischen Geräte ich besitze (Handy, MP 3-Player, Spielekonsolen etc.). 4 - .87 Tabelle 1: Eingesetzte Skalen mit Itembeispielen und interner Konsistenz (zu T 1/ T 2) Schulkleidung 43 zu T 1 und T 2 erfassten Variablen in Abhängigkeit von Schulkleidung und Klassenstufe unterschiedlich entwickeln. Innersubjektfaktor war der Messzeitpunkt (Anfang des Schuljahres vs. Ende des Schuljahres), Zwischensubjektfaktoren waren Schulkleidung und Klassenstufe. 2, 3 Für das Sozialklima zeigten sich weder Hauptnoch Interaktionseffekte (alle F-Werte < 4.68). Für die Lernzielorientierung zeigte sich ein statistisch signifikanter Effekt der Klassenstufe, F(1, 329) = 42.79, p < .001, h 2 = .12 sowie des Messzeitpunkts, F(1, 329) = 9.32, p < .01, h 2 = .03. Diese Effekte beruhten darauf, dass die Lernzielorientierung im Mittel in den sechsten Klassen niedriger war als in den fünften sowie zum Schuljahresende niedriger als zum Schuljahresbeginn. Weitere Haupt- oder Interaktioneffekte zeigten sich nicht (alle F-Werte < 3.54). In Bezug auf die von den Schülern berichtete Aufmerksamkeit ergab die Analyse wiederum einen statistisch signifikanten Effekt der Klassenstufe, F(1, 329) = 25.67, p < .001, h 2 = .07 und des Messzeitpunkts, F(1, 329) = 20.75, p < .001, h 2 = .06. Die Aufmerksamkeit Mit Schulkleidung Ohne Schulkleidung Schuljahresbeginn (T 1) Schuljahresende (T 2) Schuljahresbeginn (T 1) Schuljahresende (T 2) Sozialklima 5. Klasse 3.08 (0.48) 3.07 (0.46) 3.14 (0.66) 3.21 (0.49) 6. Klasse 3.14 (0.46) 3.07 (0.48) 3.04 (0.60) 2.95 (0.55) Lernzielorientierung 5. Klasse 4.27 (0.57) 4.24 (0.54) 4.36 (0.55) 4.31 (0.59) 6. Klasse 3.99 (0.70) 3.89 (0.83) 4.00 (0.55) 3.73 (0.79) selbst berichtete Aufmerksamkeit 5. Klasse 3.11 (0.45) 2.92 (0.49) 3.17 (0.46) 3.03 0.51) 6. Klasse 2.81 (0.54) 2.72 (0.57) 2.93 (0.50) 2.82 (0.53) Stellenwert von Kleidung 5. Klasse 1.65 (0.62) 1.68 (0.63) 1.53 (0.54) 1.58 (0.59) 6. Klasse 1.76 (0.63) 2.07 (0.75) 1.86 (0.73) 2.03 (0.81) Einstellung zu Schulkleidung 5. Klasse 2.96 (0.54) 2.62 (0.69) 2.38 (0.75) 2.29 (0.78) 6. Klasse 2.83 (0.68) 2.37 (0.73) 2.48 (0.72) 2.23 (0.64) Tabelle 2: Mittelwerte (und Standardabweichung) für die untersuchten Variablen getrennt nach Schulkleidung, Erhebungszeitpunkt und Klassenstufe 44 Oliver Dickhäuser et al. war im Mittel in den sechsten Klassen niedriger als in den fünften Klassen und zum Schuljahresende niedriger als zum Schuljahresbeginn. Auch hier gab es keine weiteren statistisch signifikanten Haupt- oder Interaktionseffekte (alle F-Werte < 3.94). Für den Stellenwert von Kleidung zeigte die Varianzanalyse einen statistisch signifikanten Effekt der Klassenstufe, F(1, 329) = 26.90, p < .001, h 2 = .08, mit höheren Werten in Stufe 6 als in Stufe 5. Weiterhin ergab sich ein statistisch signifikanter Effekt des Messzeitpunkts, F(1, 329) = 13.18, p < .001, h 2 = .04: Im Mittel war der Stellenwert von Kleidung am Ende des Schuljahres höher als am Anfang. Beide Haupteffekte wurden jedoch durch eine statistisch signifikante Interaktion der Faktoren Klassenstufe und Messzeitpunkt qualifiziert, F(1, 329) = 6.84, < .001, h 2 = .02. Diese Interaktion beruhte darauf, dass der Anstieg vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt in den sechsten Klassen statistisch signifikant war, t(146) = 