Psychologie in Erziehung und Unterricht
3
0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2011.art01d
11
2011
581
Kognitiv-sprachliche Kompetenzen im Kindergartenalter: Sind vorzeitig eingeschulte Kinder wirklich kompetenter?
11
2011
Susanne Ebert
Jutta von Maurice
Katharina Kluczniok
Studien zur vorzeitigen Einschulung erfassen den Einschulungszeitpunkt gewöhnlich retrospektiv. Demgegenüber wird in der vorliegenden Untersuchung der Frage nachgegangen, ob bereits vor dem Zeitpunkt der Einschulung Unterschiede in der Kompetenz von vorzeitig gegenüber nicht vorzeitig eingeschulten Kindern bestehen. Unter Rückgriff auf Daten der Längsschnittstudie BiKS-3-8 werden vorzeitig eingeschulte Kinder mit einer nach Geschlecht, Alter und Sozialstatus parallelisierten Stichprobe zu zwei Messzeitpunkten während der Kinder-gartenzeit verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass vorzeitig eingeschulte Kinder von ihren Erzieher/innen bereits zwei Jahre vor ihrer Einschulung in einigen Kompetenzbereichen als kompetenter eingestuft werden, während sich in den objektiv erfassten kognitiven und sprachlichen Kompetenzen weder zwei Jahre noch ein Jahr vor der Einschulung Unterschiede nachweisen lassen. Dabei korreliert die Kompetenzwahrnehmung durch die Erzieher/innen nur mäßig mit der objektiven Kompetenzmessung. Die Ergebnisse werden mit Blick auf die Bedeutsamkeit kindlicher Kompetenzen für die Einschulungsentscheidung diskutiert.
3_058_2011_1_0002
n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2011, 58, 15 - 29 DOI 10.2378/ peu2011.art01d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Kognitiv-sprachliche Kompetenzen im Kindergartenalter: Sind vorzeitig eingeschulte Kinder wirklich kompetenter? Susanne Ebert, Jutta von Maurice, Katharina Kluczniok Otto-Friedrich-Universität Bamberg Verbal and Cognitive Competencies in Preschool Age: Are Early-Enrolled Children Really More Competent? Summary: Studies usually investigate the early admission to school in a retrospective manner. In contrast our study analyzes whether competencies of early enrolled children differ from competencies of not early enrolled children during preschool age. Using data of the longitudinal study BiKS- 3-8 early enrolled children are matched to a group of not early enrolled children according to sex, age, and social status. Cognitive and language competencies are assessed at two measurement points during preschool attendance. The results show that two years before school enrollment preschool teachers rate early enrolled children significantly higher on some competence domains. In contrast no significant differences were found in the objective competencies at the two measurement points. Thereby the competence ratings of the preschool teachers are only moderately correlated with the objective competence measures. The results are discussed considering the role of children’s competencies for enrollment decisions. Keywords: School enrollment, preschool students, cognitive development, language development Zusammenfassung: Studien zur vorzeitigen Einschulung erfassen den Einschulungszeitpunkt gewöhnlich retrospektiv. Demgegenüber wird in der vorliegenden Untersuchung der Frage nachgegangen, ob bereits vor dem Zeitpunkt der Einschulung Unterschiede in der Kompetenz von vorzeitig gegenüber nicht vorzeitig eingeschulten Kindern bestehen. Unter Rückgriff auf Daten der Längsschnittstudie BiKS-3-8 werden vorzeitig eingeschulte Kinder mit einer nach Geschlecht, Alter und Sozialstatus parallelisierten Stichprobe zu zwei Messzeitpunkten während der Kindergartenzeit verglichen. Die Ergebnisse zeigen, dass vorzeitig eingeschulte Kinder von ihren Erzieher/ innen bereits zwei Jahre vor ihrer Einschulung in einigen Kompetenzbereichen als kompetenter eingestuft werden, während sich in den objektiv erfassten kognitiven und sprachlichen Kompetenzen weder zwei Jahre noch ein Jahr vor der Einschulung Unterschiede nachweisen lassen. Dabei korreliert die Kompetenzwahrnehmung durch die Erzieher/ innen nur mäßig mit der objektiven Kompetenzmessung. Die Ergebnisse werden mit Blick auf die Bedeutsamkeit kindlicher Kompetenzen für die Einschulungsentscheidung diskutiert. Schlüsselbegriffe: Einschulung, Kindergartenkinder, kognitive Entwicklung, Sprachentwicklung Einleitung Das schlechte Abschneiden deutscher Schüler/ innen bei internationalen Vergleichsstudien wie IGLU und PISA sowie das im internationalen Vergleich relativ hohe Einschulungsalter in Deutschland haben Überlegungen hinsichtlich einer Vorverlegung des Einschulungszeitpunktes nach der Bildungsreform in den 1970er Jahren (vgl. hierzu Fried, Roßbach, Tietze & Wolf, 1992) erneut in den Vordergrund der bildungspolitischen Diskussion gerückt. Ansatzpunkte für diese Diskussion erwartet man aus Studien, die sich empirisch mit dem schu- 16 Susanne Ebert et al. lischen Erfolg vorzeitig eingeschulter Kinder beschäftigen. Die Befundlage zu der Frage, ob vorzeitig eingeschulte Kinder von der frühen Einschulung profitieren, ist jedoch alles andere als eindeutig. Da diese Studien meist erst in der Schulzeit ansetzen, kann darüber hinaus nicht geklärt werden, ob Unterschiede in den Kompetenzen zwischen vorzeitig und nicht vorzeitig eingeschulten Kindern Folge der vorzeitigen Einschulung sind oder bereits ihrerseits zu der Entscheidung für eine vorzeitige Einschulung beigetragen haben. Forschungsstand Ein Blick auf den derzeitigen Forschungsstand zeigt, dass insgesamt wenig aktuelle Untersuchungen zur vorzeitigen Einschulung vorliegen, wobei sich die Studien weitgehend mit dem Schulerfolg (operationalisiert durch Schulleistungen und Klassenwiederholungen) vorzeitig eingeschulter Kinder beschäftigen. Tietze (1973) kommt in einer Fragebogenstudie mit 232 Schüler/ innen aus ersten und zweiten Klassen (davon 38 vorzeitig eingeschulte Kinder) in Nordrhein-Westfalen zu dem Ergebnis, dass die Schulleistung der vorzeitig eingeschulten Kinder von den Lehrer/ innen als besser beurteilt wird als die der fristgerecht Eingeschulten. Dabei stammten die vorzeitig Eingeschulten allerdings auch vermehrt aus höheren sozialen Schichten. Tietze (1973) untersuchte weitere schulrelevante Merkmale der beiden Schülergruppen im Urteil der Klassenlehrer/ innen. Die vorzeitig eingeschulten Kinder wurden von den Lehrkräften in fast allen Eigenschaften besser eingeschätzt als die fristgerecht Eingeschulten: Sie wurden als begabter, fantasiereicher, interessierbarer und sprachlich gewandter beschrieben. Auch im sozialen Kontakt nahmen die Lehrer/ innen die Umgangsformen der Vorzeitigen als angenehmer wahr als jene der anderen Schülergruppe. In der Fortführung dieser Studie wurde von Tietze (1978) der globale Schulerfolg vorzeitig und fristgerecht eingeschulter Kinder am Ende der Grundschule unter dem Aspekt des Schulversagens (Klassenwiederholung) und der Eignung für höhere Schulen analysiert. Während in der Häufigkeit des Schulversagens keine bedeutsamen Unterschiede zwischen beiden Einschulungsgruppen festgestellt werden konnten, waren nach dem Urteil der Grundschullehrkräfte signifikant mehr vorzeitig eingeschulte Kinder für den Besuch einer höheren Schulform geeignet (Tietze, 1978). Ebenfalls retrospektiv untersuchten Lehmann, Peek und Gänsfuß (1997) an einer Hamburger Stichprobe von 11.134 Fünftklässler/ innen neben anderen Aspekten auch die