Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2011.art11d
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Elternstress: Bezüge zum kindlichen Temperament sowie zur internalisierenden/externalisierenden Symptomatik
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2011
Arnold Lohaus
Nina Heinrichs
Wiebke Bergerhof
Marc Vierhaus
Es wird über eine Studie zum Elternstress berichtet, bei der das kindliche Temperament sowie kindliche Verhaltensprobleme (internalisierende bzw. externalisierende Symptomatiken) als mögliche Prädiktoren betrachtet wurden. Als Dimensionen des kindlichen Temperaments wurden Emotionalität, Aktivität und Schüchternheit einbezogen. An der Studie nahmen 616 Eltern von Grundschulkindern der ersten bis vierten Klassenstufe teil. Von den Eltern wurden Angaben zum kindlichen Temperament, zum Ausmaß der internalisierenden bzw. externalisierenden Symptomatik sowie zum Elternstress erhoben. Zusätzlich wurden Selbstberichte zur internalisierenden bzw. externalisierenden Symptomatik einer Teilstichprobe von 104 Schülern der dritten und vierten Klassenstufe erfragt, um mögliche Perspektivendivergenzen zwischen den Eltern- und Kindangaben berücksichtigen zu können. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem die Temperamentsdimension Emotionalität in deutlichem Bezug zum Elternstress steht. Es wurde geprüft, ob die Symptomangaben dabei als Mediatoren wirken, wobei sich sowohl bei den Eltern- als auch bei den Kindangaben eine Teilmediation nachweisen ließ (bei den Kindern nur für die externalisierende Symptomatik). Die Bezüge zwischen Emotionalität und Elternstress lassen sich demnach teilweise, jedoch nicht vollständig durch die Symptomangaben erklären. Die Befunde unterstreichen die Bedeutung des Temperamentsmerkmals Emotionalität sowohl für die kindliche Symptomatik als auch für den wahrgenommenen Elternstress.
3_058_2011_3_0001
n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2011, 58, 161 - 172 DOI 10.2378/ peu2011.art11d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Elternstress: Bezüge zum kindlichen Temperament sowie zur internalisierenden/ externalisierenden Symptomatik Arnold Lohaus, Nina Heinrichs, Wiebke Bergerhof, Marc Vierhaus Universität Bielefeld Parental Stress: Associations to Children’s Temperament and Internalizing/ Externalizing Symptomatology Summary: This study focuses on parental stress and considers children’s temperament and behavior problems (internalizing and externalizing symptomatology) as possible predictors. Emotionality, activity and shyness were included as dimensions of temperament. Participants of the study were 616 parents of first to fourth grade elementary school children. The parents were asked about their child’s temperament, internalizing and externalizing symptomatology and their degree of parental stress. In order to test for biases in parental reports of their child’s internalizing and externalizing symptomatology, additional self reports of a subsample of 104 third and fourth graders were collected. The results show a significant relation between the parental ratings of their child’s emotionality and parental stress. Mediator analyses revealed an incomplete mediation for the symptomatology assessments of the parents as well as of the children (in the case of the children only for externalizing symptomatology). This means that the relationship between emotionality and parental stress can in part, but not completely be explained by the symptomatology assessments. The results underline the significance of the temperament dimension emotionality for children’s internalizing and externalizing symptoms as well as for the perceived parental stress. Keywords: Temperament, internalizing symptoms, externalizing symptoms, parental stress, mediation Zusammenfassung: Es wird über eine Studie zum Elternstress berichtet, bei der das kindliche Temperament sowie kindliche Verhaltensprobleme (internalisierende bzw. externalisierende Symptomatiken) als mögliche Prädiktoren betrachtet wurden. Als Dimensionen des kindlichen Temperaments wurden Emotionalität, Aktivität und Schüchternheit einbezogen. An der Studie nahmen 616 Eltern von Grundschulkindern der ersten bis vierten Klassenstufe teil. Von den Eltern wurden Angaben zum kindlichen Temperament, zum Ausmaß der internalisierenden bzw. externalisierenden Symptomatik sowie zum Elternstress erhoben. Zusätzlich wurden Selbstberichte zur internalisierenden bzw. externalisierenden Symptomatik einer Teilstichprobe von 104 Schülern der dritten und vierten Klassenstufe erfragt, um mögliche Perspektivendivergenzen zwischen den Eltern- und Kindangaben berücksichtigen zu können. