eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 61/1

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2014.art03d
11
2014
611

Förderung von Theoriewissen durch die Präsentation theoretischer Ideen beim Forschenden Lernen

11
2014
Christof Wecker
Alexander Rachel
Eva Heran-Dörr
Christine Waltner
Hartmut Wiesner
Dem Forschenden Lernen wird nachgesagt, dass es zur Förderung des Verständnisses naturwissenschaftlicher Inhalte geeignet sei. Der Erwerb von Theoriewissen über Beziehungen zwischen nicht direkt beobachtbaren theoretischen Entitäten ist dabei ohne besondere Unterstützung jedoch kaum zu erwarten. Es wurde untersucht, inwiefern die Präsentation theoretischer Ideen den Wissenserwerb – bei Mädchen und Jungen gleichermaßen – fördert. In einer Unterrichtseinheit zum Thema Magnetismus wurden die Lernergebnisse von insgesamt 308 Schülerinnen und Schülern aus zwölf siebten Gymnasialklassen in einem 2 x 2 x 2-faktoriellen Design (mit vs. ohne vorausgehende sowie mit vs. ohne nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen, Mädchen vs. Jungen) analysiert. Unabhängig vom Geschlecht konnte ein positiver Effekt der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen nachgewiesen werden. Diese Unterstützungsform scheint die Anwendung theoretischer Ideen zur Erklärung der Beobachtungen der Lernenden zu ermöglichen und dadurch den Erwerb von Theoriewissen zu fördern
3_061_2014_1_0003
n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2014, 61, 15 -27 DOI 10.2378/ peu2014.art03d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Zusammenfassung: Dem Forschenden Lernen wird nachgesagt, dass es zur Förderung des Verständnisses naturwissenschaftlicher Inhalte geeignet sei. Der Erwerb von Theoriewissen über Beziehungen zwischen nicht direkt beobachtbaren theoretischen Entitäten ist dabei ohne besondere Unterstützung jedoch kaum zu erwarten. Es wurde untersucht, inwiefern die Präsentation theoretischer Ideen den Wissenserwerb - bei Mädchen und Jungen gleichermaßen - fördert. In einer Unterrichtseinheit zum Thema Magnetismus wurden die Lernergebnisse von insgesamt 308 Schülerinnen und Schülern aus zwölf siebten Gymnasialklassen in einem 2 x 2 x 2-faktoriellen Design (mit vs. ohne vorausgehende sowie mit vs. ohne nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen, Mädchen vs. Jungen) analysiert. Unabhängig vom Geschlecht konnte ein positiver Effekt der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen nachgewiesen werden. Diese Unterstützungsform scheint die Anwendung theoretischer Ideen zur Erklärung der Beobachtungen der Lernenden zu ermöglichen und dadurch den Erwerb von Theoriewissen zu fördern. Schlüsselbegriffe: Forschendes Lernen, direkte Instruktion, Geschlecht, Theoriewissen, Phänomenwissen Fostering Theory-Level Knowledge by Presenting Theoretical Ideas in Inquiry Learning Units - Effects for Girls and Boys Summary: Inquiry learning is claimed to be appropriate for fostering understanding in science. However, without further support learners are unlikely to acquire knowledge on the theory level about relations among non-observable theoretical entities. It was investigated to what extent the presentation of theoretical ideas fosters knowledge acquisition - for girls and boys alike. In a curriculum unit about magnetism the learning outcomes of 308 girls and boys from twelve highest-track seventh-grade classes in a 2 x 2 x 2-factorial design (with vs. without prior as well as with vs. without subsequent presentation of theoretical ideas, girls vs. boys) were analyzed. Irrespective of gender, a positive effect of prior presentation of theoretical ideas on the acquisition of knowledge on the theory level was found. This kind of support seems to enable learners to apply theoretical ideas to explain their observations and thereby foster the acquisition of knowledge on the theory level. Keywords: Inquiry learning, direct instruction, gender, knowledge on the theory level, knowledge on the level of phenomena Förderung von Theoriewissen durch die Präsentation theoretischer Ideen beim Forschenden Lernen Effekte bei Mädchen und Jungen Christof Wecker, Alexander Rachel, Eva Heran-Dörr, Christine Waltner, Hartmut Wiesner, Frank Fischer Universität München Die Grundidee des Forschenden Lernens, nämlich Lernende die zu vermittelnden Inhalte durch eigene „Forschertätigkeiten“ selbst entdecken zu lassen (Bruner, 1961; Rutherford, 1964), ist inzwischen mindestens ein halbes Jahrhundert alt. Dennoch dominieren im naturwissenschaftlichen Unterricht an deutschen Schulen immer noch lehrergesteuerte Unterrichtsformen: So spielen etwa Experimente nur zu einem geringen Anteil eine Rolle (z. B. Seidel 16 Christof Wecker et al. & Prenzel, 2006) und werden anstatt zur Überprüfung von Hypothesen der Schülerinnen und Schüler vorrangig zur Demonstration oder