Bedeutung der vorzeitigen Einschulung und des Wiederholens einer Grundschulklasse für die Leistung der Kinder. Die drei Gruppen der vorzeitig, fristgerecht und verspätet eingeschulten Kinder wurden hinsichtlich ihrer Ergebnisse im Testverfahren „Hamburger Kombinierter Schulleistungstest für vierte und fünfte Klassen - KS HAM 4/ 5“ 1 von Mietzel und Willenberg (1996) verglichen. Die vorzeitig eingeschulten Kinder (4.2 %) waren am Ende der Grundschulzeit überdurchschnittlich leistungsstark. Ihr Mittelwert bei den Testergebnissen des KS HAM 4/ 5 lag mit 74.4 Punkten deutlich über dem allgemeinen Mittelwert von 68.6 Punkten. Die fristgerecht eingeschulten Kinder (84.5 %) erreichten einen Mittelwert von 69.4 Punkten, was erwartungsgemäß in etwa dem allgemeinen Mittelwert entsprach. Demgegenüber zeigt ein Blick auf Klassenwiederholungen, dass von der Gruppe der Vorzeitigen 13.1 % in der Grundschule ein Schuljahr, 2.2 % sogar zwei Schuljahre wiederholen mussten. Im Vergleich dazu traf dies nur bei 7.0 % bzw. 0.2 % der fristgerecht eingeschulten Kinder und bei 6.0 % bzw. 0.0 % der verspätet eingeschulten Kinder zu. Allerdings kann ein solcher Befund nur bedingt als Indikator für schlechtere Schulleistungen vorzeitig einge- 1 Der KS HAM 4/ 5 ermöglicht die Bestimmung des Sprach- und Leseverständnisses, des passiven Rechtschreibwissens, der Fähigkeit der Informationsentnahme aus Karten/ Diagrammen/ Tabellen sowie des Grades der Beherrschung mathematischer Operationen. Kognitiv-sprachliche Kompetenzen im Kindergartenalter 17 schulter Kinder herangezogen werden, wurde doch den vorzeitig eingeschulten und damit deutlich jüngeren Kindern vermutlich eine Klassenwiederholung eher empfohlen als den älteren Klassenkameraden/ innen. Lehmann et al. (1997) sehen entsprechend in ihren Ergebnissen „insgesamt kein[en] Hinweis auf Nachteile der Praxis einer vorzeitigen Einschulung (…), insbesondere dann nicht, wenn man die Möglichkeit einer späteren Korrektur in die Überlegungen einbezieht“ (S. 77). Auch Bellenberg (1999) kommt zu dem Ergebnis, dass die vorzeitig Eingeschulten ein höheres Risiko haben, das eingesparte Jahr durch eine Klassenwiederholung doch noch zu verlieren. In dieser Studie wurden die Schulkarrieren von insgesamt 2.400 Schüler/ innen der Klassenstufen 10 und 13 aus Gymnasien und Gesamtschulen sowie aus Abschlussklassen von Real-, Haupt- und Sonderschulen in Nordrhein-Westfalen vom Schuleintritt bis zum Verlassen der Schule untersucht. Die Schüler/ innen wurden dabei über Klassenwiederholungen und den angestrebten Schulabschluss am Ende der 10. bzw. 13. Jahrgangsstufe befragt und im Hinblick auf den retrospektiv erfassten Einschulungszeitpunkt (vorzeitig, fristgerecht und verspätet eingeschult) verglichen. Die Repetentenwahrscheinlichkeit der Zehntklässler/ innen betrug für die vorzeitig Eingeschulten 28 %, für die fristgerecht Eingeschulten 18 % und für die verspätet Eingeschulten 20 %. Allerdings erreichten die vorzeitig eingeschulten Schüler/ innen bei mehreren möglichen Schulabschlüssen in ihrer späteren Schullaufbahn den jeweils höheren (zu ähnlichen Ergebnissen für den Kanton Zürich vgl. Moser, Keller & Tresch, 2002). Eine Untersuchung von Puhani und Weber (2005), die sich nicht unmittelbar mit vorzeitig eingeschulten Kindern beschäftigt, zeigt auf, dass sich ein höheres Einschulungsalter signifikant positiv auf den späteren schulischen Erfolg auswirkt (vgl. auch Fredriksson & Öckert, 2005, für Schweden sowie Strøm, 2004, für Norwegen). Als Grundlage der Analysen dienten zum einen die IGLU-Daten von 6.591 Kindern aus dem Jahr 2001, zum anderen administrative Daten der Hessischen Landesstatistik zum Schulbesuch in den weiterführenden Schulen aus dem Schuljahr 2004/ 2005. Das methodische Vorgehen nutzte die exogene Variation des Geburtsmonats und den aufgrund der Stichtagsregelung bestehenden Zusammenhang zwischen Geburtsmonat und Einschulungsalter. Diese Studie wird häufig als Beleg für die negativen Folgen einer vorzeitigen Einschulung herangezogen (z. B. Dollase, 2007; Hagemeister, 2007; Jacobs & Meckel, 2007). Unberücksichtigt bleibt dabei allerdings, dass sich die genannte Studie nicht gezielt mit einer Gruppe vorzeitig eingeschulter Schüler/ innen auseinandersetzt. Damit gilt der dargestellte Befund für die fristgerecht eingeschulten relativ jüngeren Schüler/ innen und somit nicht spezifisch für die vorzeitig Eingeschulten (vgl. Kritik von Faust, 2006). Insgesamt zeigt sich „kein einheitliches und eindeutiges Bild“ in der Forschungslandschaft zur vorzeitigen Einschulung (Bellenberg, 1999, S. 33). Deutlich wird aber, dass sich vorzeitig eingeschulte Kinder in maßgeblichen Variablen von nicht vorzeitig eingeschulten Kindern unterscheiden: Zum einen scheint es sich vermehrt um Mädchen (Tietze, 1978, vgl. auch Tabelle 1), vermehrt um Kinder aus bildungsnahen Familien (Tietze, 1973) und vermehrt um Kinder, die kurz nach dem Einschulungsstichtag geboren sind (Jürges & Schneider, 2006), zu handeln. Zum anderen weisen die Studien darauf hin, dass vorzeitig eingeschulte Kinder bessere Schulleistungen zeigen (Lehmann et al., 1997), höhere Schulabschlüsse erreichen (Bellenberg, 1999) und von ihren Lehrkräften als sozial sowie kognitiv kompetenter bewertet werden (Tietze, 1973), obschon sie zugleich eine höhere Repetentenwahrscheinlichkeit haben (Bellenberg, 1999; Lehmann et al., 1997). Da die in der einschlägigen Literatur beschriebenen Untersuchungen die Kinder zumeist erst deutlich nach Schuleintritt in die Erhebungen aufnehmen, den Einschulungszeitpunkt nur retrospektiv erfassen und damit nicht mehr objektiv und valide auf einen früheren Kompetenzstand der Kinder zurückgreifen kön- 18 Susanne Ebert et al. nen, bleibt die Aussagekraft dieser Befunde unbefriedigend: Sind die Unterschiede, die sich bei vorzeitig eingeschulten Kindern gegenüber ihren Klassenkameraden/ innen zeigen, Ursache oder Folge der vorzeitigen Einschulung? Die vorliegende Studie untersucht erstmals prospektiv, inwieweit zwischen vorzeitig eingeschulten und nicht vorzeitig eingeschulten Kindern bereits vor der Einschulung, d. h. während der Kindergartenzeit, Kompetenzunterschiede beobachtbar sind. Nur auf Basis solcher Befunde sind die in der Literatur dargestellten Befunde zum schulischen Erfolg vorzeitig eingeschulter Kinder überhaupt angemessen zu bewerten. Im Spezifischen werden dabei folgende Fragen untersucht: 1) Zeigen sich in den subjektiven Einschätzungen der kognitiv-sprachlichen Entwicklung aus Sicht der Erzieher/ innen bereits vor dem Eintritt in die Schule Unterschiede zwischen vorzeitig eingeschulten und nicht vorzeitig eingeschulten Kindern? 2) Sind zwischen vorzeitig eingeschulten und nicht vorzeitig eingeschulten Kindern bereits vor der Einschulung Unterschiede in den objektiven kognitiven und sprachlichen Kompetenzen festzustellen? 