eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 56/4

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2009
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Fördern Schulnoten die Motivation? Eine quasi-experimentelle Studie zum Einfluss der Benotungserwartung auf selbst berichtete und verhaltensnah erhobene Motivationsqualitäten

101
2009
Martin Hänze
Roland Berger
Katja Bianchy
Die Studie geht der Frage nach, wie sich Schulnoten auf intrinsische und extrinsische Motivationsqualitäten im kooperativen Fachunterricht Physik der 12. Klasse auswirken. Es nahmen 15 Physikkurse mit 293 Schülerinnen und Schülern an der Untersuchung teil. Die Kurse wurden zufällig der Bedingung mit oder ohne Benotungserwartung zugewiesen. Bei der Bedingung mit Benotungserwartung ging die Leistung in einem Abschlusstest in die mündliche Note für das Schulhalbjahr ein; bei der Bedingung ohne Benotungserwartung hatte der Abschlusstest keine weitere persönliche Konsequenz für die Schüler. Es wurde die Lernleistung, die selbstberichtete Motivation während des Unterrichts und die häusliche Nutzung einer Online-Lernplattform als verhaltensnahes Maß für Motivation erhoben. Während die Lernleistung mit großem Effekt durch die Benotungserwartung beeinflusst wurde, gab es keinen Effekt auf die selbstberichtete Motivation. Die Lernplattform wurde zur Testvorbereitung von der Gruppe mit Benotungserwartung deutlich stärker benutzt; der Effekt zeigte sich nach dem Test bei einer (nicht notenrelevanten) verpflichtenden Hausaufgabe nur noch tendenziell und verschwand bei einer freiwilligen häuslichen Zusatzaufgabe. Eine Pfadanalyse zeigt, dass der Effekt der Benotungserwartung auf die Leistung sowohl über das intensivere individuelle Lernen mit der Lernplattform als auch über eine bessere selbstberich-tete Kommunikationsqualität in den Lerngruppen vermittelt wurde.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2009, 56, 258 - 270 © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Fördern Schulnoten die Motivation? Eine quasi-experimentelle Studie zum Einfluss der Benotungserwartung auf selbst berichtete und verhaltensnah erhobene Motivationsqualitäten 1 Martin Hänze a , Roland Berger b , Katja Bianchy a a Universität Kassel b Universität Osnabrück How does the Prospect of Grading Influence Self Reported and Behaviour-Based Motivational Qualities? A Quasi-Experimental Study Summary: The study investigates how school grades effect intrinsic and extrinsic motivational qualities in cooperative learning settings in 12th grade physic classes. 15 physic classes with a total of 293 students participated in the study. The classes were randomly assigned to the conditions prospect of grading or no prospect of grading. In the condition prospect of grading the students’ performance in a final test contributed to the oral grade in the current term; in the condition with no prospect of grading the final test had no personal consequences for the students. Measures of learning performance, self reported motivation, and use of an online platform at home as a behaviour-based measure of motivation were collected. Learning performance was strongly affected by prospect of grading while there was no effect on self reported motivation. The students with prospect of grading used the online platform considerably more often for test preparation. After the test a comparable effect only tended to show on a compulsive homework (not relevant for grading) and disappeared on an optional task. A path analysis revealed the effect of prospect of grading to be mediated by the more intensive individual learning with the online platform as well as the improved self reported quality of communication in the learning group. Keywords: School grades, intrinsic motivation, extrinsic motivation, cooperative learning Zusammenfassung: Die Studie geht der Frage nach, wie sich Schulnoten auf intrinsische und extrinsische Motivationsqualitäten im kooperativen Fachunterricht Physik der 12. Klasse auswirken. Es nahmen 15 Physikkurse mit 293 Schülerinnen und Schülern an der Untersuchung teil. Die Kurse wurden zufällig der Bedingung mit oder ohne Benotungserwartung zugewiesen. Bei der Bedingung mit Benotungserwartung ging die Leistung in einem Abschlusstest in die mündliche Note für das Schulhalbjahr ein; bei der Bedingung ohne Benotungserwartung hatte der Abschlusstest keine weitere persönliche Konsequenz für die Schüler. Es wurde die Lernleistung, die selbstberichtete Motivation während des Unterrichts und die häusliche Nutzung einer Online-Lernplattform als verhaltensnahes Maß für Motivation erhoben. Während die Lernleistung mit großem Effekt durch die Benotungserwartung beeinflusst wurde, gab es keinen Effekt auf die selbstberichtete Motivation. Die Lernplattform wurde zur Testvorbereitung von der Gruppe mit Benotungserwartung deutlich stärker benutzt; der Effekt zeigte sich nach dem Test bei einer (nicht notenrelevanten) verpflichtenden Hausaufgabe nur noch tendenziell und verschwand bei einer freiwilligen häuslichen Zusatzaufgabe. Eine Pfadanalyse zeigt, dass der Effekt der Benotungserwartung auf die Leistung sowohl über das intensivere individuelle Lernen mit der Lernplattform als auch über eine bessere selbstberichtete Kommunikationsqualität in den Lerngruppen vermittelt wurde. Schlüsselbegriffe: Schulnoten, intrinsische Motivation, extrinsische Motivation, kooperatives Lernen Fördern Schulnoten die Motivation? 