Veranschaulichung eher expositorisch durch die Lehrkraft vermittelter Inhalte eingesetzt (Seidel et al., 2002). Entsprechend stellt das Forschende Lernen immer noch eine „alternative Unterrichtsform“ dar. Der vorliegende Beitrag widmet sich der Frage nach einer für den Lernerfolg möglichst günstigen Kombination von Forschendem Lernen und direkteren Formen der Wissensvermittlung sowie nach deren möglicherweise unterschiedlicher Wirksamkeit bei Mädchen und Jungen. Theoretischer Hintergrund und Stand der Forschung Forschendes Lernen wird vor allem als geeignet für die Förderung des Verstehens naturwissenschaftlicher Inhalte angesehen (de Jong, 2006), da die Lernenden sich diese im Rahmen dieses Ansatzes selbst erarbeiten: Sie formulieren selbst Hypothesen, führen Experimente durch und ziehen daraus Schlussfolgerungen (de Jong & van Joolingen, 1998; Klahr & Dunbar, 1988). Ein mögliches Experiment aus dem Bereich Magnetismus, das Schülerinnen und Schüler beim Forschenden Lernen durchführen können, besteht etwa darin, einen Draht zu magnetisieren und diesen mit einer Zange in der Mitte zu teilen. Mithilfe eines Kompasses können sie anschließend überprüfen, ob die beiden Teilstücke immer noch magnetisch sind und an welchen ihrer Enden welche Pole liegen. Mögliche Hypothesen dazu könnten etwa lauten, dass die Teilstücke nicht mehr magnetisch sind, dass sie jeweils zwei Nordbzw. zwei Südpole besitzen oder dass sie wiederum jeweils einen Nord- und einen Südpol besitzen. Aus den Beobachtungen bei diesem Experiment lässt sich schlussfolgern, dass magnetisierte Materialien, wenn man sie zerteilt, wiederum magnetisch sind und einen Nord- und einen Südpol besitzen. Wenn jedoch lediglich diese Verallgemeinerung erschlossen würde, träfe auf dieses Experiment die Kritik zu, dass typische Aufgaben beim Forschenden Lernen häufig nicht authentisch für die Vorgehensweise in der Wissenschaft sind. Es würden daraus dann nämlich keine Rückschlüsse über zugrunde liegende Mechanismen gezogen, sondern lediglich Gesetzmäßigkeiten bezüglich unmittelbar beobachtbarer Phänomene überprüft werden (vgl. dazu Chinn & Malhotra, 2002). Wissen über derartige Gesetzmäßigkeiten auf Phänomenebene bezeichnen wir im Folgenden als Phänomenwissen. Das beschriebene Experiment erlaubt jedoch gleichzeitig die Überprüfung verschiedener konkurrierender Theorien zur Erklärung des Ferromagnetismus. Vereinbar mit den Beobachtungen ist zum einen die akzeptierte Theorie, dass Gegenstände aus bestimmten Metallen einander anziehen (bzw. abstoßen), wenn auf einer Mikroebene bestimmte, selbst magnetisch gepolte Bereiche (die sogenannten weissschen Bezirke), gleichsinnig (bzw. gegenläufig) ausgerichtet sind. Mit dem Ergebnis dieses Experiments vereinbar wäre aber auch folgende Theorie: Magnetismus ist durch eine Art von „magnetischem Strom“ zu erklären, der aus magnetischen Gegenständen an einem Ende aus- und am gegenüberliegenden Ende wieder in sie eintritt. Er führt immer dann zu Anziehung zwischen zwei Gegenständen, wenn er zwischen diesen ungehindert fließen kann, ohne auf einen gegenläufigen Strom zu treffen. Nicht - ohne Weiteres - mit den Ergebnissen dieses Experiments vereinbar wäre dagegen die Theorie, dass Magnetpole durch die Anhäufung einer Art unterschiedlich „geladener Magnetpartikel“ an den Enden eines Gegenstandes entstehen. Derartiges Wissen über mit den Beobachtungen vereinbare oder nicht vereinbare erklärende Theorien bezeichnen wir im Folgenden als Theoriewissen (vgl. dazu Rachel, Wecker, Heran-Dörr, Wiesner & Fischer, 2012; Wecker, et al., in press). Beispiele für diesen Wissenstyp aus anderen Bereichen wären etwa Annahmen über Gene, Elektronen oder die Valenzen chemischer Elemente. Theoriewissen durch Forschendes Lernen 17 Da Schülerinnen und Schüler beim Forschenden Lernen nicht nur Phänomenwissen, sondern auch Theoriewissen erwerben sollen, ist zu klären, welche kognitiven Mechanismen des wissenschaftlichen Denkens und Schlussfolgerns beim Experimentieren eine Rolle spielen. Dazu wird in der Literatur zum Forschenden Lernen häufig auf die Theorie der scientific discovery as dual search (SDDS) zurückgegriffen: Die Entdeckung neuen Wissens stellt dieser Theorie zufolge das Resultat einer Suche in zwei Problemräumen dar (Klahr & Dunbar, 1988; van Joolingen & de Jong, 1997), einem sogenannten Hypothesen- und einem sogenannten Experimentraum, die jeweils alle möglichen Hypothesen bzw. Experimente enthalten. Das Wissen der Lernenden besteht dabei aus Teilmengen des Hypothesenraums und soll am Ende nur noch - möglichst viele - zutreffende Hypothesen umfassen (van Joolingen & de Jong, 1997). Phänomenwissen umfasst dabei diejenigen Hypothesen, die lediglich Zusammenhänge zwischen weitgehend direkt beobachtbaren Ereignissen oder Zuständen beschreiben. Theoriewissen besteht dagegen in denjenigen