Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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Wissen und Fehlannahmen von deutschen Lehrkräften über die Aufmerksamkeitsdefizit- / Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
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Sandra Schmiedeler
Ziel der vorliegenden Studie war es, Wissen und mögliche Fehlannahmen von deutschen Lehrkräften über ADHS zu untersuchen. Hierzu wurden 353 Grund- und Mittelschullehrkräfte mittels der deutschen Adaptation der Knowledge of Attention Deficit Disorders Scale (KADDS) befragt, einem Fragebogen zur Erfassung des Wissens über Symptome, Diagnostik, Ursachen und Interventionen der ADHS. Die Lehrkräfte beantworteten 54,2 % der Aussagen zur ADHS korrekt, 16,9 % der Aussagen fehlerhaft und 28,8 % mit „Weiß nicht“. Damit fiel die Anzahl korrekter Antworten etwas höher aus als in den meisten internationalen Studien; es zeigte sich jedoch auch in der vorliegenden Stichprobe eine große Anzahl an Fehlannahmen über das Störungsbild. Ein Zusammenhang zwischen dem Wissen über ADHS und der Berufserfahrung der Lehrkräfte bestand nicht, wohingegen die Anzahl gelesener Artikel und besuchter Weiterbildungen zur Thematik positiv mit dem Wissen über ADHS korreliert war
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2013, 60, 143 -153 DOI 10.2378/ peu2013.art12d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Wissen und Fehlannahmen von deutschen Lehrkräften über die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) Sandra Schmiedeler Universität Würzburg German Teachers’ Knowledge and Misconceptions about Attention-Deficit-/ Hyperactivity Disorder (ADHD) Summary: The purpose of the current study was to gather information about German teachers’ knowledge and misconceptions about ADHD. A total of 353 primary and secondary school teachers responded to a German adaptation of the Knowledge of Attention Deficit Disorders Scale (KADDS), a questionnaire designed to assess teachers’ knowledge of ADHD concerning symptoms, diagnostics, causes, and interventions. Teachers correctly answered 54,2 % of the items, 16,9 % of the items were answered wrong and for 28,8 % of the items teachers responded with „don’t know“. In comparison to former international studies on this issue, correct answers of the teachers in our study were somewhat higher. Still they showed a great amount of misconceptions concerning ADHD. When correlating knowledge about ADHD with teachers’ demographic characteristics, we could not find a relationship with years of teaching experience. However, the number of articles teachers read in their career and training sessions attended were positively associated to knowledge. Keywords: ADHD, knowledge, misconceptions, teachers, KADDS Zusammenfassung: Ziel der vorliegenden Studie war es, Wissen und mögliche Fehlannahmen von deutschen Lehrkräften über ADHS zu untersuchen. Hierzu wurden 353 Grund- und Mittelschullehrkräfte mittels der deutschen Adaptation der Knowledge of Attention Deficit Disorders Scale (KADDS) befragt, einem Fragebogen zur Erfassung des Wissens über Symptome, Diagnostik, Ursachen und Interventionen der ADHS. Die Lehrkräfte beantworteten 54,2 % der Aussagen zur ADHS korrekt, 16,9 % der Aussagen fehlerhaft und 28,8 % mit „Weiß nicht“. Damit fiel die Anzahl korrekter Antworten etwas höher aus als in den meisten internationalen Studien; es zeigte sich jedoch auch in der vorliegenden Stichprobe eine große Anzahl an Fehlannahmen über das Störungsbild. Ein Zusammenhang zwischen dem Wissen über ADHS und der Berufserfahrung der Lehrkräfte bestand nicht, wohingegen die Anzahl gelesener Artikel und besuchter Weiterbildungen zur Thematik positiv mit dem Wissen über ADHS korreliert war. Schlüsselbegriffe: ADHS, Wissen, Fehlannahmen, Lehrkräfte, KADDS Die ADHS zählt mit einer weltweiten Prävalenz von ca. 5 % zu den häufigsten Störungen im Kindes- und Jugendalter (Polanczyk, de Lima, Horta, Biederman, & Rohde, 2007). Zu den Kardinalsymptomen gehören Störungen der Aufmerksamkeit (Unaufmerksamkeit), der motorischen Aktivität (Hyperaktivität) und der Impulskontrolle (Impulsivität) (American Psychiatric Association, 2000). Die Symptomatik kommt besonders im schulischen Kontext zum Tragen, da im Klassenraum genau diejenigen Verhaltensweisen von den Kindern gefordert werden, die der Symptomatik widersprechen, wie über einen längeren Zeitraum ruhig sitzen 144 Sandra Schmiedeler zu bleiben oder die Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten (Kos, Richdale, & Hay, 2006). Die daraus resultierenden Probleme können die Schullaufbahn der betroffenen Kinder deutlich beeinträchtigen: Kinder und Jugendliche mit ADHS zeigen im Vergleich zu ihren Klassenkameraden eine höhere Quote an Lernstörungen, Klassenwiederholungen und Schulabbrüchen (z. B. Barbaresi, Katusic, Colligan, Weaver, & Jacobsen, 2007; Barkley, Fischer, Edelbrock, & Smallish, 1990; Biederman, Petty, Evans, Small, & Faraone, 2010; Lahey et al., 1998). Zudem haben sie häufiger Probleme im Sozialkontakt und mit dem Aufrechterhalten von Freundschaften (z. B. Gresham, MacMillan, Bocian, Ward, & Forness, 1998). Das Lehrerurteil im diagnostischen Prozess Eine genaue Diagnose einer ADHS ist jedoch insofern oftmals schwierig, da es kein Instrument gibt, mit dem zweifelsfrei eine ADHS festgestellt werden kann. Zudem variieren die Symptome von Kind zu Kind stark und können sich auch in unterschiedlichen Situationen anders zeigen (z. B. Breuer & Döpfner, 2008). Aus diesem Grund sind sich Forscher sowie Experten aus dem klinischen Bereich einig, dass eine genaue Diagnose einer ADHS nur durch das Zusammenfügen von verschiedenen Informationsquellen innerhalb eines multidisziplinären Teams möglich ist (Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie et al., 2007). Innerhalb dieses multidisziplinären Teams spielen Lehrkräfte eine entscheidende Rolle, denn sie sind oftmals die ersten Personen, die emotionale oder Verhaltensschwierigkeiten bei einem Kind erkennen (Sax, & Kautz, 2003). Durch den täglichen Kontakt mit den Kindern können Lehrkräfte die Symptomatik gut beobachten, insbesondere auch da sie einen besseren sozialen Vergleichsrahmen zur Verfügung haben als die Eltern der Kinder (Re, & Cornoldi, 2009). Zudem verlangen die Diagnosekriterien, dass die ADHS-Symptomatik in mindestens zwei Bereichen auftritt, wie im Elternhaus und in der Schule (American Psychiatric Association, 2000). Aus diesem Grund sollten Informationen von Lehrkräften im diagnostischen Prozess unbedingt berücksichtigt werden. Jedoch ist nur wenig darüber bekannt, welche Vorstellungen und Ideen Lehrkräfte von dem Störungsbild haben und ob und wie dieses Wissen ihre diagnostischen Fähigkeiten beeinflusst. Es ist vorstellbar, dass mangelndes Wissen um die Natur der Störung mit möglichen Fehldiagnosen einhergeht, denn bei vielen Kindern, bei denen von der Schule der Verdacht einer ADHS geäußert wird, findet sich am Ende des diagnostischen Prozesses keine ADHS-Diagnose (Desgranges, Desgranges, & Karsky, 1995). Somit könnten Fehlannahmen über die Störung dazu beitragen, ein Verhalten des Kindes fälschlicherweise auf eine ADHS-Symptomatik zurückzuführen. Auch umgekehrt könnten Anzeichen einer ADHS bei einem Schüler oder einer Schülerin nicht erkannt werden. Neben der Bedeutung im diagnostischen Prozess haben Lehrkräfte auch bei pädagogischen Interventionen eine tragende Rolle. Denn sie sind oftmals dazu angehalten, eine (medikamentöse) Behandlung betroffener Kinder zu unterstützen und zu evaluieren oder aber selber ihr Klassenmanagement auf diese Kinder abzustimmen. Daher sollten Lehrpersonen eine realistische Einschätzung der Symptomatik und ausreichend Wissen über das Störungsbild, dessen Ursachen und mögliche Interventionsmaßnahmen besitzen. Wissen über ADHS von Lehrkräften Aus den Ergebnissen internationaler Studien geht hervor, dass zwar das allgemeine Wissen über ADHS als gut angesehen werden kann, es jedoch auch viele Fehlannahmen rund um die Störung gibt (z. B. Jerome, Gordon, & Hustler, 1994; Ohan, Cormier, Hepp, Visser, & Strain, 2008). Fehleinschätzungen finden sich zum Beispiel über die Epidemiologie der ADHS, wonach unter Lehrpersonen häufig die Wissen und Fehlannahmen von Lehrkräften über ADHS 145 Auftretenshäufigkeit der Störung überschätzt wird (z. B. Perold, Louw, & Kleynhans, 2010). Weiterhin ist die Annahme unter Lehrkräften verbreitet, dass sich die ADHS-Symptomatik im Laufe der Adoleszenz bzw. im frühen Erwachsenenalter auswächst (Bekle, 2004; Jerome et al., 1994; Ohan et al., 2008), was den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien widerspricht (z. B. Barkley et al., 1990). Es existieren zudem diverse Missverständnisse über mögliche Ursachen der Störung sowie über therapeutische Maßnahmen betroffener Kinder. So gaben 73 % der befragten Lehrkräfte in einer australischen Untersuchung an, dass ADHS oftmals durch Zucker oder Nahrungsergänzungsmittel verursacht wird (Ohan et al., 2008), was wissenschaftliche Befunde nicht bestätigen können (Milich, Wolraich, & Lindgren, 1986). Weyandt, Fulton, Shepman, Verdi und Wilson (2009) fanden anhand einer amerikanischen Stichprobe, dass knapp ein Drittel der befragten Lehrkräfte glaubte, dass eine Vitamintherapie effektiv sei gegen ADHS- Symptome. Aus dem deutschsprachigen Raum ist bislang nur eine veröffentlichte Studie bekannt. Lauth und Knoop (1998) untersuchten die Konzeption bzgl. des Auftretens der ADHS sowie zum Bedingungs- und Änderungswissen der Störung anhand eines Fragebogens bei 77 Grundschullehrerinnen. Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass die Lehrkräfte angaben, dass sich durchschnittlich 2,9 Kinder mit ADHS in ihrer Klasse befanden, was einer Prävalenz von 11,2 % entsprechen würde. Die Ursachen der ADHS wurden dabei v. a. auf Reizüberflutung und psychosoziale Faktoren wie das Erziehungsverhalten der Eltern zurückgeführt (Lauth & Knoop, 1998). Wissen über ADHS und demografischer Hintergrund der Lehrkräfte Das Wissen um ADHS scheint auch mit verschiedenen individuellen Faktoren der Lehrkräfte zusammenzuhängen. Was die Bedeutung der Berufserfahrung betrifft, so sind die bisherigen Befunde jedoch nicht ganz konsistent. Während in einigen Studien eine höhere Anzahl an Berufsjahren mit einem besseren Wissen der Lehrkräfte assoziiert war (Sciutto, Terjesen, & Bender-Frank, 2000; Jerome et al., 1994), fanden andere Studien keinen Zusammenhang zwischen Wissen und Berufserfahrung (Fernández, Mínguez & Casas, 2007; Kos, Richdale, & Jackson, 2004; Ohan et al., 2008). Es scheint eher eine Rolle zu spielen, ob die Lehrkräfte bereits Kontakt zu Kindern mit ADHS hatten: Lehrpersonen, die schon Kinder mit ADHS unterrichtet hatten, verfügten in der Studie von Sciutto und Kollegen (2000) über ein größeres Wissen. Zudem war auch die Anzahl an unterrichteten Kindern mit ADHS im Laufe der Berufslaufbahn mit dem Ausmaß an Wissen assoziiert (Sciutto et al., 2000). Weiterhin kann auch das Wissen über ADHS durch gezielte Schulungsmaßnahmen gesteigert werden (Sciutto, & Terjesen, 2004; Syed & Hussein, 2010). Es ist anzunehmen, dass auch der Besuch von Weiterbildungen zum Thema ADHS sowie die Weiterbildung durch Eigenlektüre das Wissen der Lehrkräfte verbessern kann. Die vorliegende Untersuchung In der vorliegenden Studie sollen Wissen und Fehlannahmen über ADHS bei Lehrkräften an bayerischen Schulen systematisch und umfassend untersucht werden. Dabei wird mit der „Knowledge of Attention Deficit Disorders Scale“ (KADDS; Sciutto et al., 2000) ein Fragebogen eingesetzt, der in der internationalen Forschung breite Verwendung findet. Skalenwerte der deutschen Adaptation des Instrumentes werden präsentiert. Neben der Erfassung des Wissens ist von Interesse, inwieweit dabei individuelle Faktoren der Lehrperson (Berufserfahrung, vorausgegangene Erfahrungen mit ADHS, Weiterbildungen zum Thema) eine Rolle spielen. Zudem wird untersucht, wie gut die Lehrkräfte ihr eigenes Wissen einschätzen und wie sicher sie sich im Umgang mit betroffenen Kindern im Unterricht fühlen. 146 Sandra Schmiedeler Methodik Stichprobe Es konnten insgesamt 353 Lehrkräfte aus 67 Grund- und Mittelschulen 1 (29 Grundschulen, 25 Mittelschulen und 13 kombinierte Grund- und Mittelschulen) aus den Landkreisen Main-Spessart, Schweinfurt, Kitzingen und Würzburg für die Studie gewonnen werden. Für die Rekrutierung wurden an insgesamt 45 Grundschulen 267 Fragebögen verschickt, bei den insgesamt 29 kontaktierten Mittelschulen waren es 559 Fragebögen und bei den 17 kombinierten Grund- und Mittelschulen 280 Fragebögen. Insgesamt lag der Rücklauf der Fragebögen somit bei 34,7 % (353 / 1016). Bei der Mehrzahl der Schulen handelte es sich um öffentliche Schulen (99,1 %). Etwa 23,0 % der Schulen befanden sich im städtischen Bezirk bzw. 15,5 % in einem städtischen Außenbezirk und 61,5 % waren im ländlichen Gebiet angesiedelt. Das Verhältnis von den befragten Lehrkräften war mit 169 Grund- und 168 Mittelschullehrkräften ausgeglichen; weitere 5 Lehrkräfte waren kombinierte Grund- und Mittelschullehrpersonen und eine weitere Sonderschullehrkraft; bei insgesamt zehn Fragebögen fehlten diese Angaben. Bei den berichteten Analysen wurden die Daten aller Lehrkräfte berücksichtigt; lediglich beim Vergleich von Grund- und Mittelschullehrkräften wurden die Angaben der Sonderschullehrkraft, der kombinierten Grund- und Mittelschullehrkräfte sowie der fehlenden Angaben aus den Analysen ausgeschlossen. Die Mehrzahl der Lehrkräfte war weiblich (70,2 %), wobei bei 4,3 % der befragten Personen die Angaben fehlten. Bei den Grundschullehrkräften waren 88 % weiblich, bei den Mittelschullehrkräften hingegen nur 44,9 %. Das Durchschnittsalter der Lehrpersonen lag bei M = 47.68 Jahren (SD = 9.35) bei einer durchschnittlichen Berufserfahrung von M = 21.19 Jahren (SD = 10.74). Lehrkräfte der Grundschule unterschieden sich mit einem Durchschnittsalter von M = 46.79 Jahren (SD = 8.93) und einer Berufserfahrung von durchschnittlich M = 20.13 Jahren (SD = 10.12) nicht von den durchschnittlichen Werten der Lehrkräfte in den Mittelschulen (M = 48.70, SD = 9.67 bzw. M = 22.42, SD = 11.29; t Alter [325] = 1.855, p > .05 bzw. t Berufserfahrung [325] = 1.935, p > .05). Messinstrumente Knowledge of Attention Deficit Disorders Scale (KADDS). Um die Frage zum Wissen über ADHS zu beantworten, wurde ein in den USA entwickelter Fragebogen zur Erfassung von Wissen über ADHS bei Lehrkräften eingesetzt, die „Knowledge of Attention Deficit Disorders Scale“ (KADDS). Die Skala wurde von Sciutto und Kollegen (2000) entwickelt, wobei der ursprüngliche Fragebogen zweimal pilotiert und Items abgeändert wurden, bevor die Skala erstmals in einer großflächigen Untersuchung zum Einsatz kam (Sciutto et al., 2000). Es wurden in die Skala nur Items aufgenommen, deren inhaltliche Aussagen empirisch bestätigt und ausreichend dokumentiert wurden. Die englische Skala zeigt mit a = .80 - .90 eine gute interne Konsistenz auf (Sciutto et al., 2000; Sciutto, & Terjesen, 2004). Neben mehreren Untersuchungen in den USA (Sciutto et al., 2000; Sciutto, & Terjesen, 2004) wurde der Fragebogen bereits auch in Australien (Kos, Richdale, & Jackson, 2004) und Südafrika (Perold et al., 2010) sowie in Spanien (Fernández et al., 2007) eingesetzt. Während andere Fragebögen zum Wissen über ADHS in der Regel nur Falsch/ Richtig-Alternativen anbieten (z. B. Jerome et al., 1994), sind die Aussagen im KADDS als „Richtig“, „Falsch“ oder „Weiß nicht“ zu beantworten. Dieses Format erlaubt die Unterteilung nach tatsächlichem Wissen über ADHS, vorliegenden Fehlannahmen und mangelndem Wissen über die Störung. Zudem ist die Ratewahrscheinlichkeit im Vergleich zu Antwortformaten, die nur „Richtig“ oder „Falsch“ erlauben, reduziert (vgl. Sciutto et al., 2000). Die KADDS umfasst 36 Aussagen, die einer der folgenden drei Skalen zugeteilt werden: 1. „Symptome und Diagnostik der ADHS“ (9 Items), 2. „Behandlung der ADHS“ (12 Items), 3. „Allgemeine Aspekte der Störung“ in Form von Ursachen oder Verlauf (15 Items). Für die vorliegende Untersuchung wurde die KADDS ins Deutsche übersetzt und die deutsche Version wieder ins Englische zurückübersetzt. Diese englische Version wurde von einer bilingualen Person auf Konsistenz geprüft. Anschließend wurde der Fragebogen an einer kleinen Stichprobe von Lehrerinnen und Lehrern aus dem Primar- und Sekundarschulbereich (N = 21) pilotiert. Die Pilotierung diente insbesondere der Überprüfung von Unklarheiten oder Verständnisschwierigkeiten bei der Formulierung der KADDS-Items. Alle Items stellten sich als verständlich heraus und kein Item musste geändert werden. 1 Die Hauptschule in Bayern wurde zur Mittelschule weiterentwickelt und mit dem Schuljahr 2011/ 12 waren fast alle Hauptschulen bereits Mittelschulen (Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus, 2012). Wissen und Fehlannahmen von Lehrkräften über ADHS 147 (Vor-)Erfahrung mit ADHS und Selbsteinschätzungen Neben der KADDS und demografischen Daten der Lehrkräfte wurden Fragen nach Vorerfahrungen mit ADHS sowie nach Selbsteinschätzungen zum eigenen Wissen und zur Sicherheit im Umgang mit betroffenen Kindern gestellt. Um Vorerfahrungen der Lehrkräfte mit dem Störungsbild zu erfassen, sollten die Lehrkräfte zum einen angeben, wie viele Kinder mit ADHS sie bislang im Unterricht hatten und ob sie jemanden mit ADHS in ihrem Familien- oder Bekanntenkreis kennen bzw. ob sie selber von ADHS betroffen sind. Zum anderen wurde anhand einer fünfstufigen Skala nach der Anzahl gelesener professioneller Artikel über ADHS (1 = kein Artikel, 2 = 1 - 3 Artikel, 3 = 4 - 6 Artikel, 4 = 7 - 9 Artikel, 5 = 10 oder mehr) und auf einer vierstufigen Skala nach bisher besuchten Weiterbildungen zum Störungsbild (1 = keine Weiterbildungen, 2 = 1 - 2 Weiterbildungen, 3 = 3 - 4 Weiterbildungen, 4 = 5 oder mehr) gefragt. Mit Blick auf die Selbsteinschätzungen sollten die Lehrkräfte auf einer siebenstufigen Likert-Skala angeben, wie gut sie selbst ihr Wissen über ADHS einschätzen (1 = kein Wissen bis 7 = sehr