eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 60/4

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2013.art20d
101
2013
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Zum Zusammenhang von Ängstlichkeit, Lernfreude und Zielorientierungen im schulischen Kontext

101
2013
Annabell Daniel
Rainer Watermann
Die Studie untersucht den Zusammenhang zwischen emotionalen Grundhaltungen und Zielorientierungen. Dazu wurden die Zielorientierungen von 151 Fünftklässlern eines Gymnasiums sowie Ängstlichkeit und dispositionelle Lernfreude aus Elternsicht zu zwei Messzeitpunkten erfasst. Die Ergebnisse bestätigten einen Zusammenhang zwischen emotionalen Grundhaltungen und unterschiedlichen Ausprägungen der Zielorientierungen. Hierarchische Regressionsanalysen unter Einbeziehung des Geschlechts, der Testleistungen sowie der Ausgangszielorientierung zeigten eine moderate Vorhersagekraft von Vermeidungsleistungszielen durch Ängstlichkeit. Dispositionelle Lernfreude erwies sich als ein negativer Prädiktor für Annäherungsleistungsziele, während Lernziele weder durch Ängstlichkeit noch durch dispositionelle Lernfreude vorhergesagt wurden. Cross-lagged-Analysen unterstützen die Annahme, dass emotionale Grundhaltungen die Entwicklung von Annäherungs- und Vermeidungsleistungszielen prädominieren.
3_060_2013_4_0005
n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2013, 60, 295 - 306 DOI 10.2378/ peu2013.art20d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Zum Zusammenhang von Ängstlichkeit, Lernfreude und Zielorientierungen im schulischen Kontext Annabell Daniel, Rainer Watermann Freie Universität Berlin The Association between Trait Anxiety, Joy of Learning and Achievement Goals in Academic Settings Summary: The study focused on the relation between students’ emotional traits and their goal orientations. Data were collected from 151 fifth graders of a Gymnasium (academic track of secondary school) and their goal orientations as well as parent-reported trait anxiety and dispositional joy of learning were tested using two measurement points. The results indicated that there are systematic links between emotional traits and different goal orientations. Hierarchical regression analyses (including sex and performance) showed that trait anxiety was a significant predictor for performance avoidance goals even if prior goal orientation was included in the analyses. Performance approach goals were predicted by students dispositional joy of learning, whereas neither trait anxiety nor dispositional joy of learning was a crucial predictor for mastery goals. Cross-lagged-panelanalyses indicated a predominance of emotional traits for pursuing goal orientations. Keywords: Achievement goals, trait anxiety, dispositional joy of learning Zusammenfassung: Die Studie untersucht den Zusammenhang zwischen emotionalen Grundhaltungen und Zielorientierungen. Dazu wurden die Zielorientierungen von 151 Fünftklässlern eines Gymnasiums sowie Ängstlichkeit und dispositionelle Lernfreude aus Elternsicht zu zwei Messzeitpunkten erfasst. Die Ergebnisse bestätigten einen Zusammenhang zwischen emotionalen Grundhaltungen und unterschiedlichen Ausprägungen der Zielorientierungen. Hierarchische Regressionsanalysen unter Einbeziehung des Geschlechts, der Testleistungen sowie der Ausgangszielorientierung zeigten eine moderate Vorhersagekraft von Vermeidungsleistungszielen durch Ängstlichkeit. Dispositionelle Lernfreude erwies sich als ein negativer Prädiktor für Annäherungsleistungsziele, während Lernziele weder durch Ängstlichkeit noch durch dispositionelle Lernfreude vorhergesagt wurden. Cross-lagged-Analysen unterstützen die Annahme, dass emotionale Grundhaltungen die Entwicklung von Annäherungs- und Vermeidungsleistungszielen prädominieren. Schlüsselbegriffe: Zielorientierungen, Ängstlichkeit, dispositionelle Lernfreude Emotionen stellen ein interdisziplinär viel untersuchtes Konstrukt dar, welchem in der Pädagogischen Psychologie eine fundamentale Bedeutung für Lernen und Motivation zugeschrieben wird. Sie können zum einen als situationsspezifische und temporäre Zustände (emotional states) und zum anderen als dispositionelle Reaktionstendenzen (emotional traits) beschrieben werden (Götz, 2004). Zu den am häufigsten berichteten Emotionen in Lern- und Leistungskontexten zählen Angst und Freude, die sich hinsichtlich ihrer Valenz (negativ vs. positiv) zwar deutlich unterscheiden, nicht aber im Grad ihrer Energe- Dieser Beitrag basiert auf Daten, die im Rahmen des Projekts Lernausgangslage & Kompetenzentwicklung an Übergängen der Sekundarstufe unter Leitung von Prof. Dr. Rainer Watermann und Prof. Dr. Dietmar Grube am Göttinger Graduiertenkolleg GRK 1195 Passungsverhältnisse schulischen Lernens - Verstehen und Optimieren erhoben wurden. 