3.94, p < .001, während dies in den fünften Klassen nicht der Fall war (t < 0.80). Weitere Effekte zeigten sich in der Analyse nicht, alle F-Werte < 1.27. Die Analyse der Einstellung zu Schulkleidung erbrachte einen statistisch signifikanten Effekt des Faktors Schulkleidung, F(1, 328) = 27.96, p < .001, h 2 = .08, mit höheren Werten bei den Schülern mit Schulkleidung als bei den Schülern ohne Schulkleidung. Weiterhin zeigte die Analyse einen statistisch signifikanten Effekt des Messzeitpunkts, F(1, 328) = 53.45, p < .001, h 2 = .14: Wie aus Tabelle 2 ersichtlich, ist die Einstellung gegenüber Schulkleidung zum Ende des Schuljahres weniger positiv als zu Schuljahresbeginn. Interessanterweise wurde dieser Effekt durch eine statistisch signifikante Interaktion der Faktoren Schulkleidung und Messzeitpunkt qualifiziert, F(1, 328) = 8.28, p < .01, h 2 = .03. Diese Interaktion ergibt sich aus der Tatsache, dass die Einstellung gegenüber Schulkleidung vom Anfang des Schuljahres zum Ende des Schuljahres an der Schule mit Schulkleidung stärker absinkt (t(172) = 7.27, p < .001) als an der Schule ohne Schulkleidung (t(158) = 2.90, p < 01). Ausschließlich zu T 2 wurde bei den Schülern Autoritarismus, Konformitätszwang, der Stellenwert von Kleidung abseits der Schulkleidung und der Stellenwert von technischen Statussymbolen erfasst. Mithilfe von vier einfaktoriellen Varianzanalysen wurde untersucht, inwieweit diese Variablen in Abhängigkeit des Tragens von Schulkleidung und Klassenstufe unterschiedlich ausgeprägt waren. Die Mittelwerte dieser Varia- Stufe 5 Stufe 6 mit Schulkleidung ohne Schulkleidung gesamt mit Schulkleidung ohne Schulkleidung gesamt Autoritarismus 4.58 (0.73) 4.45 (0.73) 4.52 (0.73) 4.08 (0.74) 4.14 (0.70) 4.11 (0.72) Konformismus 2.11 (0.94) 1.86 (0.72) 1.99 (0.84) 2.56 (1.07) 2.54 (1.07) 2.55 (1.07) Stellenwert von Kleidung abseits der Schulkleidung 1.88 (0.87) 1.62 (0.75) 1.75 (0.82) 2.16 (0.96) 2.13 (0.94) 2.14 (0.95) Stellenwert von technischen Statussymbolen 1.78 (0.68) 1.73 (0.71) 1.76 (0.70) 1.96 (0.76) 1.98 (0.72) 1.97 (0.74) Tabelle 3: Mittelwerte (und Standardabweichung) für Autoritarismus, Konformismus sowie den Stellenwert von Kleidung abseits der Schulkleidung und technischen Statussymbolen getrennt nach Schulkleidung und Klassenstufe Schulkleidung 45 blen sind in Tabelle 3 getrennt nach Schulkleidung (Schulkleidung/ keine Schulkleidung) und Klassenstufe (5. / 6. Stufe) dargestellt. Für die Variable Autoritarismus zeigte sich ein statistisch signifikanter Haupteffekt der Klassenstufe, F(1, 372) = 28.32, p < .001, h 2 = .07. Wie Tabelle 3 zeigt, war der Autoritarismus in Stufe 6 niedriger als in Stufe 5. Weitere Effekte zeigten sich nicht (F-Werte < 1.52). Auch für die Variable Konformismus war der Haupteffekt der Klassenstufe statistisch signifikant, F(1, 372) = 32.13, p < .001, h 2 = .08: Der Konformismus war in Stufe 6 höher als in Stufe 5. Weitere Effekte waren nicht statistisch signifikant (F-Werte < 1.89). Der Stellenwert von Kleidung und der Stellenwert von technischen Statussymbolen waren in Stufe 5 niedriger als in Stufe 6 (Kleidung: F(1, 372) = 18.55, p < .001, h 2 = .05, technische Statussymbole: F(1, 372) = 8.71, p < .01, h 2 = .02). Auch in Bezug auf diese beiden abhängigen Variablen gab