Psychologie in Erziehung und Unterricht
3
0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
11
2015
621
Die Grenzen eines Rechts auf schulische Inklusion und die Bedeutung für den Gemeinsamen Unterricht
11
2015
Franziska Felder
Das in der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung festgeschriebene Recht auf inklusive Bildung stellt Bildungssysteme auf der ganzen Welt vor große Herausforderungen. Der Artikel liefert einen Beitrag zur theoretischen Klärung des Konzepts Inklusion. Er schlägt eine systematische Trennung in gemeinschaftliche und gesellschaftliche Inklusion vor. Diese Unterscheidung hat Auswirkungen auf die Frage des Rechts auf inklusive Bildung, denn es zeigt sich, dass ein Recht auf die gemeinschaftlichen Anteile nicht verteidigt werden kann. Der Artikel beleuchtet auch die verschiedenen Aspekte von sozialer Inklusion in der Schule.
3_062_2015_001_0018
Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2015, 62, 18 -29 DOI 10.2378/ peu2015.art03d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel n Theoretische Arbeit Die Grenzen eines Rechts auf schulische Inklusion und die Bedeutung für den Gemeinsamen Unterricht Franziska Felder Universität Zürich Zusammenfassung: Das in der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung festgeschriebene Recht auf inklusive Bildung stellt Bildungssysteme auf der ganzen Welt vor große Herausforderungen. Der Artikel liefert einen Beitrag zur theoretischen Klärung des Konzepts Inklusion. Er schlägt eine systematische Trennung in gemeinschaftliche und gesellschaftliche Inklusion vor. Diese Unterscheidung hat Auswirkungen auf die Frage des Rechts auf inklusive Bildung, denn es zeigt sich, dass ein Recht auf die gemeinschaftlichen Anteile nicht verteidigt werden kann. Der Artikel beleuchtet auch die verschiedenen Aspekte von sozialer Inklusion in der Schule. Schlüsselbegriffe: Inklusion, Moral, Gerechtigkeit, UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung, Gemeinschaft, Gesellschaft The Boundaries of a Right to Inclusive Schooling and its Importance for Inclusive Education Summary: The right to inclusive education, written in the UN Convention for the Rights of Persons with Disabilities, poses a challenge for educational systems all over the world. The article is a contribution to the theoretical clarification of the concept of inclusion. It suggests a categorical differentiation between the types of inclusion found in a community (Gemeinschaft) and in a society (Gesellschaft). This differentiation is important for the understanding of the shape of a right to inclusive education. It becomes evident that a right to inclusion into communities cannot be defended. The article also sheds light on the different aspects of social inclusion in the school context. Keywords: Inclusion, morality, justice, UN Convention for the Rights of Persons with Disabilities, community, society In der Vereinten-Nationen-(UN)-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung ist in Artikel 24 explizit ein Recht auf Beschulung in einem inklusiven Bildungssystem vorgesehen. Konkret heißt es da: „Die Vertragsstaaten anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung. Um dieses Recht ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit zu verwirklichen, gewährleisten die Vertragsstaaten ein integratives Bildungssystem auf allen Ebenen“ (United Nations, 2006). Damit ist eine Zielperspektive formuliert, die in den Bildungssystemen der bislang unterzeichnenden Staaten, unter anderen Deutschland und Österreich, noch lange nicht Realität ist. Im Gegenteil: Die schulische Inklusion steht mit der Ratifizierung und Unterzeichnung der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung vor großen Herausforderungen (Heimlich, 2011). Zwar werden Sonderschulen in den betreffenden Ländern nicht kategorisch verboten, die unterzeichnenden Staaten müssen ihr Bildungssystem aber dennoch tiefgreifender reformieren, als oft vermutet wird (Degener, 2009). Denn ein Recht auf inklusive Bildung fordert die Schule auf vielen Ebenen heraus: der Ebene der Strukturen, des Unterrichts, der interpersonalen Be- Grenzen eines Rechts auf schulische Inklusion 19 ziehungen und der persönlichen Werthaltungen von Lehrpersonen, um nur einige zu nennen (Schwohl & Sturm, 2010). Eine inklusive Schule ist daher auch mit hohen Anforderungen an Beziehungen und Interaktionen sowie an individuelle Entwicklung - insbesondere der Schülerinnen und Schüler - sowie an Werthaltungen und Handlungen von Lehrpersonen verbunden. Wie wahrscheinlich eine umfassende schulische Inklusion tatsächlich ist, ist nämlich nicht nur eine Frage von Makrovorgängen, beispielsweise bildungspolitischen und strukturellen Entscheidungen, sondern spielt sich auch konkret auf der meso- und mikrostrukturellen Ebene zwischen Personen und Organisationen oder Institutionen sowie zwischen Personen ab. Damit geraten in einer mehrdimensionalen Betrachtung neben institutionellen und gesellschaftlichen Aspekten auch psychologische und relationale, beziehungsorientierte und interaktionale in den Fokus (Klein, Kreie, Kron & Reiser, 1987). Welche dieser Aspekte sich aber tatsächlich verrechtlichen lassen respektive sich in einer Forderung nach einem Recht auf inklusive Bildung umsetzen lassen, ist eine offene Frage, die im vorliegenden Beitrag thematisiert werden soll. Die Ausrichtung ist damit philosophisch-rechtlich, beleuchtet also die moralische Ebene von Inklusionsvorgängen, die durch die UN-Konvention angesprochen ist und verschiedene offene Fragen aufwirft. Damit soll vor allen Dingen Einblick in die normativ-konzeptuellen Grundlagen der Forderung nach inklusiver Schule oder Gemeinsamem Unterricht gegeben werden. Die gewählte Zugangsweise ist eine negative. Es wird also nicht gezeigt, was ein Recht auf inklusive Bildung kennzeichnet, sondern vor allen Dingen, was es nicht sein kann. Hierbei wird sich