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem die Temperamentsdimension Emotionalität in deutlichem Bezug zum Elternstress steht. Es wurde geprüft, ob die Symptomangaben dabei als Mediatoren wirken, wobei sich sowohl bei den Elternals auch bei den Kindangaben eine Teilmediation nachweisen ließ (bei den Kindern nur für die externalisierende Symptomatik). Die Bezüge zwischen Emotionalität und Elternstress lassen sich demnach teilweise, jedoch nicht vollständig durch die Symptomangaben erklären. Die Befunde unterstreichen die Bedeutung des Temperamentsmerkmals Emotionalität sowohl für die kindliche Symptomatik als auch für den wahrgenommenen Elternstress. Schlüsselbegriffe: Temperament, internalisierende Symptomatologie, externalisierende Symptomatologie, Elternstress, Mediation 162 Arnold Lohaus et al. Der Umgang mit Kindern bringt für Eltern nicht nur erfreuliche Momente mit sich, sondern kann auch mit erhöhten Anforderungen verknüpft sein. Stress entsteht dabei dann, wenn die wahrgenommenen Anforderungen die Ressourcen übersteigen, die zur Verfügung stehen, um die Anforderungen zu bewältigen (Abidin, 1992, 1995). Definiert wird Elternstress nach Deater-Deckard (2004) als eine Reihe von Prozessen, die zu aversiven psychischen und physiologischen Reaktionen führen, die aus den Versuchen erwachsen, sich den Anforderungen des Elternseins anzupassen. Nach Mash und Johnston (1990) liegt die wesentliche Quelle für die Entstehung und Manifestation von Elternstress in der Interaktion zwischen Eltern und Kind. Darüber hinaus betonen die Autoren, dass diese Interaktion durch Charakteristika des Kindes, Charakteristika der Eltern sowie durch Merkmale der Umgebung beeinflusst wird. Betrachtet man die Charakteristika des Kindes, so fallen hierunter Merkmale wie beispielsweise das kindliche Temperament, kognitive und physische Merkmale des Kindes oder das Vorhandensein von Verhaltensproblemen (wie beispielsweise Hyperaktivität). Zu den Charakteristika der Eltern gehören beispielsweise kognitive Kompetenzen (wie intellektuelle Fähigkeiten oder Problemlösekompetenzen), das emotionale Befinden, Persönlichkeitseigenschaften, das vorhandene Verhaltensrepertoire und das gesundheitliche Befinden der Eltern. Als Merkmale der Umgebung werden die aktuellen Umweltbedingungen sowie auch alltägliche Belastungen oder kritische Lebensereignisse, die als Folge der Umgebungsbedingungen auftreten (z. B. Verlust des Arbeitsplatzes), zusammengefasst (zur Bedeutung von Variablen, die neben Kindmerkmalen den wahrgenommenen Elternstress beeinflussen s. auch Abidin, 1992; Östberg und Hagekull, 2000; Domsch & Lohaus, 2010). Obwohl sicherlich eine Vielzahl weiterer Merkmale (wie Elternmerkmale oder soziale Ressourcen) ebenso in diesem Zusammenhang von Bedeutung ist (s. hierzu unter anderem Mulsow, Caldera, Pursley, Reifman & Huston, 2002; Renk, Roddenberry, Oliverosa & Sieger, 2007) und obwohl auch Wechselwirkungen zwischen Kind- und Elternmerkmalen denkbar und wahrscheinlich sind (s. beispielsweise Graf, 2002), wird in dieser Studie eine Schwerpunktsetzung vorgenommen, indem vor allem die Bedeutung von Merkmalen des Kindes für die Entstehung von Elternstress analysiert wird. Im Vordergrund stehen dabei das Temperament des Kindes sowie internalisierende und externalisierende Verhaltensauffälligkeiten. Betrachtet man zunächst die Rolle des Temperaments für die Entstehung von Elternstress, so kann davon ausgegangen werden, dass Kinder mit einem schwierigen Temperament häufiger Ängste oder Ärger zeigen, sich schwerer beruhigen lassen und größere Schwierigkeiten bei der Selbstregulation eigener Emotionen und Bedürfnisse zeigen. Ein schwieriges Temperament zeichnet sich nach Thomas und Chess (1977) dadurch aus, dass Kinder sich nur langsam auf neue Erfahrungen einstellen, häufig negativ und intensiv auf Reize und Ereignisse reagieren und unregelmäßige Körperrhythmen (z.B. hinsichtlich Schlaf- Wach-Rhythmus und Essenszeiten) aufweisen. Östberg und Hagekull (2000) konnten mithilfe eines Strukturgleichungsmodells zeigen, dass die Einschätzung eines Kindes als schwierig einen der besten Prädiktoren für Elternstress darstellt. In derselben Studie wurde als weitere Facette eines schwierigen Temperaments die Regelmäßigkeit der körperlichen Funktionen (z. B. Schlaf-Wach-Rhythmus, Essenszeiten) des Kindes erfasst. Es wurde gefunden, dass ein unregelmäßiger Rhythmus des Kindes einen indirekten Effekt auf das Erleben von Elternstress hat (vermittelt über die Wahrnehmung der täglichen Hausarbeit). Gibt es häufig Probleme mit dem Kind bezüglich der Regelmäßigkeit, so wird sowohl die Hausarbeit als belastender als auch das Kind als schwieriger wahrgenommen. Es kann weiterhin vermutet werden, dass Eltern stark emotional reagierender Kinder mehr Elternstress erleben, da diese sich sehr schnell aufregen und sich schwerer wieder beruhigen (Rothbart, Ahadi & Hershey, 1994). Sehr aktive Kinder auf der anderen Seite sind Elternstress, kindliches Temperament und kindliche Symptomatik 163 für ihre Eltern schwieriger zu kontrollieren und erfordern mehr Aufmerksamkeit und Lenkung (Chess & Thomas, 1984). Dagegen werden gehemmte oder schüchterne Kinder von ihren Eltern meist als einfacher empfunden, aber es besteht die Gefahr, dass diese in neuen Situationen Anpassungsprobleme entwickeln (Kagan, Reznick & Gibbons, 1989; Reznick, 1989). Man kann also festhalten, dass verschiedene Dimensionen des kindlichen Temperaments entscheidende Faktoren für das Ausmaß des Elternstresses sein können. Ein schwieriges Temperament bildet nicht selten die Grundlage für das spätere Auftreten von Verhaltensauffälligkeiten, die als Abweichung von der Verhaltensnorm zu verstehen sind und häufig mit einem subjektiven Leidensdruck seitens der Kinder oder (noch häufiger) seitens der Eltern verbunden sind. Dies wird insbesondere von