Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2011
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Verfahren zur Einschätzung des Sprachförderbedarfs im Jahr vor der Einschulung (VER-ES)
11
2011
Susanna Roux
Gisela Kammermeyer
Andrea Stuck
Der vorliegende Beitrag stellt ein Screening zur Einschätzung des kindlichen Sprachförderbedarfs im Deutschen vor, das sprachliche Mindestanforderungen Fünfjähriger im Wortschatz, im Sprachverstehen, in der Sprachverarbeitung, in der Phonologischen Bewusstheit und im Kommunikationsverhalten erfasst. 733 Kindergartenkinder erreichten im Vergleich zu 186 Kindern ohne Kindergartenbesuch in fast allen Sprachbereichen signifikant höhere Werte. Ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Kindergartenbesuch und Familiensprache zeigte sich lediglich im Wortschatz. Über eine Clusteranalyse wurden vier Sprachprofile identifiziert; 4.6 % der Kinder erreichten dabei in allen Sprachbereichen niedrige Werte, während 29.3 % in Phono-logischer Bewusstheit den größten Sprachförderbedarf aufzeigten. Das Screening ist ein vielversprechender Ansatz zur praxistauglichen Erfassung sprachlicher Mindestanforderungen vor Schuleintritt.
3_058_2011_001_0001
n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2011, 58, 1 - 14 DOI 10.2378/ peu2010.art24d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Verfahren zur Einschätzung des Sprachförderbedarfs im Jahr vor der Einschulung (VER-ES) Susanna Roux, Gisela Kammermeyer, Andrea Stuck Universität Koblenz-Landau, Campus Landau Procedure of Assessing the Demand for Language Fostering in the Year Before School Enrolment Summary: This contribution presents a German language screening assessing five-year-old children in the minimum language requirements for successful school learning. The instrument comprises: size of vocabulary, language comprehension, language processing, phonological awareness, and communicative competence. 733 children with preschool experience were compared to 186 children without preschool experience. In almost all language domains preschool children scored higher than those without preschool attendance. Only in vocabulary family language interacted significantly with preschool experience: children with German as family language plus preschool experience scored highest. Cluster analysis differentiated four distinct performance profiles: 4.6 % of the children scored low in about all domains, while 29.3 % needed the most support in phonological awareness. The instrument appears to be a promising step towards a practicable, valid and well accepted screening procedure just before school entry. Keywords: Language diagnosis, language screening, preschool age Zusammenfassung: Der vorliegende Beitrag stellt ein Screening zur Einschätzung des kindlichen Sprachförderbedarfs im Deutschen vor, das sprachliche Mindestanforderungen Fünfjähriger im Wortschatz, im Sprachverstehen, in der Sprachverarbeitung, in der Phonologischen Bewusstheit und im Kommunikationsverhalten erfasst. 733 Kindergartenkinder erreichten im Vergleich zu 186 Kindern ohne Kindergartenbesuch in fast allen Sprachbereichen signifikant höhere Werte. Ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Kindergartenbesuch und Familiensprache zeigte sich lediglich im Wortschatz. Über eine Clusteranalyse wurden vier Sprachprofile identifiziert; 4.6 % der Kinder erreichten dabei in allen Sprachbereichen niedrige Werte, während 29.3 % in Phonologischer Bewusstheit den größten Sprachförderbedarf aufzeigten. Das Screening ist ein vielversprechender Ansatz zur praxistauglichen Erfassung sprachlicher Mindestanforderungen vor Schuleintritt. Schlüsselbegriffe: Sprachdiagnostik, Sprachscreening, Vorschulalter In Rheinland-Pfalz sind Kinder, die keinen Kindergarten besuchen, seit 2006 nach § 64 SchulG n. F. verpflichtet, bei der Schulanmeldung (im Herbst vor der Einschulung) an einem durch die Schule durchgeführten Sprachfeststellungsverfahren teilzunehmen. Für diese Kinder wurde im Auftrag des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft, Jugend und Kultur eine Erprobungsfassung des „Verfahrens zur Einschätzung des Sprachförderbedarfs im Jahr vor der Einschulung“ (im Folgenden kurz „VER-ES“) entwickelt, im Herbst 2006 erstmalig angewandt und aufgrund der empirischen Befunde überarbeitet (Kammermeyer, Roux & Stuck, 2007 b, 2008 a). Diese weiterentwickelte Version wird auf seine wissenschaftliche Qualität und Praktikabilität in diesem Beitrag überprüft. 