Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2015
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Behinderungsspezifische moralische Urteile von Lehrpersonen und Klassenkameraden als Prädiktoren für das Ausschlussverhalten
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2015
Luciano Gasser
Annette Tettenborn Schärer
Moralische Urteile von Lehrpersonen und Klassenkameraden prägen die moralische Atmosphäre einer Schulklasse und beeinflussen Ein- und Ausschlussverhalten von Schülerinnen und Schülern in Gleichaltrigenkontexten. Vor dem Hintergrund dieser Annahme wird eine Studie präsentiert, in welcher 26 Lehrpersonen und ihre Schülerinnen und Schüler (N = 445) aus integrativen und nichtintegrativen Klassen zu ihren moralischen Urteilen des Ausschlusses auf Basis von Behinderung befragt wurden. Das soziale Ausschlussverhalten der Kinder wurde über Gleichaltrigennennungen erhoben. Mehrebenenanalytische Auswertungen zeigten, dass die moralischen Urteile von Klassenkameraden das Ausschlussverhalten des Kindes auf individueller Ebene vorhersagten. Auch das moralische Urteil der Lehrperson war für das eigene Ausschlussverhalten prädiktiv, allerdings nur in integrativen Klassen. In der Interpretation der Ergebnisse wird auf die Bedeutung einer sozial-kontextuellen Analyse bei der Untersuchung sozialen Ausschlusses von Kindern mit Behinderungen hingewiesen.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2015, 62, 30 -39 DOI 10.2378/ peu2014.art07d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Behinderungsspezifische moralische Urteile von Lehrpersonen und Klassenkameraden als Prädiktoren für das Ausschlussverhalten Luciano Gasser, Annette Tettenborn Pädagogische Hochschule Luzern Zusammenfassung: Moralische Urteile von Lehrpersonen und Klassenkameraden prägen die moralische Atmosphäre einer Schulklasse und beeinflussen Ein- und Ausschlussverhalten von Schülerinnen und Schülern in Gleichaltrigenkontexten. Vor dem Hintergrund dieser Annahme wird eine Studie präsentiert, in welcher 26 Lehrpersonen und ihre Schülerinnen und Schüler (N = 445) aus integrativen und nichtintegrativen Klassen zu ihren moralischen Urteilen des Ausschlusses auf Basis von Behinderung befragt wurden. Das soziale Ausschlussverhalten der Kinder wurde über Gleichaltrigennennungen erhoben. Mehrebenenanalytische Auswertungen zeigten, dass die moralischen Urteile von Klassenkameraden das Ausschlussverhalten des Kindes auf individueller Ebene vorhersagten. Auch das moralische Urteil der Lehrperson war für das eigene Ausschlussverhalten prädiktiv, allerdings nur in integrativen Klassen. In der Interpretation der Ergebnisse wird auf die Bedeutung einer sozial-kontextuellen Analyse bei der Untersuchung sozialen Ausschlusses von Kindern mit Behinderungen hingewiesen. Schlüsselbegriffe: Moralisches Urteil, Behinderung, Integration, Ausschlussverhalten, moralische Atmosphäre Teachers’ and Peers’ Moral Reasoning about Exclusion of Children with Disabilities: Relations with Exclusive Behavior Summary: Moral judgments of teachers and classmates importantly contribute to the moral atmosphere in classrooms and influence students’ inclusion and exclusion decisions in peer contexts. Against this background, we present a study, in which 26 teachers and their students (N = 445) from inclusive and non-inclusive classes provided moral judgments about the exclusion of children with disabilities. Children’s exclusive behavior was assessed by a peer nomination procedure. Hierarchical linear models revealed that classmates’ moral judgments about disability-based exclusion predicted the child’s exclusive behavior. Teachers’ disability-based moral judgments also predicted the child’s exclusive behavior, but only in inclusive classes. Results are discussed with regard to the significance of a social-contextual perspective for understanding social exclusion of children with disabilities. Keywords: Moral judgment, disability, inclusion, exclusive behavior, moral atmosphere Kinder mit Behinderungen erfahren in integrativen Schulklassen häufig Ausschluss durch ihre Gleichaltrigen ohne Behinderung (Bless, 2007; Siperstein, Norins & Mohler, 2007). Sozialer Ausschluss von Kindern mit Behinderungen lässt sich aus zwei verschiedenen Perspektiven beschreiben: Traditionellerweise