259 Die Bewertung von Leistungen in Form von Schulnoten ist ein integraler Bestandteil von Schulunterricht. Sie erfüllen Auslese-, Kontroll- und Berechtigungsfunktionen; gleichzeitig werden mit ihnen pädagogische Funktionen verknüpft: Schüler erhalten eine Rückmeldung, und Noten fungieren nicht zuletzt auch als Leistungsanreiz für die Schüler. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit der Motivationsfunktion von Noten unter dem Blickwinkel der Selbstbestimmungstheorie der Motivation und der Rolle von Noten in kooperativen Lernumgebungen. Benotung und Selbstbestimmungstheorie Aus motivationstheoretischer Sicht stellt Benotung einen externen Leistungsanreiz dar, der belohnend, aber auch bedrohlich wirken kann. Die Lernmotivation wird extrinsisch genannt, wenn weder die Tätigkeit selbst noch der Lerngegenstand motivierend wirken, d. h. als positive Handlungsanreize erlebt werden. Extrinsisch motivierte Handlungen werden durch die Erwartungen an die Ergebnisse und deren Folgen ausgelöst (Rheinberg, 1989). Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation nach Deci und Ryan (2000) macht Annahmen darüber, wie intrinsische und extrinsische Motivationsformen zusammenhängen. Aus Perspektive der Selbstbestimmungstheorie ist zu erwarten, dass Handlungsverursachungen, die als außerhalb der eigenen Person wahrgenommen werden, das Erleben von Autonomie beeinträchtigen. Da sehr viele Schülerinnen und Schüler Noten eher als „Druck“ erleben (vgl. Covington & Müeller, 2001), ist zu befürchten, dass eine Benotungserwartung mit einer Unterminierung des Autonomieerlebens und damit auch einer Beeinträchtigung der intrinsischen Motivation verbunden ist. Von schulischer Relevanz wäre dieser Effekt vor allem dann, wenn durch Noten eine vorhandene intrinsische Motivation korrumpiert würde; wenn also Schüler durch die Benotung die Freude am Lernen oder am Inhalt verlieren würden. Zum sogenannten Unterminierungs- oder Korrumpierungseffekt der intrinsischen Motivation durch extrinsische Verstärker liegen mittlerweile zahlreiche empirische Studien vor und zu seiner Relevanz findet man eine umfangreiche wissenschaftliche Diskussion (Cameron & Pierce, 1994; Deci, Koestner & Ryan, 1999, 2001; Cameron, Pierce, Banko & Gear, 2005). Relativ unbestritten sind folgende Befunde: • Belohnungen steigern die Motivation bei wenig interessanten Tätigkeiten. • Der Unterminierungseffekt der intrinsischen Motivation ist größer bei Verhaltensmaßen als bei Selbstberichten. • Der Unterminierungseffekt der intrinsischen Motivation ist größer bei wahrnehmbaren und gegenständlichen („tangible“) als bei verbalen Belohnungen. • Die Wirkung einer Belohnung auf die intrinsische Motivation hängt davon ab, ob sie als kontrollierend oder aber informierend wahrgenommen wird. • Leistungsabhängige Belohnungen beeinflussen das Kompetenzerleben und das Erleben von externer Kontrolle; der resultierende Effekt hängt vom relativen Ausmaß dieser beiden gegenläufigen Prozesse ab. Umgekehrt zeigt die Selbstbestimmungstheorie nach Deci und Ryan aber auch, wie aus ursprünglich externaler Handlungssteuerung über die Zwischenstufen Introjektion und Identifikation eine integrierte Lernmotivation entstehen kann: Die Handlungsziele sind zentraler Bestandteil der eigenen Überlegungen und Werte geworden; die Lernhandlungen werden als selbstbestimmt erlebt. Diese zunehmende Internalisierung vorgegebener Handlungsanlässe kann vor allen Dingen dann erreicht werden, wenn in der Lernsituation die Bedürfnisse nach Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit befriedigt werden. Noten können im Rahmen dieser Theorie also - wenn sie begleitet werden von einem Lernsetting, das ein Erleben der Grundbedürfnisse ermöglicht - als ein möglicher Ausgangspunkt 260 Martin Hänze et al. und Anstoß für den Weg zu einer identifizierten bzw. integrierten Lernmotivation angesehen werden. Empirische Studien zum Einfluss von Benotung auf Motivation und Leistung Baumert und Demmrich (2001) untersuchten den Einfluss von Benotungserwartung auf Leistung und Motivation an Gymnasien und Hauptschulen. In ihrer Studie findet sich ein Einfluss der Benotungserwartung weder auf die Ergebnisse im Leistungstest noch auf die im Selbstbericht angegebene Motivation. Bei dieser Studie ging es ausschließlich um das Verhalten der Schüler während eines Leistungstests. Es gab keine Möglichkeit, durch zusätzliche Lernanstrengungen in der Testvorbereitung das Ergebnis zu beeinflussen. Klein, Erchul und Pridemore (1994) fanden keinen Effekt der Benotung auf die Lernleistung und auf die Lernmotivation, weder in einer individuellen noch in einer kooperativen Lernumgebung. Bangert-Drowns, Kulik und Kulik (1991) zeigen in einer Meta-Analyse, dass häufige Leistungsüberprüfungen die Leistung der Schüler bei einem mittleren Effekt verbessern können, auch die Einstellung zum Unterricht konnte durch kontinuierliche Leistungsüberprüfungen verbessert werden. Crooks (1988) betont in einem Literaturüberblick die positive Funktion von informellen Leistungstests, warnt aber vor unerwünschten Effekten durch Benotungen. Zu den unerwünschten Effekten zählen die Reduktion intrinsischer Motivation, wenig lernförderliche Attributionen bei Erfolg und Misserfolg, verringerte Effektivität der verbalen Rückmeldung und weniger gute soziale Beziehungen zwischen den Schülern. Hattie und Timperly (2007, S. 101) betonen in ihrem Literaturüberblick zur Feedbackforschung, dass globales Feedback durch Benotung besonders effektive Aspekte des Feedback nicht einbezieht: Noten legen bei der Leistungsrückmeldung den Fokus weder auf den Lernprozess noch auf meta-kognitive