eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 61/2

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2014.art10d
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2014
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Differenzielle Zusammenhänge zwischen Komponenten der Lesemotivation und dem Verständnis literarischer bzw. expositorischer Texte

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2014
Sofie Henschel
Ellen Schaffner
Untersuchungen zur habituellen Lesemotivation (LM) weisen auf positive Zusammenhänge zwischen der intrinsischen LM und dem Textverstehen hin. Die extrinsische LM hängt hingegen nicht oder negativ mit dem Textverstehen zusammen. Unklar ist, auf welchen Komponenten – insbesondere der intrinsischen LM – diese Zusammenhänge beruhen und ob sie für das Verstehen literarischer und expositorischer Texte gleichermaßen gelten. Untersucht wurde deshalb in einer Stichprobe aus 1500 Neuntklässlern, ob differenzielle Zusammenhänge zwischen einzelnen Dimensionen der intrinsischen (gegenstands- vs. erlebnisbezogen) und extrinsischen LM (wettbewerbs- vs. leistungsbezogen) und dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte bestehen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass beide Dimensionen extrinsischer LM negativ (wettbewerbsbezogene LM) oder nicht bedeutsam (leistungsbezogene LM) mit dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte assoziiert sind. Während die gegenstandsbezogene LM gleich starke positive Effekte auf beide Formen des Textverstehens aufweist, ist die erlebnisbezogene LM ausschließlich mit dem Verstehen literarischer, nicht aber mit dem Verstehen expositorischer Texte assoziiert.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2014, 61, 112 -126 DOI 10.2378/ peu2014.art10d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Differenzielle Zusammenhänge zwischen Komponenten der Lesemotivation und dem Verständnis literarischer bzw. expositorischer Texte Sofie Henschel 1 , Ellen Schaffner 2 1 Humboldt-Universität Berlin 2 Universität Potsdam Zusammenfassung: Untersuchungen zur habituellen Lesemotivation (LM) weisen auf positive Zusammenhänge zwischen der intrinsischen LM und dem Textverstehen hin. Die extrinsische LM hängt hingegen nicht oder negativ mit dem Textverstehen zusammen. Unklar ist, auf welchen Komponenten - insbesondere der intrinsischen LM - diese Zusammenhänge beruhen und ob sie für das Verstehen literarischer und expositorischer Texte gleichermaßen gelten. Untersucht wurde deshalb in einer Stichprobe aus 1500 Neuntklässlern, ob differenzielle Zusammenhänge zwischen einzelnen Dimensionen der intrinsischen (gegenstandsvs. erlebnisbezogen) und extrinsischen LM (wettbewerbsvs. leistungsbezogen) und dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte bestehen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass beide Dimensionen extrinsischer LM negativ (wettbewerbsbezogene LM) oder nicht bedeutsam (leistungsbezogene LM) mit dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte assoziiert sind. Während die gegenstandsbezogene LM gleich starke positive Effekte auf beide Formen des Textverstehens aufweist, ist die erlebnisbezogene LM ausschließlich mit dem Verstehen literarischer, nicht aber mit dem Verstehen expositorischer Texte assoziiert. Schlüsselbegriffe: Lesemotivation, Textverstehen Differential Relationships between Components of Reading Motivation and Comprehension of Literary and Expository Texts Summary: Studies on habitual reading motivation (RM) indicate positive relations between intrinsic RM and text comprehension. Extrinsic RM in contrast is not or negatively correlated with text comprehension. However, it is unknown on which sub-dimensions - in particular of intrinsic RM - these relationships are based and whether they apply to the understanding of literary and expository texts equally. Therefore, we examined in a sample of 1500 9th graders whether there are differential relationships between single subdimensions of intrinsic RM (objectvs. experience-related) and extrinsic RM (competitionvs. achievement-related) and comprehension of literary and expository texts. Results indicate that both dimensions of extrinsic RM are negatively (competitionrelated RM) or not significantly (achievement-related RM) associated with comprehension of literary and expository texts. While object-related RM has equally strong positive effects on both types of text comprehension, experience-related RM is exclusively associated with literary, but not with expository text comprehension. Keywords: Reading motivation, text comprehension Das Lesen und Verstehen von Texten ist eine wichtige Voraussetzung für den schulischen und außerschulischen Wissenserwerb. Darüber hinaus wird die Fähigkeit zum Textverstehen als grundlegend für die gesellschaftliche Partizipation angesehen, weil sie z. B. die Aufnahme von Informationen über aktuelle kulturelle oder politische Ereignisse erleichtert (z. B. Organisation for Economic Co-operation and Development [OECD], 2009). Die habituelle Lesemo- Lesemotivation und das Verstehen literarischer vs. expositorischer Texte 113 tivation (LM) stellt - neben kognitiven Merkmalen (z. B. Vorwissen, Intelligenz) - einen wesentlichen Prädiktor für das Textverstehen dar (z. B. Guthrie, Wigfield, Metsala & Cox, 1999). Bisherige Studien berichten nahezu ausschließlich Effekte der LM auf ein allgemeines Textverstehen, welches vorwiegend expositorisch ausgerichtet ist (Retelsdorf, Köller & Möller, 2011; Schaffner & Schiefele, 2007 a). In der gegenwärtigen Textverstehensforschung gibt es allerdings Hinweise darauf, dass es sinnvoll zu sein scheint, das Verständnis von literarischen und expositorischen Texten zu unterscheiden (vgl. Altmann, Bohrn, Lubrich, Menninghaus & Jacobs, 2012; Frederking et al., 2012; Roick et al., 2010). Ebenso werden in der Lesemotivationsforschung verschiedene Komponenten der intrinsischen und extrinsischen LM unterschieden, die zwar hoch miteinander korrelieren, sich aber dennoch als faktoriell unterscheidbar herausgestellt haben (vgl. Schaffner & Schiefele, 2007 a; Wigfield & Guthrie, 1997). In komplexeren Analysen werden sie zur Erklärung des Textverstehens dennoch meistens zu den übergeordneten Faktoren der intrinsischen und extrinsischen LM zusammengefasst (vgl. Schiefele, Schaffner, Möller & Wigfield, 2012). Die vorliegende Studie differenziert daher zwischen den einzelnen