eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 60/1

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
11
2013
601

Münchner Modell der Früherkennung und Frühen Hilfen für psychosozial hoch belastete Familien

11
2013
Anne Katrin Künster
Miriam Hägele
Michaela Schunk
Andreas Mielck
Arthur Mosandl
Das „Münchner Modell der Früherkennung und Frühen Hilfen für ¬psychosozial hoch belastete Familien“ ist ein Präventionsprogramm zur rechtzeitigen und unbürokratischen Unterstützung von jungen Familien mithilfe interdisziplinär eingebundener Früher Hilfen. Es wurde vom Stadtjugendamt und dem Referat für Gesundheit und Umwelt initiiert und wird von diesen gesteuert. Berichtet wird die Fallbearbeitung durch die Fachkräfte für Frühe Hilfen anhand einer fortlaufenden Basisdokumentation von 524 Familien. Aus dieser Dokumentation der Fallbearbeitung lässt sich eine individuelle Anpassung des Beratungsprozesses an die jeweiligen Bedürfnisse der Familie ableiten. Ein breites Repertoire von Hilfemöglichkeiten im Rahmen der bestehenden Regelstrukturen wurde zur Unterstützung der Familien genutzt. Die Evaluation der Ergebnisqualität der Frühen Hilfen konnte mithilfe eines quasi-experimentellen Designs mit Prä-Post-Messungen u. a. eine Steigerung der elterlichen Feinfühligkeit sowie eine Verbesserung des psychosozialen Funktionsniveaus der Hauptbezugsperson zeigen. Einschränkend muss genannt werden, dass die Evaluation der Frühen Hilfen ausschließlich auf den Angaben der Fachkräfte für Frühe Hilfen beruht, die die Familien betreuen. Das Münchner Modell ist eines der wenigen Frühe-Hilfen-Projekte in Deutschland, in denen Frühe Hilfen tatsächlich im Sinne früher Beziehungsförderung konzipiert und umgesetzt werden.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2013, 60, 59 - 74 DOI 10.2378/ peu2013.art05d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Münchner Modell der Früherkennung und Frühen Hilfen für psychosozial hoch belastete Familien Evaluation der Frühen Hilfen Anne Katrin Künster 1 , Miriam Hägele 1 , Michaela Schunk 2 , Andreas Mielck 2 , Arthur Mosandl 3 , Marie Kopecky-Wenzel 4 , Maria Kurz-Adam 3 , Rosemary Eder-Debye 4 , Jörg Fegert 1 , Ute Ziegenhain 1 1 Universitätsklinikum Ulm 2 Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen, Helmholtz Zentrum München 3 Stadtjugendamt München 4 Referat für Gesundheit und Umwelt, München The “Munich Early Recognition and Intervention Model” - Evaluation of Early and Preventive Support Summary: The prevention program “Munich Early Recognition and Intervention Model” is a project to provide systematic early and preventive support for infants and toddlers in families under high-level psychosocial stress. Responsible for its initiation and management is the Child Welfare and Health Department of Munich, Germany. The quality of the support for families has been evaluated. An individual adaptation of the counseling procedure for the special needs of the families and the application of a wide range of individual support measures for young families was shown. The effectiveness of the model was affirmed via several assessments, including the assessment of increased parental sensitivity and increased parental global assessment of functioning. These data are limited due to the fact, that they are currently based solely on the information given from the help providers on their own. The Munich Model is one of the few prevention projects in Germany, which actually includes the improvement of the early parent-child-relationship. Keywords: Evaluation, Early Prevention and Intervention, Child Protection, Munich Zusammenfassung: Das „Münchner Modell der Früherkennung und Frühen Hilfen für psychosozial hoch belastete Familien“ ist ein Präventionsprogramm zur rechtzeitigen und unbürokratischen Unterstützung von jungen Familien mithilfe interdisziplinär eingebundener Früher Hilfen. Es wurde vom Stadtjugendamt und dem Referat für Gesundheit und Umwelt initiiert und wird von diesen gesteuert. Berichtet wird die Fallbearbeitung durch die Fachkräfte für Frühe Hilfen anhand einer fortlaufenden Basisdokumentation von 524 Familien. Aus dieser Dokumentation der Fallbearbeitung lässt sich eine individuelle Anpassung des Beratungsprozesses an die jeweiligen Bedürfnisse der Familie ableiten. Ein breites Repertoire von Hilfemöglichkeiten im Rahmen der bestehenden Regelstrukturen wurde zur Unterstützung der Familien genutzt. Die Evaluation der Ergebnisqualität der Frühen Hilfen konnte mithilfe eines quasi-experimentellen Designs mit Prä-Post-Messungen u. a. eine Steigerung der elterlichen Feinfühligkeit sowie eine Verbesserung des psychosozialen Funktionsniveaus der Hauptbezugsperson zeigen. Einschränkend muss genannt werden, dass die Evaluation der Frühen Hilfen ausschließlich auf den Angaben der Fachkräfte für Frühe Hilfen beruht, die die Familien betreuen. Das Münchner Modell ist eines der wenigen Frühe-Hilfen-Projekte in Deutschland, in denen Frühe Hilfen tatsächlich im Sinne früher Beziehungsförderung konzipiert und umgesetzt werden. Schlüsselbegriffe: Evaluation, Frühe Hilfen, Kinderschutz, Münchner Modell, Prävention 60 Anne Katrin Künster et al. Hintergrund Die gelingende ebenso wie die misslingende Entwicklung von Kindern vollzieht sich im familiären System, insbesondere in Abhängigkeit von der Versorgung und Stimulation durch ihre primären Bezugspersonen. Es ist hinlänglich bekannt, dass die familiäre Situation den kindlichen Entwicklungsverlauf entscheidend fördern, aber auch hemmen kann (Ziegenhain & Künster, 2012). So zeigte beispielsweise die BELLA-Studie, die im Rahmen des Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KIGGS) des Robert Koch-Instituts in Deutschland durchgeführt wurde, deutlich, wie maßgeblich der Einfluss familiärer Problemlagen insbesondere auf die psychopathologische Entwicklung, also auf das Auftreten von psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen, wirkt. Das Risiko der Kinder und Jugendlichen, psychische Auffälligkeiten aufzuweisen, so die Ergebnisse der Befragung von 2863 Familien, steigt mit dem Auftreten von Familienkonflikten fast um das Fünffache an, psychische Erkrankungen der Eltern führen zu einem mehr als zweimal so hohen Risiko, Konflikte der Eltern erhöhen es fast um das Dreifache ebenso wie die Unzufriedenheit in der Partnerschaft. Alleinerziehen oder Heimunterbringung verdoppeln das Risiko (Ravens- Sieberer, Wille, Bettge & Erhart, 2007). Dies fällt umso mehr ins Gewicht, je jünger die betroffenen Kinder sind. Insbesondere Säuglinge und Kleinkinder sind aufgrund ihrer entwicklungspsychologischen Besonderheit von