zeigen, dass dies vor allen Dingen die interaktiven, beziehungsorientierten, psychologischen Aspekte von inklusiver Bildung sind. Die im Artikel aufgezeigten Aspekte schulischer Inklusion und insbesondere die Grenzen eines Rechts auf inklusive Bildung sind aber trotz ihrer konzeptuelltheoretischen Ausrichtung auch empirisch und praktisch bedeutsam. Denn mit der Existenz der neuen UN-Konvention entsteht nicht nur eine konzeptuelle Notwendigkeit zur Klärung der Reichweite und Grenzen von Rechten nach inklusiver Bildung (sowie anderen, in den einzelnen Artikeln der Konvention thematisierten Forderungen). Auch die empirische Datenlage zeigt, dass die schulische Inklusion entwicklungsbeeinträchtigter Kinder und Jugendlicher insbesondere im sozialen Bereich gefährdet ist und Bemühungen zur Förderung sozialer Inklusion daher eine große Bedeutung für die Empirie als auch die Praxis haben (Huber, 2006). Gerade vor dem Hintergrund empirischer Erkenntnisse, dass Kinder mit Behinderung unter schlechter sozialer Inklusion leiden (Bless, 2007; Pearl et al., 1998; Siperstein, Norins & Mohler, 2007; Webster & Carter, 2007), kommt der Frage nach einem Recht auf schulische Inklusion respektive einem Gemeinsamen Unterricht besondere Bedeutung zu. Dies liegt nicht zuletzt an der Natur von Rechtsforderungen. Denn ein Recht ist ein besonders starker moralischer (und, sofern er in juridisches Recht umgesetzt wurde, auch legaler) Anspruch. Pflichten, die auf dritter Seite ausgelöst werden, sind daher in der schulischen Praxis verbindlich und nachprüfbar umzusetzen. Im vorliegenden Artikel wird eine spezifische Sichtweise eingenommen: Schulische Inklusion wird anhand der Behindertenrechtskonvention, die in Artikel 24 ein Recht auf schulische Inklusion vorsieht, thematisiert. Dabei wird die Argumentation sozusagen von hinten aufgerollt: Aufbauend auf Bedingungen von Rechten und einer in der Soziologie geläufigen Unterscheidung zwischen Gemeinschaft und Gesellschaft respektive gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Inklusion folgen skizzenartig Überlegungen zu den Herausforderungen, die aus dem Gesagten für den Gemeinsamen Unterricht folgen. Im daran anschließenden Teil soll dann auf die Grenzen eines Rechts auf Inklusion eingegangen werden. Diese Grenzen weisen auch auf wichtige Dilemmata eines Gemeinsamen Unterrichts hin, die mit einer Rechtsforderung weder adäquat erfasst noch gelöst werden können. Daher kommt im ab- 20 Franziska Felder schließenden Teil die Rede auf diese Dilemmata und Herausforderungen für die Ausbildung und Professionalisierung des Lehrpersonals, aber auch für die Gestaltung eines guten, inklusionsfördernden Klassenklimas. Die Bedeutung und Konstituierung von Rechten Für alle Rechte respektive jede Form von Rechten, moralischen wie legalen, gilt: Rechte sind zwingend an Pflichten gebunden, sie koexistieren notwendigerweise. Dies hat mit der dreistelligen Relation von Rechten zu tun. Man spricht von Rechtssubjekt oder Träger des Rechts, dem Gegenstand des Rechts (beispielsweise schulischer Inklusion) sowie dem Rechtsobjekt, dem Träger der Pflicht. Würde man das Ganze auf eine Formel bringen, könnte diese folgendermaßen lauten: A hat gegenüber B ein Recht auf X. Ein Recht muss sich immer an jemanden richten, es kann nicht einfach so im luftleeren Raum existieren. Ja, die besondere Bedeutung von Rechten rührt gerade daher, dass sie mit Pflichten korrelieren respektive Pflichten auf dritter Seite auslösen. Wo man von einem Recht spricht, spricht man also - oft auch indirekt - immer von Pflichten. Man kann auch sagen, dass Rechte Gründe für Pflichten anderer Menschen (oder Institutionen) sind (Raz, 1984). Diese Tatsache macht Rechte zu besonders starken Ansprüchen, denn die korrespondierenden Pflichten sagen ja gerade nicht, was gut oder wünschenswert - aber letztlich freiwillig - ist, sondern was moralisch oder rechtlich geboten oder verboten ist. Dabei besteht insbesondere eine Schwierigkeit: Nicht immer ist nämlich eindeutig, was die Pflicht beinhaltet. Die Pflicht muss nicht in jedem Fall inhaltsgleich zum Recht sein. Rechte sind vielmehr Grundlagen für Pflichten, sie können aber mehrere Pflichten beinhalten oder es kann unklar sein, an wen sie sich genau richten. Was aber sind nun die Bedingungen für ein Recht auf - beispielsweise - schulische Inklusion? Der Rechtsgegenstand, hier also inklusive Bildung, ist durch drei Bedingungen geprägt (Boshammer, 2003). Erstens muss es sich bei inklusiver Bildung um einen Gegenstand handeln, der sich erzwingen lässt. Inklusive Bildung muss mit anderen Worten verpflichtend sein. Auf Güter, die freiwillig sind respektive deren Wert zwingend an Freiwilligkeit gebunden ist, gibt es kein Recht. So gibt es beispielsweise kein Recht auf Dankbarkeit oder Liebe. Zweitens muss inklusive Bildung auch in der Verfügungsmacht des Pflichtenträgers sein. Es muss dem Träger der Pflicht mit anderen Worten möglich sein, das Recht überhaupt umzusetzen oder zu beachten. Für vieles, beispielsweise Gefühle wie Glück oder Trauer, gilt das beispielsweise nicht oder nur in einem eingeschränkten Maße. So gibt es kein Recht, glücklich zu sein. Dies, weil es nur in eingeschränktem Maß und nur für bestimmte Menschen überhaupt möglich ist, zu diesem Zustand etwas beizutragen. Drittens muss es sich um fundamentale Güter handeln. Inklusive Bildung muss mit anderen Worten so bedeutsam für das Leben von Menschen sein, dass es angebracht ist, es mit einem Recht zu schützen. Rechte sind moralisch starke Ansprüche, denn sie stellen für eine dritte Seite erhebliche Freiheitseinschränkungen dar. Die Befriedigung der mit einem Recht verbundenen Interessen muss daher mehr sein als eine private Angelegenheit. Diese Bedingungen, einen Gegenstand mit Rechten abzusichern, müssen im Hinterkopf behalten werden, bevor sie in einem späteren Schritt mit Inhalt gefüllt und für die Thematik der inklusiven