eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 59/1

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2012
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What works best in school? Hatties Befunde zu Effekten von Schul- und Unterrichtsvariablen auf Schulleistungen

11
2012
Olaf Köller
John Hattie hat im Jahr 2009 eine umfangreiche Synopse der Befunde der modernen, empirisch ausgerichteten Lehr-/Lernforschung vorgestellt. Auf der Basis von über 50.000 Studien, in denen über 83 Mio. Schülerinnen und Schüler untersucht wurden, kommt Hattie u. a. zu zentralen Aussagen über die Wirksamkeit von Unterrichts- und Schulmerkmalen. Im vorliegenden Beitrag werden Kernbefunde aus dieser Synopse vorgestellt. Im Einklang mit aktuellen Befunden aus der deutschen und internationalen Schulforschung lassen sich aus der Arbeit von Hattie folgende Schlussfolgerungen ziehen: Unterrichtsmerkmale sind für Schulleistungen deutlich erklärungsmächtiger als Schulmerkmale. Auf Seiten der Unterrichtsvariablen sind es weniger Oberflächenmerkmale (z.B. offener Unterricht, jahrgangsübergreifender Unterricht, Fähigkeitsgruppierung), sondern Tiefenmerkmale (Mastery Learning, formatives Assessment), die Leistungen steigern können.
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Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2012, 59, 72 - 78 DOI 10.2378/ peu2012.art06d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel What Works Best in School? Hattie’s Findings on Effects of School and Teaching Variables on Academic Achievement Summary: In 2009 John Hattie published an extensive synopsis of contemporary findings in empirical educational research. Hattie derived central conclusions regarding effects of school and teaching variables on students’ academic achievement based on approximately 50.000 empirical studies including more than 83 million students. The present article provides key findings of this synopsis. Congruent to current German and international educational studies, Hattie’s conclusions are: Teaching variables are much stronger predictors of achievement than school characteristics. On the part of teaching variables, so called surface indicators (open instruction, multi-grade classes, and ability-grouping) fail to predict achievement while indicators of deeper understanding (mastery learning, formative assessment) help to improve achievement substantially. Keywords: Academic Achievement, Teaching Quality, School Quality, Meta-Analysis Zusammenfassung: John Hattie hat im Jahr 2009 eine umfangreiche Synopse der Befunde der modernen, empirisch ausgerichteten Lehr-/ Lernforschung vorgestellt. Auf der Basis von über 50.000 Studien, in denen über 83 Mio. Schülerinnen und Schüler untersucht wurden, kommt Hattie u. a. zu zentralen Aussagen über die Wirksamkeit von Unterrichts- und Schulmerkmalen. Im vorliegenden Beitrag werden Kernbefunde aus dieser Synopse vorgestellt. Im Einklang mit aktuellen Befunden aus der deutschen und internationalen Schulforschung lassen sich aus der Arbeit von Hattie folgende Schlussfolgerungen ziehen: Unterrichtsmerkmale sind für Schulleistungen deutlich erklärungsmächtiger als Schulmerkmale. Auf Seiten der Unterrichtsvariablen sind es weniger Oberflächenmerkmale (z.B. offener Unterricht, jahrgangsübergreifender Unterricht, Fähigkeitsgruppierung), sondern Tiefenmerkmale (Mastery Learning, formatives