296 Annabell Daniel, Rainer Watermann tisierung als aktivierende, motivationsbeeinflussende Emotionen (Pekrun, 1992, 2006; Götz, 2004). Konzeptualisiert als emotionale Grundhaltung bezeichnet Ängstlichkeit die stabile Neigung einer Person, in verschiedenen Situationen Bedrohung wahrzunehmen und mit einer gesteigerten Angst zu reagieren (Spielberger, 1972). Dispositionelle Freude entspricht dagegen einer positiven affektiven Einstellung, die sich bezogen auf einen bestimmten Kontext (wie dem schulischen Lernen) über einen längeren Zeitraum aufgebaut hat. In der vorliegenden Studie wird diesen kontextuellen Einflüssen mit dem Begriff der Lernfreude Rechnung getragen. Als ein Produkt positiver lernbiografischer Erfahrungen beschreibt dispositionelle Lernfreude eine emotionale Grundhaltung, in die Schülerinnen und Schüler - auch nach Auftreten temporärer Emotionszustände - gewohnheitsmäßig zurückkehren (Hagenauer, 2011). Aus Forschungsarbeiten zum subjektiven Erleben von Angst und Freude ist bekannt, dass sich beide Emotionen unterschiedlich auf die Lernmotivation auswirken: Während Freude positiv mit Interesse, Anstrengung sowie Leistung korreliert, gehen die Besorgniskognitionen ängstlicher Schülerinnen und Schüler mit ungünstigen Folgen für die aufgabenbezogene Aufmerksamkeit und die intrinsische Motivation einher (Dweck & Wortman, 1982; Hembree, 1988; Pekrun, 1992). Sowohl Freude als auch Ängstlichkeit veranlassen den Lernenden, bestimmte Ziele anzusteuern und werden somit zu einer dem Handeln zugrundeliegenden Motivationsquelle (Frenzel, Götz & Pekrun, 2009). Ein bedeutsames Konstrukt im Prozess der motivierten Lernhandlung stellen Zielorientierungen dar. Sie beschreiben kognitive Repräsentationen, die sich auf Zielzustände des Lernens beziehen und Lernaktivitäten von Schülerinnen und Schülern im Hinblick auf das Erreichen dieser Zustände beeinflussen (Elliot & Fryer, 2008). Grundsätzlich können dabei Lernziele, bei denen das Bewältigen von Aufgaben sowie eine individuelle Kompetenzsteigerung angestrebt werden, von Leistungszielen, bei denen die Demonstration der eigenen Fähigkeiten im Mittelpunkt steht, abgegrenzt werden. Im Rahmen des hierarchischen Modells der Zielorientierungen unterscheiden Elliot und Church (1997) bei Leistungszielen zusätzlich zwischen einer Annäherungs- und einer Vermeidungskomponente. Während annäherungsleistungszielorientierte Personen darauf fokussieren, eigene Fähigkeiten im Vergleich mit anderen Personen unter Beweis zu stellen, beschreiben Vermeidungsleistungsziele das Bestreben, mangelnde Fähigkeiten und die vermeintlich unterlegene Kompetenz gegenüber anderen Personen verbergen zu wollen. In zahlreichen Untersuchungen zu Zielorientierungen und Emotionen konnten positive Zusammenhänge zwischen Lernzielen und positivem Affekt einerseits (Linnenbrink, 2005; Urdan & Mestas, 2006) sowie zwischen Vermeidungsleistungszielen und negativem Affekt andererseits (Pekrun, Elliot & Maier, 2006; Sideridis, 2005) nachgewiesen werden. Inkonsistente Befunde liegen hingegen für Annäherungsleistungsziele vor, bei denen sowohl ein Zusammenhang mit positiven Emotionen (Pekrun, Elliot & Maier, 2009) als auch mit Leistungsangst (Finsterwald, Ziegler & Dresel, 2009; Paulick, Watermann & Nückles, 2011) ermittelt werden konnte. Gemeinsam ist den querschnittlich angelegten Studien die Operationalisierung emotionaler states, was eine Untersuchung gerichteter Zusammenhänge von überdauernden Zielorientierungen auf zeitlich datierte, emotionale Episoden nahelegt. Nur wenige Studien untersuchten bislang den Einfluss emotionaler traits für das Verfolgen von Lern- und Leistungszielen (Daniels et al., 2009; Duchesne & Ratelle, 2010; Elliot & McGregor, 1999; Elliot & Trash, 2002; Seifert, 1995). Ihnen liegt die Annahme zugrunde, dass emotionale Grundhaltungen mit der Wahrnehmung eigener Fähigkeiten zusammenhängen und die Übernahme bestimmter Ziele begünstigen (Boekaerts, 1993; Linnenbrink & Pintrich, 2002). Demnach geht Lernfreude mit günstigeren Fähigkeitsselbsteinschätzungen und höheren Erfolgserwartungen einher, die wiederum Emotionale Grundhaltungen und Zielorientierungen 297 mit positiven Konsequenzen für die Entwicklung von Lernzielen verbunden sind. Ängstlichkeit wird dagegen von ungünstigeren Fähigkeitsselbsteinschätzungen und niedrigeren Erfolgserwartungen begleitet, die sich positiv auf die Entwicklung von Leistungszielen auswirken. Die beobachteten Zusammenhänge zwischen positiven Emotionen und Lernzielen sowie zwischen negativen Emotionen und Leistungszielen lieferten empirische Evidenz für den erklärenden Mechanismus emotionaler Grundhaltungen. Duchesne und Ratelle (2010) untersuchten an einer Stichprobe kanadischer Schülerinnen und Schüler, inwiefern negative Emotionen am Ende der Primarstufe (Klasse 6) die Übernahme