Bildung erläutert werden. Als Nächstes soll ein Vorschlag im Zentrum stehen, der für die Analyse von Rechten auf Inklusion weiterführend und klärend ist. Es geht dabei um den konzeptuellen Vorschlag, Sphären der Inklusion zu unterscheiden. Sphären der Inklusion Im Folgenden werden zwei Sphären der Inklusion vorgeschlagen, die insbesondere in der Soziologie wichtige Grundlagen in der Analyse sozialer Phänomene wie Inklusion darstellen: Gemeinschaft und Gesellschaft respektive ge- Grenzen eines Rechts auf schulische Inklusion 21 meinschaftliche Inklusion und gesellschaftliche Inklusion. Beide Sphären haben im Kontext der Schule eine herausragende Bedeutung. Dies zum einen, weil sie hier (wie in anderen Lebenskontexten) überlappend sind und daher teilweise in Spannung geraten. Zum anderen, weil die beiden Sphären für die Frage des Rechts auf inklusive Beschulung Folgen haben. Die Unterscheidung in gemeinschaftliche und gesellschaftliche Inklusion folgt in gewisser Weise dem Modell von Klein et al. (1987), die ein sogenanntes Mehrebenenmodell von Integration vorschlagen. Wie das Modell der Autoren geht das vorliegende mit seiner Unterscheidung zwischen gesellschaftlicher und gemeinschaftlicher Inklusion davon aus, dass Inklusion vieldeutig ist und unterschiedliche Prozesse wirksam werden. Allerdings sind der theoretische Hintergrund sowie die Ausrichtung des Modells anders gelagert. Vier Unterschiede können betont werden: Erstens hat das Modell von Klein et al. seinen theoretischen Hintergrund in der Themenzentrierten Interaktion, während die vorliegende Unterscheidung in gemeinschaftliche und gesellschaftliche Inklusion einer soziologischen Grundkategorie entspricht, die darüber hinaus normativ fruchtbar gemacht werden kann und somit nicht nur deskriptiven Ansprüchen genügt. Zweitens geht das Modell von Klein et al. davon aus, dass integrative Prozesse aufbauend sind. Die Autoren schreiben dazu: „Die innerpsychische Ebene ist die Grundlage aller folgenden Ebenen insofern, als ohne sie auf allen weiteren Ebenen keine Einigungen gelingen können“ (Klein et al., 1987, S. 39). Wer beispielsweise seine Behinderung nicht akzeptiert, kann von seiner Umwelt nicht integriert werden. Das von mir vertretene Modell ist demgegenüber einfacher, schematischer und nimmt nur eine, allerdings zentrale Unterscheidung in den Blick, die bei der Frage nach den Rechten auf inklusive Bildung bedeutsam wird, nämlich die, ob es sich um Begegnungen zwischen konkreten anderen oder abstrakten anderen handelt. Drittens geht das im Artikel vertretene Modell anders als das Modell von Klein et al. davon aus, dass Inklusion immer soziales Handeln umfasst, dass dieses Handeln aber ebenfalls abstrakt sein, also institutionelles Handeln darstellen kann. Beim Modell von Klein et al. hingegen ist nur die interaktionelle Ebene eine Handlungsebene, während die gesellschaftliche Ebene normativ und die institutionelle administrativ ist. Viertens ist mit der Frage nach den Rechten auf Inklusion in meinem Modell eine normative Ausrichtung impliziert, die sich nicht auf eine bestimmte Ebene alleine bezieht, sondern umfassend ist. Normative, also letztlich moralisch-ethische Aspekte um inklusive Bildung können in dieser Sichtweise nie nur die gesellschaftliche Ebene umfassen, sondern bedingen auch psychische, interaktionelle und institutionelle Gesichtspunkte. Die analytische Trennung in gemeinschaftliche und gesellschaftliche Inklusion hat zwar in der Analyse des Konzepts Inklusion durch die Sonder- oder Inklusionspädagogik bislang nicht weite Verbreitung gefunden. Dennoch haben einige Autoren, allerdings ohne sie ausführlich zu besprechen, Sphären von Inklusion unterschieden - unter ihnen Otto Speck (1995), Wolfgang Jantzen (2010) und Karl-Heinz Wisotzki (2000). Letzterer spricht von „zwei Räumen“ von Inklusion und schreibt weiter (2000, S. 32): „Auf der einen Seite haben wir einen Bereich, in dem die interpersonalen Beziehungen besonders zum Tragen kommen. Das ist für jeden Menschen zunächst einmal seine Familie und mit zunehmendem Alter die sich jeweils bildenden Peer-Groups. Auf der anderen Seite besteht ein Bereich, der dem ersten in einer noch näher zu bestimmenden Weise übergestülpt ist, und in dem ein größerer Abstand zwischen dem Einzelnen und den anderen Mitgliedern der Gemeinschaft besteht. Das sind die verschiedenen staatlichen Organisationen, die von der Wohngemeinde bis hin zum Gesamtstaat reichen. Der personale Abstand wird immer grösser. Beide Räume sind miteinander verflochten. Der kleinere Raum ist dadurch gekennzeichnet, dass bei den einzelnen Mitgliedern unmittelbare, interpersonale und emotionale moralische Verbindungen bestehen. […] Der kleinere Raum dagegen ist durch ein Sys- 22 Franziska Felder tem von rechtlichen Regelungen strukturiert.“ Auch Otto Speck (1995) unterscheidet zwei Sphären, nennt sie allerdings primäre und gesellschaftliche Inklusion. Die Unterschiede sind nach ihm, dass in der ersten Form der Inklusion die Zugehörigkeit des Einzelnen von unmittelbarer, interpersonaler Art ist und die Ansprüche an diese Form der Inklusion emotional geprägt sind. In der gesellschaftlichen Sphäre wiederum bedürfe es rechtlicher Strukturen, welche zwar für die personale Zugehörigkeit, der primären Form von Inklusion, notwendig seien, diese aber nicht absichern würden. Jantzen (2010) schließlich spricht von gesellschaftlicher und gemeinschaftlicher Inklusion und ist der Ansicht, dass die gesellschaftliche Inklusion die primäre sei und auf die sekundäre, die gemeinschaftliche, verweisen würde. Er versucht auch als einziger der drei Autoren, das Phänomen der Inklusion über die Exklusion zu beschreiben und zu erfassen. Jantzen ist der Ansicht, dass die primäre, gesellschaftliche Exklusion als sekundäre, gemeinschaftliche erfahren wird, letztlich aber auf die gesellschaftliche zurückweise. In der Tradition der materialistischen