eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 59/2

Psychologie in Erziehung und Unterricht
3
0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2012.art07d
41
2012
592

Lese- und Rechtschreibleistungen und ihre Abhängigkeit von individuellen Deutschkenntnissen, sprachlicher Zusammensetzung der Klasse und Klassengröße

41
2012
Anke Treutlein
Jeanette Roos
Hermann Schöler
Schulleistungen sind nicht nur von individuellen, sondern auch von Merkmalen des Klassenkontextes beeinflusst. Bei 1256 Kindern der 3. Klasse wurde untersucht, wie sich Deutschkenntnisse der Schüler/-innen, Klassengröße und der Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen in der Klasse auf die Lese- und Rechtschreibleistungen auswirken. Wie erwartet beeinflussen die individuellen Deutschkenntnisse die Leistungen im Lesen und Rechtschreiben deutlich. Zudem zeigte sich, dass das Leistungsniveau einer Klasse weder von der Klassengröße noch vom Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen beeinflusst ist. Der Anteil von Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen und das Leistungsniveau einer Klasse im Lesen und Rechtschreiben moderieren jedoch den Einfluss der individuellen Deutschkenntnisse auf die Leseleistungen: Die Auswirkungen der individuellen Deutschkenntnisse auf Vorläuferfertigkeiten des Leseverstehens und auf das Leseverstehen werden durch leistungsstarke Mitschüler/-innen verstärkt. Dagegen ist in leistungsstarken Klassen die Lesegeschwindigkeit in geringerem Ausmaß von den Deutschkenntnissen beeinflusst als in leistungsschwachen. Mögliche Ursachen für diese gegenläufigen Effekte wie Klassenführung und Unterrichtsgestaltung werden diskutiert.
3_059_2012_2_0004
n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2012, 59, 122 - 131 DOI 10.2378/ peu2012.art07d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Lese- und Rechtschreibleistungen und ihre Abhängigkeit von individuellen Deutschkenntnissen, sprachlicher Zusammensetzung der Klasse und Klassengröße Anke Treutlein Universität Stuttgart Jeanette Roos, Hermann Schöler Pädagogische Hochschule Heidelberg Reading and Spelling as a Function of Individual German Language Skills, Linguistic Composition and Class Size Summary: Performance at school is influenced by individual and class context characteristics. The reading and spelling performance of 1256 children in the third grade was tested in the classroom, and attention paid to the influence of German language skills, class size and the proportion of children with deficient German language skills. As expected, German language skills influence reading and spelling performance substantially. Results show furthermore, that class size and the proportion of children with deficient German language skills do not influence the proficiency level of the class. The proportion of children with language deficits in class and overall class proficiency level, however, moderate the effect of individual German language skills on reading performance: German language skills have stronger effects on basic early literacy skills and reading comprehension in classes with high proficiency level. On the other hand, the effects of German language skills on reading speed in these classes are weaker than in classes with poor proficiency levels. Possible reasons for these opposing effects such as class supervision and educational design are discussed. Keywords: Performance at school, class context, German language skills, reading skills Zusammenfassung: Schulleistungen sind nicht nur von individuellen, sondern auch von Merkmalen des Klassenkontextes beeinflusst. Bei 1256 Kindern der 3. Klasse wurde untersucht, wie sich Deutschkenntnisse der Schüler/ -innen, Klassengröße und der Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen in der Klasse auf die Lese- und Rechtschreibleistungen auswirken. Wie erwartet beeinflussen die individuellen Deutschkenntnisse die Leistungen im Lesen und Rechtschreiben deutlich. Zudem zeigte sich, dass das Leistungsniveau einer Klasse weder von der Klassengröße noch vom Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen beeinflusst ist. Der Anteil von Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen und das Leistungsniveau einer Klasse im Lesen und Rechtschreiben moderieren jedoch den Einfluss der individuellen Deutschkenntnisse auf die Leseleistungen: Die Auswirkungen der individuellen Deutschkenntnisse auf Vorläuferfertigkeiten des Leseverstehens und auf das Leseverstehen werden