Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2010.art18d
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2010
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Fördern statt einmischen: Evaluation eines Kurzzeit-Elterntrainings zur Betreuung von Lesehausaufgaben
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2010
Caroline Villiger
Alois Niggli
Christian Wandeler
Die vorliegende Studie untersuchte Effekte eines Elterntrainings zur Leseförderung innerhalb des Projekts LiFuS (= Lesen in Familie und Schule). Auf der Grundlage einer Ko-operation zwischen Schule und Familie konzentrierte sich das Elterntraining auf zwei Bereiche des elterlichen Betreuungsverhaltens in der Hausaufgabensituation: (1) In Anlehnung an die Selbstbestimmungstheorie sollten generelle Verhaltensdispositionen wie Autonomieunterstützung gefördert, Einmischung und Kontrolle gehemmt werden; (2) ferner wurde beabsichtigt, konkrete, für die familiäre Förderung geeignete Lesestrategien zu implementieren. Die Prüfung des Modells mit einem Prä-Post-Kontrollgruppendesign erfolgte an einer Stichprobe von 230 Eltern von Viertklässlern aus 14 Schulklassen. Mehrebenenanalysen ergaben, dass Eltern, die das Training besucht hatten, neun Monate später signifikant weniger Einmischung und Kontrolle äußerten als Eltern der Vergleichsgruppe. Schließlich nahmen die Kinder der Treatmentgruppe die emotionale Unterstützung ihrer Eltern deutlich positiver wahr als die Kinder der Kontrollgruppe. Die Befunde machen insgesamt deutlich, dass sich Eltern in die Kooperation mit der Schule einbinden lassen und dass die Konzentration auf domänenspezifische Betreuungspraktiken eine erfolgversprechende Strategie sein könnte.
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Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2010, 57, 257 - 272 DOI 10.2378/ peu2010.art18d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel n Praxis psychologischer Beratung und Intervention Fördern statt einmischen: Evaluation eines Kurzzeit- Elterntrainings zur Betreuung von Lesehausaufgaben Caroline Villiger 1 , Alois Niggli 1 , Christian Wandeler 1, 2 1 Pädagogische Hochschule Freiburg 2 Universität Freiburg Support Instead of Interference: Evaluation of a Short-Time Parental Homework Training for Assisting with Reading Summary: This study examined the effect of a parental training on reading promotion within the LiFuS Project (LiFuS = Reading in Family and School). The training focused on two domains of parental homework assistance: (1) In line with the self-determination theory, an increase of the support of the child’s autonomy and a decrease of controlling behavior and interference were intended; (2) appropriate reading strategies for the use within family were implemented. The efficacy of the intervention was tested with 230 parents of 4th graders from 14 different classes with a pretestposttest control group design. Multilevel analyses showed that the parents of the training group reported, after 9 months, statistically significant less control and interference than the control group. Furthermore, parents of the treatment group were perceived as more emotionally supportive by their children than the parents of the control group. Findings highlight that the cooperation between parents and school can be successful and that domain specific assistance practices could be a promising strategy. Keywords: Family, parental training, reading promotion, homework Zusammenfassung: Die vorliegende Studie untersuchte Effekte eines Elterntrainings zur Leseförderung innerhalb des Projekts LiFuS (= Lesen in Familie und Schule). Auf der Grundlage einer Kooperation zwischen Schule und Familie konzentrierte sich das Elterntraining auf zwei Bereiche des elterlichen Betreuungsverhaltens in der Hausaufgabensituation: (1) In Anlehnung an die Selbstbestimmungstheorie sollten generelle Verhaltensdispositionen wie Autonomieunterstützung gefördert, Einmischung und Kontrolle gehemmt werden; (2) ferner wurde beabsichtigt, konkrete, für die familiäre Förderung geeignete Lesestrategien zu implementieren. Die Prüfung des Modells mit einem Prä-Post-Kontrollgruppendesign erfolgte an einer Stichprobe von 230 Eltern von Viertklässlern aus 14 Schulklassen. Mehrebenenanalysen ergaben, dass Eltern, die das Training besucht hatten, neun Monate später signifikant weniger Einmischung und Kontrolle äußerten als Eltern der Vergleichsgruppe. Schließlich nahmen die Kinder der Treatmentgruppe die emotionale Unterstützung ihrer Eltern deutlich positiver wahr als die Kinder der Kontrollgruppe. Die Befunde machen insgesamt deutlich, dass sich Eltern in die Kooperation mit der Schule einbinden lassen und dass die Konzentration auf domänenspezifische Betreuungspraktiken eine erfolgversprechende Strategie sein könnte. Schlüsselbegriffe: Familie, Elterntraining, Leseförderung, Hausaufgaben Autorenhinweis: Die vorliegende Studie wurde mit Mitteln des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (Projekt Nr. 13DPD3-114174) unterstützt. 258 Caroline Villiger et al. Schule kann nicht alles leisten. Ihre Erfolge entstehen aus dem Zusammenspiel des schulischen Angebotes und außerschulischer Stützsysteme (Fend, 1998; Helmke, 2003). Vor allem im Bereich der Leseförderung ist der Gedanke, mit der Familie zu kooperieren, naheliegend, ist sie doch nicht nur die erste, sondern auch die wirksamste Instanz innerhalb des Lesesozialisationsprozesses (Hurrelmann, 2004 a). Auf den ersten Blick stellen sich dabei drei Herausforderungen: Die erste betrifft den Einfluss distaler Sozialisationsfaktoren (Baumert & Schümer, 2001; Hurrelmann, Hammer & Niess, 1993). Weil es sich dabei um stabile, durch die sozioökonomischen Bedingungen und den Bildungshintergrund der Eltern bedingte Effekte handelt, die oft in latenter Weise wirken (Hurrelmann, 2004 a), besteht die Gefahr, dass der Einbezug der Familie für schulische Bildungsanliegen bereits vorhandene soziale Disparitäten verstärken könnte. Dieser Effekt könnte zudem an Leistungserwartungen der Eltern gekoppelt sein, die als wichtige Determinante des Instruktionsverhaltens neben den genannten distalen Statusmerkmalen der Familie ebenfalls eine bedeutsame Rolle spielen können (Helmke, 2003; Wild, 2004). Die zweite Herausforderung ergibt sich aus Befunden der Hausaufgabenforschung, in denen die Rolle der Eltern mehrheitlich als ambivalent dargestellt wird (Cooper, Robinson & Patall, 2006; Wild, 2004). Eine dritte Herausforderung ist die domänenspezifische Gestaltung elterlicher Hilfe. Sie fordert Klärung zur Frage, welche konkreten Fördermaßnahmen im familiären Kontext für das Lesen überhaupt praktikabel sind (McElvany, 2008; Rodriguez-Brown, 2004). In diesem Beitrag wird ein Elterntraining zur Leseförderung beschrieben, bei dessen Konzeptualisierung wir versucht haben, den