Komponenten intrinsischer und extrinsischer LM und prüft, welchen Beitrag sie zur Erklärung des Verstehens literarischer und expositorischer Texte leisten. Verständnis literarischer und expositorischer Texte Aus kognitionspsychologischer Sicht stellt das Textverstehen einen komplexen Informationsverarbeitungsprozess dar, bei dem die Leserin bzw. der Leser in einem Text enthaltene Informationen auf verschiedenen Prozessebenen mithilfe unterschiedlicher Verarbeitungsstrategien mit seinem Vor- und Weltwissen verknüpft, um daraus eine mentale Repräsentation des Gelesenen zu konstruieren (van Dijk & Kintsch, 1983). Neuere Studien sprechen dafür, das Verstehen literarischer und expositorischer Texte als voneinander unterscheidbare Aspekte der Lesekompetenz zu betrachten (Artelt & Schlagmüller, 2004; Frederking et al. 2012; Roick et al., 2010). Literarische und expositorische Texte unterscheiden sich sowohl in ihrer Funktion als auch in ihrer sprachstrukturellen Gestaltung, wodurch eine teilweise unterschiedliche kognitive Verarbeitung beider Textarten nahegelegt wird (Christmann & Schreier, 2003; Henschel, Roick, Brunner & Stanat, 2013). Expositorische Texte dienen primär der Beschreibung und Erklärung von Tatsachen bzw. der Wissensvermittlung (Schmidt, 1991). Ihr Ziel ist es, der Leserin bzw. dem Leser - unter Nutzung seines Vorwissens und textinterner Merkmale (z. B. Präpositionen) - die Bildung einer möglichst kohärenten Repräsentation des beschriebenen Sachverhaltes zu ermöglichen (Kintsch, 1998). Diesem Ziel werden expositorische Texte am ehesten dann gerecht, wenn sie gut lesbar sind (z. B. aus nicht zu langen Sätzen bestehen) und ein hohes Maß an Kohärenz aufweisen (z. B. keine widersprüchlichen Informationen enthalten, inhaltliche Zusammenhänge explizit verdeutlichen; vgl. Rosebrock, 2007). Literarische Texte sind dagegen primär durch eine ästhetische Funktion gekennzeichnet und dienen vor allem der Unterhaltung. Sie beziehen sich häufig auf fiktionale Inhalte und lassen mehrere plausible Interpretationen zu (Schmidt, 1991). Darüber hinaus zeichnen sie sich durch typische Strukturmerkmale wie z. B. Mehrdeutigkeit, Autofunktionalität, stilistische Sprachlichkeit und Verfremdung aus (vgl. Jakobson, 1979). Die genannten Faktoren stehen mit dem ästhetischen Anspruch literarischer Texte in Zusammenhang und können deren fiktionalen Charakter unterstreichen. Andererseits wird z. B. durch eine höhere Dichte von Stilmitteln oder mehrdeutigen Textstellen der Aufbau einer kohärenten, eindeutig vorgegebenen Textrepräsentation erschwert, sodass die genannten literarischen Textmerkmale in expositorischen Texten eine allenfalls untergeordnete Rolle spielen (Zwaan, 1993). Zu den literarischen Texten werden klassischerweise die Großgat- 114 Sofie Henschel, Ellen Schaffner tungen Epik, Dramatik und Lyrik gezählt (Lamping, 2009), wobei in der vorliegenden Studie ausschließlich epische und dramatische Texte bei der Operationalisierung des Verstehens literarischer Texte berücksichtigt werden konnten (vgl. Diskussion). Es ist anzunehmen, dass sich infolge der unterschiedlichen strukturellen und inhaltlichen Beschaffenheit beider Textarten auch die kognitiven Anforderungen und Verarbeitungsprozesse beim Verstehen literarischer und expositorischer Texte unterscheiden. Entsprechend zeigten Frederking et al. (2012), dass das Verstehen literarischer Texte durch mindestens zwei spezifisch literarische Verstehensanforderungen (inhaltsbezogen, formbezogen) gekennzeichnet ist, die von den in der PISA- Studie berücksichtigten Anforderungen expositorischer Texte (Informationen ermitteln, textbezogenes Interpretieren, Reflektieren und Bewerten; vgl. Naumann, Artelt, Schneider & Stanat, 2010) unterschieden werden können. Artelt und Schlagmüller (2004) zeigten in der Reanalyse der PISA-2000-Daten, dass Verstehensleistungen, die mit literarischen und expositorischen Texten erbracht werden, auch dann voneinander abgrenzbar sind, wenn ihnen die gleichen Verstehensanforderungen (hier die PISA-Dimensionen) zugrunde liegen. Ausschlaggebend scheint in dieser Studie also ausschließlich der Stimulustext gewesen zu sein, der dazu beigetragen haben könnte, dass die gleichen Verstehensanforderungen mit textartspezifischen Verarbeitungsprozessen bewältigt wurden. Entsprechend deuten empirische Studien darauf hin, dass beim Lesen literarischer Texte beispielsweise qualitativ andere elaborative Inferenzen gebildet werden als beim Lesen expositorischer Texte (vgl. Christmann & Schreier, 2003; Graesser, Singer & Trabasso, 1994). Neben Studien, die die strukturelle Validität eines zweidimensionalen textartspezifischen Verstehensmodells stützen, erhärten neuere Arbeiten diese Befunde auch durch Ergebnisse zur kriterialen Validität (z. B. Altmann et al., 2012; Henschel et al., 2013; Henschel & Roick, 2013). Habituelle Lesemotivation und Textverstehen Unter der habituellen Lesemotivation (LM) wird das gewohnheitsmäßige Auftreten von Leseabsichten verstanden (Möller & Schiefele, 2004). Sie unterscheidet sich damit von der aktuellen Lesemotivation, die auf die Leseabsicht in einer konkreten Situation bezogen ist (vgl. Möller & Schiefele, 2004). Je nachdem, ob der Grund des Lesens innerhalb oder außerhalb des Leseprozesses verankert ist, werden die habituelle intrinsische und extrinsische LM unterschieden. Bei der intrinsischen LM wird der Leseprozess selbst von positiven Erlebenszuständen begleitet, die u. a. Spannung, Anregung, das Erleben von Flow sowie des völligen Aufgehens in einer Geschichte (Transportiert- Sein, vgl. Green & Brock, 2000) umfassen können. Bei der extrinsischen LM stehen hingegen äußere Anreize im Vordergrund wie beispielsweise das Erreichen einer guten Note oder das bessere Abschneiden im Vergleich zu anderen (Schiefele, 1996). Je nachdem, welcher konkrete Leseanreiz für die Entstehung der habituell auftretenden Leseabsichten ausschlaggebend ist, können innerhalb der intrinsischen und extrinsischen LM weitere Komponenten unterschieden werden (Wigfield & Guthrie, 1997). So differenzieren Schaffner und Schiefele (2007 a, 2007 b) als relevante Unterformen intrinsischer LM eine gegenstandsbezogene Komponente, die sich auf die Auseinandersetzung mit thematischen Interessen beim Lesen bezieht, von einer erlebnisbezogenen Komponente, die sich auf das Streben nach stellvertretendem Erleben und Involviertheit richtet. Durch ihren Bezug zum stellvertretenden Erleben