Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2016.art24d
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Professionalisierung ohne Beanspruchung?
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2016
Keller-Schneider Manuela
Der Übergang in die eigenverantwortliche Berufstätigkeit stellt Lehrpersonen vor Anforderungen, die im Rahmen einer Ausbildung trotz schrittweiser Heranführung an die Schulpraxis nur begrenzt erfahrbar gemacht werden können. Die Frage stellt sich, inwiefern die mit der Bearbeitung berufsphasenspezifischer Anforderungen initiierte Professionalisierung von dynamisierender Beanspruchung oder von Ressourcenverlust begleitet wird.
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Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2016, 63, 305 -314 DOI 10.2378/ peu2016.art24d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel n Diskussionsbeitrag Professionalisierung ohne Beanspruchung? Diskussionsbeitrag zum Themenschwerpunkt: „Burnout und Stress beim Übergang in den Lehrerberuf“ Manuela Keller-Schneider Pädagogische Hochschule Zürich Der Übergang in die eigenverantwortliche Berufstätigkeit stellt Lehrpersonen vor Anforderungen, die im Rahmen einer Ausbildung trotz schrittweiser Heranführung an die Schulpraxis nur begrenzt erfahrbar gemacht werden können. Die Frage stellt sich, inwiefern die mit der Bearbeitung berufsphasenspezifischer Anforderungen initiierte Professionalisierung von dynamisierender Beanspruchung oder von Ressourcenverlust begleitet wird. Ich habe in der Ausbildung ja sehr viel gelernt und sehr viel gearbeitet - doch so viel wie in den letzten drei Monaten ... noch nie! Ich wusste nicht, dass das möglich ist und mir erst noch Freude bereitet. (Nora Maag, kurz nach Berufseinstieg, in Keller-Schneider, 2010, S. 13). Diese Aussage lässt sich auf zwei verschiedene Arten lesen: Belastung wirkt auf die Person ein, geht in Stress über und könnte zu Burnout führen - oder - Belastung wird von der Person wahrgenommen, welche sich mit Engagement in eine beanspruchende Bearbeitung einlässt, sodass die Bewältigung Erfüllung und Freude bringt. Welche Lesart ist die richtige? Im folgenden Diskussionsbeitrag möchte ich die Frage nach Belastung und Beanspruchung bzw. Beanspruchungsfolgen ergänzend zu den Beiträgen des Themenheftes als dynamisierenden Prozess in den Kontext der Professionalisierung stellen und damit über die Beiträge des Themenheftes hinausführend mit Befunden aus meinen Studien belegt aufzeigen, dass eine Beanspruchung nicht zwingend in Erschöpfung übergeht, sondern auch aktivierend die Professionalisierung von (angehenden) Lehrpersonen vorantreibt. Belastung - Stress - Burnout? Begriffe wie Belastung, Beanspruchung, Stress und Burnout - oft alles in einem Atemzug genannt - sind aus der Diskussion um Anforderungen an den Beruf der Lehrerin bzw. des Lehrers nicht wegzudenken. Dass dieser von hohen Anforderungen begleitet mit hohen Beanspruchungen einhergeht, ist allgemein anerkannt. Wie Beanspruchung definiert wird, bleibt dabei oft im Unklaren. In der Frage nach Burnout schwingt eine Angst mit, bei hohem Engagement und starker Verausgabung ungeschützt einem drohenden Ressourcenverlust ausgesetzt zu sein. Inwieweit Beanspruchung als passiv zu erduldendes Phänomen oder auch als aktiv dynamisierender Prozess verstanden wird und je nach Auslegung zu unterschiedlichen Beanspruchungsfolgen führen kann, wird in der Belastungs-Beanspruchungsforschung wenig differenziert diskutiert. Gesundheitspsychologisch (Antonovsky, 1979; Krause, Dorsemagen & Baeriswyl, 2013) sowie auch stress- und ressourcentheoretisch betrachtet (Buchwald & Hobfoll, 2004; Hobfoll, 1989; Lazarus & Folkman, 1984) beschreiben Begriffe wie Belastung, Beanspruchung, Stress und Burnout unterschiedliche Facetten, die je nach theoretischem Zugang in je spezifischen Spannungsverhältnissen stehen, sich aber nicht in eine 306 Manuela Keller-Schneider einfache Wirkkette stellen lassen. In der Rezeption von Ergebnissen und in der Nutzung des Instruments der Potsdamer-Lehrerstudie (Schaarschmidt & Fischer, 2001), in welcher Muster arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens beruflicher Anforderungen identifiziert wurden, wird das Burnout-Muster als Prozess oft als Burnout-Typ als Status übergeneralisiert. Dass gesundheitsgefährdende Verarbeitungsmuster für das professionelle