genannten Herausforderungen gerecht zu werden. Ergebnisse zur Wirksamkeit des Trainings hinsichtlich der erreichten Veränderung elterlichen Betreuungsverhaltens bei Hausaufgaben sowie der kindperzipierten emotionalen Unterstützung der Eltern werden berichtet. Elterntrainings als Ausgangslage schulischer Beteiligung Im angloamerikanischen Sprachraum findet seit einiger Zeit eine intensive Diskussion über mögliche Kooperationsformen zwischen Schule und Familie statt (Grolnick, Benjet, Kurowski & Apostoleris, 1997). Unterschieden werden dabei einerseits Beteiligungen am Schulleben wie Besuche von Eltern- und Informationsabenden, Kontakte mit Lehrpersonen, Hilfe bei Schulaktivitäten und andererseits die Förderung des Lernens zu Hause (Epstein, 1995). Diese Entwicklung ist in den deutschsprachigen Ländern erst ansatzweise zu beobachten (Minsel, 2007; Neuenschwander et al., 2005). Vor allem für die Förderung häuslichen Lernens gibt es bisher nur wenige Versuche, den elterlichen Einfluss durch geeignete Trainingsangebote zu unterstützen (z. B. Bruder, Perels & Schmitz, 2004; Wild, Rammert & Siegmund, 2006). Vergleichsstudien zur Wirksamkeit von Elterntrainings vermitteln zudem ein eher widersprüchliches Bild (Lösel, Schmucker, Planksteiner & Weiss, 2006; Mattingly et al., 2002). Dies mag auch damit zusammenhängen, dass eine Instruktionsfunktion in erster Linie der Schule zukommt, während die Familie eher eine Unterstützungsfunktion in Form eines emotionalen Supports wahrnehmen sollte (Minsel, 2007; Wild & Remy, 2002). Dabei scheint einiges dafür zu sprechen, dass Strategien, die sich auf Verhaltensänderungen innerhalb eines Mikrobereichs konzentrieren, erfolgversprechender sein könnten als jene, die in erster Linie die Beeinflussung genereller Verhaltensdispositionen oder pädagogischer Überzeugungen beabsichtigen (Wild, 2001; Fuss, 2006). Elterntrainings, die sich auf spezifisch lernbezogenes Betreuungsverhalten konzentrieren, könnten möglicherweise auch der oben erwähnten Sorge, dass eine familiäre Leseförderung soziale Disparitäten akzentuiere, entgegenwirken. Anlass zu dieser Vermutung geben die Befunde zum Berliner Eltern-Kind-Leseprogramm (McElvany & Artelt, 2007). Kinder aus Familien mit weniger vorteilhaften Ausgangsbedingungen hatten in dieser Studie ge- Elterntraining zur Leseförderung 259 nauso viel oder sogar mehr profitiert als Kinder aus einem sozial besser gestellten Milieu. Im Widerspruch zu diesen Erkenntnissen werden Elterntrainings, die sich präventiv auf allgemeine Verhaltensdispositionen konzentrieren, nach wie vor häufiger durchgeführt als Trainings, die elterliche Unterstützung in begrenzten Leistungskontexten zu fördern beabsichtigen (als Beispiel: Bruder et al., 2004). Globale Formen elterlicher Hausaufgabenunterstützung Hausaufgaben stellen grundsätzlich einen verhaltensnahen Mikrobereich der Überlappung zwischen Schule und Elternhaus dar, der einen realistischen Einbezug der Eltern für Maßnahmen zur Leistungsförderung gestattet (Epstein, 2001). Aufgrund der bestehenden Forschungslage ist es jedoch umstritten, ob diese Hilfe nutzbringend ist oder nicht (Cooper et al., 2006; Pomerantz, Ng & Wang, 2006). Merkmalsmuster elterlicher Hausaufgabenbetreuung, die als lernförderlich bzw. lernbeeinträchtigend bewertet werden können, wurden in jüngeren Arbeiten häufig in Anlehnung an die Selbstbestimmungstheorie (Deci & Ryan, 2002 Wild & Gerber, 2007) analysiert. Im Kern geht es dabei darum, inwieweit eine Tätigkeit mit den drei grundlegenden psychologischen Bedürfnissen (basic human needs) nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit im Einklang steht. Diese Voraussetzungen begünstigen beispielsweise die Entwicklung von Lernmotivation, Leistungsverhalten und Wohlbefinden (Wild & Hofer, 2000; Wigfield et al., 2006). Das elterliche Betreuungsverhalten bei den Hausaufgaben kann infolgedessen ebenfalls in Anlehnung an die genannten Grundbedürfnisse konzipiert werden. Exeler und Wild (2003) sowie Wild (2004) klassifizieren motivationsförderndes Elternverhalten entlang der vier Dimensionen Autonomie unterstützende Hilfe, Strukturierung, leistungsorientierter Druck und emotionale Unterstützung. Auf diesen Arbeiten fußt auch die Konzeption von Niggli et al. (2007), die eine Differenzierung zwischen wahrgenommener Unterstützung, Einmischung und direktiver Kontrolle vorgenommen haben. Ng, Kenney-Benson und Pomerantz (2004) unterschieden zwischen autonomy support, control, negative und positive affect. Relativ durchgängig zeigte sich bei diesen und ähnlichen Arbeiten, dass sich elterliche Hilfe, die auf kontrollierende Formen beschränkt ist, klar negativ auf die Kompetenzentwicklung von Schülerinnen und Schülern auswirkt. Positive Effekte sind dagegen aufgrund von Autonomie unterstützenden Strategien zu erwarten. Die vorherrschende Praxis scheint in den meisten Familien ein Nebeneinander von lernförderlichen und lernbeeinträchtigenden Strategien zu sein (vgl. dazu Wild & Gerber, 2007). Auf dieser Grundlage konzeptualisieren wir für globales Elternverhalten, dass sich eine kontrollierende und einmischende Elternpartizipation durchwegs negativ auf die erwünschten Kindmerkmale auswirkt, während positive Effekte aufgrund von Autonomie unterstützenden Strategien wahrscheinlicher werden. Domänenspezifische Elternbetreuung bei Lesehausaufgaben Die Unterstützung beim Lesen verlangt nach elterlichen Maßnahmen, die diese Kompetenz gezielt und verhaltensnah fördern können. Bisherige Interventionen im Bereich familiärer Leseförderung konzentrierten sich vorwiegend auf das Vorschul- und frühe Grundschulalter (z. B. Morrow & Young, 1997). Metaanalysen zur Wirksamkeit familiärer Förderprogramme ergeben ein uneinheitliches Bild (Sénéchal, 2006; Mattingly, Prislin, McKenzie, Rodriguez & Kazyar, 2002; White, Taylor & Moss, 1992). Die Gegenüberstellung von Home-based und Center-based-Ansätzen fiel eher zu Ungunsten des Elternhauses aus (White et al., 1992), was den Einbezug der Familie in die Leseförderung ernsthaft infrage stellt. Als Gründe für die geringe Effektivität familiärer Förderprogramme können womöglich die sehr unterschiedlichen pädagogischen, didaktischen und fachlichen Vorkenntnisse herangezogen werden, die Eltern 260 Caroline Villiger et al. in die Fördersituation mitbringen (McElvany, 2008). Auch ist zu bemängeln, dass in früheren Interventionsstudien einschlägige Befunde aus der Hausaufgabenforschung hinsichtlich lernförderlichen bzw. lernbeeinträchtigenden Elternverhaltens zu wenig berücksichtigt wurden. Denkbar ist, dass deshalb auch Instruktionsstrategien favorisiert worden sein könnten, die der obengenannten emotionalen familiären Supportfunktion weniger entsprechen. Bei der Konzeption von Elterntrainings sollte diesen Aspekten künftig mehr Rechnung getragen werden. Im Vergleich zu den bisher