Entwicklungspfadmodellen, wie sie beispielsweise von Patterson, Dishion und Yoerger (2000) für die Entwicklung aggressiv-dissozialen Verhaltens beschrieben wurden, betont. Da das Temperament ein gewichtiger Prädiktor für das Ausmaß des Elternstresses ist, liegt es nahe, auch kindliche Verhaltensauffälligkeiten im Hinblick auf mögliche Assoziationen zum Elternstress zu betrachten. Verhaltensauffällige Kinder verlangen eine verstärkte Aufmerksamkeit und stellen besondere Anforderungen an die Eltern im Vergleich zu verhaltensunauffälligen Kindern (Morgan, Robinson & Aldridge, 2002). Eine wichtige Unterscheidung bezieht sich dabei auf die Abgrenzung von internalisierenden und externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten, wobei als internalisierend stärker nach innen gerichtete Symptomatiken (wie Ängste, Depressionen etc.) und als externalisierend stärker nach außen gerichtete Symptomatiken (wie Aggression, dissoziales Verhalten etc.) zusammengefasst werden. In einer Studie mit zehn- und elfjährigen Kindern fanden Mesman und Koot (2000) beispielsweise Zusammenhänge zwischen elterlichem Stress und dem Ausmaß externalisierender und internalisierender Verhaltensauffälligkeiten der Kinder. Dabei zeigt sich in der Regel ein engerer Zusammenhang zwischen externalisierenden Verhaltensauffälligkeiten und dem elterlichen Stresserleben als zwischen internalisierenden Verhaltensauffälligkeiten und Elternstress. Dies ist dadurch begründet, dass externalisierende Verhaltensauffälligkeiten für die Eltern vielfach deutlicher erkennbar sind und dementsprechend darauf bezogenes Elternhandeln erfordern. In dieser Studie sollen zunächst die Bezüge des durch die Eltern wahrgenommenen kindlichen Temperaments für die Entstehung von Elternstress analysiert werden. Es werden dabei enge Bezüge des kindlichen Temperaments zum wahrgenommenen Elternstress angenommen. Als entscheidende Mediatorvariable wird darüber hinaus das Ausmaß der wahrgenommenen internalisierenden und externalisierenden Symptomatiken gesehen, da Temperamentsmerkmale einerseits die Wahrscheinlichkeit eines Auftretens von Verhaltensauffälligkeiten erhöhen können und andererseits wahrgenommene Verhaltensauffälligkeiten wiederum entscheidend zur Entstehung von Elternstress beitragen können. Dies lässt sich auf der Basis von Entwicklungspfadmodellen und auch stresstheoretischen Ansätzen dadurch begründen, dass „schwierige“ Kinder besondere Anforderungen an ihre Eltern stellen, während unkomplizierte Kinder, die ausgeglichen und anpassungsfähig sind, den Erziehungsalltag ihrer Eltern erleichtern (Graf, 2002). Mit einem schwierigen Temperament erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sich - teilweise in Interaktion mit dem Erziehungsverhalten der Eltern - Verhaltensauffälligkeiten entwickeln, die ihrerseits zusätzlich (oder sogar vorrangig) zum Elternstress beitragen. Es kann vor diesem Hintergrund vermutet werden, dass es inhaltliche Überschneidungen zwischen den Temperamentsskalen und den Skalen zu Internalität/ Externalität gibt. Die vorgesehenen Analysen geben dabei Aufschluss darüber, ob die Prädiktion des Elternstresses vollständig durch die externalisierende bzw. internalisierende Symptomatik erfolgt oder ob mit den Temperamentsmerkmalen noch eine zusätzliche Varianzaufklärung stattfindet (was einer unvollständigen Mediation entspricht). 164 Arnold Lohaus et al. Die Mediatorvariable (internalisierende und externalisierende Verhaltenssymptomatiken) wird sowohl aus der Sicht der Eltern als auch der Kinder erhoben. Es wird erwartet, dass sich die Zusammenhänge zum kindlichen Temperament bei beiden Beurteilerperspektiven zeigen. Dadurch soll belegt werden, dass die aufgefundenen Zusammenhänge nicht dadurch zu erklären sind, dass alle Daten aus derselben Beurteilerperspektive stammen (und dass spezifische Wahrnehmungsverzerrungen sämtliche Einschätzungen durchziehen). Da zumindest bei einem Teil der Variablen (wie internalisierende und externalisierende Symptomatik) Geschlechtsunterschiede zu vermuten sind, werden die Auswertungen für die Geschlechtsgruppen getrennt vorgenommen, falls sich die angenommenen Geschlechtsunterschiede bestätigen. Die vorliegende Studie fokussiert auf das Grundschulalter, da sich in diesem Altersbereich sowohl die Temperamentsmerkmale stabilisiert haben als auch internalisierende und externalisierende Verhaltenssymptomatiken erkennbar werden. Methode Stichprobe An der Studie nahmen Eltern der ersten bis vierten Grundschulklasse aus acht Schulen teil. Von den jeweiligen Klassenlehrerinnen bzw. Klassenlehrern wurden Umschläge mit den Fragebögen an die Schüler verteilt mit der Bitte, diese an die Eltern weiterzugeben und innerhalb von 10 Tagen wieder ausgefüllt in die Schule mitzubringen. Es nahmen 616 Eltern an der Befragung teil, wobei die Rücklaufquote bei 41.9 % lag. In 81.8 % der Fälle beantwortete die Mutter des Kindes den Fragebogen, in 13.3 % der Vater und in 2.1 % eine andere Erziehungs- oder Bezugsperson (z. B. Tante oder Schwester). Bei den restlichen 2.7 % war entweder nicht angegeben, von wem der Fragebogen beantwortet wurde, oder beide Elternteile hatten ihn gemeinsam ausgefüllt. Das Alter der beantwortenden Eltern lag im Durchschnitt bei 38.1 Jahren (SD = 6.0), während die