von Zielorientierungen zu Beginn der Sekundarstufe (Klasse 7) beeinflussen. Sie konnten zeigen, dass Leistungsziele signifikant durch Ängstlichkeit prognostiziert werden, während sich für Lernziele kein Zusammenhang mit negativen Emotionen ergab. Da Annäherungs- und Vermeidungsleistungsziele in der Studie nicht empirisch voneinander getrennt werden konnten, mangelt es an Befunden, die den Einfluss von Ängstlichkeit für das hierarchische Modell der Zielorientierungen erklären können. Die vorliegende Untersuchung stellt daher eine Erweiterung dar, indem sie nicht nur die Lernfreude als zusätzliche positive Emotion berücksichtigt, sondern im Unterschied zur dichotomen Konzeptualisierung vorangegangener Studien auch Annäherungs- und Vermeidungsleistungsziele in die Analysen einbezieht. Das längsschnittliche Design ermöglicht es zudem, der Frage nach einem kausalen Zusammenhangsmuster von Emotionen und Zielorientierungen nachzugehen. Fragestellungen und Annahmen Aufgrund theoretischer Überlegungen und empirischer Befunde gehen wir davon aus, dass Ängstlichkeit mit ungünstigen kognitiven und motivationalen Schemata einhergeht, die zu einer negativen Einschätzung der Lern- und Leistungssituation führen. Der Grad an erlebter Ängstlichkeit entscheidet darüber, inwieweit die Situation als bedrohlich für den eigenen Selbstwert wahrgenommen wird. Besonders ängstliche Schülerinnen und Schüler sollten daher bestrebt sein, vermeintlich negative Konsequenzen (z. B. das Eintreten eines Misserfolgs) zur Aufrechterhaltung des Selbstwerts abwenden zu wollen. Besorgt um das eigene Auftreten und Abschneiden sollten ihre Kognitionen weniger an den Lernstoff als vielmehr an die sozialen Elemente der Situation geknüpft sein (Pekrun, 1992). Wir erwarten daher einen positiven Zusammenhang zwischen Ängstlichkeit und Vermeidungsleistungszielen. Inwiefern dies auch mit negativen Konsequenzen für Lernziele verbunden ist, ist eine offene Fragestellung. Dispositionelle Lernfreude hingegen sollte dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler leistungsthematische Kontexte weniger nach bedrohlichen Reizen bewerten und eher zu einer realistischen Selbsteinschätzung ihrer Fähigkeiten gelangen. Im Vergleich zu ängstlichen Schülerinnen und Schülern werden sie in geringerem Maße durch aufgabenirrelevante Kognitionen abgelenkt und können ihre Aufmerksamkeit auf verfügbare Ressourcen zur Bewältigung einer Aufgabe fokussieren, was wiederum die Angst vor einem Misserfolg verringern würde (vgl. Linnenbrink & Pintrich, 2002; Boekaerts, 1993). Wir erwarten daher einen negativen Zusammenhang zwischen dispositioneller Lernfreude und Vermeidungsleistungszielen. Die bislang inkonsistente Befundlage erschwert es, klare Erwartungen zum Zusammenhang von emotionalen Grundhaltungen und Annäherungsleistungszielen zu formulieren. Des Weiteren soll geprüft werden, ob die erwarteten Effekte von Ängstlichkeit und dispositioneller Lernfreude auch bei Kontrolle der schulischen Leistungen und des Geschlechts bestehen. In vorangegangenen Untersuchungen zeigte sich zum einen, dass Ängstlichkeit mit einer geringeren Leistungsfähigkeit einhergeht und Lernfreude positiv mit erbrachter Leistung zusammenhängt (Helmke, 1993); zum anderen wurden Mädchen tendenziell als ängstlicher beschrieben (Elliot & McGregor, 1999). 298 Annabell Daniel, Rainer Watermann Eine weitere Fragestellung bezieht sich auf die empirische Überprüfung des Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs zwischen emotionalen Grundhaltungen und Zielorientierungen. Aufgrund von Querschnittdesigns sowie der verbreiteten Konzeptualisierung von Emotionen als state-Komponente konnte diese Fragestellung in bisherigen Studien noch nicht ausreichend untersucht werden. Diesem Forschungsdesiderat soll in der vorliegenden Studie nachgegangen werden. Methode Stichprobe und Durchführung An der Untersuchung nahmen alle Schülerinnen und Schüler des fünften Jahrgangs eines niedersächsischen Gymnasiums teil, deren Eltern einer Teilnahme zuvor zugestimmt hatten (96 %, N = 154). In die Analysen wurden nur diejenigen Schülerinnen und Schüler einbezogen, bei denen zu beiden Messzeitpunkten Werte in den Zielorientierungen vorlagen. Somit umfasst die Stichprobe N = 151 Schülerinnen und Schüler (48,9 % männlich, 51,1 % weiblich), die zum Zeitpunkt der ersten Befragung durchschnittlich 10,36 Jahre (SD = 0.54) alt waren. Die Datenerhebungen fanden während der regulären Unterrichtszeit im Klassenverband statt und wurden von geschulten Testleiterinnen und Testleitern durchgeführt. Die Bearbeitungsdauer für die Schülerfragebögen sowie für die Testhefte zur Erfassung der Leistungen umfasste insgesamt 120 Minuten. Die Eltern erhielten ihre Fragebögen über die Schülerinnen und Schüler, sodass sie die Fragen zu Hause ausfüllen