den Auswirkungen familiärer Problemlagen besonders betroffen, da sie vollständig von ihren primären Bezugspersonen abhängig sind. Bei extremen elterlichen Verhaltensweisen wie Vernachlässigung oder Misshandlung sind sie aufgrund ihrer großen Verwundbarkeit besonders gefährdet. Die Gefahr von Vernachlässigung und Kindeswohlgefährdung ist in den ersten fünf Lebensjahren am größten (Kindler et al., 2006; Ziegenhain, Fegert, Ostler & Buchheim, 2007). Die frühe Förderung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen hat sich insbesondere im frühkindlichen Bereich als Ansatzpunkt für gelingende Prävention und frühe Interventionen erwiesen. Begründen lässt sich dies mit der entwicklungspsychologisch bedingten Beziehungssituation von Säuglingen und Kleinkindern. Danach lassen sich die körperliche wie psychische Befindlichkeit von Kindern, ihr Wohlbefinden ebenso wie ihr Unwohlsein, Verhaltensprobleme und -auffälligkeiten oder (drohende) Kindeswohlgefährdung überwiegend aus ihrer Angewiesenheit auf elterliche Fürsorge und Betreuung erklären (Ziegenhain, 2012). Dies sind wesentliche und zwingende Gründe für einen präventiv angelegten Kinderschutz, der frühe und präventive Angebote für Eltern ab der Schwangerschaft bzw. Geburt bereitstellt (Ziegenhain et al., 2010). In diesem Zusammenhang werden Frühe Hilfen seit nunmehr einigen Jahren mit erstaunlicher Beständigkeit in der (Fach-)Öffentlichkeit diskutiert und von der Praxis als Gestaltungsaufgabe zunehmend angenommen. Im häufigsten Verständnis werden Frühe Hilfen als Angebote verstanden, die früh und rechtzeitig vorgehalten werden, um mögliche spätere Kindeswohlgefährdung und Vernachlässigung zu vermeiden oder zumindest abzumildern (Ziegenhain, Thurn, Künster, Besier, Roudil d’Ajoux, Böttinger, Fegert, Renner und Kindler, 2011). Gemäß einer Definition von Mitgliedern des Wissenschaftlichen Beirats des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen ist es Ziel Früher Hilfen, die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und Eltern in Familie und Gesellschaft frühzeitig und nachhaltig zu verbessern. Dies soll sowohl mit einer flächendeckenden Versorgung von Familien mit bedarfsgerechten Unterstützungsangeboten als auch durch die Verbesserung der Qualität der Versorgung erreicht werden. Neben alltagspraktischer Unterstützung geht es insbesondere um die Förderung der Beziehungs- und Erziehungskompetenzen von (werdenden) Müttern und Vätern (Wissenschaftlicher Beirat des NZFH; Walper, Franzkowiak, Meysen & Papoušek, 2009). Dabei ist fachlich unbestritten, dass Frühe Hilfen und Kinderschutz interdisziplinär und systemübergreifend sind. Sie können nicht mit einer isolierten Maßnahme Evaluation von Früherkennung und Frühen Hilfen 61 und nicht mit den Kompetenzen einer einzelnen fachlichen Disziplin oder Zuständigkeit allein abgedeckt und gelöst werden. Daraus ergeben sich besondere Anforderungen an Kooperation und Vernetzung zwischen Helfern und Hilfesystemen, insbesondere zwischen der Gesundheitshilfe und der Kinder- und Jugendhilfe. Das „Münchner Modell der Früherkennung und Frühen Hilfen für psychosozial hoch belastete Familien“ ist eines der ersten Projekte, bei denen systematisch und verbindliche Verfahrenswege zwischen dem Bereich Gesundheit (Referat für Gesundheit und Umwelt) und Kinder- und Jugendhilfe (Stadtjugendamt München) festgelegt und umgesetzt wurden. 1 Münchner Modell der Früherkennung und Frühen Hilfen für psychosozial hoch belastete Familien Ziel der Frühen Hilfen im „Münchner Modell der Früherkennung und Frühen Hilfen für psychosozial hoch belastete Familien“ ist es, Eltern zu unterstützen, die kindlichen Signale und die Perspektive des Kindes wahrzunehmen, die Fähigkeit der Eltern zu stärken, das Kind zu versorgen, wenn es krank oder ängstlich ist, die Eltern anzuleiten, harsche oder übermäßig bestrafende Disziplinierungsmaßnahmen zu reflektieren und zu korrigieren, die Mütter und Väter zu befähigen, bei sich anbahnenden Krisensituationen rechtzeitig Hilfen in Anspruch zu nehmen, konkrete Hilfen und praktische Unterstützung im Alltag mit dem Kind anzubieten (wie beispielsweise Haushaltshilfen, kurzfristige Erholungsmaßnahmen, kindgerechte Spielmaterialien, kleine Anschaffungen usw.), Unterstützung für die Beendigung von Gewalt in der Partnerbeziehung zu bieten und geschlechter- und kultursensibel mit den relevanten Themen umzugehen. Speziell im Sinne Früher Hilfen als Förderung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen wird dabei explizit die Eltern- Kind-Beziehung in den Fokus der Beratung gestellt. Im Rahmen der hier berichteten Evaluation des Projekts konnte mit den Trägern der Frühen Hilfen und den Fachkräften Frühe Hilfen (FFH) ausgehandelt und nachhaltig eingeführt werden, dass die FFH bei jedem Hausbesuch eine etwa zehnminütige Situation arrangieren, in der gezielt die Interaktion zwischen der Hauptbezugsperson und dem Kind standardisiert beobachtet und die Eltern anschließend diesbezüglich beraten werden. Dazu gehört, dass sich die FFH ein Setting schafft, in dem Eltern und Kind ungestört miteinander interagieren können und Zeit und Ruhe für die anschließende Beratung der Eltern geschaffen wird (z. B. bitten sie darum, Fernseher/ Radio/ usw. ausschalten zu dürfen, andere Kinder - wenn möglich - ins Nebenzimmer zu schicken, etc.). Diese Beobachtungssituation wird unmittelbar nach dem Hausbesuch auf einer standardisierten Skala elterlicher Feinfühligkeit eingeschätzt, um etwaige Veränderungen der Feinfühligkeit im Laufe der Beratung herauszuarbeiten. Das Münchner Modell setzt für den Zugang zu Familien auf das bereits etablierte Modell der Hausbesuchsdienste von Kinderkrankenschwestern des Referats für Gesundheit und Umwelt (RGU) der Stadt München auf. Dieser Hausbesuchsdienst besteht seit mehr als 30 Jahren für Familien mit Kindern von 0 bis 3 Jahren, das kostenlose Angebot umfasst Hausbesuche und telefonische Beratung. Die wichtigsten Beratungsziele sind die Verbesserung der gesundheitlichen Situation der Kinder, die Kompetenzsteigerung der Eltern im Umgang mit dem Kind, Unfallverhütung, die Vorbeugung von Isolation der Familien durch Motivation zur aktiven Teilnahme an Stadtteilangeboten und die Wahrnehmung von Problemsituationen wie z. B. Erschöpfung oder Überlastung der Mutter, und diesbezüglich bei Bedarf die Empfehlung von weiteren erforderlichen Hilfen. Mit anderen Institutionen des Gesundheits- und Sozialbereichs besteht eine Kooperation und stadtteilbezogene Vernetzung. Den Hausbesuchsdienst einer regional zuständigen Kinderkrankenschwester des RGU können grundsätzlich alle Familien mit Säuglingen und Kleinkindern anfordern. 