eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 60/1

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2013.art04d
11
2013
601

Denormalisierung des Rauchens in einem Präventionsprogramm und Bullying

11
2013
Karin Maruska
Reiner Hanewinkel
Barbara Isensee
Einige Studien deuten darauf hin, dass verhältnispräventive Maßnahmen zur Denormalisierung des Rauchens zur Stigmatisierung von Rauchern führen können. In Anlehnung an diese Befunde sollte geprüft werden, inwieweit das schulbasierte Präventionsprogramm Klasse2000, das ebenfalls die Denormalisierung des Rauchens anstrebt, Bullying als eine Form der Stigmatisierung gegenüber rauchenden Schülerinnen und Schülern auslösen kann. Die Stichprobe bildeten 1096 Schülerinnen und Schüler (MAlter = 9.03, SD = 0.47), die Ende der dritten und vierten Klasse schriftlich befragt wurden. Das Ausmaß an ausgeübtem und erfahrenem Bullying von rauchenden Schülerinnen und Schülern fiel unter Klasse2000- und Kontrollgruppenschülern Ende des vierten Schuljahres vergleichbar aus (p .12). Unabhängig von der Bedingung berichteten jedoch Schülerinnen und Schüler, die im Verlauf des vierten Schuljahres mit dem Rauchen begonnen haben, im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern, die noch nie geraucht haben, über häufigere Opfererfahrungen (p < .05). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Klasse2000 nicht zu einem höheren Ausmaß an Bullying führt.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2013, 60, 48 - 58 DOI 10.2378/ peu2013.art04d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Denormalisierung des Rauchens in einem Präventionsprogramm und Bullying Karin Maruska, Reiner Hanewinkel, Barbara Isensee Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung, IFT-Nord, Kiel Denormalization of Smoking in a Prevention Programme and Bullying Summary: Several studies indicate that environmental preventive activities targeting at the denormalization of smoking might stigmatise smokers. It was tested whether Klasse2000, a school-based prevention program, which also aims at the denormalization of smoking, causes bullying as one form of stigmatization towards smoking students. 1096 students (M age = 9.03, SD = 0.47) had been surveyed at the end of third and fourth grade. Extent of bullying against smoking students turned out to be similar for students participating in Klasse2000 and control students at the end of fourth grade (p ≥ .12). Irrespective of group condition, students, who have started smoking during fourth grade, reported more frequent exposure to bullying than never smoking students (p < .05). The results indicate that Klasse2000 does not increase bullying in class. Keywords: prevention, primary school, smoking, denormalization, iatrogenic effects Zusammenfassung: Einige Studien deuten darauf hin, dass verhältnispräventive Maßnahmen zur Denormalisierung des Rauchens zur Stigmatisierung von Rauchern führen können. In Anlehnung an diese Befunde sollte geprüft werden, inwieweit das schulbasierte Präventionsprogramm Klasse2000, das ebenfalls die Denormalisierung des Rauchens anstrebt, Bullying als eine Form der Stigmatisierung gegenüber rauchenden Schülerinnen und Schülern auslösen kann. Die Stichprobe bildeten 1096 Schülerinnen und Schüler (M Alter = 9.03, SD = 0.47), die Ende der dritten und vierten Klasse schriftlich befragt wurden. Das Ausmaß an ausgeübtem und erfahrenem Bullying von rauchenden Schülerinnen und Schülern fiel unter Klasse2000- und Kontrollgruppenschülern Ende des vierten Schuljahres vergleichbar aus (p ≥ .12). Unabhängig von der Bedingung berichteten jedoch Schülerinnen und Schüler, die im Verlauf des vierten Schuljahres mit dem Rauchen begonnen haben, im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern, die noch nie geraucht haben, über häufigere Opfererfahrungen (p < .05). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Klasse2000 nicht zu einem höheren Ausmaß an Bullying führt. Schlüsselbegriffe: Prävention, Grundschule, Rauchen, Denormalisierung, iatrogene Effekte Klasse2000 ist mit 17376 teilnehmenden Klassen im Schuljahr 2011/ 2012 das in Deutschland wahrscheinlich am weitesten verbreitete Programm zur Gesundheitsförderung und Suchtprävention in der Primarstufe (http: / / www.klasse2000.de). Bisher deuten zwei Studien die Wirksamkeit von Klasse2000 an, den Einstieg in das Rauchen am Ende der Grundschulzeit vorbeugen zu können (Bölcskei, Hörmann, Hollederer, Jordan & Frenzel, 1997; Maruska, Isensee & Hanewinkel, 2011). Die Society for Prevention Research hat Gütekriterien aufgestellt, um es Praktikern, politischen Entscheidungsträgern und Administratoren zu erleichtern, zwischen als wirksam, als effektiv und als bereit für die weitere Verbreitung geprüften Präventionsprogrammen zu unterscheiden. Neben dem Nachweis positiver Effekte ist es laut diesen Kriterien wünschenswert, das Auftreten iatrogener Effekte, d. h. unerwünschter Wirkungen, empirisch auszuschließen (Flay et al., 2005). Inwie- Bullying als Begleiterscheinung eines Präventionsprogramms? 49 weit Klasse2000 zu iatrogenen Effekten führen kann, wurde bisher noch nicht untersucht und soll Gegenstand der vorliegenden Arbeit sein. Wie bei anderen Programmen zur Prävention des Rauchens bildet auch bei Klasse2000 die Förderung der Resistenz gegenüber sozialen Einflüssen ein zentrales Kernelement (Faggiano et al., 2010; Thomas & Perera, 2006). Hierbei steht insbesondere die Eindämmung der Einflussnahme durch die Gruppe der Gleichaltrigen (Peers) im Fokus, deren Rauchverhalten als stark assoziiert mit dem Rauchbeginn von Jugendlichen gilt (McVicar, 2011). Eine Möglichkeit, der Einflussnahme durch rauchende Peers entgegenzuwirken, stellt die Denormalisierung des Verhaltens dar. Im Allgemeinen stellt die Denormalisierung des Rauchens einen Sammelbegriff für jegliche Aktivitäten dar, ein Image des Rauchens als nicht übliches und sozial unerwünschtes Verhalten in der Gesellschaft zu etablieren, und umfasst neben Maßnahmen zum Schutz von Nichtrauchern wie Rauchverboten an öffentlichen Plätzen mediengestützte Aufklärungskampagnen (California Department of Health Services Tobacco Control Section, 1998; Lavack, 1999). Im Schulkontext wird die Denormalisierung des Rauchens u. a. über die Umsetzung der dem Ansatz des sozialen Einflusses entstammenden Komponente Normenkorrektur realisiert (Evans, 1976). Basierend auf den Befunden, dass Kinder und Jugendliche die Prävalenz und Akzeptanz jugendlichen Rauchens häufig überschätzen, wird die Korrektur dieser Wahrnehmung in Richtung realistischerer Normen angestrebt (Donaldson, Graham & Hansen, 1994; Hansen, 1992). Zu diesem Zweck angewandte Methoden umfassen u. a. die Vermittlung empirisch ermittelter Prävalenzraten, die Durchführung von Umfragen im nahen Umfeld der Schülerinnen und Schüler durch die Schülerinnen und Schüler selbst sowie die Generierung negativer, sozialer Konsequenzerwartungen (z. B. Uncoolsein durch Rauchen). Normenkorrektur ist in vielen schulbasierten Präventionsprogrammen enthalten und konnte mittlerweile als effektive Wirkkomponente zur Modifikation des Rauchverhaltens von Kindern und Jugendlichen identifiziert werden (Cuijpers, 2002; Donaldson et al., 1996; Thomas & Perera, 2006). Neben diesen vielversprechenden Befunden existieren jedoch auch zunehmend kritische Stimmen, die vor möglichen unerwünschten Effekten der Denormalisierung des Rauchens warnen (Colgrove, Bayer & Bachynski, 2011; Etter & Bouvier, 2006). Untersuchungen zu verhältnispräventiven Maßnahmen wie Rauchverboten an öffentlichen Plätzen haben gezeigt, dass der soziale Druck, der durch diese aufgebaut wird, zumindest in der Gruppe der Raucher zu iatrogenen Effekten wie Stigmatisierung führen kann (Bell, McCullough, Salmon & Bell, 2010; Bell, Salmon, Bowers, Bell & McCullough, 2010; Ritchie, Amos & Martin, 2010). Inwieweit schulbasierte Präventionsprogramme, die auf die Denormalisierung des Rauchens abzielen, Stigmatisierung von Rauchern erzeugen, ist bisher kaum untersucht worden. Eine Ausprägungsform der Stigmatisierung könnte Bullying sein. Unter Bullying wird eine Form der Gewalt verstanden, bei der ein physisch oder psychisch unterlegenes Opfer dem intendierten aggressiven Verhalten wie Schlagen, Lästern oder Ausgrenzung eines oder mehrerer Täter wiederholt und über einen längeren Zeitraum ausgesetzt ist (Olweus, 1991). Es könnte vermutet werden, dass Raucher in Klassen, die an einem schulbasierten Präventionsprogramm teilnehmen, aufgrund der Darstellung des Rauchens als inakzeptabel häufiger Opfer von Bullying werden als Nichtraucher. Bisher sind den Autoren lediglich zwei Studien bekannt, in denen dieser Sachverhalt empirisch überprüft wurde: Das Programm Be Smart - Don’t Start, ein Wettbewerb zum Nichtrauchen, wurde hinsichtlich der Fragestellung