Hypothesen, die Beziehungen zwischen nicht direkt beobachtbaren theoretischen Entitäten oder Größen betreffen (wie z. B. Spannung, weissschen Bezirken oder Elektronen der Valenzschale eines Atoms). Lernende haben jedoch häufig Schwierigkeiten, ihre Suche im Experiment- und Hypothesenraum angemessen auf einander abzustimmen (de Jong & van Joolingen, 1998). Bei wenig unterstützten bzw. hauptsächlich schülergesteuerten Varianten des Forschenden Lernens fallen die Lernergebnisse daher häufig weniger günstig aus als bei stärker unterstützten bzw. hauptsächlich lehrergesteuerten Varianten (Alfieri, Brooks, Aldrich & Tenenbaum, 2010; Furtak, Seidel, Iverson & Briggs, 2012). Da Studien zum Forschenden Lernen häufig lediglich Phänomenwissen als Maß für den Lernerfolg heranziehen (z. B. Lazonder, Wilhelm & Hagemans, 2008; Lazonder, Wilhelm & van Lieburg, 2009; Lazonder, Hagemans & de Jong, 2010) und Theoriewissen durch „Entdecken“ deutlich schwieriger zu erwerben ist, stellt sich die Frage nach einer angemessenen Unterstützung in Bezug auf den Erwerb von Theoriewissen in verschärfter Form. Förderung von Theoriewissen durch die Präsentation theoretischer Ideen Die gängigen Formen instruktionaler Unterstützung beim Forschenden Lernen setzen an den Aktivitäten des Formulierens von Hypothesen, Experimentierens und Ziehens von Schlussfolgerungen an (de Jong & van Joolingen, 1998). Dies ist jedoch wenig Erfolg versprechend, wenn wie im Fall von Theoriewissen nicht damit zu rechnen ist, dass die nicht direkt beobachtbaren und von Wissenschaftlern „erfundenen“ theoretischen Entitäten im Hypothesenraum der Lernenden enthalten sind. Anders als Phänomenwissen ist Theoriewissen daher für Lernende nicht ohne Weiteres entdeckbar (Rachel et al., 2012; Rutherford, 1964; Wecker et al., in press). Eine naheliegende Möglichkeit zur Förderung dieses zentralen Wissenstyps ist die Darstellung bzw. Präsentation entsprechender theoretischer Ideen durch die Lehrkraft vor den eigentlichen Aktivitäten des Forschenden Lernens (Rachel et al., 2012; Rutherford, 1964; Wecker et al., in press). Dieser Ansatz fügt sich ein in die in den vergangenen Jahren wieder häufiger zu vernehmende Forderung nach angemessener Unterstützung bei offeneren Unterrichtsformen (z. B. Mayer, 2004). Aus der Sicht der Theorie der scientific discovery as dual search handelt es sich dabei um eine Maßnahme, durch die die Hypothesenräume der Lernenden mit Annahmen zu nicht beobachtbaren Entitäten angereichert werden. Dies ermöglicht es den Lernenden, Hypothesen zu formulieren und zu untersuchen, die der akzeptierten wissenschaftlichen Sichtweise entsprechen. 18 Christof Wecker et al. Die Präsentation theoretischer Ideen ist prinzipiell sowohl vor als auch nach den Aktivitäten des Forschenden Lernens der Schülerinnen und Schüler möglich. Im Fall einer vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen können die Lernenden diese bereits während dieser Aktivitäten heranziehen, um Hypothesen herzuleiten und die beobachteten Phänomene zu erklären. Im Fall einer nachfolgenden Präsentation können diese dagegen lediglich benutzt werden, um die gesammelten Beobachtungen zusammenfassend zu integrieren. In beiden Fällen ist ein positiver Effekt auf den Erwerb von Theoriewissen zu erwarten; dieser dürfte bei vorausgehender Präsentation jedoch deutlicher ausfallen. Unterstützung erfahren diese Annahmen durch bestimmte Befunde aus der bisherigen Forschung: Sowohl Vorwissen bzw. Vorannahmen zu den beobachteten Phänomenen (Lazonder et al., 2008; Lazonder et al., 2009) als auch das Bereitstellen von deklarativen Informationen darüber (Lazonder et al., 2010; Rieber & Parmley, 1995; Swaak, de Jong & van Joolingen, 2004) begünstigen bereits beim Phänomenwissen den Lernerfolg, weil damit eine gezieltere Suche im Hypothesen- und Experimentraum ermöglicht wird (Klahr & Dunbar, 1988; van Joolingen & de Jong, 1997). Analoge Effekte auf das Theoriewissen sind aufgrund der deutlich größeren Schwierigkeit der „Entdeckung“ dieses Wissens in verstärktem Maße zu erwarten. Geschlechtsunterschiede im naturwissenschaftlichen Unterricht Bis in die breitere Öffentlichkeit wird seit Längerem die Frage diskutiert, ob die gegenwärtig verbreiteten Unterrichtsformen in den naturwissenschaftlichen Fächern zwar auf die Bedürfnisse von Jungen abgestimmt, für Mädchen aber weniger lernförderlich sind. In diesem Zusammenhang wird auf Studien verwiesen, denen zufolge Mädchen im Bereich der Naturwissenschaften über geringeres Wissen verfügen (Faulstich-Wieland, 2009; Prenzel et al., 2007), sich weniger für mathematisch-naturwissenschaftliche und technische Fächer und Themen interessieren (Baumert, 1992; Rost & Pruisken, 2000) und ein ungünstigeres bereichsspezifisches Selbstkonzept für Mathematik und Naturwissenschaften aufweisen (Belfi, Goos, de Fraine & van Damme, 