Kinder der befragten Eltern zwischen sechs und zwölf Jahre alt waren (M = 8.1; SD = 1.3). Der größte Teil der Eltern war verheiratet (78.6 %) bzw. unverheiratet in einer festen Partnerschaft (5.2 %). Weitere 8.2 % waren ledig und 8.0 % waren geschieden bzw. getrennt lebend. Die Geschlechterverteilung der eingeschätzten Kinder war mit 48.9 % Jungen und 51.1 % Mädchen nahezu gleich. Die Befragung der Schüler zu internalisierenden und externalisierenden Symptomatiken erfolgte ausschließlich bei Dritt- und Viertklässlern, da in den unteren Klassenstufen die erforderlichen Lese- und Schreibfähigkeiten nicht ausgereicht hätten, um einen Fragebogen zu beantworten. An dieser Befragung nahmen 104 Schüler (46.1 % Jungen und 53.9 % Mädchen) teil. Der geringere Anteil der Kinderstichprobe im Verhältnis zur Elternstichprobe (299 Eltern von Kindern der Klassenstufen 3 und 4) erklärt sich dadurch, dass ein Teil der Kinder einen anderen Fragebogen ausfüllte, der jedoch für die Fragestellungen dieser Studie keine Bedeutung hat. Bei einzelnen Auswertungen kommt es aufgrund fehlender Angaben zu geringfügigen Abweichungen von den Gesamtstichprobenumfängen. Kinderfragebogen zur internalisierenden und externalisierenden Symptomatik Der Youth Self Report (YSR; Achenbach, 1991 b) wurde in der deutschsprachigen Fassung von Döpfner, Berner und Lehmkuhl (1994) eingesetzt. Der YSR kann typischerweise in einem Altersbereich zwischen 11 und 18 Jahren zum Einsatz gelangen, wurde in der vorliegenden Studie aber trotz des teilweise niedrigeren Alters der Schüler genutzt, weil der YSR bereits in früheren Studien erfolgreich in diesem Altersbereich eingesetzt wurde (vgl. Remschmidt und Walter, 1990) und weil mit dem Verfahren ein sehr breites Symptomspektrum erfasst wird. Der Fragebogen wurde jedoch in seinem Umfang gekürzt, damit eine hinreichende Konzentration bei der Bearbeitung durch die beteiligten Dritt- und Viertklässler gewährleistet war. Es wurde jeweils ein Skalenmittelwert über die 26 Items zur internalisierenden Symptomatik (Beispielitem: Ich fühle mich wertlos oder unterlegen) sowie über die 22 Items zur externalisierenden Symptomatik (Beispielitem: Ich greife andere körperlich an) gebildet. Beim YSR liegt ein dreistufiges Antwortformat (nicht zutreffend, etwas/ manchmal zutreffend bzw. genau/ häufig zutreffend) vor. Die internen Konsistenzen lagen bei .78 und .83 für die internalisierende bzw. externalisierende Symptomatik. Die Erhebung des YSR erfolgte jeweils im Klassenverband, wobei sämtliche Items vorgelesen wurden. Elternstress, kindliches Temperament und kindliche Symptomatik 165 Elternfragebogen zur internalisierenden und externalisierenden Symptomatik Zur Erhebung kam die Child Behavior Check List (CBCL, Achenbach, 1991 a) in der deutschsprachigen Fassung von Döpfner, Schmeck und Berner (1994) zum Einsatz. Für die CBCL wird angegeben, dass sie in einem Altersbereich zwischen vier und 18 Jahren einsetzbar ist (Achenbach, 1991 a). Um die Versionen zu parallelisieren, wurde eine Kürzung auf die im YSR abgefragten Items vorgenommen. Die Itemanzahl betrug dementsprechend bei der Skala zur internalisierenden Symptomatik 22 Items (Beispielitem: Mein Kind fühlt sich wertlos oder unterlegen) und bei der Skala zur externalisierenden Symptomatik 26 Items (Beispielitem: Mein Kind greift andere körperlich an). Das Antwortformat sowie die Scorebildung entsprechen dem YSR. Die internen Konsistenzen lagen bei .80 und .88 für die internalisierende bzw. externalisierende Symptomatik. Elternfragebogen zum Temperament Das EAS-Temperamentsinventar von Buss und Plomin (1984) zur elterlichen Einschätzung von Kindern beinhaltet vier Skalen, die durch jeweils fünf Items mit fünfstufiger Antwortskala repräsentiert sind: (a) eine Emotionalitätsskala als Maß für emotionale Angespanntheit (z. B. „Das Kind regt sich leicht auf.“), (b) eine Aktivitätsskala als Maß für körperliche Bewegung (z. B. „Das Kind ist immer in Bewegung.“), (c) eine Schüchternheitsskala als Maß für Gehemmtheit und Anspannung in der Anwesenheit unbekannter Personen (z. B. „Das Kind braucht lange, um mit Fremden warm zu werden.“) und (d) eine Soziabilitätsskala als Maß für die Präferenz, die Anwesenheit anderer dem Alleinsein vorzuziehen (z. B. „Das Kind ist gerne unter Menschen.“). Die Elternbeurteilungsform des EAS wurde von Angleitner, Harrow, Hempel und Spinath (1991) ins Deutsche übersetzt. Buss und Plomin (1984) geben zum Altersbereich, in dem der EAS eingesetzt werden kann, keine Empfehlung ab. Mittlerweile wurde eine Vielzahl Studien in unterschiedlichen Altersbereichen durchgeführt: Rowe und Plomin (1977) setzten den EAS zur Einschätzung des kindlichen Temperaments in einer Studie mit Kindern im frühen Alter von fünf Monaten bis neun Jahren ein. Die Stichprobe von Boer und Westenberg (1994) umfasste Kinder im Alter von vier bis 13 Jahren. Spinath (2000) untersuchte Zwillinge in einem Altersbereich von 2 bis 14 Jahren. Die aufgeführten Studien lassen den Schluss zu, dass sich das Inventar für einen breiten Altersbereich vom Säuglingsbis ins Jugendalter einsetzen lässt. Da einige Soziabilitätsitems hohe Ladungen auf der Schüchternheitsskala aufwiesen und sich daher die Schüchternheits- und Soziabilitätsitems faktorenanalytisch nicht