Behindertenpädagogik argumentierend liegt für ihn die Lösung konsequenterweise in der Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, insbesondere der Arbeits- und Produktionsverhältnisse, welche behinderte Menschen zu Überflüssigen und Entbehrlichen machten. Worauf aber bauen die Unterscheidungen dieser drei Autoren auf? Sie beziehen sich auf eine in der Soziologie seit ihren Anfängen vertretene systematische Unterscheidung gesellschaftlicher und gemeinschaftlicher Verhältnisse (Weber, Tönnies, Durkheim). Sie geht dabei von der Beobachtung aus, dass nicht alle Formen von Begegnungen zwischen Menschen und/ oder Institutionen auf derselben Grundstruktur aufbauen. Menschen begegnen sich anders, unterschiedliche Beziehungen werden aktiv und mannigfache über Anerkennungsmodi vermittelte Funktionsmechanismen werden wirksam. Erstens unterscheiden sich die Sphären dahingehend, dass für die erste, gemeinschaftliche Sphäre zwischenmenschliche Beziehungen konstitutiv sind, während sich gesellschaftliche Bezüge nicht auf interpersonelle Bezüge reduzieren lassen. Während sich also in der gemeinschaftlichen Sphäre Menschen als konkrete andere begegnen, tun sie das in der zweiten als abstrakte andere, als Bürger beispielsweise. Die beiden Sphären formieren sich auch unterschiedlich. Während die Sphäre gesellschaftlicher Inklusion vorwiegend zweckrational gebildet ist, baut die gemeinschaftliche vorwiegend auf den Zusammengehörigkeitsgefühlen der einzelnen auf. Solche Zusammengehörigkeitsgefühle sind beispielsweise für Freundschaften oder Liebesbeziehungen bestimmend. Diese Arten von Beziehungen stellen denn auch paradigmatische Gemeinschaftsbeziehungen dar. Gesellschaftliche Inklusion ist demgegenüber nicht beschreibbar als ausschließliches Beziehungsgeflecht zwischen Individuen. An gesellschaftlichen Prozessen und Zuständen sind nämlich nicht nur Individuen, sondern auch Institutionen und Organisationen beteiligt. Diese sind in dem Sinne überindividuell, als sie nicht über eine Ansammlung einzelner Individuen beschrieben werden können. Zwar sind die beiden Sphären nicht unabhängig voneinander zu sehen. In Realität überlappen sie sich und stellen unterschiedliche Gesichtspunkte unserer sozialen Lebenswelt dar. Menschen bewegen sich in dieser Lebenswelt und ihre Inklusion ist sowohl vielfältig gemeinschaftlich als auch gesellschaftlich geprägt. Auch wenn also die Sphären distinkt sind, beeinflussen sie sich wechselseitig. So sind gemeinschaftliche Verhältnisse von gesellschaftlichen Institutionen geprägt. Das zeigt sich konkret am Schutz bestimmter gemeinschaftlicher Verhältnisse durch gesellschaftliche, beispielsweise den Schutz der Familie durch den Staat. Staatliche Regulierungen wie steuerliche Begünstigungen prägen so teilweise die Freiheitsgrade gemeinschaftlicher Verbindungen. Umgekehrt ist es so, dass gemeinschaftliche Verbindungen gesellschaftliche prägen. Die abstrakte Bürgerin bzw. der abstrakte Bürger ist ja immer auch ein konkreter Mensch mit unterschiedlichen, gemeinschaftlich geprägten Rollen. Er ist bei- Grenzen eines Rechts auf schulische Inklusion 23 spielsweise Vater, Freund oder Trainingspartner im Tennisclub. Und schließlich gehört der Mensch auch ganz generell immer unterschiedlichen Zugehörigkeitskollektiven an, die sich in ihrer Reichweite unterscheiden. Er gehört der Gattung Mensch an, er hat ein Geschlecht, eventuell eine Religion, eine Nationalität, eine Ethnie usw. Einige dieser Zugehörigkeiten sind festgeschrieben, andere - beispielsweise die Zugehörigkeit zu einem Verein - sind frei gewählt. Die Bedeutung der Unterscheidung gemeinschaftliche-gesellschaftliche Sphäre liegt denn auch nicht in der Bestimmung des Menschen als Gemeinschafts- oder Gesellschaftswesen, sondern in den Wirkungslogiken, die für die jeweiligen Sphären bestimmend sind. Dies zeigt sich besonders deutlich an der Frage des Rechts. Bevor nun geklärt werden kann, ob Inklusion als möglicher Gegenstand eines Rechts diese Bedingungen erfüllt und damit legitimerweise als (Menschen-)Recht propagiert werden kann, soll die Komplexität von Inklusion in der Schule respektive inklusiver Bildung, gerade auch vor dem Hintergrund der konzeptuellen Unterscheidung zwischen gemeinschaftlicher und gesellschaftlicher Inklusion, zur Sprache kommen. Die Herausforderung für inklusive Bildung Die Schule ist, wie viele andere Lebensbereiche auch, weder einzig Gemeinschaft noch ausschließlich Gesellschaft. Vielmehr stellt eine Schulklasse eine paradigmatische Form von Gemeinschaft dar, während die Schule als Organisation zwar noch nicht Gesellschaft ist, aber einem gesellschaftlichen Auftrag entspricht. Dieser Auftrag ergibt sich nach Fend (2006) aus der Förderung der Entwicklung von Menschen, die von Institutionen geprägt werden. Diese organisieren Lernerfahrungen, die sich natürlicherweise nicht so ergeben würden. Institutionen der Bildung benötigen dazu Technologien und Strukturierungsmaßnahmen, aber auch geteilte Werte und Deutungsmuster, die den Einzelnen helfen, sich in der Gemeinschaft der Schulklasse, aber auch in der Gesellschaft als Ganzes sinnvoll aufeinander zu beziehen. Die Werte und Deutungsmuster können aber nicht einfach als starre, festgeschriebene Regeln gesehen werden. Sie müssen von den Einzelnen auch akzeptiert werden. Dazu ist Vertrauen notwendig, die Einübung in grundlegende gesellschaftliche Werte, Konventionen und Normen sowie ein Wissen um kulturelle Traditionen und politische Abläufe. Aber auch ein inneres, gemeinschaftlich geprägtes Gefühl der Zusammengehörigkeit, eine Anerkennung des gemeinsamen Handelns sowie gemeinsamer Verpflichtungen sind zentral. Soziologisch betrachtet stellt die Schule dabei ein Partialsystem der Gesellschaft dar. Was in ihr allerdings pädagogisch geschieht, lässt sich nicht über die Logik gesellschaftlicher Prozesse beschreiben respektive adäquat verstehen. Herzog (2009, S. 164) schreibt dazu: „Als Sozialisationsinstanz bildet die Schule eine Art Scharnier zwischen Familie und Gesellschaft, einen Ort der Vermittlung zwischen Natur und Kultur, Vergangenheit und Zukunft, Kindheits- und Erwachsenenwelt, weshalb es im Auftrag der Schule liegt, die Gesellschaft nicht ungebremst auf die Kinder und Jugendlichen einströmen zu lassen, sondern für deren Gesellschaftsfähigkeit allererst zu sorgen. Von ihrer Aufgabe her kommt der Schule ein intermediärer Status zu, der sie in einem sozialen Zwischenraum zwischen Familie und Gesellschaft platziert.