und selbstregulative Aspekte der Aufgabenbearbeitung. Benotung und kooperatives Lernen Speziell im Rahmen der Forschung zum kooperativen Lernen existieren einige Befunde zur Frage, wie sich Leistungsanreize auf das Lernen auswirken. So hat es sich als günstig erwiesen, wenn die Leistung der Gruppe bewertet wird. Dies trifft aber nur dann zu, wenn die Summe des Lernfortschritts der einzelnen Gruppenmitglieder eingeht (Slavin, 1995). Nach Cohen (1994) sind Aufgaben, die intrinsische Motivation wecken und höhere Denkprozesse erfordern, auch ohne externe Belohnung mit gutem Lernerfolg verbunden. Abgesehen davon, dass die Gruppenbewertung und Gruppenbelohnung nur bedingt mit Basisfunktionen der Benotung im deutschen Schulsystem vereinbar ist, stellt sich die Frage, wie sich die Bewertung der individuellen Lernleistung in einem kooperativen Lernarrangement - dem Gruppenpuzzle - überhaupt auswirkt. Johnson und Johnson (1987) unterscheiden auf der Basis der Theorie der sozialen Interdependenz (Deutsch, 1949, 1962) drei Formen der sozialen Abhängigkeit beim kooperativen Lernen, nämlich positive Abhängigkeit (Kooperation), negative Abhängigkeit (Konkurrenz) und fehlende Abhängigkeit. Die Einführung der Benotungserwartung in einem kooperativen Lernsetting, das von positiver Abhängigkeit geprägt ist, könnte nun dazu führen, dass die positive Abhängigkeit der Schüler verlorengeht und in Konkurrenzdenken umschlägt. Als Folge könnten die Motivation zum kooperativen Lernen und damit auch die Lernergebnisse darunter leiden. Fragestellung Auf der Basis der dargestellten Theorien und Befunde nehmen wir an, dass es zum Teil gegenläufige Effekte der Benotung auf die Leistungsergebnisse und Motivation geben wird. Noten sind extrinsische Anreize und sollten daher die Lernmotivation erhöhen; gleichzeitig besteht jedoch die Gefahr, dass sie wegen des Korrumpierungseffektes die intrinsische Motivation verringern. Zudem könnte die individu- Fördern Schulnoten die Motivation? 261 elle Benotung in der kooperativen Lernsituation kompetitive Aspekte salienter machen und daher die Motivation und die Qualität des kooperativen Lernens verringern. Die Untersuchung betrachtet mehrere Variablen: die Lernleistung, die selbstberichtete extrinsische bzw. intrinsische Motivation, das Erleben der Grundbedürfnisse des selbstbestimmten Lernens und die selbstberichtete Kommunikationsqualität in den Lerngruppen. Zudem erfassen wir die Nutzung einer thematisch relevanten Lernplattform im Internet unter unterschiedlichen Bedingungen, und zwar als Vorbereitung auf den Test, als verpflichtende Hausaufgabe, und als freiwilliges Angebot nach Beendigung der Unterrichtseinheit. Damit liegen verhaltensnahe Indikatoren für die Motivation in motivationspsychologisch betrachtet unterschiedlichen Anreizbedingungen vor. Die Nutzung der Internetplattform als Vorbereitung auf den Test spricht für extrinsische Motivation, schließt aber intrinsische Motivation nicht aus. Die Nutzung der Internetplattform für die verpflichtende Hausaufgabe spricht für eine introjizierte Motivation. Die freiwillige Nutzung der Internetplattform nach Ende der Unterrichtseinheit spricht für eine integrierte bzw. intrinsische Motivation. Wir formulieren aus genannten Gründen folgende Hypothesen: Hypothese 1: Die Benotungserwartung steigert die Testleistung. Hypothese 2 (ungerichtet): Es gibt einen Effekt der Benotungserwartung auf die selbstberichtete extrinsische und intrinsische Motivation, auf die Grundbedürfnisse selbstbestimmten Lernens und auf die selbstberichtete Kommunikationsqualität in den Lerngruppen. Hypothese 3 (ungerichtet): Es gibt einen Effekt der Benotungserwartung auf die Nutzung einer Lernplattform in unterschiedlichen Anreizbedingungen (testvorbereitend, verpflichtende Hausaufgabe, freiwillig). Hypothese 4 (ungerichtet): Die Effekte der Benotungserwartung auf die Testleistung werden vermittelt durch das Ausmaß des individuellen häuslichen Arbeitens (Nutzung der Internetplattform testvorbereitend) und durch das Engagement der Schüler in der kooperativen Lernsituation (selbstberichtete Kommunikationsqualität). Methode Überblick, Design und unabhängige Variablen Zum Einsatz kam für die Untersuchung eine bereits in mehreren Studien erprobte Unterrichtseinheit für die 12. Jahrgangsstufe (Gymnasium) Physikunterricht (siehe auch Berger & Hänze, 2004, in press; Hänze & Berger, 2007 a, 2007 b) zum Thema Rasterelektronenmikroskop. Eine nähere Beschreibung ist zu finden in Berger (2008). Die Schüler wurden zunächst in zwei Unterrichtsstunden in frontaler, fragend-entwickelnder Unterrichtsform in die Grundlagen der Thematik durch die jeweilige Lehrkraft eingeführt. Der anfängliche Frontalunterricht erfüllt neben der didaktischen auch eine untersuchungsmethodische Funktion; verschiedene im Frontalunterricht gemessene Variablen (Vorwissen, Unterrichtserleben, Nutzung der Lernplattform) können dadurch als Kovariate in die experimentellen Vergleiche eingehen. Erst nach den Frontalunterrichtsstunden erfolgte die Manipulation der unabhängigen Variablen, wobei die Kurse den Bedingungen zufällig zugeordnet wurden. In der Bedingung mit Benotungserwartung wurden die Schüler darüber informiert, dass am Ende der Unterrichtseinheit ein Abschlusstest geschrieben wird; die Note dieses Abschlusstests werde in die mündliche Note für das laufende Halbjahr eingehen. In der Bedingung ohne Notenerwartung wurden die Schüler ebenfalls darüber informiert, dass ein Test geschrieben würde, dieser diene aber lediglich der persönlichen