eindeutig trennen ließen, wurde in dieser Studie auf die Bildung einer eigenständigen Soziabilitätsskala verzichtet. Die Schüchternheitsskala wurde dementsprechend um die Items der Skala Soziabilität erweitert, die auf dieser Skala hohe (negative) Ladungen aufwiesen. Dadurch erhöhte sich die Itemanzahl für die Schüchternheitsskala auf acht Items. Für die einzelnen Skalen wurden die Skalenmittelwerte über die Items hinweg gebildet. Die internen Konsistenzen für die Skalen lagen bei .73 (Emotionalität), .63 (Aktivität) und .80 (Schüchternheit). Elternfragebogen zum Elternstress Die Elternstress-Skala erfasst unterschiedliche Aspekte des elterlichen Stresserlebens. Diese umfassen die wahrgenommene elterliche Erziehungskompetenz (Beispielitem: „Ich habe Zweifel, ob ich in der Erziehung meines Kindes alles richtig mache.“), Stress in der Interaktion mit dem Kind (Beispielitem: „Manchmal stehe ich dem Verhalten meines Kindes hilflos gegenüber.“) sowie tägliche Mühen durch die Elternschaft (Beispielitem: „Ich muss meinem Kind bei mehr alltäglichen Dingen (wie Anziehen, Zähne putzen, Zimmer aufräumen) helfen, als mir recht ist.“). Bei der in dieser Studie eingesetzten Fragebogenversion handelt es sich um eine Vorfassung zu der Elternstress-Skala von Domsch und Lohaus (2010) mit insgesamt 22 Items mit vierstufigem Antwortformat. Die interne Konsistenz liegt bei .95. Für die einzelnen Skalen wurden die Skalenmittelwerte über die Items hinweg gebildet. Der Elternstressfragebogen von Domsch und Lohaus enthält neben der Elternstress-Skala noch weitere Skalen (Rollenrestriktion, Soziale Unterstützung, Partnerschaft), die jedoch im Kontext dieser Studie keine zentrale Bedeutung haben und daher nicht einbezogen wurden. Sämtliche Elterneinschätzungen (Temperament, Symptomatik und Elternstress) waren jeweils auf das Zielkind bezogen, das als Grundschulkind den Eltern den Fragebogen übergeben hatte. Alle Fragebogenskalen waren daher auf ein spezifisches Kind bezogen (wie auch aus den Beispielitems ersichtlich ist). 166 Arnold Lohaus et al. Auswertungen Die nachfolgenden Auswertungen basieren im Wesentlichen auf korrelations- und regressionsanalytischen Berechnungen. Als Prädiktoren gelangen dabei die Temperamentsskalen des EAS sowie die elterlichen und kindlichen Angaben zur internalisierenden und externalisierenden Symptomatik zum Einsatz. Die Elternstress-Skala bildet das Kriterium. Zusätzlich werden Mediationsanalysen nach dem Modell von Frazier, Tix und Barron (2004) durchgeführt, um den Status der internalisierenden und externalisierenden Symptomatik als potenzielle Mediatorvariable zu prüfen. Zur Prüfung möglicher Geschlechtsunterschiede werden zusätzlich varianzanalytische Auswertungen vorgenommen. Ergebnisse (a) Geschlechtsunterschiede Zur Prüfung von Geschlechtsunterschieden wurden multivariate Varianzanalysen (a) für die Temperamentsskalen, (b) für die Symptomatik aus Elternsicht, (c) für die Elternstress-Skala und (d) für die Symptomatik aus Kindersicht mit dem Geschlecht als unabhängiger Variable durchgeführt. Eine Zusammenstellung der Mittelwerte und Standardabweichungen für die einzelnen Skalen findet sich in der Tabelle 1. Als Ergebnis zeigt sich bei den Temperamentsskalen kein signifikanter multivariater Geschlechtseffekt. Bei der Symptomatik aus Elternsicht findet sich dagegen ein signifikanter multivariater Effekt (F (2,608) = 6.02, p < .01, eta 2 = .02). Die univariaten Analysen zeigen, dass dieser Effekt sich nur auf die internalisierende Symptomatik bezieht (F (1,609) = 4.57, p < .05, eta 2 = .01) und dort höhere Werte für die Mädchen ausweist. Die Unterschiede sind jedoch nicht sehr ausgeprägt, wenn man die Mittelwerte betrachtet. Bei der externalisierenden Symptomatik finden sich keine Geschlechtsunterschiede. Bei der Variable Elternstress findet sich ebenfalls kein Geschlechtsunterschied. Betrachtet man abschließend die internalisierende und externalisierende Symptomatik aus der Sicht der Kinder, so lässt sich hier - ebenso wie bei den Eltern - ein signifikanter multivariater Geschlechtseffekt erkennen (F (2,101) = 6.21, p < .01, eta 2 = .11). Auf univariater Ebene zeigt sich nur ein Effekt bei der externalisierenden Symptomatik (F (1,102) = 11.75, p < .01, eta 2 = .10) mit höheren Werten bei den Jungen. Hier zeigen sich offenbar Perspektivendivergenzen, da die Eltern eher einen Geschlechtsunterschied bei der internalisierenden Symptomatik und die Kinder eher bei der externalisierenden Symptomatik erkennen lassen. Die Korrelation zwischen den Eltern- und Kindbeurteilungen zur Symptomatik liegen bei r = .24 (p < .05) für die internalisierende und bei r = .61 (p < .001) für die externalisierende Symptomatik. Die Interkorrelationen zwischen den einbezogenen Skalen finden sich in der Tabelle 2. Da sich zumindest bei der Symptomatik Geschlechtsunterschiede zeigten und da sich in Zusammenhangsanalysen auch bei fehlenden Mädchen Jungen Gesamt Symptomatik (Kindersicht) Internalisierend Externalisierend 1.40 (.23) 1.43 (.28) 1.39 (.29) 1.27 (.19) 1.39 (.26) 1.34 (.25) Symptomatik (Elternsicht) Internalisierend Externalisierend 1.21 (.17) 1.29 (.22) 1.18 (.17) 1.32 (.28) 1.19 (.17) 1.31 (.25) Temperament Emotionalität Aktivität Schüchternheit 2.77 (.72) 3.64 (.63) 2.16 (.63) 