2 Susanna Roux et al. Zum aktuellen Forschungsstand Empirische Befunde belegen, dass 25 - 30 % eines Altersjahrganges in der frühen Kindheit Sprachentwicklungsauffälligkeiten (vor allem im Bereich der Artikulation) aufweisen, aber nur 5 - 10 % davon eine dauerhafte Sprachentwicklungsstörung bzw. eine Lese-Rechtschreib- Schwäche entwickeln (Fried, 2004, S. 3; vgl. auch Schöler, 2006, S. 101). Durch eine fundierte Sprachförderung kann die Sprachentwicklung von Kindern aber positiv beeinflusst werden (u. a. Weinert & Lockl, 2008, S. 100ff ). Dies stützt gegenwärtige elementar- und primarpädagogische Bildungsbemühungen, die Sprachförderung als zentrale Aufgabe ansehen. Um sprachauffällige Kinder frühzeitig identifizieren und fördern zu können und dabei begrenzte Ressourcen sinnvoll und effizient zu nutzen, werden praxisgeeignete Verfahren benötigt. Es wurden zwar mittlerweile mehrere Sprachstanderhebungsverfahren für Vorschulkinder (u. a. Tests) konzipiert, nicht alle entsprechen aber den notwendigen Anforderungen nach u. a. theoretischer und methodischer Fundierung und Nutzen für Förderentscheidungen (vgl. Fried, 2004; Weinert, Doil & Frevert, 2008). Auch gibt es kaum empirisch fundierte und kindgemäße sprachdiagnostische Screenings, die durch Praktikerinnen im Alltag genutzt werden können und nicht nur durch speziell ausgebildete Experten. Die vorhandenen Verfahren unterscheiden sich bezüglich des Alters der Kinder, der erfassten Sprachbereiche und der zuständigen Bildungsinstitutionen (Kindertagesstätte oder Schule). Hinzu kommt, dass sie auch unterschiedliche Funktionen haben. Einige Verfahren dienen der Spracherfassung im Rahmen gesundheits- oder bildungspolitischer Maßnahmen (U-Untersuchungen, Schuleingangsuntersuchungen). Andere Verfahren werden für pädagogische (allgemein „Sprachdiagnostik“) oder sprachheilpädagogische Zwecke („Sprachförderdiagnostik“) eingesetzt (Fried, 2004). Ziel des Screenings, Forschungsfragestellungen Mit VER-ES sollen in einer kindorientierten Erhebungssituation die deutschen Sprachkompetenzen von Fünfjährigen in sprachtheoretisch bedeutsamen, zentralen Sprachbereichen erfasst werden. Ziel ist zum einen die Identifizierung von Risikokindern und zum anderen eine differenzierte Sprachförderempfehlung im Sinne einer Platzierungsentscheidung (vgl. Roos & Schöler, 2007, S. 532). Ermöglicht werden soll dies durch ein durch Praktikerinnen selbst nutzbares Verfahren. Im Rahmen der hier vorgelegten empirischen Analyse werden folgende Forschungsfragestellungen beantwortet: Ist das Screening kindgemäß und praxisnah? Erfüllt es die methodischen Anforderungen, u. a. hinsichtlich der Gütekritierien? Welche Bedeutung haben Kindergartenstatus (mit/ ohne Kindergartenbesuch) und Familiensprache (deutsch/ nichtdeutsch)? In welchen Sprachbereichen lässt sich spezifischer Sprachförderbedarf bei Fünfjährigen identifizieren? Inhaltliche Konzeption VER-ES erfasst sowohl alltagssprachliches als auch bildungssprachliches Wissen und Handeln 1 (vgl. Abb. 1). Diese Bereiche spiegeln wesentliche Teile des Komponentenspektrums der Sprache (vgl. Weinert, 2006, S. 611) mit Ausnahme der rhythmisch-prosodischen Kompetenz wider. 2 Es handelt es sich um ein Screening, das die erste Stufe eines diagnostischen Prozesses darstellt, an die sich ggf. eine differenziertere Diagnostik (zweite Stufe) anschließt. VER-ES wurde ursprünglich für Kinder ohne Kindergartenbesuch konzipiert und ist so angelegt, dass Entscheidungen in dem Sinne, dass für Kinder 1 Zur ausführlichen Beschreibung der Sprachbereiche vgl. Kammermeyer, Roux und Stuck (2007 b, 2007 c). 2 Nicht einbezogen wurden auf Wunsch des Ministeriums grammatische Fähigkeiten. Verfahren zur Einschätzung des Sprachförderbedarfs 3 keine Empfehlung zur Sprachförderung ausgesprochen wird, obwohl sie diese benötigen, minimiert werden. Dafür werden im Zweifelsfalle Empfehlungen zur Teilnahme an der Sprachförderung, obwohl diese vielleicht nicht zwingend nötig ist, in Kauf genommen (vgl. Woike, 2003, S. 376). Zusätzlich zur psychodiagnostischen Zielsetzung soll VER-ES zwei pädagogischen Zielsetzungen dienen: zum einen einer ersten positiven Begegnung mit Schule für Kinder (und deren Eltern), die bisher nicht im Kindergarten waren und zum anderen der Anregung zur inhaltlichen Zusammenarbeit von Lehrerinnen und Erzieherinnen durch den Einsatz dieses Verfahrens. Alltagssprachliches Wissen und Handeln Im Bereich alltagssprachlichen Wissens und Handelns erfasst VER-ES die Fähigkeit Fünfjähriger, sich mit verbalen und nonverbalen Mitteln in der deutschen Sprache im Alltag verständigen zu können. Nach Cummins (1979, 2000) wird diese Ebene als Basic Interpersonal Communicative Skills (BICS) benannt. Sie beinhaltet den Wortschatz als besonders kontextsensitiven und zentralen Bereich der Sprachentwicklung (Fried, 2004). In Anlehnung an den Kindersprachtest für das Vorschulalter (KISTE) von Häuser, Kasielke und Scheidereiter (1994) wird der aktive (Basis-)Wortschatz der Kinder bezüglich Verben und Nomen (Speisen, Kleidungsstücke, Tiere) über freies Aufzählen anhand von