wird Ausschluss als Ergebnis von kognitiven oder sozialen Defiziten dieser Kinder konzeptualisiert (z. B. Gresham, Sugai & Horner, 2001). In den letzten Jahren wird soziale Zurückweisung unter Gleichaltrigen aber zunehmend als gruppendynamisches Phänomen verstanden (Killen, Margie & Sinno, 2006; Mikami, Lerner & Lun, Behinderungsspezifische moralische Urteile 31 2010). Aus dieser Sicht ist zum Beispiel entscheidend, wie Kinder ohne Behinderungen sozialen Ausschluss moralisch beurteilen (Nowicki & Sandieson, 2002) und welche moralische Atmosphäre Lehrpersonen oder Gleichaltrige in Klassenzimmern prägen (Brugman, 2010; Huber, 2011; Nucci, 2009; Oser, 1997, 1998). Die vorliegende Studie folgt dieser zweiten Perspektive. Zum einen geht es um die Frage, ob und in welchem Ausmaß das moralische Urteil zum Ausschluss auf Basis von Behinderung das eigene Ausschlussverhalten vorhersagen kann. Zum anderen wird die sozialisierende Wirkung der moralischen Atmosphäre im Klassenzimmer auf das Ausschlussverhalten untersucht. Dazu werden differenzielle Effekte von behinderungsbasierten moralischen Urteilen von Lehrpersonen und Klassenkameraden im Vergleich zum eigenen moralischen Urteil auf das Ausschlussverhalten untersucht. Erkenntnisse dazu, wie die moralische Atmosphäre im Klassenzimmer sozialen Ausschluss beeinflusst, sind wichtig, um Lehrpersonen in Aus- und Weiterbildung für ihre Mitverantwortung in Bezug auf die soziale Integration von Kindern mit Behinderungen zu sensibilisieren. Moralische Urteile zum Ausschluss auf Basis von Behinderung und Ausschlussverhalten Moralische Urteile zu sozialem Ausschluss wurden innerhalb domänentheoretischer Forschung über Situationen erfasst, in welchen ein Kind aufgrund bestimmter Merkmale aus einer Gruppe von Gleichaltrigen ausgeschlossen wird (Killen et al., 2006; Killen & Rutland, 2011; Malti, Killen & Gasser, 2012). Während diese Forschung größtenteils auf Merkmale wie Ethnizität, Geschlecht und Nationalität fokussierte, gibt neuere Forschung Einblicke in die moralischen Urteile zum Ausschluss auf Basis von Behinderung. So wurde zum Beispiel gezeigt, dass Kindergarten- und Primarschulkinder im Allgemeinen den Ausschluss auf Basis von Behinderung aus moralischen Gründen deutlich als falsch beurteilen (Gasser, Malti & Buholzer, 2013). Sobald aber konkrete Situationen vorgelegt werden, in welchen Interessen der Gruppe mit im Spiel sind (z. B. als Sportteam gewinnen wollen), konkurrieren moralische Überlegungen mit Überlegungen zur Gruppeneffektivität, sodass der Ausschluss des Kindes mit Behinderung häufiger erwartet und akzeptiert wird. Dabei zeigte sich auch, dass mit zunehmendem Alter die Kinder gegenüber Ansprüchen der Gruppe sensibler werden und differenzierter abwägen, ob sich durch den Einschluss des Kindes mit Behinderung Nachteile für die Gruppe ergeben (Gasser, Chilver-Stainer, Buholzer & Perrig-Chiello, 2012). Eine wichtige Annahme dieser Forschung ist, dass die Beurteilungen und Argumentationen von Kindern zu hypothetischem Ausschluss Einblicke in die subjektiven Motive erlauben, welche dem Ein- und Ausschlussverhalten zugrunde liegen. Bisher blieb aber die Hypothese unüberprüft, dass moralische Urteile, wie sie in hypothetischen Ausschlusssituationen geäußert werden, für das tatsächliche Ausschlussverhalten prädiktiv sind. Dies ist bedeutend, da Forschungen zur prädiktiven Rolle moralischer Urteile für Sozialverhalten kein einheitliches Bild skizzieren (für eine Übersicht s. Gasser, Gutzwiller-Helfenfinger, Latzko & Malti, 2013). Während in einigen Studien fortgeschrittene moralische Urteile erwartungsgemäß mit moralischem Handeln einhergingen (z. B. Nucci & Herman, 1982), fanden andere Studien keine Zusammenhänge oder gar Zusammenhänge in die umgekehrte Richtung (z. B. Gasser & Malti, 2011). Diese widersprüchliche Befundlage zeigt, dass das moralische Urteil allein keine hinreichende Bedingung für moralisches Handeln darstellt und die Berücksichtung weiterer Faktoren wie die moralische Atmosphäre nötig ist. Moralische Atmosphäre im Klassenzimmer und Ausschlussverhalten Nach Kohlbergs Konzept der moralischen Atmosphäre sind Handlungsentscheidungen immer in soziale Kontexte eingebettet und entsprechend 32 Luciano Gasser, Annette Tettenborn Schärer nicht nur durch individuelle