steht die erlebnisbezogene LM dem Konstrukt der Fantasieempathie nahe (Henschel & Roick, 2013), von dem sie sich jedoch insbesondere durch den spezifischen Lesebezug unterscheidet. Zudem stützen empirische Befunde die Unterscheidbarkeit beider Konstrukte (Henschel, 2013). Bedeutsame Unterformen extrinsischer LM stellen u. a. die leistungsbezogene LM dar, die auf Kompetenzerweiterung abzielt, die Lesemotivation und das Verstehen literarischer vs. expositorischer Texte 115 wettbewerbsbezogene LM, die auf das positive Abschneiden im Vergleich mit anderen bezogen ist, sowie die soziale LM, die auf dem Wunsch nach sozialer Anerkennung beruht (Schaffner & Schiefele, 2007 a; Schiefele et al., 2012). Die habituelle intrinsische LM wird als bedeutsame Voraussetzung für erfolgreiches Textverstehen angesehen, weil sie u. a. das Leseverhalten in der Freizeit (z. B. Lesehäufigkeit) maßgeblich bestimmt. Entsprechend hat sich die intrinsische LM in empirischen Studien konsistent als bedeutsamer Prädiktor für die Lesehäufigkeit erwiesen (z. B. Becker, McElvany & Kortenbruck, 2010; Wang & Guthrie, 2004). Die Lesehäufigkeit erklärt wiederum das Textverstehen (Ecalle & Magnan, 2008; Mol & Bus, 2011) sowie Leistungszuwächse im Textverstehen (Anderson, Wilson & Fielding, 1988; Cipielewski & Stanovich, 1992). Vor diesem Hintergrund kann angenommen werden, dass die Lesehäufigkeit den positiven Effekt der intrinsischen LM auf die Textverstehensleistung vermittelt. Wenngleich diese Mediationsannahme bisher selten überprüft wurde, gibt es erste stützende Befunde (McElvany, Kortenbruck & Becker, 2008; Schaffner, Schiefele & Ulferts, 2013), die für einen entsprechenden Wirkmechanismus sprechen (vgl. Preacher & Hayes, 2008). Darüber hinaus erscheint es möglich, dass auch das Textverstehen die LM beeinflusst, z. B. weil infolge eines hohen Textverständnisses das subjektive Kompetenzerleben beim Lesen steigt oder das lesespezifische Selbstkonzept begünstig wird (McElvany et al., 2008). Bisher liegen allerdings erst wenige Befunde vor, die Effekte des Textverstehens v. a. auf die intrinsische LM empirisch stützen, und auch die relevanten Mediatoren sind noch ungeklärt. Wir nehmen an, dass sich insbesondere die Effekte der LM auf das Textverstehen in Abhängigkeit davon unterscheiden, ob sich das Verstehen auf literarische oder expositorische Texte bezieht. So ist davon auszugehen, dass die auf das thematische Interesse gerichtete gegenstandsbezogene LM vor allem das Lesen von expositorischen Texten (z. B. Nachrichten, Sachbücher) begünstigt, die einer funktionalen Leseintention unterliegen und primär der Wissensvermittlung dienen (Rosebrock, 2007). Die auf das stellvertretende Erleben bezogene LM könnte hingegen insbesondere das Lesen literarischer Texte (z. B. Erzählungen, Theaterstücke) anregen, die eher eine unterhaltende Funktion aufweisen (Rosebrock, 2007). Wenngleich dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte teilweise überlappende kognitive Prozesse zugrunde liegen dürften (vgl. Christmann & Schreier, 2003), ist anzunehmen, dass durch das häufige Lesen unterschiedlicher Textarten - insbesondere auf der Ebene des Situationsmodells - kognitive Prozesse begünstigt werden könnten, die für die Verstehensleistung der jeweiligen Textart spezifisch sind (z. B. Repräsentation mehrdeutiger Textstellen im Umgang mit literarischen Texten; vgl. Miall & Kuiken, 1999). Das Verstehen literarischer Texte dürfte demzufolge vor allem davon profitieren, wenn eine Person in ihrer Freizeit häufig literarische Texte liest. Demgegenüber sollte das Verstehen expositorischer Texte insbesondere durch das wiederholte Lesen expositorischer Texte unterstützt werden. So fördert der häufige Umgang mit expositorischen Texten u. a. den Erwerb von inhaltlichem Vorwissen sowie Kenntnisse über Argumentationsstrukturen (vgl. Guthrie & Wigfield, 1999), die insbesondere das Verstehen expositorischer Texte begünstigen dürften. Entsprechend zeigten Möller und Retelsdorf (2008), dass die gegenstandsbezogene LM (bezeichnet als Leseinteresse) die Präferenz für das Lesen von Sachtexten etwas besser erklärt als die Leselust, welche wiederum enger mit der Präferenz, Geschichten zu lesen, assoziiert ist. Die dargestellten Zusammenhänge legen die Hypothese nahe, dass die erlebnisbezogene LM das Verstehen literarischer Texte besser erklärt als die gegenstandsbezogene LM. Demgegenüber sollte die gegenstandsbezogene LM enger mit dem expositorischen Textverstehen assoziiert sein als die erlebnisbezogene LM. 116 Sofie Henschel, Ellen Schaffner Die extrinsische LM erwies sich demgegenüber bei der Erklärung der Lesehäufigkeit in der Freizeit bisher als weniger oder gar nicht relevant (Schiefele et al., 2012). Auch die Effekte der extrinsischen LM auf das allgemeine Textverstehen waren inkonsistent, wobei insbesondere neuere Analysen (u. a. unter Einschluss wichtiger Kontrollvariablen, wie z. B. der früheren Leseleistung und der intrinsischen LM) auf keine oder negative Effekte extrinsischer LM auf das Textverstehen hinweisen (vgl. Becker et al., 2010; Wang & Guthrie, 2004). Entsprechend ist anzunehmen, dass die Komponenten extrinsischer LM mit der Lesehäufigkeit und dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte nicht oder negativ zusammenhängen. Fragestellung Bisher wurden Effekte der LM auf das Textverstehen überwiegend ohne eine differenzierte Betrachtung unterschiedlicher Komponenten intrinsischer und extrinsischer LM untersucht (vgl. Schiefele et al., 2012). Auch auf eine Differenzierung der Verstehensleistung (literarisch vs. expositorisch) wurde bei der Erfassung des Textverstehens weitgehend verzichtet. Es ist demzufolge unklar, welche strukturellen Beziehungen zwischen unterschiedlichen Komponenten der intrinsischen und extrinsischen LM und dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte bestehen. In der vorliegenden Studie sollte deshalb untersucht werden, ob die einzelnen Komponenten der intrinsischen LM (gegenstands- und erlebnisbezogen) und der extrinsischen LM (leistungs-, wettbewerbsbezogen und sozial) differenziell mit Verstehensleistungen assoziiert sind, die im Umgang mit literarischen und expositorischen Texten erbracht werden. Zwar nehmen wir für die beiden Komponenten intrinsischer LM jeweils positive Zusammenhänge mit beiden Formen des Textverstehens an. Allerdings sollte die erlebnisbezogene LM einen signifikant engeren positiven Zusammenhang