es keine weiteren statistisch signifikanten Haupt- oder Interaktionseffekte (alle F-Werte < 2.47). In einem letzten Schritt der Ergebnisanalyse wurde mittels einer multivariaten Kovarianzanalyse der Effekt des Faktors Schulkleidung (Schulkleidung/ keine Schulkleidung) auf das Abschneiden der Schüler in den Jahrgangsstufentests in Deutsch und Mathematik erfasst. Diese Werte lagen für diejenigen Schüler vor, die zu T 1 und T 2 die fünfte Klasse besuchten. Abhängige Variablen waren die Note in Mathematik und in Deutsch. Faktor war die Schulkleidung. Zusätzlich wurde die zu T 1 gemessene Intelligenz (Alters-IQ) als Kovariate kontrolliert. Es zeigte sich ein Effekt der Kovariaten, F(2, 160) = 7.37, p < .001, h 2 = .08, sowie ein multivariater Effekt des Faktors Schulkleidung, F(2, 160) = 4.42, p = .01, h 2 = .05. Anschließende univariate Tests bestätigten den Effekt des Faktors Schulkleidung in Bezug auf die Note Mathematik, F(1, 163) = 6.94, p = .01, h 2 = .04, nicht jedoch in Bezug auf Deutsch (F < 0.01). Die Mathematiknote betrug in der Schule mit einheitlicher Schulkleidung 2.42 (IQ-adjustiert 2.43), während sie in der Schule ohne einheitliche Schulkleidung 2.84 (IQ-adjustiert 2.84) betrug. Poweranalyse. Um die Power des vorliegenden Designs abschätzen zu können, wurde nachträglich anhand des Programms GPower 3.0.5 die Power berechnet. Dabei wurde aufgrund der bisherigen Befunde denkbare Effekte der Schulkleidung im Bereich mittlerer bis kleiner Effekte geschätzt ( h 2 = .03, vgl. hierzu etwa die Effektstärken bei Dickhäuser et al. 2004). Das Alpha-Niveau wurde wie in den durchgeführten Analysen auf .01 gesetzt, für die Power des Messwiederholungsdesigns wurde die Höhe der Korrelation der T 1/ T 2-Werte mit dem in der vorliegenden Stichprobe maximal beobachteten Wert angesetzt (r = .55). Die Analyse zeigte, dass das Design für das Aufdecken von Interaktionseffekten aus Messwiederholungsfaktor und Zwischensubjektfaktor eine Teststärke von .99 aufwies. Die Power des Designs für das Aufdecken von Effekten hinsichtlich der nur zu T 2 erfassten Variablen Autoritarismus, Konformitätszwang, Stellenwert von Kleidung abseits der Schulkleidung sowie Stellenwert von technischen Statussymbolen war mit .79 noch ausreichend (vgl. Sachs, 2004), die Power des Designs für das Aufdecken von Effekten hinsichtlich der Schulleistung war (aufgrund der geringeren Anzahl von Versuchspersonen) mit .36 nicht mehr ausreichend. Diskussion Die vorliegende Studie widmete sich erstmals einer längsschnittlichen Analyse der Effekte des verpflichtenden Tragens von Schulkleidung auf soziale, motivationale und schulleistungsbezogene Variablen in der Sekundarstufe. Anlass für die Studie bildete die ausgesprochen magere und darüber hinaus heterogene Befundlage zu Effekten von Schulkleidung. Angesichts der Überlegungen, dass das Ausdrucksmittel „Kleidung“ im Jugendalter einen zentraleren Stellenwert (vgl. Dickhäuser et al., 2004) einnimmt und daher etwaige Effekte von Einheitskleidung erst in der Sekundarstufe I wahrscheinlich werden (Schurian, 1989), nahm 46 Oliver Dickhäuser et al. die vorliegende Untersuchung diese Population längsschnittlich in den Blick. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass das wahrgenommene Sozialklima sich bei Schülern mit Schulkleidung nicht anders entwickelt als bei Schülern ohne Schulkleidung. Dies gilt auch für die eher schulbezogenen Variablen Lernzielorientierung und selbst berichtete Aufmerksamkeit - es gab auch bei diesen beiden Variablen keine differenziellen Entwicklungsverläufe für Schüler mit vs. ohne Schulkleidung. Auch in Bezug auf den allgemeinen Stellenwert von Kleidung zeigen sich zwar plausible allgemeine Entwicklungstrends (etwa ein höherer Stellenwert von Kleidung bei Schülern höheren Alters), die Verläufe werden jedoch nicht durch den Faktor Schulkleidung beeinflusst. Darüber hinaus erlaubte unsere Analyse eine Beantwortung der Frage, welche Rolle der Freiwilligkeit des Tragens von Einheitskleidung für etwaige Effekte zukommt. Hier wird in der Literatur vermutet, die Effekte von Schulkleidung seien möglicherweise stärker, wenn die Schüler zum Tragen von Einheitskleidung verpflichtet würden (Spörer & Brunstein, 2007). Die Tatsache, dass sich in keiner der Analysen eine statistisch signifikante Dreifachinteraktion der Faktoren Messzeitpunkt, Schulkleidung und Klassenstufe zeigte, macht deutlich, dass der Klassenstufe (und damit verbunden der Freiwilligkeit [in Stufe 6] vs. Verpflichtung [in Stufe 5] zum Tragen von Schulkleidung) keine Bedeutung für die Effekte von Schulkleidung zukam: Weder in den fünften noch in den sechsten Klassen ließen sich positive Wirkungen der Schulkleidung nachweisen. Zusatzanalysen (vgl. Anmerkung 3) innerhalb der sechsten Klassen mit Schulkleidung konnten auch keine Differenzen zwischen den Schülern, die Schulkleidung trugen, und denen, die sich gegen Schulkleidung entschieden hatten, nachweisen. Hinsichtlich der Einstellung zu Schulkleidung zeigte sich zunächst in Übereinstimmung mit bisherigen Befunden (Dickhäuser et al., 2004 sowie Spörer & Brunstein, 2007), dass die Einstellung gegenüber Schulkleidung in der Schule mit einheitlicher Schulkleidung positiver ausfällt als in der Vergleichsschule ohne Schulkleidung. Dies verwundert deshalb nicht, weil in der untersuchten Schule die Einführung der Einheitskleidung auch durch ein breites Votum aufseiten der Schülerschaft unterstützt wurde. Interessanterweise zeigen sich bei der Einstellung gegenüber Schulkleidung als einzige Variable differenzielle Entwicklungsverläufe dergestalt, dass bei den Schülern mit einheitlicher Kleidung die Einstellung im Laufe der Zeit stärker negativ wurde, als dies bei den Nichtträgern der Schulkleidung der Fall war. Dieser Verlauf zeigte sich unabhängig davon, ob die Schulkleidung verpflichtend (Stufe 5) oder freiwillig (Stufe 6) getragen wird. Ob die Ursache hierfür Probleme bei der Implementation der Schulkleidung sind, sodass das hohe Commitment der Schüler nicht erhalten blieb, muss hier offen bleiben. Allerdings ergeben die Analysen auch keine Hinweise auf negative Effekte der Einheitskleidung (die sich möglicherweise in Folge der negativeren Einstellungen gegenüber Schulkleidung ergeben könnten): Das Tragen von Schulkleidung korrespondierte nicht mit höheren Werten in Autoritarismus oder Konformismus, bei der Wertschätzung von Markenkleidung oder bestimmter technischer Statussymbole (z. B. Handys, MP 3-Playern etc.). Für die mitunter geäußerte Vermutung, dass Einheitskleidung dazu führe, dass sich der