Handeln von Lehrpersonen von Bedeutung sind und sich auf die von den Schülerinnen und Schülern wahrgenommene Unterrichtsqualität auswirken, konnte belegt werden (Klusmann, Kunter, Trautwein & Baumert, 2006), dass diese aber auch einer gewissen Stabilität unterworfen sind und ebenso als solche bereits in die Ausbildung mitgebracht werden (Albisser, Kirchhoff & Albisser, 2009). Burnout entsteht in der Auseinandersetzung des Individuums mit seiner Umwelt (Burisch, 2010; Hillert, 2013), insbesondere dann, wenn die menschlichen Grundbedürfnisse nach Wirkung, Anerkennung und Autonomie (Deci & Ryan, 1993) eingeschränkt oder als eingeschränkt wahrgenommen werden. Das Burnout-Risiko steigt bei hohem Engagement und hohem Ressourceneinsatz, begleitet von geringer Wirkung, geringer Distanzierungsfähigkeit sowie fehlender Wertschätzung. Der Ansatz der beruflichen Gratifikationskrise (Siegrist, 2002) als Burnout- Risiko fokussiert auf eine hohe Verausgabung bei geringer Anerkennung und Wirkung (vgl. Becker, 2006). Gemäß medizinischer Definition (ICD 10 der Weltgesundheitsorganisation WHO et al., 2009) ist Burnout ein depressives Syndrom, das sich in der Konstellation von emotionaler Erschöpfung, Depersonalisierung (Zynismus) und Leistungsmangel diagnostizieren lässt. Auch wenn der Lehrberuf von hohen Belastungen gekennzeichnet ist, die zu einer Dienstunfähigkeit oder einem frühzeitigen Ruhestand führen können (Weber, 2004) und eine im Vergleich zu anderen Berufsgruppen überdurchschnittlich hohe Anzahl von Fällen mit psychischer Erkrankung aufweist (Hillert & Schmitz, 2004), so kann Burnout nicht als direkte Folge der Berufsausübung bezeichnet werden. Genese und Prävention von Burnout sind keinem einfachen Reiz-Reaktionsmechanismus unterstellt (vgl. dazu Hillert, 2013; Hillert et al., 2011; Lehr, 2014), Burnout als multifaktoriell bestimmter Prozess mit emotionaler Erschöpfung gleichzusetzen, greift zu kurz. Belastung und Beanspruchung - zentrale Themen der Beiträge In den Beiträgen dieses interessanten Themenheftes wird davon ausgegangen, dass der Einstieg in die Berufsarbeit mit Belastungen einhergeht. Inwiefern Belastung zu Beanspruchung und negativen Folgen führt, die durch eine Reduktion der Belastung ausgeglichen werden könnten, oder ob ein gewisses Maß an Beanspruchung erforderlich ist, damit das Individuum im sozialen Kontext etwas bewirkt, möchte ich in den Fokus des Diskussionsbeitrages stellen. Was unter Belastung verstanden wird, ist dabei von Bedeutung. Das folgende Beispiel aus einer Lehrveranstaltung mit Lehramtsstudierenden zeigt, dass eine Belastung nicht zu emotionaler Erschöpfung führen muss, sondern ganz im Gegenteil eine Stärkung der eigenen Wirkung und des Kompetenzerlebens ermöglicht. Ich bin mir erst jetzt bewusst, dass eine Belastung nur dann negativ erlebt wird, wenn man nichts tut, diese einfach auf sich drücken lässt. Packt man diese aber an und tut etwas, dann kann man trotz Belastung sogar Freude erleben! (Corina Schulze, Erkenntnis im Rahmen eines Blockseminars an der TU Dresden, 2016). Die vorliegenden Aufsätze greifen die Thematik des Übergangs auf und fragen nach dem Ausmaß der durch berufsphasenspezifische Anforderungen hervorgerufenen Erschöpfung, in drei Beträgen mit der entsprechenden Skala aus dem Maslach-Burnout-Inventory (MBI; Maslach & Jackson, 1986) erfasst, zwei Beiträge fokussieren auf stärkende Faktoren bei zeitgleicher Wirkung oder zeitverschobener Folge und stellen damit erschöpfende und stärkende Dynamiken zueinander in Bezug. Professionalisierung ohne Beanspruchung? 307 Bodensteiner (in diesem Heft) prüft mittels Daten einer Interventionsstudie zur Förderung der Selbstregulation als effektives Handeln im Rahmen der Unterrichtsvorbereitungen, inwiefern die Stärkung metakognitiver Strategien in der Planung, Durchführung und Reflexion von Unterrichtsvorbereitungen gesteigert werden kann und inwiefern sich diese Steigerung günstig auf die Entwicklung emotionaler Erschöpfung und Zufriedenheit mit der Freizeit niederschlägt. Die mit 189 Referendarinnen und Referendaren über drei Zeitpunkte im Abstand von zwei Monaten erhobenen Daten belegen, dass ein mittels metakognitiver Strategien effektives Bewältigen von Unterrichtsvorbereitungen die emotionale Erschöpfung reduziert, die ihrerseits zu einer größeren Zufriedenheit mit dem Ausmaß an Freizeit führt. Da die Entwicklung der