konnten. Die Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern wurden sowohl nach dem Übergang auf das Gymnasium, in der fünften Woche nach Schuljahresbeginn (T1), als auch zum Ende des Schuljahres (T2) befragt. Instrumente Zielorientierungen Die Zielorientierungen wurden mit den Skalen zur Erfassung der Lern- und Leistungsmotivation (SELLMO; Spinath, Stiensmeier-Pelster, Schöne & Dickhäuser, 2002) operationalisiert. Der Fragebogen beinhaltet Skalen zur Messung von Lernzielen, Annäherungs- und Vermeidungsleistungszielen sowie Arbeitsvermeidungsleistungszielen, die auf einer fünfstufigen Antwortskala von stimmt gar nicht bis stimmt genau zu beantworten sind. Aufgrund der begrenzten Bearbeitungsdauer wurde in der vorliegenden Studie eine verkürzte Version des Instruments eingesetzt. Entsprechend des hierarchischen Modells der Zielorientierungen wurden drei Kurzskalen für Lern-, Annäherungsleistungs- und Vermeidungsleistungsziele generiert, deren Items in Anlehnung an Hulleman, Schrager, Bodmann und Harackiewicz (2010) nach verschiedenen Facetten ausgewählt wurden. So berücksichtigt eine inhaltsvalide Kurzversion der Lernzielskala die Facetten der Aufgabenorientierung (task), der Verbesserung (improvement) sowie der Neugierde (curiosity), während die verkürzten Skalen zur Erfassung der Annäherungs- und Vermeidungsleistungsziele auf den sozialen Vergleich (normative) sowie auf die Darstellung eigener Fähigkeiten bzw. die Verschleierung mangelnder Fähigkeiten (appearance) bezogene Facetten beinhalten (s. Tab. 1). Insgesamt umfasst die eingesetzte Kurzversion zwölf Items und die Reliabilitäten der Lernzielskala (.78 < a < .79), der Annäherungsleistungszielskala (.79 < a < .83) sowie der Vermeidungsleistungszielskala (.84 < a < .86) sind zu beiden Messzeitpunkten zufriedenstellend. Die Hauptkomponentenanalyse mit anschließender Varimaxrotation reproduzierte die drei Subskalen der Zielorientierung vollständig. Ängstlichkeit und Lernfreude Im Unterschied zu einer Beschreibung situationsspezifischen Erlebens zielt die Erfassung dispositioneller Merkmale darauf ab, reflektiertes Wissen über das Erleben in verschiedenen Situationen zu messen. Schülerinnen und Schüler enwickeln jedoch erst im Laufe der frühen Adoleszenz die Fähigkeit zur Introspektion, die eine mitteilbare Einschätzung überdauernder Merkmale unabhängig des situativen Kontexts erlaubt (vgl. Remschmidt, 1992). Da aus kognitionspsychologischer Sicht die Voraussetzungen für eine zuverlässige Selbsteinschätzung in der vorliegenden Stichprobe nicht gegeben sind, wurden für die Erfassung von Ängstlichkeit und dispositioneller Lernfreude die Einschätzungen der Eltern herangezogen. Insbesondere bei der Erfassung von Ängstlichkeit bieten diese den Vorteil, im Vergleich zu Selbstberichten weniger sensitiv gegenüber sozialer Erwünschtheit und Reaktivität zu sein. Emotionale Grundhaltungen und Zielorientierungen 299 Nach Marsh (1990) setzt eine valide Fremdeinschätzung voraus, dass der bzw. die Beobachtende die zu beurteilende Person gut kennt und ihr Verhalten über verschiedene Situationen hinweg sowie das Verhalten genügend weiterer Personen beobachtet hat, um angemessene Vergleiche durchführen zu können. Unter der Annahme, dass elterliche Verhaltensbeobachtungen diese Kriterien hinreichend erfüllen, wurden einzelne Items zur diagnostischen Einschätzung von Schülerinnen- und Schülermerkmalen aus der TIMSS-Übergangsstudie als Indikatoren für Ängstlichkeit und dispositionelle Lernfreude adaptiert (vgl. Maaz, Baumert, Gresch & McElvany, 2010; McElvany et al., 2009). Die Abfrage der verschiedenen psychosozialen Konstrukte war überschrieben mit der Instruktion „Jedes Kind hat unterschiedliche Interessen, Stärken und Schwächen. Wie stark sind die folgenden Merkmale bei Ihrem Kind ausgeprägt? “ Zur Erfassung der Ängstlichkeit wurden drei Items genutzt, die auf einer vierstufigen Ratingskala von trifft überhaupt nicht zu bis trifft genau zu zu beantworten waren (vgl. Tab. 1). Die Reliabilität der Skala ist unter Berücksichtigung der Anzahl verwendeter Items akzeptabel (.66 < a < .71). Das Ausmaß dispositioneller Lernfreude im schulischen Kontext wurde mit vier Items im Elternfragebogen operationalisiert und ebenfalls auf einer vierstufigen Ratingskala von trifft überhaupt nicht zu bis trifft genau zu erfasst (vgl. Tab. 1). Die Reliabilität der Skala erwies sich zu beiden Messzeitpunkten als zufriedenstellend (.68 < a < .75). Da bei der Befragung von Schülerinnen und Schülern vergleichbare Items zur Freude an der Schule erfasst wurden, bestand Items r it zu T1 r it zu T2 Lernziele (Spinath et al., 2002; „In der Schule geht es mir darum, …“) a 1. etwas Interessantes zu lernen. (curiosity) 2. später knifflige Probleme lösen zu können. (task) 3. komplizierte Inhalte zu