Markenwahn bei Schülern lediglich verlagere, ergibt diese Studie damit keinen Beleg. Zur Prüfung der Hypothese, das Tragen von Einheitskleidung führe - unter Umständen vermittelt über andere Variablen (z. B. eine erhöhte schulische Aufmerksamkeit oder eine höhere allgemeine Lernzielorientierung) - in allen Fächern zu höherer Schulleistung, wurden in der vorliegenden Studie die Ergebnisse von standardisierten Jahrgangsstufentests herangezogen. In Klassen mit einheitlicher Kleidung war die Leistung im Jahrgangsstufentest in Mathematik, nicht aber in Deutsch, höher als in Klassen ohne Einheitskleidung. Es ist zweifelhaft, dass die Unterschiede in den Leistungen in Mathematik einen Effekt der Schulkleidung darstellen, da sich Schulkleidung 47 positive Leistungseffekte wegen der angenommenen fachunabhängigen mediierenden Faktoren nicht nur in einem Fach zeigen sollten (vgl. hierzu etwa Ryan & Ryan, 1998). Es gibt wenig Grund anzunehmen, warum sich eine höhere Lernzielorientierung oder eine höhere Aufmerksamkeit zwar in Mathematik, nicht aber in Deutsch als leistungssteigernd erweisen sollte. Insgesamt entsprechen die vorliegenden Befunde den Ergebnissen der Studie von Spörer und Brunstein (2007), in der cum grano salis keine Effekte von Einheitskleidung auf schulbezogene Einstellungen nachgewiesen werden konnten. Allerdings ist ein Vergleich der Ergebnisse ausgesprochen schwierig, da in der Studie von Spörer und Brunstein (2007) keine Schüler der Sekundarstufe I untersucht worden waren und darüber hinaus in der dort untersuchten Schule einheitliche Kleidung ausschließlich auf freiwilliger Basis eingeführt worden war (was entsprechend unterschiedliche Tragehäufigkeit nach sich zieht). Vergleichen wir die vorliegenden Befunde mit der bislang einzigen publizierten deutschen Studie zu Korrelaten verpflichtender Schulkleidung in der Sekundarstufe I, so treten deutliche Unterschiede zutage. Während die Studie von Dickhäuser et al. (2004) darauf hindeutete, dass das Tragen von Schulkleidung in den höheren Klassenstufen (Stufe 7/ 8) mit einem besseren Sozialklima, einer höheren selbst berichteten Aufmerksamkeit und einem niedrigeren Stellenwert von Kleidung einherging, zeigten sich derartige Unterschiede in der vorliegenden Studie weder für die Stufe fünf noch für die Stufe sechs. Denkbar ist einerseits, dass in der vorliegenden Studie die betrachtete Tragedauer (ein Schuljahr) zu kurz war, um nachhaltige Effekte zu bewirken oder aber sich etwaige Effekte erst in noch höheren Klassenstufen zeigen. Eine weitere Erklärung für die ausgesprochen uneinheitlichen Befunde kann jedoch auch in dem Design der bisherigen Studie zu Effekten von Schulkleidung gesucht werden: Sowohl in den Arbeiten von Dickhäuser et al. (2004) und Spörer und Brunstein (2007) als auch in der vorliegenden Studie wurden die Ausprägungen der interessierenden Variablen in einer Schule mit (verpflichtender oder freiwilliger) Schulkleidung verglichen mit den Variablenausprägungen an einer Vergleichsschule ohne einheitliche Bekleidungsregeln. Zeigen sich nun in der vorliegenden Studie wie auch in der Arbeit von Spörer und Brunstein (2007) keine Effekte, so ist letzten Endes unklar, wie dies zustande kommt. Denkbar ist, dass der Faktor Schulkleidung tatsächlich keine Effekte