viel Wissen) und wie sicher sie sich im Umgang mit betroffenen Kindern in der Klasse fühlen (1 = sehr unsicher bis 7 = sehr sicher). Ergebnisse KADDS: Deskriptive Statistiken Zunächst wurden der Anteil an richtigen Antworten, Unsicherheitsurteilen und Fehlannahmen zum Wissen über ADHS untersucht sowie Reliabilitätsmaße der KADDS berechnet. Tabelle 1 zeigt die deskriptiven Werte und Reliabilitäten für die Gesamtskala sowie getrennt für die drei Subskalen „Symptome und Diagnostik“, „Behandlung“ und „Allgemeine Aspekte“. Wie Tabelle 1 zeigt, lagen die korrekten Antworten der Lehrkräfte bei 54,2 %, wobei in 28,8 % der Fälle Unsicherheitsurteile und in 16,9 % der Fälle Fehlannahmen gemacht wurden. Cronbachs a für die Gesamtskala der KADDS lag mit a = .69 gerade noch im akzeptablen Bereich; Cronbachs a für die einzelnen Skalen ist jeweils als schlecht bzw. inakzeptabel zu bezeichnen. Die Interkorrelationen zwischen den Subskalen waren signifikant (p < .001) und moderat bis hoch ausgeprägt (r Sym./ Beh. = .36; r Sym./ Allg. = .32; r Beh./ Allg. = .47). Die Skalen korrelierten hoch mit der Gesamtskala (r Sym./ Ges. = .65; r Beh./ Ges. = .81; r Allg./ Ges. = .84). Bei Betrachtung möglicher Unterschiede zwischen Lehrkräften der Grund- und Mittelschulen hinsichtlich des Wissens über ADHS zeigte sich, dass die Lehrpersonen der Grundschulen auf der Gesamtskala mit 56,0 % (SD = 11.70) richtigen Antworten bei Kontrolle des Geschlechts bedeutsam besser abschnitten als die Lehrkräfte der Mittelschulen mit 52,6 % (SD = 13.35; F[1,331] = 6.881, p < .01). Tabelle 2 zeigt die jeweils fünf häufigsten richtigen Antworten, Unsicherheitsurteile und Fehlannahmen in der Gesamtstichprobe. Es zeigt sich, dass zwei Items der Skala „Symptome“ von fast allen Lehrkräften korrekt beantwortet wurden. Die häufigsten Unsicherheitsurteile ergaben sich für ein Item aus der Skala „Behandlung“ und vier weiteren zu „Allge- N a Richtige Antworten Unsicherheitsurteile Fehlannahmen Ges. 36 .69 54,2 % (12.29) 28,8 % (15.05) 16,9 % (7.55) Sym. 9 .29 72,6 % (15.00) 16,7 % (15.21) 10,5 % (10.13) Beh. 12 .47 53,1 % (16.65) 33,7 % (18.35) 13,0 % (9.44) Allg. 15 .52 43,9 % (15.54) 32,2 % (18.87) 23,8 % (12.06) Tab. 1: Anzahl der Items, Cronbachs a und Mittelwerte (mit Standardabweichungen) der richtigen Antworten, Unsicherheitsurteile und Fehlannahmen in Prozent für die Gesamtskala (Ges.) sowie für die drei Subskalen „Symptome und Diagnostik“ (Sym.), „Behandlung“ (Beh.), „Allgemeine Aspekte“ (Allg.) Anmerkung: * Die Summe der prozentualen Angaben ergeben nicht immer 100 %, dies ist auf Rundungsfehler zurückzuführen. 148 Sandra Schmiedeler meinen Aspekten“. Die meisten Fehlannahmen wurden ebenfalls auf den Skalen „Behandlung“ und „Allgemeine Aspekte“ gemacht. Wissen über ADHS und demografischer Hintergrund der Lehrkräfte In einem weiteren Schritt wurden die Zusammenhänge mit oben genannten Lehrermerkmalen und dem Wissen über ADHS berechnet. Die Frage nach der Anzahl bisher unterrichteter Kinder mit ADHS beantworteten insgesamt 312 Lehrkräfte. Von diesen wurden vier Ausreißerwerte eliminiert. Hier handelte es sich um Angaben, die über 100 Kinder hinausgingen (einige Lehrkräfte gaben im Wortlaut „Hunderte“ an). In der folgenden Tabelle sind die deskriptiven Daten der Lehrervariablen zu Vorerfahrungen mit ADHS sowie zu den vorgenommenen Selbsteinschätzungen abgebildet. Inhalt des Items (Skala) % Richtige Antworten Kinder mit ADHS werden häufig durch äußere Reize abgelenkt. (Sym.) 98,6 Kinder mit ADHS haben oftmals Schwierigkeiten, Aufgaben und Aktivitäten zu organisieren. (Sym.) 98,0 Kinder mit ADHS zappeln oder winden sich häufig auf ihren Stühlen. (Sym.) 88,6 Wenn ein Kind mit ADHS in der Lage ist, seine Aufmerksamkeit über eine Stunde beim Videospielen oder Fernsehen zu halten, so kann es seine Aufmerksamkeit auch eine Stunde in der Klasse oder bei den Hausaufgaben halten. (Beh.) 84,7 Es ist auch als Erwachsener möglich, mit ADHS diagnostiziert zu werden. (Allg.) 83,5 Unsicherheitsurteile Elektrokonvulsive Therapie (z. B. Schockbehandlung) hat sich als wirksame Therapie für sehr schwere Fälle von ADHS erwiesen. (Beh.) 79,3 Symptome einer Depression werden bei Kindern mit ADHS häufiger diagnostiziert als bei Kindern ohne ADHS. (Allg.) 56,4 Bei sehr jungen Kindern (unter 4 Jahren) ist das Problemverhalten der Kinder mit ADHS (z. B. Hyperaktivität, Unaufmerksamkeit) deutlich verschieden vom Verhalten gleichaltriger Kinder ohne ADHS. (Allg.) 58,0 Aus den meisten Schätzungen geht hervor, dass