genannten Studien zur familiären Leseförderung, die sich insbesondere auf den Vorschulbereich konzentrieren, gibt es nur wenige, die sich mit der höheren Grundschulstufe befasst haben (McElvany, 2008; Rodriguez-Brown, 2004). Für die entsprechende Stufe bietet sich unseres Erachtens der Einsatz von Lesestrategien in besonderer Weise an, da grundlegende Basisfertigkeiten als automatisiert vorausgesetzt werden können und das Textverständnis als solches im Zentrum des Leseunterrichts steht. Der Einsatz von Strategien zur Leseförderung im Elternhaus ist allerdings einzig im Berliner Eltern-Kind-Leseprogramm (McElvany & Artelt, 2007) konsequent umgesetzt und evaluiert worden. Die Autorinnen weisen auf eine gute Implementierbarkeit hin, wenn auch Effekte nur auf den Wortschatz und die textbezogene Metakognition, nicht aber auf das Textverständnis nachweisbar waren. Anknüpfend an die Befunde der Hausaufgabenforschung und dabei insbesondere an die emotionale Supportfunktion, die der Familie zukommt, kann man davon ausgehen, dass sich gewisse Lesestrategien für den familiären Kontext eher eignen als andere. Ihr Einsatz im familiären Umfeld scheint vor allem dann sinnvoll, wenn sie die Autonomie des Kindes beim Lesen fördern und wenig Raum lassen für instruktivkontrollierendes Elternverhalten (Grolnick, 2003; Niggli et al., 2007). Das autonome Lesen der Texte ist im Hinblick auf die Lesemotivation generell von großer Bedeutung (Deci & Ryan, 1993). Strategien, die die Autonomie des Kindes respektieren, geben ihm die Möglichkeit, sich selbstständig mit Texten auseinanderzusetzen und die Eltern ausschließlich vor bzw. nach der Lektüre in ein Gespräch über den Inhalt einzuschließen. Auf diese Weise kann instruktionales Verhalten größtenteils vermieden werden. Als geeignete Strategien kommen unter anderem Elaborationsstrategien (Baumert & Köller, 1996) wie Vorwissen aktivieren, Vorhersagen und Zusammenfassen in Frage (Palincsar & Brown, 1984; Guthrie, Wigfield & Perencevich, 2004). Diese Strategien haben sich in vergleichbaren (schulischen) Lesetrainings zur Verbesserung des Leseverständnisses als effektiv erwiesen (Spörer, Brunstein & Arbeiter, 2007). Vorwissen aktivieren und Vorhersagen sind prozessvorbereitende Strategien, die die Vorstellungskraft über Textinhalte und -verläufe stärken und die dazu verhelfen, neue Inhalte in bestehende Wissensstrukturen einzufügen. Die Autonomieunterstützung ist bei diesen Lesestrategien gegeben, weil Eltern das Bedürfnis des Kindes nach Selbstbestimmung respektieren, indem sie es dazu ermutigen können, seine Gedanken im Rahmen eines spontanen Gesprächs frei zu äußern (Wild, 2004). Zusammenfassen als Prozess abschließende Strategie ermöglicht das Überprüfen des Textverstehens und dient dazu, zentrale Aussagen des Textes herauszukristallisieren. Autonomieunterstützung bedeutet hier in erster Linie ein aktives und interessiertes Zuhören der Eltern sowie der Verzicht auf kleinschrittige Anweisungen (Wild, 2004). Die Schaffung eines derartigen unterstützenden Umfelds, das auf sozialem Austausch über Leseinhalte und elterlichem Interesse basiert, kann zu einer positiven familiären Lesekultur beitragen, welche ein wichtiges Ziel familiärer Leseförderung darstellt (Hurrelmann et al., 1993). Die Implementierung konkreter, domänenspezifischer Förderpraktiken kann diese Tendenzen dank klarer Verhaltensvorgaben möglicherweise auch bei bildungsfernen Familien unterstützen. Gelänge dies, könnte man den durch soziale Disparitäten bedingten Unterschieden beim Autonomieerleben der Kinder entgegenwirken. Groeben und Schroeder Elterntraining zur Leseförderung 261 (2004) gehen davon aus, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien weniger Raum erhielten um selbst Bedeutung zu konstruieren, und generell weniger Begleit- und Anschlusskommunikation erleben würden, was zu einem Verlust an Attraktivität der Lesesituation führe. Bei der gezielten Betreuung von Lesehausaufgaben werden den Eltern somit Förderpraktiken vorgeschlagen, die den Lernprozess stimulierend einleiten oder unmittelbar an ihn anschließen. Dieses Vorgehen kann dazu beitragen, instruktionales Elternverhalten zu minimieren. Konzeption des Elterntrainings In konzeptioneller Hinsicht wurden Trainings zur familiären Lernunterstützung in der Regel workshopartig durchgeführt und orientierten sich primär an klar strukturierten inhaltlichen Programmvorgaben (Bruder et al., 2004; Collins & Matthey, 2001; Lund, Rheinberg & Gladasch, 2001; McElvany, 2008; Rodriguez- Brown, 2009). Das von uns konzipierte, kurzzeitige Vorgehen stützt sich zusätzlich auf zwei lerntheoretisch unterschiedlich fundierte Positionen. (1) Problemorientiertes Verstehen: Der Unterschied zwischen lernförderndem und lernbeeinträchtigendem Elternverhalten wurde anhand kontrastierender prototypischer Videobeispiele mittels fallbasierten Lernens angegangen (Bransford, Brown & Cocking; 2000; Shulman, 1992). Die beiden Fälle wurden zusätzlich mit situationsrelevanten Informationen verknüpft. Das Vorgehen stützte sich im Wesentlichen auf Annahmen zur Theorie des „negativen Wissens“ von Oser und Spychiger (2005), die Kontraste als „exzellente Hilfen für erkenntnisstärkende Ordnungsprozesse“ (S. 32) ansehen. (2) Training: Damit die Anwendung der kommunikativen Lesestrategien gewährleistet werden konnte, waren sie vorerst in verhaltensnahe, standardisierte kooperative Skripts (O’Donnel & Dansereau, 1992) umformuliert worden. Das methodische Vorgehen beim Training orientierte sich dann an Prinzipien des Modelllernens (Bandura, 1979). Konsequenterweise nahmen am entsprechenden Kursabend sowohl die Eltern als auch ihre Kinder teil. Wegleitend war generell ein wertschätzender und respektvoller Diskurs. Fragestellung Diese Studie untersucht die Gesamtwirkung eines Elterntrainings als Teilevaluation eines umfassenderen Programms zur Leseförderung zwischen Schule und Familie. Dem Training liegt die Auffassung zugrunde, dass der Schule vor allen Dingen eine Instruktionsfunktion zukommt, während die Familie eher eine Unterstützungsfunktion in Form eines emotionalen Supports wahrnimmt (Minsel, 2007; Wild & Remy, 2002). In einem ersten Schritt wurde überprüft, ob Eltern, die am Training teilgenommen hatten, ein positiveres prozessbegleitendes Betreuungsverhalten zeigten. Wir vermuteten, dass sie einerseits über weniger kontrollierendes und einmischendes Verhalten, andererseits über mehr Autonomieunterstützung bei den Hausaufgaben berichten als die Eltern der Kontrollgruppe (vgl. Wild, 2004; Niggli et al., 2007). Zweitens erwarteten wir, dass sich die durch das Training insgesamt hervorgerufenen Verhaltensänderungen positiv auf die kindliche Wahrnehmung der emotionalen Beziehung zu ihren Eltern in der Hausaufgabensituation im Fach Deutsch niederschlagen. Dies sollte sich bei der kindperzipierten Variable emotionale Unterstützung in Leistungssituationen zeigen. Methode Elterntraining LiFuS Für die Vorbereitung und Durchführung des LiFuS Elterntrainings (= Lesen in Familie und Schule) stand den fünf Trainern ein Kursmanual zur Verfügung. Tabelle 1 bezieht sich auf grundlegende Elemente der Trainingskonzeption und gibt die wichtigsten Kursinhalte wieder. Der zeitliche Aufwand für die zwei Trainingsabende, die im September 2006 im Abstand von zwei Wochen durchgeführt wurden, betrug insgesamt sechs Stunden. 