Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2009
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Die Bedeutung des motivationsrelevanten Erlebens und des individuellen Fachinteresses für das situationale Interesse im Mathematikunterricht
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2009
Doris Lewalter
Ariane S. Willems
Um das aktuelle inhaltsbezogene Motivationsgeschehen im Unterricht und dessen Bedingungen untersuchen zu können, wurde für die vorliegende Studie das Konzept des situationalen Interesses herangezogen. Hierbei kann zwischen einem anfänglichen situationalen Interesse (SI-Catch) und einem darauf aufbauenden stabilisierten situationalen Interesse (SI-Hold) unterschieden werden. Der Beitrag untersucht die unterschiedliche Bedeutung des motivationsrelevanten Erlebens von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit für die beiden Phasen des situationalen Interesses. Zusätzlich wird die Relevanz des Fachinteresses für das situationale Interesse untersucht. Dazu wurden in einer Studie N=951 Schülerinnen und Schüler aus 38 Schulklassen (Jahrgangsstufe 8, Gymnasien) in unmittelbarem Anschluss an eine Unterrichtsstunde im Fach Mathematik mithilfe eines Fragebogens befragt. Die Befunde deuten darauf hin, dass die beiden Phasen des situationalen Interesses in unterschiedlicher Weise vom motivationsrelevanten Erleben beeinflusst werden. Darüber hinaus stellt das bereits bestehende Fachinteresse für beide Phasen des situationalen Interesses einen wichtigen Vorhersagefaktor dar.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2009, 56, 243 - 257 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Die Bedeutung des motivationsrelevanten Erlebens und des individuellen Fachinteresses für das situationale Interesse im Mathematikunterricht Doris Lewalter, Ariane S. Willems Technische Universität München The Relevance of Emotional Experiences and Subject-Related Interest for Situational Interest in Mathematics Summary: The present study analyses preconditions and different manifestations of content-related motivational processes during school lessons based on the theoretical concept of situational interest. Within this framework, two developmental phases are distinguished: the first appearance of situational interest (SI-Catch) and a constitutive, stabilized situational interest (SI-Hold). The present contribution investigates the importance of the emotional experiences of autonomy, competence, and relatedness for both developmental phases and the relevance of an individual subject-related interest for situational interest. For that purpose, N = 951 8th grade students from 38 classes were surveyed immediately after a math lesson. The obtained results indicate that the function of the emotional experiences varies depending on the different developmental phases of the situational interest. The subject-related interest proves to be a meaningful predictor of both phases of situational interest. Keywords: Situational Interest, Catch and Hold, Mathematic Instruction, Emotional Experiences, Subject-Related Interest Zusammenfassung: Um das aktuelle inhaltsbezogene Motivationsgeschehen im Unterricht und dessen Bedingungen untersuchen zu können, wurde für die vorliegende Studie das Konzept des situationalen Interesses herangezogen. Hierbei kann zwischen einem anfänglichen situationalen Interesse (SI-Catch) und einem darauf aufbauenden stabilisierten situationalen Interesse (SI-Hold) unterschieden werden. Der Beitrag untersucht die unterschiedliche Bedeutung des motivationsrelevanten Erlebens von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit für die beiden Phasen des situationalen Interesses. Zusätzlich wird die Relevanz des Fachinteresses für das situationale Interesse untersucht. Dazu wurden in einer Studie N = 951 Schülerinnen und Schüler aus 38 Schulklassen (Jahrgangsstufe 8, Gymnasien) in unmittelbarem Anschluss an eine Unterrichtsstunde im Fach Mathematik mithilfe eines Fragebogens befragt. Die Befunde deuten darauf hin, dass die beiden Phasen des situationalen Interesses in unterschiedlicher Weise vom motivationsrelevanten Erleben beeinflusst werden. Darüber hinaus stellt das bereits bestehende Fachinteresse für beide Phasen des situationalen Interesses einen wichtigen Vorhersagefaktor dar. Schlüsselbegriffe: Situationales Interesse, Catch und Hold, Mathematikunterricht, motivationsrelevantes Erleben, Fachinteresse Aufgrund vorliegender Befunde zur Motivationsentwicklung und -förderung im Mathematikunterricht (u. a. Prenzel et. al., 2004; Kunter, 2005; Rakoczy, 2008), die gezeigt haben, dass das Interesse und die Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern im Fach Mathematik vergleichsweise niedrig ausgeprägt sind, und im Laufe der Schulkarriere deutlich abnehmen, wird dem inhaltsbezogenen Motivationsgeschehen in der aktuellen Unterrichtsstunde, und 244 Doris Lewalter, Ariane S. Willems dessen Bedingungen, zunehmend Beachtung geschenkt (u. a. Kunter, 2005; Tsai et al., 2008). Während bisher vor allem die Entwicklung und Bedingungen eines überdauernden (Fach-)Interesses betrachtet wurden, erscheint es aus pädagogisch-psychologischer Sicht wichtig, verschiedene Phasen motivationaler Entwicklungsprozesse in unterrichtlichen Lehr-Lern- Situationen differenziert zu untersuchen, um mögliche Ansatzpunkte zur Motivationsförderung in der Lernsituation ermitteln zu können. Daher beschäftigt sich dieser Beitrag vor dem Hintergrund der Person-Gegenstands-Theorie des Interesses (Krapp, 2002) mit den Bedingungen für die Entwicklung einer situations- und inhaltsbezogenen Lernmotivation während einzelner Mathematikstunden. Theoretischer Hintergrund Individuelles Interesse: Für die Untersuchung der inhaltsspezifischen Lernmotivation von Lernenden stellt das Konstrukt des Interesses einen geeigneten theoretischen Ausgangspunkt dar, da in verschiedenen Interessenkonzeptionen die Gegenstandsspezifität als besonderes Kennzeichen von Interessen genannt wird. Bei dem Interessengegenstand kann es sich um einen Inhaltsbereich, ein Wissensgebiet, ein Objekt oder eine Tätigkeit handeln (Krapp, 1998, 2002; Hidi & Renninger, 2006; Todt, 1990). Im Rahmen der Person-Gegenstandstheorie des Interesses (Krapp, 1998, 2002; Schiefele, 2001) wird mit dem Begriff des individuellen Interesses eine relativ überdauernde inhaltsbezogene motivationale Disposition beschrieben, die durch zwei zentrale Merkmale gekennzeichnet ist: die wertbezogene und die gefühlsbezogene Valenzüberzeugung (Schiefele, 1996). Die wertbezogene Valenz bezieht sich auf eine im Gedächtnis gespeicherte, subjektive Bedeutsamkeit des