62 Anne Katrin Künster et al. Mit Beginn des Münchner Modells wurde eine systematische Weitervermittlung in das Angebot Früher Hilfen in Zuständigkeit der Jugendhilfe etabliert. Sieht eine Kinderkrankenschwester des RGU weiterführenden Unterstützungsbedarf bei einer Familie, kann beim Einverständnis der Eltern eine FFH verbindlich für eine angestrebte Dauer von drei Monaten die Begleitung der Familie übernehmen. Die FFH steht zum einen konkret zur Lösung akuter Problemstellungen und für Gespräche zur Verfügung und ist Lotse zu Angeboten der (über-) regionalen Einrichtungen der Dienste der Kinder- und Jugendhilfe. Für die konkreten, praktischen Hilfen werden pro Vollzeitstelle jeder FFH pro Jahr E 15.000,- zur Verfügung gestellt („Flextopf“). Dieses flexible Betreuungsbudget hat den Charakter der raschen unbürokratischen finanziellen Hilfe für Familien mit hohen Belastungen in Notlagen. Insgesamt waren für die Arbeit mit belasteten Familien zum Zeitpunkt der Evaluation 25 Fachkräfte (13 Vollzeitstellen) eingestellt und eingesetzt worden. Als Grundqualifikation konnten die Fachkräfte ein Studium als Diplom-Sozialpädagoge/ in nachweisen sowie Berufspraxis und vertiefte Kenntnisse bezüglich Kindern im Alter bis zu drei Jahren, zu Entwicklungspsychologie, dem Umgang mit psychosozial belasteten Familien und Wissen um die Institutionen und Arbeitsfelder der Jugendhilfe und ihrer Kooperationspartner. Um sie spezifisch für die Arbeit als FFH zu qualifizieren, wurde zum Beginn des Projekts eine Workshop-Reihe angeboten zu Themen wie Entwicklungspsychologie der Frühen Kindheit, Interaktionsbeobachtung, Gesprächsführung, Gewaltprävention, Säuglingspflege, Erkennen und Umgang mit psychischer Erkrankung. Die Evaluation des „Müchner Modells“ gliederte sich in zwei Schwerpunkte. Zum einen wurde das Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen, Helmholtz Zentrum München mit der Untersuchung des Müchner Modells im Gesundheitsbereich beauftragt, d. h. es wurde untersucht, wie viele der durch RGU-Schwestern besuchten Familien einen weiterführenden Bedarf für Frühe Hilfen haben und wie die Weitervermittlung an die Frühen Hilfen gelingt. 2 Zum anderen wurde die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie, Universitätsklinikum Ulm, mit der Evaluation der Frühen Hilfen 3 in der Zeit von März 2009 bis Januar 2010 beauftragt. 4 Evaluiert wurde zum einen die Ausgestaltung der Frühen Hilfen, d. h. welche Familien wurden erreicht und welche Leistungen haben diese in welchem Umfang erhalten (Prozessevaluation). Zum anderen wurde untersucht, ob die Unterstützung der Familien laut Einschätzungen der FFH positive Auswirkungen auf die elterlichen Erziehungs- und Beziehungskompetenzen im Verlauf einer dreimonatigen Betreuung der Familie hatte (Ergebnisevaluation). Die Evaluation des Münchner Modells war eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Praxis und Forschung, ganz im Sinne der so genannten „Action Research“. Die Auswahl der Instrumente und Verfahren ebenso wie deren Einsatz und die Abläufe im Prozess der Evaluation insbesondere unter Machbarkeitsgesichtspunkten wurde gemeinsam mit den Vertreterinnen und Vertretern der Freien Träger der Frühen Hilfen in München und den Fachkräften der Frühen Hilfen intensiv und durchaus auch kontrovers diskutiert. Dabei war es ein wichtiges Ergebnis des Diskurses, dass ein großer Teil der Instrumente nicht nur Forschungsinteressen diente, sondern gleichermaßen der Überprüfung der Arbeit der Fachkräfte Frühe Hilfen nutzte und auch über den Evaluationszeitraum hinaus für die Dokumentation und Qualitätssicherung der Leistungen der Fachkräfte Frühe Hilfen verwendet werden kann. Methoden Untersuchungsdesign Die Prozessevaluation erfolgte mithilfe einer kontinuierlichen Dokumentation der Frühe-Hilfen-Fälle und der in diesem Rahmen erbrachten Leistungen. Zu diesem Zweck wurden von der Fachkraft Frühe Hilfen fortlaufend vom ersten bis zum letzten Hausbesuch unterschiedliche Aspekte des Hilfeprozesses erfasst (Monitoringbogen). Evaluation von Früherkennung und Frühen Hilfen 63 Die Ergebnisevaluation erfolgte mithilfe eines quasi-experimentellen Designs mit Prä-Post-Messungen. Erfasst wurden durch die Fachkraft Frühe Hilfen jeweils sowohl beim ersten als auch beim letzten Hausbesuch unterschiedliche Aspekte elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen, nämlich Risikofaktoren in der Familie (Anhaltsbogen für ein vertiefendes Gespräch; Kindler, 2009), das psychosoziale Funktionsniveau der Hauptbezugsperson (nach DSM IV; Saß, Wittchen, Zaudig, 2003) sowie die Feinfühligkeit der Eltern im Umgang mit ihrem Kind (Skala elterlicher Feinfühligkeit; Ziegenhain, Gebauer, Ziesel, Künster & Fegert, 2009, 2010). Instrumente Instrument zur Prozessevaluation: Monitoringbogen Der Monitoringbogen wurde in Zusammenarbeit und in Diskussion mit dem Stadtjugendamt München, den am Modell beteiligten freien Trägern der Jugendhilfe und den FFH entwickelt. Er dient an erster Stelle den Trägern der Frühen Hilfen sowie dem Stadtjugendamt als Prozess- und Bedarfskontrolle sowie dem eigenen Qualitätsmanagement. Der Monitoringbogen enthält 52 Angaben bzw. Fragen, die grob in folgende acht Kategorien unterteilt werden können: Verlaufsdaten (Anzahl der Besuche, Datum etc.), Unterstützungsbereiche, Motivationsbereiche (zu was möchte die FFH die Familie motivieren? ), Initiierung weiterer Hilfen, Probleme der Hilfeerbringung, Beendigung der Hilfe, Schweregrad der familiären Belastung und Netzwerkerfahrungen. Er enthält keine Angaben zur sozialen Lage der Familie oder andere soziodemografische Daten, da diese bereits im Rahmen der Evaluation des Müchner Modells im Gesundheitswesen erfasst wurden und Dopplungen in der Dokumentation vermieden werden sollten. Instrumente zur Ergebnisevaluation: Anhaltsbogen für ein vertiefendes Gespräch Der Anhaltsbogen für ein vertiefendes Gespräch (Kindler, 2009) wurde im Rahmen des Modellprojekts „Guter Start ins Kinderleben“ 5 (Ziegenhain, Schöllhorn, Künster, Hofer, König & Fegert, 2010) basierend auf einer systematischen Literaturrecherche zu relevanten Risikofaktoren für Kindeswohlgefährdung und Entwicklungsauffälligkeiten entwickelt. Kindler identifizierte in der Literatur 22 empirisch gut abgesicherte Risikofaktoren für Vernachlässigung und Misshandlung. Darüber hinaus fand er in 15 Studien zwölf mehrfach bestätigte Risikofaktoren für frühe Entwicklungsauffälligkeiten und Erziehungsschwierigkeiten. Des Weiteren analysierte er bei 35 internationalen Projekten im Bereich Frühe Hilfen die eingesetzten Risikoinventare und die darin abgefragten