3) In welcher Beziehung stehen die subjektiven Kompetenzeinschätzungen der Erzieher/ innen und die objektiv gemessenen Kompetenzen der Kinder? Um eine Konfundierung der Einschulungsentscheidung mit potenziellen Drittvariablen zu umgehen, wird für die Analyse der ersten beiden Fragestellungen auf ein Parallelgruppendesign zurückgegriffen. Die Datengrundlage hierfür bildet die Längsschnittstudie BiKS-3-8 2 . Da die teilnehmenden Kinder aus zwei unterschiedlichen Bundesländern mit unterschiedlichen Einschulungsregelungen stammen, sollen im folgenden Abschnitt zur besseren Einordnung der Ergebnisse die gesetzlichen Bestimmungen zur vorzeitigen Einschulung in Deutschland und spezifisch für die beiden relevanten Bundesländer Bayern und Hessen erläutert werden. Rechtliche Bestimmungen zur vorzeitigen Einschulung Die Regelungen zum Einschulungsalter sind - in Einklang mit der föderalen Struktur des deutschen Bildungssystems - in den 16 Bundesländern recht unterschiedlich. Nach grundlegenden rechtlichen Regelungen in den 1960er Jahren hat die Kultusministerkonferenz 1997 in dem Beschluss „Empfehlungen zum Schulanfang“ eine allgemeine Senkung des Einschulungsalters initiiert. Die einzelnen Bundesländer dürfen demnach den Stichtag für die Schulpflicht zwischen dem 30. Juni und 30. September nach eigenem Ermessen festlegen. Die vorzeitige Einschulung ist für Kinder, die nach dem jeweils festgelegten Stichtag das sechste Lebensjahr vollenden, auf Antrag ihrer Erziehungsberechtigten möglich. Bei Vorliegen eines schulpsychologischen Gutachtens können auch Kinder eingeschult werden, die nach dem 31. Dezember geboren sind. Zurückstellungen vom Schulbesuch sind nur noch im Ausnahmefall möglich (vgl. Roßbach, 2001). Zur weiteren Herabsetzung des Schuleintrittsalters werden derzeit die Stichtage für die fristgerechte Einschulung in sechs Bundesländern flexibilisiert (ausführlich Faust, 2006). Man verspricht sich dadurch eine bessere Nutzung der Zeitspanne, in der Kinder nach wissenschaftlichen Erkenntnissen in hohem Maße aufnahme- und lernbereit sind. In Bayern wird seit dem Schuljahr 2005/ 2006 der Stichtag für die Einschulung bis zum Schuljahr 2010/ 2011 in jährlichen Schritten von je einem Monat auf den 31. Dezember verlegt. Nach der Umstellungsphase werden damit in Bayern alle Kinder 2 Die vorliegende Arbeit ist im Rahmen der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten interdisziplinären Forschergruppe BiKS (FOR 543) im entwicklungspsychologischen Teilprojekt 3 (Leitung: Prof. Sabine Weinert) entstanden. Zentrale Fragestellungen zur Früheinschulung werden zudem von dem grundschulpädagogischen Teilprojekt 6 (Leitung: Prof. Gabriele Faust) der Forschergruppe behandelt. Wir danken den an der Studie teilnehmenden Kindern, Erzieher/ innen und Eltern für ihre Teilnahme und allen im Rahmen der Datenerhebungen eingesetzten Studierenden für ihre engagierte Mitarbeit. Kognitiv-sprachliche Kompetenzen im Kindergartenalter 19 schulpflichtig, die in einem Kalenderjahr sechs Jahre alt werden. Allerdings wird über diese Stichtagsverlegung gerade erneut diskutiert. In einer aktuellen Pressemitteilung des Kultusministeriums wird mitgeteilt, dass der Einschulungsstichtag ab dem Schuljahr 2010/ 2011 der 30. September sein wird (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 2009). Seit Beginn der Stichtagsverlegung in Bayern zum Schuljahr 2005/ 2006 sank der vergleichsweise hohe Anteil an vorzeitigen Einschulungen vom Schuljahr 2004/ 2005 von 11.1 % innerhalb eines Jahres auf 7.5 % deutlich ab, was vermutlich darauf zurückzuführen ist, dass ein Teil der Kinder nun bereits zu einem jüngeren Alter schulpflichtig wird (vgl. Tabelle 1). In Hessen blieb der 30. Juni als Stichtag für die fristgerechte Einschulung bestehen. Anders als in Bayern hat sich in Hessen in den letzten Jahren das quantitative Ausmaß der vorzeitigen Einschulungen entsprechend kaum verändert und ist insbesondere dem bundesdeutschen Trend der aktuellen Abnahme von vorzeitigen Einschulungen nicht gefolgt (vgl. Tabelle 1). Dieser bundesdeutsche Trend erklärt sich durch die Stichtagsverlegungen in weiteren Bundesländern. Entsprechend deutet sich auch in den für Gesamtdeutschland vorgestellten Zahlen zur vorzeitigen Einschulung nach der Spitze im Schuljahr 2004/ 2005 mit 9.1 % eine Abnahme an. Generell werden über die betrachteten Schuljahre hinweg durchgängig sowohl in Bayern und Hessen als auch im gesamtdeutschen Durchschnitt mehr Mädchen als Jungen vorzeitig zum Schulbesuch angemeldet (vgl. Tabelle 1). Methode Untersuchungsdesign und Stichprobe Die dargestellte Untersuchung ist Teil der Längsschnittstudie BiKS-3-8, deren wesentliches Ziel es ist, nähere Informationen über die relevanten Entwicklungs- und Bildungsprozesse von Kindern im Kindergarten- und Grundschulalter zu gewinnen. Im Herbst 2005 wurden 97 Kindergärten für eine Teilnahme am Längsschnitt BiKS-3-8 rekrutiert; 60 dieser Einrichtungen befinden sich in Bayern, 37 in Hessen (zur Stichprobe und den Erhebungen vgl. von Maurice et al., 2007). In einem disproportionalen Sampling wurden dabei die Stadt-/ Landverteilung und der Migrantenanteil pro Kindergarten in den städtischen Regionen berücksichtigt. Aus jeder der 97 Einrichtungen wurde eine Kindergartengruppe ausgewählt und daraus jene Kinder in die BiKS-Studie aufgenommen, die im Schuljahr 2008/ 2009 nach ihren Geburtsdaten zur Einschulung anstanden (Geburtsfenster Bayern: 1. 10. 2001 bis 31. 10. 2002; Geburtsfenster Hessen: 1. 7. 2001 bis 30. 6. 2002; zur Stich- Schuljahr 2000/ 2001 2001/ 2002 2002/ 2003 2003/ 2004 2004/ 2005 2005/ 2006 2006/ 2007 Bayern Gesamt Mädchen Jungen 4.3 2.6 1.7 6.5 4.0 2.5 8.1 3.2 4.9 9.0 5.4 3.6 11.1 6.6 4.5 7.5 4.5 3.0 4.7 2.9 1.8 Hessen Gesamt Mädchen Jungen 8.9 5.1 3.8 9.4 5.3 4.1 6.7 4.0 2.7 11.4 6.5 4.9 13.1 7.6 5.5 13.1 7.5 5.6 13.3 7.7 5.6 Deutschland Gesamt Mädchen Jungen 5.0 3.0 2.0 5.8 3.4 2.4 6.6 3.7 2.9 7.8 4.6 3.2 9.1 5.3 3.8 7.8 4.5 3.3 7.1 4.2 2.9 Tabelle 1: Vorzeitige Einschulungen in Bayern, Hessen und Deutschland insgesamt sowie nach Geschlecht in den Schuljahren 2000/ 2001 bis 2006/ 2007 (Angaben in %) Anmerkung: Quelle: Statistisches Bundesamt (2007) und eigene Berechnungen 20 Susanne Ebert et al. probenziehung vgl. auch Kurz, Kratzmann & von Maurice, 2007). Zum ersten Messzeitpunkt befanden sich in der Stichprobe 547 Kinder; davon waren 283 (51.7 %) männlich und 264 (48.3 %) weiblich. Die Kinder waren zum ersten Messzeitpunkt im Durchschnitt 3; 8 Jahre alt (SD = 5.0 Monate). Materialien und Durchführung Zu jedem Erhebungszeitpunkt wurden die Erzieher/ innen des Längsschnitts BiKS-3-8 um eine Einschätzung der von ihnen betreuten Kinder auf einer vierstufigen Skala gebeten. Für die hier behandelte Fragestellung der kognitiven und sprachlichen Kompetenzen vorzeitig eingeschulter Kinder sind folgende Aspekte von Bedeutung: • Sprache (Das Kind kann sich für sein Alter schon sehr gut ausdrücken und verwendet schon vergleichsweise komplizierte Sätze; Das Kind hat für sein Alter einen sehr großen Wortschatz) • Kognitive Fähigkeiten (Das Kind beschäftigt sich ausgesprochen gerne mit Denkaufgaben wie Rätseln oder Knobelspielen; Das Kind kann für sein Alter schon sehr gut logisch denken und alleine Lösungen bei neuartigen Problemen finden) • Schulbezogene Fertigkeiten (Das Kind kann bis 10/ 25 zählen; Das Kind verfügt für sein Alter über ein vergleichsweise großes Sachwissen, z. B. über Natur, Technik, aktuelle Geschehnisse) Darüber hinaus wurden die Erzieher/ innen zu beiden Messzeitpunkten gefragt, welchen Einschulungszeitpunkt sie als geeignet für das jeweilige Kind halten. Dabei konnten sie zwischen „eher früh“, „sobald es schulpflichtig ist“, „eher spät“ und „weiß ich noch nicht“ wählen. Im Herbst 2005 (Messzeitpunkt 1; bei vorzeitiger Einschulung knapp zwei Jahre vor Schuleintritt) wurden alle 547 Kinder in Einzeltestungen einer