durch leistungsstarke Mitschüler/ -innen verstärkt. Dagegen ist in leistungsstarken Klassen die Lesegeschwindigkeit in geringerem Ausmaß von den Deutschkenntnissen beeinflusst als in leistungsschwachen. Mögliche Ursachen für diese gegenläufigen Effekte wie Klassenführung und Unterrichtsgestaltung werden diskutiert. Schlüsselbegriffe: Schulleistungen, Klassenkontext, Deutschkenntnisse, Lesefertigkeit Lese- und Rechtschreibleistungen 123 Schulleistungen sind nicht nur von individuellen Merkmalen wie Intelligenz oder dem sozioökonomischen Hintergrund beeinflusst, sondern auch in bedeutsamem Ausmaß vom vorgefundenen Klassenkontext. Eine besonders wichtige Rolle spielen dabei Merkmale der Klasse selbst - ihre Zusammensetzung und ihre Eingangsvoraussetzungen (vgl. A. Helmke & Schrader, 2001; A. Helmke & Weinert, 1997). A. Helmke (2009) betont in diesem Zusammenhang, dass Unterricht unter Bedingungen stattfindet, welche Lehrkräfte sich weder aussuchen noch gestalten können und die nicht bzw. nur begrenzt beeinflussbar sind. Sie stellen zum einen Rahmenbedingungen für den Unterricht dar - Unterrichtsqualität und Klassenkontext beeinflussen sich gegenseitig - zum anderen können sie sich auf das Lernen und die Leistungen der Schüler/ -innen auswirken. Zu den Kontextfaktoren zählen die Klassengröße, das Fähigkeits- und Vorkenntnisniveau der Schüler/ -innen, die Klassenzusammensetzung (z. B. der Anteil an Kindern aus bildungsnahen Elternhäusern, mit mangelnden Deutschkenntnissen, mit Verhaltens- oder Lernstörungen) aber auch physikalische Merkmale wie z. B. die Größe des Klassenzimmers. Klassengröße Über den Einfluss der Klassengröße auf die Schulleistung wird häufig und kontrovers diskutiert. Vorherrschende Meinung ist, dass eine geringe Klassengröße sich positiv auf den Unterricht auswirkt und damit mittelbar das Lernen fördert (vgl. A. Helmke, 2009). Lehrkräfte kleiner Klassen erleben diese subjektiv angenehmer als große (Martschinke & Kammermeyer, 2003). Dennoch existieren kaum empirische Belege dafür, dass in kleineren Klassen bessere Leistungen erzielt werden als in großen. In Studien, die einen Leistungsvorteil der Kinder in kleineren Klassen belegen, finden sich lediglich schwach positive Effekte (Slavin, 1989, zit. nach Hosenfeld, A. Helmke, Ridder & Schrader, 2002; Moser, 1997, zit. nach Hosenfeld et al., 2002). Daraus zu folgern, die Klassengröße sei irrelevant, wäre jedoch voreilig und ungerechtfertigt. Bei vielen dieser Studien handelt es sich um nicht-experimentelle Studien, bei denen die vorgefundenen Klassengrößen zumeist im mittleren Bereich liegen. In einer experimentell angelegten Untersuchung - der STAR-Studie (Finn & Achilles, 1999) - finden sich deutliche Belege zugunsten kleiner Klassen (13 - 17 Schüler/ -innen verglichen mit 22 - 26 Schüler/ -innen in größeren Klassen): Ausgeprägte Leistungsvorsprünge kleiner Klassen ergaben sich insbesondere dann, wenn diese Klassen mindestens drei Jahre im kleinen Klassenverband unterrichtet wurden. Mögliche Gründe für die Leistungsvorsprünge kleiner Klassen könnten in der Unterrichtsqualität zu finden sein. So konnte im Rahmen der DESI- Studie (T. Helmke et al., 2008) für den Englischunterricht festgestellt werden, dass in größeren Klassen der Englischunterricht mit weniger Klarheit, ineffizienterer Klassenführung, höherem Tempo, geringerer Wertschätzung des Lernziels und häufigerer Verwendung von Deutsch als Unterrichtssprache einherging. Demgegenüber steht eine Reihe von Studien, die keine eindeutigen Effekte der Klassengröße auf die Schulleistung nachweisen können (Hosenfeld et al., 2002; Ingenkamp, Petillon & Weiß, 1985; Jerusalem, 1997; Wilberg & Rost, 1999). Diese Befunde werden häufig dahingehend interpretiert, dass das Potenzial kleiner Klassen von Lehrkräften aufgrund didaktischmethodischer Lücken nicht ausgeschöpft wird (zsf. im Brahm, 2006). Wiederum andere Befunde deuten darauf hin, dass Lehrkräfte in großen Klassen mehr Wert auf eine höhere Unterrichtsqualität, insbesondere Klassenführung, legen, um beispielsweise antizipierte Unterrichtsstörungen von vornherein zu minimieren (Roos, Zöller & Fehrenbach, 2005; Schneider, Stefanek & Dotzler, 1997). Zusammenhänge zwischen Klassengröße und Kompetenzprofil der Klasse wären in diesem Fall eher auf ein höheres Maß an aktiver Lernzeit, gute Unterrichtsvorbereitung und weniger Störungen zurückzuführen als auf die Größe. Die Befundlage zur Auswirkung der Klassengröße auf das 124 Anke Treutlein et al. Kompetenzniveau einer Schulklasse ist also sehr uneinheitlich. Schon Ingenkamp et al. (1985) verweisen darauf, dass es keine allgemein gültige optimale Klassengröße zu geben scheint, sondern dass eine angemessene Klassengröße abhängig von anderen Merkmalen ist wie z. B. Kompetenz und Belastbarkeit der Lehrkräfte, Lernzielen, Unterrichtsinhalten, Kompetenzen der Schüler/ -innen oder auch der Klassenzusammensetzung. Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen Ein Merkmal der Klassenzusammensetzung, das seltener untersucht wurde als die Klassengröße, jedoch von Lehrkräften ebenfalls als Belastung erlebt wird (Martschinke & Kammermeyer, 2003), ist der Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen in einer Klasse. Während Rüesch (1998) keinen Zusammenhang zwischen dem Leistungsniveau im Lesen und dem Anteil der Kinder mit verschiedenen Erstsprachen in der Klasse findet, berichten Hosenfeld et al. (2002) für die Leistungen im Fach Mathematik Zusammenhänge zwischen dem Leistungsniveau der Klasse und dem Anteil der Kinder mit nicht-deutscher Herkunftssprache. Klassen mit geringem Anteil schneiden besser ab als Klassen mit hohem Anteil an Kindern mit nicht-deutscher Erstsprache. A. Helmke und Renkl (1993) gingen im Rahmen der Grundschulstudie SCHOLAS- TIK auch der Frage nach, welche Rolle die Sprachzusammensetzung der Klasse auf das Aufmerksamkeitsniveau spielt. Bei 52 Grundschulklassen wurde die Entwicklung von der 1. bis zur 4. Klasse längsschnittlich untersucht. Zu Beginn der Grundschulzeit hatte der Anteil der Kinder mit nicht-deutscher Erstsprache einen negativen Einfluss auf das Aufmerksamkeitsniveau. Im Laufe der Grundschulzeit nahm dieser Effekt allerdings ab und verschwand letztlich ganz. Demgegenüber spielten andere Kontextmerkmale, wie Intelligenzniveau, Leistungsheterogenität, Geschlechtszusammensetzung oder Klassengröße für das Aufmerksamkeitsniveau keine Rolle. Differenzierte Analysen, die etwaige Leistungsnachteile von Schulklassen mit hohem Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund erklären können, sind eher spärlich vorhanden. Fragestellung Vor dem Hintergrund der beschriebenen Befunde liegt die Hypothese nahe, dass das Leistungsniveau einer Klasse auch von Klassenmerkmalen wie der Klassengröße oder dem Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen beeinflusst wird. Insbesondere der Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen scheint das Leistungsniveau einer Klasse zu mindern. Diese Klassenmerkmale moderieren vermutlich auch den Einfluss individueller Deutschkenntnisse: Eventuell fallen in Klassen mit nur wenigen Kindern, die über unzureichende Deutschkenntnisse verfügen, diese Schüler/ -innen weniger auf und erfahren demzufolge auch seltener die für sie notwendige Differenzierung im Unterricht. Differenziert wird von Lehrkräften möglicherweise erst dann, wenn mehrere Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen eine Klasse besuchen. Hinzu kommt, dass in großen Klassen die Gelegenheit zur Beteiligung am Unterricht insgesamt geringer ist, sodass vorhandene Lücken im Deutschen schwerer geschlossen werden können. Die Tatsache, dass Kenntnisse der Unterrichtssprache Deutsch Voraussetzung für Schulerfolg sind, gilt zwar seit PISA als belegt, soll in der hier vorliegenden Studie dennoch erneut geprüft werden. Reich und Roth (2002) bemängeln, dass in vielen Studien die Nationalität eines Kindes als Prädiktor herangezogen wird, die häufig nichts darüber aussagt, mit welcher/ welchen Erstsprache(n) ein Kind aufgewachsen ist. Inzwischen wird in der Regel auch die Erstsprache als Prädiktor in Auswertungen berücksichtigt, dennoch schlagen Reich und Roth (2002) vor, die Deutschkenntnisse eines Kindes zur Vorhersage zu verwenden. Dieser Vorschlag wird in der vorliegenden Studie realisiert. Lese- und Rechtschreibleistungen 125 Folgende Fragestellungen sollen demnach untersucht werden: - Ist das Leistungsniveau einer Klasse von der Klassengröße und/ oder vom Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen beeinflusst? - Beeinflussen die individuellen Deutschkenntnisse die Lese- und Rechtschreibleistungen? - Wird der Einfluss der individuellen Deutschkenntnisse auf die Lese- und Rechtschreibleistungen von Klassengröße und/ oder Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen moderiert? Methode Aufgrund der hierarchischen Datenstruktur wird eine Mehrebenenanalyse durchgeführt. Dabei sind die Deutschkenntnisse und die Lese-Rechtschreibleistungen auf