“ Die Schule kann damit als Ort zwischen einer Gemeinschaft - der Familie - und der Gesellschaft, in die Heranwachsende zu Bürgerinnen und Bürgern herangebildet werden, bezeichnet werden. Gleichzeitig ist die konkrete Form der Schule, eine Schulklasse, selbst eine Gemeinschaft. Die Integrationsfunktion der Schule, nach Fend (2006) eine neben beispielsweise Allokation, Selektion und Qualifikation weitere gesellschaftliche Funktion der Schule, dient einerseits des inneren Zusammenhalts der Gesellschaft. Abgesichert werden soll damit die zukünftige politische Teilhabe und soziale Identität der zukünftigen Bürgerinnen und Bürger. 24 Franziska Felder Durch das Bildungswesen soll Demokratie abgesichert und gesellschaftliche Zugehörigkeit gestärkt werden. Durch Bildung soll sozialer Zusammenhalt auf der gesellschaftlichen wie der gemeinschaftlichen Ebene erreicht und damit nicht zuletzt auch zu einer positiven individuellen Identitätsentwicklung und zu sozialer Verantwortung und Nachhaltigkeit beigetragen werden. Im schulischen Mikrosystem des Unterrichts erfahren die Schülerinnen und Schüler Beziehungen zu unterschiedlichen Personen, allen voran ihren Lehrpersonen und den Peers. Die umfassenden Aufgaben und Funktionen von Bildung können nur gewährleistet und umgesetzt werden, wenn es gelingt, die zwei Sichtweisen - gemeinschaftliche wie gesellschaftliche - zu harmonisieren und damit zu einer umfassenden Inklusion beizutragen. Diese Integrationsfunktion, die eine gesellschaftliche Aufgabe und Herausforderung ist und der Schule übertragen wird, kann allerdings auf der Mikroebene von Bildung - im Unterricht also und den prägenden zwischenmenschlichen Beziehungen - nur gemeinschaftlich geleistet werden. Der Grund liegt nicht zuletzt auch darin, dass die Erfüllung der Aufgabe von Individuen als Zugehörigkeit empfunden werden muss. Diese Zugehörigkeitsgefühle oder das Empfinden von Inklusion sind aber nur partikular erlebbar. Damit entsteht eine Ambivalenz zu den anderen gesellschaftlichen Funktionen von Bildung, insbesondere Qualifikations- und Selektionsfunktion, welche sich an einer objektiv messbaren Leistung ausrichtet. Insbesondere für Kinder und Jugendliche mit erhöhtem Hilfe- und Unterstützungsbedarf ergibt sich dabei folgende Problematik: Das Setzen einer Leistungserwartung führt zwingend zu einer Gruppe, welche diese Leistungen nicht erfüllt und daher an den Selektionshürden (beispielsweise für weiterführende Schulen) scheitert. Dieses Scheitern aber kann negative Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl sowie die Identitätsentwicklung, den sozialen Zusammenhalt und die für Inklusion notwendige zwischenmenschliche Anerkennung haben. Damit gefährdet die Durchsetzung einer Funktion von Bildung letztlich eine andere. Denn die erfolgreiche Verwirklichung inklusiver Bildung hängt nicht nur davon ab, wie der gesellschaftliche Bildungsauftrag aussieht, sondern inwiefern die gemeinschaftliche Gestaltung von Bildung respektive Schule gelingt. Herzog (2009, S. 168) bemerkt dazu: „Der Erfolg von Schule ist abhängig von der Fähigkeit der Lehrkräfte mit den Schülerinnen und Schülern zu kooperieren und sie sowohl zur aktiven Mitwirkung am Unterricht als auch zu selbständigem Lernen zu motivieren. Dadurch wird die soziale Basis des Unterrichts als konstitutiv nicht nur für das Lehren, sondern auch für das Lernen sichtbar. Der Unterricht lässt sich nicht angemessen verstehen, wenn er nur in der Perspektive des Lehrerhandelns erschlossen wird. Selbst seine pädagogischen Leistungen kann er nur erbringen, wenn er als Interaktionssystem begriffen wird.“ Daher sind bei der Problematik der gemeinschaftlichen wie gesellschaftlichen Inklusion immer auch die Interaktionen und Beziehungen zu betrachten. Lernen wie soziale Inklusion in Schule und Unterricht findet in sozialisations- und entwicklungsrelevanten Systemen statt (Bronfenbrenner, 1979). Die Auswirkungen mangelnder Inklusion auf Lernen wie auch die individuelle Entwicklung dürfen daher nicht unterschätzt werden. Aber ist das genügend Grund, inklusive Bildung durch ein Recht zu schützen? Das Recht auf inklusive Bildung: Was es nicht sein kann An der Gemeinschaft der Schulklasse, am Klassenleben sowie an Beziehungen und Interaktionen zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern sowie zwischen der Schülerschaft, welche ebenfalls Teil von Bildungsprozessen sind, stößt ein mögliches Recht auf inklusive Bildung an Grenzen. Dies hängt, wie eingangs ausgeführt, mit der Natur von Rechten und ihrer Konstituierung zusammen, die an drei Bedingungen geknüpft ist. Ein Recht auf inklusive Bildung kann erstens deshalb nicht durchgesetzt werden, weil die gemeinschaftlich ge- Grenzen eines Rechts auf schulische Inklusion 25 prägten Interaktionen und Beziehungen respektive die mit ihnen verbundenen affektiven Einstellungen und Gefühle nicht über ein Recht abgesichert werden können. Wie bereits an früherer Stelle erwähnt, ist der Gegenstand eines Rechts wie beispielsweise inklusive Bildung ganz grundsätzlich an drei Bedingungen geknüpft. Nur die dritte Bedingung, ein wichtiges Interesse eines Menschen (und kein triviales wie beispielsweise Rasenmähen oder Eistee trinken) abzubilden respektive abzusichern, ist bei inklusiver Bildung unbestritten der Fall. In Gemeinschaften wie auch die Gesellschaft respektive Institutionen