2012; Kessels & Hannover, 2008; Rost & Pruisken, 2000; Sullivan, 2009). Es scheint daher angebracht, alternative Unterrichtsformen für den naturwissenschaftlichen Unterricht grundsätzlich auch auf eine mögliche unterschiedliche Wirksamkeit bei Mädchen und Jungen zu überprüfen, unabhängig davon, ob spezifische Hypothesen zu Interaktionseffekten zwischen der Unterrichtsform und dem Geschlecht vorab theoretisch abgeleitet werden können. Beim Forschenden Lernen arbeiten Lernende in der Regel in Gruppen (de Jong, 2006). Es handelt sich dabei also um eine soziale Lernform, was sich durch die Befriedigung des Bedürfnisses nach sozialer Eingebundenheit über eine Steigerung des Interesses (Krapp, 1998) unabhängig vom Geschlecht der Lernenden positiv auf den Wissenserwerb auswirken könnte (Faulstich-Wieland, 2009). Darüber hinaus wird gefordert, dass Unterricht, der den Bedürfnissen Lernender beiderlei Geschlechts gerecht werden soll, in erster Linie auf das Verstehen der zu vermittelnden Inhalte abzielt und Aufgaben beinhaltet, die an die Erfahrungen von Mädchen und Jungen anknüpfen und bei denen die Lösungen nicht vorab festgelegt sind (Faulstich-Wieland, 2009). Beim Forschenden Lernen können Phänomene wie etwa die Anziehung zwischen Magneten und bestimmten Metallen, die Mädchen und Jungen aus dem Alltag bekannt sind, Gegenstand von Experimenten der Lernenden werden. Außerdem liegt der Schwerpunkt beim Forschenden Lernen (de Jong, 2006) und insbesondere bei zusätzlicher Unterstützung der Lernenden durch vorausgehende bzw. nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen auf der Förderung des Verständnisses der zu Theoriewissen durch Forschendes Lernen 19 vermittelnden Inhalte. Prinzipiell können die Lernenden ferner Hypothesen auf unterschiedlichen Stufen der Allgemeinheit formulieren, sodass keine einzelne richtige Lösung vorab festgelegt ist. Das Forschende Lernen erfüllt somit die genannten Anforderungen eines Unterrichts, der Mädchen wie Jungen gleichermaßen gerecht werden kann. Vor diesem Hintergrund werden keine unterschiedlichen Effekte auf den Wissenserwerb bei Mädchen und Jungen erwartet. Fragestellung und Hypothesen Anhand von Daten aus einem größer angelegten Experiment (Wecker et al., im Druck) wurden folgende Fragestellungen untersucht: 1. Welchen Effekt hat eine vorausgehende beziehungsweise nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen auf den Erwerb von Theorie- und Phänomenwissen beim Forschenden Lernen? 2. Unterscheiden sich Schülerinnen und Schüler bezüglich des Erwerbs von Theorie- und Phänomenwissen beim Forschenden Lernen sowie bezüglich des Ausmaßes, in dem sie von der Präsentation theoretischer Ideen profitieren? Es wurden keine Effekte der vorausgehenden oder nachfolgenden Präsentation theoretischer Ideen auf den Erwerb von Phänomenwissen erwartet. Dagegen wurde ein positiver Effekt der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen sowie ein ebenfalls positiver Effekt der nachfolgenden Präsentation theoretischer Ideen auf den Erwerb von Theoriewissen beim Forschenden Lernen vorhergesagt. Spezifische Geschlechtsunterschiede sowie eine differenzielle Wirksamkeit der Präsentation von theoretischen Ideen bei Mädchen und Jungen in Bezug auf den Erwerb von Theoriewissen wurden nicht erwartet. Methodik Stichprobe und Design Die einbezogene Stichprobe umfasst 308 Schülerinnen und Schüler aus zwölf siebten Klassen bayerischer Gymnasien. Diese waren durch Anfragen bei den Lehrkräften klassenweise rekrutiert und in die Untersuchung einbezogen worden, wenn ihre Eltern in die Teilnahme eingewilligt hatten. Unter ihnen waren 184 (59,7 %) Mädchen und 124 (40,3 %) Jungen. Das durchschnittliche Alter betrug 12.7 Jahre (SD = 0.60). Die einzelnen Schulklassen wurden per Zufall den Ausprägungen der Faktoren vorausgehende Präsentation theoretischer Ideen und nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen (jeweils ohne vs. mit) zugewiesen (Tab. 1). Unterrichtseinheit und Ablauf Die Erhebungssitzungen wurden jeweils im Rahmen eines schulischen Projekttages klassenweise in etwa zweieinhalbstündigen Blöcken am Lehrstuhl für Didaktik der Physik der Ludwig-Maximilians- Universität München durchgeführt. Nach einer zehnminütigen Einführung bearbeiteten die Schülerinnen und Schüler einen zehnminütigen Pretest. Daran schloss sich die Lernphase zum Thema Magnetismus mit einer Dauer von einer Stunde und vorausgehende Präsentation theoretischer Ideen nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen ohne mit Geschlecht Mädchen Jungen Mädchen Jungen ohne 43 36 44 22 mit 54 25 43 41 Tab. 1: Design der Studie 20 Christof Wecker et al. 40 Minuten an. Innerhalb dieser Lernphase hatten die Schülerinnen und Schüler die Aufgabe, in geschlechtshomogenen Zweiergruppen 10 bis 11 Stationen mit unterschiedlichen Materialien für unterschiedliche