untersucht, ob das Programm aufgrund seines kompetitiven Charakters negativen Gruppendruck gegenüber Rauchern generieren kann. Dieser Zusammenhang konnte sowohl in einer Querals auch in einer Längsschnittstudie nicht gezeigt werden (Hanewin- 50 Karin Maruska et al. kel, Isensee, Maruska, Sargent & Morgenstern, 2010; Schmid, 2005). Das Ausmaß des wahrgenommenen Bullyings fiel in den Interventions- und Kontrollklassen vergleichbar aus (Hanewinkel et al., 2010). Da Klasse2000 ebenfalls die Denormalisierung des Rauchens über die Korrektur rauchbezogener Normen anstrebt, soll im Rahmen dieser Arbeit untersucht werden, ob die Teilnahme an dem Programm, zu iatrogenen Effekten in Form von Bullying gegenüber rauchenden Schülerinnen und Schülern führen kann. Aktuelle Studien lassen darauf schließen, dass Bullying in der Grundschule ein ernstzunehmendes Problem ist: Der Anteil identifizierter Opfer variiert zwischen 10 % und 20 % und es deutet sich an, dass in der Grundschule eingenommene Bullying-Rollen sich bis in weiterführende Schulen manifestieren können (Hörmann & Schäfer, 2009; von Marées & Petermann, 2010). Zudem scheinen sich frühere Opfererfahrungen sowohl kurzals auch langfristig negativ auf die seelische und körperliche Gesundheit auszuwirken (Boulton, Smith & Cowie, 2010; Olweus, 1991). So konnten Opfererfahrungen mit psychosozialen Schwierigkeiten wie Kontaktproblemen und Einsamkeit, psychischen Störungen wie Aufmerksamkeitsdefizitstörung und Depression sowie dem Konsum von legalen und illegalen Substanzen assoziiert werden (Radliff, Wheaton, Robinson & Morris, 2012; Kumpulainen, Räsänen & Puura, 2001; Carlyle & Steinman, 2007). Unabsichtlich ausgelöstes Bullying infolge der Durchführung des Präventionsprogramms Klasse2000 könnte somit weitreichende Konsequenzen für die Entwicklung teilnehmender Kinder aufweisen. Da bei primär einmaligem Probieren von Zigaretten in dieser Altersgruppe der Zeitpunkt des Raucheinstiegs ausschlaggebend für das Auslösen von Bullying sein könnte, wird vermutet, dass insbesondere Schülerinnen und Schüler, die parallel zur normativen Erziehung - in diesem Fall im vierten Schuljahr - mit dem Rauchen anfangen, vermehrt Opfer von Bullying werden. Fragestellungen Welche Auswirkungen hat Klasse2000 auf das Ausmaß an Bullying: Sind rauchende Schülerinnen und Schüler in Klassen, die an Klasse2000 teilnehmen, im Vergleich zu rauchenden Schülerinnen und Schülern in Klassen, die nicht an Klasse2000 teilnehmen, häufiger Bullying von Mitschülerinnen und Mitschülern ausgesetzt? Betrifft dies insbesondere Schülerinnen und Schüler, die im Verlauf des vierten Schuljahres mit dem Rauchen begonnen haben? Methodik Intervention Klasse2000 ist für die Schuljahre eins bis vier konzipiert. Pro Schuljahr liegen jeweils etwa 15 ausgearbeitete Unterrichtseinheiten vor, deren Inhalte durch Lehrkräfte und externe, in den Bereichen Gesundheit und Pädagogik geschulte Gesundheitsförderer vermittelt werden. Die Vermittlung nikotinbezogener Inhalte wie Abhängigkeitsentwicklung, Wirkungen des Rauchens, der Aufbau realistischer Normen des Rauchens bei Erwachsenen und das Erkennen und Widerstehen von Gruppendruck werden im vierten Schuljahr fokussiert und erfolgen mittels verhaltensbezogener Methoden wie u. a. Rollenspiele, Selbstverpflichtung zur Abstinenz mit Verhaltensvertrag und Verzichtsübungen. Eine ausführlichere Darstellung der Inhalte des Programms ist bei Storck (2010) und unter www.klasse2000.de zu finden. Studiendesign und -durchführung Die in dieser Arbeit verwendeten Daten entstammen einer in Hessen in den Schuljahren 2004/ 2005 bis 2007/ 2008 durchgeführten vierjährigen Kontrollgruppenstudie (Maruska, Isensee & Hanewinkel, 2011). Klassen, in denen das Programm Klasse2000 kontinuierlich über den Verlauf der gesamten Grundschulzeit umgesetzt wurde (Interventionsgruppe; IG), wurden mit Klassen verglichen, in denen über den gleichen Zeitraum „lediglich“ der normale Unterricht stattfand (Kontrollgruppe; KG). Die Zuordnung zu Interventions- oder Kontrollgruppe erfolgte auf Ebene der Schulen unter Berücksichtigung ihrer Präferenzen. Dieses Vorge- Bullying als Begleiterscheinung eines Präventionsprogramms? 