eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 57/2

Psychologie in Erziehung und Unterricht
3
0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2010.art06d
41
2010
572

Editorial zum Themenheft: Aggression und Gewalt in der Schule

41
2010
Franz Petermann
Ute Koglin
Aggressives und gewalttätiges Verhalten von Schülern ist ein Problem, das anhaltende Beachtung aus verschiedenen Disziplinen erfährt, wie der Psychologie, Sonderpädagogik und Pädagogik. Es verliert aufgrund seiner gravierend negativen Auswirkungen kaum an Aktualität. In der Folge treten bei Tätern und Opfern vermehrt psychische Störungen auf (Ängste, Depressionen, Alkohol und Drogenkonsum und -missbrauch), bei den Opfern ein reduziertes Selbstwertgefühl und erhöhtes Suizidrisiko, bei den Tätern tritt im weiteren Verlauf massiv aggressiv-dissoziales Verhalten auf (Arseneault et al., 2006; Barker, Arseneault, Brendgen, Fontaine & Maughan, 2008; Koglin & Petermann, 2008; Petermann, 2009; von Marées & Petermann, 2009; Petermann, Reinartz & Petermann, 2002). Es liegt eine umfassende Literatur zu individuellen Risikofaktoren für aggressives Verhalten vor (z. B. Farrington, -Ttofi & Coid, 2009; Schlack, Hölling & Petermann, 2009). In den Fokus der Aufmerksamkeit rückten auch Merkmale von Kindergärten und Schulen, mit denen aggressives Schülerverhalten einhergeht. Dazu zählen beispielsweise eine hohe Schüleranzahl oder mit Schülern überfüllte Schulen (Bowes et al., 2009). Schlack et al. (2009) berichten, dass die besuchte Schulform mit dem Risiko von Gewalterfahrungen im Zusammenhang steht; anhand der KiGGS-Studie zeigten die Autoren, dass sich für Schüler der Hauptschule das Risiko für aggressives Verhalten erhöht und sie im Vergleich zu Gymnasiasten ein zweifach erhöhtes Risiko aufweisen, Opfer aggressiver Handlungen zu werden. Des Weiteren stehen die Organisationsstruktur und das Schulklima sowie auf Klassenebene das Klassenklima und die Zusammensetzung einer Klasse mit aggressivem Verhalten in Verbindung (Gottfreson, Gottfredson, Payne & Gottfredson, 2005; Payne, 2009). Schüler zeigen mehr aggressives Verhalten, je mehr Mitschüler in der Klasse aggressive Verhaltensauffälligkeiten aufweisen (Thomas & Bierman & Res, 2006). Trifft diese Konstellation auf Schulanfänger zu, besteht zudem ein erhöhtes Risiko dafür, dass sich das aggressive Verhalten stabilisiert (Kellam et al., 1998) und keine Ressourcen entwickelt werden können (Noeker & Petermann, 2008).
3_057_2010_2_0001
Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2010, 57, 81 - 87 DOI 10.2378/ peu2010.art06d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Editorial zum Themenheft: Aggression und Gewalt in der Schule Franz Petermann, Ute Koglin Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Aggressives und gewalttätiges Verhalten von Schülern ist ein Problem, das anhaltende Beachtung aus verschiedenen Disziplinen erfährt, wie der Psychologie, Sonderpädagogik und Pädagogik. Es verliert aufgrund seiner gravierend negativen Auswirkungen kaum an Aktualität. In der Folge treten bei Tätern und Opfern vermehrt psychische Störungen auf (Ängste, Depressionen, Alkohol und Drogenkonsum und -missbrauch), bei den Opfern ein reduziertes Selbstwertgefühl und erhöhtes Suizidrisiko, bei den Tätern tritt im weiteren Verlauf massiv aggressiv-dissoziales Verhalten auf (Arseneault et al., 2006; Barker, Arseneault, Brendgen, Fontaine & Maughan, 2008; Koglin & Petermann, 2008; Petermann, 2009; von Marées & Petermann, 2009; Petermann, Reinartz & Petermann, 2002). Es liegt eine umfassende Literatur zu individuellen Risikofaktoren für aggressives Verhalten vor (z. B. Farrington, Ttofi & Coid, 2009; Schlack, Hölling & Petermann, 2009). In den Fokus der Aufmerksamkeit rückten auch Merkmale von Kindergärten und Schulen, mit denen aggressives Schülerverhalten einhergeht. Dazu zählen beispielsweise eine hohe Schüleranzahl oder mit Schülern überfüllte Schulen (Bowes et al., 2009). Schlack et al. (2009) berichten, dass die besuchte Schulform mit dem Risiko von Gewalterfahrungen im Zusammenhang steht; anhand der KiGGS-Studie zeigten die Autoren, dass sich für Schüler der Hauptschule das Risiko für aggressives Verhalten erhöht und sie im Vergleich zu Gymnasiasten ein zweifach erhöhtes Risiko aufweisen, Opfer aggressiver Handlungen zu werden. Des Weiteren stehen die Organisationsstruktur und das Schulklima sowie auf Klassenebene das Klassenklima und die Zusammensetzung einer Klasse mit aggressivem Verhalten in Verbindung (Gottfreson, Gottfredson, Payne & Gottfredson, 2005; Payne, 2009). Schüler zeigen mehr aggressives Verhalten, je mehr Mitschüler in der Klasse aggressive Verhaltensauffälligkeiten aufweisen (Thomas & Bierman & Res, 2006). Trifft diese Konstellation auf Schulanfänger zu, besteht zudem ein erhöhtes Risiko dafür, dass sich das aggressive Verhalten stabilisiert (Kellam et al., 1998) und keine Ressourcen entwickelt werden können (Noeker & Petermann, 2008). Der Problemlage entsprechend haben die Nachfrage und der Einsatz präventiver Programme im Kindergarten und in der Grundschule in den letzten Jahren erfreulicherweise zugenommen (vgl. Petermann & Koglin, 2008). Schulen und Kindergärten sind heute wichtige Orte zur Verbreitung von Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung. Ergebnisse aus Primäranalysen, aber auch aus Meta-Analysen zeigen die Wirksamkeit schulbasierter präventiver Programme auf (Beelmann, 2006; Wilson & Lipsey, 2007). Beelmann und Lösel (2006) berichten aus ihrer Meta-Analyse eine durchschnittliche Effektstärke sozialer Trainingsprogramme von 0.29 zum Posttest und 0.20 im Follow-Up auf aggressiv-dissoziales Verhalten. Ähnliche Ergebnisse legen auch Wilson und Lipsey (2007) vor; für universelle Programme berichten sie eine durchschnittliche Effektstärke auf aggressives Verhalten von 0.21 und von 0.29 für selektive und indizierte Programme. Neben diesen ermutigenden Ergebnissen stehen jedoch weitere Herausforderungen für die Zukunft. Dazu gehört, besonders im deutschsprachigen Bereich, noch immer der empirische Wirksamkeitsnachweis für entwickelte Programme, der neben der allgemeinen 82 Franz Petermann, Ute Koglin auch die differentielle Wirksamkeit und Hinweise auf Wirkmechanismen einschließt. Neben diesen eher auf die Präventionsforschung gerichteten Aufgaben treten zunehmend Fragen auf, die sich mit der Implementation von Präventionsprogrammen beschäftigen (Durlak & Du- Pre, 2008); dazu zählt auch die Vernetzung präventiver Programme über den Entwicklungsverlauf und die Integration präventiver Maßnahmen in bestehende Strukturen des Gesundheitssystems und der Jugendhilfe (Rücker, Petermann, Büttner & Petermann, 2009). Die Frage, wie evaluierte Programme in die Praxis umgesetzt werden können, stellt sich unter anderem vor dem Hintergrund, dass über höhere Programmeffekte berichtet wird, wenn ein Vorgehen durch die Programmentwickler selbst durchgeführt wurde (vgl. Greenberg, Domitrovic, Graczyk & Zins, 2005). Es kann angenommen werden, dass in diesen Studien die Implementationsqualität des Programmes höher war als in Studien, die unabhängig von den Programmentwicklern realisiert wurden. Des Weiteren erfordert die Implementation eines Präventionsprogrammes von den Mitarbeitern einer Einrichtung einen hohen Einsatz von personellen, zeitlichen und finanziellen Ressourcen und - je nach Vorerfahrung - den Umgang mit neuen Inhalten, Methoden und Materialien. Diese Ressourcen, das Schulklima und die Unterstützung durch die Schulleitung haben sich als wichtige Einflussgrößen auf die Implementationsqualität und auf die Programmwirksamkeit erwiesen (Kallestad & Olweus, 2003; Mihalic, Fagan & Argamaso, 2008). In einer Meta-Analyse mit 221 Studien zur schulbasierten Prävention aggressiven Verhaltens konnten Wilson, Lipson und Derzon (2003) aufzeigen, dass die Implementationsqualität die zweitbeste Variable war, um die Programmwirksamkeit zu erklären. Bedeutsamer war nur noch der Risikostatus der Schüler, wobei eine hohe initiale Belastung mit einer stärkeren Reduktion der Probleme einherging. Als Programmimplementation Anzahl, Frequenz und Intensität der durchgeführten Einheiten, programmtreue Durchführung der Inhalte, aktive Teilnahme der Kinder Wohnumfeld, Merkmale und Unterstützung durch die Gemeinde; Kooperation mit Jugendhilfe und Trägern des Gesundheitssystems Präventionsprogramm • Manualisierung • Konkrete Angaben zum Material und dem Umgang • Material zur Dokumentation der Implementation und zur Evaluation • Angebot und Materialien für Fortbildungen und Begleitung der Implementation durch Programmentwickler Merkmale der Lehrkraft • Einstellungen • Persönlichkeit und sozial-emotionale Kompetenzen • Zufriedenheit mit der Arbeit • Wahrgenommene Unterstützung Merkmale der Institution Schulklima Kontrolle, Autonomie, Kommunikation Unterstützung der Implementation • Persönlichkeit und sozialemotionale Kompetenzen • Zufriedenheit mit der Arbeit • Wahrgenommene Unterstützung Klassenklima und Merkmale der Schüler Elternarbeit Abbildung 1: Einflussfaktoren auf die Programmimplementation von Präventionsprogrammen in der Schule Editorial 83 weiterer wichtiger Einflussfaktor konnte zudem die Programmintensität ermittelt werden. Derzon, Sale, Springer und Brounstein (2005) berichten aus einer Re-Analyse von 46 Programmen, dass weniger die Theorie oder Methoden der Programme die zentralen Einflussgrößen auf die Wirksamkeit waren, sondern die Programmintensität und die Qualität der Umsetzung. Die Qualität der Programmimplementation hängt von vielfältigen Faktoren ab (s. Abb.1). Exemplarisch sollen ausgewählte Merkmale der Programmanwender benannt werden, die mit der Implementationsqualität im Zusammenhang stehen. Durlak und DuPre (2008) haben in ihrem Review herausgearbeitet, dass die Überzeugung der Anwender, dass ein Programm notwendig und sinnvoll ist, mit einer höheren Implementationsqualität einhergeht. Des Weiteren die Überzeugung, dass das Programm eine optimale Passform aufweist, wirksam ist und beim Anwender Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten besteht, dieses Vorgehen auch umsetzen zu können. Kallestad und Olweus (2003) berichten davon, dass die Programmimplementation durch die emotionale Beteiligung von Lehrkräften beeinflusst wird, wenn diese Zeugen aggressiver Handlungen waren und durch eigene Opfererfahrungen in der Kindheit geprägt sind. Problemwahrnehmung, Motivation und emotionale Beteiligung der Lehrkräfte sollten optimalerweise bereits in einer gemeinsamen Planungsphase vor der Entscheidung für ein bestimmtes Präventionsprogamm berücksichtigt werden, sodass eine breite Zustimmung zum ausgewählten Vorgehen besteht. Zentral ist, dass alle Mitarbeiter einer Einrichtung sich gemeinsam entscheiden sollten, ein bestimmtes Programm umzusetzen. Zu den Kompetenzen einer Lehrkraft beim Einsatz von schulbasierten Programmen gehören Techniken einer effektiven Gruppenführung. Eine solche zielt ab auf den Einsatz von Handlungen, die positive Lernbedingungen für eine Schülergruppe herstellen und