2.68 (.74) 3.75 (.67) 2.14 (.62) 2.72 (.73) 3.69 (.65) 2.15 (.62) Elternstress .89 (.54) .90 (.54) .89 (.54) Tabelle 1: Übersicht zu den Mittelwerten und Standardabweichungen der einbezogenen Skalen zur Symptomatik, zum Temperament und zum Elternstress Anmerkung: Die Symptomangaben aus der Sicht der Kinder basieren auf einer Teilstichprobe von n = 104 Kindern. Elternstress, kindliches Temperament und kindliche Symptomatik 167 Mittelwertunterschieden differenzielle Ergebnisse zeigen können, werden die folgenden Auswertungen geschlechtsgetrennt vorgenommen. (b) Prädiktion des Elternstresses aus den Temperamentsdimensionen Im Folgenden soll zunächst mit Hilfe einer Regressionsanalyse der Frage nachgegangen werden, ob die Temperamentsskalen das Ausmaß des Elternstresses vorhersagen können. Die Ergebnisse der Regressionsanalyse sind in der Tabelle 3 zusammengefasst. Es zeigt sich in beiden Geschlechtsgruppen konsistent ein deutlicher Bezug der Temperamentsskala Emotionalität zu dem Elternstress- Ausmaß. Bei den beiden anderen Temperamentsskalen Schüchternheit und Aktivität finden sich dagegen keine Bezüge. (c) Internalisierende und externalisierende Symptomatik als Mediatoren des Elternstresses Voraussetzung für eine Mediation ist, dass der Prädiktor eine signifikante Beziehung sowohl zum Mediator als auch zum Kriterium aufweist. Für die Temperamentsskalen wurde bereits in der vorausgehenden Analyse nachgewiesen, dass eine signifikante Beziehung zum Kriterium besteht, wobei sich jedoch nur die Temperamentsskala Emotionalität als signifikanter Prädiktor erwiesen hat. In die Mediatoranalyse wird daher auch nur diese Variable aufgenommen. Vor der Durchführung der Mediatoranalyse ist zusätzlich der Nachweis zu führen, dass die Temperamentsskala weiterhin zur internalisierenden und externalisierenden Symptomatik Bezüge aufweist. Die entsprechende Regressionsanalyse ergibt für beide Symptomskalen signifikante Zusammenhänge zur Temperamentsskala Emotionalität (sowohl für Jungen als auch für Mädchen). Die Ergebnisse der nachfolgenden Mediatoranalyse sind in der Tabelle 4 zusammengefasst. Es zeigt sich, dass die Temperamentsskala Emotionalität bei Einführung der Symptomskalen als Mediatoren zwar an Prädiktionskraft ver- (1) (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) Symptomatik (Kindersicht) (1) Internalisierend (2) Externalisierend .47** .26 .26 .29* .20 .51** -.01 .13 .16 -.05 -.04 .09 .24 .45** Symptomatik (Elternsicht) (3) Internalisierend (4) Externalisierend .24 .27 .21 .67** .44** .40** .41** .45** -.28** .02 .40** .07 .43** .64** Temperament (5) Emotionalität (6) Aktivität (7) Schüchternheit .03 .02 .33* -.03 .09 .45** .38** -.34** .52** .50** .02 .09 -.04 .21* .02 -.39** .22** -.43** .47** -.06 .19** Elternstress (8) Elternstress-Skala .36* .58** .49** .63** .56** -.07 .18** Tabelle 2: Interkorrelationen zu den einbezogenen Skalen zur Symptomatik, zum Temperament und zum Elternstress bei Mädchen (oberhalb der Diagonale) und Jungen (unterhalb der Diagonale) Anmerkung: Die Korrelationen zu den Symptomangaben aus der Sicht der Kinder basieren auf einer Teilstichprobe von n = 104 Kindern. B SE β p Mädchen Schüchternheit Aktivität Emotionalität .07 -.03 .34 .05 .05 .04 .08 -.04 .46 >.05 >.05 <.001 Jungen Schüchternheit Aktivität Emotionalität .05 -.02 .40 .05 .04 .04 .06 -.03 .54 >.05 >.05 <.001 Tabelle 3: Prädiktion des Elternstress-Ausmaßes aus den EAS-Temperamentsskalen Emotionalität, Aktivität und Schüchternheit für Mädchen (n = 310) und Jungen (n = 296) Anmerkung: R 2 = .23 für Mädchen, R 2 = .32 für Jungen 168 Arnold Lohaus et al. liert (was durch die reduzierten B-Koeffizienten in Tabelle 4 zu erkennen ist), dass sie jedoch weiterhin zusätzliche Varianz aufklärt. Durch die Symptomskalen wird eine Varianzaufklärung von 45 % erreicht, während auf die Emotionalität weitere 5.5 % entfallen. Die Signifikanzprüfung der Mediation nach Sobel (1982) ergab in beiden Geschlechtsgruppen sowohl für internalisierende wie externalisierende Symptome signifikante Z-Statistiken. Dementsprechend liegt eine partielle Mediation vor. Dies gilt konsistent sowohl für Mädchen als auch für Jungen. Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, ob auch die Symptomatik-Einschätzungen der Kinder Bezüge zu den Temperamentsskalen und zum Elternstress aufweisen. Dies würde bedeuten, dass sich die Mediatoranalyse replizieren ließe, auch wenn die Symptomatik auf der Basis der Kindereinschätzungen erhoben wurde. Da die bisherigen Analysen kaum Hinweise auf Geschlechtsunterschiede ergeben haben und wegen des deutlich kleineren Stichprobenumfangs werden die folgenden Auswertungen nicht geschlechtsgetrennt vorgenommen. Wie in der vorausgehenden Mediatoranalyse ließ sich im ersten Schritt (s. Tabelle 5) zeigen, dass auch in der reduzierten Elternstichprobe ein signifikanter Zusammenhang zwischen Elternstress und Temperament (Emotionalität) besteht. Keine Zusammenhänge zeigten sich auch hier zu den beiden anderen Temperamentsskalen. Im zweiten Schritt wurde der Zusammenhang zwischen der Tempera- B SE β p Mädchen Internalisierende Symptomatiken (Mediator) Externalisierende Symptomatiken (Mediator) Emotionalität (Prädiktor) .64 .78 .20 .16 .10 .04 .20 .41 .28 <.001 <.001 <.001 Jungen