Risikofaktoren und extrahierte daraus die 13 häufigsten Faktoren. Auf dieser Grundlage wurde zusammen mit der Geburtshilfe im St. Marien und St. Annastiftskrankenhaus in Ludwigshafen der „Anhaltsbogen für ein vertiefendes Gespräch“ entwickelt, der nunmehr fünf übergeordnete Risikobereiche abfragt, die einen Großteil der ermittelten Risikofaktoren umfassen: A) Mindestens eine besondere soziale Belastung, B) Mehrere fehlende Schwangerschafts-/ U-Untersuchungen, C) Kind stellt deutlich erhöhte Fürsorgeanforderungen, die die Möglichkeiten der Familie zu übersteigen drohen, D) Beobachtbare deutliche Schwierigkeiten der Hauptbezugsperson bei der Annahme und Versorgung des Kindes und E) Hauptbezugsperson beschreibt starke Zukunftsangst, Überforderung oder Gefühl, vom Kind abgelehnt zu werden. Hierbei liegen für die Bereiche A, C und D konkret ausformulierte Beispielfaktoren vor, anhand derer man eine gezielte Einschätzung des Risikobereichs vornehmen kann. Alle fünf Risikobereiche müssen hinsichtlich ihres Vorliegens mit ja/ nein beurteilt werden. Wird mindestens ein Risiko wahrgenommen, wird ein vertiefendes Gespräch mit der Familie zur weiteren Abklärung von Gefährdungen und nötigem Unterstützungsbedarf empfohlen. Eine erste Untersuchung seiner Testgütekriterien zeigt, dass der Anhaltsbogen sowohl von Laien und Fachkräften gleichermaßen gut verstanden und verwendet werden kann und eine hohe Interraterreliabilität bei der Beurteilung eines Falls durch unterschiedliche Beobachter vorliegt (durchschnittliche Übereinstimmung bezüglich der fünf Items: 92.3 - 94.0 %). Bezüglich seiner Validität konnte eine bedeutsame Übereinstimmung zwischen dem Fremdurteil mithilfe des Anhaltsbogens und dem Selbsturteil (EBSK; Deegener, Spangler, Körner & Becker, 2009) nachgewiesen werden (Besier, Pillhofer, Botzenhart, Ziegenhain, Kindler, Spangler, Bovenschen, Gabler und Künster, 2012). 64 Anne Katrin Künster et al. Psychosoziales Funktionsniveau der Hauptbezugsperson, modifizierter GAF Das DSM IV (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders; Saß, Wittchen, Zaudig, 2003) ist in fünf Achsen aufgeteilt. Auf Achse V wird das allgemeine Funktionsniveau des Patienten mithilfe der GAF (Global Assessment of Functioning)-Skala erfasst. Bewertet werden hier die psychischen, sozialen und beruflichen Funktionsbereiche im aktuellen Zeitraum. Diese Funktionen sind auf einem hypothetischen Kontinuum von psychischer Gesundheit bis Krankheit gedacht. Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund von körperlichen Einschränkungen sollen nicht miteinbezogen werden. Der Skalenwert, welcher zwischen 1 und 100 liegen kann, spiegelt dabei den Bedarf an Betreuung und Fürsorge wider. Mithilfe der GAF kann zügig, mit wenig Aufwand und dennoch recht valide eine Einschätzung abgegeben werden. In Diskussion mit den Trägern der Frühen Hilfen und deren Fachkräften wurde die ursprüngliche GAF modifiziert und auf die Praxis zugeschnitten. Die Skala umfasste nun Werte von 0 (unzureichende Information), 1 (Ständige Gefahr, sich oder andere schwer zu verletzen, braucht ständige Betreuung) bis 10 (hervorragende Leistungsfähigkeit; gute soziale Anpassung), die psychiatrischen und psychopathologischen Formulierungen wurden gestrichen, der Schwerpunkt der Wertbeschreibungen auf die soziale und berufliche Leistungsfähigkeit gesetzt. Skala elterlicher Feinfühligkeit Elterliche Feinfühligkeit wird gewöhnlich mit Beobachtungsverfahren auf Basis von Videoaufnahmen von Eltern und Kind bewertet, die ein intensives Training für die Auswertung inklusive Reliabilitätstest erfordern. Bisher fehlen psychometrisch abgesicherte Verfahren, die leicht erlernbar und im Sinne eines Screenings ökonomisch und reliabel im Beratungskontext einsetzbar sind. Im Rahmen eines zunächst für den Gesundheitsbereich entwickelten Manuals 6 (Ziegenhain, Gebauer, Ziesel, Künster & Fegert, 2009, 2010 ) wurde für diesen Zweck eine Skala elterlicher Feinfühligkeit entwickelt, die konzeptuell auf dem klassischen Feinfühligkeitskonzept von Ainsworth (1971) sowie der Idee der Abstimmung bzw. Passung zwischen Eltern und Kind in Anlehnung an den CARE-Index (Crittenden, 2006) basiert. Im Rahmen der hier dargestellten Untersuchung war dies aus zeitlichen und ökonomischen Gründen nicht möglich. Es war daher erforderlich, elterliche Feinfühligkeit in Echtzeit zu bewerten. Dies ist extrem schwierig und erfordert ein leicht zu handhabendes Instrument sowie die Schulung der Personen, welche die Einordnung des elterlichen Verhaltens vornehmen. Ein solches Instrument, welches die Komplexität von feinfühligem Verhalten auf einige wenige, leicht beobachtbare Verhaltensweisen verdichtet und damit in Beratungssituationen anwendbar macht, ist die in Zusammenarbeit mit der Techniker Krankenkasse im Rahmen der Erstellung des Manuals „Die Chance der ersten Monate“ (Ziegenhain et al., 2009, 2010; Ziegenhain et al., 2010) entwickelte „Skala elterlicher Feinfühligkeit“, welche das Verhalten der Hauptbezugsperson auf vier verschiedenen Dimensionen auf einer siebenstufigen Skala von „sehr feinfühlig“ bis „überhaupt nicht feinfühlig“ beschreibt. Die vier Dimensionen sind die „Fähigkeit, Signale und Bedürfnisse des Kindes wahrzunehmen, richtig zu interpretieren und prompt und angemessen darauf zu reagieren“, die „Abstimmung des emotionalen Ausdrucksverhaltens auf das Verhalten des Kindes“, und zur Abklärung elterlicher Extremverhaltensweisen die Dimensionen „ärgerlich/ feindseliges oder aggressives Verhalten“ und „emotional flaches, verlangsamtes Verhalten oder ausdrucksloses Gesicht“. Die Schulung der Fachkräfte für Frühen Hilfen zur adäquaten Anwendung des Instruments erfolgte in mehreren Workshops. Das Verfahren wird zunehmend auch in der Kinder- und Jugendhilfe verwendet. Es hat sich als praxistauglich erwiesen und eine erste psychometrische Validierung ist erfolgt (Künster, 2012). Die Untersuchung der Interraterreliabilität sowie der Retest- Reliabilität stehen noch aus. Ablauf der Untersuchung In der Zeit von März 2009 bis Januar 2010 füllten die FFH zu Beginn der Arbeit mit einer Familie (nach dem ersten oder spätestens zweiten Besuch bei der Familie = 1. Zeitpunkt) den Monitoringbogen, den Anhaltsbogen, den GAF sowie die Skala elterlicher Feinfühligkeit aus. Der Monitoringbogen wurde zudem ab diesem Zeitpunkt fortlaufend weitergeführt. Zum 2. Zeitpunkt, d. h. drei Monate nach dem ersten Zeitpunkt, wurden der Anhaltsbogen, der GAF sowie die Skala elterlicher Feinfühligkeit Evaluation von Früherkennung und Frühen Hilfen 65 erneut ausgefüllt und der Monitoringbogen abgeschlossen. War die Hilfe nach drei