aufrechterhalten. Generell ist es dabei zentral, ein Klassenklima zu schaffen, das angemessenes Sozial- und Lernverhalten fördert (Little & Akin-Little, 2008). Ein erfolgreiches Klassenmanagement stellt die Basis dar, auf der ein präventives Gruppenangebot an Schüler vermittelt wird, und es kann auch selbst Teil eines Präventionsprogrammes sein. Ein weit verbreitetes Beispiel eines optimierten Klassenmanagements im Rahmen der Prävention von aggressiv-dissozialem Verhalten stellt das Good Behavior Game dar (GBG, Barrish, Saunders & Wolf, 1969). Es handelt sich dabei um eine universelle Prävention, die in der Grundschule zur Förderung von Sozialverhalten und zum Abbau von störendem Verhalten eingesetzt werden kann. Ziel ist es, eine für alle Schüler fördernde Lernumgebung zu schaffen. Durch das GBG werden Kinder aufgefordert, ihr eigenes Verhalten, aber auch das ihrer Mitschüler zu regulieren, indem gezielt zusammengesetzte Teams eine gemeinsame Verstärkung für vereinbartes Verhalten erhalten. Mit dem GBG werden verschiedene Risikofaktoren zur Entwicklung und Aufrechterhaltung aggressiven Schülerverhaltens angesprochen. Auf der individuellen Ebene eignet sich das GBG, um angemessenes Sozialverhalten zu verstärken. Bei der Teamzusammenstellung sollten sozial kompetente Kinder mit Kindern zusammengebracht werden, die über geringe soziale Kompetenzen verfügen; so werden ihnen positive Modelle für angemessenes Verhalten angeboten. Des Weiteren unterstützt das GBG die Integration von Schülern in die Klassengemeinschaft und ein positives Klassenklima wird gefördert. Zum GBG liegt aktuell eine Reihe von Studien vor, die die Wirksamkeit des Ansatzes aufzeigen (Kellam et al., 2008; Tingstrom, Sterling-Turner & Wilczynski, 2006). Eines der wenigen Programme, das explizit ein Modul zum Klassenmanagement als Basis zur Durchführung des kindorientierten Moduls beinhaltet, stellt das Dinosaur Social Skills and Problem Solving Curriculum dar (Webster-Stratton, Reid & Hammond, 2001). Dieses Vorgehen richtet sich an Kinder zwischen drei und zehn Jahren und zielt auf die Förderung sozialemotionaler Kompetenzen und die Reduktion oppositionellen und aggressiven Verhaltens. Explizit wird hier neben dem konkreten Umgang 84 Franz Petermann, Ute Koglin mit dem kindorientierten Programm die Aufmerksamkeit auf das Klassenmanagement gelegt. In einer Wirksamkeitsstudie wurden dazu 153 Lehrer mit 1.768 Kindern randomisiert einer Interventions- und einer Kontrollgruppe zugewiesen (Webster-Stratton, Reid & Stoolmiller, 2008). Die Lehrer der Interventionsgruppe wurden in der Fortbildung zu einen effektivem Klassenmanagement darin unterstützt, • eine positive Beziehung zu den Kindern aufzubauen, • proaktive Unterrichtsmethoden anzuwenden, • Lob und Anreize effektiv einzusetzen, • Verstärkerprogramme für bestimmte prosoziale Fertigkeiten zu verwenden sowie • individuelle Verhaltenspläne für Kinder mit Schwierigkeiten einzusetzen. Es konnte anhand von Verhaltensbeobachtungen belegt werden, dass in der Interventionsgruppe das Klassenmanagement verbessert wurde. In folgenden Bereichen traten Effekte auf: „Wärme“ im Umgang mit den Schülern (d = .51), Häufigkeit, mit der sozial-emotionale Fertigkeiten durch die Lehrkraft vermittelt wurden (d = .96) und Einsatz effektiver Disziplinierungstechniken (d = 1.24); zudem reduzierten sich inkonsistentes (d = .63) und harsches oder kritisches Verhalten aufseiten der Lehrkraft (d = .67). Die Schüler waren besser dazu in der Lage, Gefühle bei sich und bei anderen zu benennen und positive Problemlösestrategien zu entwickeln. Verhaltensbeobachtungen im Unterricht zeigten, dass die Schüler oppositionell-aggressives Verhalten