Beispielmaterialien (Stift, Buch, Schuhe …) erfasst (vgl. Abb. 2). Hinzu tritt auf der BICS-Ebene die Erfassung des Sprachverstehens, dessen Bedeutung bereits in frühen Untersuchungen von Schulanfängern nachgewiesen werden konnte (Kleber & Fischer, 1980). Das rezeptive und produktive Sprachverstehen wird durch die Aufgaben Anweisungen ausführen und Anweisungen geben in Anlehnung an den Sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder (SETK 3 - 5) (Grimm, 2001) erfasst. Außerdem geht es auf der BICS-Ebene um die Erfassung des dialogischen (z. B.: „erzählt spontan“), nonverbalen (z. B.: „nutzt Gestik“), paralinguistischen (z. B.: „spricht deutlich“) Abbildung 1: Theoretische Konzeption von VER-ES 4 Susanna Roux et al. und motivationalen (z. B.: „ist interessiert“) Kommunikationsverhaltens des Kindes als diskursive Grundfähigkeiten, deren diagnostische und Förderberücksichtigung in aktuellen sprachdiagnostischen Verfahren fast völlig fehlt (u. a. Ehlich, 2005, S. 47). Diese werden benötigt, um Gespräche führen bzw. an Unterrichtsgesprächen teilnehmen zu können. Die Erhebung erfolgt in Anlehnung an Vorarbeiten von Adams (2002) sowie Prutting und Kirchner (1987) anhand einer neu konstruierten vierstufigen Ratingskala (1 = „trifft nicht zu“ bis 4 = „trifft voll zu“). Diese wird im Anschluss an eine bildunterstützte Kommunikationssituation zwischen Kind und Pädagogin eingeschätzt. Bildungssprachliches Wissen und Handeln Die genannten alltagssprachlichen Fähigkeiten sind jedoch nicht ausreichend für die Anforderungen der Bildungssprache in der Schule (u. a. Kany & Schöler, 2007, S. 98). Daher werden zusätzlich die Ebene des bildungssprachlichen Wissens und Handelns, als Fähigkeit grundlegende Sprachstrukturen zu kennen und zu beachten sowie metasprachliche Aspekte mit einbezogen. In der Terminologie von Cummins (1979) wird diese Ebene als Cognitive Academic Language Profiency (CALP) benannt. Sie beinhaltet Fähigkeiten zur Sprachverarbeitung auf Wort- und Satzebene, deren Erfassung als „Königsweg der Sprachdiagnostik“ (Roos & Abbildung 2: Sprachbereiche mit Durchführungsanleitungen * max. erreichbare Punktzahl pro Aufgabe ** kritischer Wert Verfahren zur Einschätzung des Sprachförderbedarfs 5 Schöler, 2007, S. 541f ) bezeichnet wird und Aussagen über die syntaktischen, lexikalischen und morphologischen Kompetenzen von Kindern (Bredel, 2005, S. 102) sowie über mögliche Sprachentwicklungsverzögerungen erlaubt. Für die Einschätzung der Sprachverarbeitung wird auf zwei bewährte Aufgabentypen (Nachsprechen von Phantasiewörtern und -sätzen) zurückgegriffen, die in vergleichbarer Weise im Sprachscreening für das Vorschulalter (SSV) von Grimm (2003) angewendet werden. Auf der CALP-Ebene wird zudem die Phonologische Bewusstheit als wichtigste Vorläuferfähigkeit für Schriftsprachentwicklung (Schneider & Marx, 2008) in das Screening aufgenommen. Sie wird mit der Subskala „Reimen“ aus dem Verfahren „Anlaute hören, Reime finden, Silben klatschen (ARS)“ von Martschinke, Kammermeyer, King und Forster (2005) erfasst (bildgestützte Erkennung von Nichtreimen). 3 Stichprobe Die Überprüfung von VER-ES erfolgte im Herbst 2007 an zwei Teilstichproben (vgl. Tab. 1): Die Stichprobe „ohne Kiga“, für die das Verfahren ursprünglich entwickelt wurde, besteht aus Fünfjährigen aus Rheinland-Pfalz, die keinen Kindergarten besuchten (n = 186; davon Familiensprache „nur Deutsch“ = 58.9 %). Die Erhebungen wurden in Anwesenheit der Eltern von Lehrkräften (zum Teil in Kooperation mit Erzieherinnen) durchgeführt, die den Kindern nicht bekannt waren. Die geplante Vollerhebung aller in diesem Jahr zur Schule angemeldeten 313 Kinder ohne Kindergartenbesuch (0.8 % aller Schulanfänger des Schuljahres 2008/ 2009 in Rheinland- Pfalz) konnte nicht realisiert werden. Einerseits wurde trotz Verpflichtung durch das Ministerium wegen vermeintlich fehlendem Sprachförderbedarf auf die Durchführung von VER-ES verzichtet (18.2 %) und andererseits wurden auch Protokollbögen nicht ans Ministerium zurückgeschickt (22.4 %). Aus diesen Gründen kann eine Stichprobenverzerrung in dem Sinne, dass Kinder mit „guten“ Sprachfähigkeiten fehlen, nicht ausgeschlossen werden. Die Stichprobe „mit Kiga“ (Vergleichsstichprobe) besteht aus Fünfjährigen im letzten Kindergartenjahr (n = 733; davon „nur Deutsch“ = 69.3 %) aus nicht repräsentativ ausgewählten Kindereinrichtungen vor allem in Rheinland-Pfalz. Die Erhebungen wurden hier von Erzieherinnen durchgeführt. Insgesamt liegen Daten von 919 Kindern im durchschnittlichen Alter von fünf Jahren und sechs Monaten vor (davon „nur Deutsch“ 67.2 %, „Deutsch plus Sonstige (Sprache)“ 17.9 %, „ohne Deutsch“ 14.9 %). Durchführung Die Erhebung wurde im Einzelverfahren durch zwei Pädagoginnen (Erzieherinnen und/ oder Lehrerinnen) alltagsnah