Interessengegenstandes. Die gefühlsbezogene Valenz hingegen bezieht sich auf im Gedächtnis verankerte Verknüpfungen eines Gegenstandes bzw. der auf ihn bezogenen Handlungen mit positiven emotionalen Erlebensqualitäten (u. a. Krapp & Lewalter, 2001; Schiefele, 1996). Individuelle Interessen stellen eine generalisierte, relativ stabile Bereitschaft dar, sich mit spezifischen Inhalten zu beschäftigen, und sind mit dem Einsatz tiefenorientierter Verarbeitungsstrategien und einer differenzierten Auseinandersetzung mit den jeweiligen Inhalten verbunden (Schiefele, 1998). Korrelative Befunde zur Beziehung zwischen Interesse und Lernleistung zeigen einen positiven Zusammenhang (Schiefele & Schreyer, 1994). Aufgrund der Befundlage muss hierbei eine reziproke Beziehung angenommen werden - individuelle Interessen wirken sich positiv auf den Lernprozess sowie die Lernleistung aus und Leistungsverbesserungen unterstützen wiederum die Entwicklung von Interessen (für einen Überblick s. z. B. Krapp, 2005; Kunter, 2005). Betrachtet man die Befunde zur Ausprägung und zur Veränderung des individuellen Interesses über die Schulbzw. Ausbildungszeit hinweg, so zeigen sich insbesondere für den naturwissenschaftlichen und mathematischen Bereich meist eher geringe Interessensausprägungen und rückläufige Entwicklungstendenzen (z. B. Hidi, 2000; Krapp, 2002; Köller, 1998; Krapp & Lewalter, 2001). Eine Studie von Krapp und Lewalter (2001) im Kontext der beruflichen Erstausbildung konnte zeigen, dass Auszubildende, trotz eines negativen Entwicklungsverlaufs ihres generellen ausbildungsbezogenen Interesses, zeitgleich spezifische inhaltliche Interessen entwickelt haben. Befunde wie dieser sprechen dafür, neben einer Betrachtung der Entwicklung genereller, z. B. fachbezogener Interessen von Lernenden, auch spezifische motivationale Entwicklungsprozesse stärker in den Blick zu nehmen. Neben der Analyse von Bedingungen für die mittelfristige Entwicklung individueller Interessen im schulischen Kontext stellt die Ermittlung von Ansatzpunkten zur Förderung einer kurzfristigen, situationsbezogenen Lernmotivation eine wichtige Zielsetzung aktueller Motivationsforschung dar. Sie kann tieferen Aufschluss darüber geben, von welchen Faktoren die Entwicklung der aktuellen Lernmotivation, im Sinne eines aktuel- Situationales Interesse im Mathematikunterricht 245 len situationsbezogenen Interesses, beeinflusst wird. Ausgehend von der Person-Gegenstands- Theorie des Interesses wird in diesem Zusammenhang das theoretische Konzept des situationalen Interesses aufgegriffen. Situationales Interesse: In Abgrenzung zum relativ überdauernden individuellen Interesse einer Person, beschreibt das Konstrukt des situationalen Interesses eine inhaltsbezogene Motivationsqualität, die in einer aktuellen Lernsituation entsteht und an diese gebunden ist (Hidi & Renniger, 2006; Krapp, 1998, 2002, 2005 a; Lewalter & Geyer, 2009; Mitchell, 1993; Schiefele, 2001). Ein wiederholt auftretendes situationales Interesse kann zur Entstehung eines individuellen Interesses beitragen (vgl. zsfd. Daniels, 2008). Betrachtet man verschiedene theoretische Konzeptionen zum situationalen Interesse, so zeigt sich, dass übereinstimmend zwischen zwei Phasen des situationalen Interesses unterschieden wird (Mitchell, 1993; Hidi, 2000; Hidi & Renninger, 2006; Krapp, 2002): Die Catch-Phase des situationalen Interesses (SI-Catch), die auch als „triggered interest“ (Hidi & Renninger, 2006) bezeichnet wird, beschreibt das erste Auftreten des situationalen Interesses, während die Hold-Phase (SI-Hold), auch als „maintained interest“ (Hidi & Renninger, 2006) bezeichnet, ein anhaltendes situationales Interesse in einer Lernsituation kennzeichnet (Krapp, 2002; Mitchell, 1993). Die Catch-Phase bezieht sich auf die Anfangsphase und somit die Entstehung des situationalen Interesses, in welcher die Aufmerksamkeit einer Person zunächst auf einen bestimmten Sachverhalt gelenkt und deren Neugierde für diesen Inhalt bzw. Gegenstandsbereich geweckt wird (Hidi, 1990, 2000; Hidi & Anderson, 1992; Hidi & Renninger, 2006; Lewalter, Geyer & Willems, in Vorb.; Mitchell, 1993). Damit ist die Catch-Phase eng mit einer positiven affektiven Reaktion auf das Lernmaterial und/ oder die Lernumgebung verknüpft. SI-Catch stellt somit einen Vorläufer für die Neigung dar, sich wiederholt mit einem Gegenstandsbereich zu beschäftigen, und kann damit zur Entstehung eines situationalen Interesses auf der Hold-Ebene beitragen. SI-Hold ist gekennzeichnet durch eine stabilisierte, relativ dauerhafte, inhaltsbezogene Motivationsqualität während einer Lernsituation (Hidi, 2000; Hidi & Renninger, 2006; Hidi et al., 2004; Krapp, 1998; Lewalter, 2002; Lewalter & Geyer, 2009; Mitchell, 1993) und stellt somit eine Interessenqualität dar, die durch eine fokussierte Aufmerksamkeit und Persistenz über eine erweiterte zeitliche Episode gekennzeichnet ist. Liegt situationales Interesse auf der Hold-Ebene vor, möchte sich eine Person - über eine kurzzeitige Aufmerksamkeit hinaus - mit einem Inhalt weiter beschäftigen. Sie nimmt ihn als sinnvoll sowie persönlich relevant wahr und kann persönlich involviert sein. Dies führt dazu, dass sie mehr über den jeweiligen Gegenstandsbereich erfahren möchte. Hier kann vermutet werden, dass der Passung zwischen individuellen motivationsrelevanten Dispositionen einer Person und ihrer Wahrnehmung der Lernumgebung besondere Bedeutung zukommt. SI-Hold als ein in der Situation stabilisiertes situationales Interesse trägt dazu bei, dass motiviertes Lernen stattfindet. Die wiederholte Aktivierung von SI- Hold kann längerfristig zur Entwicklung individueller Interessen im Sinne der Person-Gegenstands-Theorie des Interesses führen (Krapp, 2002; Krapp & Prenzel, 1992). Auch SI-Hold ist mit affektiven Reaktionen auf Merkmale der Lernumgebung verbunden. Wir vermuten jedoch, dass in dieser Phase der individuell wahrgenommenen Qualität des Gegenstandes, insbesondere seiner persönlichen Relevanz, eine hervorzuhebende Bedeutung zukommt. Demnach kann angenommen werden, dass beide Phasen des situationalen Interesses durch ein unterschiedliches Ausmaß an Affekt und Wertzuschreibung gekennzeichnet sind. Diese theoretischen Annahmen zur Entwicklung der beiden Phasen des situationalen Interesses wurden bisher erst vereinzelt untersucht und vorwiegend durch Einzelfallstudien illustriert (Hidi & Renninger, 2006; Mitchell, 1993), sodass derzeit deren empirische Überprüfung noch am Beginn steht. 