Assessment), die Leistungen steigern können. Schlüsselbegriffe: Schulleistung, Unterrichtsqualität, Schulqualität, Meta-Analyse n Forum What works best in school? Hatties Befunde zu Effekten von Schul- und Unterrichtsvariablen auf Schulleistungen Olaf Köller Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik Lange Zeit fehlte es an einer breiten Übersicht über empirisch gesicherte Erkenntnisse der empirischen Schul- und Unterrichtsforschung. Dabei bestand vor allem ein Defizit bezüglich der Wirksamkeit von Schul- und Unterrichtsvariablen auf den Wissenserwerb von Schülerinnen und Schülern. Autoren wie Jencks, Smith, Ackland et al. (1973) sprachen der Schule Bedeutung für erfolgreiches Lernen weitgehend ab. In Deutschland wurde dann Anfang des 21. Jahrhunderts mit den Arbeiten von Gruehn (2000), Helmke (2009) und Meyer (2004) ein erster gelungener Überblick über die erhebliche Wirksamkeit von Schule und Unterricht gegeben. Mit der kürzlich erschienenen Arbeit von Hattie (2009) wird die Schul- und Unterrichtsforschung auf ein noch breiteres empirisches Fundament gestellt, als es die eben genannten Arbeiten leisten konnten. Hattie hat die Ergebnisse der empirischen Unterrichtsfor- Effekte von Schul- und Unterrichtsvariablen auf Schulleistungen 73 schung aus über 800 Metaanalysen zusammengetragen und zu Kernaussagen über lernwirksame und lernunwirksame Faktoren gebündelt. Dabei wurden über 50.000 Studien mit ca. 83 Millionen Untersuchungsteilnehmern gesichtet. Fasst man die Arbeit zusammen, so ergibt sich bei allen methodischen Grenzen, die solch eine Synthese hat (z. B. gibt es zu einigen Merkmalen vergleichsweise wenig Meta-Analysen), eine klare Botschaft: Ein moderner, fachlich orientierter, kognitiv aktivierender Unterricht, in dem die zur Verfügung stehende Zeit auch für Unterricht genutzt wird und (durch die Lehrkraft angeleitet) Schülerinnen und Schüler anspruchsvolle, aber bewältigbare Lernaufgaben bearbeiten, hat weit größere positive Effekte auf Lernleistungen als in der Vergangenheit angenommen wurde. Gleichzeitig erweisen sich schulische Rahmenbedingungen (differenziertes vs. nichtdifferenziertes Schulsystem; finanzielle Ausstattung) ebenso wie klassische reformpädagogische Konzepte (offener Unterricht, jahrgangsübergreifender Unterricht) in der Hattie-Übersicht als weitgehend unwirksam. Bevor detaillierter auf diese Befunde eingegangen wird, soll eine kurze Hinführung zur Problematik gegeben werden. Hinführung Moderne Industrienationen investieren einen erheblichen Anteil ihrer ökonomischen Ressourcen in die schulische Bildung, immer mit der impliziten oder expliziten Forderung, dass die Schule bzw. der fachliche Unterricht Wissenserwerbsprozesse aufseiten ihrer Schülerinnen und Schüler initiiert, aufrechterhält und somit erfolgreiche Bildungs- und Lebenskarrieren ermöglicht. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, wie groß lange Zeit die Zweifel waren, die aus wissenschaftlicher Sicht gegen die pädagogische Effizienz von Schulen vorgebracht wurden. In den 1960er Jahren machte der Coleman-Report (Coleman, Campbell, Hobson et al., 1966) in den USA Furore. Basierend auf einer varianzanalytischen Auswertungsstrategie kamen die Autoren zu dem Ergebnis, dass nach Kontrolle von Schülermerkmalen lediglich fünf (bei weißen Schülerinnen und Schülern) bzw. neun (bei afro-amerikanischen Schülerinnen und