mit dem Verstehen literarischer Texte aufweisen, wohingegen die gegenstandsbezogene LM einen stärkeren Effekt auf das Verstehen expositorischer Texte haben sollte. Für die Komponenten der extrinsischen LM wurden dagegen keine oder negative Effekte auf das Verstehen literarischer und expositorischer Texte erwartet. Die angenommenen Zusammenhänge zwischen der LM und den Formen des Textverstehens sollten zudem der statistischen Kontrolle relevanter Hintergrundmerkmale (Schulform, Familiensprache, Geschlecht) standhalten. Methode Stichprobe An der Untersuchung nahmen 1500 Jugendliche (47,6 % Mädchen) aus 74 Klassen der neunten Jahrgangsstufe in Bayern teil (Alter: M = 15.3 Jahre, SD = 0.75). Von den Jugendlichen besuchten 29,9 % eine Hauptschule (n = 448, 49,6 % Mädchen, 28 Klassen), 30,8 % eine Realschule (n = 462, 51,5 % Mädchen, 21 Klassen) und 39,3 % ein Gymnasium (n = 590, 43,1 % Mädchen, 25 Klassen). Ein Gymnasialschüler wies auf allen Merkmalen fehlende Werte auf und wurde in den nachfolgenden Analysen nicht berücksichtigt. Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die nach eigenen Angaben mit ihren Eltern meistens eine andere Sprache als Deutsch sprachen, lag bei 15,0 %. Instrumente Lesemotivation Für die Erfassung der Lesemotivation wurde der Lesemotivations-Fragebogen (LMF; Schaffner & Schiefele, 2007 a) eingesetzt, der insgesamt 20 Items umfasst und auf einer vierstufigen Skala (1 = trifft nicht zu, 2 = trifft eher nicht zu, 3 = trifft eher zu, 4 = trifft zu) bearbeitet wurde. Der Fragebogen setzt sich aus fünf Subskalen zusammen, die auf unterschiedliche Komponenten der LM bezogen sind: die gegenstandsbezogene LM (4 Items, a = .76; z. B. Ich lese, weil ich dabei mehr über Dinge erfahren kann, die mich interessieren.) und die erlebnisbezogene LM (4 Items, a = .81; z. B. Ich lese, weil ich dabei manchmal alles um mich herum vergesse.) bilden gemeinsam den Faktor der intrinsischen LM. Die wettbewerbsbezogene LM (4 Items, a = .76; z. B. Ich lese, weil mir das hilft, im Unterricht besser zu sein als meine Mitschüler.), die leistungsbezogene LM (4 Items, a = .79; Lesemotivation und das Verstehen literarischer vs. expositorischer Texte 117 z. B. Ich lese, weil mir das hilft, im Verstehen von Texten besser zu werden.) und die soziale LM (4 Items, a = .54; z. B. Ich lese, weil andere sagen, dass Lesen wichtig ist.) stellen die Komponenten der extrinsischen LM dar. Da die soziale LM von einer niedrigen Reliabilität gekennzeichnet war und drei Items geringe Trennschärfen (< .30) aufwiesen, wurde sie aus allen nachfolgenden Analysen ausgeschlossen. Aus Zeitgründen musste der LMF in zwei Hälften geteilt und an zwei unterschiedlichen Testtagen vorgegeben werden. Dabei wurden in jeder Sitzung jeweils zwei Items pro Inhaltsdimension erfasst. Alle nachfolgenden Analysen beziehen daher einen Methodenfaktor ein, der die gemeinsame Varianz der zeitgleich vorgegebenen Items abbildet und kontrolliert (vgl. Eid, 2000). Die Dimensionalität der Lesemotivation wurde im Rahmen konfirmatorischer Faktorenanalysen überprüft. Dabei zeigte sich, dass ein vierdimensionales Modell, welches die Faktoren der erlebnis-, gegenstands-, wettbewerbs- und leistungsbezogenen LM unterscheidet, eine befriedigende Anpassung aufwies ( c ² = 407.64, df = 85, p < .01, CFI = .96, TLI = .94, RMSEA = .05). Das vierdimensionale Modell war sowohl einem eindimensionalen Modell überlegen ( c ² = 2335.91, df = 91, p < .01, CFI = .78, TLI = .71, RMSEA = .13; ∆c ² = 845.36, df = 6, p < .01) als auch einem zweidimensionalen Modell aus intrinsischer und extrinsischer LM ( c ² = 806.44, df = 90, p < .01, CFI = .93, TLI = .91, RMSEA = .07; ∆c ² = 253.46, df = 5, p < .01). Die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Faktoren fielen im vierdimensionalen Modell zwar substanziell aus (.29 ≤ r ≤ .74), unterstützen aber eine getrennte Betrachtung der Komponenten intrinsischer und extrinsischer LM. Das Verstehen expositorischer und literarischer Texte Zur Erfassung des Textverstehens wurden insgesamt sechs Aufgabeneinheiten im Rahmen eines Multi- Matrix-Designs eingesetzt, die jeweils einen Stimulustext und dazugehörige offene und geschlossene Aufgaben beinhalteten. Da drei Stimulustexte den als literarisch betrachteten Großgattungen Epik und Dramatik zuzurechnen waren (Lamping, 2009), wurden die entsprechenden Aufgabeneinheiten (15 Aufgaben, 27 % mit offenem Antwortformat, r tt = .70) a priori dem literarischen Verstehensfaktor zugewiesen. Die epischen Aufgabeneinheiten entnahmen wir dem Leseverständnistest 7 (Die Geschichte von Herrn Sommer; Institut für Qualitätsentwicklung, 2007) bzw. dem Leseverständnistest 9 (Sitzen geblieben; Institut für Qualitätsentwicklung, 2009). Der Dramenauszug Amanda und die Herzogin stammte aus der PISA-2000-Studie (OECD, 2002). Aufgabeneinheiten, deren Stimulustexte zur Gattung Lehrtexte zählten (Rosebrock, 2007), wurden a priori dem expositorischen Verstehensfaktor zugerechnet (16 Aufgaben, 6 % mit offenem Antwortformat, r tt = .71). Thematisch vermitteln diese Stimulustexte Wissen über die Wiederansiedlung von Braunbären in Mitteleuropa (Text Bär), die Kontrolle des Alkoholgehaltes im Körper von Fruchtfledermäusen (Text Vampire) und die Arbeit eines Literaturübersetzers (Text Literaturübersetzer). Zwei Aufgabeneinheiten entnahmen wir dem Leseverständnistest 9 (Institut für Qualitätsentwicklung, 2009) und eine Aufgabeneinheit dem Leseverständnistest 7 (Institut für Qualitätsentwicklung, 2007). Die Operationalisierung beider Textverstehensformen erfolgte anhand der in den PISA-Studien unterschiedenen Dimensionen der Lesekompetenz (Informationen suchen und extrahieren, textbezogenes Interpretieren, Reflektieren und Bewerten; vgl. Naumann et al., 2010). Die dimensionale Struktur des Textverstehens wurde auf der Grundlage einbzw. mehrdimensionaler Raschmodelle überprüft. Dabei zeigte sich, dass ein zweidimensionales Modell, welches das Verstehen literarischer und expositorischer Texte unterscheidet (Deviance: 31040, Parameter: 34, AIC: 31108), einem eindimensionalen Modell überlegen ist (Deviance: 31134, Parameter: 32, AIC: 31207). Sowohl das Akaike Information Criterion (AIC) nimmt für das zweidimensionale Modell einen niedrigeren Wert an als auch das Abweichungsmaß Deviance fällt signifikant geringer aus als für das eindimensionale Modell ( ∆c ² = 93.59, df = 2, p < .01). Im Vergleich mit einem Modell, das die drei Komponenten der Lesekompetenz nach PISA unterscheidet (Deviance: 31120, Parameter: 37, AIC: 31194), erweist sich das sparsamere zweidimensionale Modell nicht als unterlegen, weil es einen niedrigeren AIC aufweist 1 . Die 1 Die Anpassung des zwei- und dreidimensionalen Modells kann nicht mittels c ²-Differenzentest verglichen werden, weil das komplexere dreidimensionale Modell eine höhere Abweichung (Deviance) aufweist als das sparsamere zweidimensionale Modell und die Voraussetzungen für den Modelltest damit nicht erfüllt sind. Der Modellvergleich wird deshalb anhand des deskriptiven AIC-Maßes vorgenommen. 