moralische Urteile, sondern auch durch das moralische Entwicklungsniveau bedeutender Sozialisationsakteure mitbestimmt (Brugman, 2010; Power, Higgins & Kohlberg, 1989). Vor diesem Hintergrund soll in der vorliegenden Studie erstmals die Hypothese überprüft werden, dass die moralischen Urteile von Lehrpersonen und Klassenkameraden zum Ausschluss auf Basis von Behinderung das Ausschlussverhalten des Kindes beeinflusst. Die Rolle der Lehrperson Berichten Lehrpersonen typische moralische Konflikte des Schulalltags, so werden häufig Schwierigkeiten im Umgang mit schwachen Schülerinnen und Schülern geschildert (Tirri, 1999). Durch die schulische Integration von Kindern mit Behinderungen werden Lehrpersonen mit berufsethischen Konflikten konfrontiert, wie zum Beispiel denjenigen zwischen Gerechtigkeit gegenüber allen Kindern und Fürsorge gegenüber bestimmten Kindern mit besonderen Bedürfnissen. Insbesondere stellt sich durch die schulische Integration für Lehrpersonen die Herausforderung, Effektivität in der Erreichung von Leistungszielen mit der moralischen Perspektive, welche stets die schulisch Schwächeren im Blick hat, auszubalancieren (Oser, 1994, 1998). Die Frage, wie sich die Ausbalancierung verschiedener Ansprüche durch Lehrpersonen auf die inklusiven respektive exklusiven Orientierungen der Kinder gegenüber Gleichaltrigen mit Behinderungen auswirkt, ist bisher nicht untersucht. Es wurde allerdings argumentiert, dass Lehrpersonen eine wichtige soziale Referenz für Kinder darstellen, in dem Sinne wie Kinder aus Beobachtungen von Lehrperson- Kind-Interaktionen Schlussfolgerungen über erwünschte und unerwünschte Merkmale und Verhaltensweisen von Schülerinnen und Schülern ziehen (Huber, 2011; Hughes, Cavell & Willson, 2001). Aus den Reaktionen der Lehrperson gegenüber Abweichungen in Verhalten und Leistung entnehmen die Kinder Informationen über die Art und Weise, wie die Lehrperson verschiedene Ansprüche in moralischen Konflikten gewichtet - ob sie zum Beispiel alle Schülerinnen und Schüler ungeachtet ihrer Leistungen gleichermaßen wertschätzt oder leistungsstarke und sozial angepasste Schülerinnen und Schüler bevorzugt. Entsprechend sollten die Reaktionen der Lehrperson gegenüber Kindern mit Behinderungen einen Einfluss darauf haben, in welchem Ausmaß die Gleichaltrigen solche Kinder ein- oder ausschließen. Die Rolle von Klassenkameraden Neben Beziehungen zu Lehrpersonen stellen Gleichaltrigenbeziehungen wegen ihrer symmetrischen Natur eine zentrale Bedingung für die moralische Sozialisation im Klassenzimmer dar (Keller, 1996). Durch Interaktionen mit Gleichaltrigen lernen Kinder die Perspektive von anderen zu übernehmen und gemeinsam Lösungen in moralischen Konflikten zu erarbeiten. Allerdings sind Gleichaltrige untereinander längst nicht immer kooperativ und es ist naheliegend, dass nur dann eine förderliche Wirkung zu erwarten ist, wenn sich ein Kind in Peer- Kontexten mit einer positiven moralischen Atmosphäre bewegt (Power et al., 1989). Innerhalb der Aggressionsforschung ist der Effekt von Klassennormen auf die Verhaltenssozialisation der Kinder gut belegt (für eine Übersicht s. Mikami et al., 2010). Da Ausschlussverhalten als eine Form sozialer Aggression konzeptualisiert wird (Killen & Rutland, 2011), kann in Bezug auf sozialen Ausschluss von analogen Sozialisationseffekten ausgegangen werden. So wurde zum Beispiel gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler mit aggressiven Klassenkameraden mit höherer Wahrscheinlichkeit selbst aggressives Verhalten entwickeln als solche mit nicht aggressiven Klassenkameraden (z. B. Mercer, McMillen & DeRosier, 2009). Im Unterschied dazu gibt es keine Forschung, welche spezifische Effekte moralischer Urteile von Lehrpersonen und Klassenkameraden zum Ausschluss auf Basis von Behinderung auf das individuelle Ausschlussverhalten untersucht hat. Es ist aber zu erwarten, dass Behinderungsspezifische moralische Urteile 33 Kinder aus Schulklassen, in welchen Ausschluss von Kindern mit Behinderungen befürwortet wird, häufiger ausschließen als Kinder aus Schulklassen, in welchen Diskriminierung von Kindern mit Behinderungen aus moralischen Gründen verurteilt wird. Die vorliegende Studie In Anlehnung an domänentheoretische Forschung zu sozialem Ausschluss (für Übersichten