Schülern) Prozent der Leistungsunterschiede auf Schul- und Unterrichtseffekte zurückzuführen waren, 95 bzw. 91 Prozent der Unterschiede also durch andere Faktoren erklärt werden konnten. In den Sekundäranalysen von Jencks, Smith, Ackland et al. (1973) verdüsterte sich das Bild weiter, die Autoren schätzten jetzt, dass lediglich ein Prozent Leistungsvarianz auf Schuleffekte in der Sekundarstufe zurückzuführen war. Jencks et al. kamen auf Grundlage ihrer Befunde zu folgenden Schlussfolgerungen (vgl. Weinert, 2001, S. 74): - Genetische Unterschiede, die sich beispielsweise in der unterschiedlichen Intelligenzhöhe von Schülerinnen und Schülern manifestieren, erklären 33 - 50 Prozent der Schulleistungsunterschiede. - Unterschiedliche außerschulische Lernumwelten erklären 25 - 40 Prozent der Leistungsdifferenzen. - Die unterschiedliche soziale Herkunft der Schülerinnen und Schüler erklärt 6 Prozent der Leistungsvarianz. - Unterschiede im zeitlichen Umfang der Schulbildung erklären 5 - 15 Prozent der Leistungsvarianz. - Differenzen in der Qualität der Grundschulen erklären 3 Prozent der Varianz und - Qualitätsdifferenzen zwischen den Sekundarschulen erklären ein Prozent der Leistungsunterschiede zwischen Personen. Rund 40 Jahre später ergibt sich ein insgesamt optimistischeres Bild. Für Deutschland wurde beispielsweise im Rahmen des kürzlich publizierten Ländervergleichs für die sprachlichen Kompetenzen (Köller, Knigge & Tesch, 2010) eine Varianzzerlegung für die Fächer Deutsch und Englisch vorgenommen. Für verschiedene Teilkompetenzen konnte nach Kontrolle des Bundeslands und der Schulform ein Varianzanteil von rund 10 Prozent auf Schulebene festgestellt werden. Scheerens und Bosker (1997) kommen aufgrund einer Meta-Analyse zu der 74 Olaf Köller Schätzung, dass es ca. 12 Prozent der Leistungsunterschiede zwischen Schülern sind, die auf Schul- und Klasseneffekte zurückführbar sind. Opdenakker und Van Damme (2000) wie auch Baumert und Köller (1998) präsentieren noch deutlich günstigere Zahlen. Wegweisend für die aktuelle Diskussion ist aber ohne Frage die oben bereits angesprochene von Hattie (2009) vorgenommene Synthese von mehr als 800 Metaanalysen zu Determinanten von Schulleistungen. Aufgrund dieser umfangreichen Analyse kommt der Autor zu den Schätzungen der Bedeutsamkeit unterschiedlicher Varianzquellen in Tabelle 1. In der Tat geht mit 30 Prozent erklärter Varianz ein erheblicher Anteil auf die Quellen Lehrkraft und Unterricht zurück. Die 5 - 10 Prozent erklärter Varianz durch die Quelle Schule weisen hier bereits darauf hin, dass es weniger schulorganisatorische als vielmehr unterrichtliche Faktoren sein dürften, die schulisches Lernen aufseiten der Schülerinnen und Schüler fördern. Aus einer unterrichtspsychologischen Perspektive ist aber nicht allein die erhebliche Bedeutung der Lehrkraft- und Unterrichtsvariablen relevant. Noch wichtiger ist die Konkretisierung der Effekte auf Einzelvariablen, d. h. Hattie berichtet zu sehr vielen Unterrichtsvariablen, wie stark ihr Effekt (Effektstärkenmaß d) auf schulisches Lernen ist. Hattie unterstellt dabei, dass Effektstärken d > .40 substanziell seien. Diese Größenordnung besitzt eine gewisse Plausibilität, da wir mittlerweile aus den großen nationalen und internationalen Studien Evidenz haben, dass in der Sekundarstufe I ein Jahr Unterricht in einem Fach einen Wissenszuwachs in der Größenordnung von ca. d = .40 bis d = .50 generiert. Für Hattie sind dementsprechend Maßnahmen von Bedeutung, die in einer Lerngruppe den Effekt normalen Unterrichts „schlagen“. Ausgehend von der Diskussion über Effektstärken im Kontext Schule sollen bei der Bewertung der im Folgenden berichteten Effekte folgende Daumenregeln verwendet werden: d < 0: eine pädagogische Maßnahme schadet. 