51 hen wurde gewählt, um interessierten Schulen die Teilnahme an dem Programm nicht verweigern zu müssen. Die Schülerinnen und Schüler der Interventions- und Kontrollgruppe, für die eine Elterngenehmigung vorlag, wurden am Anfang des dritten Schuljahres (September 2006) und jeweils am Ende des dritten (Juni 2007) und vierten Schuljahres (Mai 2008) mittels eines anonymisierten Fragebogens wiederholt im Klassenverband befragt. Die Zuordnung der Daten von den einzelnen Messzeitpunkten erfolgte über eine von der Lehrkraft vergebene Nummer. Aufgrund der hauptsächlich in der vierten Klasse stattfindenden Thematisierung nikotinbezogener Inhalte gingen in die Analysen der vorliegenden Studie lediglich die Daten aus den letzten beiden Schülerbefragungen ein. Die Prüfung des Studiendesigns und aller studienrelevanten Dokumente erfolgte im Vorwege durch den Hessischen Datenschutzbeauftragten. Eine Genehmigung der Studie durch das Hessische Kultusministerium lag vor. Stichprobe 58 Schulen mit 119 Klassen hatten sich im Frühjahr 2005 dazu bereit erklärt, an der Studie teilzunehmen. Die Interventionsgruppe umfasste 29 Schulen mit 65 Klassen und 1123 Schülerinnen und Schülern, die Kontrollgruppe 29 Schulen mit 54 Klassen und 936 Schülerinnen und Schülern (siehe Abb. 1). An der Befragung Ende der dritten Klasse nahmen 1676 Schülerinnen und Schüler (n IG = 889, n KG = 787) teil. Daten für die Messzeitpunkte Ende der dritten und Ende der vierten Klasse lagen von 1158 Schülerinnen und Schülern (69,1 %; n IG = 618, n KG = 540) vor. Von diesen wurden 62 Schülerinnen und Schüler (5,4 %; n IG = 44, n KG = 18) mit inkonsistenten Angaben zum Geschlecht und Rauchverhalten von den weiteren Analysen ausgeschlossen. Die finale Stichprobe umfasste somit 1096 Schülerinnen und Schüler (n IG = 574, n KG = 522). Anfang 1. Schuljahr (Januar 2005) Ende 3. Schuljahr (Juni 2007) Ende 4. Schuljahr (Mai 2008) Analysestichprobe Ausgangsstichprobe: 58 Schulen und 119 Klassen (Frühjahr 2005) Interventionsgruppe Kontrollgruppe Befragung Ende des 3. Schuljahres 889 Schüler (54 Klassen, 27 Schulen) Befragung Ende des 3. Schuljahres 787 Schüler (49 Klassen, 28 Schulen) 1123 Schüler (65 Klassen aus 29 Schulen) 936 Schüler (54 Klassen aus 29 Schulen) Stichprobenverlust bei der Nachbefragung: 13 Klassen, 271 Schüler (aufgrund Ausscheidens aus der Studie oder Nichtteilnahme an der Befragung) Stichprobenverlust bei der Nachbefragung: 11 Klassen, 247 Schüler (aufgrund Ausscheidens aus der Studie oder Nichtteilnahme an der Befragung) Ausschluss: 44 Schüler (aufgrund inkonsistenter Daten) Analysiert: 574 Schüler (41 Klassen aus 23 Schulen) Ausschluss: 18 Schüler (aufgrund inkonsistenter Daten) Analysiert: 522 Schüler (38 Klassen aus 25 Schulen) Abb. 1: Flussdiagramm der Studie 52 Karin Maruska et al. Maße Bullying Die Items zur Erfassung der Täterals auch der Opfererfahrung basierten auf den von Olweus entwickelten Items (Olweus, 1991). Die Tätererfahrung wurde mittels der drei Items „Wie oft hast du in der letzten Woche mitgemacht, wenn … - ein anderes Kind geschlagen oder getreten wurde? “, - ein anderes Kind gehänselt wurde? Oder wenn über ein anderes Kind gelästert wurde? “, - ein anderes Kind wie ein Außenseiter behandelt wurde? Wenn es zum Beispiel in der Pause nicht mitspielen durfte.“ und den Antwortkategorien „Keinmal“, „Ein- oder Zweimal“ und „Dreimal oder öfter“ erfragt. Für die Analysen wurde ein Skalenwert gebildet („Skala Tätererfahrung“: a = .65, Mittelwert: Range 1 - 3, M = 1.25, SD = 0.40). Die Opfererfahrung wurde mittels der drei Items „Wie oft bist/ wurdest du in der letzten Woche von anderen Kindern … - geschlagen oder getreten worden? “, - gehänselt worden? Oder wie oft wurde über dich gelästert? “, - als Außenseiter behandelt? Wenn du zum Beispiel in der Pause nicht mitspielen durftest.“ und den Antwortkategorien „Keinmal“, „Ein- oder Zweimal“ und „Dreimal oder öfter“ erfasst. Das Cronbachs Alpha der für die Analysen gebildeten Skala betrug a = .62 („Skala Opfererfahrung“; Mittelwert: Range 1 - 3, M = 1.35, SD = 0.44). Rauchen Das Rauchverhalten der Schülerinnen und Schüler wurde Ende der dritten und vierten Klasse jeweils mit der Frage „Hast du schon einmal geraucht? “ mit den Antwortkategorien „Ich habe noch nie geraucht“, „Ich habe nur einmal an einer Zigarette gezogen, seitdem nie wieder“, „Ich habe schon einmal eine ganze Zigarette geraucht“ und „Ich habe schon öfter Zigaretten geraucht“ erhoben. Die Antwortkategorien wurden zu beiden Messzeitpunkten basierend auf der Empfehlung des U. S. Department of Health and Human Services (U. S. Department