s. Killen et al., 2006; Killen & Rutland, 2011) wurden in der vorliegenden Studie moralische Urteile von Kindern und Lehrpersonen über Situationen zum Ausschluss von Kindern mit Behinderungen erfasst. Ziel der Studie ist die Überprüfung der Hypothese, dass die moralischen Urteile von Klassenkameraden und Lehrpersonen zum behinderungsbasierten Ausschluss Ausschlussverhalten signifikant vorhersagen. Auch wird die Hypothese geprüft, dass individuelle moralische Urteile zum behinderungsbasierten Ausschluss gegenüber moralischen Urteilen von Lehrpersonen und Klassenkameraden eine untergeordnete Rolle spielen. Diese Hypothesen basieren auf der Annahme, dass moralisches Handeln meist das Ergebnis gruppendynamischer Prozesse darstellt und deshalb entscheidend durch die moralische Atmosphäre bedeutender Sozialisationsakteure wie Lehrpersonen oder Klassenkameraden mitbestimmt wird (Power et al., 1989). Die erwarteten Effekte werden auf mögliche Wechselwirkungen mit der Altersstufe und Schulform hin untersucht. Gleichaltrigenbeziehungen bekommen im Verlauf der mittleren Kindheit zunehmend Gewicht (Keller, 1996; Killen et al., 2006; Youniss, 1980). Entsprechend sollte der Einfluss der moralischen Urteile von Klassenkameraden auf das Ausschlussverhalten bei älteren Kindern deutlicher ausfallen und der Einfluss der Lehrperson abnehmen. Um die erwarteten Wechselwirkungen mit dem Alter zu untersuchen, integriert die vorliegende Studie sechs-, neun- und 12-jährige Kinder. Weiter wird untersucht, ob die moralischen Urteile von Klassenkameraden oder Lehrpersonen in integrativen und nichtintegrativen Klassen unterschiedliche Effekte zeigen. Da in dieser Studie spezifisch moralische Urteile zu Konflikten mit Kindern mit Behinderungen erhoben wurden, ist davon auszugehen, dass in integrativen Klassen die moralische Verurteilung behinderungsbasierten Ausschlusses deutlichere Implikationen hat als in nichtintegrativen Klassen. Es wurde deshalb erwartet, dass in integrativen Klassen moralische Urteile von Lehrpersonen und Klassenkameraden einen größeren Einfluss auf das Ausschlussverhalten haben als in nichtintegrativen Klassen. Zur Überprüfung dieser Hypothese schließt die Studie je zur Hälfte Kinder aus integrativen und nichtintegrativen Schulklassen ein. Methodik Stichprobe Die Studie schließt 445 Kinder (215 Mädchen) aus 10 integrativen und 16 nichtintegrativen Kindergarten- und Primarschulklassen ein. 94 Kinder stammen aus Kindergartenklassen (6.16 Jahre, SD = 0.60), 160 aus der zweiten/ dritten Klasse (8.75 Jahre, SD = 0.78) und 191 Kinder aus der fünften/ sechsten Klasse (11.82 Jahre, SD = 0.72). Die Schülerinnen und Schüler aus integrativen und nichtintegrativen Klassen waren gleichmäßig auf die drei Altersgruppen verteilt. Sämtliche Kinder mit Behinderungen in integrativen Klassen hatten Sonderschulstatus und erhielten von einer schulischen Heilpädagogin oder einem schulischen Heilpädagogen therapeutische und schulische Spezialförderung (M = 4.7 Stunden pro Woche). Die integrierten Kinder hatten geistige oder körperliche Behinderungen. Die Kinder aus nichtintegrativen Klassen waren aus Schulen, an welchen die schulische Integration noch nicht umgesetzt wurde. Die Eltern der Kinder gaben ihr Einverständnis für die Teilnahme ihrer Kinder an der Untersuchung (Partizipationsrate = 92 %). Im Weiteren nahmen sämtliche Lehrpersonen der 26 Kindergarten- und Schulklassen an der Untersuchung teil. 22 der Lehrpersonen waren weiblich. 18 Lehrpersonen waren zwischen 20 und 30 Jahren, drei Lehrpersonen zwischen 30 und 40 Jahren und fünf Lehrpersonen waren älter als 50 Jahre. 34 Luciano Gasser, Annette Tettenborn Schärer Instrumente Ausschlussverhalten des Kindes Das Ausschlussverhalten wurde über ein Peernominationsverfahren zur relationalen Aggression erfasst (Crick, Casas & Mosher, 1997). Relationale Aggression betrifft Verhalten, welches sozialen Ausschluss aus Freundschaften oder Peer-Gruppen zum Ziel hat (Gasser & Malti, 2011). Den Kindern wurden drei Beschreibungen vorgelegt und gefragt, auf welche Kinder der Klasse diese Beschreibungen zutreffen (z. B. Wenn man auf ein anderes Kind wütend ist, kann man seinen Kollegen sagen, dass sie nicht mehr mit diesem Kind zusammen sein sollen. Welche Kinder aus deiner Klasse machen das? ). Die Kinder