0 ≤ d < .20: eine pädagogische Maßnahme schadet nicht, aber hilft auch nicht. 20 ≤ d < .40: eine pädagogische Maßnahme ist erfolgreich, indem sie Schülerinnen und Schülern einen Wissenszuwachs erlaubt, der in etwa mit dem Zuwachs in einem halben Schuljahr korrespondiert. .40 ≤ d < .60: eine pädagogische Maßnahme ist sehr erfolgreich, indem sie Schülerinnen und Schülern einen Wissenszuwachs erlaubt, der in etwa dem Zuwachs in einem Schuljahr entspricht. d ≥ .60: eine pädagogische Maßnahme ist äußerst erfolgreich, indem sie Schülerinnen und Schülern einen Wissenszuwachs erlaubt, der über dem Zuwachs liegt, der im Mittel in einem Schuljahr erreicht wird. Was schadet und was hilft nicht? Die folgende Darstellung der Synthese erfolgt anhand ausgewählter Befunde. Für eine vollständige Darstellung sei auf Hattie (2009) verwiesen. Die Beschreibung der berücksichtigten Variablen muss hier aus Platzgründen kurz ausfallen, wiederum sei für präzisere Ausführungen auf Hattie (2009) verwiesen. Die Tabelle 2 listet zunächst lernhinderliche und lernunwirksame Faktoren auf. Die negativen Effekte von Umzügen sind ebenso plausibel wie die Folgen chronischer, hier nicht-kognitiver Krankheiten, die auf Kosten der Lernzeit gehen. Der negative Effekt des Fernsehens scheint in erster Linie auch ein Lernzeitproblem abzubilden. Zu hohe Fernsehzeiten gehen auf Kosten des außerschulischen Lernens. Fehlende Lernzeit erklärt auch den leicht negativen Effekt der Schulferien. Dabei zeigt die internationale Forschung (Alexander & Entwisle, 1996), dass die Kosten der Schulferien allein bei sozial benachteiligten Schülerinnen und Schülern auftreten, denen in den Ferien in der Tat Lerngelegenheiten fehlen. Quelle Varianzanteil Schüler Familie Peers Schule Lehrkraft und Unterricht 50 % 5 -10 % 5 -10 % 5 -10 % 30 % Tabelle 1: Bedeutung unterschiedlicher Quellen für erfolgreiches schulisches Lernen (nach Hattie, 2009) Effekte von Schul- und Unterrichtsvariablen auf Schulleistungen 75 Hinsichtlich der lernunwirksamen Faktoren ergeben sich auf den ersten Blick überraschende Befunde. Maßnahmen der Leistungsgruppierung (externe wie interne Differenzierung) erweisen sich gegenüber undifferenzierten Organisationsformen ebenso unwirksam wie reformpädagogisch orientierte Organisationsformen (offener Unterricht, jahrgangsübergrei-fender Unterricht, Team Teaching). Folgt man der modernen Unterrichtsforschung (z. B. Seidel & Shavelson, 2007), so sind diese Befunde durchaus erwartungskonform. Dort wird betont, dass sogenannte Sichtbzw. Oberflächenstrukturen (solche Strukturen also, die sich einfach und objektiv beobachten lassen) oftmals ungeeignet sind, um Lernerfolg vorherzusagen. Vielmehr scheinen es die (aufwendiger zu beurteilenden) Tiefenstrukturen (z. B. wie kognitiv aktivierend ist der Unterricht? ) zu sein, die prädiktiv für Lernen sind. Für problembasierten Unterricht wie auch für Webbasiertes Lernen gilt dasselbe Argument: Allein der Einsatz dieser Lernform muss keineswegs kognitiv