Ausgangsmessung der sprachlich-kognitiven Kompetenzen unterzogen. Ein Jahr später im Herbst 2006 (Messzeitpunkt 2) wurden alle Kinder erneut untersucht. Die hier dargestellten Analysen beschränken sich dabei auf die Bereiche Sprache (Wortschatz, Grammatik), nonverbale Kompetenzen (Kategorisierungsfähigkeit, schlussfolgerndes Denken), vorwissensabhängige Fertigkeiten (mathematische Fertigkeiten, inhaltliches Wissen) sowie Gedächtnis (verbales Kurzzeitgedächtnis, nonverbales Kurzzeitgedächtnis). Die ausgewählten Bereiche wurden zu beiden Messzeitpunkten mit je zwei Tests bzw. Subtests standardisierter Verfahren abgebildet. Im Kompetenzbereich Sprache wurden Wortschatz und Grammatik einbezogen. Die Erfassung des rezeptiven Wortschatzes erfolgte zu beiden Messzeitpunkten mit einer deutschen Forschungsversion des Peabody Picture Vocabulary Test (PPVT, Dunn & Dunn, 1997, deutsche Forschungsversion von Roßbach, Tietze & Weinert, 2005). Hinsichtlich des Kompetenzbereiches Grammatik wurde zum ersten Messzeitpunkt der Subtest „Verstehen von Sätzen“ (VS) aus dem Sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder (SETK 3-5, Grimm, 2001) durchgeführt. Da dieses Testverfahren nur in einem begrenzten Altersbereich einsetzbar ist, wurde zum zweiten Messzeitpunkt des Längsschnitts BiKS- 3-8 auf eine gekürzte deutsche Version des Test for Reception of Grammar (TROG, Bishop, 1983/ 1989; deutsche Version TROG-D von Fox, 2006) gewechselt, die zum ersten Messzeitpunkt noch nicht vorlag. Im Bereich nonverbale Kompetenzen wurde die Fähigkeit zur Kategorienbildung und die Fähigkeit zu schlussfolgerndem Denken mit je einem Subtest aus dem Snijders-Oomen Non-verbaler Intelligenztest (SON-R 2 ½ - 7, Tellegen, Winkel, Wijnberg-Williams & Laros, 2005) erfasst. Für die Kategorisierungsfähigkeit wurde der Subtest „Kategorien“ (KAT) durchgeführt, für den Unterbereich schlussfolgerndes Denken der Subtest „Analogien“ (ANA). Für die Erfassung erworbener vorwissensabhängiger Fertigkeiten wurden zwei Subtests aus der Fertigkeitenskala der deutschsprachigen Fassung der Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC, Melchers & Preuß, 2003) ausgewählt. Als Indikator für spezifische Fertigkeiten im Bereich mathematischer Kompetenz wurde der Subtest „Rechnen“ (RE) eingesetzt, als Indikator für das inhaltliche Wissen der Subtest „Gesichter & Orte“ (GO). Zur Erfassung des Gedächtnisses wurde zu beiden Messzeitpunkten jeweils ein Maß für das verbale Kurzzeitgedächtnis wie auch das nonverbale Kurzzeitgedächtnis verwendet. Das verbale Kurzzeitgedächtnis wurde hierbei mit dem Subtest „Zahlennachsprechen“ (ZN) aus der Skala intellektueller Fähigkeiten der deutschsprachigen Fassung der K-ABC (Melchers & Preuss, 2003) geprüft. Für die Erfassung des nonverbalen Kurzzeitgedächtnisses wurde der Subtest „Handbewegungen“ (HB) ebenfalls aus der Skala intellektueller Fähigkeiten der K-ABC (Melchers & Preuss, 2003) ausgewählt. Variablen wie der sozioökonomische Hintergrund der Familie (Internationaler Sozioökonomischer Index; ISEI) sowie der Migrationsstatus (Muttersprache der Eltern) des Kindes wurden in computergestützten Kognitiv-sprachliche Kompetenzen im Kindergartenalter 21 persönlichen Interviews (CAPI-Interviews) mit der Hauptbetreuungsperson des Kindes erhoben. Ergebnisse Stichprobe der vorzeitig eingeschulten Kinder Von den 547 Kindern, die nach ihrem Geburtsdatum zum Schuljahr 2008/ 2009 zur Einschulung anstanden, wurden 26 Kinder - 9 in Bayern und 17 in Hessen - vor dem Erreichen der Schulpflicht zum Schuljahr 2007/ 2008 vorzeitig eingeschult. Bei diesen handelt es sich um Kinder, die auf Antrag ihrer Eltern vorzeitig zum Schulbesuch angemeldet wurden und zum Teil zusätzlich ein schulpsychologisches Gutachten benötigten, da sie erst zu Beginn des Jahres 2002 geboren sind. 476 Kinder befanden sich im Frühjahr 2008 noch im Kindergarten; von 45 Kindern konnte nicht ermittelt werden, ob diese vorzeitig eingeschult wurden (Panelausfälle). Die Quote der vorzeitig eingeschulten Kinder liegt folglich in der BiKS-3-8-Stichprobe bei 5.2 % (2.8 % in Bayern und 9.4 % in Hessen). Zu Beginn des Schuljahres 2007/ 2008 (Referenz: 1. 9. 2007; Einschulung in Bayern zum 11. 9. 2007; Einschulung in Hessen zum 18. 8. 2007) waren die vorzeitig eingeschulten Kinder im Schnitt 70.62 Monate bzw. 5; 11 Jahre alt (SD = 2.23 Monate). Die nicht vorzeitig eingeschulten Kinder, die noch ein weiteres Jahr im Kindergarten verblieben, waren durchschnittlich etwas mehr als 5 Monate jünger (M = 65.03; SD = 3.93; t (500) = 7.17; p < .001). Die vorzeitig eingeschulten Kinder waren zwischen einem und sieben Monate nach dem Stichtag für eine fristgerechte Einschulung geboren - die deutliche Mehrzahl von 21 (80.8 %) dabei sehr kurz (maximal drei Monate) nach dem Stichtag. Besonders zu beachten ist, dass insgesamt nur zwei Kinder erst im Jahr 2002 geboren sind und damit bei der Anmeldung zum vorzeitigen Schuleintritt ein schulpsychologisches Gutachten vorlegen mussten. Unter den 26 vorzeitig eingeschulten Kindern befinden sich 18 Mädchen und nur 8 Jungen. Die Geschlechtsverteilung weicht damit von jener der nicht vorzeitig eingeschulten Kinder (228 Mädchen und 248 Jungen) bedeutsam ab ( c 2 (1, N = 502) = 4.49; p < .05). Sechs der vorzeitig eingeschulten Kinder weisen einen Migrationshintergrund auf: Bei zwei Familien sind beide Eltern nicht muttersprachlich deutsch; bei vier Familien ist ein Elternteil deutsch und ein Elternteil nicht muttersprachlich deutsch. Der Anteil von Kindern mit Migrationsstatus ist damit in der Gruppe der vorzeitig eingeschulten Kinder nicht bedeutsam unterschiedlich von jenem in der Gruppe der nicht vorzeitig eingeschulten Kinder ( c 2 (2, N = 502) = 1.31; p > .10). Die Familien der vorzeitig eingeschulten Kinder weisen im Schnitt einen ISEI-Wert von 56.08 Punkten (SD = 16.16) auf; der Wert liegt dabei nur unbedeutend höher als jener der Familien nicht vorzeitig eingeschulter Kinder (M = 52.40; SD = 16.45; t (498) = 1.09; p > .10). Ziehung einer parallelisierten Stichprobe Aufgrund des extrem unterschiedlichen Umfangs der beiden Einschulungsgruppen und um Konfundierungen zu vermeiden, wird die Prüfung der aufgeworfenen Fragestellungen mittels eines Parallelgruppen-Designs vorgenommen. Hierfür wurden die beiden vorzeitig eingeschulten Kinder aus Familien mit zwei muttersprachlich nicht deutschen Elternteilen ausgeschlossen, da sich nach Dubowy, Ebert, von Maurice und Weinert (2008) Kinder aus Familien ohne muttersprachlich deutsche Eltern als Sondergruppe darstellen 3 , die sich in ihrem 3 Die den Analysen zugrunde liegende Stichprobe umfasst Kinder mit einem deutschsprachigen und einem nicht deutschsprachigen Elternteil sowie sechs Kinder, die eine „alte Schuleingangsstufe“ besuchen. Analysen für diese Sondergruppen sind aufgrund der geringen Stichprobenumfänge nicht möglich. Es wurde jedoch überprüft, dass sich die dargestellten Ergebnisse auch bei Ausschluss dieser Sonderfälle zeigen. Die beiden ausgeschlossenen Kinder mit zwei muttersprachlich nicht deutschen Elternteilen sind vergleichsweise nah am Einschulungsstichtag geboren. Insbesondere bei der Eingangsmessung zeigen diese Kinder in den sprachlichen Maßen niedrigere Kompetenzen als die autochthonen früheingeschulten Kinder. 