konnten beliebig viele Gleichaltrige nennen. Die Nennungen wurden für jedes Kind ausgezählt und an der Klassengröße relativiert. Schließlich wurde der Mittelwert über die drei Items gebildet (Cronbachs a = .70). Moralische Urteile zum behinderungsbasierten Ausschluss: Kind Den Kindern wurden im Rahmen individueller Interviews sechs Ein- und Ausschlusssituationen vorgelegt. Die Situationen waren jeweils so konstruiert, dass zwei Kinder vor der Entscheidung standen, ein Kind mit oder ohne Behinderung in die Gruppe aufzunehmen, aber nur ein Kind in die Gruppe aufgenommen werden konnte (für detaillierte Beschreibungen s. Gasser et al., 2012). Die Kinder mussten die Wahl der Gruppe vorhersagen und begründen (Was meinst du, wen wird Sascha nehmen? , Warum? ). Die Begründungen der Kinder wurden als moralisch (Verweise auf gleiche Rechte, Chancengleichheit oder die positiven/ negativen Folgen des Ein-/ Ausschlusses) oder sozial-konventionell (Verweise auf Stereotypen oder Gruppeneffizienz) klassifiziert (Gasser et al., 2012). 54 % der Kinder entschieden sich für das Kind mit Behinderung und 46 % begründeten ihre Wahl moralisch. Die Interraterreliabilität der Begründungsanalysen war gut ( k = .86). Eine Wahl für das Kind mit Behinderung sowie eine moralische Wahlbegründung wurde mit 1 kodiert. Eine Wahl für das Kind ohne Behinderung sowie eine sozial-konventionelle Begründung wurde mit 0 kodiert. Die Wahlentscheidungen und moralischen Begründungen wurden über die sechs Situationen aggregiert (Cronbachs a s = .77 und .74). Wahlentscheidungen und moralische Begründungen waren signifikant korreliert (r = .91), sodass zur Bildung der moralischen Urteilsvariable ein aggregierter Wert verwendet wurde. Moralische Urteile zum behinderungsbasierten Ausschluss: Klassenkameraden Die behinderungsbasierten moralischen Urteile der Klassenkameraden wurden auf Basis des individuellen moralischen Urteils gebildet. Dazu wurden die moralischen Urteile der Kinder über die Klasse aggregiert. Moralische Urteile zum behinderungsbasierten Ausschluss: Lehrperson Mittels eines Fragebogens wurden Urteile und Urteilsbegründungen zu zwei behinderungsspezifischen Ausschlusssituationen erfasst. In der einen Situation bereiten Schülerinnen und Schüler für ein Schulhausfest einen Tanz vor. Die Kinder wollen ein Kind mit geistiger Behinderung nicht aufnehmen, weil der Tanz zu schwierig für das Kind ist. In der anderen Situation entscheiden sich die Kinder für einen Schulausflug, der für das integrierte Kind im Rollstuhl nicht möglich ist. Die Lehrpersonen sollten die Ausschlussentscheidung der Kinder beurteilen und begründen (Beurteilen Sie die Wahl der Kinder als richtig oder falsch? , Warum? ). Die Urteile wurden auf einer sechsstufigen Antwortskala vorgenommen (ganz richtig bis ganz falsch). In den Begründungen verwiesen die Lehrpersonen entweder auf moralische Gründe (z. B. Gerechtigkeit, Fürsorge für das Kind mit Behinderung) oder auf außermoralische Gründe (demokratische Entscheidungen oder Leistungsansprüche von Kindern ohne Behinderungen werden höher gewichtet als die Integration des Kindes mit Behinderung). Die Interraterreliabilität der Inhaltsanalysen betrug k = .92. Die Lehrpersonen beurteilten den Ausschluss im Durchschnitt weder richtig noch falsch (M = 3.31, SD = 1.25) und nannten zu 42 % moralische Begründungen. Die Urteile und Begründungen waren signifikant korreliert (r = 46), ebenso die Situationen untereinander (r = .45). Es wurde deshalb analog zu den individuellen moralischen Urteilen über die Situationen aggregiert und für jede Lehrprerson eine moralische Urteilsvariable gebildet. Datenanalyse Da die Daten eine Mehrebenenstruktur aufweisen (Schülerinnen und Schüler in Klassen), erfolgten die Analysen mittels hierarchisch linearer Modelle. Es wurden zwei Ebenen berücksichtigt: Die Ebene der Behinderungsspezifische moralische Urteile 35 Schülerinnen und Schüler (Level 1) und die Ebene der Klasse (Level 2). Kriteriumsvariable ist das Ausschlussverhalten des Kindes. Das moralische Urteil und das Geschlecht der Schülerinnen und Schüler stellen Level-1-Prädiktoren dar. Level-2-Prädiktoren sind die moralischen Urteile der Lehrperson und der Klassenkameraden (Ebene Klasse). Weitere Level- 2-Prädiktoren sind die Altersstufe (sechs-, neun-, 12-Jährige) und