der Gesellschaft inkludiert zu sein, entspricht nicht nur einem Bedürfnis des Menschen - etwas, worauf der Ausspruch, der Mensch sei ein soziales Wesen, hinweist. Auch viele Interessen des Menschen werden sozial verwirklicht und bedingen daher einer Inklusion, in welchen Kontext auch immer. Auch dass ein inklusives Schulsystem, welches bestimmte Gruppen von Kindern und Jugendlichen nicht bereits von vornherein ausschließt, eine wichtige Ausgangsbasis und auch eine Bedingung und ein Lernfeld für nachfolgende gesellschaftliche Kohäsion darstellt, ist unbestritten. Das Anliegen, dass auch Kinder mit Behinderung regulär mit anderen Kindern beschult werden, entspricht daher nicht nur einem Grundsatz von Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit, wie es in der UN- Konvention dargelegt ist, sondern auch Überlegungen zum sozialen Zusammenhalt in einer Gesellschaft und ihren letztlich gemeinschaftlichen Grundlagen. Das Problem liegt vielmehr an der ersten und zweiten Bedingung, Grundlage eines Rechts darstellen zu können. Das ist erstens die Frage nach der Erzwingbarkeit von (in einem umfassenden Verständnis) inklusiver Bildung. Wie bereits geschrieben, lässt sich ein Recht bei Gegenständen, zu denen Freiwilligkeit zwingend dazu gehört, nicht einfordern respektive nicht legitimieren. Wie ist das nun konkret bei schulischer Inklusion? Hier zeigt sich, dass der Gesichtspunkt gemeinschaftlicher Inklusion entscheidend ist. Denn auf sie besteht kein rechtlicher Anspruch. Dies kann folgendermaßen gezeigt werden: Ein paradigmatischer Fall gemeinschaftlicher Inklusion ist die Freundschaft. Diese kann ganz unterschiedliche Formen annehmen, sie zeichnet sich aber immer dadurch aus, dass Freiwilligkeit zu ihrem Kernbestandteil gehört. Schließlich ist niemand eines anderen Freund, weil er dies muss. Freundschaft ist im Gegenteil eine freiwillig gewählte nahe Verbindung, die erst nachträglich und eventuell mit bestimmten Verpflichtungen und gegenseitigen Erwartungen einhergeht. Die Freiwilligkeit ist mit anderen Worten ein konstitutiver Teil von Freundschaft. Ähnlich wie Freundschaft sind verschiedene Beziehungen, die in der Schule wirksam werden, gemeinschaftlich geprägt, allen voran die Beziehungen von Peers untereinander. Aber auch die Rolle der Lehrperson lässt sich nicht vollständig über professionelle Standards regelhaft verrechtlichen. Die Lehrperson ist, ähnlich wie die Peers, ebenfalls Teil des Mikrosystems Schule. Lehrpersonen sind zwar durch die Gesellschaft autorisierte Agenten und Professionelle, sie erhalten vom Staat das Mandat, das Lernen der nachfolgenden Generation zu organisieren und anzuleiten. Dennoch sind auch sie nicht frei von gemeinschaftlich geprägten Wirklogiken schulischer Inklusion. Schließlich müssen auch die in pädagogischen Beziehungen notwendigen Gefühle und Zuwendungen der Lehrperson freiwillig erbracht werden respektive können nicht gänzlich mechanischregelhaft eingesetzt werden. Denn professionell ist eine Lehrperson nicht zuletzt erst dann, wenn sie auf den Einzelfall eingehen kann und dem jeweiligen Kind Sympathien hinsichtlich seiner Besonderheiten, beispielsweise seiner besonderen Begabungen, aber auch seiner Lernschwierigkeiten und weiterer Herausforderungen entgegenbringen kann. Das empathische Einfühlen, das Teil eines professionellen Lehrerhandelns sein sollte, kann aber nicht regelhaft-kühl eingesetzt werden respektive lässt sich über Regeln nicht absichern. Zudem weist gerade diese Bedingung für ein Recht auf ein Dilemma schulischer Inklu- 26 Franziska Felder sion hin. Die Beziehungen in der Schule selbst sind nämlich generell nicht freiwillig gewählt, jedenfalls nicht ursprünglich. Damit ist zwar nicht ausgeschlossen, dass sich in ihr gemeinschaftliche Bindungen oder Freundschaften entwickeln können, im Gegenteil fördert die gemeinsam verbrachte Zeit, das Miteinander im Unterricht diese ja auch. Aber: Die Schule respektive der Unterricht als Ganzes ist vom Autonomieverlust der betroffenen Schülerinnen und Schüler geprägt. Dieser Verlust an Autonomie ist dadurch geprägt, dass die Schülerinnen und Schüler durch ihre Zwangsmitgliedschaft in der Schulklasse auch an das Geschehen in dieser, den Unterricht also, gebunden sind. Damit erfahren die Schülerinnen und Schüler, dass sie nicht nur in personaler, sondern auch in sozialer Hinsicht akzeptieren sollten, dass andere sich auf sie nicht (zumindest nicht in jedem Fall) individuell und frei gewählt beziehen, sondern als Teilnehmer der Systemlogik Unterricht (Markowitz, 1986). Und auch für die zweite Bedingung von Inklusion als Rechtsgegenstand zeigt sich, dass sie an gemeinschaftlicher Inklusion scheitert. Um nämlich Gegenstand eines Rechts zu sein, muss der infrage kommende Gegenstand in der Verfügungsmacht des Pflichtenträgers liegen. Das heißt, der Träger der Pflicht, an den sich das Recht letztlich richtet, muss durch seine Handlungen in der Lage sein, das Recht zu erfüllen. Auch das scheint im Falle gemeinschaftlicher Inklusion, die zentral durch Zugehörigkeitsgefühle geprägt ist, fraglich zu sein. Dieser zwischenmenschliche Beziehungsaspekt von Inklusion weist zurück auf die intraindividuelle Verarbeitung dessen, was zu inklusiver Bildung notwendig ist. Es ist nämlich nicht nur zentral, Gefühle der Anerkennung und Wertschätzung von Dritten zu empfangen. Es ist auch wichtig, Anerkennung und Wertschätzung zu empfinden, sich mit anderen Worten auch in relevantem Sinne anerkannt und wertgeschätzt und letztlich inkludiert zu fühlen. Dies kann dann schwierig sein, wenn eine psychische Erkrankung das Empfinden von Gefühlen erheblich beeinträchtigt oder wenn sich die Wertschätzung oder Anerkennung auf etwas richtet, dem ein Kind oder ein Jugendlicher selbst keine Bedeutung beimisst. So ist es beispielsweise nicht oder nicht umfassend inklusionsfördernd, wenn sich die Wertschätzung beispielsweise darauf bezieht, ein