Planungskompetenz eine zentrale Aufgabe im Referendariat bzw. im Rahmen der Praktika in der einphasigen Lehrerbildung darstellt, können die Ergebnisse auch darauf hinweisen, dass nicht nur eine gezielte Förderung spezifischer Kompetenzen und damit einhergehend eine zunehmende Professionalisierung in der Bewältigung berufsphasenspezifischer Anforderungen zu einer Reduktion negativer Beanspruchungsfolgen führen und Raum für beanspruchungsfreie Zeiten freigeben, sondern dass insbesondere metakognitive Fähigkeiten ein zielführendes Mittel darstellen. Dicke et al. (in diesem Heft) verfolgen die Veränderung der emotionalen Erschöpfung über drei Messzeitpunkte in einem Latent Change Modell und stellen im Verlaufe des Referendariats eine Abnahme der emotionalen Erschöpfung fest, die bei Eintritt in die eigenverantwortliche Berufstätigkeit erneut ansteigt. Auch diese Ergebnisse basieren auf Längsschnittdaten mit (angehenden) Lehrpersonen während des Referendariats und im Übergang in die eigenverantwortliche Berufstätigkeit und stützen sich auf eine sehr große Stichprobe von 1749 Personen. Durch den Längsschnitt können als stabil geltende und das Belastungserleben mitbedingende Persönlichkeitsmerkmale, die zur Wahrnehmung von Berufsanforderungen beitragen (Keller-Schneider, 2010), konstant gehalten werden und damit in Kohortenvergleichen nicht kontrollierbare Effekte ausschalten. Dass die emotionale Erschöpfung zu Beginn des Referendariats ansteigt und im Verlaufe dieser Ausbildungsphase wieder abnimmt, kann ebenfalls als Zeichen voranschreitender Professionalisierung im Sinne von Routinebildungen in der Bewältigung ausbildungsphasenspezifischer Anforderungen gedeutet werden. Zimmermann, Kaiser, Bernholt, Bauer und Rösler (in diesem Heft) erkennen im Übergang vom Studium in den Vorbereitungsdienst Veränderungen in allen drei Burnout-Dimensionen und untersuchen die Bedeutung von stärkenden Faktoren, die dem Burnout-Risiko entgegenwirken. In den im Längsschnitt erhobenen Daten mit 176 in Ausbildung stehenden Lehrpersonen im Übergang vom Studium in den Vorbereitungsdienst zeigen sich ein Anstieg der emotionalen Erschöpfung zu Beginn des Referendariats, ein linearer Anstieg der Depersonalisierung (Distanzierung oder Zynismus) sowie keine Veränderung bezüglich der Dimension Leistungsmangel. Dass der Übergang in eine neue Berufsphase einen größeren Ressourcenbedarf einfordert und damit von größerer emotionaler Erschöpfung begleitet ist, kann damit auch mit diesen Daten belegt werden. Als protektiv, d. h. negativen Beanspruchungsfolgen entgegenwirkend, werden stärkende Faktoren in die Untersuchung einbezogen. Das Persönlichkeitsmerkmal der Selbstwirksamkeit erweist sich der emotionalen Erschöpfung entgegenwirkend, ebenso eine Verlängerung der Hospitationszeit. Inwiefern sich diese kräfteerhaltenden oder andere kräftereduzierenden Faktoren auf die Professionalisierung der angehenden Lehrpersonen niederschlagen, kann damit nicht geklärt werden. Wenn aber individuelle Merkmale und institutionell gestellte Anforderungen den Ressourcenhaushalt mitbestimmen, so können die Ergebnisse Hinweise darauf geben, dass den in Ausbildung stehenden Personen im Ausmaß der zu bewältigenden Anforderungen eine regulierende Funktion zugestanden werden 308 Manuela Keller-Schneider soll, um der Gefahr eines möglichen Ressourcenabbaus entgegenzuwirken. Im Beitrag von Schmidt, Klusmann und Kunter (in diesem Heft) werden den belastenden Erlebnissen auch erfüllende gegenübergestellt; Regulation wird somit der individuellen Wahrnehmung zugeschrieben. Im Kohortenvergleich wird über Tagebucheinträge gezeigt, dass in allen Kohorten die positiv konnotierten Erlebnisse die negativen überwiegen und dass sich bei Lehrpersonen im ersten Berufsjahr das Verhältnis zwischen positiv und negativ konnotierten Erlebnissen zum Positiven verstärkt. Die im Kohortenvergleich entstandenen Ergebnisse basieren auf einem wertvollen Datensatz von Tagebucheinträgen von rund 500 Referendarinnen und Referendaren sowie Berufseinsteigenden, die je eine Zeitspanne von 14 Tagen umfassen und somit spezifische Tagesformen ausgleichen lassen. Alle Beiträge zeugen von hoher methodischer Kompetenz und lassen sich aus meiner Sicht diesbezüglich nicht weiter diskutieren. In den Beiträgen wird die Frage nach einer emotionalen Erschöpfung bzw. nach möglichem Nicht-Wohlbefinden je nach