Internalisierende Symptomatiken (Mediator) Externalisierende Symptomatiken (Mediator) Emotionalität (Prädiktor) .48 1.24 .15 .15 .12 .04 .15 .49 .20 <.01 <.001 <.001 Tabelle 4: Mediatoranalyse zur Prädiktion des Elternstress-Ausmaßes aus der EAS-Temperamentsskala Emotionalität mit der internalisierenden und externalisierenden Symptomatik aus Elternsicht als Mediator für Mädchen (n = 309) und Jungen (n = 296) Anmerkung: R 2 = .51 für Mädchen, R 2 = .47 für Jungen B SE β p Schritt 1 Kriterium: Elternstress Prädiktor: Temperament (Emotionalität) .41 .05 .54 <.001 Schritt 2 Kriterium: Internalisierende Symptome (Mediator) Kriterium: Externalisierende Symptome (Mediator) Prädiktor: Temperament (Emotionalität) .04 .08 .04 .04 .11 .23 >.05 <.05 Schritt 3 Kriterium: Elternstress Prädiktor: Temperament (Emotionalität) Mediator: Externalisierende Symptome .30 .86 .06 .16 .41 .41 <.001 <.001 Tabelle 5: Mediatoranalyse zur Prädiktion des Elternstress-Ausmaßes aus der EAS-Temperamentsskala Emotionalität mit der internalisierenden und externalisierenden Symptomatik aus der Sicht der Kinder als Mediator (n = 104, davon 48 weiblich) Anmerkung: R 2 = .41 für den abschließenden Schritt 3 Elternstress, kindliches Temperament und kindliche Symptomatik 169 mentsskala Emotionalität und den beiden Symptomskalen geprüft. Es zeigten sich nur Zusammenhänge zur Externalitäts-, nicht aber zur Internalitätsskala. Die abschließende Mediationsanalyse wurde daher nur für die Externalitätsskala vorgenommen. Die im dritten Schritt durchgeführte Mediationsanalyse ergibt auch hier Hinweise auf eine unvollständige Mediation des Zusammenhangs zwischen Emotionalität und Elternstress durch die externalisierende Symptomatik. Mit der externalisierenden Symptomatik wird dabei eine Varianzaufklärung von 29 % erreicht, während auf die Emotionalität weitere 12 % entfallen. Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Mediatorwirkung der durch die Kinder eingeschätzten externalisierenden Symptomatik verschwindet, wenn zusätzlich die von den Eltern eingeschätzte externalisierende Symptomatik in das Modell aufgenommen wird. In diesem Fall kommt es zu einer hohen Varianzaufklärung durch die Elterneinschätzungen der Symptomatik, während die Kindereinschätzungen keinen signifikanten Beitrag mehr leisten. Diskussion Die Ergebnisse belegen die Bedeutung der (wahrgenommenen) Temperamentsdimension Emotionalität für die Entstehung von Elternstress. Emotionalität kann dabei zusammenfassend beschrieben werden als die Tendenz, leicht und intensiv in Erregung zu geraten. Wenn Kinder mit diesem Temperament mit Stressoren konfrontiert werden, reagieren sie mit einer erhöhten emotionalen Erregung, die sich in einer erhöhten Anspannung, erhöhtem Ärger oder erhöhter Angst äußern kann (Buss & Plomin, 1984). Das Emotionalitätskonstrukt ist Bestandteil vieler Temperamentstheorien und kommt unter anderem als Reaktionsintensität in der Konzeption von Thomas und Chess (1977) oder als Reaktivität bei Rothbart und Derryberry (1981) vor. Eine hohe Emotionalität scheint dabei erhöhte Anforderungen an die Eltern zu stellen, wobei sich dies in entsprechend erhöhten Elternstress-Werten äußert. Die beiden anderen Temperamentsdimensionen des EAS (Aktivität und Schüchternheit) scheinen demgegenüber wenig bedeutsam zu sein. Es wurde nicht nur erwartet, dass die Temperamentsdimensionen Einfluss auf den Elternstress nehmen, sondern darüber hinaus, dass diese Beziehung durch die internalisierende und externalisierende Symptomatik mediiert wird. Da nur die Temperamentsdimension Emotionalität Bezüge zum Elternstress aufweist, würde eine mögliche Mediation so aussehen, dass eine erhöhte Emotionalität mit vermehrten internalisierenden und externalisierenden Symptomatiken verknüpft ist, die ihrerseits dann mit einem erhöhten Elternstress verbunden sind. Die entsprechenden Regressionsanalysen zeigen, dass die Elternstress-Werte nicht vollständig über die Mediation erklärt werden. Mit der Temperamentsdimension Emotionalität werden vielmehr eigenständige Varianzanteile am Elternstress erklärt, die nicht durch die Symptomatik aufgeklärt werden. Sowohl die Symptomatik als auch die Emotionalität tragen also zum Elternstress bei. Wenn die Angaben der Kinder anstelle der Elternangaben in einer entsprechenden Mediatoranalyse berücksichtigt wurden, konnten diese Ergebnisse lediglich für die externalisierende Symptomatik repliziert werden. Auch hier zeigte sich eine unvollständige Mediation. Daraus lässt sich schließen, dass die Ergebnisse der Mediatoranalyse nicht dadurch zustande kommen, dass alle Daten aus derselben Quelle stammen und die nachgewiesenen Bezüge lediglich auf potenzielle Wahrnehmungsverzerrungen zurückgeführt werden können. Dass eine Replikation nur bei der externalisierenden und nicht bei der internalisierenden Symptomatik möglich war, dürfte darauf zurückzuführen sein, dass Beurteilerdivergenzen bei der internalisierenden Symptomatik mit höherer Wahrscheinlichkeit auftreten, da internalisierende Symptomatiken weniger gut beobachtbar sind. Externalisierende Symptomatiken sind dagegen deutlich eher im offenen Verhalten erkennbar, sodass es eher zu Übereinstimmungen zwischen den Angaben der Kinder und ihrer Eltern kommen kann. Die 170 Arnold Lohaus et