246 Doris Lewalter, Ariane S. Willems Aus pädagogisch-psychologischer Sicht stellt sich vor allem die Frage, wie diese beiden Phasen des situationalen Interesses entstehen und von welchen Faktoren deren Entwicklung beeinflusst wird. Neben äußeren Faktoren, wie den Merkmalen der Lernsituation oder des Gegenstandsbereichs, sind ebenso innere Faktoren, wie das motivationsrelevante Erleben während der (Lern-)Handlung sowie (inhaltsspezifische) motivationale Persönlichkeitsmerkmale, für die Entstehung der beiden Phasen des situationalen Interesses von besonderer Relevanz (Daniels, 2008; Krapp, 2002). Im Folgenden wird nun der Fokus auf die Bedeutung der inneren Einflussfaktoren für die Catch- und Hold-Komponente des situationalen Interesses gelegt. Innere Einflussfaktoren auf das situationale Interesse: Bezogen auf die innerpsychologischen Prozesse der Interessengenese wird im Rahmen der Person-Gegenstands-Theorie des Interesses postuliert, dass verschiedene Komponenten der motivationalen Handlungssteuerung zusammenwirken, die sowohl auf einer kognitivrationalen Ebene als auch auf einer affektiven Ebene der Handlungssteuerung angesiedelt sind (vgl. Krapp, 2002; Lewalter & Krapp, 2004; Schiefele, 1991, 2001). Während erstere sich u. a. auf Prozesse der bewusst-planvollen Intentionsbildung und Wertzuschreibung beziehen und damit in erster Linie zur Entstehung der wertbezogenen Valenz beitragen können, sind letztere mit der emotionalen Qualität des Erlebens während der konkreten Realisierung entsprechender Handlungen verbunden und stehen damit wahrscheinlich in enger Verbindung zur Entstehung der emotionalen Valenz. Handlungsbegleitende emotionale Rückmeldungen tragen zur Ausrichtung und Aufrechterhaltung von (Lern-)Handlungen bei, indem sie u. a. kurzfristig das Zuwendungsbzw. Vermeidungsverhalten einer Person beeinflussen (Krapp, 2002; Lewalter, 2002). Bezüglich der Bedeutung des emotionalen Erlebens für die Entwicklung von Interessen kann auf Annahmen der Selbstbestimmungstheorie von Deci und Ryan (vgl. 2002; Deci, 1998) zurückgegriffen werden. Im Rahmen dieser Theorie wird postuliert, dass die Befriedigung grundlegender psychologischer Bedürfnisse - sogenannter basic needs -, die sich auf das Erleben von Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit beziehen, eine zentrale Rolle zukommt (Hidi, Renniger & Krapp, 2004; Krapp, 2005 b). Das Bedürfnis nach Kompetenzerleben drückt sich im Bestreben einer Person aus, sich gegenüber Anforderungen in Lern- und Arbeitssituationen als handlungsfähig zu erleben und Aufgaben aus eigener Kraft bewältigen zu können. Das Bedürfnis nach Autonomie äußert sich im Bestreben einer Person, sich als eigenständig handelnd zu erleben, z. B. indem sie die Ziele und Vorgehensweisen des eigenen Tuns selbst bestimmt. Im Rahmen der Selbstbestimmungstheorie wird das Autonomieerleben an zwei Bezugspunkten festgemacht (Lewalter, 2002, 2005). Zum einen wird das Erleben von Selbstbestimmtheit (im Folgenden Autonomie-SB) während der Handlungsausführung als zent-rale Facette des Autonomieerlebens angesehen. Zum anderen wird das Erleben von Autonomie festgemacht an der wahrgenommenen relativen Kohärenz der Handlung zur eigenen Person im Sinne einer erlebten Passung zwischen der Lernsituation und den persönlichen Wünschen und Zielen einer Person für die jeweilige Lernsituation (vgl. Ryan, 1993). Diese Facette des Autonomieerlebens wird im Folgenden als Autonomie-PWZ bezeichnet. Ähnliche Unterscheidungen des Autonomieerlebens finden sich auch bei Reeve und Jang (2006), Assor, Kaplan und Roth (2002) sowie Stefanou und Kollegen (2004). Die allgemeine Basis für das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit liegt im menschlichen Bestreben nach befriedigenden Sozialkontakten. Hier drückt sich das elementare Bestreben nach sozialer Akzeptanz in einer - für den jeweiligen Kontext als relevant erachteten - Bezugsgruppe aus. Bezogen auf den Kontext Schule ist es wesentlich, zwischen zwei Bezugsgruppen zu unterscheiden: der Lehrkraft auf der einen Seite und den Mitschülerinnen und Mitschülern auf der anderen Seite. Für die Interessenentwicklung von Schülerinnen und Schülern Situationales Interesse im Mathematikunterricht 247 im Unterricht lässt sich eine höhere Relevanz des Erlebens von sozialer Eingebundenheit mit der Lehrkraft vermuten, da diese maßgeblich die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Lerngegenstand bestimmt. Basierend auf der Selbstbestimmungstheorie wird somit angenommen, dass Lernbedingungen, die einer Person eine hinreichende Befriedigung dieser Bedürfnisse ermöglichen, die Entwicklung sowohl eines situationalen als auch eines individuellen Interesses fördern (Krapp, 2002; Lewalter & Geyer, 2009). Empirische Untersuchungen in verschiedenen pädagogischen Kontexten unterstützen diese theoretischen Erwartungen für die Entwicklung individueller Interessen sowie für die Entstehung einer selbstbestimmten und/ oder intrinsischen Motivation. So konnte z. B. Kunter (2005) bzw. Rakoczy (2008) für die wahrgenommene Unterstützung dieser Erlebensqualitäten einen positiven Zusammenhang zum Mathematikinteresse bzw. zur selbstbestimmten Lernmotivation von Schülerinnen und Schülern zeigen (vgl. zsfd. auch Ryan & Deci, 2002). Die oben dargestellte Differenzierung zwischen den beiden Aspekten des Autonomieerlebens und den beiden Bezugsgruppen für das Erleben sozialer Eingebundenheit wurde allerdings im deutschsprachigen Raum bisher kaum berücksichtigt (u. a. Kunter, 2005; Lewalter, 2002; Müller, 2001; Prenzel & Drechsel, 1996). Bezogen auf das situationale Interesse steht eine empirische Überprüfung der Bedeutsamkeit des motivationsrelevanten Erlebens für die beiden Entwicklungsphasen des situationalen Interesses noch aus. Bisher ist noch offen, ob und in welchem Ausmaß die verschiedenen Erlebensqualitäten für die Entwicklung der beiden Phasen von unterschiedlicher Bedeutung sind. Erste Befunde in außerschulischen Lernkontexten (Museum), lassen dies jedoch vermuten (Lewalter & Geyer, 2009; Geyer, 2008). Es zeigte sich, dass die wahrgenommene Unterstützung des Autonomie- und Kompetenzerlebens signifikante Prädiktoren für beide Phasen des situationalen Interesses darstellen, wobei letztere vor allem für die Hold-Komponente von großer Vorhersagekraft war. Demgegenüber war die wahrgenommene Unterstützung der sozialen Eingebundenheit lediglich für die Vorhersage der Catch-Phase bedeutsam. Dabei wurde jedoch nicht zwischen den beiden Bezugsgruppen Lehrkraft bzw. Mitschülerinnen und Mitschüler unterschieden. Für den schulischen Kontext nehmen wir an, dass das Erleben beider Autonomie-Facetten für beide Phasen des situationalen Interesses, entsprechend der bereits vorliegenden Befunde, für die selbstbestimmte Motivation und das individuelle