Forschungsfrage in unterschiedliche Bezüge gestellt. Inwiefern Erschöpfung auch eine Folge von Bewältigungsvorgängen nach sich zieht, die eine professionalisierende Funktion übernehmen und gleichzeitig zu einem Ressourcenaufbau führen, wird in den Beiträgen nicht thematisiert. An diesem Punkt möchte ich über die interessanten und fundierten Beiträge hinausführend ansetzen und die Frage aufwerfen, inwiefern Beanspruchung und kurzfristig negative Beanspruchungsfolgen eine professionalisierende Wirkung haben können. Diese Perspektive werde ich in den folgenden Ausführungen theoriegestützt und mit empirischen Befunden aus meinen Studien unterlegt einnehmen und Beanspruchung als mögliche Kraft zur Professionalisierung thematisieren, wie das folgende Zitat zum Ausdruck bringt: „Nun bin ich im Beruf angekommen, aber es war anstrengend! “ (Keller-Schneider, 2012 b, S. 236). Professionalisierung für einen Beruf mit hohen Anforderungen Der Beruf der Lehrerin bzw. des Lehrers ist von hohen und komplexen Anforderungen begleitet, die sich situativ in der Interaktion mit den Schülerinnen und Schülern immer wieder neu ergeben. Das berufliche Handeln ist von Belastungsfaktoren gekennzeichnet, die sich aus unklaren Qualitätsanforderungen, unklar definierten und begrenzten Arbeitszeiten, fehlenden Rückmeldungen und hohen Erwartungen der unterschiedlichen Akteure ergeben (Keller- Schneider, 2010; Rothland, 2013). Das Handeln der Lehrpersonen ist von Widersprüchlichkeiten geprägt, in deren antinomischen Spannungsverhältnissen ein sich immer wieder Neu-Positionieren erforderlich ist. Berufliches Handeln ist einer doppelten Kontingenz unterworfen (Combe, 2005). Ungewissheit entsteht einerseits im unterrichtlichen Handeln der Lehrperson im Kontext des Unterrichtsprozesses und andererseits in seiner Wirkung auf das Lernen der Schülerinnen und Schüler. Damit wird deutlich, dass der Beruf nicht nur im Rahmen der Ausbildung und des Einstiegs in die Berufstätigkeit hohe Anforderungen stellt (Dietrich, 2014; Keller-Schneider, 2010, 2012 b, im Druck a; Kosinar, 2014) und dass mehrere Faktoren das Belastungs- und Beanspruchungserleben mitbestimmen (Abele & Candova, 2007; Keller- Schneider, 2010; Krause et al., 2013). Im Rahmen der Ausbildung und insbesondere beim Einstieg in die eigenverantwortliche Berufstätigkeit (nach Abschluss des Referendariats) steigt die Komplexität der zu meisternden Anforderungen an, mitbedingt durch die größer werdende Reichweite der Verantwortung für das Lernen der Schülerinnen und Schüler, für die Lern- und Arbeitskultur in der Klasse und für das eigene berufliche Tun (Keller-Schneider & Hericks, 2014). Die zu Beginn des Referendariats hospitierende Beteiligung am Unterricht geht mehr und mehr in eine Vorbereitung und Durchführung von Lernsequenzen über, die sich anfangs auf Einzellektionen begrenzen, zunehmend aber größere Sequenzen umfassen. Dass sich eine Verlängerung der Hospitation günstig Professionalisierung ohne Beanspruchung? 309 auf eine emotionale Erschöpfung auswirkt, wird im Beitrag von Zimmermann et al. (in diesem Heft) aufgearbeitet. Befunde anderer Studien belegen auch, dass die Planungskompetenz im Laufe der Ausbildung ansteigt (Baer et al., 2011; Keller-Schneider, 2016). Die Eigenverantwortlichkeit der Unterrichtsführung wird im Rahmen der Ausbildung zunehmend erhöht (vgl. dazu auch Keller-Schneider, 2016), wobei eine Abhängigkeit von den beurteilenden Mentorinnen bzw. Mentoren und Ausbilderinnen bzw. Ausbildern den Experimentierraum und das Handlungsspektrum der Referendarinnen und Referendare einschränkt (Dietrich, 2014; Kosinar, 2014) und einen zusätzlichen Belastungsfaktor darstellt. Beim Einstieg in die eigenverantwortliche Berufsarbeit in neu sich bildenden Klassen steigt die Komplexität der zu meisternden Anforderungen sprunghaft an und führt in eine neue Phase des sich Bewährens und der weiteren Professionalisierung (Keller-Schneider & Hericks, 2014). Doch nicht nur der Berufseinstieg stellt Entwicklungsaufgaben, die es zu lösen gilt, um in der Professionalisierung voranzukommen. Professionalisierung als beanspruchender Prozess resultiert aus der Bewältigung berufsphasenspezifischer Anforderungen. Ein Vermeiden von Divergenzen und von Beanspruchung - im Sinne von sich durch die Bearbeitung von Anforderungen beanspruchen lassen - würde mit einer Stagnation in der professionellen Entwicklung