262 Caroline Villiger et al. Begleitmaßnahmen während des Jahres Während 28 Wochen erhielten die Kinder der Interventionsklassen von den im Rahmen des Projekts kooperierenden Klassenlehrpersonen an jeweils drei Tagen vorbereitende Lesehausaufgaben (ca. 20 Minuten; Lesemenge pro Schüler variabel). Abwechslungsweise konnten die Kinder entweder Bücher aus zur Verfügung gestellten Bücherkisten autonom auswählen und lesen, oder sie lasen vorgegebene Sach- oder fiktionale Texte. Als Erinnerungsstütze stand den Eltern eine Broschüre zur Verfügung, die die wesentlichen Inhalte des gesamten Trainings sowie eine detaillierte Beschreibung der Lesestrategien beinhaltete. Diese Broschüre war ausschließlich auf den familiären Interventionsteil fokussiert und hatte keinen Bezug zur methodischen Weiterbehandlung der Texte in der Schule. Die Kontrollklassen erhielten Lesehausaufgaben im Rahmen der üblichen Praxis im Fach Deutsch. In einer im Anschluss an das Programm durchgeführten Umfrage gaben die betreffenden Lehrpersonen an, pro Woche ca. zwei bis drei Mal Lesehausaufgaben gegeben zu haben. Der zeitliche Umfang wurde für jede Klasse eingeschätzt und betrug im Durchschnitt ca. 50 Minuten pro Klasse (Interventionsgruppe: 3 x 20 Min. = 60 Min.). Stichprobe Rekrutierung. Die Daten entstammen einer Studie zur Leseförderung in Familie und Schule, die im Schuljahr 2006/ 2007 im deutschsprachigen Teil des Kantons Freiburg (Schweiz) durchgeführt worden ist. Die Interventionsklassen wurden wie folgt rekrutiert: Alle Schulleitungen informierten die Lehrpersonen über das Programm. Den Lehrpersonen konnte eine Informationsbroschüre abgegeben werden. Diejenigen, die ihre Klassen zur Verfügung stellen wollten, konnten sich bei der Projektleitung melden. Die Lehrpersonen wurden für ihre Mitarbeit im Umfang von einer Lektion entlastet. Um eine ausgeglichene Verteilung zwischen ländlichen Regionen und Erster Trainingsabend Zweiter Trainingsabend Zielsetzung/ Inhalte Erkennen: Unterstützung zur Autonomie ist lernfördernd; Einmischung und Kontrolle beeinträchtigen das Lernen Strategien anwenden können: Vorwissen aktivieren, Voraussagen, Zusammenfassen Konzept Problemorientiertes Verstehen Teilnahme: Eltern allein Modelllernen/ Training Teilnahme: Eltern und Kinder Verlauf • Kontaktnahme/ Vorstellen Programm • Videoszene zum einmischenden und kontrollierenden Verhalten, anschließend Austausch • Transparentmachen eigener Überzeugungen mittels Fragebogenübung • Kontrastierende Information zur Leseentwicklung, Leseförderung und Wirkung von Hausaufgaben • Fallkontrast: Video zur Autonomieunterstützung • Gemeinsames Herausarbeiten der Kontraste • Umsetzungsübungen • Tipps zur allgemeinen familiären Leseförderung für die Autonomieunterstützung • Abschluss mit Kindaussagen • Kontaktnahme/ Vorstellen Programm • Einübung der Strategien in jeweils vier Schritten (1) Hinführung (advanced organizer): Erläuterung Skript; (2) Modellfall (Video): Beobachtung des Vorgehens, anschließend Eindrücke zur Vorgehensweise austauschen; (3) Anwenden: Vorgehen gem. Skript und mit geeignetem Text durchspielen; (4) Reflexion: Erfahrungen hinsichtlich der Praxistauglichkeit der Strategien austauschen. • Abschlussspiel für Kinder: Text rückwärts lesen • Schriftliche Kursevaluation (Eltern- Fragebogen) Bei den einzelnen Kurselementen wurde immer die Verbindung zu einer Begleitbroschüre hergestellt. Den Kindern wurden zudem Anleitungen für die Anwendung der drei Lesestrategien ausgehändigt (siehe Beispiel der Kindversion und Ausschnitt aus Elternbroschüre im Anhang). Tabelle 1: Beschreibung der beiden Trainingseinheiten Elterntraining zur Leseförderung 263 der urbanen Agglomeration zu gewährleisten, wurde von den Projektverantwortlichen mit vier Schulen direkt Kontakt aufgenommen. Diese beiden Maßnahmen und auch die Einbindung der Schulleitungen in den Rekrutierungsprozess sollten dazu beitragen, dass sich nicht nur besonders engagierte Lehrpersonen für das Projekt interessierten. Die Eltern der 14 gemeldeten Klassen wurden in einem Elternbrief über das Vorhaben informiert und von den Projektverantwortlichen im Mai 2006 zu einem Informationsabend eingeladen. Diese Veranstaltung sollte sie motivieren, sich an den geplanten Elterntrainings zu beteiligen. Das Vorgehen konnte sich auf eine bestehende elaborierte Zusammenarbeitskultur zwischen Schule und Eltern im betreffenden Distrikt stützen und respektierte die üblichen Kontaktwege. Im Vorfeld wurden mit den Lehrpersonen Maßnahmen besprochen, die darauf abzielten, eine möglichst hohe Teilnahme der Eltern zu erreichen (Informationsschritte, Formen der Einladungen, Einholen von nicht beantworteten Fragebogen). Eine vollständige Randomisierung der Klassen auf die zwei Bedingungen (Interventions- und Kontrollklassen) war aus forschungspraktischen Gründen nicht möglich. Um den Nachteilen zu begegnen, die mit quasi-experimentellen Designs einhergehen, wurden drei Maßnahmen ergriffen. Erstens fand hinsichtlich der Gruppenzugehörigkeit auf Klassenebene ein intensiver Matching-Prozess statt, um etwaige Unterschiede nach Möglichkeit gering zu halten. In Kooperation mit den zuständigen Kreisinspektoren wurde jeder Interventionsklasse eine Kontrollklasse zugewiesen. Berücksichtigt wurden die Klassenstruktur (Klassengröße, Ein- oder Zweijahrgangsklassen, Anteil von Migrantenkindern, Anzahl Repetenten), die geografische Lage der Schule und die damit zusammenhängende sozio-ökonomische Verteilung der angesprochenen Familien. Aufseiten der Lehrpersonen wurden das Alter und die Berufserfahrung berücksichtigt. Die Inspektoren beurteilten ferner auch die didaktische Kompetenz und den Unterrichtserfolg der parallelisierten Lehrpersonen. Zweitens wurden eine Reihe von Kernvariablen wie Schülerleistung und familiärer Hintergrund erhoben, um eine statistische Kontrolle für Unterschiede vornehmen zu können, die ggf. trotz des Matchings noch bestehen könnten. Auf Schülerebene wurden folgende Variablen statistisch verglichen: Geschlecht, Lesenote, Erstsprache, Bildungsabschluss der Eltern, Anzahl Bücher im Haushalt und Elternverhalten zu T1. Die Unterschiede der beiden Gruppen hinsichtlich der überprüften Variablen waren mit Ausnahme der Erstsprache Deutsch (Interventionsgruppe 87.2%, Kontrollgruppe 79.8%) statistisch nicht signifikant. Drittens wurde ein längsschnittliches Design gewählt, bei dem die Effekte des Trainings auf die Outcomevariablen jeweils unter Kontrolle des Ausgangswerts der betreffenden Variablen untersucht wurden. Es wurde darauf geachtet, dass nur Schülerinnen und Schüler der Interventionsgruppe mit dem Programm konfrontiert worden sind. Interventions- und Kontrollklassen wurden konsequent aus Schulen verschiedener Ortschaften rekrutiert. Die erste Befragung fand im August 2006 (T1), die zweite im Juni 2007 (T2) statt. Zusammensetzung. Insgesamt wurden die Daten von 502 Viertklässlern (51.2 % weiblich) aus 28 Schulklassen (20 Schulen) erhoben. Die Kinder stammten aus je 14 Interventions- (N = 238) und Kontrollklassen (N = 264). Im Durchschnitt waren die Schülerinnen und Schüler bei der ersten Erhebung 9.68 Jahre alt. Als Erstsprache hatten 83.2 % Deutsch angegeben. 