of Health and Human Services, 1994) dichotomisiert („Nie geraucht“ vs. „Jemals geraucht“). Anschließend wurden die Daten aus beiden Befragungen wie in Abbildung 2 veranschaulicht zu folgenden Rauchertypen kombiniert: „Nieraucher“, „Späteinsteiger“ und „Früheinsteiger“. Kovariaten Alter, Geschlecht und ethnischer Hintergrund wurden Ende der dritten Klasse erfasst. Der ethnische Hintergrund wurde über die zu Hause hauptsächlich gesprochene Sprache („Deutsch“ oder „Eine andere Sprache“) operationalisiert. Messzeitpunkt Ende 3. Schuljahr Rauchertypen Messzeitpunkt Ende 4. Schuljahr „Nie geraucht“ „Jemals geraucht“ „Jemals geraucht“ „Jemals geraucht“ „Nie geraucht“ Kategorien „Nieraucher“ „Späteinsteiger“ „Früheinsteiger“ Abb. 2: Bildung der Rauchertypen Bullying als Begleiterscheinung eines Präventionsprogramms? 53 Auswertung Attritionsanalyse, Prüfung auf Vergleichbarkeit von Interventions- und Kontrollgruppe zum Messzeitpunkt Ende der dritten Klasse sowie Prüfung der Vergleichbarkeit von Interventions- und Kontrollgruppe hinsichtlich der Skalen Täter- und Opfererfahrung in Abhängigkeit vom Rauchertyp Ende der dritten und vierten Klasse erfolgten mittels logistischer Regressionen, t-Tests und c ²-Unabhängigkeitstests. Unterschiede zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe hinsichtlich der Auftretenshäufigkeit von Tätersowie Opfererfahrungen am Ende des vierten Schuljahres wurden jeweils mittels einer linearen Regression von Gruppenzugehörigkeit, Rauchertyp und einem Interaktionsterm aus den beiden Variablen auf die jeweilige abhängige Variable überprüft. In den Analysen wurde für Alter, Geschlecht, ethnischen Hintergrund und für den jeweiligen Ausgangswert der Skalen Täter- und Opfererfahrung Ende der dritten Klasse kontrolliert. Alle Auswertungen wurden mit Stata/ SE 11 (StataCorp, 2009) durchgeführt. Die hierarchische Struktur der Daten (Schülerinnen und Schüler genestet in Klassen) wurde in den Regressionsanalysen durch Verwendung der Stata-Option cluster berücksichtigt. Die Testung der Hypothesen erfolgte zweiseitig, beobachtete Signifikanzwerte von p < 0.05 wurden als statistisch signifikant bewertet. Attritionsanalyse Insgesamt sind zwischen den Schülerbefragungen Ende des dritten und Ende des vierten Schuljahres 580 Schülerinnen und Schüler (n IG = 315, n KG = 265) aus der Studie ausgeschieden. Im Vergleich zu den Schülerinnen und Schülern der Analysestichprobe waren diese im Durchschnitt geringfügig, jedoch statistisch bedeutsam älter (9.09 vs. 9.03 Jahre) und hatten zu einem größeren Anteil zumindest einmal an einer Zigarette gezogen (16,2 % vs. 6,5 %). Des Weiteren berichteten sie über häufigere Täter- (M = 1.31 vs. M = 1.25) und Opfererfahrungen (M = 1.39 vs. M = 1.35). Es konnten keine Hinweise für selektive Ausfälle zwischen Interventions- und Kontrollgruppe gefunden werden. Beschreibung der Analysestichprobe Ende der dritten Klasse waren die Schülerinnen und Schüler im Durchschnitt 9.03 Jahre alt (SD = 0.47, Range 8 - 12) und zu 51,3 % weiblich. Im Vergleich zur Kontrollgruppe gaben mehr Kinder in der Interventionsgruppe an, zu Hause eine andere Sprache als Deutsch zu sprechen (27,0 % vs. 18,0 %; c ²(1) = 12.48, p < 0.001). In der Tabelle 1 sind die Anteile der Kinder mit Raucherfahrungen sowie mit Täter- und Opfererfahrungen getrennt für Interventions- und Kontrollgruppe zu den Messzeitpunkten Ende der dritten und Ende der vierten Klasse aufgeführt. Bezüglich der Raucherfahrung konnten keine Unterschiede zwischen den Gruppen zu beiden Messzeitpunkten festgestellt werden. Dies spiegelt sich auch in der Verteilung der gebildeten Rauchertypen wieder: 90,0 % (n = 510) der Interventionsgruppenschüler bzw. 87,2 % (n = 441) der Kontrollgruppenschüler wurden dem Rauchertyp „Nieraucher“ zugeordnet, 3,7 % (n = 21) bzw. 6,3 % (n = 32) dem Rauchertyp „Späteinsteiger“ und 6,4 % (n = 36) bzw. 6,5 % (n = 33) dem Rauchertyp „Früheinsteiger“. Währenddessen war zu beobachten, dass nach anfänglicher Vergleichbarkeit Ende der dritten Klasse Schülerinnen und Schüler der Interventionsgruppe im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern der Kontrollgruppe Ende der vierten Klasse über häufigere Tätererfahrungen berichteten (p = 0,019; siehe Tabelle 1). Die Entwicklung bezüglich des Ausmaßes der Opfererfahrungen erwies sich als gegenläufig: Während sich die Gruppen Ende der dritten Klasse mit häufigeren