anlässlich der Schulanmeldung (Kinder ohne Kindergartenbesuch) bzw. im Kinder- Geschlecht* (absolut; Prozent) Alter** (in Monaten) Familiensprache*** (absolut; Prozent) n (absolut; Prozent) Jungen Mädchen M SD MIN - MAX nur Deutsch Deutsch plus Sonstige ohne Deutsch ohne Kiga 186 (20.2 %) 93 (53.8 %) 80 (46.2 %) 67.6 4.4 59 - 84 103 (58.9 %) 44 (25.1 %) 28 (16 %) mit Kiga 733 (79.8 %) 357 (51.8 %) 332 (48.2 %) 65.7 5.8 47 - 87 477 (69.3 %) 110 (16 %) 101 (14.7 %) Gesamt 919 (100 %) 450 (52.2 %) 412 (47.8 %) 66.1 5.6 47 - 87 580 (67.2 %) 154 (17.9 %) 129 (14.9 %) Tabelle 1: Stichprobe * es fehlen die Angaben zum Geschlecht bei 57 Kindern ** es fehlen die Altersangaben von 84 Kindern *** es fehlen die Angaben zur Familiensprache von 56 Kindern 3 mit freundlicher Genehmigung des Verlags 6 Susanna Roux et al. garten in einer kindgemäß gestalteten Situation mit quasi-natürlichen und standardisierten Spiel- und Gesprächsteilen unter Verwendung von Alltagsmaterialien (z.B.: Tierfiguren, Stifte) durchgeführt. Sowohl das Kind als auch die Durchführende hatten aktive bzw. passive Anteile („Reißverschlussverfahren“). Die durchführende Pädagogin regte spontane wie auch elizitierte Sprachäußerungen des Kindes an. Diese wurden von der zweiten Person protokolliert. Methode Zur empirischen Überprüfung des Screenings wurde im Rahmen der Itemanalyse zunächst der Schwierigkeitsgrad (p) und die Trennschärfe (r it ) der einzelnen Items berechnet. Die Objektivität von VER-ES wurde mittels Beobachterübereinstimmung zwischen Erzieherinnen und unabhängigen Studentinnen an einer Teilstichprobe („mit Kita“; n = 81) überprüft. Die Daten wurden korreliert und mithilfe der Spearman-Brown-Prophecy-Formula korrigiert. Die Reliabilität des Verfahrens wurde über die interne Konsistenz (Cronbachs Alpha) ausgewiesen und sowohl für die Gesamtstichprobe als auch für alle Teilstichproben (Kindergartenstatus; Familiensprachen) geprüft. Die Einschätzung der Validität erfolgte zunächst über Expertenurteile zur Konstruktion des Verfahrens. In einem zweiten Schritt wurde es im Hinblick auf die konvergente Validität analysiert. Hierzu wurden die Ergebnisse der Sprachbereiche Wortschatz, Sprachverarbeitung und Phonologische Bewusstheit mit entsprechenden Subskalen aus dem Aktiven Wortschatztest (AWST-R; Kiese-Himmel, 2005), dem Sprachscreening für das Vorschulalter (SSV; Grimm, 2003) sowie dem Gruppentest zur Früherkennung von Lese- und Rechtschreibschwierigkeiten (PB-LRS; Barth & Gomm, 2004) korreliert. Zudem wurden Informationen zur Konstruktvalidität über eine explorative Faktorenanalyse (Hauptkomponentenanalyse mit anschließender Varimaxrotation) anhand aller Einzelitems 4 eingeholt. Bereits in der Erprobungsfassung von 2006 zeigte sich, dass die als bedeutsam erachteten Nebengütekriterien Ökonomie, Akzeptanz bei den Anwendern, Simulation von Alltag und Handlungsbezug (u. a. Burgener Woeffray, 1996; Ingenkamp & Lissmann, 2005; Rost, 2007) in VER-ES erfüllt sind. Das Screening ist demnach sowohl einfach durchzuführen und leicht verständlich (Ökonomie), erfährt Akzeptanz durch die Praktikerinnen und stellt eine alltagsnahe, angstfreie Erhebungssituation dar (vgl. Kammermeyer, Roux & Stuck, 2007 a). Es ließen sich zudem konkrete Bereiche zur Förderung identifizieren (Handlungsbezug). Die kritischen Werte, die keinen Bezug zur Altersgruppe oder eine Einordnung auf einer Normskala darstellen (Kany & Schöler, 2007, S. 114), sondern zur Leistungsermittlung in einem Screening dienen, wurden aufgrund der Befunde in den Referenzverfahren festgelegt und bereits in der Erprobungsfassung erstmalig geprüft (vgl. Kammermeyer, Roux & Stuck, 2007c). Sie beziehen sich immer nur auf den jeweiligen Teilbereich des Verfahrens, es gibt also keinen „Gesamt-cut-off“; denn es wird angenommen, dass die Sprachbereiche voneinander getrennt gesehen werden müssen und z. B. ein Förderbedarf in Phonologischer Bewusstheit nicht durch Stärken im Wortschatzbereich kompensiert werden kann. Zur Prüfung der Festlegung der kritischen Werte wurde die Stichprobe „mit Kiga“ herangezogen. Als Grenze gilt in jedem Bereich kleiner/ gleich 25 % der Stichprobe. Interaktionseffekte zwischen Kindergartenstatus und Familiensprachen wurden über zweifaktorielle Varianzanalysen untersucht. Zur Beantwortung der Frage, ob sich Gruppen mit spezifischem Sprachförderbedarf identifizieren lassen, wurde eine hierarchische Clusteranalyse (Quadrierte euklidische Distanz; Ward’scher Algorithmus) durchgeführt (n = 818). Dazu wurden die Ergebnisse der Kinder in den Aufgaben der Bereiche Wortschatz, Sprachverarbeitung und Kommunikation wegen unterschiedlicher maximal erreichbarer Punktzahl gewichtet und zu jeweils einem Wert zusammengefasst. Anschließend wurden die so ermittelten Werte aller Sprachbereiche z-standardisiert. 