442 Eltern dieser Kinder hatten den Fragebogen zu beiden Messzeitpunkten ausgefüllt, was einer Quote von 88.1 % entspricht. Das Durchschnittsalter betrug bei den Eltern 40.25 Jahre. 83.4 % der Antworten stammten von Müttern. Das Elterntraining (zwei Kursabende pro Klasse) wurde von 96.6 % der Eltern der Interventionsgruppe an mindestens einem Abend besucht (N = 230) 1 . 88.2 % (210) waren an beiden Abenden anwesend. Die Mehrheit der Kursteilnehmenden war weiblich (82.3 %). Eine Interventionsklasse mit 12 Kindern musste aus den Berechnungen ausgeschlossen werden. Ein terminliches Missverständnis des zuständigen Klassenlehrers hatte dazu geführt, dass das Elterntraining nicht vollständig durchgeführt werden konnte. Instrumente Elternperzipiertes Unterstützungsverhalten bei Hausaufgaben. Die Items stammen aus bestehenden Instrumenten (Wild & Remy, 2001; Niggli et al., 2007). Eine explorative Faktorenanalyse bestätigte die postulierte Struktur. Bei allen Skalen war eine fünfstufige Antwortskala verwendet worden, die von „stimmt nicht“ bis „stimmt genau“ reichte. Die Skala Autono- 1 Von den 10 Familien, die an keinem der beiden Abende teilgenommen hatten, gehörten 7 der untersten Bildungskategorie an. 264 Caroline Villiger et al. mieunterstützung, bestehend aus 4 Items, thematisiert die Bereitschaft der Eltern zur Förderung der kindlichen Selbstständigkeit bei den Deutsch-Hausaufgaben („Ich helfe meinem Kind in Deutsch, wenn es mich darum bittet.“). Cronbachs Alpha betrug zu T1 .66 und zu T2 .69. Die Skala Kontrolle umfasst ebenfalls 4 Items und misst die elterliche Kontrolle während und nach der Hausaufgabenerledigung („Ich frage oft nach, ob mein Kind seine Deutsch-Hausaufgaben ordentlich erledigt hat.“). Cronbachs Alpha zu T1 betrug .53, zu T2 .56. Die Skala Einmischung bezieht sich auf die unaufgeforderte Unterstützung der Eltern und besteht aus 5 Items („Ich helfe meinem Kind manchmal auch dann in Deutsch, wenn es mich nicht ausdrücklich um Hilfe bittet.“); T1: Alpha = .78; T2: Alpha = .77. Kindperzipiertes Elternverhalten. Die Skala emotionale Unterstützung in schulischen Leistungssituationen besteht aus sechs Items und soll die positive Eltern- Kind-Beziehung bei Schwierigkeiten in der Schule erfassen. Die Skala ist teilweise auf die Erfahrungen im Fach Deutsch fokussiert. Geeignete Items wurden Messinstrumenten von Wild und Remy (2001) und von Helmke, Schrader und Hosenfeld (2004) entnommen („Meine Eltern trösten mich und helfen mir, wenn ich in der Schule mal nicht draus komme.“; „Wenn ich Schwierigkeiten mit den Deutschhausaufgaben habe, dann versuchen meine Eltern herauszufinden, was ich nicht verstanden habe“.). Cronbachs Alpha betrug zu T1 .75, zu T2 .79. Familiärer Hintergrund. Der elterliche Bildungsabschluss wurde getrennt für Mutter und Vater erhoben; in die Analysen ging der jeweils höhere Abschluss ein. Die sieben Antwortmöglichkeiten zum Bildungsstand wurden in drei vergleichbar große Kategorien aufgeteilt: 1) niedriger Bildungsabschluss: 44.0 % der Eltern hatten eine obligatorische Schulbildung, entweder keine oder eine Berufslehre oder eine Berufsschule absolviert; 2) mittlerer Bildungsabschluss: 31.5 % der Eltern hatten eine Berufsmatura, eine Gymnasiale Matura oder eine Höhere Fach-/ Berufsausbildung, und 3) hoher Bildungsabschluss: 24.5 % hatten eine Fachhochschule oder Universität besucht. Für die späteren Analysen wurden zwei Dummy-Variablen gebildet (niedriger Bildungsabschluss und hoher Bildungsabschluss; Referenzgruppe: Eltern mit einem mittleren Bildungsabschluss). Ferner wurde die Anzahl der im Haushalt vorhandenen Bücher wie bei Moser und Tresch (2003) über eine vierstufige Skala erfasst: 1 = 0 - 10 Bücher, 2 = 11 - 50 Bücher, 3 = 51 - 100 Bücher, 4 = mehr als 100 Bücher. Zur Erfassung der Erstsprache wurde eine Dummy-Variable gebildet (Schweizerdeutsch/ Hochdeutsch vs. andere). Des Weiteren wurde das Leseinteresse der Eltern erhoben. Allerdings wurde diese Variable aufgrund fehlender statistischer Bedeutung in den Mehrebenenanalysen nicht beibehalten. Lesenote. Bei der Lesenote handelt es sich um die Zeugnisnote am Ende des ersten Semesters der vierten Klasse (Februar 2007). Die 1 entspricht der tiefsten, die 6 der höchsten Note. Elterliche Erwartungen an die Leseleistung. Ein Item zur allgemeinen Erwartung an die Schulleistung (Helmke et al., 2004) wurde für die Leseleistung adaptiert. Die Antwortskala ist 5-stufig (1 = „Es reicht mir, wenn es im Lesen irgendwie durchkommt“, 2 = „Hauptsache es liest nicht schlechter als der Durchschnitt“, 3 = „Etwas besser als der Durchschnitt sollte es schon lesen können“, 4 = „Ich wäre erst zufrieden, wenn es zu den wirklich guten Lesern gehört“, 5 = „Es sollte möglichst ein Spitzenleser sein“). Häufigkeit der Anwendung von Lesestrategien. Im Laufe des Schuljahres wurden die Eltern der Interventionsgruppe zweimal während je einer Woche (je drei Wochentage) mittels Fragebogen zur Hausaufgabenbetreuung befragt (erste Befragung: Dezember 2006, zweite Befragung: Februar 2007). Die Eltern der Kontrollgruppe mussten von dieser Befragung ausgeschlossen werden, da sie mit der im Fragebogen verwendeten Terminologie bezüglich der Lesestrategien nicht vertraut waren. Bei der ersten Befragung gaben je nach Wochentag zwischen 49.6 % und 39.3 % der Eltern an, mindestens eine Lesestrategie angewendet zu haben. Beim zweiten Befragungszeitpunkt lag die Häufigkeit der Eltern mit Strategieanwendung zwischen 33.7 % und 27.4 %. Diese Angaben lassen, trotz der Abnahme der Strategieanwendung vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt, auf eine Kontinuität des Treatments im Verlaufe des Schuljahres schließen. Statistisches Vorgehen Zur Vorhersage des Elternverhaltens am Ende der vierten Klasse durch Variablen auf der Individualebene (z. B. Elternverhalten zum ersten Messzeitpunkt, Bildungsabschluss, Schulnoten des Kindes) und der Treatmentvariable auf der Aggregatebene wurden Mehrebenenanalysen (Raudenbush & Bryk, 2002) eingesetzt. Diese Form der Regressionsanalyse Elterntraining zur Leseförderung 265 ermöglicht, aufgrund der Berücksichtigung der Schachtelung der Daten, eine konservativere Schätzung der Standardfehler der Regressionskoeffizienten. Das verwendete Softwarepaket für Mehrebenenanalysen (HLM 6.04, Raudenbush, Bryk, Cheong & Congdon, 2004) bietet allein unstandardisierte Regressionskoeffizienten in den Ergebnisausdrucken an, was die Interpretation der Regressionsgewichte aufgrund der oftmals arbiträren Metriken der Prädiktoren und Kriterien erschwert. Um die spätere Interpretation etwas zu vereinfachen, wurden im vorliegenden Fall alle metrischen Variablen standardisiert (M = 0, SD = 1). Durch diese Standardisierung lassen sich die Effekte der Prädiktorvariablen einfacher interpretieren. Die Regressionskoeffizienten zeigen dann an, um welchen Anteil einer Standardabweichung die abhängigen Variablen bei der Zunahme/ Abnahme um eine Einheit bei den Prädiktorvariablen zunehmen/ abnehmen. Ergebnisse Deskriptive Befunde In Tabelle 2 sind die Mittelwerte, Standardabweichungen und der korrelative Zusammenhang zwischen dem Treatment, dem Elternverhalten, der kindperzipierten emotionalen Unterstützung sowie den berücksichtigten Kontrollvariablen dargestellt. Unter den Kontrollvariablen zeigten sich erwartete, statistisch signifikante Korrelationen zwischen dem Bildungsabschluss der Eltern, dem Bücherbestand sowie der Lesenote. Die Lesenote der Jungen lag dabei signifikant tiefer als diejenige der Mädchen. Eltern fremdsprachiger Kinder zeigten signifikant höhere Erwartungen an die Leseleistung als Eltern deutschsprachiger Kinder. Das Befundmuster zum selbstperzipierten Elternverhalten zeigt, dass deutschsprachige Eltern und Eltern aus Familien mit einem umfangreicheren Bücherbestand eine signifikant höhere Autonomieunterstützung äußerten. Eltern von Kindern mit tieferer Lesenote berichteten dagegen signifikant mehr Einmischung. Derselbe Befund zeigte sich bei Eltern mit einem niedrigen Bildungsabschluss. Die beiden Elternvariablen Einmischung und Kontrolle, die als eher problematisch gelten, korrelierten im Weiteren zu T2 signifikant negativ mit dem Treatment. Die Interkorrelationen der drei Elternskalen waren moderat. Auffällig hoch waren sowohl zu T1 als auch zu T2 die Mittelwerte der Autonomieunterstützung. Die kindperzipierte emotionale Unterstützung in Leistungssituationen wurde von den Jungen weniger positiv wahrgenommen als von den Mädchen. Insgesamt wird deutlich, dass das Elternverhalten in bedeutender Weise mit dem soziokulturellen Hintergrund (Erstsprache, Bücherbestand und elterlicher Bildungshintergrund) und vor allem auch mit den Leistungen des Kindes in Zusammenhang steht (vgl. auch Baumert & Schümer, 2001; Hurrelmann, 2004 b). Vorhersage des elterlichen Hausaufgabenverhaltens Unsere erste Hypothese bezieht sich auf die Veränderung des elterlichen Hausaufgabenverhaltens. Wir vermuteten bei der Treatmentgruppe eine selbstberichtete Zunahme der Autonomieunterstützung sowie eine Abnahme von lernhinderlichem Betreuungsverhalten (weniger Kontrolle und Einmischung) am Ende der vierten Klasse. Neben den Indikatoren des familiären Hintergrunds wurden das Geschlecht der Kinder und die Lesenote als Prädiktoren auf der Individualebene und das Treatment als Dummy-Variable auf der Ebene der Gruppenzugehörigkeit verwendet. Die Befunde dieser Mehrebenenanalysen werden in Tabelle 3 berichtet. Als Hauptergebnis kann festgehalten werden, dass das Treatment die beiden problematischen Betreuungspraktiken Einmischung und Kontrolle statistisch signifikant hemmte, jedoch keinen Einfluss auf die erwünschte Autonomieunterstützung hatte. Für den ausbleibenden Effekt auf die Autonomieunterstützung ist auf den bereits zu T1 feststellbaren Deckeneffekt der Autonomieunterstützungs-Messwerte hinzuweisen. Von den Kontrollvariablen erwies sich neben der Autonomieunterstützung zu T1 266 Caroline Villiger et al. M SD 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 1 Geschlecht Kind (männlich) 0.49 .50 2 Eltern hoher Bildungsabschluss 0.25 .43 -.08 3 Eltern tiefer Bildungsabschluss 0.43 .50 .05 -.50** 4 Bücherbestand 3.21 .89 -.12* .38** -.43** 5 Erstsprache Deutsch 0.83 .37 -.05 -.03 -.04 .26** 6 Lesenote 5.06 .57 -.14** .21** -.20** .25** .13** 7 Erwartungen an Leseleistung 3.54 .81 -.01 .26** -.12* .17** -.16** .25** 8 Autonomieunterstützung T1 (Eltern) 4.52 .62 -.07 .04 -.05 .21** .41** .11* -.01 9 Einmischung T1 (Eltern) 2.77 .99 .02 -.22** .19** -.21** -.10 -.25** -.01 .11* 10 Kontrolle T1 (Eltern) 3.86 .82 -.03 -.04 .06 -.03 -.03 .01 .19** .28** .41** 11 Autonomieunterstützung T2 (Eltern) 4.54 .58 -.09 .10* -.09 .21** .35** .15** .02 .46** .03 .11* 12 Einmischung T2 (Eltern) 2.35 .91 .04 -.16** .11* -.16** -.14** -.23** .02 -.08 .61** .21** .03 13 Kontrolle T2 (Eltern) 3.65 .82 .03 .00 -.01 .02 -.12** .00 .17** .01 .30** .42 .19** .46** 14 Emotionale Unterstützung T1 (Kind) 4.09 .80 -.12* -.04 .03 .12* .07 .16** .05 .16** .01 .06 .08 .00 .09 15 Emotionale Unterstützung T2 (Kind) 4.18 .74 -.12* .01 .06 .10* .11** .09* .01 .14** -.03 .00 .16** .03 .08 .46** 16 Treatment 0.45 .50 .00 .02 .01 -.02 .10* -.06 .03 .04 -.08 .01 .02 -.18** -.10* -.03 .03 Tabelle 2: Mittelwerte, Standardabweichungen und Interkorrelationen Anmerkung: ** p < .01, * p < .05 Elterntraining zur Leseförderung 267 lediglich die Erstsprache als signifikanter Prädiktor. Für die elterliche Einmischung zum Messzeitpunkt T2 war hingegen auf der Individualebene, abgesehen von der Einmischung zu T1, die Lesenote statistisch bedeutsam. Die vergleichsweise hohe Varianzaufklärung (R 2 = .42) deutet bei dieser abhängigen Variable darauf hin, dass mit den berücksichtigten Indikatoren ein beachtlicher Ausschnitt der tatsächlichen Wirkfaktoren repräsentiert werden konnte. Hinsichtlich des elterlichen Kontrollverhaltens zu T2 erwies sich neben dem Treatment lediglich das elterliche Kontrollverhalten zu T1 als signifikanter Prädiktor. Vorhersage der kindperzipierten emotionalen Unterstützung Nach unserer zweiten Hypothese sollte das Elterntraining ebenfalls Auswirkungen auf die kindperzipierte emotionale Unterstützung haben. Wir haben deshalb eine weitere Mehrebenenanalyse vorgenommen, bei der die kindperzipierte emotionale Unterstützung als abhängige Variable diente. Auf der Individualebene wurden das Geschlecht der Kinder, der familiäre Hintergrund, die Lesenote, die elterlichen Erwartungen an die Leseleistung, das elternperzipierte Erziehungsverhalten zu T2 und die emotionale Unterstützung zu T1 eingesetzt. In Modell M1 interessierte auf der Individualebene als Prädiktor vorerst lediglich die emotionale Unterstützung zum Messzeitpunkt T1. Anschließend wurde in Modell 2 (M2) zusätzlich die Wirkung des Treatments geprüft. In einem nächsten Schritt