Experimente zu bearbeiten (Abb. 1 oben). Dabei wurden sie durch Arbeitshefte unterstützt, die sie bei jeder Station zum Aufstellen von Hypothesen, zur Durchführung von Experimenten und zur Dokumentation der beobachteten Ergebnisse sowie zum Formulieren von Erklärungen und Schlussfolgerungen als Aktivitäten Forschenden Lernens aufforderten. Abschließend fand ein zwanzigminütiger Posttest statt. Manipulation der unabhängigen Variablen Vorausgehende Präsentation theoretischer Ideen In den Bedingungen mit vorausgehender Präsentation theoretischer Ideen wurden die Schülerinnen und Schüler in den ersten 25 Minuten der Lernphase - d. h. ohne eine Erhöhung der Gesamtlernzeit - von einer geschulten Lehramtskandidatin in Form eines gelenkten Unterrichtsgesprächs und mithilfe eines Tafelbildes in Phänomene des Magnetismus und das sogenannte Eisen-Magnet-Modell zur Erklärung dieser Abb. 1: Phase des Forschenden Lernens (oben) und Phase mit Präsentation theoretischer Ideen (unten) Theoriewissen durch Forschendes Lernen 21 Phänomene eingeführt (Abb. 1 unten). Dabei wurde auf die Anziehung und Abstoßung zwischen Magneten, die Benennung der Pole eines Magneten, die Stärke der Anziehung zwischen Magneten in Abhängigkeit von ihrer gegenseitigen Ausrichtung, die Magnetisierung von Eisenstäben und -drähten sowie die Annahmen des Eisen-Magnet-Modells eingegangen, mit deren Hilfe die genannten Phänomene aus dem Bereich Magnetismus erklärt werden können. Gegenstand der Einführungsphase war somit sowohl Wissen auf Theorieebene als auch Wissen auf Phänomenebene. In den Bedingungen ohne vorausgehende Präsentation theoretischer Ideen begannen die Schülerinnen und Schüler unmittelbar nach dem Pretest mit ihren Experimenten. Nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen Analog zur vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen wurden in den Bedingungen mit nachfolgender Präsentation theoretischer Ideen am Ende der Unterrichtseinheit - ebenfalls ohne Erhöhung der Gesamtlernzeit - von der geschulten Lehramtskandidatin im Rahmen eines lehrergelenkten Unterrichtsgesprächs und mithilfe von Tafelbildern die beobachteten Phänomene des Magnetismus sowie das Eisen- Magnet-Modell zur Erklärung dieser Phänomene zusammenfassend dargestellt. Dabei wurden dieselben Inhalte behandelt und dieselben didaktischen Methoden eingesetzt wie bei der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen. Aufgrund der in der vorausgehenden Lernphase bereits gesammelten Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler wurde für die nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen geringfügig weniger Zeit - etwa 20 Minuten - benötigt als für die vorausgehende Präsentation theoretischer Ideen. In den Bedingungen ohne nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen führten die Schülerinnen und Schüler bis zum Ende der Unterrichtseinheit selbstständig Experimente durch. Messung von Variablen Phänomen- und Theoriewissen Das Phänomen- und Theoriewissen über Magnetismus wurde im Posttest mit zehn umfangreicheren Aufgaben mit insgesamt 37 Teilaufgaben erfasst. Bei 18 der Teilaufgaben handelte es sich um Wahr-falsch- Items, bei zweien um Mehrfachwahl-Items und bei 17 um Aufgaben, bei denen die Schülerinnen und Schüler Pole von Magneten mit Buchstaben kennzeichnen oder Pfeile zur Darstellung von Elementarmagneten in dargestellte Gegenstände einzeichnen sollten. Von den zehn Aufgaben dienten jeweils vier ausschließlich der Messung von Phänomenbzw. Theoriewissen. Bei zwei Aufgaben waren Teilaufgaben zu beiden Arten von Wissen enthalten. Insgesamt gab es 20 Teilaufgaben zur Messung von Phänomenwissen und 17 zur Messung von Theoriewissen. Teilaufgaben wurden als richtig gewertet, wenn bei ihnen aus den Angaben bzw. aus Antworten bei vorhergehenden Teilaufgaben mithilfe der zu erlernenden Theorie des Magnetismus die richtige Konsequenz abgeleitet wurde (auch wenn diese ggf. sachlich nicht korrekt war). Für jede Teilaufgabe wurde ein Punkt vergeben, wenn sie in diesem Sinne richtig beantwortet wurde. Bei Teilaufgaben, die auch durch Raten richtig beantwortet werden konnten, wurde eine Ratekorrektur angewandt. Zur Bildung der beiden Skalen für Phänomenbzw. Theoriewissen wurden die Punkte bei allen zugeordneten Teilaufgaben summiert; bei den beiden Aufgaben, die sowohl Teilaufgaben zu Wissen auf Phänomen- und Wissen auf Theorieebene beinhalteten, wurden die Teilaufgaben somit jeweils bei der entsprechenden Skala miteinbezogen. Die Summenscores für die beiden Skalen wurden jeweils durch die maximal mögliche Punktzahl geteilt; der Wertebereich der Variablen reicht somit von 0 bis 100 %. Die Reliabilität der Skala für Phänomenwissen lag bei Cronbachs a = .59, die der Skala für Theoriewissen bei Cronbachs a = .83. Vorwissen (auf Phänomenebene) Im Pretest wurde das Vorwissen der Lernenden