einhergehen (Keller-Schneider, 2010). Professionalität kann als berufsbiografisches Entwicklungsproblem (Terhart, 2001) betrachtet werden, dessen Bearbeitung zu Beanspruchung und positiven sowie negativen Beanspruchungsfolgen führt. Die formalen Phasen der Lehrerausbildung gehen mit je spezifischen Anforderungen einher, die zu berufsphasenspezifischen Kompetenzen führen und damit die angehende Lehrperson in ihrer Professionalisierung voranbringen. In ersten Praxisphasen erworbene und im jeweiligen Kontext als hinreichend erlebte Fähigkeiten erweisen sich in nachfolgenden Phasen in komplexeren Berufssituationen strukturbedingt als unzureichend, was sich aber erst im veränderten Referenzrahmen als Differenz erkennen lässt (Keller-Schneider, 2014). Es genügt nicht mehr einfach zu unterrichten, d. h. vom Stoffe her zu denken und diesen für die Schülerinnen und Schüler aufzubereiten. Ich muss nun auch die Lernprozesse der Lernenden im Auge behalten und eine Arbeitskultur aufbauen, die ermöglicht, dass auch wirklich gearbeitet werden kann. Das finde ich schon sehr herausfordernd! (Evelyne Gerster, im ersten Berufsjahr, November 2008, in Keller-Schneider, im Druck a). Erworbene Kompetenzen stellen bedeutende Ressourcen für die Bewältigung von Berufsanforderungen im veränderten Rahmen dar, die in der aktuellen Situation weiterentwickelt und ausdifferenziert werden. So zeigen Befunde zur Bewältigung von Berufsanforderungen in unterschiedlichen Abschnitten der einphasigen mit Praxissequenzen von zunehmender Komplexität angereicherten Ausbildung, dass in den einzelnen Phasen spezifische Kompetenzen aufgebaut werden, begleitet von leicht erhöhtem Beanspruchungserleben (Keller-Schneider, 2016). Werden den einzelnen Phasen der Lehrerbildung spezifische professionalisierende Aufgaben zugeschrieben, die mit dem Erwerb von Kompetenzen einhergehen, so kann angenommen werden, dass diese neu gestellten Anforderungen nicht routiniert bewältigt werden. Die Bearbeitung führt in einen Prozess der Reibung, wodurch sich nicht nur ein Aufbau professionsbezogener Ressourcen manifestiert; auch ein Ressourcenverlust kann sich bemerkbar machen, was Befunde der Beiträge von Bodensteiner (in diesem Heft) und Dicke et al. (in diesem Heft) belegen. Wie die Ergebnisse von Schmidt et al. (in diesem Heft) aber zeigen, überwiegen positiv konnotierte Erlebnisse die negativen. Zudem übersteigt die Anzahl positiver Erlebnisse der im Beruf tätigen Lehrpersonen jene der Referendarinnen und Referendare, obwohl die Anforderungen in der eigenverantwortlichen Berufstätigkeit erneut sprunghaft ansteigen (Keller-Schneider, 2010). Befunden von Bieri (2006) entsprechend 310 Manuela Keller-Schneider sind Lehrpersonen trotz Belastung zufrieden. Auch wenn die Befunde aller Studien aufzeigen, dass ein gewisses Maß an Erschöpfung bzw. negativen Erlebnissen festgestellt werden kann, so muss davon ausgegangen werden, dass weitere Komponenten auf die Wahrnehmung und Bewältigung der Berufsarbeit einwirken (Keller- Schneider, 2010, 2012 b) und das Gesamterleben mitbestimmen (vgl. dazu auch das Eingangszitat). Beanspruchung als aktivierender Prozess Wie viel Beanspruchung ist erforderlich, um Schritte der Professionalisierung zu ermöglichen? Dem Belastungs-Beanspruchungs-Modell folgend wird zwischen belastenden Gegebenheiten und nachteiligen Effekten auf die beanspruchte Person unterschieden. Aus diesem Reiz-Reaktions-Modell geht ein direkter Wirkzusammenhang hervor, welchem das Individuum ausgesetzt ist (vgl. dazu van Dick & Stegemann, 2013). Die rhetorisch aufgeworfene Frage werde ich nicht direkt beantworten, sondern ressourcenstärkende Aspekte aufzeigen, die im Prozess der Bearbeitung von beruflichen Anforderungen entstehen. Dafür stütze ich mich auf professionstheoretische und auf stress- und ressourcentheoretische Ansätze, die im Rahmen der Bildungsgangforschung unter dem Fokus der Lösung von Entwicklungsaufgaben von Bedeutung sind (Hericks, Keller-Schneider & Bonnet, im Druck). Aus dem eingangs aufgeführten Zitat geht hervor, dass Belastungen, die mit Anforderungen einhergehen, auch eine aktivierende Dynamik auslösen können. Dies führt zur Frage nach vermittelnden Faktoren. In der transaktionalen Stresstheorie (Lazarus & Folkman, 1984) wird die individuelle Wahrnehmung von situativ sich ergebenden Anforderungen zwischen die aus der Umwelt hervorgehenden