Monaten noch nicht abgeschlossen, wurde ein zweiter Monitoringbogen bis zur Beendigung der Frühen Hilfe weitergeführt. Untersuchungsgruppe In der Zeit von Ende März 2009 bis Ende Januar 2010 wurden von den FFH 524 Familien dokumentiert. Das durchschnittliche Alter der Kinder in den betreuten Familien lag zu Beginn der Hausbesuche bei 10 Monaten, wobei eine Familie bereits Hausbesuche in der Schwangerschaft erhielt, beim letzten Hausbesuch waren die Kinder durchschnittlich 13,5 Monate alt (siehe Tab. 1). Weitere soziodemografische Angaben wurden im Rahmen der Evaluation der Frühen Hilfen in Absprache zwischen dem RGU und dem Stadtjugendamt nicht erhoben. Im Anhaltsbogen für ein vertiefendes Gespräch wurde hingegen für 122 (23.3 %) der insgesamt 524 dokumentierten Familien zu Beginn der Frühen Hilfen die vordringlichen sozialen Belastungen dokumentiert: Ein Viertel der Familien litt laut FFH zu Beginn der Frühen Hilfen unter einer finanziellen Notlage (N = 31; 16.4 %); 26 Familien waren sozial isoliert (21.3 %), 20 Familien hatten einen Migrationshintergrund (16.4 %) und 17 Mütter waren sehr jung, d. h. jünger als 18 Jahre bei der Geburt des ersten Kindes (16.4 %). Zudem waren 15 Mütter alleinerziehend (12.3 %), 12 hatten psychische bzw. Suchterkrankungen (9.8 %) und eine Familie (0.8 %) litt unter häuslicher Gewalt. Verfügbare Daten Tabelle 2 gibt einen Überblick darüber, welche und wie viele Fragebögen von den Fachkräften zu den unterschiedlichen Messzeitpunkten ausgefüllt wurden. Datenanalyse Die Datenauswertung erfolgte mit dem Statistikprogramm IBM SPSS Statistics 20. Zur Beschreibung des Hilfeprozesses (Monitoringbogen) wurden Häufigkeitsanalysen durchgeführt. Etwaige Veränderungen bezüglich der Risikoindikatoren für eine (potenzielle) Kindeswohlgefährdung (Anhaltsbogen) wurden mittels McNemar-Tests für verbundene Stichproben untersucht. Der Vergleich des psychosozialen Funktionsniveaus der Hauptbezugsperson (GAF) sowie der elterlichen Feinfühligkeit (Skala elterlicher Feinfühligkeit) zu Beginn und nach Beendigung der Frühen Hilfen wurde mittels t-Tests berechnet. Abschlie- N M SD Min Max Messzeitpunkt 1 Alter des Kindes beim ersten Hausbesuch in Monaten 262 10.31 10.78 -5 47 Messzeitpunkt 2 Alter des Kindes beim letzten Hausbesuch 177 13.57 10.48 1 40 Tab. 1: Alter der Kinder in der Untersuchungsgruppe (N = 524 mit Monitoringbogen dokumentierte Fälle) Messzeitpunkt 1 Messzeitpunkt 2 N absolut % N absolut % Monitoringbogen 524 100 524 100 GAF 240 45,8 174 33,2 Anhaltsbogen 259 49,4 214 40,8 Skala elterlicher Feinfühligkeit 267 51,0 267 51,0 Tab. 2: Verfügbare Daten (N = 524) 66 Anne Katrin Künster et al. ßend wurden ergänzende explorative Analysen durchgeführt, um mögliche Zusammenhänge zwischen elterlichem feinfühligen Verhalten, dem psychosozialen Funktionsniveau der Eltern bzw. dem Hilfeverlauf zu untersuchen (Varianzanalysen mit Messwiederholung unter Einschluss diverser Zwischensubjektfaktoren und Kovariaten). Ergebnisse Prozessevaluation - Monitoringbogen In der Zeit von Ende März 2009 bis Ende Januar 2010 füllten die FFH Monitoringbögen für N = 524 Familien aus. Insgesamt wurden in dieser Zeit 4446 Hausbesuche gemacht (weitere Angaben zu den Hausbesuchen siehe Tab. 3). Weitere Unterstützung neben der Betreuung durch eine FFH erhielten 295 (55,2 %) der dokumentierten Familien. Durch den „Flextopf“ finanzierte Unterstützung erhielten 159 Familien (30 %). 281 Familien (53 %) wurden Hilfen ohne Antrag beim und ohne Finanzierung durch das Jugendamt vermittelt, durch Beantragung beim und Kostenübernahme durch das Jugendamt konnte für 81 Familien (15 %) weitere Unterstützung möglich gemacht werde (siehe Tab. 4). Im Evaluationszeitraum wurden insgesamt 221 Fälle (42,2 %) beendet. Die FFH schätzen bei 72 % dieser Fälle die Beendigung der Hilfe als erfolgreich ein. Knapp ein Viertel wurde auf Wunsch der Eltern vorzeitig beendet, in 5 % der Fälle mussten die Frühen Hilfen wegen einer (drohenden) Kindeswohlgefährdung beendet werden (siehe Tab. 5). Ergebnisevaluation Risikoindikatoren für eine (potenzielle) Kindeswohlgefährdung: Anhaltsbogen für ein vertiefendes Gespräch Die durchschnittliche Dauer zwischen dem ersten und zweiten Messzeitpunkt mithilfe des Anhaltsbogens betrug 2,8 Monate (SD = 1,47; min = 0; max = 7; N = 224). Tabelle 6 gibt einen Überblick über die Auftretenshäufigkeit der fünf abgefragten Items zu Beginn und zum Ende der Hilfe. Am häufigsten werden mit fast 90 % sowohl zu Beginn als auch nach drei Monaten soziale Belastungen in der Familie genannt. Ein Vergleich der beiden Messzeitpunkte mittels McNemar-Test zeigt hochsignifikante Veränderungen vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt bezüglich der Items „Erhöhte Fürsorgeanforderungen durch das Kind, die die Familie zu überfordern drohen“, „Beobachtbare deutliche Schwierigkeiten der Hauptbezugsperson bei der Annahme und Versorgung des Kindes“ und „Hauptbezugsperson beschreibt Zukunftsangst oder Gefühl, vom Kind abgelehnt zu werden“. Bezüglich der Bereiche „soziale Risikofaktoren“ und „fehlende Untersuchungen“ ergaben sich keine signifikanten Veränderungen von der ersten zur zweiten Messung (siehe Tab. 7). Psychosoziales Funktionsniveau der Hauptbezugsperson, adaptierter GAF In 174 Fällen wurde der GAF zu beiden Messzeitpunkten ausgefüllt. Im Durchschnitt lag zwischen dem Ausfüllen der beiden GAF- N % Anzahl Hausbesuche insgesamt 4446 100 Anzahl Besuche in denen das Kind von FFH gesehen wurde 3869 87 N M SD Min Max Anzahl Hausbesuche pro Familie 515 8.6 6.1 1 42 Dauer der Hausbesuche in Minuten 510 85.0 26.8 4 240 Tab. 3: Übersicht über die durch die FFH erbrachten Hausbesuche im Rahmen der Evaluationsuntersuchung (N = 524) Evaluation von Früherkennung und Frühen Hilfen 67 Fälle % Parallele Hilfen - gesamt 282 53,8 Kinderkrankenschwestern des RGU 138 26 Bezirkssozialarbeit 139 26 Bezugsbetreuer/ Soz.