118 Sofie Henschel, Ellen Schaffner Ergebnisse der Modellvergleiche sprechen dafür, dass die Unterscheidung des literarischen und expositorischen Textverstehens trotz des deutlichen Zusammenhangs zwischen beiden Faktoren (r = .79, p < .01) sinnvoll ist. Hintergrundvariablen Als Hintergrundvariablen wurden das Geschlecht, die Schulform und die Familiensprache erhoben. Zur Erfassung der Familiensprache gaben die Jugendlichen auf einer vierstufigen Skala (immer Deutsch bis immer eine andere Sprache) an, welche Sprache sie vor allem mit ihren Eltern sprechen. Die Variable wurde anschließend dichotomisiert, indem Schülerinnen und Schülern, die immer oder meistens eine andere Sprache als Deutsch mit ihren Eltern sprachen, der Code 1 zugeordnet wurde und allen anderen Jugendlichen der Code 0. Durchführung Alle Schülerinnen und Schüler nahmen zwischen November und Dezember 2010 an zwei Testsitzungen von jeweils 90 Minuten Dauer teil. Die Jugendlichen bearbeiteten in jeder Sitzung einen Fragebogen, mit denen u. a. die Skalen zur LM erfasst wurden. Die Testaufgaben zum Verstehen literarischer und expositorischer Texte wurden am ersten und am zweiten Testtag in jeweils 45 Minuten Testzeit vorgegeben. Dabei erhielten alle Schülerinnen und Schüler je zwei oder drei expositorische bzw. literarische Texte zur Bearbeitung. Die Datenerhebung wurde im Klassenverband in Gegenwart einer Lehrkraft von geschulten Testleiterinnen und Testleitern durchgeführt. Analysestrategie Die Prüfung der Fragestellung erfolgte anhand eines Strukturgleichungsmodells mit dem Programm Mplus 7.0 (Muthén & Muthén, 1998 - 2012). Als Schätzalgorithmus wurde der WLSMV herangezogen (Weighted Least Squares Means and Variance adjusted), da unser Modell nicht-kontinuierliche Variablen (LM-Items mit vierfach-abgestuftem Antwortformat) enthielt. Alle zentralen Variablen wurden latent modelliert. Als Indikatorvariablen für das Verstehen literarischer und expositorischer Texte verwendeten wir je zwei Parcels, die zuvor durch Oddeven-Zuweisung der Items gebildet und anschließend mittels IRT-Verfahren als WLEs (Weighted Likelihood Estimates) skaliert worden waren. Die Komponenten der LM wurden auf Itemebene latent modelliert. Aufgrund der Stichprobenziehung von Jugendlichen in Schulklassen wurde der hierarchischen Datenstruktur über eine Korrektur der Standardfehler durch Verwendung des Moduls Complex Rechnung getragen. Zusätzlich wurden die Effekte der Schulformzugehörigkeit (über zwei dummykodierte Variablen), des Geschlechts und der Familiensprache auf alle latenten Variablen kontrolliert. Eine Bewertung der Modellpassung erfolgte auf Basis der folgenden Kennwerte: Comparative Fit Index (CFI), Tucker-Lewis Index (TLI) und Standardized Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA). Gegenüber dem klassischen Passungsindikator - der c 2 -Statistik - bieten diese Kennwerte den Vorteil, dass sie teilweise weniger abhängig von spezifischen Stichprobeneigenschaften (v. a. der Stichprobengröße) sind (Kline, 2011). Für den CFI und den TLI weisen Werte ≥ .95 auf einen guten Modellfit hin. Für den RMSEA deuten Werte ≤ .06 auf eine gute sowie Werte ≤ .08 auf eine akzeptable Anpassung des Modells an die empirischen Daten hin (Hu & Bentler, 1999; Schermelleh-Engel, Moosbrugger & Müller, 2003). Die Beurteilung der statistischen Bedeutsamkeit differenzieller Zusammenhänge zwischen Komponenten der intrinsischen und extrinsischen LM und dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte erfolgte auf der Basis von Wald-Tests (Wald, 1943). Umgang mit fehlenden Werten Fehlende Werte lagen für die Variablen Geschlecht (3,6 %), Verstehen literarischer (6,1 %) und expositorischer Texte (5,3 %), Lesemotivation (6,4 % - 10,7 %) sowie Familiensprache (6,9 %) vor und wurden mit der Methode der multiplen Imputation geschätzt. Mittels Markov-Chain-Monte-Carlo- (MCMC)-Schätzung wurden mit dem Programm Mplus 7.0 m = 10 vollständige Datensätze generiert. Die Strukturgleichungsanalyse wurde auf Basis der zehn imputierten Datensätze durchgeführt und die Ergebnisse nach den Regeln von Rubin (1987) kombiniert. Lesemotivation und das Verstehen literarischer vs. expositorischer Texte 119 Ergebnisse Deskriptive Ergebnisse Einen Überblick über die Mittelwerte, Standardfehler der Mittelwerte und Interkorrelationen sowie Partialkorrelationen der Untersuchungsvariablen gibt Tabelle 1. Die durchschnittlichen Ausprägungen für die erlebnis- und gegenstandsbezogene intrinsische LM fallen etwas höher aus als für die Komponenten extrinsischer LM (vgl. auch Schaffner & Schiefele, 2007 a). Deutlich wird darüber hinaus, dass die leistungsbezogene extrinsische LM keine bedeutsamen Zusammenhänge mit beiden Formen des Textverstehens aufweist, wohingegen die wettbewerbsbezogene LM negativ mit dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte korreliert. Diese negativen Zusammenhänge treten unter Kontrolle der Hintergrundvariablen Geschlecht, Schulform und Familiensprache allerdings nicht mehr auf. Die gegenstands- und erlebnisbezogene intrinsische LM korrelieren dagegen mit beiden Indikatoren des Textverstehens jeweils positiv, sowohl in der bivariaten Betrachtung als auch unter Kontrolle der Hintergrundvariablen. Zudem ist erkennbar, dass Mädchen beim Verstehen literarischer und expositorischer Texte sowie in beiden Komponenten der intrinsischen LM und der leistungsbezogenen extrinsischen LM höhere Ausprägungen aufweisen als Jungen. Jugendliche mit nicht-deutscher Familiensprache geben höhere Werte in beiden Komponenten extrinsischer LM (leistungs- und wettbewerbsbezogen) an und erreichen niedrigere Leistungen im literarischen und expositorischen Textverstehen als Schülerinnen und Schüler mit deutscher Familiensprache. Substanzielle Zusammenhänge mit der Schulform ergeben sich zum einen in Bezug auf