auf Phänomenebene mithilfe von vier Aufgaben mit insgesamt 13 Teilaufgaben erfasst. Diese Aufgaben erforderten zu ihrer Lösung kein Wissen auf Theorieebene (d. h. keine Kenntnis des sogenannten Eisen-Magnet- Modells). Sie fragten vielmehr das Vorwissen der Lernenden über Phänomene aus dem Bereich des Magnetismus ab, das durch bloße Erfahrung im Umgang mit Magneten erworben werden kann. Bei sieben der Teilaufgaben (nach Streichung eines Items) handelte es sich um Wahr-falsch-Items, eine war ein Mehrfachwahl-Item und bei vier Teil- 22 Christof Wecker et al. aufgaben sollten die Schülerinnen und Schüler Pole von Magneten mit Buchstaben kennzeichnen. Die Bewertung der Antworten sowie die Skalenbildung erfolgten wie bei den beiden Skalen im Posttest. Die Reliabilität dieser Skala lag bei Cronbachs a = .59. Statistische Analyse Das Signifikanzniveau wurde auf 5 % festgesetzt. Die Analyseeinheiten stellen individuelle Lernende dar. Die Effekte der vorausgehenden bzw. nachfolgenden Präsentation theoretischer Ideen (Fragestellung 1) wurden mithilfe von Kovarianzanalysen mit Schulklasse als Zufallsfaktor geschachtelt unter den Faktorstufenkombinationen der Faktoren vorausgehende Präsentation theoretischer Ideen, nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen und Geschlecht sowie dem Vorwissen als Kovariate analysiert. Beim Haupteffekt des Geschlechts bzw. bei Interaktionseffekten des Geschlechts mit einer der beiden Formen instruktionaler Unterstützung (Fragestellung 2) stellt allerdings auch die Beibehaltung der Nullhypothese ein inhaltlich bedeutsames Ergebnis dar. Da die Teststärke für den Nachweis eines mindestens mittelgroßen Effekts (partielles h 2 = .06) bei einem a -Fehler-Niveau von 5 % bei dem beschriebenen Verfahren aufgrund des Zufallsfaktors gerade einmal 12,5 % beträgt, wird Fragestellung 2 mithilfe einer ansonsten analogen Kovarianzanalyse mit Schulklasse als festem Faktor beantwortet. Bei dieser Analyse liegt die Teststärke für den Nachweis eines zumindest mittelgroßen Effekts bei einem a - Fehler-Niveau von 5 % bei 99,2 %. Mit der häufig geforderten Teststärke von 80 % (Cohen, 1988) sind dabei sogar kleine Effekte ab partielles h 2 = .025 nachweisbar. Zur Minimierung der Gefahr eines b - Fehlers wurde bei nicht signifikanten Ergebnissen zu Fragestellung 1 analog verfahren. Es ist jedoch zu beachten, dass dieses Verfahren in Bezug auf Verallgemeinerungen über die in der Stichprobe enthaltenen Schulklassen hinaus progressiv (d. h. zugunsten der Alternativhypothese) verzerrt ist. Ergebnisse Vorbereitende Analysen Zunächst wurden die Lernenden in den verschiedenen Bedingungen im Hinblick auf ihr Vorwissen verglichen. Jungen (M = 0.69; SD = 0.19) hatten ein signifikant höheres Vorwissen als Mädchen (M = 0.62; SD = 0.23), F (1, 287) = 7.93; p < .05; partielles h 2 = .027. Außerdem war das Vorwissen in der Bedingung mit vorausgehender Präsentation theoretischer Ideen (M = 0.68; SD = 0.19) signifikant höher als in der Bedingung ohne vorausgehende Präsentation theoretischer Ideen (M = 0.61; SD = 0.24), F (1, 287) = 4.15; p < .05; partielles h 2 = .014. Da darüber hinaus zwischen dem Vorwissen der Lernenden auf Phänomenebene im Pretest und ihrem Theoriewissen, r = .11; p < .05 (einseitig), sowie ihrem Phänomenwissen, r = .26; p < .05 (einseitig), im Posttest jeweils signifikante Korrelationen bestanden, wurde der Pretest bei den weiteren Analysen als Kovariate einbezogen. Beantwortung der Fragestellungen Effekte von vorausgehender und nachfolgender Präsentation theoretischer Ideen auf den Wissenserwerb In Bezug auf das Phänomenwissen ergaben sich bereits deskriptiv lediglich geringfügige Unterschiede (Abb. 2): In den Bedingungen mit vorausgehender Präsentation theoretischer Ideen (M = .80; SD = .10) erzielten die Lernenden im Posttest etwas höhere Werte als in den Bedingungen ohne vorausgehende Präsentation theoretischer Ideen (M = .77; SD = .17); der entsprechende Varianzanteil (unter Kontrolle der übrigen Faktoren) lag bei einem partiellen h 2 von 0,6 %. Der Haupteffekt der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen war selbst mit Schulklasse als festem Faktor nicht signifikant, F (1, 286) = 1.74; n.s. Dasselbe gilt für den Haupteffekt der nachfolgenden Präsentation theoretischer Ideen auf das Phänomenwissen, F (1, 286) = 2.76; n.s.; partielles h 2 = .010: Lernende in den Bedingungen mit nachfolgender Präsentation theoretischer Ideen (M = .80; SD = .13) erwarben lediglich unwesentlich mehr Phänomenwissen als Lernende in den Bedingungen ohne nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen (M = .78; SD = .14). Der Interaktionseffekt dieser beiden instruktionalen Gestaltungsmerkmale war ebenfalls Theoriewissen durch Forschendes Lernen 23 nicht signifikant, F (1, 286) = 0.49; n.s.; partielles h 2 = .002. Auf den Faktor der