Rückmeldung. Die beteiligten Lehrer und Lehrerinnen wurden genau über den Sinn und Zweck der Untersuchung aufgeklärt. Es nahmen nur Lehrer mit ihren Kursen an der Untersuchung teil, die den Randbedingungen, insbesondere der zufälligen Zuweisung der Kurse zu einer der beiden Experimentalbedingungen, zustimmen konnten. Den Frontalunterrichtsstunden und der Instruktion zum Leistungstest folgte die kooperative Unterrichtsphase; eine Doppelstunde wurde im Rahmen des Gruppenpuzzles durchgeführt. Das Unterrichts- 262 Martin Hänze et al. thema wurde dazu in vier Teilthemen aufgeteilt (näheres siehe Berger, 2008). Beim Gruppenpuzzle arbeiten sich die Schüler zunächst in einer Expertengruppe in ein Thema ein und geben das Wissen anschließend in ihren Unterrichtsgruppen an andere Gruppenmitglieder weiter. Unterstützt wurde sowohl der Frontalunterricht als auch die kooperative Lernphase durch Begleitmaterial, welches zu Hause individuell vor dem Rechner bearbeitet werden konnte. Es handelte sich um eine Online-Lernplattform, die im Laufe der Unterrichtseinheit nach und nach freigeschaltet wurde (siehe Nutzung der Lernplattform im Internet). Zwischen den einzelnen Teilen der Unterrichtseinheit (Frontalstunde 1, Frontalstunde 2, Doppelstunde kooperatives Lernen, Abschlusstest) lagen, den Stundenplänen der jeweiligen Schulklassen folgend, ein bis vier Tage. Stichprobe An der Untersuchung nahmen 293 Schüler und Schülerinnen teil 2 . In der Bedingung mit Benotungserwartung wurden 130, in der Bedingung ohne Benotungserwartung 163 Schüler und Schülerinnen unterrichtet. Die Schüler und Schülerinnen wurden kursweise zufällig den Bedingungen zugewiesen, es handelte sich insgesamt um 10 Grund- und 5 Leistungskurse (Physik, 12. Klasse) aus Gymnasien des Großraums Osnabrück. Abhängige Variablen Wissenstest Die thematisch relevanten Physikkenntnisse der Schüler und Schülerinnen wurden mit einem Vorwissenstest (zu Beginn der Unterrichtseinheit) und einem Abschlusstest (am Ende der Unterrichtseinheit) erhoben. Der Vorwissenstest prüfte generelle Konzepte, die für die Unterrichtseinheit von Bedeutung waren, während der Abschlusstest die gleichen fach-physikalischen Inhalte, jedoch mit Bezug zu Physik und Technik des Rasterelektronenmikroskops erfasste. Die offenen Fragen deckten verschiedene Lernzielbereiche (Reproduktion, Reorganisation, Transfer) ab. Der Abschlusstest korreliert mit Werten um r = .45 mit der letzten Zeugnisbewertung in Physik (vgl. Hänze & Berger, 2007 b) und wies eine interne Konsistenz von Cronbach’s a = .63 auf. Der Abschlusstest kann zudem differenziert nach den Themen des Gruppenpuzzles ausgewertet werden, sodass für jeden einzelnen Schüler neben der Gesamtleistung ein Wert für die Leistung in seinem eigenen Expertenthema und für die Leistung in den von Mitschülern instruierten Themen ermittelt werden konnte. Lernerleben Während des kooperativen Unterrichts wurden verschiedene Variablen zum Unterrichtserleben erhoben. Die Erhebung folgte jeweils direkt nach der entsprechenden Unterrichtsphase. Dort wo es möglich war (alle Skalen bis auf Kommunikationsqualität), wurden für diese Variablen auch unbeeinflusste Vortestwerte während des Frontalunterrichts erhoben, die entsprechend in der kovarianzanalytischen Auswertung berücksichtigt wurden. Alle Skalen sind erprobt und wurden in gleicher oder ähnlicher Form schon in früheren Untersuchungen eingesetzt (Berger & Hänze, 2004; Hänze & Berger, 2007 a; Hänze & Berger, 2007 b); die Items wurden mit einem fünfstufigen Antwortformat vorgelegt. Bei der Erhebung der Motivationsqualitäten wurde unterschieden zwischen intrinsischer/ identifizierter Motivation auf der einen Seite und extrinsischer/ introjizierter Motivation auf der anderen Seite. Jeweils benachbarte Stufen korrelieren gemäß den Analysen von Prenzel, Kristen, Dengler, Ettle und Beer (1996) relativ hoch, sodass eine Zusammenfassung ökonomisch und für die Fragestellung angemessen erschien. Basic Needs: Es wurden Skalen zur Erhebung des Kompetenzerlebens (z. B. „Ich habe gemerkt, dass ich die Dinge verstanden habe.“, Cronbach’s a = .90), des Autonomieerlebens, (z. B. „Ich hatte die Möglichkeit, neue Bereiche eigenständig zu erkunden.“, a = .64) und der sozialen Eingebundenheit (z. B. „Ich fühlte mich in die Gruppe eingebunden.“, a = .76) mit jeweils drei Items eingesetzt. Intrinsische/ identifizierte Motivation: Die Messung erfolgte über sechs Items (z. B.: „Das Arbeiten machte mir richtig Spaß.“, „Ich habe mitgearbeitet, weil ich Neues lernen will.“), die in Anlehnung an Ryan und Connell (1989) und Prenzel et al. (1993) formuliert wurden. Die interne Konsistenz der Skala betrug Cronbach’s a = .87. Extrinsische/ introjizierte Motivation: Die Messung erfolgte über zwei Items (z. B. „Ich habe mitgearbeitet, weil es von mir verlangt wurde“, „Ich habe mitgearbeitet, weil ich sonst negativ aufgefallen wäre.“; vgl. Ryan & Connell, 1989), die interne Konsistenz betrug a = .75. Fördern Schulnoten die Motivation? 