wurden in Modell M3 alle Kontrollvariablen in die Analyse mit einbezogen. In Modell M4 wurde das Treatment unter Berücksichtigung sämtlicher Kovariaten untersucht. Die Befunde dieser Analysen werden in Tabelle 4 berichtet. Erwartungsgemäß erwies sich der prädiktive Charakter der emotionalen Unterstützung zum ersten Messzeitpunkt als hoch bedeutsam (Modell M1). Einen signifikanten Effekt erbrachte unter Kontrolle der emotionalen Unterstützung zu T1 auch das Treatment (Modell M2). In Modell M3 wurden auf der Individualebene als weitere Kontrollvariablen auch die Indikatoren des familiären Hintergrundes, die elterlichen Erwartungen an die Leseleistung, das elternperzipierte Erzieherverhalten zu T2, die Halbjahresnote sowie das Geschlecht des Kindes verwendet. Diese Merkmale spielten bei der Vorhersage der von den Kindern wahrgenommenen Autonomieunterstützung T2 Einmischung T2 Kontrolle T2 B SE(B) B SE(B) B SE(B) Geschlecht Kind (männlich) -.04 .08 -.04 .09 .08 .09 Eltern hoher Bildungsabschluss .17 .14 -.16 .10 -.02 .14 Eltern tiefer Bildungsabschluss .01 .10 -.07 .12 -.02 .10 Bücherbestand .04 .05 -.01 .05 .06 .05 Erstsprache Deutsch .46* .17 -.28 .16 -.30 .17 Lesenote .02 .05 -.10* .04 -.04 .04 Erwartungen an Leseleistung .01 .05 .07 .04 .09 .05 Autonomieunterstützung T1 .38*** .08 Einmischung T1 .56*** .06 Kontrolle T1 .46*** .05 Treatment .03 .07 -.33*** .08 -.21** .07 R 2 .31 .42 .21 Tabelle 3: Vorhersage des Elternverhaltens zu T2 (T1 = Beginn der 4. Klasse, T2 = Ende der 4. Klasse) Anmerkung: B = unstandardisierter Regressionskoeffizient, SE (B) = Standardfehler von B *** p < .001, ** p < .01, * p < .05 268 Caroline Villiger et al. emotionalen Unterstützung zu T2 jedoch keine bedeutsame Rolle. In Modell M4 stand das Treatment auch unter Berücksichtigung sämtlicher Kovariaten in einem statistisch unverändert positiven Zusammenhang zur kindseitig wahrgenommenen emotionalen Unterstützung ihrer Eltern. Die Varianz, die durch das Treatment zusätzlich aufgeklärt werden konnte, war mit 1 % jedoch gering. Insgesamt können die Befunde unsere Annahme bestätigen, dass das Elterntraining die kindperzipierte emotionale Unterstützung positiv beeinflusst hat. Diskussion Im Rahmen einer größeren Studie zur Kooperation zwischen Schule und Familie wurde ein Elterntraining zur familiären Leseförderung konzipiert, das die emotionale Supportfunktion der Familie ins Zentrum rückt. Dabei wurden drei spezielle Herausforderungen berücksichtigt, und zwar (1) die unterschiedliche soziale Ausgangslage von Familien, (2) das ambivalente elterliche Betreuungsverhalten bei Hausaufgaben sowie (3) die domänenspezifische Konzeptualisierung solcher Trainings. Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen, dass das Elterntraining problematisches Betreuungsverhalten statistisch signifikant hemmen konnte. Erwünschte Autonomie unterstützende Maßnahmen blieben vom Treatment jedoch unbeeinflusst. Die Hemmung unerwünschter Verhaltensweisen ist möglicherweise auf die Wirksamkeit zentraler Elemente des Treatments zurückzuführen. Dazu gehört der im Elterntraining verwendete Ansatz des Kontrastlernens (vgl. Theorie des negativen Wissens, Oser & Spychiger, 2005) zum Abbau von leistungshinderlichem Elternverhalten. Auch die Konzentration auf Lesestrategien, die prozesseinleitende und -abschließende Anschlusskommunikation ermöglichen (Groeben & Schroeder, 2004), jedoch keine elterliche Hilfe während des Lesens verlangen, hat unerwünschten Verhaltensweisen wie Einmischung und Kontrolle offensichtlich nicht Vorschub geleistet. Damit wurde ein wichtiges Anliegen der Intervention erfüllt. Der ausbleibende Effekt des Treatments auf die Autonomieförderung kann durch die bejahende Antworttendenz aufgrund sozialer Erwünschtheit und dem damit verbundenen Deckeneffekt der Messwerte erklärt werden. M1 M2 M3 M4 B SE(B) B SE(B) B SE(B) B SE(B) Geschlecht (männlich) -.05 .06 -.04 .06 Eltern hoher Schulabschluss .15 .12 .16 .12 Eltern tiefer Schulabschluss .19 .10 .18 .09 Bücherbestand .02 .05 .03 .05 Erstsprache Deutsch .11 .15 .10 .14 Lesenote .02 .05 .04 .05 Erwartungen an Leseleistung -.04 .04 -.05 .04 Emotionale Unterstützung T1 .55*** .04 .55*** .04 .53*** .05 .53*** .05 Autonomieunterstützung T2 .09 .05 .09 .05 Einmischung T2 .05 .04 .07 .04 Kontrolle T2 .01 .05 .01 .05 Treatment .23* .11 .26* .11 R 2 .28 .29 .29 .30 Tabelle 4: Vorhersage der emotionalen Unterstützung zu T2 (T1 = Beginn der 4. Klasse, T2 = Ende der 4. Klasse) Anmerkung: B = unstandardisierter Regressionskoeffizient, SE (B) = Standardfehler von B *** p < .001, ** p < .01, * p < .05 Elterntraining zur Leseförderung 269 Dass sich die Veränderung der Hausaufgabensituation am Ende des Schuljahres auch signifikant in der Wahrnehmung durch die Kinder niederschlug, spricht für den längerfristigen Effekt des kurzzeitigen Treatments und auch für die verfolgte Globalstrategie, der Familie primär eine Funktion der emotionalen Unterstützung zuzuweisen (Hoover-Dempsey et al., 2001; Wild & Remy, 2002). Der signifikante Haupteffekt zwischen dem Treatment und der kindperzipierten emotionalen Unterstützung bleibt stabil, wenn die kindseitigen Wirkfaktoren (Geschlecht und Note), die Indikatoren des familiären Hintergrundes sowie das selbstberichtete Elternverhalten zu T2 kontrolliert werden. Der unabhängig zustande gekommene Effekt des Treatments könnte hauptsächlich durch die im Training vermittelten Lesestrategien hervorgerufen worden sein, die von den Beteiligten relativ problemlos umgesetzt werden konnten und bei den Kindern eine direkt wahrnehmbare Veränderung erzeugt haben könnten. Die von den Eltern berichtete Reduktion der Einmischung und Kontrolle war demgegenüber lediglich indirekt als Unterlassen des Unerwünschten feststellbar. Sie hatte infolgedessen keinen mediierenden Effekt auf das Treatment. Da die Lesestrategien zudem auf die explizite Etablierung einer symmetrischen Anschlusskommunikation (Groeben & Schroeder, 2004) zwischen Eltern und Kind ausgerichtet waren, schufen sie möglicherweise positive Voraussetzungen für das kindliche Erleben der Hausaufgabensituation. In nachträglichen Analysen konnten im Weiteren keine Interaktionen zwischen Bildungsabschlüssen und dem Treatment dokumentiert werden. Daher wird auch die Befürchtung widerlegt, dass das Elterntraining bestehende soziale Disparitäten verstärkt haben könnte. Kritisch lassen sich auch einige einschränkende Bemerkungen zu dieser Arbeit anbringen. Da sich die Gesamtintervention aus einer schulischen und einer hausaufgabenbezogenen Komponente zusammensetzt, könnten die Angaben der Schülerinnen und Schüler zur emotionalen Qualität der Elternbetreuung von der schulischen Intervention beeinflusst worden sein. Um eine mögliche Konfundierung durch sog. Spillovereffekte zu vermeiden, waren die beiden Interventionskomponenten jedoch getrennt