das Schulmodell (integrativ, nichtintegrativ). Es wurde eine schrittweise sequenzielle Modellierungsstrategie gewählt, indem in jedem Schritt ein komplexeres Modell berechnet wurde. Das Nullmodell enthielt lediglich die Kriteriumsvariable (Ausschlussverhalten des Kindes) ohne Prädiktoren. Anhand dieses unkonditionalen Nullmodells lässt sich überprüfen, wie viel der Gesamtvarianz der Kriteriumsvariable auf Varianz zwischen Klassen zurückgeht und wie viel auf Varianz zwischen Schülerinnen und Schüler. Im ersten Modell wurden Prädiktoren auf Ebene des Individuums eingeschlossen. Mit diesem Modell wird überprüft, inwiefern sich Ausschlussverhalten durch das moralische Urteil vorhersagen lässt. Das zweite Modell schloss die Level-2-Prädiktoren ein. Auch wurden sämtliche Interaktionen zwischen Level-2-Prädiktoren berücksichtigt (z. B. Interaktion zwischen moralischen Urteilen der Lehrperson und der Klassenkameraden). Jeder dieser Schritte resultierte in einem Modell, das mit dem vorhergehenden Modell verglichen werden konnte. Nichtsignifikante Effekte wurden aus den finalen Modellen entfernt. Ergebnisse In Vorläuferanalysen wurden soziodemografische und biografische Merkmale der Lehrpersonen (Alter, Geschlecht, Berufserfahrung und Kontakterfahrung mit Kindern mit Behinderungen) als Level-2-Kovariaten mit aufgenommen. Keine dieser Variablen erwies sich als signifikant, sodass diese aus den weiteren Analysen entfernt wurden. Das Geschlecht des Kindes wurde ebenfalls nicht weiter berücksichtigt, da es keinen signifikanten Zusammenhang mit dem Ausschlussverhalten oder dem moralischen Urteil des Kindes aufwies. Die Interkorrelationen zwischen Level-1- und Level-2-Variablen sind in Tabelle 1 dargestellt. Das Nullmodell ergab, dass 16 % der Varianz im Ausschlussverhalten des Kindes auf die Zugehörigkeit der Klasse zurückgeht, was einem hohen Anteil entspricht (Hox, 2002) und auf die Notwendigkeit mehrebenenanalytischer Auswertungen hinweist. Modell 1 mit dem moralischen Urteil des Kindes als Level- 1-Prädiktor ergab keine bessere Passung gegenüber dem Nullmodell ohne Prädiktoren, c 2 (1) = 0.17, p > .05. Modell 2 hingegen, welches die Level-2-Prädiktoren integrierte, unterschied sich signifikant gegenüber dem vorauslaufenden Modell (Modell 1), c 2 (4) = 29.54, p < .001 (s. Tab. 2). Zum einen war das mora- Level 1 (N = 445) Level 2 (N = 26) Ausschluss MU Kind Altersgruppe Schulmodell MU KK MU LP Level 1 (Kind) Ausschluss - -.06 -.18*** .10* -.16*** -.25*** MU Kind - .16*** .02 .43*** -.06 Level 2 (Klasse) Altersstufe - .03 .39 .16 Schulmodell - .13 .15 MU KK - -.16 MU LP - Tab. 1: Interkorrelationen zwischen Level-1- und Level-2-Variablen Anmerkungen: Ausschluss = Ausschlussverhalten. MU = Moralisches Urteil. KK = Klassenkameraden. LP = Lehrperson. Die Interkorrelationen der Level-2-Variablen untereinander schließen 26 Fälle ein (weshalb auch moderate Korrelationskoeffizienten nicht signifikant werden). Die Interkorrelationen zwischen Level-1- und Level-2-Variablen umfassen 445 Fälle. * p < .05. ** p < .01. *** p < .001. 36 Luciano Gasser, Annette Tettenborn Schärer lische Urteil der Klassenkameraden ein signifikanter Prädiktor für das Ausschlussverhalten: Umso mehr die Klassenkameraden den Einschluss des Kindes mit Behinderung erwarteten und moralisch begründeten, desto weniger Ausschlussverhalten zeigte das Kind. Im Weiteren zeigte sich ein Haupteffekt des Schulmodells: Kinder aus integrativen Klassen zeigten mehr Ausschlussverhalten als Kinder aus nichtintegrativen Klassen. Auch ergab ein Haupteffekt des moralischen Urteils der Lehrperson, dass Schülerinnen und Schüler von Lehrpersonen, welche behinderungsbasierten Ausschluss befürworteten, weniger Ausschlussverhalten zeigten, als wenn die Lehrpersonen den Ausschluss veurteilten. Allerdings wies eine signifikante Interaktion zwischen dem moralischen Urteil der Lehrperson und dem Schulmodell auf einen Moderationseffekt hin. Nachfolgeanalysen zeigten (nach Preacher, Curran & Bauer, 2006), dass ein integratives gegenüber einem nichtintegrativen Schulmodell nur dann mit mehr Ausschlussverhalten einherging, wenn die Lehrperson behinderungsbasierten Ausschluss als richtig beurteilte, z = 4.88, p < .001. Wenn die Lehrperson hingegen behinderungsbasierten Ausschluss als falsch