guter Sportskamerad zu sein, das betreffende Kind oder der Jugendliche aber lieber ins Schulorchester inkludiert wäre und für seine musikalischen Fähigkeiten wertgeschätzt werden möchte. Auch für diese zweite Bedingung dafür, Gegenstand eines Rechts zu sein, gilt also, dass sie nur begrenzt in der Verfügungsmacht des Pflichtenträgers, im vorliegenden Fall beispielsweise der Lehrperson, liegt. Denn auch wenn es zum Auftrag der Lehrperson gehört, all ihren Schülerinnen und Schülern gleichermaßen Wertschätzung und Anerkennung - auch jenseits der Leistungsdimension im Sinne einer Grundlage für gelingende Identitätsentwicklung - zukommen zu lassen: Die Sicherheit, dass dies bei den Schülerinnen und Schülern auch in diesem Sinne ankommt, hat sie nicht. Fazit Es zeigt sich, dass das Recht auf inklusive Bildung, wie es in der UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung in Artikel 24 vorgesehen ist, nicht umfassend umsetzbar ist. Dies, weil sich in der Schule paradigmatisch gesellschaftliche und gemeinschaftliche Aspekte sozialen Lebens zeigen. So entspricht Bildung zwar einem gesellschaftlichen Auftrag. Die Institution Schule ist gesellschaftlich etabliert und Lehrpersonen sind vom Staat autorisierte Agenten und Professionelle, zu deren Auftrag die inklusive Bildung mit ihren didaktischen und methodischen Aspekten zentral gehört. Gerät zudem die Institution Bildung als Gesamtes ins Blickfeld, dann werden weitere systemische Anteile von Bildung, unter anderem Bildungsverwaltung, Lehrerbildung und Aufsichtsinstanzen, bedeutsam. Sie alle tragen nicht unerheblich dazu bei, wieweit in- Grenzen eines Rechts auf schulische Inklusion 27 klusive Bildung die Werte Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit umsetzen kann. Allerdings zeigt sich, dass sich die Mikrosysteme der inklusiven Bildung, die gemeinschaftlichen Aspekte, nicht verrechtlichen lassen. Dies vor allem aus zwei Gründen: Der Gegenstand Inklusion muss in seiner gemeinschaftlichen Dimension freiwillig erbracht werden und er muss von den Schülerinnen und Schülern auch als wertvolle Inklusion empfunden und akzeptiert werden. Ein Dilemma entsteht, wenn dies nicht der Fall ist und schulische Inklusion dennoch gerade in dieser Dimension entwicklungspsychologisch bedeutsam ist. Von seinen Peers abgelehnt zu werden und eine schlechte gemeinschaftliche Stellung in der Schulklasse inne zu haben, birgt ein großes Gefährdungspotenzial für eine gesunde Identitätsentwicklung und gelungene Lernprozesse. Zwar kann das Risiko gemeinschaftlicher Marginalisierung, Isolation oder Exklusion durch die Lehrpersonen bearbeitet und bekämpft werden. Die gemeinschaftliche Inklusion entspricht aber wie gezeigt keinem Rechtsanspruch und kann damit nicht eingefordert werden. Damit gerät auch die schwierige Position der Lehrpersonen in den Fokus. Der Erfolg professionellen Handelns von Lehrpersonen ist von beiden Dimensionen oder Sphären von Inklusion geprägt: Er ist auch abhängig vom gemeinschaftlichen Handeln der Schülerinnen und Schüler, den Beziehungen zu Kindern und Jugendlichen, den eigenen Einstellungen, Erfahrungen und Gefühlen und nicht nur von Strukturen und Institutionen. Lehrpersonen sind Agenten eines gesellschaftlichen Bildungsauftrags, die aber gemeinschaftlich verwirklicht und interaktional vermittelt werden. Diese Interaktionen können nicht rein technischinstrumentell vermittelt werden, sondern bedürfen einer motivationalen, letztlich auch partikularen und damit beziehungs- und gemeinschaftsorientierten Stützung. Die Gestaltung von Sinn und Einheit, von Zusammenhalt respektive sozialer Kohäsion in der Schulklasse, die eigene Hin- und Zuwendung zu Schülerinnen und Schülern mit deren besonderen, individuellen Bedürfnissen sind zentrale Momente der Professionalität von Lehrpersonen. Es sind aber Aspekte, die sich nicht verrechtlichen lassen. Sie gehören zum Technologiedefizit der Pädagogik, das schon Luhmann (2002) beschrieben hat. Durch die Absage eines umfassenden Rechts auf schulische Inklusion wird insbesondere die Aus- und Weiterbildung des pädagogischen Personals, aber auch die Frage, was ein guter Gemeinsamer Unterricht ist, bedeutsam. Welche Eckwerte hat ein inklusionsförderlicher Gemeinsamer Unterricht? Was ist, mit anderen Worten, ein didaktisch und methodisch guter inklusiver Unterricht? Noch fehlen Effektivitätsstudien zu inklusiver Didaktik, die sowohl Leistungsals auch soziale Dimensionen mit einbeziehen, weitgehend. Es scheint aber unumstritten zu sein, dass offene Unterrichtsstrukturen, Individualisierung und innere Differenzierung bei gleichzeitiger Betonung der Gemeinschaft zentral sind. Bei der Professionalisierung der Lehrpersonen zeigt sich, dass eine Verknüpfung diagnostischer und didaktischer Kompetenzen notwendig ist (Seitz, 2006). Dabei ist sicherzustellen, dass die Diagnostik individuumsgerecht verläuft und nicht mehr die Behinderung als einziges diagnostisches Kriterium in den Blick genommen wird. Die Förderung sozialer Inklusion auf der Ebene der Schülerinnen und Schüler sollte nicht nur individuelle Komponenten (also beispielsweise soziale Kompetenzen wie Problemlöse- oder Konfliktverhalten oder Empathie) erfassen. Auch kollektive, gemeinschaftliche Komponenten, die sich im Klassenzusammenhalt zeigen, sind wichtig für die soziale Inklusion und sollten gesondert und nicht nur als Nebeneffekt individueller Förderung angestrebt werden. Daher wird auch gefordert, dass die Hauptschwerpunkte in der Förderung von Beziehungen der Freundschaften innerhalb der Klasse liegen sollten. So schreibt Heimlich (2011, S. 47): „Kinder und Jugendliche in inklusiven Schulen sollen sich nicht nur sporadisch begegnen, sondern in intensive selbst gewählte und 28 Franziska Felder dauerhafte soziale Kontakte eintreten können (soziale Ebene) und so neben der institutionellen Ebene Inklusion auch persönlich erleben können (emotionale Ebene).