implementiert worden. In einer zusätzlichen Studie wird die Intervention nur in der Schule durchgeführt werden, ohne die Eltern einzubeziehen. Dies sollte es ermöglichen, die spezifischen Effekte der beiden Interventionen aufzuschlüsseln. Der Einwand, dass die Abnahme der elternperzipierten Einmischung und Kontrolle bei der Treatmentgruppe im Anschluss an das Training einem sozialen Erwünschtheits-Effekt unterliegen könnte, ist berechtigt. Man kann allerdings dagegen argumentieren, dass sich die durch die Kinder wahrgenommene emotionale Unterstützung ebenfalls in signifikant positiver Weise verändert hat. Auch spricht die Tatsache, dass die Eltern sogar noch neun Monate nach dem Training signifikant weniger Einmischung und Kontrolle berichteten, eher gegen diesen Einwand. Im Weiteren hat die vorliegende Arbeit die Wirkung des Elterntrainings auf die emotionale Wahrnehmung der Kinder lediglich in seiner Gesamtheit analysieren können. Effekte von globalem, dimensionalem Verhalten (Autonomieunterstützung, Einmischung und Kontrolle) und Effekte aufgrund des Einsatzes von gezielten Lesestrategien sind im Hinblick auf die abhängige Kindvariable konfundiert worden. In einem weiteren Schritt könnte die Wirkweise der Lesestrategien getrennt untersucht und in ein Zusammenspiel mit dimensionalen Komponenten des Elternverhaltens gebracht werden. Dazu wäre allerdings ein wesentlich komplexeres Untersuchungsdesign erforderlich. Im Hinblick auf künftige Interventionen könnten die folgenden Aspekte noch stärker beachtet werden: Die Arbeit weist auch auf die besondere Problematik differenzieller Sprachmilieus hin (signifikante positive Korrelationen zwischen der Erstsprache Deutsch und der Autonomieunterstützung zu beiden Messzeitpunkten; hingegen signifikant negative Korrelationen zwischen Deutschsprachigkeit und 270 Caroline Villiger et al. Einmischung sowie Kontrolle zu T2). Es ist denkbar, dass über das Verhalten hinaus auch das Verständnis der Begrifflichkeiten (z. B. Autonomieunterstützung, Kontrolle) sprachkulturell beeinflusst ist. Der Einbezug von fremdsprachigen Kulturvermittlern könnte bei solchen sprachkulturellen Unterschieden hilfreich sein (Goldenberg, Rueda & August, 2008). Hinsichtlich der Wahl der Erhebungsmethode lässt sich kritisch anmerken, dass sich selbstverständlich auch weitere Formen wie standardisierte Elterntagebücher, Videoaufzeichnungen oder teilnehmende Beobachtungen anbieten würden (z. B. Ng et al., 2004; Wild et al., 2006). Allerdings sind auch diese Verfahren nicht frei von Verzerrungen. Offen bleibt des Weiteren die Frage nach der Realisierbarkeit einer längerfristigen Stabilisierung optimaler elterlicher Unterstützungspraktiken. Das Ziel müsste sein, Effekte kumulativ über die gesamte Schulzeit auszulösen. Dabei dürfte eine sich gegenseitig stützende, kontinuierliche Veränderung von Kognitionen und konkreten Betreuungspraktiken am ehesten erfolgversprechend sein (Wild, 2004). Für die praktische Umsetzung solch ambitionierter Programme können die in dieser Arbeit berichteten mittelfristigen Erfolge unseres Erachtens dennoch als optimistisch stimmendes Etappenziel gewertet werden. Literatur Bandura, A. (1979). Sozial-kognitive Lerntheorie. Stuttgart: Klett. Baumert, J. & Möller, O. (1996). Lernstrategien und schulische Leistungen. In J. Möller & O. Möller (Hrsg.), Emotionen, Kognitionen und Schulleistung (S. 137 - 154). Weinheim: Psychologieverlagsunion. Baumert, J. & Schümer, G. (2001). Familiäre Lebensverhältnisse, Bildungsbeteiligung und Kompetenzerwerb. In J. Baumert, E. Klieme, M. Neubrand et al. (Hrsg.), PISA 2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern im internationalen Vergleich (S. 323 - 407). Opladen: Leske und Budrich. Bransford, J. D., Brown, A. L. & Cocking, R. R. (2000). How people learn. Brain, mind, experience and school. Washington, DC: National Academy Press. Bruder, S., Perels, F. & Schmitz, B. (2004). 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Affektive und motivationale Folgen der Lernhilfen und lernbezogenen Einstellungen von Eltern. Unterrichtswissenschaft, 30, 27 - 51. 272 Caroline Villiger et al. Caroline Villiger Pädagogische Hochschule Freiburg Murtengasse 36 CH-1700 Freiburg Tel.: +41 2 63 05 72 53 Fax: +41 2 63 05 72 19 E-Mail: villigerc@edufr.ch gegenwärtige Korrespondenzadresse: Rosdorfer Weg 24 D-37073 Göttingen Tel. (05 51) 3 09 71 99 Alois Niggli Pädagogische Hochschule Freiburg Murtengasse 36 CH-1700 Freiburg Tel.: +41 2 63 05 72 55 Fax: +41 2 63 05 72 19 E-Mail: nigglia@edufr.ch Christian Wandeler Pädagogische Hochschule Freiburg und Departement Erziehungswissenschaften, Universität Freiburg Rue Faucigny 2 CH-1700 Freiburg Tel.: +26 3 00 75 91 Fax: +26 3 00 97 11 E-Mail: christian.wandeler@unifr.ch Anhang: Beispiel zur Strategieanwendung Kindversion (Anleitung) A: Vorwissen einschalten (zu Beginn der Hausaufgaben, bevor du liest) Beim Vorwissen einschalten überlegst du dir, was du schon zum Thema weißt oder was du glaubst, worum es in der Geschichte geht. So liest du genauer und kannst dir nachher das Gelesene besser merken. Was du machen kannst: 1. Überfliege zuerst alleine oder mit jemandem den Text und schau dir Titel, Bilder oder anderes Auffälliges an! Was könnte da drin stehen? Oder: Lies die ersten drei Sätze. Um was geht es? Oder bei einem Buch: Lies den Klappentext oder schau dir das Inhaltsverzeichnis an: Was erfährst du daraus? 2. Erzähl jemandem, was dir dazu in den Sinn kommt oder was du schon darüber weißt. 3. Überprüfe nach dem Lesen zusammen mit jemandem, ob es im Text auch wirklich um das geht, was du gemeint hast. Elternversion (Begleitbroschüre) A. Vorwissen einschalten (zu Beginn der Hausaufgabe, vor dem Lesen) Grundidee: Beim Vorwissen einschalten überlegt man sich, was wohl im Text drin stehen könnte. Auf diese Weise lassen sich Verknüpfungen herstellen zu dem, was man schon weiß, bevor man mit Lesen beginnt. Tipps zum Vorgehen: 1. Text überfliegen, nach besonderen Hinweisen suchen und Thema erfassen (Kind alleine oder mit Eltern) • auf Titel, Überschriften, Abbildungen etc. achten. Was könnte im Text stehen? • Oder: Lies die ersten drei Sätze: Worum könnte es im Text gehen? • Oder bei einem Buch: Lies den Klappentext oder schau dir das Inhaltsverzeichnis an. Was erfährst du daraus? 2. Brücken bauen zwischen dem Text und dem Vorwissen (mit den Eltern) • Was fällt dir zum Titel des Textes ein? Kennst du eigene Erfahrungen zu diesem Thema? Hast du bereits etwas darüber gelesen oder gehört? • Falls du nur wenig zum Thema weißt und deshalb Mühe hast, den Textinhalt zu verstehen, dann helfen dir vielleicht ein Lexikon oder Sachbuch, die Eltern oder Geschwister weiter. 3. Textinhalt überprüfen (mit den Eltern) • Nach dem Lesen des Textes: Haben wir den Text richtig erfasst? Oder geht es um etwas ganz anderes?