reduzieren konnten; dieser Effekt trat besonders bei denjenigen Schülern auf, die zuvor die meisten Verhaltensprobleme aufwiesen. Die Ergebnisse dieser Studie sind somit ermutigend. Ein positives Klassenmanagement setzt sozial-emotionale Kompetenzen von Lehrkräften voraus (Jennings & Greenberg, 2009, S. 491ff ). Zu diesen gehören Selbstbewusstsein, Gemeinschaftssinn, verantwortlich Entscheidungen treffen, Selbst- und Beziehungsmanagement (vgl. Zins, Weissberg, Wang & Walberg, 2004). Die sozial-emotionale Kompetenz der Lehrkraft und deren Wohlbefinden bilden wichtige Voraussetzungen, um die Lehrer-Schüler-Interaktion positiv zu gestalten. Eine positiv-unterstützende Beziehung zur Lehrkraft fördert bei Schülern das Gefühl der Sicherheit und Verbundenheit, sodass Entwicklungsprozesse positiv gestaltet werden können (Murray & Greenberg, 2000). Diese Ergebnisse legen nahe, dass Fachkräften Fortbildungen und möglichst auch eine Begleitung bei der Durchführung präventiver Maßnahmen angeboten werden sollten. Im Weiteren erscheint es sinnvoll, zukünftig mehr auf die persönlichen Voraussetzungen der Lehrkräfte zu achten, die diese für eine erfolgreiche schulbasierte Intervention aufweisen müssen. Präventionsprogramme sollten entwicklungsorientiert gestaltet sein und für verschiedene Entwicklungsperioden (Kindergarten, Grundschule, weiterführende Schule) verfügbar sein (Greenberg 2004; Scheithauer, Mehren & Petermann, 2003). Mit den Programmen des Bremer Präventionsforums wird der Bogen vom Kindergarten (Verhaltenstraining im Kindergarten; Koglin & Petermann, 2006) über die Grundschule (Verhaltenstraining für Schulanfänger; Petermann, Natzke, Gerken & Walter, 2006; Verhaltenstraining in der Grundschule; Petermann, Koglin, Natzke & von Marées, 2007) bis zum Jugendalter gespannt (Training mit Jugendlichen; Petermann & Petermann, 2007). Es liegen altersgerechte und entwicklungsspezifische Themen und Materialien vor und umfassende Belege zur Wirksamkeit (Petermann & Natzke, 2008; Petermann et al., 2010 a; von Marées & Petermann, 2009). Präventive Programme müssen einrichtungs- und trägerübergreifend realisiert werden (Jugendhilfe, Schule, berufliche Ausbildung). Hierbei sollten auch Präventionsangebote mit therapeutischen Interventionen abgestimmt werden. Auch wenn die Anzahl wirksamer schulbasierter Präventionsprogramme zunimmt, können damit nicht klinisch relevante Störungen erfolgreich und nachhaltig behan- Editorial 85 delt werden. Bei massiven Aggressionsformen ist ein Angebot aus dem Bereich der Jugendhilfe notwendig (Rücker et al., 2009). Die Vernetzung von Jugendhilfe-Angeboten und schulbasierten Präventionsprogrammen bildet eine zentrale Herausforderung für die Zukunft. Inhalte des Themenheftes Die Beiträge in diesem Heft greifen verschiedene der angesprochenen Themen auf. Drei Arbeiten beziehen sich auf die Präsentation bzw. Evaluation von Präventionsprogrammen, ein Beitrag stellt einen Fragebogen zur Erfassung aggressiven Verhaltens in der Schule vor. Der Beitrag von Wettstein, Thommen und Eggert (2010) berichtet über ein neues schulbasiertes Beobachtungssystem BASYS (Wettstein, 2008) und stellt Ergebnisse aus drei Videostudien vor. Beim BASYS können sechs oppositionell-aggressive Schülerverhaltensweisen in Abhängigkeit von Merkmalen des schulischen Kontextes erfasst werden. Es liegt eine Version für Lehrer (Sozialpädagogen) vor und eine Version für Fremdbeobachter. Des Weiteren wird der Zusammenhang zwischen Klassenmanagement und störendem Schülerverhalten beleuchtet und in einer dritten Studie über Ergebnisse eines pädagogisch-didaktischen Coachings berichtet, um störendes Verhalten von Schülern zu reduzieren. Kruse und