Opfererfahrungen in der Interventionsgruppe (p = 0,003) noch deutlich unterschieden, näherten sich die Anteile der Schülerinnen und Schüler, die berichteten, mindestens ein- oder zweimal u. a. gehänselt worden zu sein, in beiden Gruppen im Verlauf des vierten Schuljahres an. Ergebnisse Die Mittelwerte der Skalen Täter- und Opfererfahrung in Abhängigkeit von der Gruppenzugehörigkeit und vom Rauchertyp zu den beiden Messzeitpunkten Ende der dritten und vierten Klasse sind in der Tabelle 2 dargestellt. Am Ende des dritten Schuljahres zeigte sich hinsichtlich der Skala Opfererfahrung ein signifikanter Unterschied zwischen der Interventions- und Kontrollgruppe (p = 0.020), was bei näherer Betrachtung der Rauchertypen darauf zurückzuführen war, dass „Nieraucher“ in der Interventionsgruppe im Vergleich zu „Nierauchern“ in der Kontrollgruppe über häufigere Opfererfahrungen berichteten (p = 0.015). 54 Karin Maruska et al. Ende der 3. Klasse Ende der 4. Klasse IG KG Prüfstatistik p IG KG Prüfstatistik p N % N % N % N % Tätererfahrung Mindestens einbis zweimal im Verlauf der letzten Woche ein anderes Kind geschlagen, gehänselt oder wie einen Außenseiter behandelt 244 42,6 200 38,5 c²(1) = 1.92 0.166 197 34,8 144 28,1 c²(1) = 5.55 0.019 Opfererfahrung Mindestens einbis zweimal im Verlauf der letzten Woche von anderen Kindern geschlagen, gehänselt oder wie ein Außenseiter behandelt worden 320 55,9 243 46,7 c²(1) = 9.07 0.003 241 42,7 197 38,4 c²(1) = 2.02 0.156 Raucherfahrung Mindestens einmal geraucht 36 6,3 34 6,7 c²(1) = 0.05 0.828 57 10,0 67 13,0 c²(1) = 2.38 0.123 Tab. 1: Häufigkeit der Raucherfahrungen bzw. der Täter- und Opfererfahrungen in der Interventions- und Kontrollgruppe zu den Messzeitpunkten Ende der dritten und vierten Klasse Anmerkung: signifikante Gruppenunterschiede fettgedruckt Ende der 3. Klasse Ende der 4. Klasse IG KG Prüfstatistik p IG KG Prüfstatistik p M SD M SD M SD M SD Skala Tätererfahrung a Gesamt Nieraucher Späteinsteiger Früheinsteiger 1.26 1.24 1.38 1.33 0.38 0.37 0.40 0.40 1.25 1.24 1.34 1.33 0.41 0.40 0.37 0.49 t(1091) = 0.28 t(947) = 0.08 t(51) = 0.35 t(67) = 0.04 0.777 0.938 0.731 0.966 1.20 1.18 1.46 1.28 0.34 0.31 0.52 0.42 1.19 1.18 1.29 1.23 0.38 0.37 0.46 0.38 t(1076) = 0.36 t(934) = 0.01 t(49) = 1.21 t(66) = 0.54 0.717 0.995 0.233 0.588 Skala Opfererfahrung a Gesamt Nieraucher Späteinsteiger Früheinsteiger 1.38 1.37 1.30 1.49 0.45 0.45 0.36 0.50 1.31 1.30 1.51 1.33 0.44 0.43 0.56 0.43 t(1091) = 2.33 t(947) = 2.44 t(51) = 1.52 t(67) = 1.37 0.020 0.015 0.135 0.176 1.26 1.25 1.51 1.31 0.38 0.37 0.56 0.36 1.28 1.26 1.53 1.29 0.46 0.44 0.69 0.44 t(1076) = 0.70 t(934) = 0.59 t(49) = 0.10 t(66) = 0.14 0.486 0.624 0.920 0.886 Tab. 2: Vergleich der Interventions- und Kontrollgruppe hinsichtlich der Skalen Täter- und Opfererfahrung getrennt für Rauchertypen zu den Messzeitpunkten Ende der dritten und vierten Klasse Anmerkung: a Range 1 - 3; signifikante Gruppenunterschiede fettgedruckt Bullying als Begleiterscheinung eines Präventionsprogramms? 55 In der linearen Regression der Skalen Täterbzw. Opfererfahrung Ende der vierten Klasse erwies sich der Zusammenhang mit der Teilnahme an Klasse2000 jeweils als insignifikant (p = 0.627 bzw. p = 0.118; siehe Tabelle 3), d. h. die Häufigkeit an ausgeübtem und erfahrenem Bullying fiel in der Interventions- und Kontrollgruppe vergleichbar aus. Dagegen konnte eine signifikante Assoziation zwischen dem Rauchertyp und der Skala Opfererfahrung gefunden werden: Schülerinnen und Schüler, die im Verlauf des vierten Schuljahres erstmals mit Zigaretten experimentiert hatten („Späteinsteiger“), gaben am Ende des vierten Schuljahres im Vergleich zu „Nierauchern“ an, häufiger Opfer von Bullying zu werden (p = 0.019). Dieser Zusammenhang schien jedoch sowohl für die Interventionsals auch Kontrollgruppe zu gelten, da weder für die Skala Tätererfahrung noch die Skala Opfererfahrung eine signifikante Interaktion zwischen der Teilnahme an Klasse2000 und den Rauchertypen gefunden werden konnte (p ≥ 0.211). Bei näherer Betrachtung der Einzelitems der Skala Opfererfahrung zeigte sich, dass der Unterschied zwischen den „Späteinsteigern“ und „Nierauchern“ insbesondere darauf beruhte, dass Erstere angaben, häufiger geschlagen oder getreten (p = 0.020) sowie tendenziell häufiger ausgegrenzt worden zu sein (p = 0.069). Diskussion Zusammenfassung und Einordnung der Ergebnisse Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wurde untersucht, inwieweit das Präventionsprogramm Klasse2000 aufgrund der angestrebten Denormalisierung des Rauchens zu iatrogenen Effekten in Form von Bullying gegenüber rauchenden Schülerinnen und Schülern führen kann. Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass das Ausmaß an Tätererfahrungen wie auch an Opfererfahrungen sowohl in der Interventionsals auch in der Kontrollgruppe im Verlauf des vierten Schuljahres abnahm. Bezüglich der Opfererfahrungen fiel die Abnahme in der Interventionsgruppe, insbesondere in der Untergruppe der „Nieraucher“, stärker aus. Dies führte dazu, dass beobachtbare Unterschiede zwischen der Interventionsgruppe und der Kontrollgruppe Ende der dritten Klasse am Ende der vierten Klasse nicht mehr nachweisbar waren. Diese Befunde deuten einen positiven Effekt des Programms Klasse2000 auf die Auftretenshäufigkeit von Bullying an. In der Analyse möglicher iatrogener Effekte des Programms auf die Auftretenshäufigkeit von Bullying in Abhängigkeit vom Rauchertyp konnte sowohl bezüglich der Skala Tätererfahrung als auch der Skala Opfererfahrung keine bedeutsame Interaktion zwischen der Teilnah- Täter-Skala Opfer-Skala b a SE 95 % KI b a SE 95 % KI Gruppenzugehörigkeit b Späteinsteiger c Früheinsteiger c Gruppenzugehörigkeit X Späteinsteiger Gruppenzugehörigkeit X Früheinsteiger -0.01 0.07 0.02 0.18 0.04 0.03 0.09 0.07 0.14 0.09 -0,07 -0,04 -0,10 -0,25 -0,11 -0,15 -0,10 -0,46 -0,13 -0,46 -0.05 0.18 0.01 0.12 0.00 0.03 0.07 0.07 0.13 0.08 -0,10 -0,01 0,03 -0,32 -0,14 -0,15 -0,14 -0,39 -0,16 -0,17 Tab. 3: Effekte von Klasse2000 auf Täter- und Opfererfahrung Anmerkung: a adjustiert für Alter, Geschlecht, Nationalität und Ausgangswert auf Skala Tätererfahrung bzw. Skala Opfererfahrung zum Messzeitpunkt Ende der dritten Klasse; b Gruppenzugehörigkeit 0 - 1-kodiert, 1 kennzeichnet Interventionsgruppe; c Nieraucher als Referenzgruppe; signifikantes Ergebnis fettgedruckt 56 Karin Maruska et al. me an Klasse2000 und dem Rauchertyp gefunden werden. Das heißt, das Ausmaß der Häufigkeit von Täterals auch Opfererfahrungen fiel für rauchende Schülerinnen und Schüler in der Interventions- und Kontrollgruppe am Ende des vierten Schuljahres vergleichbar aus. Dies galt auch für Schülerinnen und Schüler, die im Verlauf des vierten Schuljahres, d. h. zum Zeitpunkt der normativen Erziehung, mit dem Rauchen begonnen hatten. Die Befunde entsprechen den Ergebnissen der zwei den Autoren bisher zu dieser Thematik bekannten Studien, in denen die Auswirkungen des Programms Be Smart - Don’t Start auf Bullying untersucht wurden (Hanewinkel et al., 2010; Schmid, 2005). Die Fragestellung, ob rauchende Schülerinnen und Schüler in Klassen, die an Klasse2000 teilnehmen, im Vergleich zu rauchenden Schülerinnen undSchülern in Klassen, die nicht an Klasse2000 teilnehmen, häufiger Bullying von Mitschülerinnen und Mitschülern ausgesetzt sind, kann somit zumindest auf Basis der Ergebnisse in dieser Studie verneint werden. Lediglich Schülerinnen und Schüler, die im Verlauf der vierten Klasse erstmals das Rauchen probiert haben, berichteten unabhängig von der Gruppenzugehörigkeit im Vergleich zu Schülerinnen und Schülern, die nie geraucht haben, einem höheren Ausmaß an Bullying, insbesondere körperlicher Gewalt wie Schlagen und Treten sowie Ausgrenzung, durch Mitschülerinnen und Mitschüler ausgesetzt zu sein. Dieser Befund bedarf weiterer Klärung. Untersuchungen zum Zusammenhang zwischen dem eigenen Rauchverhalten und dem Ausmaß an erfahrenem und ausgeübtem Bullying bei Jugendlichen lassen eher auf eine bedeutsame Assoziation zwischen aktuellem Rauchen und Tätererfahrung schließen (Morris, Zhang & Bondy, 2006; Hanewinkel et al., 2010; Radliff et al., 2012). Da die zeitliche Reihenfolge des Raucheinstiegs und der Zunahme der Auftretenshäufigkeit der Opfererfahrungen aufgrund der Erfassung des Bullyings lediglich für den Zeitraum der letzten Woche nicht genau determiniert werden können, könnte jedoch auch die umgekehrte Wirkrichtung als ursächlich für den gefundenen Zusammenhang vermutet werden. Die Ergebnisse einiger Studien sprechen dafür, dass Opfer von Bullying infolge des erhöhten psychosozialen Stresses ein größeres Risiko aufweisen, mit dem Rauchen zu beginnen (Weiss, Mouttapa, Cen, Johnson & Unger, 2011). Bei der Interpretation der Ergebnisse müssen methodische Schwächen der