5 Ergebnisse Wie kindgemäß ist das Verfahren? Um Aussagen darüber treffen zu können, ob VER-ES eine angstfreie Erhebungssituation ermöglicht und ob die Kinder ihre sprachlichen Leistungen entfalten können, wurde zusätzlich 4 Mit Ausnahme von Sprachverstehen produktiv, vgl. die vollständige Ladungsmatrix in Kammermeyer, Roux und Stuck (2008 b) 5 Im Bereich Sprachverstehen wurde die Aufgabe Anweisungen geben aufgrund ihrer Nominalskalierung nicht in die Berechnung aufgenommen. Verfahren zur Einschätzung des Sprachförderbedarfs 7 das sozial-emotionale Verhalten des Kindes auf einer vierstufigen Ratingskala (1 = „trifft nicht zu“ bis 4 = „trifft voll zu“) im Anschluss an die Durchführung von den durchführenden Pädagoginnen gemeinsam eingeschätzt. Es handelt sich um die Items: „Das Kind ist am Anfang ängstlich“, „… ist durchgehend ängstlich“, „… ist interessiert“, „… zeigt Freude am Sprechen“, „… wirkt entspannt“ sowie „… geht auf seine Gesprächspartnerin ein“. Außerdem wurde über eine Gesamteinschätzung erfasst, ob das Kind „(…) seine sprachlichen Fähigkeiten entfaltet“ hat. Die Befunde zeigen, dass die Kinder im Durchschnitt weder am Anfang (M = 1.94; SD = 1.06) noch während der Erhebung sehr ängstlich waren (M = 1.67; SD = 1.04). Stattdessen zeigten sie sich interessiert (M = 3.09; SD = .95) und hatten Freude am Sprechen (M = 2.89; SD = .96), außerdem wirkten sie entspannt (M = 2.85; SD = .92) und gingen auf ihre Gesprächspartnerin ein (M = 3.1; SD = .94). Hinsichtlich der sozial-emotionalen Aspekte zeigten sich statistisch signifikante Unterschiede bezüglich Kindergartenstatus: Kinder mit Kindergartenbesuch waren anfänglich weniger ängstlich (F = 23.9; p < .01; w 2 = .03) und auch durchgehend weniger ängstlich (F = 11.75; p < .01; w 2 = .01) im Vergleich zu Kindern ohne Kindergartenbesuch. Außerdem zeigten sie mehr Freude am Sprechen (F = 18.41; p < .01; w 2 = .02), wirkten entspannter (F = 19.45; p < .01; w 2 = .02) und gingen eher auf ihre Gesprächspartnerin ein (F = 11.97; p < .01; w 2 = .01). In Betrachtung der Familiensprache ergab sich, dass Kinder mit nur Deutsch als Familiensprache im Vergleich mit Kindern mit Deutsch plus einer anderen Familiensprache bzw. Kinder ohne Deutsch eher Freude am Sprechen zeigten (F = 3.96; p < .05; w 2 = .01), entspannter wirkten (F = 8.92; p < .01; w 2 = .02) und eher auf ihre Gesprächspartnerin eingingen (F = 4.45; p < .05; w 2 = .01). Insbesondere bei Kindern ohne Deutsch, die aber in den Sprachbereichen hohe Werte erzielten, zeigten sich darüber hinaus in nennenswertem Ausmaß Zusammenhänge mit ihrer Freude am Sprechen (r = .32 - .41) sowie Interesse (r = .28 - .49). Nach Einschätzung der Pädagoginnen entfalteten die meisten Kinder während der Durchführung von VER-ES ihre sprachlichen Fähigkeiten (M = 3; SD = .94), dies galt ebenfalls eher für Kinder im Kindergarten (F = 11.06; p < .01; w 2 = .01). Keine Unterschiede ließen sich hier bezüglich der Familiensprachen finden. Die Schätzung der Effektgrößen ( w 2 ) ergab jedoch insgesamt, dass die berichteten statistischen Unterschiede in fast allen Fällen keine praktische Relevanz besitzen und demzufolge nicht interpretiert werden. 6 Wie schwierig und trennscharf sind die Items? 7 Die Betrachtung der Einzelaufgaben zeigte, dass die Schwierigkeitsgrade mit Blick auf den geforderten Wert von .2 ≤ p ≤ .8 besonders in Bezug auf die Teilstichproben „mit Kiga“ bzw. „nur Deutsch“ am oberen Rand liegen. Für alle Teilstichproben liegen die Schwierigkeitsgrade bei Sätze nachsprechen (.14 - .68) und Phonologische Bewusstheit (.51 - .81) im akzeptablen Bereich. Die Aufgabe Sätze nachsprechen war aber für Kinder ohne die Familiensprache Deutsch zu schwer (.14). Die Aufgaben Nomen (.81 - .93) sowie Anweisungen ausführen (.79 - .98) waren für alle Teilstichproben mit Ausnahme von „ohne Deutsch“ (.7 bzw. .68) zu leicht. Dagegen liegen die Trennschärfekoeffizienten bis auf zwei Ausnahmen (Anweisungen ausführen und Phantasiewörter) im akzeptablen Bereich (p ≥ .2)(vgl. Tab. 2). Erfüllt VER-ES die Anforderungen an die Gütekriterien? (vgl. Tab. 2) Die Analyse der Objektivität ergab, dass bemerkenswerter Weise Werte zwischen r = .68 - .99 erreicht wurden, obwohl das Verfahren von diagnostisch nicht ausgebildeten Personen ohne spezielle Schulung durchgeführt wurde. Sogar 6 Nach Wolf (2006) sind w 2 -Werte erst ab .03 interpretationswürdig. 7 Sämtliche Itemanalysen wurden getrennt nach Gesamt- und Teilstichproben durchgeführt. 