Belastung und ihrer Auswirkung auf das Individuum gestellt. Stress resultiert als Ergebnis dieser Person-Umwelt- Transaktion, d. h. aus der Beziehung der Person zur Umwelt. Situativ sich konstellierende Anforderungen werden von der Person mittels ihrer kognitiven und affektiven Ressourcen wahrgenommen und eingeschätzt. Eine primäre Einschätzung fokussiert auf die Bedeutung der Anforderung, eine sekundäre auf deren Bewältigbarkeit. Je nach Bilanz resultiert eine aktivierende oder eine aversiv vermeidende Dynamik. Rudow (1994) spricht von objektiver Belastung, die im Sinne eines Stressors auf die Person einwirkt, sich in der Person als subjektive Belastung widerspiegelt und aufgrund der primären und sekundären Einschätzungen in ein Bewältigungshandeln führt (Coping). Coping kann sich auf die Anforderung, auf begleitende Emotionen oder auf mögliche Wirkungen beziehen und umfasst sowohl sichtbares Verhalten sowie intrapsychische Prozesse. Daraus geht hervor, dass sich auch objektiv fassbare Anforderungen (wie der alltägliche Lärmpegel in einer Schule oder eine spezifische Aufgabe im Referendariat) individuell verschieden im Subjekt widerspiegeln und damit interindividuell different wahrgenommen und gedeutet werden. Dieser Theorie folgend beeinflussen veränderte Anforderungen spezifischer Ausbildungsphasen über mehrere Faktoren moderiert indirekt das Ausmaß an Erschöpfung, was aus den Beiträgen von Bodensteiner, Dicke et al. und Zimmermann et al. hervorgeht (alle in diesem Heft). Aus der Umwelt hervorgehende Anforderungen können der transaktionalen Stresstheorie entsprechend eine aktivierende oder eine überfordernde Wirkung haben, je nach Einschätzung der Dringlichkeit und der Möglichkeit ihrer Bewältigung. Umdeutungen der Dringlichkeit oder der angestrebten Ziele können als ressourcenregulierende Prozesse den Kräftehaushalt stützen. Dem Prozessmodell der Anforderungswahrnehmung und ihrer Bedeutung für die Professionalisierung (Keller-Schneider, 2010; Keller- Schneider & Hericks, 2014) entsprechend kommt der Deutung von Anforderungen eine gestaltende Dynamik zu. Anforderungen führen dann zu Professionalisierungsschritten, wenn Divergenzen in der Situationswahrnehmung zugelassen, motivationale und volitionale Kräfte zur Bewältigung entwickelt (Keller-Schneider, im Druck b) und Divergenzen als Herausforderungen angenommen werden. Stagnation in der Entwicklung ist jederzeit möglich, wenn Professionalisierung ohne Beanspruchung? 311 solche nicht zugelassen und zu keinen neuen Deutungen, Fragen und Entwicklungen führen (Keller-Schneider, 2010). Als Herausforderungen angenommene Anforderungen lösen Bewältigungsschritte aus, die in neue Erfahrungen münden, aus denen das Individuum als ein anderes hervorgeht (Combe & Gebhard, 2009). Erfahrung wächst nicht von selbst und wird in diesem Sinne nicht als ein additives Anhäufen von Erlebnissen verstanden, sondern entsteht in der Reibung mit situativ mitbedingten Erfordernissen, aus welcher neue Ressourcen hervorgehen, die dem Individuum neue Horizonte eröffnen, wenn es sich auf eine Auseinandersetzung mit Divergenzen einlässt. Kompetenzentwicklung resultiert aus einem beanspruchenden Prozess, wie das folgende Zitat illustriert: Nun geht es mir gut, ich bin im Beruf und am Schulort angekommen. Ich fühle mich sicher und den Anforderungen gewachsen, auch wenn es anstrengend ist und ich noch Vieles verbessern will! (Lara Tanner, zwei Dienstjahre, 2009, in Keller- Schneider, 2012 a, S. 39). In der Auseinandersetzung mit Herausforderungen entstehen Erkenntnisse, welche das bisherige erworbene, vorwiegend explizite (Stern, 2009) oder regelgeleitete Wissen (Berliner, 2001; Dreyfus & Dreyfus, 1986) in implizites Wissen überführt und in die subjektiven Wissensstrukturen integriert (Neuweg, 2014). Durch diese Integration von erfahrungsbasiertem, prozeduralisiertem Wissen werden die individuellen Ressourcen umstrukturiert und stellen nachfolgende Anforderungen in einen veränderten Referenzrahmen (Keller-Schneider, 2010). Erfahrung machen ist demzufolge ein aktiver, irritationsbedingter (Combe & Gebhard, 2009) und beanspruchender Prozess. Eine Ausbildung (Studium, Praktikum, Referendariat) stellt Anforderungen, die den verfügbaren Ressourcen entsprechend als Herausforderungen wahrgenommen werden und in eine beanspruchende Bearbeitung führen, um über den damit einhergehenden Prozess