das literarische und expositorische Textverstehen, wobei Jugendliche an Gymnasien die je- M SE 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 1) Verstehen lit. Texte 0.39 0.08 .39** .05 -.01 .26** .24** - - 2) Verstehen exposit. Texte 0.90 0.08 .51** .04 -.05 .14** .20** - - 3) Leistungsbezogene LM 2.25 0.04 -.03 -.03 .56** .33** .52** - - 4) Wettbewerbsbezogene LM 1.76 0.03 -.12** -.14** .59** .26** .36** - - 5) Erlebnisbezogene LM 2.55 0.04 .32** .20** .34** .21** .52** - - 6) Gegenstandsbezogene LM 2.81 0.04 .30** .25** .51** .31** .57** - - 7) Geschlecht 0.53 0.03 -.13** -.08* -.19** -.03 -.32** -.27** - 8) Familiensprache 0.15 0.02 -.16** -.17** .14** .12** -.02 <.01 -.04 9) Hauptschule 0.30 0.05 -.37** -.31** .25** .27** -.08* -.07 -.02 .25** 10) Gymnasium 0.39 0.06 .39** .35** -.14** -.19** .14** .14** .07 -.16** Tab. 1: Deskriptive Statistiken und Korrelationen zwischen Textverstehen, LM-Komponenten und Hintergrundmerkmalen Anmerkungen: Dargestellt sind Mittelwerte (M) und Standardfehler der Mittelwerte (SE) sowie Interkorrelationen unterhalb der Diagonalen und Partialkorrelationen (kontrolliert für Geschlecht, Familiensprache, Schulformzugehörigkeit) oberhalb der Diagonalen. Für die Textverstehensvariablen wurden WLEs unter Berücksichtigung aller Items verwendet. Für alle anderen Variablen Skalenmittelwerte. Geschlecht: 0 = weiblich, 1 = männlich; Familiensprache: 0 = meistens Deutsch, 1 = meistens nicht Deutsch. Für die Schulformzugehörigkeit gilt 0 = nicht zugehörig, 1 = zugehörig. N = 1499. ** p < .01. * p < .05. 120 Sofie Henschel, Ellen Schaffner weils höchsten und Jugendliche an Hauptschulen die jeweils niedrigsten Leistungen erzielen. Zum anderen ist die Schulform mit beiden Formen der LM assoziiert. Während die intrinsische LM mit dem Leistungsniveau der Schulform ansteigt, ist für die extrinsische LM ein Absinken mit dem Leistungsniveau der Schulform zu beobachten. Strukturelle Beziehungen zwischen Komponenten der intrinsischen und extrinsischen LM und dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte Das untersuchte Strukturgleichungsmodell ist in Abbildung 1 dargestellt. Das Modell überprüft, inwiefern einzelne Dimensionen der LM über andere Facetten der LM hinaus zur Erklärung des literarischen und expositorischen Textverstehens beitragen. Die Modellprüfung zeigt, dass die Indikatoren der Modellpassung zufriedenstellend bis akzeptabel ausfallen. Aus der Analyse wird ersichtlich, dass die leistungsbezogene extrinsische LM das Verstehen literarischer und expositorischer Texte nicht substanziell aufklärt. Für die wettbewerbsbezogene LM sind dagegen signifikante negative Effekte auf beide Verstehensformen zu verzeichnen, die sich aber nicht bedeutsam voneinander unterscheiden (Walds c ²(1) = 0.33, p = .57). Folglich unterscheiden sich die Effekte extrinsischer LM für die leistungs- und wettbewerbsbezogene Komponente, aber nicht in Abhängigkeit von der jeweils erklärten Verstehensform. Demgegenüber unterscheiden sich die Effekte der intrinsischen LM sowohl für die gegenstands- und erlebnisbezogene Komponente als auch in Abhängigkeit von der erklärten Verstehensform. Während die gegenstandsbezogene LM positiv mit beiden Formen des Textverstehens assoziiert ist, weist die erlebnisbezogene LM ausschließlich einen Effekt auf das Verstehen literarischer Texte auf. Zwar lässt sich das Verstehen expositorischer Texte auf Basis der gegenstandsbezogenen LM tendenziell besser erklären als das literarische Textverstehen, statistisch bedeutsam ist dieser Unterschied aber nicht (Walds c ²(1) = 1.25, p = .26). Die Zusammenhänge zwischen der erlebnisbezogenen LM und dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte fallen dagegen differenziell aus (Walds c ²(1) = 8.29, p < .01). Die erlebnisbezogene LM erklärt demnach einen signifikant größeren Varianzanteil im Verstehen literarischer als expositorischer Texte. Die auf Ebene der Korrelationen ermittelten Geschlechterdifferenzen im Verstehen literarischer und expositorischer Texte (zugunsten der Mädchen) lassen sich in dem Modell - unter Kontrolle der motivationalen Merkmale, der Familiensprache und der Schulformzugehörigkeit - nicht mehr aufzeigen. Die Zusammenhänge zwischen der Schulform bzw. Familiensprache und beiden Formen des Textverstehens bleiben dagegen signifikant. Insgesamt können unter Einbezug sämtlicher LM-Komponenten und der Kontrollvariablen für das Verstehen literarischer Texte 51 % Varianz aufgeklärt werden. Davon sind 12 % bzw. 5 % auf die gegenstandsbzw. erlebnisbezogene LM zurückzuführen. Für das Verstehen expositorischer Texte werden durch die einbezogenen Merkmale 34 % Varianz erklärt, wobei 14 % durch die gegenstandsbezogene LM aufgeklärt werden. Diskussion In bisherigen Studien leistete die habituelle intrinsische LM neben kognitiven Merkmalen einen bedeutsamen Beitrag bei der Erklärung des allgemeinen Textverstehens (vgl. Schiefele et al., 2012). Studien, die einzelne Komponenten der intrinsischen LM (z. B. erlebnisvs. gegenstandsbezogen) und extrinsischen LM (z. B. wettbewerbsvs. leistungsbezogen) separat betrachten und zwischen dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte unterscheiden, lagen bislang jedoch nicht vor. Die vorliegende Studie liefert erste Hinweise darauf, in welchem Ausmaß einzelne Komponenten der intrinsischen und extrinsischen LM Varianz im textartspezifischen Verstehen erklären. Lesemotivation und das Verstehen literarischer vs. expositorischer Texte 121 Effekte der Schulform, der Familiensprache und des Geschlechts Die Effekte der Kontrollvariablen weisen darauf hin, dass Jugendliche einer jeweils höheren Schulform in Bezug auf beide Verstehensarten erwartungsgemäß besser abschnitten als Jugendliche einer niedrigeren Schulform (vgl. Roick, Frederking, Henschel & Meier, 2013). Da die Effekte der Schulform auf das Textverstehen auch im Strukturgleichungsmodell, d. h. unter Kontrolle der habituellen LM, erhalten blieben, können sie nicht allein auf Unterschiede in der LM zurückgeführt werden. Vielmehr unterscheiden sich Jugendliche unterschiedlicher Schulformen in Bezug auf weitere Merkmale (z. B. Vorwissen, Lernbedingungen), die als zusätzliche Erklärungen für die Schulformunterschiede in Betracht zu ziehen sind (vgl. Baumert, Watermann & Schümer, 2003). Übereinstimmend zu früheren Ergebnissen wurde zudem deutlich, dass Jugendliche mit nicht-deutscher Familiensprache geringere Leistungen