ADHS bei ca. 15 % der Schulkinder vorliegt. (Allg.) 49,6 ADHS ist häufiger verbreitet unter Verwandten 1. Grades (z. B. Mutter, Vater) von Kindern mit ADHS als in der Allgemeinbevölkerung. (Allg.) 49,0 Fehlannahmen Die diätische Reduktion von Zucker oder Nahrungsergänzungsmitteln ist i. d. R. wirksam bei der Reduktion von ADHS-Symptomen. (Beh.) 50,0 Aus den meisten Schätzungen geht hervor, dass ADHS bei ca. 15 % der Schulkinder vorliegt. (Allg.) 39,0 Verhaltenstherapeutische/ Psychologische Interventionen bei Kindern mit ADHS fokussieren primär das Aufmerksamkeitsproblem des Kindes. (Beh.) 37,8 Bei den meisten Kindern mit ADHS wachsen sich die Symptome mit dem Eintritt in die Pubertät aus und sie funktionieren im Erwachsenenalter normal. (Allg.) 32,5 Die Diagnose einer ADHS an sich berechtigt das Kind zur Teilnahme an speziellen schulischen Fördermaßnahmen. (Allg.) 32,4 Tab. 2: Die fünf häufigsten richtigen Antworten, Unsicherheitsurteile und Fehlannahmen mit entsprechenden Prozentangaben (%) Wissen und Fehlannahmen von Lehrkräften über ADHS 149 Unterschiede zwischen Grund- und Mittelschullehrkräften hinsichtlich der genannten Konstrukte wurden anhand des non-parametrischen Mann-Whitney-U-Tests untersucht: Es fanden sich in der Anzahl gelesener Artikel (Z = 3.762, p < .001) sowie in der Anzahl an besuchten Weiterbildungen (Z = 3.117, p < .01) bedeutsame Gruppenunterschiede, wobei die Grundschullehrpersonen mehr Artikel gelesen und häufiger Weiterbildungen zum Thema ADHS besucht hatten als die Mittelschullehrkräfte. Zudem schätzten Grundschullehrkräfte ihr Wissen um ADHS besser ein als die Lehrkräfte der Mittelschulen (t[334] = 4.398, p < .001, d = .47). Um den Zusammenhang zwischen diesen Variablen und dem Wissen um ADHS zu prüfen, wurden Produkt-Moment-Korrelationen bzw. Rangkorrelationen nach Kendall Tau bzw. punktbiseriale Korrelationen zwischen dem Gesamtscore im KADDS (Prozentzahl richtiger Antworten) und den demografischen Variablen der Lehrkräfte berechnet. Der Gesamtscore des KADDS korrelierte weder mit der Berufserfahrung der Lehrkräfte (r = .00) noch mit der Anzahl an bisher unterrichteten Kindern mit ADHS (r = .05). Es zeigte sich jedoch ein statistisch bedeutsamer, wenn auch geringer Zusammenhang zwischen dem Wissen und der Anzahl gelesener Artikel ( τ = .14) und besuchter Weiterbildungen ( τ = .11). Der Zusammenhang zwischen dem Wissen und der wahrgenommenen Sicherheit im Umgang mit betroffenen Kindern (r = .25) sowie dem tatsächlichen Wissen (r = .37) war ebenfalls bedeutsam, wenn auch nur gering bis moderat ausgeprägt. Ebenfalls zeigte sich ein kleiner, aber statistisch bedeutsamer Zusammenhang zwischen dem Wissen um ADHS und der Tatsache, einen Verwandten/ Bekannten mit ADHS zu haben (r pb = .21). Diskussion In der vorliegenden Studie wurde erstmals das Wissen über ADHS von Lehrpersonen im deutschsprachigen Raum am Beispiel von Bayern systematisch und umfassend erfasst. Dazu beantworteten insgesamt 353 Lehrkräfte an bayerischen Grund- und Mittelschulen die deutsche Adaptation der Knowledge of Attention Deficit Disorders Scale (KADDS; Sciutto et al., 2000), einen im internationalen Raum etablierten Fragebogen zur Erfassung des Wissens über ADHS bei Lehrkräften. Wissen über ADHS In unserer Studie beantworteten die Lehrkräfte 54,2 % der Aussagen zur ADHS korrekt, 16,9 % waren Fehlannahmen und in 28,8 % der Fälle gaben die Lehrkräfte Unsicherheitsur- Variable N* M bzw. Md Min Max Anzahl an bisher unterrichteten Kindern mit ADHS 308 20.69 (SD = 22.62) 0 100 Wahrgenommene Sicherheit, Kinder mit ADHS zu unterrichten 348 3.84 (SD = 1.17) 1 7 Wahrgenommenes Wissen über ADHS 348 3.77 (SD = 1.01) 1 7 Anzahl an gelesenen Artikeln über ADHS 346 3 (3 = 4 -6 Artikel) 1 5 Anzahl an Weiterbildungen zu ADHS 347 2 (2 = 1 -2 Weiterb.) 1 4 Bekannter/ Verwandter mit ADHS (sich selber eingeschlossen) 347 Ja: 24,8 % Nein: 75,2 % Tab. 3: Überblick über die deskriptiven Daten der relevanten Merkmale der befragten Lehrkräfte im Hinblick auf Vorerfahrungen mit ADHS und Selbsteinschätzungen Anmerkung: * N bezieht sich auf die Anzahl an Lehrkräften, von denen dieses Item beantwortet wurde. 