verurteilte, war das Ausschlussverhalten niedrig, unabhängig davon, ob die Kinder in einer integrativen oder nichtintegrativen Klasse beschult wurden, z = 1.86, p > .05 (s. Abb. 1). Es wurden keine weiteren Haupteffekte oder Interaktionseffekte nachgewiesen (z. B. zwischen moralischen Urteilen der Lehrperson und der Klassenkameraden). Diskussion Übereinstimmend mit unseren Hypothesen waren nur die moralischen Urteile von Lehrperson und Klassenkameraden, nicht aber das eigene moralische Urteil prädiktiv für das Ausschlussverhalten. Dieses Ergebnis deckt sich mit der Parameter Koeffizienten (Standardfehler) Regressionskoeffizienten (fixe Effekte) Intercept, b 0j g 00 0.0684 (.0033) Schulmodell g 02 0.0177* (.0065) MU Klassenkameraden g 03 -0.0158*** (.0027) MU Lehrperson g 04 -0.0132** (.0035) MU Lehrperson X Schulmodell g 05 -0.0254** (.0073) Slope von MU Kind b 1j g 10 0.0014 (.0039) Varianzkomponenten (zufällige Effekte) Residual σ 2 0.0037 (.0609) Intercept b 0j τ 00 0.0001* (.0070) Tab. 2: Parameterschätzungen von Modell 2 (Intercept Modell mit Level-2-Prädiktoren) Anmerkungen: MU = Moralisches Urteil. * p < .05. ** p < .01. *** p < .001. Abb. 1: Interaktion zwischen moralischem Urteil (MU) der Lehrperson und Schulform. Behinderungsspezifische moralische Urteile 37 Forschung zur Rolle der moralischen Atmosphäre für aggressives Verhalten, wonach die subjektive Wahrnehmung der moralischen Atmosphäre in der Schule (Brugman et al., 2003) sowie das objektive moralische Entwicklungsniveau von Freunden (Gasser & Malti, 2012) das aggressive Verhalten von Kindern und Jugendlichen verlässlicher vorhersagen als das individuelle moralische Urteil. Die moralische Atmosphäre stellt somit ein wichtiges Konzept zur Überbrückung der Kluft zwischen moralischem Urteil und moralischem Handeln dar (Brugman, 2010). Trotzdem lassen diese Befunde nicht den Schluss zu, dass die individuelle moralische Entwicklung für moralisches Handeln irrelevant ist. In dieser Studie wurde die moralische Entwicklung über Urteile und Urteilsbegründungen erfasst, während moralische Gefühle (z. B. Empathie, Schuld) unberücksichtigt blieben. Da moralische Gefühle die persönliche Bindung an moralische Normen verlässlicher anzeigen als moralische Urteile (Krettenauer, Malti & Sokol, 2008; Latzko & Malti, 2010; Malti & Krettenauer, in press; Nunner-Winkler, 1999), sollte künftige Forschung zur moralischen Atmosphäre zusätzlich Maße zu moralischen Gefühlen einschließen. Tatsächlich fanden Gasser und Malti (2012), dass die moralischen Gefühle des Kindes (im Unterschied zu seinen moralischen Urteilen) auch dann noch aggressives Verhalten vorhersagten, wenn für das moralische Entwicklungsniveau der Freunde kontrolliert wurde. Interessanterweise war in dieser Studie der Effekt der Schulform (integrativ vs. nichtintegrativ) auf das Ausschlussverhalten des Kindes abhängig vom moralischen Urteil der Lehrperson. So ging integrative Schulung mit mehr Ausschlussverhalten einher, wenn die Lehrperson behinderungsbasierten Ausschluss befürwortete. Wenn die Lehrperson behinderungsbasierten Ausschluss hingegen als moralisch falsch betrachtete, zeigten sich keine Nachteile integrativer Schulung auf das Ausschlussverhalten des Kindes. Huber (2009) wies in ähnlicher Weise in Schulklassen mit hoher Leistungsheterogenität mehr soziale Ausgrenzung unter Gleichaltrigen nach als in Schulklassen mit geringer Leistungsheterogenität. Zudem war die soziale Ablehnung eines Kindes stark mit seiner Leistungsfähigkeit assoziiert. Dies legt den Schluss nahe, dass eine hohe Leistungsheterogenität, wie sie in integrativen Klassen vorliegt, Leistungshierarchien in Schulklassen und somit auch Ausschluss von schulisch Schwächeren begünstigt (Huber, 2009). Der in der vorliegenden Studie nachgewiesene moderierende Effekt des moralischen Urteils der Lehrperson legt folglich eine weitere Differenzierung nahe: Sozialer Ausschluss ist in leistungsheterogenen Klassen vor allem dann eine Gefahr, wenn die Lehrperson zu wenig Sensibilität gegenüber den verletzenden Folgen behinderungsbasierten Ausschlusses zeigt. Lehrpersonen, welche gegenüber den moralischen Implikationen behinderungsbasierten Ausschlusses sensitiv sind, scheinen die negative Wirkung von Leistungsunterschieden auf die sozialen Beziehungen zwischen