Petermann (2010) berichten über die Entwicklung und Kennwerte eines neuen Fragebogens zur Erfassung reaktiver und proaktiver Aggression bei Schülern der fünften bis zur zehnten Klasse. Beelmann, Lösel und Stemmler (2010) diskutieren Ergebnisse aus der Erlangen-Nürnberger Entwicklungs- und Präventionsstudie. Es werden längsschnittliche Zusammenhänge zwischen der sozialen Informationsverarbeitung und physisch aggressivem Verhalten berichtet, in denen besonders das Ausmaß von Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsproblemen berücksichtigt wird. Sie leisten damit unter anderem einen wertvollen Beitrag dazu, Angebote für Kinder spezifischer auf ihren Bedarf abzustimmen. Petermann, Krummrich, Meier, Petermann und Nitkowski (2010 b) erläutern die Durchführung des „Trainings mit aggressiven Kindern“ im Kontext einer Förderschule. Durch die Weiterentwicklung des Trainings mit aggressiven Kindern kann Lehrkräften im sonderpädagogischen Bereich ein schulbasiertes Vorgehen zur Verfügung gestellt werden, wobei sich dieses Programm in den letzten Jahren in verschiedenen Settings bewährt hat (Petermann et al., 2008). Im Beitrag von Petermann, Koglin, Petermann und Hefter (2010 a) werden erste Ergebnisse zur Übertragung des „Trainings mit Jugendlichen“ (Petermann & Petermann, 2007) als universelle Prävention diskutiert. Die Autoren berichten über Prä-Posttest-Vergleiche in einer Interventions- und Kontrollgruppe; die Ergebnisse belegen die positiven Effekte des JobFit-Jugendtrainings in folgenden Bereichen: soziale Kompetenzen, emotionale und externalisierende Probleme sowie Hyperaktivität. Literatur Arseneault, L., Walsh, E., Trzesniewski, K., Newcombe, R., Caspi, A. & Moffitt, T. E. (2006). Bullying victimization uniquely contributes to adjustment problems in young children: A nationally representative cohort study. Pediatrics, 118, 130 - 138. Barker, E. D., Arseneault, L., Brendgen, M., Fontaine, N. & Maughan, B. (2008). Joint development of bullying and victimization in adolescence: Relations to delinquency and self-harm. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 47, 1030 - 1038. Barrish, H. H., Saunders, M. & Wolf, M. M. (1969). Good Behavior Game - Effects of individual contingencies for group consequences on disruptive behavior in a classroom. Journal of Applied Behavior Analysis, 2, 119 - 131. Beelmann, A., Lösel, F. & Stemmler, M. (2010). Zur Rolle der sozialen Informationsverarbeitung bei der Aggressionsentwicklung im Vorschulalter. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 57, 119 - 131. Bowes, L., Arseneault, L., Maughan, B., Taylor, A., Caspi, A. & Moffitt, T. E. (2009). School, neighborhood, and family factors are associated with children’s bullying involvement: A nationally representative longitudinal study. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 48, 545 - 553. Derzon, J. H., Sale, E., Springer, J. F. & Brounstein, P. (2005). Estimating intervention effectiveness: Synthetic projection of field evaluation results. The Journal of Primary Prevention, 26, 321 - 343. Durlak, J. A. & DuPre, E. P. (2008). Implementation matters: A review of research on the influence of implementation on program outcomes and the factors affec- 86 Franz Petermann, Ute Koglin ting implementation. American Journal of Community Psychology, 41, 327 - 350. Farrington, D. P., Ttofi, M. M. & Coid, J. W. (2009). Development of adolescence-limited, late-onset, and persistent offenders from age 8 to age 48. Aggressive Behavior, 35, 150 - 163. Gottfredson, G. D., Gottfredson, D. C., Payne, A. A. & Gottfredson, N. C. (2005). School climate predictors of school disorder: Results from a national study of