aktivierend sein und führt dann auch nicht automatisch zu höheren Lernerfolgen. Was hilft ein wenig? Die Tabelle 3 listet Unterrichts- und Schulmerkmale auf, die Effektstärken vergleichbar zu ca. einem halben Schuljahr Unterricht aufweisen. Unübersehbar sind die vergleichsweise kleinen Effekte von sehr populären Stellgrößen im Bildungssystem. Die Reduzierung der Klassenstärke mit einer Effektstärke von d = .21 bezieht sich auf den Vergleich einer Klassenstärke von 25 gegenüber 15 Schülerinnen und Schülern. Eine solche Reduzierung um 40 Prozent der Schülerinnen und Schüler impliziert einen erheblichen zusätzlichen Stellenbedarf aufseiten der Lehrkräfte. Die damit verbundenen Kosten muten grotesk an, bedenkt man, dass das regelmäßige Aufgeben und Überprüfen von Hausaufgaben (unabhängig von der Klassenstärke) vergleichbare Leistungssteigerungen zur Folge hat. Ebenso klein ist der Effekt der Individualisierung (beispielsweise Wochenplanarbeit), die pädagogisch aufwendig, im Erfolg aber bescheiden ist. Der Effekt kirchlicher Schulen ist im Wesentlichen ein Effekt der Eingangsselektivität, d. h. kirchliche Schulen rekrutieren typischerweise sozial, kulturell und kognitiv pri- Was schadet? d Was hilft nicht und schadet nicht? d Mobilität (Umzüge der Eltern) Chronische Erkrankungen Fernsehen Alleinerziehende Eltern Sitzenbleiben Schulferien -.34 -.20 -.18 -.17 -.16 -.09 Offener Unterricht Jahrgangsübergreifender Unterricht Leistungsgruppierung (differenziertes Schulsystem) Problembasiertes Lehren Interne Differenzierung Web-basiertes Lernen Team Teaching .01 .04 .12 .15 .16 .18 .19 Tabelle 2: Lernhinderliche und lernunwirksame Faktoren nach Hattie (2009) Was schadet? d Was hilft ein wenig mehr? d Reduzierung der Klassengröße Individualisiertes Lernen Teaching to the Test Kirchliche Schulen Finanzielle Ausstattung Sommerschulen Integration/ Inklusion Hausaufgaben .21 .22 .22 .23 .23 .23 .29 .29 Externe Differenzierung für Leistungsstarke Entdeckendes Lernen Induktives Unterrichten Regelmäßige Leistungskontrollen Schulleitung Computer-gestütztes Lernen Time on Task Enrichment-Angebote für Hochbegabte .30 .30 .33 .34 .36 .37 .38 .39 Tabelle 3: Lernförderliche Faktoren mit relativ geringen Effektstärken nach Hattie (2009) 76 Olaf Köller vilegierte Schülerinnen und Schüler (vgl. Standfest, Köller & Scheunpflug, 2005). Der positive Effekt von Inklusions- und Integrationsprogrammen bezieht sich nur auf die integrierten bzw. inkludierten Schülerinnen und Schüler. In der rechten Spalte der Tabelle 3 erreichen die Merkmale zunehmend substanzielle Effektstärken. Angebote für leistungsstarke bzw. hochbegabte Schülerinnen und Schüler erweisen sich insgesamt moderat wirksam. Das Gleiche gilt für das entdeckende und induktive Lernen, beides anspruchsvolle Unterrichtsformen, bei denen die Aktivitäten sehr stark auf die Seite der Schülerinnen und Schüler verlagert werden. In dieselbe Richtung weist der Effekt der Zeitnutzung (Time on Task). Bemerkenswert sind in der Tat die positiven Effekte des Teaching to the Test und der Häufigkeit von Leistungskontrollen. Auch wenn diese Effekte nicht sehr groß sind, so machen sie deutlich, dass die wiederholt geäußerten Vorbehalte gegenüber Kosten von Tests und Leistungskontrollen (vgl. Baumert, Gogolin & Scheunpflug, 2011) zumindest im Leistungsbereich keine empirische Evidenz beanspruchen können. Der bedeutsame