Schulklassen gingen 5,7 % der Gesamtvarianz zurück. In Bezug auf das Theoriewissen erzielten Lernende in den Bedingungen mit vorausgehender Präsentation theoretischer Ideen (M = .79; SD = .22) im Posttest höhere Werte als Lernende in den Bedingungen ohne vorausgehende Präsentation theoretischer Ideen (M = .68; SD = .29, Abb. 2). Dieser Faktor klärt bei Kontrolle der übrigen Faktoren einen Varianzanteil von 4,9 % (partielles h 2 ) auf; der entsprechende Haupteffekt der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen war signifikant, F (1, 14.49) = 6.21; p < .05. Lernende in den Bedingungen mit nachfolgender Präsentation theoretischer Ideen (M = .79; SD = .24) stellten im Posttest höheres Theoriewissen als Lernende in den Bedingungen ohne nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen (M = .68; SD = .27) unter Beweis (Abb. 2). Der durch diesen Faktor aufgeklärte Varianzanteil unter Kontrolle der übrigen Fak- Abb. 2: Mittelwerte und 90 %-Konfidenzintervalle des Phänomen- und Theoriewissens im Posttest bei Jungen, Mädchen und in der Gesamtstichprobe ohne und mit vorausgehender bzw. nachfolgender Präsentation theoretischer Ideen. 24 Christof Wecker et al. toren beträgt 2,7 % (partielles h 2 ). Mit Schulklasse als Zufallsfaktor verfehlte der entsprechende Haupteffekt allerdings die Signifikanzgrenze, F (1, 14.33) = 3.38; n.s. Mit Schulklasse als festem Faktor ergab sich dagegen ein signifikanter Haupteffekt der nachfolgenden Präsentation theoretischer Ideen, F (1, 286) = 8.00; p < .05, während der Interaktionseffekt von vorausgehender und nachfolgender Präsentation theoretischer Ideen nicht signifikant war, F (1, 286) = 0.29; n.s.; partielles h 2 = .001. Auf den Faktor der Schulklassen gingen 10,4 % der Gesamtvarianz zurück. Die Rolle des Geschlechts für den Wissenserwerb Beim Phänomenwissen konnten keine nennenswerten Unterschiede zwischen Mädchen (M = .79; SD = .14) und Jungen (M = .78; SD = .14) festgestellt werden, F (1, 286) = 1.04; n.s.; partielles h 2 = .004. Mädchen (M = .77; SD = .24) erwarben dagegen mehr Theoriewissen als Jungen (M = .69; SD = .29, Abb. 2). Bei Kontrolle der übrigen Faktoren entsprach dieser Unterschied einem Varianzanteil von 1,2 % (partielles h 2 ). Der entsprechende Haupteffekt wurde allerdings auch in der progressiven Analyse mit Schulklasse als festem Faktor nicht signifikant, F (1, 286) = 3.37; n.s. In Bezug auf das Theoriewissen wurde darüber hinaus geprüft, ob der festgestellte positive Effekt der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen bei Mädchen und Jungen unterschiedlich stark ausfällt. Der Interaktionseffekt von Geschlecht und vorausgehender Präsentation theoretischer Ideen (mit Schulklasse als festem Faktor) war nicht signifikant, F (1, 286) = .14; n.s.; partielles h 2 < .001. Diskussion Die Befunde der vorliegenden Studie belegen die Wirksamkeit der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen für den Erwerb von Theoriewissen beim Forschenden Lernen. Zwar bestand bereits vor Beginn der Untersuchung ein entsprechender Unterschied im Vorwissen zwischen den Bedingungen ohne und mit vorausgehender Präsentation theoretischer Ideen, doch wurde das Vorwissen bei der Beantwortung der Fragestellungen kontrolliert. Im Posttest wurde zudem ein höherer Varianzanteil für diesen Faktor festgestellt als im Pretest. Der Effekt der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen auf das Theoriewissen im Posttest hatte eine kleine bis mittelgroße Effektstärke (umgerechnet: Cohens d = 0.43) und lag damit im Bereich von Effekten von praktischer Bedeutsamkeit (vgl. Hattie, 2009). Angesichts der beschränkten Dauer der Unterrichtseinheit von etwas über zwei Schulstunden erscheint es nicht unwahrscheinlich, dass die Wirksamkeit dieser Unterstützungsform bei längerer Lernzeit noch höher ausfällt. Der positive Effekt der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen steht im Einklang mit der Annahme, dass Theoriewissen von Lernenden anders als Phänomenwissen nicht ohne Weiteres „entdeckt“ werden kann (Rachel et al., 2012; Wecker et al., in press). Durch die Darbietung geeigneter theoretischer Ideen scheint es Lernenden ermöglicht zu werden, Hypothesen auf Theorieebene, d. h. Annahmen über Beziehungen zwischen nicht direkt beobachtbaren theoretischen Entitäten, anhand ihrer eigenen Experimente zu überprüfen und aus ihren Beobachtungen Schlussfolgerungen über die Geltung dieser Hypothesen zu ziehen (Rachel et al., 2012; Wecker et al., in press). Für die nachfolgende Präsentation theoretischer Ideen konnte ein entsprechender Effekt nicht belegt werden. Angesichts des signifikanten Effekts dieser Variable in der progressiv verzerrten Analyse mit Schulklasse als festem Faktor - die allerdings keine Verallgemeinerungen über die untersuchten Schulklassen hinaus erlaubt -, ist jedoch ein möglicher