22 Susanne Ebert et al. Kompetenzstand nur schwer mit deutschen Kindern vergleichen lässt. Als Grundlage für den Vergleich wurde zu jedem der 24 verbleibenden vorzeitig eingeschulten Kinder ein nicht vorzeitig eingeschultes Kind entsprechenden Geschlechts als Paarling im Sinne eines „Forschungszwillings“ ausgewählt, das von diesem im Alter möglichst wenig abweicht. Standen bei diesem Vorgehen mehrere Kinder zur Auswahl, so wurde jenes Kind aufgenommen, dessen Familie im sozialen Status (ISEI) derjenigen der Familie des vorzeitig eingeschulten Kindes am nächsten kommt. Werden die vorzeitig eingeschulten Kinder und die darauf bezogenen Paarlinge abschließend verglichen, so ergibt sich in allen Fällen eine Übereinstimmung des Geschlechts, in 23 der 24 Fälle eine exakte Übereinstimmung des Alters (vorzeitig eingeschulte Gruppe: M = 70.42, SD = 2.21; parallelisierte nicht vorzeitig eingeschulte Gruppe: M = 70.46, SD = 2.25; t (23) = -1.00; p > .10; durchschnittlicher Abweichungsbetrag 0.04 Monate) und auch bezüglich des ISEI-Wertes - der als nachrangiges Paarungskriterium eingeführt wurde - eine statistisch nicht bedeutsame Abweichung (vorzeitig eingeschulte Gruppe: M = 55.21, SD = 14.41; parallelisierte nicht vorzeitig eingeschulte Gruppe: M = 54.50, SD = 13.53; t (22) = 0.53; p > .10; durchschnittlicher Abweichungsbetrag 5.5 ISEI-Punkte). Eine Parallelisierung anhand der Merkmale Geschlecht, Alter und ISEI ist damit gelungen. Kompetenzeinschätzung der Kinder durch die Erzieher/ innen Zunächst wurde geprüft, ob sich in den Einschätzungen der Erzieher/ innen zwischen den vorzeitig eingeschulten und den nicht vorzeitig eingeschulten Kindern Unterschiede beobachten lassen. Die in Tabelle 2 festgehaltenen Befunde zu den beiden Messzeitpunkten weisen bereits deskriptiv darauf hin, dass die Erzieher/ innen die vorzeitig eingeschulten Kinder in der Regel als kompetenter einschätzen. Die Unterschiede in der Einschätzung der vorzeitig und nicht vorzeitig eingeschulten Kinder durch die Erzieher/ innen wurden in multivariaten Varianzanalysen überprüft. Der Faktor „Einschulungszeitpunkt“ (vorzeitig, nicht vorzeitig) wurde aufgrund der 1 : 1-Parallelisierung der Probanden als Messwiederholungsvariable betrachtet. Als abhängige Variablen gingen die Messzeitpunkt 1 Messzeitpunkt 2 vorzeitig eingeschult nicht vorzeitig eingeschult vorzeitig eingeschult nicht vorzeitig eingeschult Bereich/ Item M (SD) M (SD) M (SD) M (SD) Beurteilung der Sprache Sprachl. Ausdruck Wortschatz 2.48 (0.87) 2.38 (0.81) 1.91 (1.08) 2.00 (1.00) 2.30 (0.80) 2.26 (0.93) 1.95 (0.83) 2.00 (0.97) Beurteilung kognitiver Fähigkeiten Präferenz Denkaufgaben Logisches Denken 1.29 (0.78) 1.95 (0.87) 0.81 (0.68) 1.65 (0.94) 1.40 (0.88) 2.35 (0.75) 1.50 (0.89) 1.85 (0.81) Beurteilung schulbezogener Fertigkeiten Zahlenkenntnis Sachwissen 2.71 (0.64) 1.67 (0.91) 2.04 (1.26) 1.14 (0.99) 2.53 (0.84) 1.70 (0.73) 2.22 (1.00) 1.55 (0.76) Tabelle 2: Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) der Einschätzung vorzeitig eingeschulter Kinder durch die Erzieher/ innen im Vergleich zu den nicht vorzeitig eingeschulten Kindern zu Messzeitpunkt 1 und Messzeitpunkt 2 Anmerkung: Vierstufiges Antwortformat: trifft nicht zu (0) - trifft eher nicht zu (1) - trifft eher zu (2) - trifft zu (3) Kognitiv-sprachliche Kompetenzen im Kindergartenalter 23 Einschätzungen der Erzieher/ innen (Einschätzung des sprachlichen Ausdrucks, des Wortschatzes, der Präferenz für Denkaufgaben, des logischen Denkens, der Zahlenkenntnis, des Sachwissens) ein. Diese Analyse führt zu Messzeitpunkt 1 - und damit bereits zwei Jahre vor einer möglichen vorzeitigen Einschulung - zu einem signifikanten Haupteffekt für den Faktor „Einschulungszeitpunkt“ (F (1, 18) = 14.90; p < .01). Angeschlossene t-Tests zeigen, dass die vorzeitig eingeschulten Kinder insbesondere im sprachlichen Ausdruck (t (19) = 3.27; p < 0.01), in der Zahlenkenntnis (t (19) = 2.63; p < 0.05), im Sachwissen (t (19) = 2.15; p < 0.05) und in der Präferenz für Denkaufgaben (t (19) = 2.14; p < 0.05) für kompetenter gehalten werden. Zu Messzeitpunkt 2 - d. h. etwa ein Jahr vor einer möglichen vorzeitigen Einschulung - lässt sich in der multivariaten Varianzanalyse dagegen kein signifikanter Haupteffekt für den Faktor „Einschulungszeitpunkt“ (F (1, 12) = 2.68; p > .10) mehr nachweisen 4 . Die unterschiedliche Einschätzung der vorzeitig eingeschulten Kinder durch die pädagogischen Fachkräfte lässt sich durch einen weiteren Befund stützen: Im kindbezogenen Einschätzbogen plädieren die Erzieher/ innen bei zwei der später tatsächlich vorzeitig eingeschulten Kinder bereits zu Messzeitpunkt 1 - also fast zwei Jahre vor der Einschulung der Vorzeitigen - für eine vorzeitige Einschulung. Zu Messzeitpunkt 2 - knapp ein Jahr vor einer vorzeitigen Einschulung - steigt diese Zahl auf vier Kinder an. Bei der parallelisierten Stichprobe der nicht vorzeitig eingeschulten Kinder war dies zu beiden Messzeitpunkten bei keinem einzigen Kind der Fall. 4 Um Zufälligkeiten der Parallelisierung auszuschließen, wurden die 24 vorzeitig eingeschulten Kinder (bei Ausschluss der Kinder mit nicht muttersprachlich deutschen Elternteilen und unter Kontrolle des Alters, des ISEI-Wertes der Familie und des Geschlechts des Kindes) mit der Gesamtgruppe der noch im Kindergarten verbleibenden Kinder in den Einschätzungen durch die Erzieher/ innen verglichen. Der Haupteffekt des Einschulungszeitpunktes ist in dieser Analyse zu Messzeitpunkt 1 nur noch auf dem 10 %-Niveau signifikant (F (6, 343) = 1.98; p < .10). Zu Messzeitpunkt 2 wird die Insignifikanz des Haupteffekts „Einschulungszeitpunkt“ bestätigt (F (6, 326) = 1.29; p > .10). Messzeitpunkt 1 Messzeitpunkt 2 vorzeitig eingeschult nicht vorzeitig eingeschult vorzeitig eingeschult nicht vorzeitig eingeschult Bereich/ Test M (SD) M (SD) M (SD) M (SD) Sprache PPVT VS TROG-D 49.29 (21.81) 14.75 (3.94) - 50.20 (20.23) 14.71 (2.94) - 72.30 (17.77) - 11.70 (3.87) 68.17 (22.41) - 11.42 (2.52) Nonverbale Kompetenzen KAT ANA 7.68 (2.08) 7.50 (2.54) 7.57 (1.59) 7.75 (2.45) 9.22 (1.68) 10.26 (2.78) 9.50 (2.06) 9.50 (2.04) Vorwissensabhängige Fertigkeiten RE GO 6.88 (3.68) 4.92 (2.38) 7.58 (3.18) 4.79 (2.53) 12.78 (3.41) 7.57 (2.63) 12.71 (2.95) 6.75 (2.66) Gedächtnis ZN HB 6.00 (2.21) 5.16 (2.71) 5.48 (2.35) 5.13 (2.93) 6.96 (2.14) 7.83 (3.11) 6.33 (1.88) 7.38 (2.57) Tabelle 3: Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) in den einzelnen Testverfahren der vorzeitig eingeschulten Kinder im Vergleich zu den nicht vorzeitig eingeschulten Kindern in Messzeitpunkt 1 und Messzeitpunkt 2 24 Susanne Ebert et al. Kognitive und sprachliche Kompetenzen der Kinder In einem zweiten Schritt wurde überprüft, ob sich die erbrachten Testleistungen der vorzeitig eingeschulten Kinder von jenen der nicht vorzeitig eingeschulten Kinder während der Kindergartenzeit systematisch unterscheiden. Anhand der in Tabelle 3 mitgeteilten deskriptiven Angaben lässt sich feststellen, dass in allen Bereichen und zu beiden Messzeitpunkten die vorzeitig eingeschulten Kinder ähnliche Leistungen erbringen wie die nicht vorzeitig eingeschulten Kinder. Multivariate Varianzanalysen mit dem aufgrund der Parallelisierung als Messwiederholungsfaktor behandelten „Einschulungszeitpunkt“ und den aufgenommenen Kompetenzbereichen (PPVT, VS/ TROG-D, KAT, ANA, RE, GO, ZN, HB) zeigen entsprechend weder zu Messzeitpunkt 1 (F (1, 17) = 0.51; p > .10) noch zu Messzeitpunkt 2 (F (1, 22) = 0.79; p > .10) einen signifikanten Haupteffekt für den Einschulungszeitpunkt 5 . Demnach können während der Kindergartenzeit in den betrachteten Aspekten der kognitiven und sprachlichen Kompetenz keinerlei Unterschiede zwischen vorzeitig und nicht vorzeitig eingeschulten Kindern aufgezeigt werden. 