der Individualebene einzuordnen, auf Klassenebene werden die Klassenmerkmale Klassengröße und der Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen einer Klasse berücksichtigt (s. u.). Stichprobe Im Rahmen des Projekts EVER (Entwicklung eines Vorschulscreenings zur Erfassung von Risikokindern für Sprach- und Schriftspracherwerbsprobleme) 1 wurden 1.256 Mannheimer Drittklässler/ -innen in insgesamt 90 Klassen am Ende des Schuljahres 2005/ 06 mithilfe von Lese- und Rechtschreibtests untersucht. Dies entspricht einer Vollerhebung aller 3. Klassen in regulären Grundschulen in Mannheim. Aufgrund zu geringer Anzahl untersuchter Kinder in den jeweiligen Klassen konnten für die folgenden Auswertungen je nach abhängiger Variablen allerdings nur zwischen 63 und 65 Klassen berücksichtigt werden. Auch die reduzierte Stichprobe kann als repräsentativ für Mannheim gelten (vgl. Tabelle 1). In jeder der berücksichtigten Klassen liegen vollständige Datensätze von mindestens zehn Kindern vor. Lese- und Rechtschreibleistungen als abhängige Variablen Abhängige Variablen sind die Leistungen in Lese- und Rechtschreibtests, die am Ende der 3. Klasse mit den Kindern durchgeführt wurden. 2 Die Rechtschreibkenntnisse wurden mit dem Diagnostischen Rechtschreibtest für 3. Klassen (DRT 3, Müller, 2004) erfasst, einem 44 Wörter umfassenden Lückendiktat. Im Bereich Lesen wurden die Lesegeschwindigkeit, Vorläuferfertigkeiten für das verstehende Lesen sowie das Leseverstehen geprüft. Durchgeführt wurden die Würzburger Leise Leseprobe (WLLP, Küspert & Schneider, 1998) zur Erfassung der Lesegeschwindigkeit sowie Knuspels Leseaufgaben (Knuspel-L, Marx, 1998) zur Erfassung Ursprüngliche Stichprobe Rechtschreiben Lesegeschwindigkeit Leseverstehen N Klassen 90 65 64 63 N Kinder 1256 1043 1053 1040 Mittlere Deutschkenntnisse* 9.70 9.65 9.61 9.58 Mittlere Klassengröße 24.94 25.06 25.06 25.11 Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen (in %) 27.9 27.0 26.8 26.5 Durchschnittliches Alter (in Jahren) + 9; 4 9; 4 9; 4 9; 4 Anteil Mädchen (in %) + 51.3 52.1 52.1 52.1 Anteil Migrationshintergrund (mind. 1. Elternteil in Ausland geboren, in %) + 40.7 38.2 38.0 37.5 Tab. 1: Merkmale der Untersuchungsgruppe * Beschreibung der Skala s. unten + Geburtsdatum, Geschlecht und Migrationshintergrund wurden bei der Einschulungsuntersuchung vom Gesundheitsamt erhoben. 126 Anke Treutlein et al. von Vorläuferfertigkeiten 3 für das verstehende Lesen (Score 1: Hörverstehen, Rekodieren, Dekodieren) sowie das Leseverstehen (Score 2: Rekodieren, Dekodieren, Leseverstehen). Grundlage aller Berechnungen sind T-Wert- Normen. Da in der WLLP für Jungen und Mädchen getrennte Normen angegeben sind, die für die vorliegende Fragestellung nicht relevant sind, wurden aus den ebenfalls im Testhandbuch angegebenen Statistiken der 3. Klasse T-Werte für die Klassenstufe berechnet. Deutschkenntnisse, Klassengröße und Leistungsniveau der Klasse Als Prädiktorvariable auf Individualebene gelten die durch die Lehrkräfte beurteilten Deutschkenntnisse der Kinder. Die Lehrkräfte wurden gebeten, für jedes teilnehmende Kind die Fertigkeiten in den Bereichen Wortschatz, Ausdruck, Verständnis und Grammatik mit Hilfe der üblichen Notenskala zu bewerten. Der Summenwert dieser Bewertungen variiert zwischen 4 und 22 und wird als Maß für die Deutschkenntnisse verwendet. 4 Auch wenn dies eine grobe Einschätzung der Deutschkenntnisse darstellt und das Lehrerurteil evtl. nicht allzu valide 5 ist, kann angenommen werden, dass diese Beurteilung der Deutschkenntnisse durch die Lehrkräfte genauer ist als eine alleinige Einteilung der Kinder aufgrund ihrer Erstsprache. Auf Klassenebene werden folgende Prädiktoren in die Analyse einbezogen: - Klassengröße: Die Lehrkräfte gaben an, wie viele Kinder die Klasse besuchen. - Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen: Die Anzahl der Kinder, die aufgrund der Bewertung durch die Lehrkräfte einen Summenwert von mindestens 12 erzielen (dies entspricht einer durchschnittlichen Bewertung mit der Note 3 in jedem der vier Bereiche 6 ), wird in Bezug gesetzt zur Anzahl der in der Klasse untersuchten Schüler/ -innen. Zu berücksichtigen ist, dass damit nicht notwendigerweise die Anzahl der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen in der gesamten Klasse wiedergegeben wird, da nicht alle Kinder jeder Klasse an den Untersuchungen teilnahmen. Dennoch kann dieser Wert als beste Schätzung für die gesamte Klasse gelten. Tendenziell dürfte mit diesem