Effekt der Schulleitung bezieht sich hier auf solch ein Schulleitungsverhalten, das Lehrkräfte darin unterstützt, anspruchsvolle Unterrichtsformen zu wählen und hinsichtlich der Unterrichtsentwicklung zu kooperieren. Schließlich bezieht sich Computergestütztes Lernen auf einen Unterricht, in dem der Computer als Medium genau dann genutzt wird, wenn er als Lernhilfe alternativlos ist. Computer-gestütztes Unterrichten erweist sich dagegen als erfolglos, wenn die auf dem Computer präsentierten Inhalte ebenso gut mit Büchern oder anderen Arbeitsmaterialien präsentiert werden können. Was hilft schon mehr? In der Tabelle 4 sind Einflussgrößen auf Schulleistungen aufgeführt, die in der Tat solche Effektstärken aufweisen, die mit dem Zuwachs korrespondieren, der typischerweise in einem Schuljahr der Sekundarstufe I erreicht wird. Es handelt sich dabei vielfach um Merkmale (kooperatives Lernen, Kleingruppenlernen, Peer Tutoring, Concept Mapping, Arbeiten mit Lösungsbeispielen) die aufseiten der Schülerinnen und Schüler aufgabenbezogene, elaborierende Tätigkeiten erfordern und somit kognitiv aktivieren. Die Unterrichtsmerkmale Classroom Management (reibungsloser, störungspräventiver Unterricht) und direkte Instruktion (Lehrerorientierung mit variierenden Sozialformen; vgl. Weinert, 2001) stellen dazu die entsprechenden Rahmenbedingungen bereit. Die positiven Effekte von Angstreduktionstrainings und des schulischen Selbstvertrauens weisen auf die große Bedeutung motivationaler Merkmale für erfolgreiches Lernen hin. Schließlich erweisen sich Programme der vorschulischen Förderung, die sich vor allem auf die Sprachförderung beziehen, als langfristig effektiv (vgl. hierzu auch die positiven Effekte des Kindergartenbesuchs auf die Lesekompetenz von Viertklässlern in der IGLU-Studie; Bos et al., 2003). Dies betrifft sowohl Programme in den ersten drei Lebensjahren (frühkindliche Interventionen) als auch die letzten Jahre vor dem Schuleintritt (vorschulische Förderprogramme). Was hilft schon mehr? d Was hilft noch mehr? d Angstreduktionstraining Kooperatives Lernen Selbstvertrauen der Schüler Vorschulische Förderprogramme Frühkindliche Interventionen Kleingruppenlernen .40 .41 .43 .45 .47 .49 Classroom Management Peer Tutoring Herausfordernde Ziele setzen Concept Mapping Arbeit mit Lösungsbeispielen Direkte Instruktion .52 .55 .56 .57 .57 .59 Tabelle 4: Lernförderliche Faktoren mit bedeutsamen Effektstärken nach Hattie (2009) Effekte von Schul- und Unterrichtsvariablen auf Schulleistungen 77 Was hilft so richtig? Die Tabelle 5 listet schließlich Einflussgrößen auf, die außerordentlich große Effekte aufweisen in dem Sinne, dass sie im Mittel einen größeren Lernfortschritt zur Folge haben als ein Schuljahr. Um es zu konkretisieren: Wird in einem Klassenraum der Stoff zeitlich verteilt unterrichtet (Inhalte werden später wieder aufgenommen) und in einer anderen Klasse massiert (viel Stoff in kurzer Zeit, der später nicht wieder aufgenommen wird), so ist nach einem Jahr zu erwarten, dass sich die erste Klasse einen Leistungsvorsprung von 0.71 Standardabweichungen erarbeitet hat. Zunächst fällt die besondere Bedeutung von Rückmeldungen auf (Tests mit Feedback, Feedback, formatives Bewerten). In allen drei Fällen handelt es sich um Maßnahmen der kognitiven Unterstützung der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrkraft. Feedback ist immer