-päd. in Einrichtungen 31 6 Kindergarten/ Krippe 20 4 allgemeine Hilfen zur Erziehung 4 0 Gesundheitshilfe (z. B. Kinderarzt, Hebamme, Frühförderung, Logopädie, Psychiater) 39 7 Migrationsdienst 10 2 Sonstiges (z. B. Vormund, Opstapje, Wohnungsamt, Arge, Rechtsberatung) 95 18 Durch Flextopf finanzierte Hilfen - gesamt 153 29,2 Sachmittel 94 18 Mutter-Kind-Gruppe 30 6 Haushaltshilfe 19 4 Kinderbetreuung/ Kindergarten/ Tagespflege 14 3 Sonstige Unterstützung (z.B. Dolmetscher, Partnerschaftskurs) 16 3 Hilfen ohne Antrag beim und Finanzierung durch das Jugendamt - gesamt 281 53,6 Gruppe (z. B. PEKiP, Babymassage, Rückbildung, Stillgruppe) 127 24 Kindergarten, Krippe 42 8 Migrationsdienst, Sprachkurs 23 4 Haushaltshilfe, Leihoma, Familienpflegerin, Ehrenamtliche 37 7 RGU 2 0 Tafel 10 2 Gesundheitshilfe (z. B. Stillberatung, Psychiater, Hebamme) 17 3 Eltern-, Partner-, Erziehungs-, Schwangerschaftsberatung 22 4 Sonstiges (z. B. Mütterzentrum, Opstapje, Rechtsberatung, Schuldnerberatung, Frauenhaus) 72 14 Hilfen mit Antrag beim und Finanzierung durch das Jugendamt - gesamt 80 15,3 Kinderkrippe 29 6 Bezirkssozialarbeit 13 2 allgemeine Hilfen zur Erziehung 22 4 Sonstiges 23 4 Tab. 4: Weitere Hilfen für die betreuten Familien zusätzlich zur Beratung durch eine FFH (N = 524), Mehrfachnennungen möglich 68 Anne Katrin Künster et al. Bögen ein Zeitraum von 3,13 Monaten. Es zeigte sich eine hochsignifikante Verbesserung vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt von 6.2 auf 6.9 Punkte (siehe Tab. 8) Skala elterlicher Feinfühligkeit Im Durchschnitt betrug die Zeit zwischen den beiden Beurteilungszeitpunkten 2,2 Monate (SD = 1.71; min = 0; max = 8; N = 342). Es zeigten sich auf den Dimensionen „Fähigkeit, Signale des Kindes wahrzunehmen“, „Abstimmung des emotionalen Ausdrucksverhaltens“ und „emotional flaches Verhalten“ hochsignifikante Verbesserungen. Im Bereich „aggressives Verhalten“ ergab sich hingegen keine signifikante Veränderung vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt (siehe Tab. 9). N % (der 221 beendeten Fälle) Insgesamt im Evaluationszeitraum beendete Fälle 221 100 erfolgreiche Beendigung, keine weitere Hilfe erforderlich 62 28 erfolgreiche Beendigung mit weiterhin regelmäßigem Kontakt zur FFH 47 21 erfolgreiche Beendigung mit Installation weitergehender Hilfe 51 23 auf Wunsch der Eltern vorzeitig beendet 49 22 wegen (drohender) Kindeswohlgefährdung beendet 7 3 Mitteilung an das Jugendamt nach § 8 a (SGB VIII) 5 2 Tab. 5: Beendigung der Hilfen im Evaluationszeitraum (N = 524) 1. Messzeitpunkt (N = 259) Häufigkeit % 2. Messzeitpunkt (N = 213) Häufigkeit % Soziale Belastung 229 88.4 Soziale Belastung 185 86.9 Fehlende Untersuchungen 22 8.5 Fehlende Untersuchungen 17 8.1 Erhöhte Fürsorgeanforderungen 85 32.8 Erhöhte Fürsorgeanforderungen 46 21.6 Schwierigkeiten Annahme/ Versorgung 55 21.3 Schwierigkeiten Annahme/ Versorgung 34 16.0 Zukunftsangst 56 21.6 Zukunftsangst 28 13.1 Tab. 6: Risikoindikatoren (Anhaltsbogen für ein vertiefendes Gespräch; N = 259) p Soziale Belastung .503 Fehlende Untersuchungen 1.000 Erhöhte Fürsorgeanforderungen .000** Schwierigkeiten Annahme/ Versorgung .005** Zukunftsangst .003** Tab. 7: Risikoindikatoren (Anhaltsbogen für eine vertiefendes Gespräch; N = 259) im Vorher-Nachher- Vergleich mittels McNemar-Test (N = 213) Evaluation von Früherkennung und Frühen Hilfen 69 Explorative Datenanalyse Die ergänzenden explorativen Analysen ergaben keine bzw. wenig Aufschlüsse zu Zusammenhängen zwischen Feinfühligkeit, Funktionsniveau bzw. Hilfeverlauf. Allein zwischen der Veränderung des psychosozialen Funktionsniveaus (GAF) und der erfolgreichen bzw. nicht erfolgreichen Beendigung der Hilfe lässt sich ein Zusammenhang nachweisen (siehe Tab. 10 und Abb. 1). N M SD Min Max GAF Messzeitpunkt 1 174 6.24 1.89 0 9 GAF Messzeitpunkt 2 174 6.94 1.47 0 10 Tab. 8: Einschätzung des psychosozialen Funktionsniveaus der Hauptbezugsperson (GAF) im Prä-Post-Vergleich t = -5.45; df = 173; p ≤ 0.01 N M SD Min Max t-Test Feinfühligkeit Messzeitpunkt 1 255 4.76 1.15 1 7 t = -7.54 p ≤ 0.01 Feinfühligkeit Messzeitpunkt 2 255 5.21 1.13 1 7 emot. Abstimmung Messzeitpunkt 1 255 4.69 1.21 2 7 t = -6.56 p ≤ 0.01 emot. Abstimmung Messzeitpunkt 2 255 5.11 1.08 3 7 aggressiv Messzeitpunkt 1 231 6.52 1.20 1 7 t = -1.52 p = .129 aggressiv Messzeitpunkt 2 231 6.61 1.01 2 7 emot. verflacht Messzeitpunkt 1 230 6.16 1.52 1 7 t = -4.09 p ≤ 0.01 emot. verflacht Messzeitpunkt 2 230 6.60 1.02 2 7 Tab. 9: Elterliche Feinfühligkeit (Skala elterlicher Feinfühligkeit) im Prä-Post-Vergleich M SD N GAF 1 (vorher) erfolgreich 6.1 2.18 85 nicht erfolgreich 5.6 1.16 14 GAF 2 (nachher) erfolgreich 7.2 1.05 85 nicht erfolgreich 5.3 1.94 14 Tab. 10: Psychosoziales Funktionsniveau (GAF): Varianzanalyse mit Messwiederholung unter Berücksichtigung des dichotomisierten Zwischensubjektfaktors „Beendigung der Hilfe“ (erfolgreich vs. nicht-erfolgreich); N = 99 Haupteffekt Zeit (GAF vorher vs. nachher): F = 2.20; df = 1; p = .142; eta = .022 Gruppeneffekt (erfolgreich vs. Nicht-erfolgreich): F = 9.50; df = 1; p = .003**; eta = .089 Interaktionseffekt (Gruppe x Zeit): F = 6.24; df = 1; p = .014*; eta = .060 70 Anne Katrin Künster et al. Diskussion Die Evaluation von Modellprojekten wie dem Münchner Modell ist nicht selbstverständlich. Tatsächlich fehlt es in Deutschland an einer Kultur, Praxisprojekte in ihrer Wirksamkeit zu evaluieren, und die Annahme, dass gut gemeint auch immer gut gemacht ist, empirisch abzusichern. Immer wieder, wie etwa explizit im 11. und 13. Kinder- und Jugendhilfebericht (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2002, 2009), wird eine systematische Evaluation über die Auswirkungen von Hilfen zunehmend auch für den Bereich der Praxis der Kinder- und Jugendhilfe angemahnt und eingefordert. Hinzu kommt, dass Evaluation in Zeiten knapper Kassen zunehmend schwieriger zu realisieren ist und für die Praxis in einer Phase neuer Entwicklungen und Herausforderungen zusätzlich bewältigt werden muss. Gerade in schwierigen Zeiten wären Evaluationen und Implementierungsforschung jedoch besonders nützlich, um den Wirkungsgrad der eingesetzten knappen Ressourcen zu sichern. Mithilfe der hier vorgestellten Evaluationsuntersuchung konnten Rahmenaspekte, Inhalte als auch die Qualität der Hilfeerbringung durch die Fachkräfte Frühe Hilfen im Münchner Modell dargestellt werden. Die Fachkräfte Frühe Hilfen besuchten die von ihnen betreuten Familien im Evaluationszeitraum durchschnittlich acht bis neun Mal, ein Hausbesuch dauerte im Durchschnitt knapp eineinhalb Stunden. Das betroffene Kind wurde dabei erfreulicherweise in fast 90 % der Hausbesuche von den Fachkräften gesehen. Bei über der Hälfte der betreuten Familien wurden neben den Frühen Hilfen weitere Unterstützungsangebote für Familien hinzugezogen. Die Bandbreite der hinzugezogenen Institutionen bzw. Angebote legt die Vermutung nahe, dass die Fachkräfte jeweils individuell passende Unterstützungsformen für die Familien organisiert haben. Das Gleiche gilt für die durch den „Flextopf“ ermöglichten Hilfen, die deutlich machen, dass diese unbürokratische finanzielle Unterstützung sehr individuell an die Bedürfnisse der jeweiligen Familiensituation angepasst wurde. Neben den Frühen Hilfen wurde bei mehr als der Hälfte der betreuten Familien eine Vermittlung in weitere Hilfen berichtet. Dies