Kindern mit und ohne Behinderung abmildern zu können. Somit ist entscheidend, dass Lehrpersonen integrativer Klassen allen Kindern, unabhängig von ihren Leistungs- oder Anpassungsfähigkeiten, Anerkennung entgegenbringen und sich für ein Klassenklima engagieren, in welchem sich effektiver Unterricht und soziale Teilnahme von Kindern mit Behinderungen nicht ausschließen (Oser, 1994). Entgegen unserer Hypothese fanden sich in dieser Studie keine Hinweise, dass mit zunehmendem Alter die Effekte von Klassenkameraden stärker, diejenigen der Lehrperson schwächer werden. Möglicherweise ist die moralische Atmosphäre unter Gleichaltrigen bereits im Kindergarten ein wichtiger Einflussfaktor für das Ausschlussverhalten des Kindes. Zumindest zeigen Studien, dass das aggressive Verhalten von Gleichaltrigen bereits im Kindergartenalter für die Verhaltenssozialisation ausschlaggebend ist (z. B. Snyder et al., 2008). Umgekehrt sind Lehrpersonen nicht nur in Kindergarten- und Primarschulalter wichtige Bezugspersonen für Schülerinnen und Schüler, sondern bleiben es auch im Jugendalter (Pianta & Hamre, 2009). Gleichzeitig ist aber zu beachten, dass die vorlie- 38 Luciano Gasser, Annette Tettenborn Schärer gende Studie eine eher kleine Stichprobe von Schulklassen umfasste. Künftige Forschung sollte zur Untersuchung altersspezifischer Effekte von Klassenkameraden und Lehrpersonen eine größere Anzahl von Schulklassen einschließen. Was lässt sich aus den Befunden für die Professionsentwicklung von Lehrpersonen folgern? Lehrpersonen berichten häufig, mit der Förderung positiver sozialer Beziehungen im Klassenzimmer überfordert zu sein (Nucci, 2009). Insbesondere besteht die Gefahr, dass Lehrpersonen sozialen Ausschluss als Problem der Gleichaltrigenwelt ansehen und die eigene Verantwortung negieren. Für die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen sind folgende Aspekte zu beachten: (a) Lehrpersonen sollten ein differenziertes Wissen über die Entstehung und Auswirkungen von sozialer Zurückweisung von Kindern mit Behinderungen erwerben. Dazu gehört zum Beispiel ein entwicklungspsychologisches Verständnis der altersspezifischen Motive für Ein- und Ausschlussentscheidungen (Gasser et al., 2012) sowie Kenntnisse über die Rolle gruppendynamischer Einflussfaktoren. Die moralische Atmosphäre unter Gleichaltrigen erwies sich als wichtiger Einflussfaktor für das individuelle Ausschlussverhalten. Entsprechend sollten Lehrpersonen bei ihren Schülerinnen und Schülern Reflexionen über Gruppenansprüche und moralische Ansprüche in integrationsrelevanten Konflikten anregen (z. B. mittels Dilemmadiskussionen zu Gruppendruck). (b) Im Weiteren ist wichtig, Lehrpersonen für moralische Konflikte zu sensibilisieren, wie sie sich typischerweise in integrativen Settings ergeben können. Dadurch lässt sich verhindern, dass Unterrichtssituationen überwiegend unter Gesichtspunkten von Effektivität anstelle von Gerechtigkeit und Fürsorge interpretiert werden (Oser, 1994). (c) Schließlich und vor allem braucht es prozedurales Wissen, wie mit solchen Konflikten umzugehen ist (Oser, 1998). Sozialer Einschluss von Kindern mit Behinderungen unter Gleichaltrigen basiert auf Freiwilligkeit (Felder, 2012) und kann nicht „von oben“ durch die Lehrperson verordnet werden. Lehrpersonen können aber moralische Konflikte in integrativen Settings als Lerngelegenheiten nutzen, indem sie die Kinder in den Diskurs zur Lösung solcher Konflikte einbinden und sie anregen, ihren eigenen Standpunkt zu erklären und die moralischen Folgen ihrer Handlungen zu reflektieren. Verfahren wie der runde Tisch (Oser, 1998) sind besonders geeignet, um die diskursiven Kompetenzen und das Verantwortungsgefühl gegenüber Kindern mit Behinderungen zu fördern. Literatur Bless, G. (2007). Zur Wirksamkeit der Integration. Bern: Haupt Verlag. Brugman, D. (2010). Moral reasoning competence and the moral judgment-action discrepancy in young adolescents. In W. Koops, D. Brugman, T. J. Ferguson & A. F. Sanders (Eds.), The development and structure of conscience (pp. 119 - 133). Hove, New York: Psychology Press. http: / / dx.doi.org/ 10.1080/ 016502502440 00272 Brugman, D., Heymans, P. P. G., Boom, J., Podolskij, A. I., Karabanova, O. & Idobaeva, O. (2003). 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