263 Aktivierung tiefer Lernstrategien: Die Messung erfolgte über vier Items (z. B. „Ich habe versucht, wichtige von unwichtigen Dingen zu unterscheiden“), die interne Konsistenz betrug a = .68. Selbstberichtete Qualität der sozialen Kommunikation: Die Skala Kommunikationsqualität erfasst soziale und fachliche Aspekte der Kooperation und Kommunikation in den Gruppen. Der Fragebogen besteht aus acht Items, die aus der Skala „Kooperationseinschätzung“ von Jürgen-Lohmann, Borsch und Giesen (2001) übernommen und angepasst wurden (Beispielitem: „Die Diskussionen in der Gruppe haben mir geholfen, die Inhalte zu verstehen“). Die Skala ist angelehnt an vier kooperative Fertigkeiten nach Johnson und Johnson (1987): Kommunikation, Aufbau eines Vertrauensklimas, Verteilung von Gruppenleitungsaufgaben und Umgang mit Kontroversen. Wir haben diejenigen Items übernommen und zum Teil adaptiert, die in unterschiedlichen Phasen des Gruppenpuzzles einsetzbar waren (Expertengruppe und Unterrichtsgruppe). Die interne Konsistenz der Skala lag bei Cronbach’s a = .73. Die Skala wurde getrennt vorgelegt für die Arbeit in den Expertengruppen und in den Unterrichtsgruppen. Nutzung der Lernplattform im Internet Insgesamt hatten die Schüler zu unterschiedlichen Zeitpunkten die Aufgabe, bzw. die Möglichkeit, auf die Online-Lernplattform über ihren Internetzugang von zu Hause aus zu zugreifen; die verschiedenen Zeitpunkte im Verlauf der Unterrichtseinheit stehen dabei für unterschiedliche Motivationsqualitäten im Sinne der Selbstbestimmungstheorie der Motivation: 1. Hausaufgabe nach der 1. Stunde Frontalunterricht (Baseline): Die Schüler erhielten die Hausaufgabe, wesentliche Inhalte der Frontalunterrichtsstunde zu Hause nachzubearbeiten. Die Auswertung dieser Hausaufgabe fungierte als von der Benotungserwartung unbeeinflusste Baseline-Messung, die als Kovariate in die anderen Analysen einbezogen wurde. 2. Testvorbereitung nach dem kooperativen Unterricht: Die Schüler konnten sich auf die Inhalte des Abschlusstests zu Hause vorbereiten. Die Lernplattform enthielt als Lerntexte das Material aus den vier Expertenthemen des Gruppenpuzzles zur individuellen Nacharbeit. Die Beschäftigung mit diesem Material spricht für eine extrinsische Motivation, schließt aber intrinsische Motivationsformen nicht aus. 3. Hausaufgabe nach dem Test: Die Schüler erhielten nach dem Test eine weitere Hausaufgabe, die mithin - auch in der Bedingung mit Benotungserwartung - nicht relevant war für die Benotung. Die Beschäftigung mit dieser Hausaufgabe spricht am ehesten für eine introjizierte Motivation. 4. Außerdem wurde den Schülern gleichzeitig mit der Hausaufgabe nach dem Test weiteres Lernmaterial bereitgestellt; die Beschäftigung damit war freiwillig. Das Lernmaterial beschäftigt sich mit vertiefenden physikalischen und geschichtlichen Aspekten des Rasterelektronenmikroskops. Die freiwillige Beschäftigung mit diesem Material spricht für eine ausgeprägte integrierte bzw. intrinsische Motivation. Der Zugriff erfolgte über individuelle Passwörter, die jeweils erst nach der entsprechenden Unterrichtsstunde freigeschaltet wurden. Die Zugriffe jedes einzelnen Schülers konnten dadurch erfasst und den anderen Daten zugeordnet werden 3 . Dadurch, dass die Inhalte in kleinere Einheiten aufgeteilt waren, die seitenweise zu laden waren, konnte für jeden Schüler die Bearbeitungsdauer je Aufgabe ermittelt werden. Durch ein Kopierschutzprogramm wurde verhindert, dass die Materialien ausgedruckt wurden, sodass die Verweilzeiten für die einzelnen Seiten als Maß für die Beschäftigungsdauer gewertet werden konnten. Nach 10 Minuten ohne Seitenwechsel wurde der Zugriff abgeschaltet und eine neue Anmeldung war erforderlich. Bis auf einen Schüler, der von der Auswertung ausgeschlossen wurde, verfügten alle Schüler und Schülerinnen über einen Internetzugang. Ergebnisse Die Auswertungen der experimentellen Manipulation erfolgte über eine Kovarianzanalyse, wobei entsprechende Vortestwerte (für die Leistung das Vorwissen, für das Lernerleben in der kooperativen Unterrichtsphase die entsprechenden Skalenwerte aus dem Frontalunterricht und für die Nutzung der Internetplattform die Bearbeitung der Hausaufgabe aus dem Frontalunterricht) als Kovariate in die Analyse eingingen, um zum Teil bestehende präexperimentelle Unterschiede zwischen Experimental- und Kontrollgruppe zu kontrollieren. Tabelle 1 zeigt 264 Martin Hänze et al. die adjustierten Mittelwerte für alle abhängigen Variablen. Einzig für die Einschätzung der Kommunikationsqualität liegen keine präexperimentellen Kovariaten vor, da diese Variable sinnvollerweise nur in den kooperativen Gruppen erhoben werden konnte. Bei allen Analysen geht die Gruppenzugehörigkeit (Zugehörigkeit zur Expertengruppe) als unter der Benotungsbedingung geschachtelter Faktor ein; da die Lerngruppen naturgemäß nur innerhalb der Schulklassen gebildet werden, werden über diesen geschachtelten Faktor auch Klasseneffekte teststatistisch berücksichtigt. Effekte für den geschachtelten Faktor Gruppenzugehörigkeit werden nicht eigens berichtet. Leistung Die Gesamtleistung verbessert sich durch Noten mit einem großen Effekt (F (1,186) = 53.8, p < .001, d = .81 4 ). Der Effekt der Benotungserwartung zeigte sich sowohl im Expertenthema (F (1,186) = 9.02, p < .01, d = .38) als auch in den instruierten Themen (F (1,186) = 58.2, p < .001, d = .80). Hypothese 1 wurde also bestätigt; die Testleistung wurde verbessert durch die Benotung. Lernerleben Bei den Skalen zum Selbstbericht über die Lernmotivation trat ein tendenzieller Effekt nur für das Kompetenzerleben auf (F (1,205) = 3.79, p = .053, d = -.18), dieser zeigt bei marginaler Signifikanz ein größeres Kompetenzerleben in der Bedingung ohne Benotungserwartung. Alle anderen Variablen zur Motivationsqualität (Autonomieerleben: p > .10, d = .15, extrinsische Motivation: p > .10, d = -.17, soziale Eingebundenheit, intrinsische Motivation sowie Aktivierung tiefer Lernstrategien: alle p > .50) zeigen keine Effekte der Benotungserwartung. Benotungserwartung Abhängige Variable mit (n = 130) ohne (n = 163) M (SD) M (SD) Leistung Gesamtleistung [Prozent des Maximalwerts] .55 (.20) .40 (.17) Leistung im Expertenthema [Prozent des Maximalwerts] .64 (.26) .53 (.32) Leistung in den instruierten Themen [Prozent des Maximalwerts] .52 (.22) .36 (.18) Selbstberichtetes Lernerleben Kompetenzerleben 3.99 (.84) 4.14 (.76) Autonomieerleben 3.74 (.76) 3.63 (.74) Soziale Eingebundenheit 4.28 (.70) 4.31 (.64) Extrinsische/ introjizierte Motivation 2.14 (.98) 2.31 (.99) Intrinsische/ identifizierte Motivation 3.51 (.76) 3.55 (.72) Aktivierung tiefer Lernstrategien 3.73 (.62) 3.68 (.62) Kommunikationsqualität (Expertengruppen) 4.07 (.52) 3.90 (.59) Kommunikationsqualität (Unterrichtsgruppen) 3.98 (.56) 3.81 (.65) Nutzung der Lernplattform im Internet zur Testvorbereitung [sec] 1243 (1687) 452 (904) Hausaufgabe nach dem Test [sec] 278 (653) 175 (440) Freiwillige Vertiefung nach Test [sec] 30 (106) 37 (142) Tabelle 1: Adjustierte Mittelwerte und Standardabweichungen für alle abhängigen Variablen Anmerkung: Antwortformat beim selbstberichteten Lernerleben: fünfstufige Ratingskala (1 - 5) Fördern Schulnoten die Motivation? 265 Signifikante Effekte des Treatments zeigen sich hingegen bei der selbstberichteten Kommunikationsqualität. Sowohl für die Expertengruppen (F (1,198) = 6.00, p < .02, d = .31) als auch für die Unterrichtsgruppen (F (1,197) = 4.71, p < .05, d = .28) berichteten die Schüler in der Bedingung mit Benotungserwartung eine verbesserte Qualität der sozialen Kommunikation. Hypothese 2 wird nicht bestätigt für die selbstberichtete Motivation, sie wird bestätigt für die Kommunikationsqualität. Nutzung der Lernplattform Die Lernplattform ist zu den verschiedenen Zeitpunkten über beide Bedingungen hinweg unterschiedlich stark von den Schülern und Schülerinnen benutzt worden: Nach dem Frontalunterricht griffen (gemittelt über beide Bedingungen) 69 % auf die Lernplattform zu, zur Testvorbereitung nutzten 51 % der Schüler und Schülerinnen die Lernplattform, bei der verpflichtenden Hausaufgabe waren es noch 36 % und bei der freiwilligen Vertiefung 17 %. Für den Vergleich der Bedingung mit und ohne Benotungserwartung haben wir jeweils die Nutzungsdauer der Lernplattform ermittelt, Schüler und Schülerinnen, die gar nicht zugriffen, gingen in die Analyse mit dem Wert Null ein. Bei der Nutzung der Internetplattform wurde jeweils die mittlere Bearbeitungsdauer der Internetseiten erfasst und ausgewertet, in die Analysen ging die Baseline-Messung (Hausaufgabe nach dem Frontalunterricht) als Kovariate ein. Die Benotungserwartung beeinflusste die Nutzung der Internetplattform zur Testvorbereitung (F(1,195) = 27.6, p < .001, d = .58). Nach Durchführung des Tests verringerte sich der Effekt der experimentellen Variation. Bei der Bearbeitung der verpflichtenden Hausaufgabe gab es bei marginaler Signifikanz noch einen kleinen Effekt zu Gunsten der Bedingung mit Benotungserwartung (F(1,195) = 2.90, p = .09, d = .18), bei der freiwilligen Vertiefung verschwand der Effekt ganz (F(1,195) < 1, p > .50, d = -.06). Hypothese 3 wird also teilweise bestätigt: Die Benotung zeigt einen Effekt auf die testvorbereitende Nutzung der Lernplattform. Pfadanalyse Hypothese 4 betrifft die Frage, wodurch die sehr deutlichen Leistungssteigerungen in der Bedingung mit Benotungserwartung zustande kommen. Sowohl die Kommunikationsqualität als auch die Nutzung der Lernplattform zur Testvorbereitung kommen als potenzielle Mediatoren infrage. Wir wollen für diese Analysen differenzieren zwischen der Leistung im eigenen Expertenthema und der Leistung in den instruierten Themen. Für die Leistung im Expertenthema ist der Schüler im Gruppenpuzzle nicht unbedingt auf die Kooperation mit seinen Mitschülern angewiesen, während er für einen Lernerfolg in der Unterrichtsgruppe aufgrund der Ressourceninterdependenz (dem jeweiligen Experten liegt mehr bzw. anderes Material vor als den Mitschülern, die von ihnen instruiert werden) auf seine Mitschüler angewiesen ist und mit diesen in der Unterrichtsgruppe kooperieren muss. Die Ressourceninterdependenz ist jedoch dadurch verringert, dass die Schüler die Möglichkeit haben, durch die häusliche Arbeit mit der Lernplattform diese Defizite zu kompensieren. Das heißt, auch ein Schüler, der sich nicht oder wenig an der kooperativen Lernsituation beteiligt, kann sich durch entsprechende Tätigkeit zu Hause die fehlenden Informationen erarbeiten. Es wurden für die Leistung in den Expertenthemen (siehe Abbildung 1) und für die Leistung in den instruierten Themen (siehe Abbildung 2) jeweils getrennt das gleiche Wirkungsmodell überprüft. Wir nehmen an, dass die Benotungserwartung (als experimentelle Manipulation) über die Internetnutzung (Testvorbereitung) und die Kommunikationsqualität in den kooperativen Lerngruppen auf die Leistung wirkt; zusätzlich wird ein direkter Pfad von der Benotungserwartung auf die Leistung zugelassen, um zu prüfen, ob es weitere, nicht von dem Modell berücksichtigte, Effekte gibt. 266 Martin Hänze et al. Das Vorwissen geht als Kontrollvariable in das Pfadmodell ein. Die Modelle wurden unter Verwendung von LISREL (Version 8.5), berechnet. Für das Wissen im Expertenthema zeigt sich eine Varianzaufklärung von 14 %; die Benotung wirkt über die Nutzung der Lernplattform auf die Leistung im Zieltest. Es handelt sich um einen signifikanten Mediator (vgl. Baron & Kenny, 1986) gemäß dem Test nach Sobel (1982) (z = 2.74, p < .01) 5 . Die Kommu- Abbildung 1: Pfadmodell zur Vorhersage der Leistung im Expertenthema aus der Benotungserwartung (0 = ohne, 1 = mit Benotungserwartung), der häuslichen Nutzung der Lernplattform (Zeitdauer) und der Kommunikationsqualität in den Unterrichtsgruppen (N = 231). * p < .01 Abbildung 2: Pfadmodell zur Vorhersage der Leistung in den von Mitschülern instruierten Themen aus der Benotungserwartung (0 = ohne, 1 = mit Benotungserwartung), der häuslichen Nutzung der Lernplattform (Zeitdauer) und der Kommunikationsqualität in den Unterrichtsgruppen (N = 231). * p < .01 Fördern Schulnoten die Motivation? 