zu neuen und ausdifferenzierten Erkenntnissen zu gelangen. Dass diese risikoreiche Auseinandersetzung auch Ressourcen in Anspruch nimmt und insbesondere zu Beginn einer neuen Phase mit Ressourcenabbau (emotionale Erschöpfung) einhergehen kann, lässt sich stresstheoretisch begründen. Dass die emotionale Erschöpfung im Verlaufe des Referendariats abnimmt und zu Beginn der nachfolgenden Phase (bei Einstieg in die eigenverantwortliche Berufstätigkeit) erneut ansteigt, wie im Beitrag von Dicke et al. (in diesem Heft) aufgezeigt, zeugt davon, dass die Bearbeitung phasenspezifisch sich neu stellenden Anforderungen vorerst zu einem Anstieg an ressourcenzehrendem Stress führt, im Laufe der Berufsphase erste Routinen ihrer Bewältigung ermöglicht und damit mit einem geringeren Ressourcenverlust einhergeht. Dass eine emotionale Erschöpfung in der anschließenden Berufsphase erneut zunimmt, kann als Indiz der sprunghaft ansteigenden Komplexität der zu bewältigenden Anforderungen gedeutet werden, die von einer Veränderung der Ressourcenlage begleitet wird. Ressourcenregulation und Professionalisierung Ansätzen der Bildungsgangforschung entsprechend stellen sich in jeder Phase Anforderungen, die als Entwicklungsaufgaben angenommen über einen beanspruchenden Bewältigungsprozess zu veränderten Ressourcen führen (Hericks, 2006; Keller-Schneider, 2010). Wird Belastung als belastet sein (Zustand) in Beanspruchung als sich durch die Bearbeitung beanspruchen lassen (Prozess) übergeführt, so wirkt der damit einhergehende Stress aktivierend und Erkenntnis generierend. Aus dem Maß des Sich-Beanspruchen-Lassens und dem aus der Bearbeitung resultierenden Erfolg geht hervor, dass das Maß an Beanspruchung (sich beanspruchen lassen) einer Regulation unterstellt werden kann, sodass aus einer Bearbeitung von Anforderungen eine positive Ressourcenbilanz hervorgeht. Der Conservation-of-Resources(COR)-Theorie von Hobfoll (1989) folgend wirken ressourcenzehrende 312 Manuela Keller-Schneider und ressourcenstärkende Faktoren auf die Regulation des Ressourcenhaushaltes ein. In der Auseinandersetzung mit Anforderungen, die als Herausforderungen angenommen werden, ist der Einsatz von Ressourcen im Sinne von Kräften und Kompetenzen für die Bewältigung von Anforderungen erforderlich. Aus dieser Bewältigung resultieren wiederum Kräfte, die als Erkenntnisse oder als Zufriedenheit stärkend in die individuellen Ressourcen eingehen. Für die Regulation des Ressourcenhaushaltes ist von Bedeutung, dass ressourcenschwächende Dynamiken die ressourcenstärkenden nicht übersteigen. Ein Übersteigen würde mit einem Ressourcenabbau einhergehen, der in ein Burnout führen kann (Buchwald & Hobfoll, 2004). Gestützt auf diese Theorie wird deutlich, dass Burnout nicht primär eine Frage von Belastung und Stress ist, sondern den Umgang mit bewältigbaren Anforderungen und den aus dem Prozess hervorgehenden Ressourcengewinn fokussiert und über unterschiedliche Verarbeitungsmuster reguliert wird (Schaarschmidt, 2005). Eine beanspruchende Auseinandersetzung kann demzufolge auch zu stärkenden Kräften führen, wie Freude, Erfüllung und Zufriedenheit (Bieri, 2006). Ein gewisses Maß an Erschöpfung muss nicht negativ sein, wenn dabei positiv konnotierte Erlebnisse die negativen überwiegen, wie das aus den Befunden von Schmidt et al. (in diesem Heft) für alle drei Messzeitpunkte hervorgeht. Diesem Ansatz folgend geht es nicht darum, Belastungen zu vermeiden, sondern die Bearbeitung auf bewältigbare Anforderungen auszurichten, diese als Herausforderungen anzunehmen und einen Ressourcengewinn daraus hervorgehen zu lassen. Praxisschock oder professionalisierende Irritation von Routine? Die Beiträge werfen die Frage auf, inwiefern sich das beobachtete Phänomen erhöhter emotionaler Erschöpfung im Übergang formal festgelegter und von zunehmend komplexer werdenden Berufsanforderungen begleiteten Berufsphasen als Praxisschock bezeichnen lässt. Dem möchte ich den Gedanken der Irritation von bereits erworbenen Routinen entgegenstellen, die für eine Professionalisierung von Bedeutung sind. In der Konfrontation mit zunehmend komplexer werdenden Anforderungen erweisen sich Routinen als nicht mehr ausreichend und machen eine weitere Differenzierung der Handlungsoptionen erforderlich. Die Bewältigung der neuen Anforderungen, von einem erhöhten Ressourceneinsatz begleitet, der sich in den Beiträgen