hat. Die Teststärke des vorliegenden Designs war gut bis ausreichend, lediglich für die Leistung ergab die Poweranalyse keine zufriedenstellenden Werte. Einschränkend ist lediglich zu betonen, dass bei einigen der eingesetzten Skalen (etwa beim Sozialklima oder bei der Aufmerksamkeit) die interne Konsistenz zu einem der beiden Messzeitpunkte wenig befriedigend war. Dies könnte eine methodische Erklärung für die Nullbefunde sein. Für zukünftige Studien sollten daher Messinstrumente mit deutlich überzeugenderer Reliabilität eingesetzt werden. Denkbar ist, dass die Nullbefunde auch dadurch zustande kommen, dass in der Versuchsschule und in der Vergleichsschule ähnlich gute (oder ähnlich schlechte) Arbeit geleistet wird. Obwohl die zu Vergleichszwecken herangezogenen Schulen tatsächlich so ausgewählt wurden, dass sie hinsichtlich ihres Einzugsbereichs und der Zusammensetzung der Schülerschaft mit der Versuchsschule vergleichbar sind, sind eine Reihe von konfundierenden Variablen denkbar. Die Kontrolle dieser Störvarianz aufseiten der untersuchten Schulen ist eine Herausforderung für zukünftige Studien. Anmerkungen 1 Wir danken den beteiligten Schulen für ihre Mitarbeit. Die vorliegende Studie wurde aus Mitteln der STAEDTLER-Stiftung gefördert. Malte Schwinger danken wir für hilfreiche Anmerkungen zu einer früheren Version des Manuskripts. 2 Über den Faktor Schulstufe sind zwei potenzielle Wirkvariablen operationalisiert. Einerseits stehen die Faktorstufen für die Schulstufen fünf und sechs (und damit für das Alter der Schüler); in der Schule mit Schulkleidung (und nur dort) stehen die Faktorstufen darüber hinaus auch für verpflichtendes (Stufe 5) vs. freiwilliges (Stufe 6) Tragen von Schulkleidung. Dies ist bei der Interpretation der Ergebnisse der Varianzanalysen zu 48 Oliver Dickhäuser et al. beachten. Als alternative Auswertungsstrategie ist denkbar, die Daten mit nur einem Zwischensubjektfaktor auszuwerten, bei denen die Faktorstufen verpflichtende Schulkleidung (Stufe 5 der Versuchsschule), freiwillige Schulkleidung (Stufe 6 der Versuchsschule) und keine Schulkleidung (Stufe 5 und 6 der Vergleichsschule) unterschieden werden. Eine solche Auswertung wurde jedoch verworfen, da für einige der analysierten Variablen in Stufe 6 andere Werte vermutet werden können als in Stufe 5 (so sollte etwa der Stellenwert von Kleidung bei Sechstklässlern höher sein als bei Fünftklässlern). Entsprechende multivariate Varianzanalyse für die zu T1 und T2 erfassten Werte nur für die Schüler/ -innen der Vergleichsschule wiesen auf deutliche Stufeneffekte hin (T1: F[5, 171] = 8.04, p < .001, h 2 = .19, T 2: F[5, 177] = 8.85, p < .001, h 2 = .20). Diese Schulstufeneffekte zeigen, dass die alternative Auswertungsstrategie, bei der in der Vergleichsschule Fünft- und Sechstklässler zu einer Faktorstufe zusammengefasst werden, nicht sinnvoll ist. 3 Für jede dieser fünf abhängigen Variablen wurde jeweils eine weitere Varianzanalyse mit Messwiederholung nur unter Einbezug der Schüler der Versuchsschule in Stufe sechs gerechnet. Als Faktor wurden die Schüler danach unterschieden, ob sie zu Beginn des Schuljahres angaben, freiwillig Schulkleidung zu tragen oder nicht (Trageentscheidung). In keiner dieser Analysen zeigten sich statistisch signifikante