5 Um auch hier Zufälligkeiten der Parallelisierung auszuschließen, wurden die 24 vorzeitig eingeschulten Kinder in ihren objektiven Testleistungen mit der Gesamtgruppe der noch im Kindergarten verbleibenden Kinder verglichen (bei Ausschluss der Kinder mit zwei nicht muttersprachlich deutschen Elternteilen und unter Kontrolle des Alters, des ISEI-Wertes der Familie und des Geschlechts des Kindes). Weder zum ersten Messzeitpunkt (F (8, 382) = 1.36; p > .10) noch in der Wiederholungsmessung ein Jahr später (F (8, 413) = 1.10; p > .10) zeigt sich ein bedeutsamer Unterschied. CR 1 = .65**/ .62** CR 2 = .30*/ .31** Set 1 Subjektive Einschätzung durch die Erzieher/ innen Beurteilung der Sprache Sprachlicher Ausdruck Wortschatz -.74/ -.75 -.82/ -.81 -.36/ .31 -.56/ .27 Beurteilung kognitiver Fähigkeiten Präferenz Denkaufgaben Logisches Denken -.55/ -.55 -.66/ -.59 -.04/ -.20 .01/ -.15 Beurteilung schul. Fertigkeiten Zahlenkenntnis Sachwissen -.83/ -.86 -.55/ -.66 .50/ -.36 -.20/ .48 Set 2 Objektive Erfassung kognitiver und sprachlicher Kompetenzen Sprache PPVT VS/ TROG-D -.79/ -.80 -.81/ -.73 .04/ .18 -.36/ .20 Nonverbale Kompetenzen KAT ANA -.51/ -.58 -.51/ -.46 -.07/ -.27 .27/ -.38 Vorwissensabhängige Fertigkeiten RE GO -.85/ -.85 -.75/ -.74 .34/ -.19 -.14/ -.04 Gedächtnis ZN HB -.71/ -.68 -.63/ -.53 -.16/ .19 .35/ -.55 Tabelle 4: Kanonische Korrelationsanalyse zwischen den subjektiven Kompetenzeinschätzungen der Erzieher/ innen und den objektiven Kompetenzmaßen jeweils für Messzeitpunkt 1/ Messzeitpunkt 2 (Faktorladungen) Anmerkung: ** p < .01, * p < .05 Kognitiv-sprachliche Kompetenzen im Kindergartenalter 25 Zusammenhang zwischen subjektiven und objektiven Kompetenzmaßen Um die subjektiven Einschätzungen der Kompetenzen durch die Erzieher/ innen mit der objektiven Erfassung kognitiver und sprachlicher Kompetenzen zu vergleichen, wurden kanonische Korrelationen zwischen den beiden Variablensätzen, jeweils für Messzeitpunkt 1 und Messzeitpunkt 2, berechnet 6 . In Tabelle 4 sind die signifikanten kanonischen Korrelationen sowie die Faktorladungen dieser Analyse dargestellt. Zu beiden Messzeitpunkten ergeben sich zwei signifikante kanonische Korrelationen. Die erste kanonische Korrelation beträgt zum ersten Messzeitpunkt CR 1 = .65 (p < .01) und zum zweiten Messzeitpunkt CR 1 = .62 (p < .01). Insgesamt sind auf Basis der ersten kanonischen Korrelation 20.9 % (Messzeitpunkt 1) bzw. 17.7 % (Messzeitpunkt 2) der Varianz der objektiven Kompetenzmaße durch das Urteil der Erzieher/ innen vorhersagbar (Redundanzmaß). Auf der Seite der subjektiven Einschätzung durch die Erzieher/ innen sind an der ersten kanonischen Korrelation zu beiden Messzeitpunkten vorrangig der Wortschatz und die Zahlenkenntnis beteiligt, aber auch die anderen Wahrnehmungskomponenten laden in gleicher Richtung. Auf der Seite der objektiven Kompetenzmaße basiert die erste kanonische Korrelation entsprechend in ähnlicher Weise insbesondere auf der Sprache und den Rechenfertigkeiten des Kindes. Die zweite kanonische Korrelation beträgt zum ersten Messzeitpunkt CR 2 = .30 (p < .05) und zum zweiten Messzeitpunkt CR 2 = .31 (p < .01). Anhand der zweiten kanonischen Korrelation sind jedoch nur 0.5 % (Messzeitpunkt 1) bzw. 0.8 % (Messzeitpunkt 2) der Varianz der objektiven Kompetenzmaße auf Basis des Urteils der Erzieher/ innen redundant, was die Aussagekraft der deutlich geringeren Faktorladungen einschränkt. Insgesamt weist die kanonische Korrelationsanalyse auf einen bedeutsamen, vom Ausmaß jedoch begrenzten Zusammenhang zwischen der subjektiven Kompetenzwahrnehmung durch die Erzieher/ innen und der bei den Kindern objektiv erfassten Kompetenz hin. Diskussion Die deskriptiven Ergebnisse der Studie BiKS-3-8 bestätigen den sich bereits in den vergangenen Jahren abzeichnenden Trendunterschied bei vorzeitigen Einschulungen in Bayern und Hessen (vgl. Tabelle 1): Während in der bayerischen Stichprobe die Quote vorzeitig eingeschulter Kinder zum Schuljahr 2007/ 2008 bei nur 3.0 % liegt, findet man in Hessen eine Quote von 9.4 %. Die dargelegten Befunde zeigen dabei, dass Kinder vor allem dann vorzeitig eingeschult werden, wenn ihr Geburtsdatum nahe am Stichtag liegt. Entsprechend findet sich in BiKS-3-8, dass Kinder, die vorzeitig eingeschult wurden, ein höheres Durchschnittsalter aufwiesen als Kinder, die bis zur fristgerechten Einschulung noch ein weiteres Jahr im Kindergarten verblieben und eben nicht vorzeitig eingeschult wurden. In Einklang mit den vom statistischen Bundesamt berichteten Quoten (vgl. hier auch Tabelle 1) ist auch innerhalb der BiKS-3-8-Stichprobe unter den vorzeitig eingeschulten Kindern ein überproportional großer Anteil an Mädchen zu finden. Unterschiede in zentralen familialen Hintergrundvariablen, wie dem sozioökonomischen Status, fanden sich im Gegensatz zu früheren Studien (z. B. Tietze, 1973, 1978) zwischen vorzeitig und nicht vorzeitig eingeschulten Kindern nicht. Dennoch wird deutlich, dass es sich bei den vorzeitig eingeschulten Kindern auch in BiKS-3-8 um eine selektive Gruppe handelt. Im Rahmen der vorgelegten Analyse konnte in der Kompetenzwahrnehmung durch die Erzieher/ innen gezeigt werden, dass vorzeitig eingeschulte Kinder bereits fast zwei Jahre vor dem Einschulungsgeschehen von den pädagogischen Fachkräften im Kindergarten in ihren kognitiv-sprachlichen Kompetenzen als deutlich besser eingeschätzt werden als die übrigen Kinder. Insbesondere trifft dies für die Aspekte 6 Zur Prüfung dieser Fragestellung wird auf die Gesamtstichprobe zum ersten bzw. zweiten Messzeitpunkt zurückgegriffen. 26 Susanne Ebert et al. sprachlicher Ausdruck, Zahlenkenntnis und Sachwissen zu. Der Unterschied in der Einschätzung der kognitiv-sprachlichen Kompetenzen von vorzeitig und nicht vorzeitig eingeschulten Kindern kann allerdings etwa ein Jahr vor der Einschulung der Vorzeitigen statistisch nicht mehr aufgezeigt werden. Möglicherweise ist dies teilweise auf die geringere Anzahl von bearbeiteten Einschätzbögen zum Messzeitpunkt 2 zurückzuführen, da der Unterschied in der Einschätzung von vorzeitig eingeschulten Kindern durch das pädagogische Fachpersonal im Kindergarten im Vergleich zu nicht vorzeitig eingeschulten Kindern tendenziell erhalten bleibt. Die sich in der Kompetenzwahrnehmung durch die Erzieher/ innen abzeichnende Unterschiedlichkeit zwischen vorzeitig und nicht vorzeitig eingeschulten Kindern lässt sich durch die Vorstellungen der Erzieher/ innen zum geeigneten Einschulungszeitpunkt der Kinder stützen: Bei den später vorzeitig eingeschulten Kindern sind die Erzieher/ innen bereits zwei Jahre - und noch deutlicher ein Jahr - vor der tatsächlichen Einschulung häufiger der Meinung, dass eine vorzeitige Einschulung geeignet wäre. Der bislang für den Schulbereich belegte Befund der Einschätzung vorzeitig eingeschulter Kinder als kompetenter (vgl. z. B. Tietze, 1973, 1978) kann damit auf den vorschulischen Bereich ausgedehnt werden. Da die Erzieher/ innen vermutlich zwei Jahre vor der vorzeitigen Einschulung noch keine Kenntnis über diesen „Sonderstatus“ haben konnten, ist hier eine Attribuierung einer höheren Kompetenz aufgrund der Kenntnis einer vorzeitigen Einschulung praktisch auszuschließen. Gleichzeitig aber ist nicht auszuschließen, dass die Erzieher/ innen mit ihrer positiven Einschätzung der kindlichen Kompetenzen zu einem späteren Zeitpunkt den Entscheidungsprozess der Eltern hin zu einer vorzeitigen Einschulung beeinflussen. Wenn aber nicht nur Lehrer/ innen im Grundschulbereich, sondern auch Erzieher/ innen im Kindergartenalter vorzeitig eingeschulten Kindern eine höhere Kompetenz zuschreiben als nicht vorzeitig eingeschulten Kindern, so stellt sich unmittelbar die Frage, ob ein solcher Kompetenzvorsprung auch objektiv aufgezeigt werden kann. Im Gegenteil zur subjektiven Einschätzung der vorzeitig eingeschulten Kinder durch die Erzieher/ innen zeigen die objektiven Kompetenzmaße jedoch ein ganz anderes Bild: Weder zwei Jahre noch ein Jahr vor Schuleintritt der vorzeitig eingeschulten Kinder unterscheiden sich diese in den betrachteten kognitiven und sprachlichen Kompetenzen von der altersparallelisierten Vergleichsstichprobe. Über die während der Kindergartenzeit betrachteten kognitiven und sprachlichen Kompetenzbereiche hinweg lässt sich noch nicht einmal tendenziell eine Überlegenheit der vorzeitig eingeschulten Kinder gegenüber einer 1 : 1 nach Geschlecht und Alter parallelisierten Stichprobe nicht vorzeitig eingeschulter Kinder aufzeigen. Die vorliegenden Befunde ergänzen damit die Aussagekraft von Studien, die sich mit der Frage nach dem Schulerfolg einer frühen Einschulung beschäftigen (vgl. z. B. Bellenberg, 1999; Lehmann et al., 1997). Die Berücksichtigung der Ausgangslage kindlicher Kompetenzen beim Übergang vom Kindergarten in die Grundschule macht dabei deutlich, dass Kinder, die vorzeitig eingeschult werden, die nicht vorzeitig eingeschulten Kinder in ihren objektiven Kompetenzen nicht übertreffen. Sollte sich folglich eine vorzeitige Einschulung bewähren, ist dies nicht darauf zurückzuführen, dass diese Kinder von Beginn an höhere kognitive Kompetenzen aufweisen. Vielmehr müsste diese Bewährung auf andere Faktoren wie etwa die frühere Beschulung zurückgeführt werden (vgl. zum Effekt der Beschulung z. B. Bisanz, Morrison & Dunn, 1995; Mayer & Knutson, 1999). Die zumindest für den ersten Messzeitpunkt klare Diskrepanz im Vergleich von vorzeitig eingeschulten Kindern mit nicht vorzeitig eingeschulten Kindern in Abhängigkeit von der Art der Kompetenzerfassung verweist darauf, dass in die Einschätzung der Erzieher/ innen andere Beurteilungskriterien als allein der objektive Kompetenzstand eingehen. Dies zeigt sich auch in der Zusammenhangsstruktur zwi- Kognitiv-sprachliche Kompetenzen im Kindergartenalter 27 schen subjektiver Kompetenzwahrnehmung und objektiver Kompetenzmessung. So ergibt sich in den kanonischen Korrelationsanalysen eine nur mäßige Redundanz. Die Gemeinsamkeiten zwischen den subjektiven Einschätzungen und den objektiven Kompetenzmaßen kommen dabei vor allem durch einfach beobachtbare Aspekte zustande, die sich anhand verbaler Äußerungen der Kinder feststellen lassen (z. B. sprachliche und frühe mathematische Kompetenzen). Demgegenüber tragen grundlegende kognitive Kompetenzen weniger zu dem beschriebenen Zusammenhangsmuster bei. Die mäßige Redundanz impliziert aber auch, dass in die Einschätzungen der Erzieher/ innen weit mehr als die bloße Kompetenz der Kinder einfließt. Eine qualitative Teilstudie im Rahmen von BiKS-3-8 mit Erzieher/ innen kommt zu dem Fazit, dass diese sich bei der Einschulungsentscheidung auch an weiteren kindbezogenen Kriterien orientieren, wie z. B. dem sozial-emotionalen Verhalten und dem Arbeitsverhalten (vgl. Plehn, 2009). In diesem Zusammenhang kommt die Frage nach der diagnostischen Kompetenz der Erzieher/ innen auf, die es in weiterführenden Studien zu untersuchen gilt. In der Diskussion um die Entscheidungsprozesse für oder gegen eine vorzeitige Einschulung nimmt die kognitiv-sprachliche Kompetenz eine bedeutsame Rolle ein. Die Entscheidung für oder gegen eine vorzeitige Einschulung ist relativ früh in der individuellen Bildungskarriere der Kinder verortet. Gerade vor dem Hintergrund der Stichtagsflexibilisierung und der aktuellen bildungspolitischen Diskussion wird die von den Eltern geforderte Entscheidung von diesen oftmals als schwierig und von Unsicherheit begleitet erlebt (vgl. Faust, Kluczniok & Pohlmann, 2007; Pohlmann, Kluczniok & Kratzmann, 2009). In der Folge wurde von den Eltern der an der BiKS-Studie teilnehmenden Kinder gehäuft der Wunsch nach Mitteilung der objektiven Kompetenzwerte geäußert, da diese nach Meinung der Eltern zu einer „richtigen“ Entscheidung beitragen können. Allerdings stellen die kognitiven und sprachlichen Kompetenzen der Kinder nur einen Aspekt im Entscheidungsprozess zur Einschulung dar. Entsprechend zeigen die qualitativen Analysen von Pohlmann et al. (2009) an ausgewählten Familien der BiKS-3-8-Stichprobe, dass Eltern sich zu einer vorzeitigen Einschulung vor allem dann entscheiden, wenn sie einen erfolgreichen Start in die Schullaufbahn sowohl aufgrund kognitiver als auch sozialer Kompetenzen erwarten. Weiterhin hängt diese Erfolgserwartung mit dem subjektiven Bild der Eltern von Schule zusammen. Wenn Eltern mit Schule einen starken Leistungsdruck und hohe Anforderungen assoziieren, kommt eine vorzeitige Einschulung eher nicht in Frage. Darüber hinaus versprechen sich manche Eltern gerade von einem Verzicht auf eine vorzeitige Einschulung für ihre eigentlich schulfähigen, aber noch nicht schulpflichtigen Kinder bei der fristgerechten Einschulung ein Jahr später Vorteile gegenüber den dann gleichaltrigen oder sogar jüngeren Klassenkameraden/ innen (sog. Redshirting). Im Rahmen dieser Diskussion muss jedoch betont werden, dass Argumente für oder gegen eine vorzeitige Einschulung nicht ungefiltert auf die optimale Festlegung des Einschulungszeitpunktes für die Gesamtheit aller Schüler/ innen übertragen werden können. Dies ist umso wichtiger, da die vorliegende Arbeit darauf verweist, dass sich die vorzeitig eingeschulten Kinder - wenngleich nicht in der objektiven Kompetenz, so doch in der Wahrnehmung der Erzieher/ innen - durchaus von den nicht vorzeitig eingeschulten, altersgleichen Kindern unterscheiden. Im Rahmen des Längsschnitts BiKS-3-8 wird in den kommenden Erhebungswellen während der Grundschulzeit zu klären sein, wie sich vorzeitig und nicht vorzeitig eingeschulte Kinder im schulischen Kontext entwickeln. Auch wenn sich vorzeitige von nicht vorzeitig eingeschulten Kindern in ihrer objektiven Kompetenz nicht unterscheiden, so stellt sich doch für beide Gruppen gleichermaßen die Frage, ob der Kompetenzstand bei Einschulung (der sowohl bei vorzeitig als auch bei nicht vorzeitig eingeschulten Kindern individuell beträchtlich variiert; vgl. Streuungswerte in Tabelle 3) für die 28 Susanne Ebert et al. Bewältigung des Übergangs in die Grundschule und die Bewährung im Schulsystem bedeutsam ist. Durch die Verwendung standardisierter Testverfahren im Längsschnitt BiKS-3-8 können dabei insbesondere auch Aussagen über den objektiven Kompetenzstand getroffen werden, die nicht - wie etwa die Noten - durch Wahrnehmungs- und Beurteilungsprozesse der Lehrkräfte beeinflusst werden. Nur auf Basis von Daten, die die individuelle Ausgangslage vor der Einschulung und die