Wert der tatsächliche Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen in der Klasse unterschätzt werden, da ausländische Kinder seltener an den Untersuchungen teilnahmen als deutsche Kinder. - Klassenleistungsniveau: Das über alle teilnehmenden Schüler/ -innen einer Klasse aggregierte Leistungsniveau in den standardisierten Verfahren im Lesen und Rechtschreiben wird als Maß für das Leistungsniveau der Klasse verwendet. Mehrebenenanalysen Zur Berechnung der Mehrebenenanalysen wird das Softwarepaket HLM 6.04 (Raudenbush, Bryk & Congdon, 2007) verwendet. Die berichteten Modelle sind random-intercept-random-slope-Modelle nach folgender Gleichung: Lese-/ Rechtschreibleistung = b 0 + b 1 * Deutschkenntnisse + r b 0 = g 00 + g 01 * Anteil der Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen + g 02 * Klassengröße + u 0 b 1 = g 10 + g 11 * Anteil der Kinder mit mangelnden Deutschkenntnissen + g 12 * Klassengröße + g 13 * Klassenleistungsniveau Auf individueller Ebene soll die Lesebzw. Rechtschreibleistung aus dem Klassenmittelwert ( b 0 ) und den Deutschkenntnissen vorhergesagt werden. Der Klassenmittelwert wird mithilfe des Mittelwerts der Gesamtgruppe geschätzt, des Anteils der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen sowie der Klassengröße. Der Einfluss der Deutschkenntnisse auf die Min 4 Max 22 M 9.65 SD 3.48 Korrelation mit Rechtschreiben (DRT 3) -.63** Korrelation mit Lesegeschwindigkeit (WLLP) -.51** Korrelation mit Vorläuferfertigkeiten (Knuspel-1) -.62** Korrelation mit verstehendem Lesen (Knuspel-2) -.63** Tab. 2: Verteilungskennwerte der Deutschkenntnisse und Zusammenhänge zu Testleistungen ** p < .01 Lese- und Rechtschreibleistungen 127 individuelle Leistung soll mithilfe des Mittelwerts der Gesamtgruppe, des Anteils der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen, der Klassengröße sowie dem Klassenleistungsniveau geschätzt werden. HLM berechnet keine standardisierten Beta- Koeffizienten. Um die resultierenden Koeffizienten sinnvoll interpretieren zu können, werden alle im Modell berücksichtigten Variablen z-standardisiert. Die durch diese Transformationen erhaltenen Ergebnisse entsprechen nahezu den standardisierten Beta- Koeffizienten. Ergebnisse Einfluss von Klassengröße und Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen auf das Leistungsniveau der Klasse Weder die Klassengröße noch der Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen in der Klasse beeinflussen das Leistungsniveau einer Klasse im Lesen und Rechtschreiben. Die durchschnittlichen Leistungen im Rechtschreiben, bei der Lesegeschwindigkeit, den Vorläuferfertigkeiten und dem Leseverstehen einer Klasse sind demnach unabhängig von der Klassengröße und/ oder dem Anteil an Kindern, die Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache haben (vgl. Tabelle 3). Einfluss der Deutschkenntnisse auf die Leistungen im Lesen und Rechtschreiben Die individuellen Deutschkenntnisse beeinflussen die Lese- und Rechtschreibleistungen eines Kindes. Je geringer die Deutschkenntnisse im Urteil der Lehrkräfte sind, desto schlechter fallen die Schulleistungen im Lesen- und Rechtschreiben aus. Die Deutschkenntnisse erklären über 40 % der Varianz der Rechtschreibleistung und des Leseverstehens und spielen damit eine bedeutsame Rolle (vgl. Tabelle 4). Ein Kind, dessen Deutschkenntnisse in den vier Bereichen Wortschatz, Ausdruck, Verständnis und Grammatik jeweils mit der Note 1 bewertet werden, erzielt im Rechtschreiben einen durchschnittlichen T-Wert von 61, während ein Kind, dessen Deutschkenntnisse in den genannten Bereichen mit der Note 3 bewertet werden, einen durchschnittlichen T-Wert von 47 erzielt. Die Testleistungen von Kindern, deren Deutschkenntnisse mit der Note 1 oder der Note 3 bewertet werden, liegen im Rechtschreiben und Lesen eineinhalb Standardabweichungen auseinander. Abhängige Variablen DRT 3 WLLP Knuspel-L Score 1 Knuspel-L Score 2 Prädiktoren Beta p Beta p Beta p Beta p Klassengröße .07 .19 .05 .33 .04 .44 .06 .24 Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen -.07 .14 .05 .29 .01 .89 .02 .68 Tab. 3: Einfluss von Klassengröße und Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen auf das Leistungsniveau der Klasse Deutschkenntnisse Aufgeklärte Varianz* durch Deutschkenntnisse (in %) Beta p DRT 3 -.69 <.001 44.2 WLLP -.52 <.001 24.8 Knuspel-L Score 1 -.61 <.001 37.9 Knuspel-L Score 2 -.66 <.001 42.7 Tab. 4: Einfluss der Deutschkenntnisse auf die Schulleistungen * bezogen auf die