267 nikationsqualität in den kooperativen Expertengruppen wird zwar (s. o.) beeinflusst von der Benotungserwartung, jedoch gibt es keinen Effekt der Kommunikationsqualität auf die Leistung im Expertenthema. Zudem gibt es einen direkten Pfad von der Benotungserwartung auf die Leistung im Expertenthema. Für die Leistung in den instruierten Themen sieht das Bild etwas anders aus. Die Leistung kann hier in höherem Maße durch die Modellvariablen erklärt werden, sowohl die Nutzung der Lernplattform als auch die Kommunikationsqualität in den Lerngruppen stellen signifikante Mediatoren für die Lernleistung in den instruierten Themen dar (Sobel-Test: Nutzung der Lernplattform: z = 4.15, p < .001; Kommunikationsqualität: z = 2.74, p < .01). Auch hier bleibt ein direkter Pfad von der Benotung auf die Lernleistung. Diskussion Die durchgeführte Studie erweitert unsere Erkenntnisse darüber, wie sich die Benotungserwartung im Rahmen einer kurzen Unterrichtseinheit mit einem hohen kooperativen Unterrichtsanteil in der 12. Jahrgangsstufe Physik auswirkt. Die Untersuchung ist von zwei Besonderheiten geprägt. Erstens wurde die Auswirkung der Benotung quasi-experimentell getestet. Die Benotung hatte eine vergleichsweise hohe Relevanz für die Schüler, da sie in die mündliche Kursnote und damit auch in die Abiturnote einging. Zweitens wurde im Rahmen der Unterrichtseinheit der häusliche Arbeitseinsatz der Schüler verhaltensnah, nämlich über die Nutzung einer Lernplattform im Internet, individuell erfasst. Probleme, wie wir sie sonst in der Hausaufgabenforschung finden, also die nicht unbedingt valide Erfassung der Hausaufgabenzeit zum Beispiel über Selbsteinschätzung (vgl. Trautwein & Köller, 2003), werden durch diese Art der Erhebung vermieden. Die Ergebnisse zeigen eine Verbesserung der Leistungen im Abschlusstest durch die Benotungserwartung. Die Fragestellung der Untersuchung war zum einen, ob dieser Effekt eher durch intrinsische oder extrinsische Motivationsformen zustande kommt und zum anderen, ob für diesen Effekt eher verstärktes individuelles Arbeiten oder aber ein verbessertes Engagement der Schüler und Schülerinnen in den kooperativen Lernphasen verantwortlich ist. Betrachtet man die Selbstberichtsskalen zum motivationalen Erleben, so zeigen sich keine Effekte der Benotungserwartung auf unterschiedliche Motivationsqualitäten. Das Erleben intrinsischer und extrinsischer Motivationsqualitäten wurde durch die Benotungserwartung nicht beeinflusst - diese Aussage kann vor dem Hintergrund einer vglw. großen Teststärke getroffen werden (Effekte in mittlerer Größenordnung hätten bei der gegebenen Stichprobengröße mit einer Teststärke 1 - b von über .95 bei einem Signifikanzniveau von a = .05 aufgedeckt werden können). Die eingesetzten Skalen haben sich in anderen Untersuchungen als valide zur Erfassung von Motivationsqualitäten gezeigt (Hänze & Berger, 2007 a); die Interpretation der selbstberichteten extrinsischen Motivation muss jedoch auf der Grundlage von zwei Items mit Vorsicht erfolgen. Die Daten zur häuslichen Nutzung der Lernplattform können Hinweise auf das Ausmaß der individuellen Beschäftigung mit dem Lernmaterial geben. Die Nutzung der Lernplattform wurde zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten, die für unterschiedliche motivationale Anreizsituationen stehen, erhoben. Substanzielle Effekte der Benotung gab es nur bei der Nutzung der Internetplattform für die Vorbereitung des Tests, diese sprechen zunächst einmal für eine gesteigerte extrinsische Motivation: die Schüler nutzten die Lernplattform dann vermehrt, wenn sie sich dadurch ein besseres Abschneiden im benoteten Leistungstest erhoffen konnten. Das schließt natürlich nicht aus, dass damit auch stärker internal regulierte Motivationsformen einhergehen, doch ergibt sich aus den anderen beiden Nutzungszeitpunkten der Lernplattform keine klare Bestätigung für die Beeinflussung der intrinsischen oder introjizierten Motivation: Bei der ver- 268 Martin Hänze et al. pflichtenden Hausaufgabe nach dem Test gab es tendenzielle, aber keine inferenzstatistisch nachweisbaren Effekte und bei der freiwilligen Beschäftigung mit dem Lernangebot gab es keine Effekte der Benotungserwartung. Bei der Interpretation der Nutzungsdaten der Internetplattform ist zu berücksichtigen, dass das Nutzungsverhalten der Schüler durch zahlreiche weitere Variablen beeinflusst wird, also etwa Vertrautheit mit dem Computer, Geschlecht oder das generelle häusliche Arbeitsverhalten und die entsprechenden Ansprüche des Lehrers. Die Daten sind dementsprechend mit einer großen Fehlervarianz behaftet und der Rückschluss von diesem Maß auf intrinsische Motivation ist nur eingeschränkt möglich. Hypothese 2 und 3 können demzufolge nicht eindeutig beantwortet werden. Die Selbstberichtsmaße sprechen gegen eine Beeinflussung intrinsischer oder extrinsischer Motivation durch die Noten, während die Nutzungsdaten der Lernplattform mit den genannten Einschränkungen für eine Beeinflussung ausschließlich der extrinsischen Motivation sprechen. Spezielle Erkenntnisse