Interesse von großer Bedeutung sind (Assor et al., 2002; Lewalter, 2002, 2005; Rakoczy, 2008). Hierbei dürfte vor allem die Komponente Autonomie-PWZ für die Hold-Komponente relevant sein, da sowohl die Erlebensqualität als auch die Interessenphase einen stärkeren inhaltlichen Bezug aufweisen. Entsprechend der oben genannten Befunde (Lewalter & Geyer, 2009) erwarten wir, dass das Kompetenzerleben insbesondere mit der Hold-Komponente in engem Zusammenhang steht, da es vor allem für die weiterführende Auseinandersetzung und weniger für das Erwecken von Aufmerksamkeit und Neugier in der ersten Phase des situationalen Interesses relevant sein dürfte. Die soziale Eingebundenheit mit den Mitschülerinnen und Mitschülern sollte dagegen vor allem für die Catch-Phase eine wichtige Rolle spielen, da sich Schülerinnen und Schüler in dieser Altersgruppe bei der Auswahl von Inhaltsbereichen stärker an ihren Peers orientieren dürften. Die Hold- Phase dürfte dagegen enger an die soziale Eingebundenheit mit der Lehrkraft gekoppelt sein, da diese für die inhaltliche Auseinandersetzung wesentlich ist. Neben dem motivationsrelevanten Erleben stellen motivationsrelevante Persönlichkeitsmerkmale einen weiteren zentralen Einflussbereich auf die Ausprägung des situationalen Interesses dar. Hierbei kommt inhaltsbezogenen motivationalen Merkmalen, wie z. B. einem bereits bestehenden individuellen Interesse am Inhaltsbereich der jeweiligen Lernsituation eine zentrale Bedeutung zu (vgl. Krapp, 2002). Be- 248 Doris Lewalter, Ariane S. Willems zogen auf den Schulkontext kann hier ein Einfluss des Fachinteresses vermutet werden. Das Fachinteresse bezeichnet ein schulbezogenes Interesse am Unterrichtsfach und dessen Inhalten (Häußler et al., 1998). Im Vergleich zum situationalen Interesse bezieht es sich auf einen wesentlich größeren Inhaltsbereich, nämlich auf die Gesamtheit der Inhalte eines Schulfachs. Derzeit liegen für den Zusammenhang zwischen Fachinteresse und situationsbezogenem Interesse nur vereinzelte, teilweise experimentelle Studien vor (vgl. u. a. Ainley, Hillmann & Hidi, 2002; Katz, Assor, Kanat-Maymon, & Bereby-Meyer, 2006; Sansone & Thoman, 2005). Tsai und Kollegen haben in einer längsschnittlich angelegten Feldstudie gezeigt, dass individuelle Fachinteressen in Mathematik, Deutsch und Fremdsprachen das Ausmaß des jeweiligen situationsspezifischen Interesses in authentischen Unterrichtssituationen positiv beeinflussen (Tsai et al., 2008), wobei auch hier nicht systematisch zwischen verschiedenen Phasen des situationalen Interesses unterschieden wurde. Fragestellungen Ausgehend von den dargestellten theoretischen Überlegungen ist das Ziel des vorliegenden Beitrages, die (relative) Bedeutung des motivationsrelevanten Erlebens von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit sowie die relative Bedeutung des Fachinteresses an Mathematik für das situationale Interesse im aktuellen Unterrichtsgeschehen zu untersuchen. Dabei soll analysiert werden, inwieweit sich für die beiden Phasen des situationalen Interesses (SI-Catch und SI-Hold) unterschiedliche Bedeutungsmuster der betrachteten Prädiktoren ermitteln lassen. Im Einzelnen werden folgende Fragestellungen untersucht: (1) Welche Bedeutung hat das motivationsrelevante Erleben für das Ausmaß des situationalen Interesses der Schülerinnen und Schüler im aktuellen Mathematikunterricht? (2) Unterscheidet sich die relative Bedeutung des Erlebens von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit zwischen der Catch- und Hold-Komponente des situationalen Interesses? Wir vermuten, dass das situationale Interesse durch das motivationsrelevante Erleben der Schülerinnen und Schüler im aktuellen Unterrichtsgeschehen bedingt ist. Um zu klären, inwieweit darüber hinaus bereits bestehende, manifestierte fachspezifische Interessen der Schülerinnen und Schüler einen Einfluss auf das Ausmaß des situationalen Interesses haben, soll in einem weiteren Schritt die Bedeutung des Fachinteresses, die über den Einfluss des motivationsrelevanten Erlebens hinausgeht, geklärt werden. Hierzu wird folgende Fragestellung untersucht: (3) Wie verändern sich die gefundenen Zusammenhangsmusterzwischendemmotivationsrelevanten Erleben und dem situationalen Interesse der Schülerinnen und Schüler, wenn zusätzlich das Fachinteresse an Mathematik berücksichtigt wird? Gibt es Unterschiede für die Catch- und Hold-Komponente? Methodik Stichprobe und Design Die empirische Prüfung der dargestellten Fragestellungen erfolgte innerhalb des Projekts SIGMA - „Situationales Interesse und Gestaltung im Mathematikunterricht“. An der Studie nahmen insgesamt N = 951 Schülerinnen und Schüler der 8. Jahrgangsstufe aus 38 Klassen von 13 Gymnasien in Bayern teil. Das Durchschnittsalter der teilnehmenden Schülerinnen und Schüler betrug 13.5 Jahre (SD = .63), 60.7 % von ihnen waren männlich, 39.3 % weiblich. Im Rahmen der Befragung wurden die Schülerinnen und Schüler im direkten Anschluss an eine Mathematikstunde unter anderem zu ausgewählten motivationalen Prozessvariablen, die sich auf die unmittelbar vorausgehende Unterrichtsstunde bezogen, sowie zu ihrem individuellen Fachinteresse in Mathematik befragt. Situationales Interesse im Mathematikunterricht 249 Der Unterrichtsinhalt Das Ziel der vorliegenden Studie war es, motivationale Prozesse in einem authentischen Mathematikunterricht abzubilden. Daher wurde zugunsten einer höheren ökologischen Validität auf eine vollständige Standardisierung der Unterrichtsinhalte verzichtet. Um jedoch die Unterrichtsinhalte der jeweils untersuchten Mathematikstunden über die Vielzahl an Klassen relativ vergleichbar zu gestalten, wurde die Befragung im Rahmen einer Unterrichtseinheit zum Thema Geradengleichungen linearer Funktionen durchgeführt. Den Lehrkräften wurden mit Blick auf die Gestaltung der Unterrichtsstunden keinerlei Vorgaben gemacht, vielmehr wurden sie gebeten, einen möglichst alltäglichen Unterricht durchzuführen und ihre Vorbereitungen, sowie den Unterrichtsablauf, im Vergleich zu ihrem sonstigen Unterricht in ihrer Mathematikklasse nicht zu verändern. Alle Lehrkräfte führten eine 45-minütige Unterrichtsstunde zum angegebenen Thema durch. Mit diesem Vorgehen wird der Forderung nach einer Standardisierung von Unterrichtsinhalten als Voraussetzung, um Lehr-Lern-Prozesse und deren Wirkungen über verschiedene Klassen hinweg vergleichen zu können, Rechnung getragen (Kunter, 2005; Petko et al., 2003; Rakoczy, 2008). Zudem wird auch der Forderung nach ökologischer Validität und praktischer Relevanz pädagogisch-psychologischer Studien nachgekommen (vgl. zsfd. Anderman & Anderman, 