150 Sandra Schmiedeler teile ab. Auch wenn ein Vergleich mit internationalen Studien nur begrenzt möglich ist, soll dieser kurz erfolgen. In der Untersuchung von Sciutto und Kollegen (2000) in den USA gaben die Lehrkräfte anhand der KADDS 47,8 % korrekte Antworten und zeigten damit etwas weniger Wissen als die Lehrkräfte in unserer Stichprobe. In einer Studie in Südafrika (N = 552) fielen die korrekten Antworten mit 42,6 % noch geringer aus (bei 22,0 % Fehlannahmen und 35,4 % Unsicherheitsurteilen; Perold et al., 2010). In Spanien (N = 193) wurden mit 42,7 % richtigen Antworten, 14,4 % Fehlannahmen und 42,9 % Unsicherheitsurteilen ähnliche Ergebnisse gefunden (Fernández et al., 2007). Demnach waren in den genannten Studien die korrekten Antworten augenscheinlich etwas geringer und insbesondere die Unsicherheitsurteile höher als in der bayerischen Stichprobe. Lediglich in einer Untersuchung in Australien anhand von 120 Grundschullehrkräften fiel die Anzahl korrekter Antworten mit 60,7 % höher aus als in der vorliegenden Studie (Kos et al., 2004). Hier wurden nur einzelne Items der KADDS verwendet und lediglich Grundschullehrkräfte untersucht. Betrachtet man die Anzahl korrekter Antworten der Grundschullehrpersonen in der vorliegenden Stichprobe, so finden sich ähnlich hohe Zahlen wie bei Kos und Kollegen (2004). Entsprechend konnte in einer australischen Studie ein besseres Wissen von Lehrkräften an primary schools im Vergleich zu secondary schools festgestellt werden (West, Taylor, Houghton, & Hudyma, 2005). Da die Diagnose einer ADHS meistens erstmalig in der Grundschule erfolgt, sind Lehrkräfte in dieser Schulart vielleicht stärker mit betroffenen Kindern in Kontakt, was das bessere Wissen der Lehrkräfte an Grundim Vergleich zu Mittelschulen erklären könnte. Alternativ ist es auch möglich, dass in der Grundschullehrerausbildung mehr Wissen über ADHS vermittelt wird. Hingegen könnten sich auch Lehrkräfte der Grundschulen aus eigener Initiative mehr mit dem Thema beschäftigen. Hinweise darauf ergab die in der vorliegenden Studie gefundene höhere Anzahl gelesener Artikel und besuchter Weiterbildungen der Lehrkräfte der Grundim Vergleich zur Mittelschule. Es ist auch möglich, dass viele Lehrkräfte an Sekundarschulen annehmen, dass sich die ADHS im Laufe der Jugend auswächst und die Bedeutung der Störung unterschätzt wird (vgl. Jerome et al., 1994). Häufige Fehlannahmen Die Konzeption der KADDS hinsichtlich der Differenzierung nach korrekten Antworten (Wissen), falschen Antworten (Fehlannahmen) und Unsicherheitsurteilen („Weiß-Nicht“-Angaben) ist insofern von großer Bedeutung, da mangelndes Wissen eher dazu führen könnte, dass sich Lehrkräfte weiter über die Störung informieren, wohingegen Fehlannahmen nur schwer zu verändern scheinen (vgl. Sciutto et al., 2000). Somit sollte insbesondere den Fehlannahmen besondere Beachtung geschenkt werden. In der vorliegenden Studie nahmen 39,0 % der Lehrkräfte fälschlicherweise an, dass ADHS bei 15 % der Schulkinder auftritt. Nur 11,4 % der Personen beantworteten diese Frage korrekt. Diese Fehlannahme könnte dazu verleiten, Verhalten von Kindern irrtümlich auf ADHS zu attribuieren und somit zu falschen Empfehlungen für die in der Überweisung zu einem Arzt kommen (vgl. auch Perold et al., 2010). Weiterhin antworteten 32,5 % der Lehrkräfte falsch, dass sich die Störung bei den meisten Kindern im Laufe der Pubertät auswächst. Diese Annahme weist darauf hin, dass manche Lehrkräfte die Ernsthaftigkeit der Störung unterschätzen könnten. Jedoch konnten diese Frage auch 36,2 % der Lehrkräfte korrekt beantworten. Häufige Fehlannahmen gab es auch im Hinblick auf die Wirksamkeit einer Diätbehandlung bei ADHS. Die Hälfte der Lehrkräfte gab fälschlicherweise an, dass eine Reduktion von Zucker und Nahrungsmittelzusätzen bei der Behandlung der ADHS wirksam sei. Ähnliche Ergebnisse wurden auch bereits in anderen Studien gefunden (Ohan et al., 2008; Weyandt et al., 2009). Weiterhin glaubte ein Drittel der Lehrkräfte, dass die Diagnose einer ADHS das Wissen und Fehlannahmen von Lehrkräften über ADHS 151 Kind zu speziellen schulischen Fördermaßnahmen berechtigt. Eine solche Fehlannahme, dass betroffene Kinder automatisch Hilfeleistung bekommen, könnte dazu führen, dass Lehrkräfte die Notwendigkeit unterschätzen, diese Kinder im Unterricht zu unterstützen. Insgesamt zeigt die Analyse der Fehlannahmen, dass insbesondere bei allgemeinen Wissensinhalten wie Prävalenz und Verlauf sowie bei der Behandlung erheblicher Aufklärungsbedarf besteht. Wissen über ADHS und demografischer Hintergrund der Lehrkräfte Was den Zusammenhang des Wissens über ADHS mit Vorerfahrungen der Lehrkräfte mit der Störung angeht, so fand sich wie schon in den meisten früheren Studien keine bedeutsame Korrelation mit der Berufserfahrung (vgl. Fernández et al., 2007; Kos et al., 2004). Entgegen der Befunde