weist darauf hin, dass die Frühen Hilfen flankierenden und weiterführenden Unterstützungsangeboten einen hohen Stellenwert beimessen 8 7 6 5 4 3 2 1 0 GAF prä GAF post erfolgreich beendete Hilfe nicht erfolgreich beendete Hilfe Abb.1: Veränderung des psychosozialen Funktionsniveau (GAF) getrennt dargestellt für die erfolgreichen vs. die nicht-erfolgreich beendeten Fälle (N = 99) Evaluation von Früherkennung und Frühen Hilfen 71 und in vielen Fällen um Motivation der Familien zur Inanspruchnahme dieser Hilfen und Weitervermittlung bemüht sind. Ein vernetztes Arbeiten mit anderen wichtigen Hilfeerbringern wird daraus ersichtlich. In knapp drei Vierteln der im Evaluationszeitraum beendeten Fälle wurden nach Angaben der Fachkräfte die Frühen Hilfen erfolgreich beendet - teilweise ohne weitere Unterstützungsmaßnahmen für die Familien, zum Teil mit weiteren Besuchen durch die Frühen Hilfen oder mit Anbindung an andere Unterstützungsangebote für Familien. In einigen wenigen Fällen wurde die Unterstützung durch die Fachkraft Frühe Hilfen wegen (drohender) Kindeswohlgefährdung abgebrochen und es erfolgte eine Meldung an den Bezirkssozialdienst. Dieser differenzierte Umgang mit der Beendigung der Hilfen macht deutlich, dass die Fachkräfte im Einzelfall abwägen, ob und wenn ja welche weiteren Hilfen nötig sind, ob sie diese selbst erbringen können oder aber ob andere Hilfs- und Unterstützungsangebote benötigt werden. Im Bereich der elterlichen Feinfühligkeit zeigt sich, dass die Familien nach Ansicht der Fachkräfte durch die Unterstützung profitiert haben. Vergleicht man die Beurteilung elterlicher Feinfühligkeit zu Beginn der Frühen Hilfe und zum Ende der Hilfeerbringung, so verbesserte sich das Verhalten der beurteilten Bezugspersonen im Bereich „Hauptbezugsperson ist fähig, die Signale des Kindes wahrzunehmen sowie prompt und angemessen darauf zu reagieren“, „Abstimmung des emotionalen Ausdrucksverhaltens“ und „emotional flaches Verhalten“ hoch signifikant. Lediglich auf der Skala „ärgerlich, aggressives Verhalten“ konnten keine Verbesserungen erzielt werden, da hier bereits zu Beginn der Frühen Hilfen alle Familien als sehr gut, d. h. unauffällig eingeschätzt wurden. Es bleibt an dieser Stelle offen, ob die beurteilten Familien tatsächlich wenig aggressiv im Umgang mit ihren Kindern interagieren oder ob sie - im Sinne der sozialen Erwünschtheit - aggressives Verhalten im Beisein der Fachkraft Frühe Hilfen selten zeigten. Bezüglich der elterlichen Feinfühligkeit muss zudem einschränkend erwähnt werden, dass die Effekte vom Ausmaß her eher gering ausfallen (etwa ein halber Skalenpunkt Differenz). Zudem fällt auf, dass die Feinfühligkeitswerte bereits zu Beginn der Frühen Hilfen im mittleren bis hohen Bereich liegen (4.8, 4.7, 6.5 und 6.2 von jeweils 7 möglichen Punkten). Dies mag verwundern, da es sich bei der untersuchten Gruppe um eine belastete Untersuchungsgruppe mit Unterstützungsbedarf handelt. Eine mögliche Interpretation könnte sein, dass die Fachkräfte Frühe Hilfen die Hauptbezugspersonen im Bereich Feinfühligkeit zu hoch einschätzen, da sie ausschließlich mit belasteten Familien arbeiten und kaum Vergleichsmöglichkeiten mit nicht belasteten Familien haben. Es ist aber auch möglich, dass bei dieser Untersuchungsgruppe - zumindest im Durchschnitt - die elterliche Feinfühligkeit tatsächlich im mittleren Bereich liegt, da sich die Frühen Hilfen präventiv an Familien richten und sie früh erreichen, d. h., es werden Familien mit Kindern im Alter von durchschnittlich 10 Monaten beraten und unterstützt, die bereits einige Belastungsfaktoren aufweisen, die aber noch nicht zwangsläufig zu einer dramatischen Verschlechterung der Eltern-Kind-Interaktion geführt haben müssen. Auf der Grundlage der vorliegenden Datenbasis lässt sich dieser Aspekt jedoch nicht klären. Explorative Datenanalysen zeigten darüber hinaus, dass zwischen Aspekten des Hilfeverlaufs (z. B. Anzahl der Hausbesuche, Dauer der Unterstützung, Probleme bei der Hilfeerbringung) oder des Schwergrads der Belastung der Familie und der Veränderung der elterlichen Feinfühligkeit keinerlei Zusammenhänge bestehen. Dies erstaunt und legt die Interpretation nahe, dass die Einschätzung elterlicher Feinfühligkeit durch die Fachkräfte von anderen als den untersuchten Aspekten beeinflusst sein dürfte. Da die Einschätzung hier nicht verblindet bzw. von anderen Ratern als den betreuenden Fachkräften durchgeführt werden konnte, kann dieser Befund aufgrund der zwangsläufig methodischen Einschränkungen nicht abschließend plausibel interpretiert werden. 72 Anne Katrin Künster et al. Insgesamt zeigen die erhobenen Daten zur elterlichen Feinfühligkeit dennoch deutlich, dass Feinfühligkeit ein zentraler Aspekt in der Beratungsarbeit der Fachkräfte Frühe Hilfen war. Es gelang überwiegend für Interaktionsberatung, die darauf aufbauende Einschätzung elterlicher Feinfühligkeit und die diesbezügliche Beratung der Eltern auch in den meist schwierigen und vielfältigen Beratungsanforderungen Raum zu schaffen. Damit konnten Frühe Hilfen im Sinne der Förderung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen systematisch in einem nicht standardisierten Beratungskontext etabliert werden. Aus Sicht der Prävention von Kindeswohlgefährdung ist dieser Erfolg besonders erfreulich, da eingeschränktes Erziehungsverhalten und eingeschränkte Beziehungskompetenzen von Eltern beispielsweise dazu führen können, dass die Eltern sich nicht flexibel auf die verändernden Bedürfnisse des Kindes einstellen, die eigenen Bedürfnisse nicht von denen des Kindes getrennt wahrnehmen oder die kindlichen Signale verzerrt wahrnehmen, gefolgt von verzerrten Interpretationen und Zuschreibungen sowie feindseligem, aggressivem Verhalten bis hin zu misshandelndem Verhalten (Ziegenhain et al., 2010). Die Förderung elterlicher Erziehungs- und Beziehungskompetenzen, gemessen anhand der Feinfühligkeit im Umgang mit dem Kind, kann also als ein wichtiger Schritt in der Prävention von Vernachlässigung und Misshandlung betrachtet werden. Darüber hinaus ist in diesem Kontext der regelmäßige Einsatz eines standardisierten Screenigverfahrens in der Beratungsarbeit nachhaltig gelungen, die „Skala elterlicher Feinfühligkeit“ (Ziegenhain et al., 2009, 2010) wurde von den Fachkräften Frühe Hilfen regelmäßig zur Einschätzung des Interaktionsverhaltens verwendet. Dies ist insofern erfreulich, als dass damit gezeigt werden konnte, dass der Einsatz eines systematischen Screenigverfahrens zur standardisierten Beobachtung elterlicher Feinfühligkeit in Echtzeit, d. h. ohne Zuhilfenahme von Videoaufzeichnungen, in der Beratungsarbeit