2000; Volet & Järväla, 2001). Verwendete Erhebungsinstrumente Zur Erfassung des situationalen Interesses wurde auf eine bereits entwickelte Skala zurückgegriffen (vgl. Geyer, 2008; Lewalter & Geyer, 2009; Lewalter, Geyer & Willems, in Vorb.), die die Differenzierung nach Catch (6 Items) und Hold (6 Items) berücksichtigt. Für die Erfassung des Fachinteresses Mathematik wurde eine etablierte Skala von Sparfeldt, Rost & Schilling (2004) eingesetzt, die auf sechs Items gekürzt wurde. Die Schülerinnen und Schüler wurden für diese, sowie für alle weiteren eingesetzten Skalen, gebeten, ihre Zustimmung zu den einzelnen Items auf einer fünfstufigen Likert-Skala von „trifft gar nicht zu“ bis „trifft völlig zu“ einzuschätzen, wobei höhere Werte eine höhere Zustimmung wiedergeben (für Beispielitems und Kennwerte der Skalen vgl. Tab. 2). Zur Klärung, inwieweit sich die beiden Phasen des situationalen Interesses sowie des individuellen Fachinteresses empirisch trennen lassen, wurde eine explorative Faktoranalyse 1 mit den Items aller drei Interessenskonstrukten (SI-Catch, SI-Hold, Fachinteresse) durchgeführt. Die Ergebnisse belegen drei empirisch sehr gut trennbare Faktoren, lediglich ein Item der Subskala SI-Hold wies eine erwartungswidrige Hauptladung auf den Faktor SI-Catch auf, sodass das entsprechende Item aus der Skalenbildung und den anschließenden Analysen ausgeschlossen wurde. Durch den Faktor Catch werden 36.8 % der Gesamtvarianz aller Items aufgeklärt, durch den Faktor Fachinteresse 12.4 % und durch den Faktor Hold nochmals 7.6 %. Tabelle 1 stellt die Faktorinterkorrelationen der Interessenkonstrukte dar. Für die Erfassung des motivationsrelevanten Erlebens von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit wurden im Rahmen des SIGMA- Projekts neue Erhebungsinstrumente entwickelt, die sich an bereits bestehende Skalen zur Erfassung der schülerperzipierten Unterstützung der motivationsrelevanten Bedürfnisse (u. a. Kunter, 2005; Prenzel et al., 1996; Rakoczy, 2008) anlehnen (vgl. Lewalter & Willems, in Vorb.). Für die Entwicklung der Erhebungsinstrumente wurde neben der Erfassung des Kompetenzerlebens (4 Items) auch die theoretische Unterscheidung der beiden Facetten des Autonomieerlebens berücksichtigt (PWZ: 6 Items; SB: 4 Items). Zudem wurde für das Erleben von sozialer Eingebundenheit eine Differenzierung zwischen den beiden Bezugsgruppen, Lehrkraft sowie Mitschülerinnen und -schüler, umgesetzt (jeweils 4 Items). Faktoranalytisch (nach Hauptkomponentenmethode mit anschließender direct oblimin Rotation mit Delta- Wert 0, Kaiser-Kriterium) konnten die Subskalen 1 EFA nach Hauptkomponentenmethode, direct oblimin Rotation (mit Delta-Wert 0), a priori Vorgabe der Extraktion von drei Faktoren (Anmerkung: Die Ausführung einer direct oblimin Rotation (mit Delta- Wert 0) sowie der Anwendung des Kaiserkriteriums führt zu gleichen Ladungsmustern; vgl. Willems, in Vorb.). SI-Catch SI-Hold SI-Catch 1.00 SI-Hold .30 1.00 Fachinteresse Mathematik .38 .15 Tabelle 1: Interkorrelationen der Faktoren SI-Catch, SI-Hold und Fachinteresse Mathematik 250 Doris Lewalter, Ariane S. Willems weitgehend voneinander getrennt werden. Eine eindeutige Bestätigung der Subskalen ließ sich für die Komponenten Erleben von Kompetenz (8.8 % erklärte Varianz durch den Faktor), Erleben von sozialer Eingebundenheit, Bezugsgruppe Mitschülerinnen und Mitschüler (7.8 % erklärte Varianz) sowie Erleben von Autonomie, Facette SB (5.6 % erklärte Varianz) finden. Die beiden Dimensionen Erleben von sozialer Eingebundenheit, Bezugsgruppe Lehrkraft und Erleben von Autonomie, Facette PWZ fielen bei der Faktoranalyse jedoch zusammen und erklären 36.3 % der Gesamtvarianz aller Items. Für die hier vorgestellten Analysen werden allerdings die theoretisch postulierten fünf Dimensionen des motivationsrelevanten Erlebens beibehalten, da die konzeptuelle Unterscheidung der unterschiedlichen Facetten aus theoretischer Sicht bedeutsam ist. Die Faktorinterkorrelationen sind insgesamt als gering bis moderat einzuschätzen (.13 ≤ r ≤ .44). Tabelle 2 fasst die Ergebnisse der Reliabilitätsanalysen sowie Kennwerte und Beispielitems der eingesetzten Skalen zur Erfassung der motivationalen Variablen zusammen. Insgesamt weisen die Skalen zufriedenstellende bis sehr gute Reliabilitäten auf. Analysemethode Zur Untersuchung der vorgestellten Fragestellungen werden Ergebnisse von regressionsanalytischen Auswertungen vorgestellt. Im Rahmen dieser Analysen wurden lediglich Prädiktoren auf der Individualebene der Schülerinnen und Schüler modelliert. Dieses Vorgehen wurde trotz der Mehrebenenstruktur des Datensatzes gewählt, da die betrachteten motivationspsychologischen Konstrukte zum einen sehr stark von der individuellen Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler abhängen (u. a. Rakoczy, 2008) und zum anderen, da für die hier präsentierten Ergebnisse keine expliziten Hypothesen vorliegen, die sich auf die Mehrebenenstruktur der Daten beziehen (vgl. im Gegensatz dazu Hugener et al., 2009; Pauli Skala (Beispielitem) a (N) M (SD) SI-Catch (6 Items) Inwieweit haben Teile des heutigen Mathematikunterrichts deine Neugier geweckt? .86 (951) 2.81 (.80) SI-Hold (5 Items) Inwieweit war dir die Auseinandersetzung mit einzelnen Inhalten des heutigen Mathematikunterrichts persönlich wichtig? .61 (951) 2.65 (.71) Autonomieerlerben, Facette SB (6 Items) Während des heutigen Mathematikunterrichts hatte ich das Gefühl, dass ich selbstständig arbeiten konnte. .88 (951) 2.72 (.78) Autonomieerleben, Facette PWZ (4 Items) Während des heutigen Mathematikunterrichts hatte ich das Gefühl, dass der Unterricht meinen Zielen für den Mathematikunterricht entsprach. .77 (947) 2.85 (.98) Kompetenzerleben (4 Items) Während des heutigen Mathematikunterrichts hatte ich das Gefühl, dass ich den Anforderungen des Unterrichts gewachsen war. .84 (952) 3.42 (1.00) Erleben von sozialer Eingebundenheit, Lehrkraft (4 Items) Während des heutigen Mathematikunterrichts hatte ich das Gefühl, dass mich mein Lehrer an schwierigen Stellen im Unterricht unterstützt hat. .88 (947) 3.11 (.95) Erleben von sozialer Eingebundenheit, Mitschüler (4 Items) Während des heutigen Mathematikunterrichts hatte ich das Gefühl, dass meine Mitschüler meine Leistungen anerkannt haben. .65 (951) 3.32 (.82) Fachinteresse Mathematik (6 Items) Das Fach Mathematik interessiert mich. .92 (911) 2.39 (.98) Tabelle 2: Beispielitems, Reliabilitäten (Cronbachs Alpha) sowie Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD) der Skalen zur Erfassung der motivationalen Prozessvariablen sowie des Fachinteresses Situationales Interesse im Mathematikunterricht 