delinquency prevention in schools. Journal of Research in Crime and Delinquency, 42, 412 - 444. Greenberg, M. T. (2004). Current and future challenges in school-based prevention: The researcher perspective. Prevention Science, 5, 5 - 13. Greenberg, M. T., Domitrovich, C. E., Graczyk, P. A. & Zins, J. E. (2005). The study of implementation in school-based preventive interventions: Theory, research and practice, Vol. 3. Rockville, MD: Center for Mental Health Services, Substance Abuse and Mental Health Services Administration. Jennings, P. A. & Greenberg, M. T. (2009). The prosocial classroom: Teacher social and emotional competence in relation to student and classroom outcomes. Review of Educational Research, 79, 491 - 525. Kallestad, J. H. & Olweus, D. (2003). Predicting teachers’ and schools’ implementation of the Olweus Bullying Prevention Program: A multilevel Study. Prevention and Treatment, 6. Kellam, S. G., Brown, C. H., Poduska, J. M., Ialongo, N. S., Wang, W., Toyinbo, P., Petras, H., Ford, C., Windham, A. & Wilcox, H. C. (2008). Effects of a universal classroom behavior management program in first and second grades on young adult behavioral, psychiatric, and social outcomes. Drug and Alcohol Dependence, 95, S5 - S28. Kellam, S. G., Ling, X. G., Merisca, R., Brown, C. H. & Ialongo, N. (1998). The effect of the level of aggression in the first grade classroom on the course and malleability of aggressive behavior into middle school. Development and Psychopathology, 10, 165 - 185. Koglin, U. & Petermann, F. (2006). Verhaltenstraining im Kindergarten. Göttingen: Hogrefe. Koglin, U. & Petermann, F. (2008). Gewalterfahrungen von Jugendlichen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 56, 133 - 140. Kruse, L. & Petermann, F. (2010). Erfassung reaktiver und proaktiver Aggression in der Schule: Pilotstudie zur Entwicklung und Validierung eines Fragebogens. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 57, 107 - 118. Little, S. G. & Akin-Little, K. A. (2003). Classroom management. In W. O’Donohue, J. Fisher & S. Hayes (Eds.), Cognitive behavior therapy: Applying empirically supported techniques in your practice (pp. 65 - 70). Hoboken: Wiley. Mihalic, S. F., Fagan, A. A. & Argamaso, S. (2008). Implementing the LifeSkills Training drug prevention program: factors related to implementation fidelity. Implementation Science, 3, Article 5. Murray, C. & Greenberg, M. T. (2000). Children’s relationship with teachers and bonds with school an investigation of patterns and correlates in middle childhood. Journal of School Psychology, 38, 423 - 445. Noeker, M. & Petermann, F. (2008). Resilienz: Funktionale Adaptation an wichtige Umgebungsbedingungen. Zeitschrift für Psychiatrie, Psychologie und Psychotherapie, 56, 255 - 263. Payne, A. A. (2009). Girls, boys, and schools: Gender differences in the relationships between school-related factors and student deviance. Criminolog y, 47, 1167 - 1200. Petermann, F. (2009). Aggression und Gewalt - Editorial zum Themenschwerpunkt. Psychologische Rundschau, 60, 135 - 136. Petermann, F. & Koglin, U. (2008). Frühe Kindheit. Kindheit und Entwicklung, 17, 137 - 142. Petermann, F., Koglin, U., Natzke, H. & Von Marées, N. (2007). Verhaltenstraining in der Grundschule. Göttingen: Hogrefe. Petermann, F. & Natzke, H. (2008). Preliminary results of a comprehensive approach to prevent antisocial behaviour in preschool and primary school. School Psychology International, 29, 606 - 626. Petermann, F., Natzke, H., Gerken, N. & Walter, H.-J. (2006). Verhaltenstraining für Schulanfänger (2. veränd. und erweit. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Petermann, F. & Petermann, U. (2007). Training mit Jugendlichen (8. vollständ. veränd. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Petermann, F., Petermann, U., Besier, T., Goldbeck, L., Büttner, P., Kraus-Leipoldt, C. & Nitkowski, D. (2008). Zur Effektivität des Trainings mit aggressiven Kindern in Psychiatrie und Jugendhilfe. Kindheit und Entwicklung, 17, 182 - 189. Petermann, U., Koglin, U., Petermann, F. & Hefter, P. (2010 a). Kompetenzaufbau durch das JobFit-Training für Schulklassen. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 57, 144 - 152. Petermann, U., Krummrich, M. Z., Meier, C., Petermann, F. & Nitkowski, D. (2010 b). Das Training mit aggressiven Kindern als präventives Programm im Schulkontext. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 57, 132 - 143. Petermann, U., Reinartz, M. & Petermann, F. (2002). IDL 0 - 2: Explorationsbogen zur Identifikation differentieller Lernwege in der Sozialentwicklung. Zeitschrift für Klinische Psychologie, Psychiatrie und Psychotherapie, 50, 427 - 457. Rücker, S., Petermann, U., Büttner, P. & Petermann, F. (2009). Zur Wirksamkeit ambulanter und teilstationärer Jugendhilfemaßnahmen. Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, 37, 551 - 558. Scheithauer, H., Mehren, F. & Petermann, F. (2003). Entwicklungsorientierte Prävention von aggressiv-dissozialem Verhalten und Substanzmissbrauch. Kindheit und Entwicklung, 12, 84 - 99. Schlack, R., Hölling, H. & Petermann, F. (2009) Psychosoziale Risiko- und Schutzfaktoren bei Kindern und Jugendlichen mit Gewalterfahrungen. Psychologische Rundschau, 60, 137 - 151. Thomas, D. E., Bierman, K. L. & Res, C. P. P. (2006). The impact of classroom aggression on the development of aggressive behavior problems in children. Development and Psychopathology, 18, 471 - 487. Tingstrom, D. H., Sterling-Turner, H. E. & Wilczynski, S. M. (2006). The good behavior game: 1969 - 2002. Behavior Modification, 30, 225 - 253. von Marees, N. & Petermann, F. (2009). Förderung sozialemotionaler Kompetenzen im Grundschulalter. Kindheit und Entwicklung, 18, 244 - 253. Webster-Stratton, C., Reid, J. & Hammond, M. (2001). Preventing conduct problems, promoting social competence: A parent and teacher training partnership in Editorial 87 Head Start. Journal of Child Clinical Psychology, 30, 283 - 302. Webster-Stratton, C., Reid, M. J. & Stoolmiller, M. (2008). Preventing conduct problems and improving school readiness: evaluation of the Incredible Years Teacher and Child Training Programs in high-risk schools. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 49, 471 - 488. Wettstein, A. (2008). Beobachtungssystem zur Analyse aggressiven Verhaltens in schulischen Settings (BASYS). Bern: Huber. Wettstein, A., Thommen, B. & Eggert, A. (2010). Die Bedeutung didaktischer Aspekte in der Aggressionsprävention - drei Videostudien. Psychologie in Erziehung und Unterricht, 57, 88 - 106. Wilson, S. J., Lipsey, M. W. & Derzon, J. H. (2003). The effects of school-based intervention programs on aggressive and disruptive behavior: A meta-analysis. Journal of Consulting and Clinical Psycholog y, 71, 136 - 149. Wilson, S. J. & Lipsey, M. W. (2007). School-based interventions for aggressive and disruptive behavior - Update of a meta-analysis. American Journal of Preventive Medicine, 33, S130 - S143. Zins, J. E., Weissberg, R. P., Wang, M. C. & Walberg, H. J. (2004). Building academic success on social and emotional learning: What does the research say? New York: Teachers College Press. Prof. Dr. Franz Petermann Dr. Ute Koglin Zentrum für Klinische Psychologie und Rehabilitation der Universität Bremen Grazer Straße 6 D-28359 Bremen E-Mail: fpeterm@uni-bremen.de ukoglin@uni-bremen.de