erbringt die Studie zu der Frage (Hypothese 4), wie sich eine individuelle Leistungsbewertung in einer kooperativen Lernumgebung auf individuelles Lernen (Nutzung der Lernplattform) und kooperatives Lernen (Kommunikationsqualität) auswirkt. Die Pfadanalysen zeigen, dass das individuelle Lernen deutlich von der Benotungserwartung beeinflusst wird und den Lernzuwachs in der benoteten Bedingung teilweise erklären kann. Verbessert wird aber auch die berichtete Kommunikationsqualität in den kooperativen Lerngruppen durch die Benotung und bei den von Mitschülern instruierten Themen mediiert die Kommunikationsqualität auch die Effekte der Benotung auf die Leistung. Das Gruppenpuzzle als eine kooperative Lernform, bei der die Schüler durch Aufgaben- und Ressourcenspezialisierung aufeinander angewiesen sind, kann also auch von der individuellen Leistungsbewertung durch Schulnoten profitieren. Dies ist pädagogisch umso interessanter als in unserem Setting die Schüler durch die häusliche Lernplattform Defizite aus dem Gruppenpuzzle individuell kompensieren konnten. Als Fazit ergibt sich: Die Motivation zum kooperativen Lernen wird durch individuelle Leistungsrückmeldungen offenbar nicht beeinträchtigt; darüber hinaus nimmt die erlebte Kommunikationsqualität zu. Trotz der Benotung bleibt die positive soziale Abhängigkeit der Schüler bestehen, die Kommunikationsqualität verbessert sich und mediiert den Effekt der Benotung auf die Leistung in den instruierten Themen. In den Pfadmodellen fällt weiterhin ein jeweils relativ großer direkter Pfad von der Benotungserwartung auf die Lernleistung auf. Dieser Effekt kann im Rahmen der erhobenen Variablen nicht näher erklärt werden; er kann über Variablen laufen, die nicht Gegenstand dieser Untersuchung waren (z.B. eine höhere Aufmerksamkeit), weiterhin ist auch daran zu denken, dass es Effekte der Benotungserwartung gibt, die unabhängig vom durchgeführten Unterricht sind, z. B. eine verstärkte Anstrengung im Test. Die durchgeführte Unterrichtseinheit zum Rasterelektronenmikroskop wird, wie wir bereits aus früheren Studien wissen, von den Schülern als vergleichsweise interessant erlebt. Die hohe intrinsische Motivation wird jedoch weder in die eine noch in die andere Richtung durch die Benotungserwartung beeinflusst. Auch die Grundbedürfnisse selbstbestimmten Lernens zeigen wenig Beeinflussung durch die Benotung, das Kompetenzerleben ist ohne Benotungserwartung leicht gesteigert, das Autonomieerleben erfährt durch die Benotungserwartung keine Beeinträchtigung. Insgesamt kann man festhalten, dass diese angewandte Studie keine Hinweise für den Korrumpierungseffekt durch die Belohnung mit Noten gibt; andererseits gibt es auch keine Hinweise dafür, dass durch Noten extrinsisch angeregtes Lernen in intrinsisch motiviertes Lernen transformiert werden kann (vgl. das Transformationsprinzip, Weinert, 1996). Möglicherweise war für einen solchen Effekt die Unterrichtseinheit zu kurz, obwohl sie mit der Unterstützung von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit gute Voraussetzungen für ein Fördern Schulnoten die Motivation? 269 solches von hoher Selbstbestimmung geprägtes Lernen bot. Bei der starken Beeinflussung der Lernleistung durch die Benotungserwartung sind die Rahmenbedingungen der Untersuchung auf verschiedenen Ebenen zu berücksichtigen: Es handelt sich um eine Stichprobe der 12. Klasse, die - wie in Deutschland üblich - mit dem Schulnotensystem sozialisiert wurde. Zudem haben die Noten in der 12. Klasse bereits einen direkten Einfluss auf die Abiturnote. Als zentrales Fazit und Ergebnis dieser Studie können wir festhalten, dass Schulnoten • nicht zwangsläufig ungünstig sind für kooperative Lernsituationen, sondern das individuelle Engagement in kooperativen Lerngruppen mit großer wechselseitiger Abhängigkeit (Gruppenpuzzle) steigern können, • nicht zwangsläufig stärker internal gesteuerten Motivationsformen zuwider laufen. Anmerkungen 1 Diese Arbeit entstand im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojektes „Kooperatives Lernen im Physikunterricht: Motivationale und kognitive Wirkmechanismen“ (Projektnehmer: Prof. Dr. Martin Hänze und Prof. Dr. Roland Berger, Geschäftszeichen: Ha 3509/ 1-2 und Be 2652/ 1-2) 2 Da nicht alle Schüler an allen Erhebungen bzw. an allen Unterrichtsstunden teilnahmen, ergibt sich für einige Analysen ein geringfügig reduziertes N. 3 Wir danken dem Zentrum für Informationsmanagement und virtuelle Lehre der Universität Osnabrück, insbesondere Herrn N. Schuhmacher für die kompetente und umfangreiche Unterstützung. 4 Als Effektgröße wird jeweils Cohen’s d basierend auf den kovarianzanalytisch adjustierten Mittelwerten angegeben. Positive Werte signalisieren höhere Werte in der Bedingung mit Benotungserwartung. 5 Die Tests nach Sobel wurden online berechnet unter http: / / www.people.ku.edu/ ~preacher/ sobel/ sobel. htm. Literatur Bangert-Drowns, R. L., Kulik, J. A. & Kulik, C. C. (1991). Effect of frequent classroom testing. Journal of Educational Research, 85, 89 - 99. Baron, R. M. & Kenny, D. A. (1986). The moderatormediator variable distinction in social psychological research: Conceptual, strategic, and statistical considerations. Journal of Personality and Social Psychology, 51, 1173 - 1182. Baumert, J. & Demmrich, A. (2001). Test motivation in the assessment of student skills: The effect of incentives on motivation and performance. European Journal of Psychology of Education, 16, 441 - 462. Berger, R. (2008). 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