8 Susanna Roux et al. im Bereich Kommunikationsverhalten, in dem der Spielraum der Interpretation durch die Einschätzung auf einer vierstufigen Ratingskala deutlich höher ist, wurden noch ausreichende Werte (zwischen r = .59 - .71) erreicht. Die ermittelten Gesamtwerte zur Reliabilität sind in den Bereichen Sätze nachsprechen ( a = .82), Phonologische Bewusstheit ( a = .77) und Kommunikationsverhalten ( a = .75 - .86) akzeptabel. In den Bereichen Nomen ( a = .62), Anweisungen ausführen ( a = .46) und Phantasiewörter ( a = .58) liegen sie aber deutlich unter dem geforderten Wert von .8 für einen guten Test. Dies ist einerseits damit zu erklären, dass nur sehr wenige Items in die Analyse einfließen (vgl. Nomen, Anweisungen ausführen), andererseits weisen auch die Referenzverfahren (vgl. „Phantasiewörter“; Grimm, 2003) keine ausreichenden Reliabilitätskennwerte auf. Mit Blick auf die Validität ergab die Interkorrelation der Sprachbereiche des Screenings erwartbar überwiegend mittlere Korrelationskoeffizienten bei großer Streuung der Koeffizienten (vgl. Tab. 3). Verteilungen M (SD) Itemanalyse Objektivität Reliabilität Konvergente Validität Schwierigkeitsgrad Trennschärfe r Cronbachs a r Wortschatz (Verben) 7.53 (1.2) .62 -.84 - .97 - .38 (AWST-R: Verben) Wortschatz (Nomen) 11.21 (1.78) .70 -.93 .3 -.54 .86 .56 -.68** .62*** .35 (AWST-R: Nomen) Sprachverstehen rezeptiv (Anweisungen ausführen) 3.7 (.63) .68 -.98 .11 -.44 .92 .44 -.51 .46 - Sprachverstehen produktiv (Anweisungen geben) 79.6 %* .62 -.84 - .68 - - Sprachverarbeitung (Phantasiewörter) 3.96 (1.14) .52 -.93 .13 -.57 .85 .54 -.68 .58 .72 (SSV: PGN) Sprachverarbeitung (Sätze nachsprechen) 28.33 (7.15) .14 -.68 .53 -.73 .97 .77 -.84 .82 .88 (SSV: SG) Phonologische Bewusstheit 4.39 (1.63) .51 -.81 .35 -.61 .99 .73 -.79 .77 .55 (PB-LRS: Reimerkennung) Dialogisches Kommunikationsverhalten 3.17 (.71) 2.5 -3.6 .35 -.72 .71 .74 -.82 .81 - Nonverbales Kommunikationsverhalten 2.93 (.79) 2.3 -3.2 .31 -.69 .59 .70 -.76 .75 - Paralinguistisches Kommunikationsverhalten 3.01 (.8) 2.2 -3.3 .48 -.77 .67 .75 -.84 .80 - Motivationales Kommunikationsverhalten 3.09 (.78) 2.7 -3.5 .64 -.75 .69 .86 -.87 .86 - Tabelle 2: Zusammenfassung Gütekriterien (Gesamtstichprobe) * dichotome Variable (Angabe in Prozent: Aufgabe gelöst) ** Spanne von Cronbachs alpha in den verschiedenen Teilstichproben *** Cronbachs alpha der Gesamtstichprobe Verfahren zur Einschätzung des Sprachförderbedarfs 9 Auch die Validitätskoeffizienten bezüglich der Außenkriterien sind überwiegend akzeptabel (vgl. Tab. 2). Eine Ausnahme stellt der Bereich Wortschatz dar. Die geringe Korrelation der Teilaufgaben des Wortschatzes mit dem Außenkriterium AWST-R ist jedoch nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass es beim AWST-R um die Reproduktion von Nomen bzw. Verben anhand einer Vorlage geht, während im Screening der aktive Wortschatz über freies Aufzählen herausgefordert wurde. Aus untersuchungstechnischen Gründen liegen keine Informationen zur Validität des Sprachverstehens und des Kommunikationsverhaltens vor. In der Prüfung der Konstruktvalidität wurde eine fünffaktorielle Lösung favorisiert (48.8 % Varianzaufklärung). Der erste Faktor erklärt 17.5 %, der zweite 9.5 %, der dritte 8.5 %, der vierte 6.9 % und der fünfte 6.4 % der Gesamtvarianz. Im ersten, bedeutsamsten Faktor sind alle Items des Kommunikationsverhaltens (z. B.: „möchte sich mitteilen“) 8 enthalten. Im zweiten Faktor laden besonders die Items aus den Bereichen Wortschatz (z. B.: „Kleidungsstücke aufzählen“) und Anweisungen ausführen (z. B.: „Lege das Papier unter die Schokolade“), wobei dem Wortschatz etwas mehr Bedeutung zukommt. Im dritten Faktor laden alle Items aus der Phonologischen Bewusstheit (z. B.: „Bäcker, Stecker, Stock, Wecker“). Die Items der Sprachverarbeitung teilen sich in zwei Faktoren auf: Phantasiewörter (z. B.: „Belurkanis“) im vierten und Sätze nachsprechen (z. B.: „Tina schließt schnell das Fenster, weil sie friert“) im fünften Faktor. Demnach kann abgeleitet werden, dass die Sprachbereiche über die Faktorenanalyse weitgehend repräsentiert werden. Eine Überprüfung der prognostischen Validität fand bisher noch nicht statt. Sie wird allerdings derzeit in kaum einem Test oder Screening erfüllt (u. a. Roos & Schöler, 2007, S. 544). Wurden die kritischen Werte angemessen gesetzt? Abbildung 3 stellt zusammenfassend das Erreichen der Mindestanforderungen (kritische Werte) in der Teilstichprobe „mit Kiga“ dar. Zudem werden die Werte für Kinder „ohne Kiga“ aufgeführt. Es zeigt sich, dass die Setzung des kritischen Wertes in beiden Aufgaben des Wortschatzes besonders gut gelungen ist, hier erzielten ca. 75 % der Kinder im Kindergarten diesen Wert. In den Bereichen Anweisungen geben und Kommunikationsverhalten erreichten etwas über 75 %, bei den Aufgaben zu Phantasiewörtern und zur Phonologischen Bewusstheit etwas weniger als 75 % der Kindergartenkinder den kritischen Wert. Dass die Aufgabe „Anweisungen ausführen“ von den meisten Kindern erfolgreich bewältigt wurde, deuteten bereits die Erfahrungen aus der Erprobungsfassung an. Sie wurde dennoch aus verfahrenstechnischen Gründen (s. o. „Reißverschlussverfahren“) bei- Nomen Anweisungen ausführen Phantasiewörter Sätze nachsprechen Phonologische Bewusstheit Kommunikationsverhalten Verben .48 .36 .18 .36 .22 .35 Nomen - .37 .23 .49 .30 .42 Anweisungen ausführen - .23 .42 .32 .36 Phantasiewörter - .44 .27 .28 Sätze nachsprechen - .42 .50 Phonologische Bewusstheit - .42 Tabelle 3: Interne Korrelation 8 In Klammer Beispiele zu den Hauptankervariablen. 