verstehen. (task) 4. ein tiefes Verständnis für die Inhalte zu erwerben. (improvement) .56 .68 .65 .53 .49 .66 .72 .53 Annäherungsleistungsziele (Spinath et al. 2002; „In der Schule geht es mir darum, …“) a 1. Arbeiten besser zu schaffen als andere. (normative) 2. dass andere denken, dass ich klug bin. (appearance) 3. zu zeigen, dass ich bei einer Sache gut bin. (appearance) 4. bessere Noten oder Beurteilungen zu bekommen als andere. (normative) .57 .63 .53 .64 .68 .66 .62 .67 Vermeidungsleistungsziele (Spinath et al. 2002; „In der Schule geht es mir darum, …“) a 1. mich nicht zu blamieren. (appearance) 2. zu verbergen, wenn ich weniger weiß als andere. (normative) 3. dass niemand merkt, wenn ich etwas nicht verstehe. (appearance) 4. keine falschen Antworten auf Fragen der Lehrer zu geben. (general) .62 .79 .69 .64 .66 .73 .78 .69 Ängstlichkeit (McElvany et al.; 2009) 1. Mein Kind ist wenig belastbar. 2. Mein Kind reagiert auf Druck empfindlich. 3. Mein Kind ist oft ängstlich. .51 .46 .45 .60 .52 .47 Dispositionelle Lernfreude (McElvany et al.; 2009) 1. Mein Kind hat Spaß an der Schule. 2. Mein Kind hat Freude daran, sich Wissen anzueignen. 3. Mein Kind hat Interesse am Lernen. 4. Mein Kind hat meistens Lust in die Schule zu gehen. .61 .50 .57 .51 .48 .61 .53 .31 Tab. 1: Itemübersicht Anmerkungen: r it =Trennschärfen (korrigierte Item-Skala-Korrelation). a In Klammern Zielfacetten nach Hulleman et al., 2010. 300 Annabell Daniel, Rainer Watermann bei diesem Konstrukt die Möglichkeit, die Validität der Fremdeinschätzung der Eltern anhand der Schülerselbstberichte zu prüfen. Die Korrelation der Skalen betrug r = .46 und kann als zufriedenstellender Validitätshinweis für die Erfassung von Lernfreude gewertet werden. Die Prüfung der theoretisch postulierten Zwei- Faktoren-Struktur wurde konfirmatorisch vorgenommen. Die Parameter wurden mit der Maximum-Likelihood Methode geschätzt, da diese gegenüber Verletzungen der Normalverteilungsannahme relativ robust ist (West, Finch, & Curran, 1995). Die Gesamtgüte des Modells sowie die Inspektion der Modifikationsindizes verwiesen auf eine Korrelation zwischen Residualvarianzen zweier Indikatoren, sodass diese Parameter freigesetzt wurden. Das zweifaktorielle Messmodell zeigte eine zufriedenstellende Anpassung an die Daten ( c 2 = 21.66, df = 12, CFI = .96, TLI = .92, RMSEA = .08), wohingegen die Fitstatistik des zu Vergleichszwecken berechneten eindimensionalen Modells auf eine schlechte Anpassungsgüte ( c 2 = 88.27, df = 14, CFI = .66, TLI = .49, RMSEA = .20) hinwies. Die hinreichende interne Konsistenz sowie die mittlere negative Korrelation (r = -.31) zwischen den Skalen indizieren zudem eine gelungene Differenzierung emotionaler Grundhaltungen. Testleistungen im Lesen und in der Mathematik Für eine valide Schätzung von Effekten emotionaler Grundhaltungen wurde in den Analysen neben dem Geschlecht auch der Einfluss schulischer Leistungen kontrolliert. Als Kontrollvariablen dienten die in der fünften Woche nach Schuljahresbeginn (T1) gemessenen Schülerleistungen im Lesen und in Mathematik. Die Leseleistung wurde mit insgesamt 16 Aufgaben aus der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (IGLU; vgl. Bos et al., 2004) sowie dem Diagnostischen Test Deutsch (Nauck & Otte, 1980) erfasst ( a = .68). Der Mathematiktest beinhaltete 16 Aufgaben der Hamburger Studie zu Kompetenzen und Einstellungen von Schülerinnen und Schülern am Ende der Jahrgangsstufe 4 (KESS 4; Bos & Pietsch, 2005) und des Forschungsprojekts Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung im Jugend- und jungen Erwachsenenalter (BIJU; Baumert et al., 1996) des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin ( a = .76). Die Testleistungen in Mathematik sowie im Lesen wurden mit dem Computerprogramm ConQuest (Wu, Adams & Wilson, 1998) raschskaliert und als Personenparameter auf eine Metrik mit M = 100 und SD = 30 gebracht. Ergebnisse In Tabelle 2 sind die Mittelwerte, Standardabweichungen und Korrelationen der erfassten Variablen zu beiden Messzeitpunkten ausgewiesen. Jenseits der hohen Mittelwertstabilität bei den Zielorientierungen zeigt sich, dass dispositionelle Lernfreude und Ängstlichkeit erwartungsgemäß in einem negativen Zusammenhang stehen. Zwischen Annäherungsleistungszielen und emotionalen Grundhaltungen finden sich keine oder nur schwach negative M SD Korrelationen Variable (2) (3) (4) (5) (6) (7) (8) (9) (10) Lernfreude T1 (1) Lernfreude T2 (2) Ängstlichkeit T1 (3) Ängstlichkeit T2 (4) LZ T1 (5) LZ T2 (6) ALZ T1 (7) ALZ T2 (8) VLZ T1 (9) VLZ T2 (10) 3.48 3.43 2.11 2.05 4.20 4.19 2.88 2.85 2.43 2.43 0.45 0.48 0.65 0.68 0.73 0.74 0.95 0.98 1.05 1.02 .38** -.32** -.06 -.12 -.18 .39** .09 .07 .00 -.15 -.03 .21* .05 -.25* .47** .00 .01 -.00 -.13 .40** .31** -.19* -.06 .10 -.09 .16* .26** .63** -.16* -.21* .00 -.04 .20* .10 .66** .47** -.28** -.13 .21* .02 .12 .08 .32** .48** .46** Tab. 2: Deskriptive Statistiken und Interkorrelationen der in der Untersuchung verwendeten Variablen Anmerkungen: Lernziele (LZ), Annäherungsleistungsziele (ALZ), Vermeidungsleistungsziele (VLZ); N = 151. * p < .05. ** p ≤ .01. Emotionale Grundhaltungen und Zielorientierungen 301 Zusammenhänge und Annäherungsleistungsziele korrelieren sowohl mit Lernzielen als auch mit Vermeidungsleistungszielen positiv. Letztere stehen erwartungskonform in einem signifikant negativen Zusammenhang mit dispositioneller Lernfreude und korrelieren positiv mit Ängstlichkeit. Analysen zu Schiefe und Exzess verweisen auf eine rechtssteile Verteilung der Lernzielorientierung (g = -1.39, g = 3.23), demzufolge es besonders vielen Schülerinnen und Schülern dieser Altersklasse im Unterricht darum geht, ihre Kompetenzen zu erweitern und Herausforderungen zu bewältigen. Dieser Befund korrespondiert mit dem entwicklungspsychologischen Ansatz von Nicholls (1984), wonach sich erst im Jugendalter eine zunehmende Entwicklung von einer Lernzur Leistungszielorientierung vollzieht. Er wird folglich weniger als ein Problem der Itemgüte, sondern vielmehr als Hinweis auf die Validität der Skala gewertet. Prädiktion der Zielorientierungen Die Effekte emotionaler Grundhaltungen auf Zielorientierungen wurden mittels hierarchischer Regressionsanalysen geprüft, um den Einfluss von Leistung und Geschlecht kontrollieren zu können. Die Koeffizienten in Tabelle 2 verdeutlichen, dass die Ausgangswerte der jeweiligen Zielorientierungen signifikante Prädiktoren für die Ziele zum zweiten Messzeitpunkt sind und substanziell zur Aufklärung der Varianz der Kriteriumsvariablen beitragen. Für die Vorhersage von Lernzielen spielen sowohl dispositionelle Lernfreude als auch Ängstlichkeit keine bedeutende Rolle. Im Hinblick auf Leistungsziele tragen emotionale Grundhaltungen hingegen signifikant zur Aufklärung von Varianz bei: Dispositionelle Lernfreude ist ein negativer Prädiktor für Annäherungsleistungsziele, während Vermeidungsleistungsziele moderat positiv durch Ängstlichkeit prädiziert werden. LZ (T2) ALZ (T2) VLZ (T2) b SE p b SE p b SE p 1. Schritt Geschlecht .10 .09 .24 .18 .09 .04 .11 .09 .20 Lesetest -.09 .10 .36 -.15 .09 .11 -.14 .09 .13 Mathematiktest .14 .09 .15 .00 .09 1.00 .15 .09 .11 R 2 = .03 R 2 = .06 R 2 = .05 2. Schritt Geschlecht .09 .08 .30 .04 .08 .63 .02 .08 .81 Lesetest -.09 .09 .32 .02 .08 .84 -.09 .08 .29 Mathematiktest .13 .09 .12 -.01 .08 .95 .16 .08 .06 Ziele (T1) .42 .07 .00 .60 .06 .00 .49 .07 .00 DR 2 = .17** DR 2 = .31** DR 2 = .22* 3. Schritt Geschlecht .07 .09 .46 -.08 .08 .33 -.04 .08 .67 Lesetest -.03 .09 .74 -.03 .08 .73 -.08 .08 .32 Mathematiktest .13 .09 .14 -.02 .08 .77 .14 .08 .08 Ziele (T1) .41 .08 .00 .63 .06 .00 .47 .07 .00 Ängstlichkeit .03 .09 .70 .07 .07 .35 .18 .08 .03 Lernfreude -.01 .09 .86 -.20 .08 .01 -.16 .08 .06 DR 2 = .01* DR 2 = .07** DR 2 = .08** Tab. 3: Ergebnisse der multiplen Regression zur Vorhersage von Lernzielen (LZ), Annäherungsleistungszielen (ALZ) und Vermeidungsleistungszielen (VLZ) zum zweiten Messzeitpunkt (T2) Anmerkungen: Aufgrund fehlender Werte in den Kontrollvariablen und den emotionalen Grundhaltungen schwankt der Stichprobenumfang zwischen N = 124 und N = 110; R 2 = Anteil erklärter Varianz; D R 2 = Veränderung im Anteil erklärter Varianz gegenüber dem vorherigen Schritt. * p < .05. ** p < .01. 302 Annabell Daniel, Rainer Watermann Beziehungen zwischen Ängstlichkeit, Lernfreude und Zielorientierungen in Cross-lagged-Modellen Empirische Hinweise auf Ursache-Wirkungs- Zusammenhänge zwischen emotionalen Grundhaltungen und Zielorientierungen wurden mithilfe von pfadanalytischen Modellen, in welche die Daten beider Messzeitpunkte eingingen, in Mplus 6.11 (Muthén & Muthén, 1998 - 2011) geprüft. Die Besonderheit dieser Cross-lagged- Modelle liegt zum einen darin, über kreuzverzögerte Pfade längsschnittliche Beziehungen zwischen unterschiedlichen Variablen darstellen und zum anderen über autoregressive Pfade die Stabilität von Konstrukten abschätzen zu können. Abbildung 1 zeigt die standardisierten Pfadkoeffizienten und Standardfehler der Beziehung zwischen Ängstlichkeit und Vermeidungsleistungszielen. Hohe autoregressive Effekte zwischen den Messungen gleicher Parameter belegen ein statistisch bedeutsames Ausmaß differenzieller Stabilität für beide Konstrukte. Der Pfadkoeffizient von Vermeidungsleistungszielen auf Ängstlichkeit fällt gering aus und wird statistisch nicht bedeutsam ( b = -.04; p > .05), wohingegen Vermeidungsleistungsziele signifikant durch Ängstlichkeit vorhergesagt werden ( b = .17; p < .05). Ein Vergleich beider Pfadkoeffizienten demonstriert, dass der kreuzverzögerte Effekt von Ängstlichkeit