“ Insbesondere Kontakte zwischen Peers sind zentral, um soziale Fertigkeiten zu erlernen und zu trainieren. Denn die in der Schule verbrachte Zeit ist nicht nur Unterrichtszeit, sondern bietet vielfältige Möglichkeiten, sozialen Umgang zu erlernen und auszuleben. Neben dem Klassen- und Unterrichtsklima auf der Mikroebene sind auch das Schulklima, also Werte und Normen auf der Schulebene, Umgang der Lehrpersonen untereinander oder Schulaktivitäten während eines Jahres angesprochen. Offensichtlich beeinflussen sich Werte und Normen, die innerhalb einer Schule gelebt werden und Lernumwelten (also auch Beziehungen und Interaktionen zwischen Lehrpersonen, zwischen Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern sowie zwischen der Schülerschaft). Zusammenfassend zeigt sich, dass Gesetze und internationale Vereinbarungen, jüngst beispielsweise die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderungen zwar Wirkmacht entfalten, die Grenzen von Rechten auf inklusive Bildung aber offensichtlich sind. Verschiedene Aspekte gelungener sozialer Inklusion in der Schule lassen sich somit nicht einfach rechtlich durchsetzen, sondern müssen - letztlich freiwillig und motivational gestützt - gelebt werden. Damit ersetzt die UN-Konvention nicht wichtige Debatten um inklusive Bildung, im Gegenteil. Fragen um die Förderung gemeinschaftlichen Lebens im Klassenverband, von Freundschaften innerhalb der Klasse, der Akzeptanz und Anerkennung von Andersartigkeit (wovon eine Entwicklungsbeeinträchtigung eine mögliche Dimension ist), aber auch der Professionalisierung des Lehrpersonals (im Umgang mit Heterogenität im Gemeinsamen Unterricht, der Erteilung professionellen Feedbacks u. a.) sowie einer gelebten inklusiven Schulkultur sind virulent und verlangen nach weiterer empirischer Erforschung unterschiedlicher Gelingensbedingungen schulischer Inklusion. Literatur Bless, G. (2007). Zur Wirksamkeit der Integration. Bern: Haupt. Boshammer, S. (2003). Gruppen, Rechte, Gerechtigkeit - Die moralische Begründung der Rechte von Minderheiten. Berlin: de Gruyter. http: / / dx.doi.org/ 10.1515/ 978311 0903218 Bronfenbrenner, U. (1979). The ecology of human development - Experiments by nature and design. Cambridge, MA: Harvard University Press. Degener, T. (2009). Die UN-Behindertenrechtskonvention als Inklusionsmotor. Recht der Jugend und des Bildungswesens, 57, 200 - 219. Fend, H. (2006). Neue Theorie der Schule - Einführung in das Verstehen von Bildungssystemen. Wiesbaden: VS Verlag. Heimlich, U. (2011). Inklusion und Sonderpädagogik - Die Bedeutung der Behindertenrechtskonvention (BRK) für die Modernisierung sonderpädagogischer Förderung. Zeitschrift für Heilpädagogik, 2011 (2), 44 - 54. Herzog, W. (2009). Schule und Schulklasse als soziale Systeme. In R. Becker (Hrsg.), Lehrbuch der Bildungssoziologie (S. 155 - 194). Wiesbaden: VS Verlag. Huber, C. (2006). Soziale Integration in der Schule? ! Eine empirische Untersuchung zur sozialen Integration von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf im Gemeinsamen Unterricht. Marburg: Tectum. Jantzen, W. (2010). Integration und Exklusion. In A. Kaiser, D. Schmetz, P. Wachtel & B. Werner (Hrsg.), Bildung und Erziehung (S. 96 - 104). Stuttgart: Kohlhammer. Klein, G., Kreie, G., Kron, M. & Reiser, H. (1987). Integrative Prozesse in Kindergartengruppen - Über die gemeinsame Erziehung von behinderten und nicht behinderten Kindern. Weinheim: Juventa. Luhmann, N. (2002). Das Erziehungssystem der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Markowitz, J. (1986). Verhalten im Systemkontext - Zum Begriff des sozialen Epigramms. Diskutiert am Beispiel des Schulunterrichts. Frankfurt a. M.: Suhrkamp. Pearl, R., Farmer, T., van Acker, R., Rodkin, P., Bost, K., Coe, M. & Henley, W. (1998). The social integration of students with mild disabilities in general education classrooms: Peer group membership and peer-assessed social behavior. Elementary School Journal, 99, 167 - 185. http: / / dx.doi.org/ 10.1086/ 461921 Raz, J. (1984). On the nature of rights. Mind, 93 (370), 194 - 214. http: / / dx.doi.org/ 10.1093/ mind/ XCIII. 370.194 Schwohl, J. & Sturm, T. (2010). Inklusion als Herausforderung schulischer Entwicklung - Eine Einführung. In J. Schwohl & T. Sturm (Hrsg.), Inklusion als Herausforderung schulischer Entwicklung: Widersprüche und Perspektiven eines erziehungswissenschaftlichen Diskurses (S. 13 - 26). Bielefeld: transcript. http: / / dx.doi.org/ 10. 14361/ transcript.9783839414903 Seitz, S. (2006). Inklusive Didaktik: Die Frage nach dem ,Kern der Sache‘. Zeitschrift für Inklusion, 2006 (1). Zugriff am 2. 10. 2013 unter http: / / www.inklusiononline.net/ index.php/ inklusion/ article/ viewArti cle/ 15/ 15. http: / / dx.doi.org/ 10.1007/ 0-387-32931- 5_7 Siperstein, G. N., Norins, J. & Mohler, A. (2007). Social acceptance and attitude change: Fifty years of research. Grenzen eines Rechts auf schulische Inklusion 29 In J. W. Jacobson, J. A. Mulick & J. Rojahn (Eds.), Handbook of intellectual and developmental disabilities (pp. 133 - 154). New York, NY: Springer. Speck, O. (1995). Die soziale Integration von Menschen mit Behinderungen. In G. Antor & U. Bleidick (Hrsg.), Recht auf Leben - Recht auf Bildung. Aktuelle Fragen der Behindertenpädagogik (S. 91 - 115). Heidelberg: Winter. United Nations. (2006). Convention on the rights of persons with disabilities. Genf: United Nations. Webster, A. & Carter, M. (2007). Social relationships and friendships of children with developmental disabilities: Implications for inclusive settings - A systematic review. Journal of Intellectual and Developmental Disability, 32, 200 - 213. http: / / dx.doi.org/ 10.1080/ 136682 50701549443 Wisotzki, K. H. (2000). Integration Behinderter - Modelle und Perspektiven. Stuttgart: Kohlhammer. Dr. Franziska Felder Institut für Erziehungswissenschaft Hirschengraben 48 CH-8001 Zürich E-Mail: ffelder@ife.uzh.ch