10 Susanna Roux et al. behalten. In der Aufgabe „Sätze nachsprechen“ liegt der kritische Wert für die Referenzstichprobe eindeutig zu niedrig, obwohl der ermittelte Schwierigkeitsgrad in dieser Aufgabe angemessen ist. Bezüglich des Kindergartenstatus fanden sich für alle Sprachbereiche signifikante Unterschiede (mit Ausnahme von „Nomen“ und „Anweisungen ausführen“) 9 : Verben (chi 2 = 4.01; p < .05; w 2 = .003), Anweisungen geben (chi 2 = 17.06; p < .01; w 2 = .02), Phantasiewörter (chi 2 = 4.41; p < .05; w 2 = .004), Phonologische Bewusstheit (chi 2 = 17.91; p < .01; w 2 = .02) und Kommunikationsverhalten (chi 2 = 10.14; p < .01; w 2 = .01). Hier ergab aber die Schätzung der Effektgrößen, dass die ermittelten statistischen Unterschiede in allen Fällen keine praktische Relevanz besitzen. Welche Bedeutung haben Kindergartenstatus und Familiensprache? Statistisch signifikante Interaktionen lassen sich nur im Bereich Wortschatz nachweisen. Kinder ohne Kindergartenbesuch sowie Kinder mit Deutsch plus einer sonstigen Familiensprache bzw. Kinder ohne Deutsch erzielten im Wortschatz niedrigere Werte als Kinder mit Kindergartenbesuch bzw. mit nur Deutsch als Familiensprache (Verben: F = 5.11; p < .01; w 2 = .01; Nomen: F = 3.67; p < .05; w 2 = .003). Dies besagt, dass im Bereich Wortschatz das Ergebnis in VER-ES gleichzeitig beeinflusst wird von Kindergartenstatus und Familiensprache. Allerdings weist auch hier die Schätzung der Effektgrößen darauf hin, dass die ermittelten statistischen Unterschiede keine praktische Relevanz besitzen. In welchen Sprachbereichen lässt sich spezifischer Sprachförderbedarf Fünfjähriger identifizieren? Es konnten vier Cluster identifiziert werden (vgl. Abb. 4): Im ersten, größten Cluster finden sich diejenigen Kinder, die in allen Bereichen leicht überdurchschnittliche Werte aufweisen und bei denen offenbar in keinem der fünf Sprachbereiche ein spezifischer Sprachförderbedarf vorliegt (n = 414; 50.6 %). 9 Es liegen für diese Analyse nominale Daten zugrunde („Mindestanforderung erreicht“ bzw. „Mindestanforderung nicht erreicht“). Abbildung 3: Erreichung der Mindestanforderungen Verfahren zur Einschätzung des Sprachförderbedarfs 11 Im zweiten befinden sich Kinder, die aufgrund niedriger Werte in der Phonologischen Bewusstheit einen Förderbedarf haben (n = 240; 29.3 %). Die Kinder im dritten Cluster erzielten unterdurchschnittliche Werte im rezeptiven Sprachverstehen (Anweisungen ausführen) (n = 126; 15.4 %). Im vierten Cluster sind die Kinder zusammengefasst, die in allen Bereichen unterdurchschnittliche Werte erzielten (n = 38; 4.6 %). Erwartungsgemäß befindet sich die Mehrzahl der Kinder aller Teilstichproben (mit Ausnahme von Familiensprache „ohne Deutsch“) im ersten Cluster, in dem kein Sprachförderbedarf (SFB) vorliegt (vgl. Tab. 4). Am größten unter den Gruppen mit niedrigen Werten in den Teilbereichen ist die Gruppe von Kindern mit Defiziten in Phonologischer Bewusstheit (Cluster 2). Dies ist deswegen beachtlich, da diese Kinder im (pädagogischen) Abbildung 4: Sprachbereiche Clusteranalyse (MW; n = 818) n Kindergartenstatus Familiensprache ohne mit nur Deutsch Deutsch plus Sonstige ohne Deutsch Cluster 1: Kein Sprachförderbedarf (SFB) 414 43.8 % 52.2 % 57.4 % 40.5 % 26.4 % Cluster 2: SFB Phonologische Bewusstheit 240 32.0 % 28.7 % 29.0 % 35.7 % 24.5 % Cluster 3: SFB Sprachverstehen 126 14.4 % 15.6 % 10.8 % 19 % 35.8 % Cluster 4: SFB in allen Sprachbereichen 38 9.8 % 3.5 % 2.8 % 4.8 % 13.2 % Tabelle 4: Verteilung der Stichproben auf die Cluster 12 Susanna Roux et al. Alltag nicht über eine bloße Beobachtung durch die Erzieherin oder Mutter identifiziert werden können. Lediglich in der Teilstichprobe „ohne Deutsch“ befinden sich die meisten Kinder (36 %) in Cluster 3 (Förderbedarf im Bereich des rezeptiven Sprachverstehens: Anweisungen ausführen). Dass Kinder ohne Familiensprache Deutsch hier den in ihrer Gruppe größten Förderbedarf zeigen, ist plausibel, da bei ihnen am ehesten Sprachverständnisprobleme im Deutschen erwartet werden können. Das Sprachverstehen ist ein erster Meilenstein im Spracherwerbsprozess und wird daher besser von der Mehrzahl der Kinder in den anderen Teilstichproben repräsentiert. Die wenigen Kinder im vierten Cluster erzielten in allen Sprachförderbereichen