251 et al., 2008; Rakoczy, Klieme & Pauli, 2008). Bei der Stichprobe handelt es sich jedoch um eine klassische Mehrebenenstruktur der Daten, sodass bei Analysen auf der Individualebene die Gefahr besteht, die Standardfehler der interessierenden Parameter zu unterschätzen. Infolgedessen werden die geschätzten Parameter ggf. zu schnell als signifikant ausgewiesen. Um diesem Problem entgegenzuwirken, wurde eine Adjustierung des Standardfehlers mithilfe der Software Mplus (Muthén & Muthén, 2007) vorgenommen. Dieses Vorgehen erlaubt es, die Mehrebenenstruktur der Daten statistisch zu berücksichtigen ohne Gesamtzusammenhänge zwischen Variablen in Zusammenhänge auf individueller sowie auf Klassenebene zu zerlegen (vgl. Hox, 2002). Ergebnisse Um die Zusammenhänge zwischen dem motivationsrelevanten Erleben sowie dem Fachinteresse in Mathematik mit dem situationalen Interesse der Schülerinnen und Schüler zu untersuchen, wurden multiple (schrittweise hierarchische) Regressionen unter Verwendung der Software Mplus durchgeführt. Hierbei wurde zwischen der Catch- und der Hold-Komponente des situationalenInteresses alsKriteriumsvariablen unterschieden. Tabelle 3 stellt die Ergebnisse der beiden Regressionsmodelle dar, in denen jeweils SI-Catch als abhängige Variable konzipiert wurde. Modell I umfasst die verschiedenen Komponenten des motivationsrelevanten Erlebens als Prädiktoren für die Catch-Komponente, Modell II zudem noch das Fachinteresse. Die ermittelten Koeffizienten aus Modell I zeigen, dass das Ausmaß der Catch-Komponente in signifikanter Weise davon abhängt, inwieweit die Schülerinnen und Schüler sich als autonom, kompetent und sozial eingebunden erleben. Eine wesentliche Bedeutung kommt den beiden Facetten des Autonomieerlebens zu, wobei die Facette PWZ die stärkste Prädiktionskraft für SI-Catch aufweist. Insbesondere diejenigen Schülerinnen und Schüler, die angeben, dass der aktuelle Mathematikunterricht mit ihren eigenen Wünschen und Zielen für den Unterricht übereinstimmt, bzw. die sich im Unterricht als selbstbestimmt erleben, berichten auch über ein höheres Ausmaß der Catch- Komponente des situationalen Interesses. Bezüglich des Erlebens von sozialer Eingebundenheit zeigen sich unterschiedliche Bedeutungen für die beiden Bezugsgruppen Lehrkraft sowie Mitschülerinnen und Mitschüler. Erwartungsgemäß trägt das Erleben von sozialer Eingebundenheit mit der Lehrkraft bedeutsam zur Erklärung der Catch-Komponente bei. Das negative Vorzeichen des b -Koeffizienten für das Erleben von sozialer Eingebundenheit mit den Mitschülerinnen und Mitschülern kann als Suppressoreffekt dieser Facette des Erlebens interpretiert werden: Zwischen dem Erleben von sozialer Eingebundenheit mit den Mitschülerinnen und Mitschülern sowie der Catch-Komponente des situationalen Interesses besteht eine (sehr geringe) positive Korrelation. Diese fällt jedoch niedriger aus als die jeweiligen In- SI-Catch I II b p b p Erleben von Autonomie - PWZ .34 .00 .29 .00 Erleben von Autonomie - SB .22 .00 .18 .00 Erleben von Kompetenz .10 .02 .00 n.s. Soziale Eingebundenheit - L .12 .01 .12 .01 Soziale Eingebundenheit - S -.07 .02 -.03 n.s. Fachinteresse Mathematik - - .32 .00 (adjustiertes) R 2 .41 .48 Tabelle 3: Regressionsanalysen zur Vorhersage der Catch-Komponente durch das motivationsrelevante Erleben sowie das Fachinteresse Mathematik N = 947; - Effekte wurden im Modell nicht modelliert; L = Lehrkraft; S = Mitschüler; n.s. = nicht signifikant, p-Werte wurden anhand adjustierter Standardfehler berechnet 252 Doris Lewalter, Ariane S. Willems terkorrelationen dieser Erlebensqualität mit den weiteren Prädiktorvariablen, sodass in Folge dessen der schwache positive Zusammenhang zwischen dem Erleben von sozialer Eingebundenheit mit den Mitschülerinnen und Mitschülern und der Catch-Komponente unterdrückt wird. Insgesamt liegt mit Modell I bereits ein sehr gutes Modell zur Erklärung von SI-Catch vor (41 % Varianzaufklärung). Durch die zusätzliche Berücksichtigung des Fachinteresses der Schülerinnen und Schüler in Modell II verändern sich erwartungsgemäß die Zusammenhangsmuster zwischen dem Erleben von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit mit der Catch-Komponente. Die ermittelten Koeffizienten in Modell II zeigen, dass das Fachinteresse den stärksten Beitrag zur Erklärung der Catch-Komponente liefert. Substantielle Bedeutung haben darüber hinaus die beiden Facetten des Autonomieerlebens sowie das Erleben von sozialer Eingebundenheit mit der Lehrkraft. Während der relative Einfluss des Erlebens von Autonomie (PWZ sowie SB) durch die Berücksichtigung des Fachinteresses lediglich leicht abgeschwächt wird, trägt das Erleben von Kompetenz bei Kontrolle des Fachinteresses nicht mehr signifikant zur Erklärung der Catch-Komponente bei. Mit Blick auf die soziale Eingebundenheit kommt der Bezugsgruppe der Lehrkraft eine besondere Bedeutung für die Catch-Komponente zu, da ihre Vorhersagekraft über beide Modelle hinweg stabil bleibt. Die zusätzliche Modellierung des Fachinteresses führt insgesamt zu einer Verbesserung des Modells (Anteil aufgeklärter Varianz: 48 %). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das situationale Interesse auf der Catch Ebene umso höher ist, je stärker sich die Schülerinnen und Schüler als autonom, kompetent und sozial eingebunden (insbesondere mit ihrer Lehrkraft) fühlen. Das bereits manifestierte Fachinteresse der Schülerinnen und Schüler leistet über die berücksichtigten motivationsrelevanten Erlebensqualitäten in der aktuellen Unterrichtsituation einen bedeutsamen Beitrag zur Erklärung der Catch-Komponente. Zudem zeigen die Ergebnisse, dass das Erleben von Kompetenz im aktuellen Unterrichtsgeschehen gänzlich über das manifestierte Fachinteresse der Schülerinnen und Schüler vermittelt wird, während die Vorhersagekraft der beiden Autonomiefacetten unter Berücksichtigung des Fachinteresses lediglich leicht abnimmt. Tabelle 4 stellt nun analog gewonnene Ergebnisse der Regressionsmodelle dar, in denen jeweils SI-Hold als Kriteriumsvariable konzipiert wird. Die Ergebnisse des ersten Modells zeigen, dass die Hold-Komponente primär durch das Ausmaß der erlebten Autonomie bedingt ist. Hinsichtlich der relativen Bedeutung der beiden Facetten PWZ und SB zeigt sich (im Gegensatz zur Catch-Komponente), dass dem SI-Hold I II b p b p Erleben von Autonomie - PWZ .13 .01 .07 n.s. Erleben von Autonomie - SB .21 .00 .17 .00 Erleben von Kompetenz -.10 .02 -.19 .00 Soziale Eingebundenheit - L .04 n.s. .05 n.s. Soziale Eingebundenheit - S .00 n.s. .05 n.s. Fachinteresse Mathematik - - .31 .00 (adjustiertes) R 2 .08 .16 Tabelle 4: Regressionsanalysen zur Vorhersage der Hold-Komponente durch das motivationsrelevante Erleben sowie das Fachinteresse Mathematik N = 947; - Effekte wurden im Modell nicht modelliert; L = Lehrkraft; S = Mitschüler; n.s. = nicht signifikant, p-Werte wurden anhand adjustierter Standardfehler berechnet Situationales Interesse im Mathematikunterricht 253 Erleben von Selbstbestimmtheit eine größere Bedeutung für die Hold-Komponente zukommt als der Passung mit den persönlichen Wünschen und Zielen. Bezogen auf die Hold- Komponente wurde für das Erleben von Kompetenz ein Suppressoreffekt ermittelt, der das negative Vorzeichen des b -Koeffizienten erklärt (vgl. obige Ausführungen zum Suppressoreffekt). Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass für das stabilisierte situationale Interesse das Erleben von sozialer Eingebundenheit - unabhängig von der Bezugsgruppe - nicht signifikant zu dessen Erklärung beiträgt. Insgesamt werden mithilfe des Modells lediglich 8 % der Varianz von SI-Hold aufgeklärt. Die Berücksichtigung des Fachinteresses der Schülerinnen und Schüler (Modell II) führt insgesamt zu einer Verbesserung des Modells (16 % aufgeklärte Varianz). Ähnlich wie bei der Catch-Komponente hängt das Ausmaß von SI-Hold primär von dem bereits bestehenden Fachinteresse der Schülerinnen und Schüler ab. Zudem ist die Vorhersagekraft der Autonomiefacette PWZ unter Kontrolle des Fachinteresses nicht mehr signifikant. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass für die Erklärung der Hold-Komponente des situationalen Interesses lediglich Erleben von Autonomie-SB sowie das Fachinteresse der Schülerinnen und Schüler einen signifikanten Beitrag leisten. Im Vergleich zu den Modellen, in denen SI-Catch als Kriteriumsvariable modelliert wurde, wird für die Hold-Komponente mit den einbezogenen Prädiktoren insgesamt deutlich weniger Varianz erklärt. Diskussion Die vorliegenden Befunde leisten einen Beitrag zur differenzierten Untersuchung der beiden Phasen des situationalen Interesses im schulischen Kontext. In diesem Rahmen lassen sie aus unserer Sicht erste Schlüsse hinsichtlich möglicher Einflussfaktoren auf das situationale Interesse im Mathematikunterricht zu, die in weiteren Studien bestätigt bzw. weitergehend untersucht werden müssen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Differenzierung der Catch- und Hold-Phase des situationalen Interesses sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Sicht aufschlussreich ist. Die statistischen Befunde unterstützen die Annahme, dass sich die Catch- und die Hold- Komponente sowie das Fachinteresse empirisch gut voneinander trennen lassen und positive Zusammenhänge aufweisen. Weiterhin lassen die Befunde den Schluss zu, dass beide Entwicklungsphasen des situationalen Interesses von verschiedenen Merkmalen und in unterschiedlicher Weise bedingt sind. Regressionsanalytisch konnte gezeigt werden, dass das motivationsrelevante Erleben von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit, sowie das Fachinteresse der Schülerinnen und Schüler an Mathematik, zum Ausmaß der Catch- und Hold-Komponente des situationalen Interesses im Unterricht beitragen. Hierbei haben sich deutliche Unterschiede in der Bedeutsamkeit der einzelnen Erlebensqualitäten für die beiden Phasen des situationalen Interesses ergeben. So zeigen die Befunde, dass die Catch-Komponente in einem deutlich engeren Zusammenhang mit dem motivationsrelevanten Erleben während der Lernhandlung steht als die Hold-Komponente. Lediglich das Erleben von Selbstbestimmtheit hat sich in beiden Entwicklungsphasen als ähnlich relevant erwiesen, auch wenn das Fachinteresse der Schülerinnen und Schüler im Modell berücksichtigt wird. Es konnte gezeigt werden, dass Schülerinnen und Schüler, die sich in der Unterrichtssituation als stärker selbstbestimmt wahrnehmen, auch über ein höheres Maß an situationalem Interesse verfügen. Dieser Befund ist nicht unerwartet, da sich die wahrgenommene Unterstützung des Autonomieerlebens bereits in zahlreichen Studien als stärkster Prädiktor für die selbstbestimmte Motivation, das individuelle und das situationsbezogene Interesse erwiesen hat (Assor, Kaplan & Roth, 2002; Kunter, 2005; Katz & Assor, 2007; Lewalter, 2005; Lewalter & Geyer, 2009; Patall, Cooper & Robinson, 2008; Rakoczy, 2006; Tsai, 2008). Einen ähnlichen Befund hatten wir ebenfalls für die Autonomie-Komponen- 254 Doris Lewalter, Ariane S. Willems te der erlebten Passung zwischen der Lernsituation und den persönlichen Wünschen und Zielen der Schülerinnen und Schüler erwartet (vgl. dazu auch Assor, Kaplan & Roth, 2006). Im Vergleich zur Selbstbestimmtheit erwies sich diese Autonomie-Facette für die Catch-Komponente als bedeutsamer und blieb in ihrem Einfluss über die betrachteten Modelle hinweg relativ stabil. Für ein stabilisiertes situationales Interesse hingegen ist ihre Vorhersagekraft geringer als diejenige der Selbstbestimmtheitskomponente des Autonomieerlebens und geht unter Berücksichtigung des Fachinteresses völlig verloren. Bei der Interpretation der Befunde muss jedoch die fehlende Trennung zwischen dem Erleben der Passung mit persönlichen Wünschen und Zielen und dem der sozialen Eingebundenheit mit der Lehrkraft berücksichtigt werden. Das Zusammenfallen beider Erlebensqualitäten kann dahingehend interpretiert werden, dass in dem hier untersuchten schulischen Kontext das Erleben der Passung mit den eigenen Wünschen und Zielen für den Unterricht untrennbar mit der Lehrkraft, die den Unterricht maßgeblich gestaltet, verbunden ist. Der soziale Aspekt der Beziehung zur Lehrkraft tritt hier vermutlich in den Hintergrund. Insgesamt belegen die Ergebnisse zum Autonomieerleben jedoch, dass die inhaltliche Unterscheidung der beiden Autonomie-Facetten, die in dieser Studie erstmals für die Untersuchung motivationaler Prozesse in authentischen Unterrichtssituationen umgesetzt wurde, aufschlussreich für die Erklärung des situationalen Interesses von Schülerinnen und Schülern im aktuellen Unterrichtsgeschehen ist. Diese Schlussfolgerung kann auch für die Unterscheidung der beiden Bezugsgruppen des Erlebens von sozialer Eingebundenheit gezogen werden, die wesentliche Einblicke in das Wirkungsgefüge zwischen dem Erleben der Schülerinnen und Schüler im aktuellen Unterrichtsgeschehen und ihrem situationalen Interesse ermöglicht: Lediglich das Erleben von sozialer Eingebundenheit mit der Lehrkraft erweist sich, wenn auch nur für die Catch-Komponente, als signifikanter Erklärungsfaktor. Für die Entstehung eines situationalen Interesses im Sinne des Weckens von Neugier und der Ausrichtung der Aufmerksamkeit, die im