auf Vermeidungsleistungsziele vom Betrag her größer ausfällt als vice versa. Insgesamt können durch die im Modell spezifizierten Autoregressionen und kreuzverzögerten Effekte 26,1 % der Varianz der Vermeidungsleistungsziele und 16,7 % der Varianz der Ängstlichkeit erklärt werden. Ein ähnliches Befundmuster zeigt sich für den Zusammenhang von Vermeidungsleistungszielen und dispositioneller Lernfreude (s. Abb. 2). Auch hier lässt sich für dispositionelle Lernfreude eine differenzielle Stabilität über die Zeit konstatieren. Die kreuzverzögerten Effekte indizieren zudem, dass Schülerinnen und Schüler, die tendenziell weniger Freude im schulischen Kontext zeigen, höhere Werte bei den Vermeidungsleistungszielen zu T2 aufweisen. Der kreuzverzögerte Effekt dispositioneller Lernfreude auf Vermeidungsleistungsziele ( b = -.19; p < .05) fällt nicht nur höher aus als der Effekt von Vermeidungsleistungszielen auf eine positive emotionale Grundhaltung ( b = -.13; p > .05), sondern weist zudem auch einen signifikanten Zusammenhang aus. Es werden 25,5 % der Varianz der Vermeidungsleistungsziele und 16,3 % der Varianz dispositioneller Lernfreude aufgeklärt. In einem nächsten Schritt wurde geprüft, inwiefern die Unterschiede in der Höhe kreuzverzögerter Effekte des Einflusses emotionaler Grundhaltungen auf Vermeidungsleistungsziele statistisch signifikant sind. Die Einführung von Gleichheitsrestriktionen für die kreuzverzögerten Effektparameter führte in beiden Fällen zu einer signifikanten c 2 -Statistik (Ängstlichkeit: c 2 = 4.69, df = 1, p < .05; dispositionelle Lernfreude: c 2 = 3.99, df = 1, p < .05). Modelle, die keinen Unterschied zwischen den kreuzverzögerten Effekten annehmen, passen signifikant schlechter auf die Daten und bestätigen somit die Annahme einer Prädominanz emotionaler Grundhaltungen für die Übernahme von Zielen. Analog wurden für Annäherungsleistungsziele und Lernziele Cross-lagged-Modelle spezifiziert, die einen Zusammenhang der Konstrukte mit Ängstlichkeit und dispositioneller Lernfreude untersuchen. Übereinstimmend mit den Ergebnissen zu Vermeidungsleistungszielen bestätigen die autoregressiven Pfadkoeffizienten ein statistisch bedeutsames Ausmaß an differenzieller Stabilität für Annäherungsleistungsziele ( b = .64/ .64; p < .01) und Lernziele ( b = .45/ .47; p < .01). Annäherungsleistungsziele werden signifikant negativ durch dispositionelle Lernfreude vorhergesagt ( b = -.20; p < .01). Cross-lagged-Modelle, welche den Zusammenhang zwischen Lernzielen und Ängstlichkeit bzw. dispositioneller Lernfreude spezifizieren, liefern keine Hinweise auf eine mögliche Kausalrichtung, da die kreuzverzögerten Effekte weder signifikant ausfallen noch ein substanzieller Unterschied in der Höhe der Pfadkoeffizienten besteht. Emotionale Grundhaltungen und Zielorientierungen 303 Diskussion Das Ziel der vorliegenden Studie war es, den Zusammenhang zwischen emotionalen Grundhaltungen und Zielorientierungen im schulischen Kontext zu untersuchen. Im Unterschied zu bisherigen Forschungsarbeiten wurden Emotionen hierbei als dispositionelle Merkmale konzeptualisiert und über die Fremdeinschätzung der Eltern erfasst. Dabei sind wir zum einen davon ausgegangen, dass ängstliche Schülerinnen und Schüler aufgrund einer ungünstigen Einschätzung eigener Fähigkeiten dazu neigen, Leistungssituationen als selbstwertbedrohend wahrzunehmen. Das Bemühen, negative Konsequenzen zum Schutz des Selbstwerts abzuwenden, sollte mit einer Zunahme von Vermeidungsleistungszielen einhergehen. Dieser Effekt konnte in den Analysen bestätigt werden: Unter Kontrolle von Leistungen und Geschlecht wurden Vermeidungsleistungsziele signifikant durch Ängstlichkeit vorhergesagt. Weiterhin stellte sich die Frage, inwiefern Lernziele im schulischen Kontext durch bereichsübergreifende Ängstlichkeit beeinflusst werden. Es zeigte sich jedoch weder ein negativer Effekt der Ängstlichkeit noch ein positiver Effekt dispositioneller Lernfreude auf Lernziele. Dass emotionale Grundhaltungen bei Lernzielen weniger deutlich diskriminieren, mag auf die für diese Altersgruppe typische Prädominanz von Lernzielen gegenüber Leistungszielen zurückzuführen sein. Weiterhin wurde ein negativer Effekt dispositioneller Lernfreude auf Vermeidungsleistungsziele angenommen, der sich in den Pfadanalysen bestätigte. Demnach entwickeln Schülerinnen und Schüler mit einer positiveren emotionalen Grundhaltung tendenziell weniger Vermeidungsleistungsziele im schulischen Kontext. Für Annäherungsleis- Abb. 1: Cross-lagged-Modell für Vermeidungsleistungsziele (VLZ) und Ängstlichkeit zu zwei Messzeitpunkten. Standardisierte Pfadkoeffizienten und Standardfehler in Klammern. N = 122. * p < .05. ** p < .01. Ängstlichkeit (T1) Ängstlichkeit (T2) VLZ (T1) VLZ (T2) .41 (.09)** .47 (.07)** .17 (.08)* -.04 (.09) -0.09 e Ängstlichkeit (T2) e VLZ (T2) Abb. 2: Cross-lagged-Modell für Vermeidungsleistungsziele (VLZ) und dispositionelle Lernfreude zu zwei Messzeitpunkten. Standardisierte Pfadkoeffizienten und Standardfehler in Klammern. N = 122. * p < .05. ** p < .01. Lernfreude (T1) Lernfreude (T2) VLZ (T1) VLZ (T2) .36 (.10)** .43 (.07)** -.19 (.08)* -.13/ (.09) 0.05 e Lernfreude (T2) e VLZ (T2) 304 Annabell Daniel, Rainer Watermann tungsziele konnte ebenfalls ein signifikant negativer Einfluss dispositioneller Lernfreude nachgewiesen werden. Eine mögliche Erklärung dafür wäre, dass dispositionelle Lernfreude eine intrinsische Beschäftigung mit Aufgabeninhalten konstituiert und der Vergleich mit Klassenkameraden keine positiven Anreize für die konkrete Aktivität versprechen würde (Hagenauer & Hascher, 2011; Schöne, Dickhäuser, Spinath & Stiensmeier-Pelster, 2004). Ein Vergleich der kreuzverzögerten Pfadkoeffizienten im Cross-lagged-Modell lieferte zudem Hinweise auf die kausale Ordnung von dispositioneller Lernfreude und Annäherungsleistungszielen sowie von Ängstlichkeit und Vermeidungsleistungszielen. Die statistische Modellprüfung zwischen den Konstrukten ermöglicht zwar nicht den Nachweis von Kausalität in einem nicht-experimentellen Design (Kline, 2011), signifikante Unterschiede in der Höhe der Koeffizienten bei vergleichbaren Stabilitäten der Konstrukte können jedoch als Hinweis darauf gewertet werden, dass es eher die emotionalen Grundhaltungen sind, die die Leistungsziele bedingen, als umgekehrt. Bei der Interpretation der Ergebnisse bleibt allerdings zu beachten, dass die Untersuchungsteilnehmer nur aus einer Schule stammen, was die Generalisierbarkeit einschränkt und die Ergebnisse anfällig macht für spezifische institutionelle Bedingungen der Einzelschule. In weiteren Studien ist daher zu prüfen, ob sich ähnliche Befunde auch in einem heterogeneren Kontext unter Einbeziehung höherer Fallzahlen auf Schulebene zeigen. Des Weiteren wurden in der vorliegenden Studie Fremdeinschätzungen der Eltern für die Erfassung emotionaler Grundhaltungen herangezogen. Als zusätzliche Informationsquelle bieten diese einerseits den Vorteil, dass Eltern ihre Kinder hinreichend gut kennen, um eine valide Beschreibung der Persönlichkeitsmerkmale geben können. Andererseits wird die Verwendung von Elternurteilen kritisiert, da eine positive Voreingenommenheit gegenüber dem eigenen Kind Antwortverzerrungen wahrscheinlich macht (Chan, 2000). Für dispositionelle Lernfreude konnten in der vorliegenden Studie jedoch zufriedenstellend hohe Korrelationen zwischen Schüler- und Elternurteilen nachgewiesen werden, die eine Erfassung von Fremdeinschätzungen legitimieren. Innerhalb der Emotionsforschung finden sich darüber hinaus konträre Auffassungen zu der Frage, ob die Freude am Lernen ein überdauerndes, fächerübergreifendes Merkmal darstellt und als dispositionelle Emotion erfasst werden kann. So berichten Götz, Zirngibl und Pekrun (2004), dass das Ausmaß schulischer Lernfreude von den einzelnen Schulfächern abhängt. Andere Studien argumentieren, dass Emotionen stärker durch die Lehrperson und den Unterrichtsstil beeinflusst werden als durch das jeweilige Fach und dessen Inhalte (Götz, Frenzel & Haag, 2006). Interessant wäre daher, ob die Befunde in weiteren Studien unter Berücksichtigung der Fachspezifität repliziert und die Zusammenhänge zwischen Ängstlichkeit, Lernfreude und Zielorientierungen über verschiedene Schulfächer hinweg bestätigt werden können. Trotz der aufgezeigten Grenzen, die es in zukünftigen Untersuchungen zu überwinden gilt, leistet die vorliegende Studie durch das längsschnittliche Design einen bedeutsamen Beitrag zur Analyse des Zusammenhangs von emotionalen Grundhaltungen und Zielorientierungen. Vor dem Hintergrund, dass Ängstlichkeit einhergehend mit dysfunktionalen Aufmerksamkeitsprozessen Vermeidungsleistungsziele begünstigt, ergeben sich aus den vorliegenden Befunden praktische Implikationen für den Unterricht, die die Entwicklung einer positiven emotionalen Grundhaltung gegenüber schulischem Lernen bedeutsam erscheinen lassen. Da die Schule als ein Ort sozialer Vergleichsprozesse und kontinuierlicher Leistungsmessungen per se eine Leistungszielorientierung fördert, kann die Gestaltung einer positiven Lernumwelt, die sich durch ein akzeptierendes Unterrichtsklima und transparente Anforderungen auszeichnet, einen Ansatz zur Reduktion maladaptiver Muster in Emotion, Kognition und Motivation darstellen. Emotionale Grundhaltungen und Zielorientierungen 305 Literatur Baumert, J., Roeder, P. M., Gruehn, S., Heyn, S., Köller, O., Rimmele, R., … Schnabel, K. (1996). Bildungsverläufe und psychosoziale Entwicklung im Jugendalter. In K.-P. Treumann, G. Neubauer, R. Möller & J. 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