Bewährung im Schulsystem abbilden, ist eine evidenzbasierte Diskussion um die optimale Festlegung des Einschulungszeitpunktes möglich. Zudem werden damit wissenschaftlich begründete Grundlagen für eine Beratung von Eltern geschaffen, die sich bei einer möglichen vorzeitigen Einschulung an pädagogisch-psychologische Fachkräfte wenden. Literatur Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (2009). Pressemitteilung des Kultusministeriums Nr. 189 vom 23. September 2009. Internet: http: / / www. km.bayern.de/ km/ asps/ presse/ presse_anzeigen.asp? index=1980. Bellenberg, G. (1999). Individuelle Schullaufbahnen. Eine empirische Untersuchung über Bildungsverläufe von der Einschulung bis zum Abschluss. Weinheim: Juventa. Bisanz, J., Morrison, F. J. & Dunn, M. (1995). Effects of age and schooling on the acquisition of elementary quantitative skills. Developmental Psycholog y, 31, 221 - 236. Bishop, D. V. (1983/ 1989). TROG - Test for Reception of Grammar. Medical Research Council: Chapel Press. Dollase, R. (2007). Bildung im Kindergarten und Früheinschulung. Ein Fall von Ignoranz und Forschungsamnesie. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 21, 5 - 10. Dubowy, M., Ebert, S., von Maurice, J. & Weinert, S. (2008). Sprachlich-kognitive Kompetenzen beim Eintritt in den Kindergarten: Ein Vergleich von Kindern mit und ohne Migrationshintergrund. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 40, 124 - 134. Dunn, L. M. & Dunn, L. M. (1997). Peabody Picture Vocabulary Test (3rd edition). Circle Pines, MN: American Guidance Service. Faust, G. (2006). Zum Stand der Einschulung und der neuen Schuleingangsstufe in Deutschland. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 3, 328 - 347. Faust, G., Kluczniok, K. & Pohlmann, S. (2007). Eltern vor der Entscheidung über vorzeitige Einschulung. Zeitschrift für Pädagogik, 53, 462 - 476. Fox, A. (2006). Test zur Überprüfung des Grammatikverständnisses (TROG-D). Idstein: Schulz-Kirchner. Fredriksson, P. & Öckert, B. (2005). Is early learning really more productive? The effect of school starting age on school and labour market performance. IZA Discussion Paper No. 1659. Bonn: IZA. Fried, L., Roßbach, H.-G., Tietze, W. & Wolf, B. (1992). Elementarbereich. In K. Ingenkamp, R. S. Jäger, H. Petillon & B. Wolf (Hrsg.), Empirische Pädagogik 1970 - 1990. Eine Bestandsaufnahme der Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. Band 1 (S. 197 - 263). Weinheim: Deutscher Studien Verlag. Grimm, H. (2001). Sprachentwicklungstest für dreibis fünfjährige Kinder (SETK 3 - 5). Göttingen: Hogrefe. Hagemeister, V. (2007). Langfristig nachteilige Folgen einer frühen Einschulung. Internet: http: / / www.pisa-kritik. de/ einschulung/ index.html. Jacobs, C. & Meckel, N. (2007). Zu früh gestartet? Focus- Schule, 5, 127 - 131. Jürges, H. & Schneider, K. (2006). Im Frühjahr geborene Kinder haben schlechtere Bildungschancen (Wochenbericht des DIW, Nr. 17/ 2006). Berlin: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Kurz, K., Kratzmann, J., von Maurice, J. (2007). Die BiKS- Studie. Methodenbericht zur Stichprobenziehung. PsyDok [Online], 2007/ 990. Internet: URN: urn: nbn: de.bsz: 291-psydok-9901; URL: http: / / psydok.sulb. uni-saarland.de/ volltexte/ 2007/ 990/ . Lehmann, R. H., Peek, R. & Gänsfuß, R. (1997). Aspekte der Lernausgangslage von Schülerinnen und Schülern der fünften Klassen an Hamburger Schulen. Bericht über die Untersuchung im September 1996. Hamburg: Behörde für Schule, Jugend und Berufsbildung. Mayer, S. & Knutson, D. (1999). Does the timing of school affect how much children learn? In S. Mayer & P. Peterson (Eds.), Earning and learning: How schools matter (pp. 79 - 102). Washington, DC: Brookings Institution Press. Melchers, P. & Preuß, U. (2003). Kaufman Assessment Battery for Children (K-ABC). Deutschsprachige Fassung (6. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Mietzel, G. & Willenberg, H. (1996). Hamburger Kombinierter Schulleistungstest für vierte und fünfte Klassen (KS HAM 4/ 5). Unveröffentlichtes Testverfahren. Moser, U., Keller, F. & Tresch, S. (2002). Evaluation der 3. Primarschulklassen. Schlussbericht zuhanden der Bildungsdirektion des Kantons Zürich. Zürich: Kompetenzzentrum für Bildungsevaluation und Leistungsmessung an der Universität Zürich. Plehn, M. (2009). Der optimale Einschulungszeitpunkt - Erzieherinnen in der Einschulungsberatung. In C. Röhner, C. Henrichwark & M. Hopf (Hrsg.), Europäisierung der Bildung. Konsequenzen und Herausforderungen für die Grundschulpädagogik. (S. 258 - 262). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. Pohlmann, S., Kluczniok, K. & Kratzmann, J. (2009). Zum Prozess der Entscheidungsfindung zwischen vorzeitiger und fristgerechter Einschulung. Journal for Educational Research Online, 1, 79 - 97. Puhani, P. A. & Weber, A. M. (2005). Does the early bird catch the worm? Instrumental variable estimates of educational effects of age of school entry in Germany. IZA Discussion Paper No. 1827. Bonn: IZA. Roßbach, H.-G. (2001). Die Einschulung in den Bundesländern. In G. Faust-Siehl & S. Speck-Hamdan (Hrsg.), Schulanfang ohne Umwege. Mehr Flexibilität im Bildungswesen (S. 145 - 174). Frankfurt am Main: Grundschulverband - Arbeitskreis Grundschule e.V. Kognitiv-sprachliche Kompetenzen im Kindergartenalter 29 Roßbach, H.-G., Tietze, W. & Weinert, S. (2005). Peabody Picture Vocabulary Test (Deutsche Forschungsversion des Tests von L. M. Dunn & L. M. Dunn von 1997). Universität Bamberg, Freie Universität Berlin. Statistisches Bundesamt (2007). Fachserie 11, Reihe 1, Einschulungen/ Nichteinschulungen, 2006/ 2007. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt. Strøm, B. (2004). Student achievement and birthday effects. Mimeo: Norwegian University of Science and Technology. Tellegen, P. J., Winkel, M., Wijnberg-Williams, B. J. & Laros, J. A. (2005). Snijders-Oomen Non-verbaler Intelligenztest (SON-R 2 ½-7) (2., korrigierte Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Tietze, W. (1973). Chancenungleichheit bei Schulbeginn. Eine empirische Untersuchung über vorzeitig eingeschulte Kinder. Düsseldorf: Schwann. Tietze, W. (1978). Früheinschulung. Auswirkungen einer bildungspolitischen Maßnahme. Kronberg/ Ts.: Scriptor. von Maurice, J., Artelt, C., Blossfeld, H.-P., Faust, G., Roßbach, H.-G. & Weinert, S. (2007). Bildungsprozesse, Kompetenzentwicklung und Formation von Selektionsentscheidungen im Vor- und Grundschulalter: Überblick über die Erhebungen in den Längsschnitten BiKS-3-8 und BiKS-8-12 in den ersten beiden Projektjahren. PsyDok [Online], 2007/ 1008. Internet: URN: urn: nbn: de: bsz: 291-psydok-10089; URL: http: / / psydok.sulb.uni-saarland.de/ volltexte/ 2007/ 1008/ . Susanne Ebert, Dipl.-Psych. Otto-Friedrich-Universität Bamberg Lehrstuhl für Psychologie I D-96045 Bamberg Tel.: (09 51) 8 63-31 60 Fax: (09 51) 8 63-11 98 E-Mail: susanne.ebert@uni-bamberg.de Dr. Jutta von Maurice, Dipl.-Psych. Otto-Friedrich-Universität Bamberg Nationales Bildungspanel D-96045 Bamberg Tel.: (09 51) 8 63-27 86 Fax: (09 51) 8 63-34 05 E-Mail: jutta.von-maurice@uni-bamberg.de Katharina Kluczniok, Dipl.-Päd. Otto-Friedrich-Universität Bamberg BiKS-Forschergruppe Lehrstuhl für Elementar- und Familienpädagogik D-96045 Bamberg Tel.: (09 51) 8 63-27 88 Fax: (09 51) 8 63-11 98 E-Mail: katharina.kluczniok@uni-bamberg.de