Zentrum der Catch-Komponente stehen, scheint somit die Lehrkraft für die Schülerinnen und Schüler von großer Relevanz zu sein. Dies trifft in den von uns untersuchten Unterrichtsstunden nicht in gleicher Weise für die Hold-Phase zu. Auch hier muss einschränkend die fehlende Trennung zwischen dieser Erlebensqualität und der Autonomie-Komponente der Passung mit Zielen und Wünschen berücksichtigt werden. Die Lehrkraft scheint in der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler eng mit den Zielen des unterrichtlichen Lehr-Lern-Geschehens verbunden zu sein und wirkt hierüber auf die Hold-Phase des situationalen Interesses. Diese Befunde weisen gewisse Parallelen zur bereits erwähnten Studie im Museumskontext auf. Auch hier war die wahrgenommene Unterstützung der sozialen Eingebundenheit (ohne Berücksichtigung der verschiedenen Bezugsgruppe) lediglich für die Catch-Komponente und nicht für die Hold-Komponente ein bedeutsamer Prädiktor (Lewalter & Geyer, 2009). Das Erleben von sozialer Eingebundenheit mit den Mitschülerinnen und Mitschülern ist in dieser Studie dagegen weder für die Catchnoch für die Hold-Phase bedeutsam. Dieser Befund ist erstaunlich, da wir für die hier untersuchte Altersgruppe der 13-Jährigen insbesondere für die Catch-Phase eine größere Bedeutung der Peers für die Zuwendung zu einer Thematik erwartet hätten (vgl. Wild & Enzle, 2002). Für diesen Befund können folgende Erklärungen herangezogen werden: Zum einen könnte das Erleben von sozialer Eingebundenheit mit den Mitschülerinnen und Mitschülern für das aktuelle motivationale Entwicklungsgeschehen keine Erklärungskraft haben, da es weniger stark von der aktuellen Situation beeinflusst wird. Zudem bekräftigt der Befund die eingangs formulierte Vermutung, dass die Mitschülerinnen und Mitschüler im Vergleich zur Lehrkraft eine weniger relevante Bezugsgruppe für die Entwicklung des inhaltlich gebundenen situationalen Interesses darstellen. Es kann je- Situationales Interesse im Mathematikunterricht 255 doch nicht ausgeschlossen werden, dass die mitschülergebundene Beurteilung der sozialen Eingebundenheit problematisch ist, da sie sich auf die ganze Klasse bezieht und mögliche Teilgruppen nicht berücksichtigt werden können. Das Erleben von Kompetenz erweist sich nur in der ersten Entwicklungsphase des situationalen Interesses als bedeutsam, wobei seine Vorhersagekraft unter Hinzunahme des individuellen Fachinteresses völlig in diesem aufgeht. Dieser Befund bestätigt lediglich für die Catch-Phase die Ergebnisse der Studie im Kontext von Museumsbesuchen, für die Hold-Phase stellt er hingegen einen Widerspruch dar (Lewalter & Geyer, 2009). Er kann dahingehend interpretiert werden, dass das Kompetenzerleben für die aktuelle Entstehung des situationalen Interesses im Vergleich zu dessen Aufrechterhaltung von größerer Bedeutung ist. Diese Annahme muss jedoch in weiteren Studien erst noch überprüft werden. Insgesamt sprechen die Befunde zum motivationsrelevanten Erleben dafür, dass die Anfangsphase der Entstehung des situationalen Interesses eng mit einer positiven affektiven Reaktion auf die Lernumgebung verknüpft ist. Für die Hold-Komponente ist in weiteren Analysen zu klären, inwieweit u. a. äußere Faktoren, die eher auf Klassenebene angesiedelt sind, wie z. B. (instruktionale) Merkmale der Lernsituation oder die Interessantheit des Gegenstandsbereichs, relevante Einflussfaktoren darstellen. Ein weiterer Analyseschritt bezüglich der Bedeutung des motivationsrelevanten Erlebens besteht zudem darin, in Anlehnung an neuere Befunde aus der Lehr-Lern-Forschung zur Wirkung von Unterrichtsskripts (u. a. Hugener, 2008; Seidel & Prenzel, 2004; Seidel & Shavelson, 2007; Seidel et al., 2002), mögliche Erlebenskonfigurationen und deren Einfluss auf die Entwicklung beider Phasen des situationalen Interesses zu ermitteln. Die Befunde der Studie zeigen schließlich deutlich, dass für ein Verständnis der Entwicklung beider Phasen des situationalen Interesses die Berücksichtigung des individuellen Fachinteresses wesentlich ist. Die beachtliche Vorhersagekraft dieser Komponente zeigt, dass die Entstehung des situationalen Interesses für die spezifischen Inhalte einer aktuellen Lernsituation deutlich mit einer positiven Gestimmtheit gegenüber dem jeweiligen Schulfach, aus dem das aktuelle Thema stammt, verbunden ist. Diese Ergebnisse decken sich mit denen von Tsai und Kollegen (2008), die die Effekte des Fachinteresses auf ein situationsspezifisches Interesse unter einer längsschnittlichen Perspektive auch für das Fach Mathematik belegen konnten. Auf der anderen Seite zeigen die hier vorliegenden Ergebnisse auch, dass das situationale Interesse nicht ausschließlich durch bereits manifestierte Fachinteressen determiniert ist. Die Ergebnisse stützen vielmehr die theoretisch formulierte Annahme, dass Persönlichkeitsmerkmale wie das Fachinteresse einen bedeutsamen Beitrag zur Erklärung beider Phasen des situationalen Interesses liefern, jedoch darüber hinaus weitere, u. U. eher situationsgebundene Faktoren einen Einfluss haben (u. a. Krapp, 2002; Mitchell, 1993). Für die Förderung der Lernmotivation in der Schulpraxis kann somit direkt bei der Unterstützung der Catch- und Hold-Komponente angesetzt werden. Dieser Befund ist insofern von praktischer Relevanz, da die Ausprägung individueller Fachinteressen in Mathematik eher als gering einzuschätzen sind. Zum anderen wird deutlich, dass die Förderung der untersuchten Erlebensqualitäten in konkreten Unterrichtssituationen eine wichtige Voraussetzung darstellt, damit situationales Interesse in einzelnen Unterrichtsstunden entstehen kann. Die Lehrkraft kann unter anderem durch die Schaffung einer positiven Lernatmosphäre, die das Erleben von sozialer Eingebundenheit unterstützt, zur Entstehung des situationalen Interesses beitragen. Zum anderen kann sie eine Entwicklung des situationalen Interesses fördern, indem sie für die Schülerinnen und Schüler Möglichkeiten bereitstellt, ihre individuellen Ziele und Wünsche mit den Zielsetzungen des Unterrichts abzugleichen. In weiteren Analysen wird zu klären sein, von welchen unterrichtlichen Gestaltungsmustern diese Erlebensqualitäten positiv beeinflusst werden können. 256 Doris Lewalter, Ariane S. Willems Literatur Anderman, L. H. & Anderman, E. M. (2000). Considering contexts in educational psychology. Educational Psychologist, 35 (2), 67 - 68. 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Prof. Dr. Doris Lewalter Technische Universität München Fachgebiet Gymnasialpädagogik Lothstraße 17 D-80335 München Tel.: 0 89 - 28 92 43 70 Fax.: 0 89 - 28 92 43 72 E-Mail: lewalter@wi.tum.de