Interaktionen zwischen Messwiederholungsfaktor und Trageentscheidung. Lediglich ein Haupteffet der Trageentscheidung auf die Einstellung zu Schulkleidung konnte beobachtet werden: Die Einstellung war bei den Schülern, die sich gegen Schulkleidung entschieden hatten, gemittelt über die Messzeitpunkte, weniger positiv als bei den Schülern, die sich für Schulkleidung entschieden hatten. Literatur Bodine, A. (2003). School uniforms, academic achievement, and use of research. The Journal of Educational Research, 97, 67 - 72. Brunsma, D. L. & Rockequemore, K. A. (1998). Effects of students uniforms on attendance, behavior problems, substance use, and academic achievement. The Journal of Educational Research, 92, 53 - 62. Brunsma, D. L. & Rockequemore, K. A. (2003). Statistics, sound bites, and school uniforms: a reply to Bodine. The Journal of Educational Research, 97, 72 - 77. Cohn, C. A. (1996). Mandatory school uniforms. The School Administrator, 53 (2), 22 - 25. Dalbert, C. (1996). Über den Umgang mit Ungerechtigkeit. Eine psychologische Analyse. Bern: Hans Huber. Dickhäuser, O., Lutz, K., Wenzel, M. & Schöne, C.(2004). Kleider machen Schule? Korrelate des Tragens einheitlicher Schulkleidung. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 51, 296 - 308. Fend, H. & Prester, H. G. (Hrsg.). (1986). Dokumentation der Skalen des Projekts „Entwicklung im Jugendalter“. Konstanz: Sozialwissenschaftliche Fakultät der Universität. King, K. (1998). Should school uniforms be mandated in elementary school? Journal of School Health, 68 (1), 32 - 37. Long Beach Unified School District (2004). K-8 School Crime Report Summary. Verfügbar unter: http: / / www. lbusd.k12.ca.us/ crime.htm [9. 2. 2004]. Ryan, R. P. & Ryan, T. E. (1998). School uniforms: Esprit de corps. School community journal, 8 (2), 81 - 84. Sachs, L. (2004). Angewandte Statistik. Berlin: Springer. Schurian, W. (1989). Psychologie des Jugendalters. Opladen: Westdeutscher Verlag. Schwarzer, R. & Jerusalem, M. (Hrsg.). (1999). Skalen zur Erfassung von Lehrer- und Schülermerkmalen. Berlin: Freie Universität. Spinath, B., Stiensmeier-Pelster, J., Schöne, C. & Dickhäuser, O. (2002). Skalen zur Erfassung der Lern- und Leistungsmotivation - SELLMO. Göttingen: Hogrefe. Spörer, N. & Brunstein, J. C. (2007). Verändert Schulkleidung die Lerneinstellung von Grundschülern und die Einschätzung des Zusammenhalts in der Klasse? Ergebnisse einer Längsschnittstudie. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 39, 43 - 47. Wade, K. K. & Stafford, M. E. (2003). Public school uniforms: Effect on perception of gang presence, school climate, and student self-perception. Education and Urban Society, 35, 399 - 420. Weiß, R. H. (1998). CFT 20. Grundintelligenztest Skala 2 (CFT 20). Göttingen: Hogrefe. West, C. K., Tidwell, D. K., Bomba, A. K. & Elmore, P. A. (1999). Attitudes of parents about school uniforms. Journal of Familiy and Consumer Sciences, 91, 92 - 96. Prof. Dr. Oliver Dickhäuser Lehrstuhl Pädagogische Psychologie Universität Mannheim D-68131 Mannheim E-Mail: oliver.dickhaeuser@uni-mannheim.de Tel.: (06 21) 1 81 22 07 Fax: (06 21) 181 2206 Johannes Helgert Anna Köppe Universität Erlangen-Nürnberg Department Psychologie und Sportwissenschaft Regensburger Str. 160 D-90478 Nürnberg