Varianz der Schulleistungen 128 Anke Treutlein et al. Wirken sich die individuellen Deutschkenntnisse in Abhängigkeit von den Klassenmerkmalen unterschiedlich auf die Schulleistungen aus? Der Einfluss der individuellen Deutschkenntnisse auf die Rechtschreibleistung wird nicht durch Klassenmerkmale moderiert (vgl. Tabelle 5). Die Leseleistungen hingegen werden von den Deutschkenntnissen in Abhängigkeit vom Leistungsniveau der Klasse beeinflusst. Interessanterweise zeigen sich unterschiedliche Einflüsse auf die Lesegeschwindigkeit einerseits und Vorläuferfertigkeiten sowie das Leseverstehen andererseits. Für Vorläuferfertigkeiten und Leseverstehen gilt, dass sich in leistungsstarken Klassen ein engerer Zusammenhang zwischen Deutschkenntnissen und Leseleistungen als in leistungsschwächeren Klassen ergibt. Auch bei unzureichenden Deutschkenntnissen sind Lesegeschwindigkeit, Vorläuferfertigkeiten für verstehendes Lesen und Leseverstehen in guten Klassen besser als in leistungsschwächeren Klassen. Allerdings ist der negative Effekt unzureichender Deutschkenntnisse auf die individuelle Leseleistung in leistungsstarken Klassen größer als in leistungsschwächeren Klassen. Im Hinblick auf die Lesegeschwindigkeit ist der Einfluss des Klassenleistungsniveaus auf die Auswirkungen individueller Deutschschwierigkeiten umgekehrt: In leistungsstarken Klassen wird die Lesegeschwindigkeit weniger von den individuellen Deutschkenntnissen beeinflusst als in leistungsschwächeren Klassen (vgl. Abbildung 1). Die Auswirkungen individueller Deutschkenntnisse auf die Vorläuferfertigkeiten für verstehendes Lesen werden zudem vom Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen in der Klasse beeinflusst: In Klassen mit wenigen Kindern mit Schwierigkeiten im Deutschen wirken sich unzureichende Deutschkenntnisse geringer auf die Vorläuferfertigkeiten aus als in Klassen, in denen viele Kinder unzureichende Deutschkenntnisse haben. Für ein Kind mit unzureichenden Abhängige Variablen DRT 3 WLLP Knuspel-L Score 1 Knuspel-L Score 2 Prädiktoren b p b p b p b p Klassengröße * Deutschkenntnisse -.03 .36 -.03 .37 .03 .32 <.001 .98 Anteil Kinder * Deutschkenntnisse .02 .53 .03 .21 -.07 <.01 -.05 .08 Leistungsniveau * Deutschkenntnisse .11 .19 .17 <.05 -.18 <.01 -.20 <.01 Tab. 5: Auswirkungen der individuellen Deutschkenntnisse auf die Schulleistungen in Abhängigkeit von Klassenmerkmalen Abb. 1: Lesegeschwindigkeit in Abhängigkeit der Leistungsstärke der Klasse und der Deutschkenntnisse. Klassenleistung: Q1 = Leistungsniveau der Klasse liegt im ersten Quartil (leistungsschwache Klassen), Q2 = Leistungsniveau der Klasse liegt im zweiten Quartil, Q3 = Leistungsniveau der Klasse liegt im dritten Quartil, Q4 = Leistungsniveau der Klasse liegt im vierten Quartil (leistungsstarke Klassen). Lese- und Rechtschreibleistungen 129 Deutschkenntnissen ist es demnach ungünstig, in einer Klasse unterrichtet zu werden, in der es viele weitere Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen gibt. Dieser Einfluss ist jedoch deutlich geringer als der moderierende Effekt des Klassenleistungsniveaus. Diskussion Ziel der vorliegenden Studie war es, die Leistungen im Lesen und Rechtschreiben von Kindern mit unterschiedlich guten Deutschkenntnissen in der 3. Klasse zu untersuchen. Zudem sollte der Einfluss von der Klassengröße und des Anteils von Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen in einer Klasse auf den individuellen Leistungsstand sowie auf das Klassenleistungsniveau dargestellt werden. Bevor auf die Diskussion der Ergebnisse eingegangen wird, soll auf Probleme im Rahmen der Studie eingegangen werden: Die Deutschkenntnisse der Schüler/ -innen wurden durch Lehrkrafturteile erfasst und nicht mithilfe eines objektiveren Verfahrens. Aufgrund zeitlicher Beschränkungen bei der Durchführung von Untersuchungen in Schulen war dies nicht anders möglich. Zudem kann davon ausgegangen werden, dass die Schulleistungen von weiteren Merkmalen wie der Intelligenz, dem sozioökonomischen Hintergrund oder dem Geschlecht beeinflusst sind. Diese Variablen blieben unberücksichtigt. Die Ergebnisse zeigen, dass das Leistungsniveau einer Klasse im Lesen und Schreiben weder von der Klassengröße noch vom Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen beeinflusst zu sein scheint. Obgleich Lehrkräfte kleine Klassen bevorzugen, weil sie den Unterricht dort weniger belastend erleben als in großen Klassen, wirkt sich dies nicht auf das Klassenleistungsniveau aus. Auch