im Textverstehen und höhere Werte in der extrinsischen LM aufweisen (Stanat, Rauch & Segeritz, 2010). Auch zeigen sich Geschlechtsunterschiede zugunsten der Mädchen bezüglich beider Textverstehensformen sowie in Wettbewerbsbezogene LM R 2 = .11** Erlebnisbezogene LM R 2 = .16** Gegenstandsbezogene LM R 2 = .13** Leistungsbezogene LM R 2 = .12** Verstehen lit. Texte R 2 = .51** Verstehen exposit. Texte R 2 = .34** M ELM 1 ELM 2 ELM 3 ELM 4 GLM 1 GLM 2 GLM 3 GLM 4 LLM 1 LLM 2 LLM 3 LLM 4 WLM 1 WLM 2 WLM 3 WLM 4 LT 1 LT 2 ET 1 ET 2 .40 .26 .38 .46 .53 .38 .42 .45 .81 .85 .78 .70 .83 .76 .67 .70 .85 .86 .68 .71 .77 .87 .67 .64 .38** .45** .32** .66** .61** .70** .34** .22** -.11 -.15* .02 .38* -.05 -.18** .71 .68 .76 .69 .66** Kovariaten Erlebnisbezogene LM Gegenstandsbezogene LM Leistungsbezogene LM Wettbewerbsbezogene LM Verstehen exposit. Texte Verstehen lit. Texte Geschlecht a Familiensprache b Hauptschule c Gymnasium c -.36** -.01 .01 .18** -.32** .02 .01 .20** -.21** .08** .25** .01 -.04 .05 .26** -.08* -.01 -.11** -.14** .21** -.04 -.09** -.19** .24** Abb. 1: Strukturgleichungsmodell zu Zusammenhängen zwischen Komponenten der intrinsischen und extrinsischen LM und dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte. a 0 = weiblich, 1 = männlich. b 0 = meistens deutsch, 1 = meistens nicht deutsch. c 0 = nicht zugehörig, 1 = zugehörig. LM: Lesemotivation; ELM: Erlebnisbezogene LM; GLM: Gegenstandsbezogene LM; LLM: Leistungsbezogene LM; WLM: Wettbewerbsbezogene LM; LT/ ET: Indikatorvariablen des Verstehens literarischer/ expositorischer Texte; M: Methodenfaktor; Schätzalgorithmus: WLSMV. Angaben zur Modellgüte: c 2 = 762.10, df = 203, p < .01, CFI = .95, TLI = .94, RMSEA = .04. Alle Faktorladungen und ** p < .01. * p < .05. N = 1499. 122 Sofie Henschel, Ellen Schaffner der leistungs-, erlebnis- und gegenstandsbezogenen LM. Da die Geschlechterunterschiede im Verstehen literarischer und expositorischer Texte innerhalb des Strukturgleichungsmodells verschwanden, unterstützen unsere Befunde die Ergebnisse aus der PISA-2009-Studie (Artelt, Naumann & Schneider, 2010), wonach der Geschlechtsunterschied im allgemeinen Textverstehen durch Komponenten der intrinsischen LM weitgehend aufgeklärt wurde. Effekte extrinsischer LM auf das Textverstehen Da unser Strukturgleichungsmodell sowohl die konkurrierende Modellierung der intrinsischen und extrinsischen LM als auch relevante Kontrollvariablen (Schulform, Geschlecht, Familiensprache) berücksichtigt, können die hier ermittelten Effekte auf das Textverstehen als besonders aussagekräftig gelten. Zunächst wurde erkennbar, dass die Komponenten der extrinsischen LM entweder keine (leistungsbezogene LM) oder negative (wettbewerbsbezogene LM) Effekte auf die Textverstehensformen haben. Dies stützt die Annahme, dass die extrinsischen Komponenten der LM weder das Verstehen literarischer noch expositorischer Texte begünstigen. Dieser Befund dürfte damit zu erklären sein, dass die extrinsische LM - im Unterschied zur intrinsischen LM - nicht mit der Häufigkeit des Lesens in der Freizeit assoziiert ist (Becker et al., 2010; Schiefele et al., 2012). Eine hohe extrinsische LM sollte demnach nicht zu Übungseffekten durch häufiges Lesen führen und entsprechend nicht zu einem verbesserten Textverständnis beitragen. Die Zusammenhänge zwischen der wettbewerbsbezogenen LM und den Formen des Textverstehens fielen dagegen negativ aus (s. auch Becker et al., 2010). Dies ist insofern plausibel, als es empirische Hinweise dafür gibt, dass wettbewerbsorientierte Ziele den Lernfortschritt behindern können, indem sie z. B. die Aufmerksamkeit der Lernenden von aufgabenrelevanten Informationen ablenken oder unangemessene Strategien zur Bewältigung von Misserfolg nach sich ziehen (Bergin, 1995). Diese Interpretation wird zudem durch Studien gestützt, in denen sich der negative Effekt extrinsischer LM auf das Textverstehen längsschnittlich bzw. unter Kontrolle der früheren Leseleistung aufzeigen ließ (Becker et al., 2010; Wang & Guthrie, 2004). Effekte intrinsischer LM auf das Textverstehen Während die gegenstandsbezogene LM positiv mit beiden Verstehensformen assoziiert ist, hängt die erlebnisbezogene LM - unter Berücksichtigung konkurrierender Faktoren - ausschließlich mit dem Verstehen literarischer Texte zusammen. Dieser Befund könnte dafür sprechen, dass die gegenstandsbezogene LM das Textverständnis textartübergreifend unterstützt, während die erlebnisbezogene LM ausschließlich das Verstehen literarischer Texte begünstigt. Der positive Zusammenhang der gegenstandsbezogenen LM stützt unsere Ausgangsannahme, dass sich infolge der gegenstandsbezogenen LM die Lesefrequenz erhöht und dadurch Verbesserungen im Textverstehen nach sich zieht. Allerdings konnte der erwartete differenzielle Zusammenhang der gegenstandsbezogenen LM zugunsten des faktualen Textverstehens nicht aufgezeigt werden. Stattdessen erklärt die gegenstandsbezogene LM beide Formen des Textverstehens gleichermaßen gut. Dies könnte darauf hinweisen, dass sich die gegenstandsbezogene LM textartunabhängig auf die Lesehäufigkeit auswirkt. Personen mit einer hohen gegenstandsbezogenen LM lesen also möglicherweise sowohl expositorische als auch literarische Texte, sofern sich die Texte auf das Thema beziehen, für das sich die Jugendlichen besonders interessieren (z. B. Berichte, Dokumente oder Kurzgeschichten aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs). Demgegenüber steht bei Jugendlichen mit einer hohen erlebnisbezogenen LM der Wunsch nach stellvertretendem Erleben im Vordergrund. Dieses Handlungsziel lässt sich vermutlich besonders gut durch das Lesen literarischer Lesemotivation und das Verstehen literarischer vs. expositorischer Texte 123 Texte erreichen, da diese Texte in der Regel eine emotionale Funktion aufweisen (Iser, 1976) und die Konstruktion fiktiver Welten im Vordergrund steht (Rosebrock, 2007). Durch den häufigen Umgang mit literarischen Texten sollte insbesondere das literarische Textverstehen gefördert werden. Da die erlebnisbezogene LM enger mit dem literarischen als mit dem expositorischen Textverstehen zusammenhängt, stützen unsere Ergebnisse diese Annahme. Entgegen der ursprünglichen Erwartung weist die erlebnisbezogene LM gar keinen signifikanten Effekt auf das expositorische Textverstehen auf. Dieser Befund lässt sich zunächst gut mit Ergebnissen vereinbaren, die auf ein vergleichbares Zusammenhangsmuster