des Themenheftes in einer erhöhten emotionalen Erschöpfung zeigt, führt zu Erfahrungen, aus denen das Subjekt mit erweitertem Horizont und neuen Perspektiven hervorgeht und mit Erkenntnissen angereichert den beruflichen Anforderungen besser gewachsen ist. Dass der Einstieg in die eigenverantwortliche Berufstätigkeit erneut mit einem Anstieg an Komplexität der zu bewältigenden Anforderung einhergeht und damit einen höheren Ressourceneinsatz erfordert, lässt sich aus der strukturbedingt zunehmenden Komplexität der Anforderungen folgern (Keller-Schneider & Hericks, 2014). Der in den 1970er Jahren lancierte Begriff Praxisschock wurde aus dem Einstellungswandel abgeleitet, der sich in der Studie der Konstanzer Gruppe (Dann, Müller-Fohrbrodt & Cloetta, 1978; Müller-Fohrbrodt, Cloetta & Dann, 1978) im Übergang in die Berufstätigkeit identifizieren ließ. Diesen Begriff isoliert vom Zeitkontext seiner Entstehung und aus dem Gesamtbefund der Studie herauszuheben, erscheint mir den Befunden nicht entsprechend. Die Studie belegt einen Einstellungswandel, der sich - im Rahmen einer von den Erziehungszielen der humanistischen Pädagogik geprägten Ausbildung der 1970er Jahre - von konservativen Erziehungshaltungen hin zu liberaleren entwickelte und beim Einstieg in die Berufstätigkeit in der Konfrontation mit zunehmend komplexer werdenden Anforderungen und unter Einfluss von Sozialisationseffekten der Kollegien in den Schulen die ursprünglich konservativeren wieder hervortreten ließ. Diesen Befund des zweimaligen Wandels auf die zweite Wende zu verkürzen und als Zeichen der Überforderung zu deuten, wie Professionalisierung ohne Beanspruchung? 313 das der Begriff Praxisschock impliziert, greift aus meiner Sicht zu kurz. Berufseinsteigende und auch Studierende in Praktika erleben sich als kompetent, die sich stellenden Anforderungen zu bewältigen, auch wenn die Bewältigung von Anforderungen mit Beanspruchung einhergeht und sie sich im Kompetenzerleben von erfahrenen Lehrpersonen unterscheiden (Keller-Schneider, 2010, im Druck b). Übergänge als Transitionsprozesse in der beruflichen Ausbildung von Lehrpersonen stellen strukturbedingt neue Anforderungen. Die bereits erworbenen Kompetenzen reichen im situativen Kontext nicht aus oder sind zumindest adaptationsbedürftig, um die spezifische Situation zu bewältigen. Diese Irritation führt zu Beanspruchungen und geht mit einem erhöhten Ressourceneinsatz einher. Inwiefern sich die Ausprägung negativer oder positiver Beanspruchungsfolgen dabei erhöht, ist offen. Der Beruf der Lehrerin bzw. des Lehrers beinhaltet nicht nur in den Übergängen der formalen Phasen komplexe Anforderungen. Irritationen von Routine werden auch durch Schulentwicklungsprozesse und durch reformbedingte Veränderungen hervorgerufen. Zudem stellen sich im täglichen Schulalltag immer wieder nicht vorhergesehene und auch nicht vorhersehbare Anforderungen, die es als Herausforderungen anzunehmen und zu bewältigen gilt. Wenn jede Irritation, die aus der Realität des Schulalltags hervorgeht und zu stärkerer Beanspruchung führt, mit Praxisschock bezeichnet würde, dann ließe sich nicht vorhersagen, wie viele Praxisschocks einer Lehrperson im Verlaufe ihres Berufslebens widerfahren, wenn sie als professionell Handelnde sich auf eine Auseinandersetzung mit in der aktuellen Situation sich ereignenden und im Zeitkontext sich verändernden beruflichen Anforderungen einlässt. Beanspruchung als dynamisierender und professionalisierender Prozess resultiert aus der professionsspezifischen Gegebenheit der doppelten Kontingenz, die das Handeln der Lehrperson prägt, solange das Lernen und die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler im Fokus professionellen Handelns stehen. Literatur Abele, A. E. & Candova, A. (2007). Prädiktoren des Belastungserlebens im Lehrberuf. Zeitschrift Pädagogische Psychologie, 21, 107 - 118. http: / / dx.doi.org/ 10.1024/ 1010-0652.21.2.107 Albisser, S., Kirchhoff, E. & Albisser, E. (2009). Berufsmotivation und Selbstregulation: Kompetenzentwicklung und Belastungserleben von Studierenden, berufseinsteigenden und erfahrenen Lehrpersonen. Unterrichtswissenschaft, 37, 262 - 288. Antonovsky, A. (1979). Health, Stress and Coping. San Francisco, CA: Jossey-Bass. Baer, M., Kocher, M., Wyss, C., Guldimann, T., Larcher, S. & Dörr, G. (2011). 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