unterdurchschnittliche Werte und werden deswegen als Risikokinder bezeichnet. Hier sind Kinder ohne Kindergartenbesuch, insbesondere aber Kinder ohne Deutsch als Familiensprache etwas stärker repräsentiert. Diskussion und Ausblick Vor dem Hintergrund der Ergebnisse stellt sich die Frage, ob VER-ES den genannten Zielen gerecht wird. Mit Blick auf die Frage nach Kindgemäßheit und Praxisnähe kann zunächst positiv hervorgehoben werden, dass die Anwendung des Verfahrens durch Praktikerinnen auf positive Resonanz stößt, was ein wichtiges Nebengütekriterium darstellt (Kammermeyer, Roux & Stuck, 2007 a). Außerdem ermöglicht es bei den Kindern eine angstfreie Erhebungssituation, was für die Datenqualität sowie die Durchführung des Verfahrens notwendig ist. VER-ES entspricht zudem im Großen und Ganzen den methodischen Anforderungen: Hervorzuheben ist besonders die Beurteilerübereinstimmung. Dies ist in Anbetracht der Tatsache, dass das Verfahren von Praktikern ohne diagnostische Ausbildung bei ausschließlicher Nutzung des Manuals durchgeführt wurde, beachtlich. Erwartbar ist ferner, dass bei einem Screening, das Mindestanforderungen im Deutschen erfasst, die Schwierigkeitskennwerte eher am oberen Rand liegen. Im Bereich Wortschatz sind die Aufgaben jedoch zu leicht. Sinnvoll wäre hier ggf. die Erweiterung der Aufgaben durch die Hinzunahme von Adjektiven (neben Verben und Nomen). Die niedrigen Schwierigkeitsindizes bei „Anweisungen ausführen“ werden in Kauf genommen, da diese Aufgabe durch das verwendete „Reißverschlussverfahren“ für die kindgemäße Durchführung als wichtig angesehen wird und besonders Sprachförderbedarfcluster 3 und 4 markiert. Die Trennschärfekoeffizienten sind überwiegend akzeptabel. Die geringe Skalenreliabilität in einigen Aufgaben (z.B. Nomen, Phantasiewörter) wird in erster Linie auf die geringe Anzahl der Items zurückgeführt. Eine Erhöhung der Anzahl und damit eine Verlängerung des Verfahrens sind jedoch nicht ohne Weiteres möglich, wenn gleichzeitig der Anspruch auf Kindgemäßheit aufrechterhalten werden soll. Zusätzlich ist anzunehmen, dass die Varianzeinschränkung durch die verzerrte Stichprobe und der geringe Schwierigkeitsgrad dieser Aufgaben zu diesen geringeren Reliabilitätswerten geführt haben können. Erwartungsgemäß ergab die Prüfung der internen Validität mittlere Zusammenhänge, die Prüfung der externen Validität hohe Zusammenhänge mit Referenzverfahren (Phantasiewörter, Sätze nachsprechen, Phonologische Bewusstheit). Allerdings stehen Vergleiche in den Bereichen Sprachverstehen und Kommunikationsverhalten noch aus. Die geringeren Zusammenhänge zwischen Screening und Außenkriterium im Wortschatz werden mit der abweichenden Aufgabenstellung der verwendeten Verfahren erklärt. Dass sich die Sprachbereiche über die Faktorenanalyse weitgehend empirisch abbilden lassen, kann als Hinweis für die inhaltliche Validität gedeutet werden. Die aufgrund theoretischer Überlegungen an der Referenzstichprobe „mit Kiga“ gesetzten Mindestanforderungen spiegeln in den untersuchten Gruppen jedoch nicht für alle Sprachbereiche die 25 % Grenze der Kindleistungen. Der kritische Wert sollte für Sätze nachsprechen zukünftig angehoben werden, einem Bereich, der ansonsten die Anforderungen an die Schwierigkeitsgrade gut erfüllt. Verfahren zur Einschätzung des Sprachförderbedarfs 13 Zur Frage, welche Bedeutung Kindergartenstatus und Familiensprache haben, zeigte sich, dass es nur im Bereich Wortschatz Wechselwirkungen gibt. Mit Hilfe des vorliegenden Screenings konnten vier Sprachförderbedarfsgruppen identifiziert werden. Dass Kinder mit Sprachförderbedarf in Phonologischer Bewusstheit als größte Gruppe erschienen, bestätigt den aktuellen Schwerpunkt elementarpädagogischer Förderbemühungen in diesem Bereich. Bei der Bewertung der empirischen Ergebnisse muss berücksichtigt werden, dass in der Teilstichprobe „ohne Kiga“ die angestrebte Vollerhebung nicht realisiert werden konnte, was möglicherweise zu den bereits benannten Verzerrungen geführt hat. Hinzu kommt, dass die Teilstichprobe „mit Kiga“ nicht repräsentativ ist. Hinweise auf mögliche Verzerrungen gibt es jedoch in dieser vergleichsweise großen Stichprobe, die aus allen Teilen aus Rheinland- Pfalz stammt, nicht. Auch liegen aus untersuchungstechnischen Gründen keine zusätzlichen Informationen zu den Kindern (z. B. Sozioökonomischer Status, Intelligenz) vor. Damit sich VER-ES zukünftig als sprachdiagnostisches Screening etablieren kann, ist eine Überprüfung an einer repräsentativen Stichprobe nötig, die neben der Kontrolle der kritischen Werte insbesondere Analysen zur prognostischen Validität ermöglicht. Literatur Adams, C. (2002). Practioner review: The assessment of language pragmatics. 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