zwischen Empathie und dem Verstehen literarischer und expositorischer Texte hinweisen (Altmann et al., 2012; Henschel & Roick, 2013). So ließen sich z. B. für die Fantasieempathie (d. h. die Fähigkeit, sich emotional in fiktive Figuren hineinversetzen zu können) unter Kontrolle weiterer Erklärungsfaktoren (z. B. weitere Empathiedimensionen) substanzielle Zusammenhänge mit dem Verstehen literarischer, nicht jedoch expositorischer Texte aufzeigen (Henschel & Roick, 2013). Darüber hinaus wurde in einer längsschnittlichen Betrachtung erkennbar, dass sich die Fantasieempathie nicht direkt auf das literarische Textverstehen auswirkt, sondern vermittelt über die intrinsische LM, wobei die erlebnisbezogene LM einen signifikant größeren Varianzanteil vermittelt als die gegenstandsbezogene LM. Gleichzeitig waren - wie in der vorliegenden Studie - beide Komponenten der intrinsischen LM gleichermaßen mit dem literarischen Textverstehen assoziiert (Henschel, 2013). Der in der vorliegenden Studie ermittelte Effekt der erlebnisbezogenen LM auf das literarische Textverstehen könnte - entsprechend unserer theoretischen Annahme - über das häufige Lesen literarischer Texte mediiert werden. Dass sich der Effekt der erlebnisbezogenen LM auf das Verstehen expositorischer Texte als nicht signifikant herausstellte, lässt möglicherweise darauf schließen, dass das häufige Lesen literarischer Texte (infolge einer hoch ausgeprägten erlebnisbezogenen LM) für die Entwicklung des expositorischen Textverstehens weniger relevant ist. Über ein ähnliches Ergebnis berichteten auch Retelsdorf et al. (2011), die im Rahmen einer Längsschnittstudie keinen Effekt der erlebnisbezogenen LM (bezeichnet als Leselust) auf die Entwicklung des allgemeinen Textverstehens ermittelten, sondern ausschließlich einen positiven Effekt der gegenstandsbezogenen LM (bezeichnet als Lesen aus Interesse). Andererseits war die erlebnisbezogene LM - nicht jedoch die gegenstandsbezogene LM - in dieser Studie signifikant mit der Ausgangsleseleistung assoziiert. Dies könnte wiederum darauf hindeuten, dass die gegenstands- und erlebnisbezogene LM in verschiedenen Altersstufen für die Erklärung des Textverstehens unterschiedlich relevant sind. Um dieser Frage weiter nachzugehen, werden zusätzliche Studien benötigt, die die Effekte der gegenstands- und erlebnisbezogenen LM auf das (literarische und expositorische) Textverstehen separat betrachten und gleichzeitig das Leseverhalten der Jugendlichen (Lesehäufigkeit in Bezug auf literarische und expositorische Texte) mit einbeziehen. Einschränkungen und Ausblick Einschränkend ist zu erwähnen, dass das Verstehen literarischer Texte ausschließlich mittels epischer und dramatischer Texte operationalisiert wurde, obwohl literarische Texte auch aus dem Bereich der Lyrik stammen können (Lamping, 2009). Allerdings ermittelten Studien, die das literarische Textverstehen entweder unter Einschluss lyrischer Texte (Frederking et al., 2012; Henschel et al., 2013; Roick et al., 2013) oder ohne lyrische Texte operationalisierten (Gehrer, Zimmermann, Artelt & Weinert, 2013) jeweils vergleichbare Zusammenhänge zwischen dem literarischen und expositorischen Textverstehen. Entscheidend für eine valide Erfassung des literarischen Textverstehens ist daher womöglich weniger die Berücksichtigung aller Textgattungen (Lyrik, Epik, Dramatik) als vielmehr eine ausreichende Dichte typisch lite- 124 Sofie Henschel, Ellen Schaffner rarischer Strukturmerkmale in den eingesetzten Texten, die literarische Verarbeitungsprozesse ermöglichen (vgl. Hoffstaedter, 1986). Sollte diese Einschätzung zutreffen, würden sich die Zusammenhänge zwischen LM und literarischem Textverstehen infolge eines zusätzlichen Einbezuges lyrischer Texte kaum verändern, sofern die lyrischen Texte in einem hinreichenden Ausmaß durch literarische Strukturmerkmale gekennzeichnet wären. Darüber hinaus ist einschränkend anzumerken, dass der vorliegenden Studie ein querschnittliches Design zugrunde lag, weshalb kausale Beziehungen zwischen den untersuchten Merkmalen nur theoretisch angenommen werden können. Die empirischen Ergebnisse sind lediglich als Modelleffekte zu interpretieren, die keine kausalen Aussagen darüber zulassen, wie sich die Zusammenhänge zwischen den untersuchten Merkmalen langfristig entwickelt haben bzw. entwickeln werden. Zur Erforschung von Entwicklungsverläufen werden Längsschnittstudien benötigt, die Hinweise auf kausale Wirkrichtungen liefern. Bisherige Längsschnittstudien stützen insbesondere den Effekt der intrinsischen LM auf die Entwicklung des Textverstehens (Guthrie et al., 2007; McElvany et al., 2008; Retelsdorf et al., 2011), für den auch bereits relevante Mediatoren ermittelt wurden (De Naeghel, Van Keer, Vansteenkiste & Rosseel, 2012; McElvany et al., 2008; Schaffner et al., 2013). Daneben erscheinen u. a. Effekte des Textverstehens auf die LM plausibel. Diese Effekte wurden bisher jedoch nicht ausreichend erforscht. Zwar kommen Morgan und Fuchs (2007) infolge einer Metaanalyse zu dem Schluss, dass zwischen Lesemotivation und Leseleistung eine reziproke Beziehung anzunehmen sei. Allerdings berücksichtigt die Analyse nicht nur die Lesemotivation im engeren Sinne, sondern u. a. auch Zielorientierungen und das lesebezogene Selbstkonzept, für die eine Beeinflussung durch das Textverstehen eher anzunehmen ist als für die intrinsische (z. B. erlebnisbezogene) LM. Zukünftige Längsschnittstudien zum Zusammenspiel von LM und Textverstehen sollten daher explizit auf die Komponenten intrinsischer und extrinsischer LM bezogen sein und - dies legen die vorliegenden Befunde nahe - zwischen literarischem und expositorischem Textverstehen differenzieren. Zusätzlich erscheinen experimentelle Untersuchungsansätze wünschenswert, um die Kausalzusammenhänge zwischen LM und Textverstehen weiterführend zu klären (Schaffner & Schiefele, 2007 b). Literatur Altmann, U., Bohrn, I. C., Lubrich, O., Menninghaus, W. & Jacobs, A. M. (2012, September 29). Fact vs fiction - How paratextual information shapes our reading processes. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 1 - 8. http: / / dx.doi.org/ 10.1093/ scan/ nss098 Anderson, R. C., Wilson, P.T. & Fielding, L. G. (1988). Growth in reading and how children spend their time outside of school. Reading Research Quarterly, 23, 285 - 303. Artelt, C., Naumann, J. & Schneider, W. (2010). 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