al. Korrelationen zwischen den Eltern- und Kindangaben zur internalisierenden und externalisierenden Symptomatik belegen dies (r = .24 versus r = .61). Der Unterschied zwischen den Korrelationen verdeutlicht, dass die Zusammenhänge zwischen den Eltern- und Kindangaben geringer sind, wenn die Symptome nach innen gerichtet sind (wie bei Ängsten und Depressionen) und damit für die Eltern nicht immer erkennbar sind (zu Diskrepanzen zwischen Eltern- und Kindangaben siehe zusammenfassend auch De los Reyes und Kazdin, 2005). Auffällig ist, dass die Mediatorwirkung der kindlichen Symptomangaben verschwindet, sobald die Elternangaben zu den Symptomatiken in die Regressionsanalyse aufgenommen werden. Dies zeigt, dass der Elternstress im Wesentlichen mit den Symptomwahrnehmungen der Eltern assoziiert ist. Die Symptomangaben der Kinder decken sich in diesem Fall lediglich weitgehend mit denen ihrer Eltern und bestätigen damit die Validität der elterlichen Wahrnehmungen (zumindest bei den externalisierenden Symptomatiken). Der Elternstress ist dagegen mit den elterlichen und nicht mit den kindlichen Wahrnehmungen der Symptomatik verbunden. Einschränkend ist darauf hinzuweisen, dass die Symptomangaben der Kinder nur für eine Teilstichprobe vorlagen. Um sicherzustellen, dass die Teilstichprobe sich nicht von der Gesamtstichprobe unterscheidet, wurden die zentralen Regressionsanalysen (s. Tabellen 3 und 4) in der Teilstichprobe wiederholt, wobei sich analoge Ergebnisse zeigten. Auch Mittelwertunterschiede ließen sich bei den relevanten Variablen nicht zwischen der Teilstichprobe und den übrigen Teilnehmern der Gesamtstichprobe erkennen. Die vorliegende Studie belegt die mögliche Bedeutung der Temperamentsdimension Emotionalität für die Entstehung von internalisierenden und externalisierenden Symptomatiken sowie für die Entstehung von Elternstress. Dadurch wird gleichzeitig deutlich, dass den Emotionsregulationskompetenzen eine Rolle bei der Entstehung von kindlichen Anpassungsproblemen zukommen könnte (s. auch Morris, Silk, Steinberg, Myers & Robinson, 2007). In der überwiegenden Mehrheit der bisher vorliegenden Studien wurden Kinder mit bereits vorhandenen psychischen Auffälligkeiten im Hinblick auf ihre Emotionsregulationsfähigkeiten bzw. mögliche Einflüsse der Bezugspersonen untersucht (z.B. Shipman und Zeman, 2001; Cummings, El-Sheikh, Kouros & Buckhalt, 2009). Southam-Gerow und Kendall (2002) weisen darauf hin, dass es nur wenige Studien zu dem Thema Emotionsregulation im Kindesalter gibt, die mit nicht-klinisch auffälligen Kindern durchgeführt wurden, sodass man nur sehr begrenzte Schlussfolgerungen daraus ziehen kann. Sie folgern aus der vorhandenen empirischen Basis, dass spezifische Emotionsregulationsmuster im Zusammenhang zu psychischen Störungen stehen. Diese Zusammenhänge sind nach Southam-Gerow und Kendall (2002) naheliegend, da einige Kennzeichen von Emotionsregulationsmustern (wie eine übermäßige oder zu geringe Emotionskontrolle) gleichzeitig Kennzeichen von einzelnen Störungsbildern sind. Dennoch bleibt offen, ob beispielsweise ängstliche Kinder und Jugendliche Emotionen anders regulieren als Kinder und Jugendliche mit Verhaltensproblemen. Weiterhin ist unklar, ob sich entsprechende Unterschiede in der Emotionsregulation im Laufe der Entwicklung verändern. Es wäre also wünschenswert, die dargestellten Zusammenhänge mit einem längsschnittlichen Studiendesign zu verfolgen und dabei auch die Emotionsregulationskompetenzen zu erfassen. Dies würde gleichzeitig die Interpretation der Zusammenhänge erleichtern, da beim gegenwärtigen Stand keine kausalen Schlussfolgerungen gezogen werden können. Bei der Interpretation der derzeitigen Befunde sollte nicht unberücksichtigt bleiben, dass zwischen den einzelnen Variablenkomplexen vielfältige Rückkopplungen bestehen, die die Wirkrichtung beeinflussen können. So kann beispielsweise der erlebte Elternstress zu Verhaltensänderungen bei den Eltern führen, die ihrerseits die Symptomatik verstärken. Weiterhin bleibt die Rolle von Elternvariablen (wie Elternstress, kindliches Temperament und kindliche Symptomatik 171 dem elterlichen Erziehungsverhalten) ebenso wie die Rolle der vorhandenen sozialen Ressourcen und damit verbundene Kompensationseffekte offen. So lassen sich beispielsweise Wechselwirkungseffekte zwischen elterlichem Erziehungsverhalten und kindlichem Temperament belegen (s. u. a. Bates, Dodge, Pettit & Ridge, 1998). Die vielfältigen Wechselwirkungen würden ebenfalls durch einen längsschnittlichen Forschungsansatz mit einem breiteren Spektrum berücksichtigter Variablen leichter erkennbar sein. Literatur Abidin, R. R. (1992). The determinants of parenting behavior. Journal of Clinical Child Psychology, 21, 407 - 412. Abidin, R R. (1995). Parenting Stress Index (PSI) - Manual. Odessa: Psychological Assessment Resources. Achenbach, T. M. (1991 a). Manual for the Child Behavior Checklist/ 4-18 and 1991 Profile. Burlington, VT: University of Vermont, Department of Psychiatry. Achenbach, T. M. (1991 b). Manual for the Youth Self Report and 1991 Profile. Burlington, VT: University of Vermont, Department of Psychiatry. Angleitner, A., Harrow, J., Hempel, S. & Spinath, F. M. (1991). 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