vorliegenden Untersuchung wie die fehlende Randomisierung, insbesondere jedoch die Messung einiger relevanter Konstrukte, berücksichtigt werden. Aufgrund des gewählten Vorgehens, Schulen selbst bezüglich der Zuordnung zur Interventions- oder zur Kontrollgruppe entscheiden zu lassen, können Selektionseffekte nicht ausgeschlossen werden. Tatsächlich scheinen sich eher Schulen mit Problempotenzial für die Teilnahme an Klasse2000 entschieden zu haben (Maruska et al., 2011; Isensee & Hanewinkel, 2009). Die fehlende Randomisierung und die anscheinend damit einhergehenden Unterschiede auf Schulebene könnten ein Grund für die fehlende Vergleichbarkeit der Interventions- und Kontrollgruppe hinsichtlich der Auftretenshäufigkeit von Opfererfahrungen Ende der dritten Klasse sein. Da es sich bei den Daten Ende des dritten Schuljahres jedoch nicht um Baseline- Daten handelt, könnten die Gruppenunterschiede auch auf eine bereits stattgefundene Sensibilisierung infolge der Programmteilnahme zurückgeführt werden. Das Bestehen der Gruppenunterschiede bereits vor der Thematisierung von Bullying im dritten Schuljahr spricht jedoch dagegen. Das Auftreten von Bullying wurde für einen Zeitraum von einer Woche erfragt, während sich Bullying laut einer gängigen Definition auf negative Handlungen bezieht, die sich über einen längeren Zeitraum hinziehen (Olweus, 1991). Zeitlich weiter zurückliegendes Bullying konnte somit nicht erfasst und hinsichtlich seines Zusammenhangs mit der Gruppenzugehörigkeit oder dem Rauchverhalten der Schülerinnen und Schüler analysiert werden. Zudem können die geringen Werte für Cronbachs Alpha von .62 bis .65 für die Skalen Täter- und Bullying als Begleiterscheinung eines Präventionsprogramms? 57 Opfererfahrung bemängelt werden. Diese können u. a. darauf zurückgeführt werden, dass beide Skalen jeweils verschiedene Formen des Bullyings wie physisches Bullying, verbales Bullying und Isolation/ Ausgrenzung umfassten. Bezüglich der Erfassung des Substanzkonsums ist kritisch zu diskutieren, dass die Daten ausschließlich auf Selbstangaben der Schülerinnen und Schüler basieren. Schließlich konnten keine Aussagen zum Zusammenhang zwischen der Änderung der Wahrnehmung der Pävalenz des Rauchens und dem Auftreten von Bullying getroffen werden. Die Erfassung der Normwahrnehmung erfolgte ausschließlich Ende der vierten Klasse und eher unspezifisch, indem die Schülerinnen und Schüler lediglich gefragt wurden, ob sie davon ausgehen, dass die meisten Leute rauchen, mit den Antwortkategorien „Ja“ oder „Nein“. Insgesamt lassen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit darauf schließen, dass das Präventionsprogramm Klasse2000, das die Denormalisierung des Rauchens anstrebt, nicht zu einer Zunahme an Bullying gegenüber rauchenden Schülerinnen und Schülern führt. Dies ist vor dem Hintergrund der weitreichenden negativen Konsequenzen von Opfererfahrungen auf die psychosoziale Entwicklung von Kindern und Jugendlichen als positiv zu bewerten (Kumpulainen et al., 2001). Nach vielversprechenden Hinweisen auf die suchtpräventive Wirksamkeit des Programms Klasse2000 kann somit auch ein zweites Gütekriterium der Society for Prevention Research für evidenzbasierte Präventionsprogramme (Flay et al., 2005), nämlich der empirische Ausschluss iatrogener Effekte, zumindest auf Basis dieser Arbeit als erfüllt angesehen werden. Zusammen mit den Befunden zu Be Smart - Don’t Start stützen die Ergebnisse der vorliegenden Studie zudem die weitere Umsetzung des bereits als effektiv erwiesenen Bausteins Normenkorrektur in schulbasierten Suchtpräventionsprogrammen. Bisher wurde in der Literatur den unerwünschten Auswirkungen von schulbasierten Suchtpräventionsprogrammen wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der weiten Verbreitung einiger Programme als kritisch zu bewerten. Die Untersuchung potenzieller iatrogener Effekte sollte in der Evaluation von schulbasierten Präventionsprogrammen grundsätzlich einen zentralen Platz einnehmen und vor der Verbreitung dieser Programme durchgeführt werden. Förderhinweis Die Studie wurde finanziert aus Mitteln der AOK - Die Gesundheitskasse in Hessen. Literatur Bell, K., McCullough, L., Salmon, A. & Bell, J. (2010). ‘Every space is claimed’: smokers’ experiences of tobacco denormalisation. Sociology of Health and Illness, 32 (6), 914 - 929. 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