mit Familie praktikabel ist. Ebenfalls im Sinne der Prävention von Kindeswohlgefährdung erfreulich zeigte die Einschätzung des psychosozialen Funktionsniveaus mithilfe des adaptierten GAF in einem Vorher-Nachher-Vergleich, dass sich die psychische Belastung der beurteilten Hauptbezugsperson, die als Risikofaktor für eine (potenzielle) Kindswohlgefährdung betrachtet werden muss (Kindler, 2009), deutlich gelindert hat. Mithilfe explorativer Auswertungen konnte gezeigt werden, dass zwischen der erfolgreichen bzw. nicht-erfolgreichen Beendigung der Hilfe und der Veränderung des psychosozialen Funktionsniveaus ein signifikanter Zusammenhang besteht. Bei den erfolgreichen beendeten Hilfen stieg der GAF-Wert vom ersten zum zweiten Messzeitpunkt an, bei den nicht-erfolgreich beendeten fiel er hingegen ab. Die Auswertung des „Anhaltsbogens für ein vertiefendes Gespräch“ zu Beginn der Frühen Hilfen im Vergleich zum Ende der Hilfeerbringung zeigte ebenfalls bedeutsame Verbesserungen. So wurde der Aspekt „deutlich erhöhte Fürsorgeanforderungen des Kindes, die die Möglichkeiten der Familie zu übersteigen drohen“, zum zweiten Messzeitpunkt signifikant seltener angegeben. Dies könnte so interpretiert werden, dass die Fürsorgeanforderungen durch das Kind abgenommen haben oder aber, was naheliegender ist, dass die Familien derart gestärkt wurden, dass sie nun eher in der Lage waren, die erhöhten Fürsorgeanforderungen des Kindes aufzufangen. Auch der Aspekt „deutliche Schwierigkeiten der Hauptbezugsperson bei der Annahme und Versorgung des Kindes“ verbesserte sich bedeutsam über den Hilfeverlauf. Dies bedeutet, dass die Fachkräfte für Frühe Hilfen die Hauptbezugsperson in wesentlich mehr Fällen zum Ende der Betreuung als kompetent in der Betreuung des Kindes ansahen als zu Beginn der Hilfe. Auch im Bereich „Hauptbezugsperson beschreibt starke Zukunftsangst, Überforderung oder das Gefühl, vom Kind abgelehnt zu werden“ konnte aufgrund der Angaben der Fachkräfte für Frühe Hilfen eine signifikante Verbes- Evaluation von Früherkennung und Frühen Hilfen 73 serung gezeigt werden. Keine Veränderungen ergaben sich in den Bereichen „mindestens eine soziale Belastung“ und „fehlende Schwangerschafts- oder U-Untersuchungen“. Dies war auch nicht zu erwarten, da sich zahlreiche soziale Belastungen nicht durch Frühe Hilfen verändern lassen (z. B. dass eine Mutter alleinerziehend ist oder bei der Geburt des Kindes sehr jung war). Auch bereits zu Beginn der Frühen Hilfen fehlende Schwangerschafts- oder U- Untersuchungen des Kindes fehlten zum zweiten Untersuchungszeitpunkt natürlich immer noch und eigneten sich daher nicht für eine Veränderungsmessung. Einschränkend muss für alle diese Befunde deutlich benannt werden, dass die Beurteilung der Hilfen derzeit ausschließlich auf den eigenen Angaben der Fachkräfte Frühe Hilfen im Rahmen der Falldokumentation beruhen und die Ergebnisse nicht mit einer Kontrollgruppe verglichen werden konnten. Zudem ist die Datenlage, auf der die Evaluationsergebnisse beruht, unvollständig. So liegt zwar von über 500 Familien der Monitoringbogen zur Beschreibung des Prozessverlaufs vor, die Beurteilung der vorliegenden Risikoindikatoren, der elterlichen Feinfühligkeit und des psychosozialen Funktionsniveaus der Hauptbezugsperson wurde jedoch nur in etwa der Hälfte der Fälle durch die Fachkraft Frühe Hilfen vorgenommen. Die hier dargestellten Daten können daher nur als ein erster Hinweis auf eine flexible, interdisziplinäre und effektive Unterstützungsmaßnahme für junge Eltern betrachtet werden. Künftige Untersuchungen sollten dringend objektivere Datenquellen wie beispielsweise die Beurteilungen des Fallverlaufs durch Personen, die nicht an der Beratung und Betreuung der Familie beteiligt sind, hinzuziehen und - wenn ethisch möglich - eine Kontrollgruppe in die Untersuchung einbeziehen. Aufgrund der nur eingeschränkt vorliegenden soziodemografischen Angaben bezüglich der betreuten Familie ist zudem zum jetzigen Zeitpunkt unklar, welche Familie bislang erreicht werden konnten. Es sollte daher intensiv untersucht werden, inwieweit Frühe Hilfen tatsächlich die Familien erreichen können, die von einer Unterstützung auf strikt freiwilliger Basis am effektivsten profitieren können, und welche Familien mit diesem Modell eventuell (noch) nicht ausreichend erreicht werden. Anmerkungen 1 Für die Unterstützung der Familien durch das Gesundheitssystem (Kinderkrankenschwestern des Referats für Gesundheit und Umwelt, Stadt München) ist ein eigener Evaluationsbericht vom Helmholtz Zentrum München erstellt worden: http: / / www.muenchen.de/ Rathaus/ soz/ aktuell/ familie/ fruehe_hilfen.html 2 Der vollständige Abschlussbericht der Evaluation im Gesundheitsbereich kann unter www.muenchen.de/ Rathaus/ soz/ aktuell/ familie/ fruehe_hilfen.html eingesehen werden. 3 Die Evaluation der Frühen Hilfen erfolgte im Auftrag des Stadtjugendamts München. 4 Die hier berichteten Daten beruhen auf der Dissertationsschrift von Dr. biol. hum. Miriam Hägele, Universität Ulm, Medizinische Fakultät. Der vollständige Evaluationsbericht inklusive der verwendeten Instrumente kann unter http: / / www.muenchen.de/ Rathaus/ soz/ aktuell/ familie/ fruehe_hilfen.html eingesehen werden. 5 Das Modellprojekt „Guter Start ins Kinderleben“ wurde in gemeinsamer Initiative der Bundesländer Baden- Württemberg, Bayern, Rheinland-Pfalz und Thüringen entwickelt und gemeinsam gefördert. Die Evaluation wurde vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen im Rahmen des Aktionsprogramms „Frühe Hilfen für Eltern und Kinder und soziale Frühwarnsysteme“ und dem Nationalen Zentrum Frühe Hilfen gefördert (http: / / www.uniklinikulm.de/ kjpp). 6 Projekt „Die Chance der ersten Monate. Feinfühlige Eltern - gesunde Kinder“ mit Förderung der Techniker Krankenkasse Baden-Württemberg. Literatur Besier, T., Pillhofer, M., Botzenhart, S., Ziegenhain, U., Kindler, H., Spangler, G., Bovenschen, I., Gabler, S., Künster, A.K. (2012). 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Dr. Anne Katrin Künster Miriam Hägele Prof. Dr. Jörg M. Fegert Prof. Dr. Ute Ziegenhain Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psychotherapie Universitätsklinikum Ulm Steinhövelstr. 5 89075 Ulm E-Mail: anne-katrin.kuenster@uniklinik-ulm.de Dr. Michaela Schunk Dr. Andreas Mielck Helmholtz Zentrum München Institut für Gesundheitsökonomie und Management im Gesundheitswesen Postfach 1129 85758 Neuherberg Arthur Mosandl Stadtjugendamt München Prielmayerstraße 1 80335 München Dr. Marie Kopecky-Wenzel Referat für Gesundheit und Umwelt Abteilung Gesundheitsvorsorge Bayerstraße 28 a 80335 München