aufgabenbezogen, gibt der Schülerin/ dem Schüler darüber Auskunft, wo sie oder er steht und zeigt Wege auf, wie die Leistungen weiter gesteigert werden können. Ganz ähnlich ist der Effekt des positiven Lehrkraft-Schüler-Verhältnisses zu verstehen. Es geht darum, dass Schülerinnen/ Schüler und Lehrkraft gemeinsame unterrichtsbezogene Ziele teilen und sich Schülerinnen und Schüler der Unterstützung bei der Erreichung der Ziele durch die Lehrkraft sicher sein können. Wie schon in Tabelle 4 finden sich wiederum Indikatoren, die für eine hohe kognitive Aktivierung der Schülerinnen und Schüler sprechen, dazu zählen der reziproke Unterricht, in dem Schülerinnen und Schüler z. T. die Rolle der Lehrkraft übernehmen, und die metakognitiven Strategien, die immer dann zum Einsatz kommen, wenn der eigene Lernprozess (insbesondere in anspruchsvollen Lernsituationen) bewusst gesteuert werden muss. Wie oben schon für Classroom Management erwähnt, unterstützt die Klarheit der Instruktion (Roter Faden, Transparenz der Unterrichtsziele) die kognitive Aktivierung. Schließlich finden sich positive Effekte für Fördermaßnahmen im unteren Leistungsbereich (Leseförderung) und im Spitzenbereich (Akzelerationsprogramme, bei denen oftmals begabte Schülerinnen und Schüler ein Schuljahr überspringen oder wenigstens einige Kurse in höhere Jahrgangsstufen belegen). Schlussfolgerungen Versucht man die Einzelbefunde zusammenzufassen, so wird wie eingangs erwähnt die überragende Bedeutung von Unterrichtsvariablen deutlich, und zwar solcher, die in erster Linie Tiefenmerkmale des Unterrichts abbilden und durchgängig zur kognitiven Aktivierung der Schülerinnen und Schüler beitragen. Oberflächenmerkmale, die sich vor allem auf Rahmenbedingungen von Schule und Unterricht beziehen, erweisen sich als weitgehend unwirksam. Hattie (2009) macht dies u. a. dadurch deutlich, dass er Unterrichtsvariablen und Indikatoren für schulische Rahmenbedingungen gegenüberstellt (s. Tabelle 6). Dabei wird deutlich, dass die Rahmenbedingungen, die typischerweise im Vordergrund von bildungspolitischen Reformen stehen (Reduzierung der Klassengröße, Schulstrukturen), weitgehend irrelevant sind. Derartige Reformen sind dementsprechend nicht evidenzbasiert, sondern vielmehr politisch opportun. Will man langfris- Was hilft richtig? d Was hilft richtig? d Regelmäßige Tests mit Feedback Schulische Leseförderung Metakognitive Strategien Verteiltes vs. massiertes Lernen Lehrkraft-Schüler-Verhältnis .62 .67 .69 .71 .72 Feedback Reziprokes Unterrichten Klarheit der Instruktion Akzelerationsprogramme Formative Bewertung .73 .74 .75 .88 .90 Tabelle 5: Lernförderliche Faktoren mit sehr großen Effektstärken nach Hattie (2009) 78 Olaf Köller tig Lernerfolge aufseiten der Schülerinnen und Schüler steigern, so scheint die entscheidende Stellgröße der Unterricht selbst zu sein. Damit verbunden sind systematische, langfristig ausgerichtete Programme der Lehrerprofessionalisierung. Hierfür bilden die unterschiedlichen SINUS-Programme zur Steigerung der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterrichts (vgl. neuerdings Fischer, Rieck & Prenzel, 2010) eine hervorragende Grundlage, deren Übertragung auf andere Schulfächer noch aussteht. Literatur Alexander, K. L. & Entwisle, D. R. (1996). Schools and children at risk. In A. Booth & J. F. Dunn (Eds.), Family-school links. How do they affect educational outcomes? (pp. 67 - 88). Mahwah: Erlbaum. Baumert, J., Gogolin, I. & Scheunpflug, A. (2011). Transforming Education. Umbau des Bildungswesens. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderheft 13. Baumert, J. & Köller, O. (1998). Nationale und internationale Schulleistungsstudien: Was können sie leisten, wo sind ihre Grenzen? Pädagogik, 50 (6), 12 - 18. Bos, W., Lankes, E.-M., Prenzel, M., Schwippert, K., Walther, G. & Valtin, R. (Hg.) (2003). Erste Ergebnisse aus IGLU. Schülerleistungen am Ende der vierten Jahrgangsstufe im internationalen Vergleich. Münster. Waxmann. Coleman, J. S., Campbell, E. Q., Hobson, C. F., McPartland, J., Mood, A. M., Weifeld, F. D. & York, R. L. (1966). Equality of educational opportunity. Washington, DC: U.S. Government Printing Office. Gruehn, S. (2000). Unterricht und schulisches Lernen: Schüler als Quellen der Unterrichtsbeschreibung. Münster: Waxmann. Fischer, C., Rieck, K. & Prenzel, M. (Hrsg.) (2010). Naturwissenschaften in der Grundschule. Neue Zugänge entdecken. Seelze - Velber: Kallmeyer/ Klett. Hattie, J. A. C. (2009). Visible learning. A synthesis of over 800 meta-analyses relating to achievement. Oxon: Routledge. Helmke, A. (2009). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Seelze - Velber: Kallmeyer/ Klett. Jencks, C., Smith, M. S., Ackland, H., Bane, M. J., Cohen, D., Grintlis, H., Heynes, B. & Michelson, S. (1973). Inequality: A reassessment of the effect of family and schooling in America. New York: Basic Books. Köller, O., Knigge, M. & Tesch, B. (Hrsg.) (2010). Sprachliche Kompetenzen im Ländervergleich. Münster: Waxmann. Meyer, H. (2004). Was ist guter Unterricht? Berlin: Cornelsen Scriptor. Opdenakker, M.-C. & Van Damme, J. (2000). Effects of schools, teaching staff and classes on achievement and well-being in secondary education: Similarities and differences between school outcomes. School Effectiveness and School Improvement, 11, 165 - 196. Scheerens, J. & Bosker, R. (1997). The foundations of educational effectiveness. Oxford: Elsevier. Seidel, T. & Shavelson, R. J. (2007). Teaching effectiveness research in the past decade: The role of theory and research design in disentangling meta-analysis results. Review of Educational Research, 77, 454 - 499. Standfest, C., Köller, O. & Scheunpflug, A. (2005). Leben - lernen - glauben. Zur Qualität evangelischer Schulen. Münster: Waxmann. Weinert, F. E. (2001). Schulleistungen - Leistungen der Schule oder der Schüler? In F. E. Weinert (Hrsg.), Leistungsmessungen in Schulen (S. 73 - 86). Weinheim: Beltz. Olaf Köller Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik (IPN) Olshausenstraße 62 24118 Kiel koeller@ipn.uni-kiel.de Unterrichtsmerkmale d Rahmenbedingungen d Unterrichtsqualität Reziprokes Lernen Lehrkraft-Schüler-Verhältnis Feedback Training von Selbstverbalisationsstrategien Metakognitive Strategien Direkte Instruktion Herausfordernde Ziele setzen .77 .74 .72 .72 .67 .67 .59 .59 Interne Differenzierung Steigerung der Finanzen Reduzierung der Klassengröße Differenziertes Schulsystem (externe Differenzierung) Jahrgangsübergreifender Unterricht Offener Unterricht Sommerferien Sitzenbleiben .28 .23 .21 .12 .04 .01 -.09 -.16 Mittlerer Effekt .68 Mittlerer Effekt .08 Tabelle 6: Unterrichtsfaktoren und Rahmenbedingungen schulischen Arbeitens in ihrer Wirksamkeit auf Lernerfolge (übersetzt aus Hattie, 2009)