der von Lehrkräften ebenfalls als Belastung erlebte Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen in der Klasse zeigt keine Auswirkungen auf das Klassenleistungsniveau im Lesen und Rechtschreiben, wie dies bereits Rüesch (1998) feststellte. Die Befunde von Hosenfeld et al. (2002) können nicht repliziert werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass in dieser Studie der Einfluss auf die Mathematikleistungen untersucht wurde. Eine Erklärung dafür, dass die als Belastung erlebten Faktoren sich nicht in einer geringeren Leistung der Kinder niederschlagen, könnte darin liegen, dass sich die Lehrkräfte mit ihrem Unterricht zumindest implizit auf die nach ihrer Einschätzung erschwerten Bedingungen einstellen, um Leistungsproblemen vorzubeugen. Allerdings ist damit nicht zu erklären, warum sich das Potenzial, das sich demnach in Klassen mit „günstigeren“ Merkmalen ergeben müsste, nicht auch in einem höheren Leistungsniveau widerspiegelt. In diesem Fall liegen Interpretationen nahe, die eher in Richtung des Nicht- Ausschöpfens vorhandener Ressourcen gehen. Auch ist in diesem Zusammenhang an Steuerungsmaßnahmen von Schulleitungen zu denken: Mitunter werden größere und/ oder „schwierigere“ Klassen vermeintlich erfahrenen, erfolgreichen und belastbareren Lehrkräften übergeben. Auch ist durch die Arbeiten Kounins (2006) bekannt, dass sich erfahrene Lehrkräfte von unerfahreneren Lehrkräften durch sorgfältiges und rechtzeitiges Planen von Unterrichtsstunden, die Auswahl interessanten Lehrmaterials und das rechtzeitige und entschiedene Einführen klarer Verhaltensregeln in der Klasse unterscheiden. Erwartungswidrige Korrelationen zwischen Klassengröße/ Anteil der Kinder mit nicht deutscher Erstsprache und Schulleistung wären dann prognostizierbar (z. B. je kleiner die Klasse, desto schlechter der Unterricht, desto geringer der Lernerfolg und umgekehrt). Der Anteil der Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen in der Klasse moderiert den Einfluss der individuellen Deutschkenntnisse auf die Vorläuferfertigkeit des verstehenden Lesens. In Klassen mit hohem Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen zeigen diese Kinder geringe Leistungen in Hörverstehen, Rekodieren und Dekodieren (Knuspel-L Score 1). Dieser negative Einfluss unzureichender Deutschkenntnisse auf die Vor- 130 Anke Treutlein et al. läuferfertigkeit ist deutlich schwächer in Klassen mit einem geringen Anteil an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen. Die höhere Anzahl entsprechender Modelle bzw. Vorbilder in Klassen mit einem hohen Anteil an hinreichend Deutsch sprechenden Kindern scheint sich günstig auf die Leistungen von Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen auszuwirken, sodass diese ein relativ hohes Niveau im Hinblick auf die Vorläuferfertigkeit des Lesens Rekodieren, Dekodieren und Hörverstehen erreichen können. Für Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen wäre es günstig, viele solcher Modelle in ihrer Klasse zu haben: Dies ist zwar keine überraschende Erkenntnis - aufgrund von Klasseneinteilungen nach schulischen Einzugsgebieten ist es in der Realität jedoch gängige Praxis, dass eher Klassen mit hohen Anteilen an Kindern mit unzureichenden Deutschkenntnissen gebildet werden. Auch die allgemeine Leistungsstärke einer Klasse im Lesen und Rechtschreiben beeinflusst die Auswirkungen unzureichender individueller Deutschkenntnisse auf die Vorläuferfertigkeit des Leseverstehens. Während die individuellen Schwächen im Deutschen den individuellen Leistungsstand der Vorläuferfertigkeit des Leseverstehens in leistungsstarken Klassen stärker als in leistungsschwachen Klassen beeinflussen, findet sich dieser Effekt nicht für die Lesegeschwindigkeit. Hinsichtlich dieses Indikators der allgemeinen Lesefertigkeit profitieren Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen eher von einer leistungsstarken Klassenumgebung, denn in leistungsstarken Klassen wirken sich unzureichende Deutschkenntnisse weniger auf das Lesetempo und damit die Lesefähigkeit aus als in leistungsschwachen Klassen. Kontextmerkmale wie der Anteil Kinder mit unzureichenden Deutschkenntnissen in einer Klasse oder das Leistungsniveau im Lesen und Rechtschreiben scheinen sich demzufolge auf einzelne Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern spezifisch auszuwirken (Spezifität). Hörverstehen, die Fähigkeit zum Rekodieren (Übersetzen eines geschriebenen Wortes in ein gesprochenes Wort) und Dekodieren (Erfassen der Wortbedeutung) von Schriftsprache, die als „Vorläuferfertigkeit für das verstehende Lesen“ (Knuspel-L Score 1) gelten, sind womöglich grundlegender und von positiven Modellen im Umfeld weniger beeinflussbar als die Lesefähigkeit selbst. Viele gute „Lesemodelle“/ Vorbilder scheinen demgegenüber auf Kinder mit schlechteren Deutschkenntnissen einen positiven Einfluss auszuüben und sind in der Lage, diese bezüglich ihrer eigenen Lesebemühungen und -fähigkeiten zu motivieren. Der insgesamt recht starke Einfluss vorhandener Deutschkenntnisse auf die Schulleistungen ist erwartungsgemäß und bestätigt die Befunde anderer Studien (TIMSS, PISA, EVES). Dieser seit PISA verstärkt ins Bewusstsein gerückte Befund ist insofern wenig verwunderlich, da der Unterricht in deutscher Sprache stattfindet und ein Verstehen von Bildungs- und Unterrichtsinhalten sowohl formale als auch situationsabhängige sprachliche Fähigkeiten erfordert. Bei unzureichenden Kenntnissen in der Unterrichtssprache können Schüler/ -innen dem Unterricht nicht in ausreichendem Maße folgen und somit weniger von den Bildungsangeboten profitieren. Damit wird die Bedeutsamkeit einer frühen Förderung der Unterrichtssprache Deutsch einmal mehr unterstrichen. Wie gezeigt wurde, kann insbesondere die Leistungsstärke einer Klasse im Lesen und Rechtschreiben, die möglicherweise durch entsprechende Qualitätsmerkmale von Unterricht wie Klassenführung und Aufgabenorientierung beeinflusst ist, dazu beitragen, dass die mit unzureichenden Deutschkenntnissen verbundenen Nachteile (bereichsspezifisch) verstärkt bzw. verringert werden können. Anmerkungen 1 Das Projekt EVER (Entwicklung eines Vorschulscreenings zur Erfassung von Risikokindern für Sprach- und Schriftspracherwerbsprobleme) wurde gefördert durch die Dürr-Stiftung Hamburg, die Günter Reimann- Dubbers-Stiftung Heidelberg und die Pädagogische Hochschule Heidelberg. 2 In der EVER-Studie stand die Entwicklung des Schriftspracherwerbs im Vordergrund - aus diesem Grund wurden hauptsächlich Lese- und Rechtschreibleistungen erfasst. Lese- und Rechtschreibleistungen 131 3 Sinnerfassendes Lesen auf Satz- und Textebene (Leseverstehen) setzt im theoretischen Modell der Leseentwicklung nach Marx (1998) die Fähigkeiten des Rekodierens (die Fähigkeit, ein geschriebenes Wort in ein gesprochenes Wort zu übersetzen) und die Fähigkeit des Dekodierens (die Fähigkeit, die Wortbedeutung zu erfassen) von Schriftsprache sowie die Fähigkeit des Hörverstehens voraus. Diese gelten als „Vorläuferfertigkeiten“ für das verstehende Lesen. Diese Vorläuferfertigkeiten sowie das Leseverstehen selbst werden im Knuspel-L in vier verschiedenen Subtests überprüft: Hörverstehen, Rekodieren, Dekodieren und Leseverstehen. 4 Die bei der Bildung eines Summenwerts entstehende Problematik im Rahmen von Notenskalen (Ordinalskalen-Niveau) ist bekannt, eine gute Alternative der Verrechnung der Einschätzungen jedoch nicht. 5 Die mittleren Korrelationen zwischen Einschätzung der Deutschkenntnisse und Leistungen in den Tests sprechen jedoch für eine gewisse Validität (vgl. Tabelle 2). 6 Auch wenn die Note 3 „befriedigende“ Leistungen kennzeichnen soll, markiert sie in der Grundschule eher schwächere Leistungen. Literatur Finn, J. D. & Achilles, C. M. (1999). Tennessee’s class size study: Findings, implications, misconceptions. Educational Evaluation and Policy Analysis, 21, 97 - 109. Helmke, A. (2009). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Seelze-Velber: Kallmeyer in Verbindung mit Klett. Helmke, A. & Renkl, A. (1993). Unaufmerksamkeit in Grundschulklassen: Problem der Klasse oder des Lehrers. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische Psychologie, 25, 185 - 205. Helmke, A. & Schrader, F.-W. (2001). Determinanten der Schulleistung. In D. H. Rost (Hrsg.), Handwörterbuch Pädagogische Psychologie (S. 81 - 90). Weinheim: Beltz. Helmke, A. & Weinert, F. E. (1997). Bedingungsfaktoren schulischer Leistungen. In F. E. Weinert (Hrsg.), Enzyklopädie der Psychologie: Themenbereich D Praxisgebiete, Serie I Pädagogische Psychologie, Band 3 Psychologie des Unterrichts und der Schule (S. 71 - 176). Göttingen: Hogrefe. Helmke, T., Helmke, A., Schrader, F.-W., Wagner, W., Nold, G. & Schröder, K. (2008). Die Videostudie des Englischunterrichts. In DESI-Konsortium (Hrsg.), Unterricht und Kompetenzerwerb in Deutsch und Englisch. Ergebnisse der DESI-Studie (S. 345 - 363). Weinheim: Beltz. 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