positiver Effekt auch dieser instruktionalen Unterstützungsform auf das Theoriewissen zumindest nicht unplausibel. Keinerlei Belege ergaben sich dagegen für Effekte der beiden instruktionalen Unterstützungsformen auf den Erwerb von Phänomen- Theoriewissen durch Forschendes Lernen 25 wissen sowie für eine unterschiedliche Wirksamkeit der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen bei Mädchen und Jungen. Der Vorwissensvorsprung der Jungen gegenüber den Mädchen scheint dagegen im Verlauf der Unterrichtseinheit mindestens ausgeglichen worden zu sein. Zwar war der Unterschied im Theoriewissen zugunsten der Mädchen nicht signifikant; angesichts der inferenzstatistischen Befunde kann ein entsprechender Geschlechtseffekt allerdings auch nicht ausgeschlossen werden. Die für Mädchen zumindest ebenso wie für Jungen lernförderliche Wirkung der untersuchten Unterstützungsformen könnte auf den sozialen Charakter des Forschenden Lernens in Kleingruppen zurückzuführen sein, der den Bedürfnissen insbesondere von Mädchen möglicherweise besonders entgegenkommt (Faulstich-Wieland, 2009). Wenn Forschendes Lernen wie in der vorliegenden Untersuchung in geschlechtshomogenen Kleingruppen realisiert wird, werden möglicherweise insbesondere für Mädchen ungünstige Interaktionsmuster vermieden, wie sie in gemischtgeschlechtlichen Gruppen beobachtet wurden (Rennie & Parker, 1987). Da die Geschlechtszusammensetzung der Dyaden in der vorliegenden Untersuchung jedoch nicht systematisch variiert wurden, kann über diesen Erklärungsansatz hier allerdings nicht entschieden werden. Der Geltungsbereich von Schlussfolgerungen aus den vorliegenden Befunden ist zunächst zumindest auf Schülerinnen und Schüler an Gymnasien zu beschränken. Einen möglichen Kritikpunkt stellt die geringe Reliabilität der Skalen für Phänomenwissen dar. Die geringe Reliabilität im Pretest hat zur Konsequenz, dass Varianz, die auf Vorwissensunterschiede zurückgeht, bei Verwendung des Phänomenwissens aus dem Pretest als Kovariate nur unvollständig kontrolliert und damit die Fehlervarianz in geringerem Maße reduziert wird. Dadurch wird der Nachweis von Effekten erschwert. Ähnlich wirkt sich die geringe Reliabilität der entsprechenden Skala im Posttest aus; Effekte auf das Phänomenwissen sind durch den höheren Fehleranteil der Messung schwerer nachzuweisen. Ein weiterer möglicher Kritikpunkt besteht darin, dass die angebotene Erklärung des Effekts der vorausgehenden Präsentation theoretischer Ideen nicht direkt überprüft wurde und daher weiterer Studien bedarf, in denen die Aktivitäten der Lernenden detailliert analysiert werden. Dabei wäre auch zu prüfen, inwiefern der gefundene Effekt für das vorliegende Themengebiet sowie die spezielle Unterrichtssituation in einem Unterrichtslabor mit einer geschulten Lehramtskandidatin als Lehrkraft spezifisch ist (vgl. Wecker, 2013) und ob er auch auftritt, wenn den Lernenden Ideen aus mehreren konkurrierende Theorien angeboten werden (vgl. Kollar, Wecker, Langer & Fischer, 2011). Alternative Unterrichtsformen für den naturwissenschaftlichen Unterricht, die den Lernerfolg von Mädchen wie Jungen gleichermaßen steigern, bedürfen weiterer Forschung. In praktischer Hinsicht legt die vorliegende Untersuchung nahe, Forschendes Lernen bei dafür geeigneten Themen zu praktizieren (de Jong, 2006), zumal keine Hinweise auf eine unterschiedliche Wirksamkeit bei Mädchen und Jungen vorliegen. Wichtig ist dabei, Lernende durch geeignete Unterrichtsformen (einschließlich Formen eher direkter Instruktion) angemessen zu unterstützen. Literatur Alfieri, L., Brooks, P. J., Aldrich, N. J. & Tenenbaum, H. R. (2010). Does discovery-based instruction enhance learning? Journal of Educational Psychology, 103, 1 - 18. doi: 10.1037/ a0021017 Baumert, J. (1992). Koedukation oder Geschlechtertrennung. Zeitschrift für Pädagogik, 38, 83 - 110. Belfi, B., Goos, M., de Fraine, B. & van Damme, J. (2012). The effect of class composition by gender and ability on secondary school students’ school well-being and academic self-concept: A literature review. Educational Research Review, 7 (1), 62 - 74. doi: 10.1016/ j.edurev. 2011.09.002 Bruner, J. S. (1961). 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E-Mail: frank.fischer@psy.lmu.de Theoriewissen durch Forschendes Lernen 27 Dr. Alexander Rachel Maria-Theresia-Gymnasium München Regerplatz 1 81541 München E-Mail: alexander.rachel@physik.unimuenchen.de Dr. Eva Heran-Dörr Grundschule Rimsting Priener Straße 2 83253 Rimsting E-Mail: heran-doerr@t-online.de Dr. Christine Waltner Lise-Meitner-Gymnasium Unterhaching Jahnstraße 3 82008 Unterhaching E-Mail: christine.waltner@lmgu.de Prof. Dr. Dr. em. Hartmut Wiesner Ludwig-Maximilians-Universität München Lehrstuhl für Didaktik der Physik Theresienstr. 37 80333 München E-Mail: hartmut.wiesner@physik.uni-muenchen.de