von Sciutto und Kollegen (2000) konnten wir auch keinen Zusammenhang zwischen dem Wissen und der Anzahl an unterrichteten Kindern mit ADHS im Laufe der Berufslaufbahn zeigen. Jedoch war das Wissen um ADHS damit assoziiert, ob die Lehrkraft im Bekannten- oder Verwandtenkreis (sich selber eingeschlossen) jemanden mit ADHS kannte. Bedeutsame Korrelationen zeigten sich auch mit der Anzahl gelesener Artikel und besuchter Weiterbildungen zur Thematik. Demnach scheint vor allem das aktive Weiterbilden beim Wissen über ADHS eine Rolle zu spielen. Weiterhin ist interessant, dass das wahrgenommene Wissen der Lehrkräfte auch mit dem tatsächlichen Wissen zusammenhing, was bereits in einer australischen Studie gezeigt wurde (Kos et al., 2004). Ebenfalls war in unserer Studie das Wissen um ADHS mit der wahrgenommenen Sicherheit der Lehrkräfte im Umgang mit betroffenen Kindern assoziiert. Die deutsche Adaptation der KADDS Anhand der deutschen Version der KAADS wurden vergleichbare Ergebnisse hinsichtlich des Wissens und der Fehlannahmen über ADHS gefunden wie in vorherigen internationalen Studien. Die interne Konsistenz der Gesamtskala der deutschen Adaptation erwies sich noch als akzeptabel, wenn auch die Reliabilitätswerte schlechter ausfielen als die der englischen Originalfassung (Sciutto et al., 2000). Insbesondere bei den Subskalen waren die Kennwerte nicht ausreichend. Bei Betrachtung der Trennschärfen innerhalb der Subskalen wiesen einige der Items sehr geringe Werte auf. Dies lag mitunter daran, dass sich die Items entweder zu leicht (v. a. auf der Skala „Symptome“) oder zu schwer (insbesondere auf der Skala „Allgemeine Aspekte“) erwiesen. Aber es gab auch einige Items, die sich trotz angemessener Schwierigkeit nicht auf den Subskalen abbilden ließen. Die für die USA reliable Abbildung der Items auf den drei Subskalen scheint für den deutschsprachigen Raum keine Gültigkeit zu haben, vielleicht aufgrund der unterschiedlichen kulturellen Kontexte. Interkulturelle Vergleiche, in denen einzelne Items einer genauen Analyse unterzogen werden, sind für eine differenziertere Interpretation notwendig. Grenzen der Studie Einschränkend sei bei der vorliegenden Untersuchung angemerkt, dass der Rücklauf der Fragebögen mit 34,7 % ähnlich niedrig war wie in anderen Studien (Sciutto et al., 2000) und eine Verzerrung der Ergebnisse aufgrund von Selektionseffekten daher nicht ausgeschlossen werden kann. Zudem wurden lediglich Grund- und Mittelschullehrkräfte befragt, sodass die Ergebnisse nur auf diese Schularten übertragen werden können. Daher ist die Erfassung von Lehrkräften weiterer Schularten wesentlich, um letztlich auch die Ergebnisse international besser vergleichen zu können. Ähnliches gilt für die Übertragbarkeit der Befunde auf alle deutschen Lehrkräfte: Da in Deutschland die Ausbildung zwischen den Bundesländern variiert, wäre in zukünftigen Forschungsarbeiten die Untersuchung des Wissens um ADHS auch bei Lehrkräften anderer Bundesländer wünschenswert. Auch wenn bei den Analysen der vorlie- 152 Sandra Schmiedeler genden Arbeit signifikante Zusammenhänge zwischen den Lehrervariablen und dem Wissen über ADHS festgestellt wurden, so waren die Korrelationen durchweg gering, sodass noch andere, bisher nicht identifizierte Faktoren bedeutsam sein dürften. So könnte die Einstellung der Lehrkräfte zum Thema ADHS oder auch die Schulkultur eine Rolle spielen (z. B. Kos et al., 2006). Dies gilt es in zukünftigen Forschungsarbeiten zu untersuchen. Fazit Auch wenn das Wissen um ADHS in der vorliegenden Stichprobe augenscheinlich etwas besser ausfiel als in den meisten vergleichbaren internationalen Studien, so existieren dennoch viele Fehlannahmen zur Natur der ADHS unter unseren Lehrkräften. Da die Lehrpersonen eine wichtige Rolle im Erkennen, Überweisen und in der Behandlung der Störung spielen, ist es wichtig, dass sowohl in der Lehrerausbildung als auch in Weiterbildungen während der Berufslaufbahn das Thema ADHS ausführlich behandelt wird. In diesem Zusammenhang gaben in der eigenen Studie zahlreiche Lehrkräfte am Ende des Fragebogens an, dass sie sich mehr Informationen und Weiterbildungen zur Thematik wünschen würden. Einige Lehrkräfte nannten auch, dass sie überrascht waren, wie wenig sie doch über ADHS informiert sind. Dies verdeutlicht die Motivation der Lehrkräfte, mit dem Störungsbild ADHS vertrauter zu werden, um geeignete Maßnahmen im Umgang mit betroffenen Kindern an die Hand zu bekommen. 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