Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2017
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Der Einfluss von Erhebungsbedingungen auf Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche
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2017
Friederike Helm
Jens Möller
Schülerinnen und Schüler entwickeln ihre fachspezifischen Begabungsselbstkonzepte durch soziale und dimensionale Vergleiche ihrer Leistungen in verschiedenen Fächern; letztere können zu Kontrasteffekten zwischen den Selbstkonzepten für verbale und mathematische Fächer führen. Vorliegender Beitrag untersucht, ob die in bisherigen Studien übliche gleichzeitige Erfassung der Selbstkonzepte die Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche verstärkt. N = 688 Schülerinnen und Schüler wurden gleichzeitig oder ungleichzeitig zu ihren Selbstkonzepten in Deutsch und Mathematik befragt. Der Effekt der Deutsch-Note auf das Mathematik-Selbstkonzept bleibt unbeeinflusst durch die Erhebungsart, während der Effekt der Mathematik-Note auf das Deutsch-Selbstkonzept bei ungleichzeitiger Befragung nicht auftritt. Die Ergebnisse werden mit Bezug auf die Theorie dimensionaler Vergleichsprozesse diskutiert.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2017, 64, 24 -34 DOI 10.2378/ peu2017.art03d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Der Einfluss von Erhebungsbedingungen auf Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche Friederike Helm, Jens Möller Universität Kiel Zusammenfassung: Schülerinnen und Schüler entwickeln ihre fachspezifischen Begabungsselbstkonzepte durch soziale und dimensionale Vergleiche ihrer Leistungen in verschiedenen Fächern; letztere können zu Kontrasteffekten zwischen den Selbstkonzepten für verbale und mathematische Fächer führen. Vorliegender Beitrag untersucht, ob die in bisherigen Studien übliche gleichzeitige Erfassung der Selbstkonzepte die Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche verstärkt. N = 688 Schülerinnen und Schüler wurden gleichzeitig oder ungleichzeitig zu ihren Selbstkonzepten in Deutsch und Mathematik befragt. Der Effekt der Deutsch-Note auf das Mathematik-Selbstkonzept bleibt unbeeinflusst durch die Erhebungsart, während der Effekt der Mathematik-Note auf das Deutsch- Selbstkonzept bei ungleichzeitiger Befragung nicht auftritt. Die Ergebnisse werden mit Bezug auf die Theorie dimensionaler Vergleichsprozesse diskutiert. Schlüsselbegriffe: Akademisches Selbstkonzept, Theorie dimensionaler Vergleiche, I/ E-Modell The Influence of Manner of Assessment on Contrastive Effects of Dimensional Comparisons Summary: Students develop their subject-specific ability self-concepts by performing social and dimensional comparisons of their achievements in different school subjects; the latter can lead to contrastive effects in self-concepts for verbal and mathematic subjects. The presented study examines if the contemporaneous assessment of the subject-specific self-concepts that was applied usually in previous studies strengthens contrastive effects of dimensional comparisons between subject-specific achievements. N = 688 students were questioned about their subject-specific selfconcepts in German and mathematics, either contemporaneously about both self-concepts or noncontemporaneously. The effect from German achievement to mathematic self-concept is not influenced by manner of self-concept assessment, meanwhile the effect from mathematic achievement to German self-concept vanishes when self-concepts are assessed non-contemporaneously. The results are discussed with regard to Dimensional Comparison Theory. Keywords: Academic self-concept, Dimensional Comparison Theory, I/ E model Selbstkonzepte werden definiert als Vorstellungen, Einschätzungen und Bewertungen von Fähigkeiten und Eigenschaften der eigenen Person (Moschner & Dickhäuser, 2006). Da akademische Selbstkonzepte Motivation und Anstrengung in den entsprechenden Schulfächern beeinflussen (vgl. Eccles, O’Neill & Wigfield, 2005) und sich auf lernrelevantes Verhalten auswirken (z. B. Retelsdorf, Köller & Möller, 2014; Trautwein, Köller & Kämmerer, 2002; Valentine, DuBois & Cooper, 2004), erscheint es zentral, die Mechanismen ihrer Entstehung nachzuvollziehen. Zwei dieser Mechanismen werden im Internal/ External-Frame-of-Reference-Modell (I/ E-Modell; Marsh, 1986) beschrieben. Laut dem I/ E-Modell und der Theorie dimensionaler Vergleiche (Dimensional Comparison Theory [DCT]; Möller & Marsh, 2013) entwickeln Schülerinnen und Schüler ihre fachspezifischen Begabungsselbstkonzepte unter ande- Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche 25 rem durch zwei zentrale Vergleichsprozesse: Sie vergleichen zum einen ihre Leistungen in einem Fach mit den Leistungen ihrer Klassenkameradinnen und Klassenkameraden in diesem Fach, dies wird als sozialer Vergleich bezeichnet. Neben der Anwendung dieses externalen Bezugsrahmens verorten Schülerinnen und Schüler außerdem ihre Leistung in einem Fach innerhalb eines internalen Bezugsrahmens: Sie vergleichen ihre Leistungen in verschiedenen Fächern miteinander. Dies wird als dimensionaler Vergleich bezeichnet (Möller & Köller, 2001 a). Dimensionale Vergleiche zwischen den Leistungen in verbalen und mathematischen Fächern sollen sich kontrastierend auf die fachspezifischen Selbstkonzepte auswirken und also zu (im Vergleich zu den hohen Korrelationen zwischen Noten bzw. Schulleistungen) niedrigen Korrelationen der Selbstkonzepte führen. Diese Annahme wird in Pfadanalysen bestätigt, in denen die Selbstkonzepte in einem Fach der verbalen Domäne (z. B. Deutsch, Englisch) und einem Fach der mathematischen Domäne (z. B. Mathematik, Physik) auf die Leistungen in diesen beiden Fächern regrediert werden: Das typische I/ E-Befundmuster zeigt sich in Abbildung 1, in der Ergebnisse einer Meta-Analyse von Möller, Pohlmann, Köller und Marsh (2009) über 69 Studien zum I/ E-Modell aus verschiedenen Ländern abgebildet sind. Die Leistung in einem Fach zeigt einen mittelhohen positiven Zusammenhang mit dem Selbstkonzept in diesem Fach, Schülerinnen und Schüler mit besserer Leistung im Fach bilden demnach ein positiveres fachspezifisches Selbstkonzept aus als Schülerinnen und Schüler mit schlechterer Leistung im Fach. Dies wird als Folge sozialer Vergleiche zwischen den eigenen Fachleistungen und denen der Mitschülerinnen und Mitschüler interpretiert. Zudem korrelieren auch die Leistungen in den Fächern positiv und mittelhoch miteinander. Aufgrund der stattfindenden sozialen Vergleiche sollten daher die Selbstkonzepte für die Fächer ebenfalls positiv korreliert sein. Allerdings zeigt sich, dass die Selbstkonzepte in den Fächern gering bis nicht signifikant miteinander korrelieren. Die geringe Korrelation wird verursacht durch negative Effekte der Leistung in einem Fach auf das Selbstkonzept im anderen Fach, die durch dimensionale Vergleiche entstehen. Diese kontrastierenden dimensionalen Vergleiche bewirken, dass beispielsweise zwei Schülerinnen mit identischen mathematischen Leistungen unterschiedliche mathematische Selbstkonzepte entwickeln, je nachdem, wie ihre verbale Leistung ausfällt: Die Schülerin mit besserer Deutschals Mathematik- Leistung wird ein schlechteres mathematisches Selbstkonzept ausbilden als die Schülerin mit schlechterer Deutschals Mathematik-Leistung. Mathematische Leistung Verbale Leistung Mathematisches Selbstkonzept Verbales Selbstkonzept r = .67 r = .10 b = .61 b = -.21 b = -.27 b = .49 Abb. 1: Pfadanalytische Befunde aus der Meta-Analyse von Möller, Pohlmann et al. (2009). 26 Friederike Helm, Jens Möller Diese Zusammenhangsmuster zwischen Noten und fachspezifischen Selbstkonzepten in mathematischen und verbalen Fächern wurden für verschiedene Altersgruppen, mit unterschiedlichen methodischen Vorgehensweisen und länderübergreifend für durchschnittlich, überdurchschnittlich begabte und lernbehinderte Schülerinnen und Schüler gefunden (z. B. Jansen, Schroeders, Lüdtke & Marsh, 2015; Marsh et al., 2014, 2015; Möller & Köller, 2001 b; Möller, Streblow & Pohlmann, 2009; Plucker & Stocking, 2001) und gelten damit als zuverlässig replizierbar. In der vorliegenden Arbeit soll jedoch die Frage nach der situativen Beeinflussbarkeit dieser Zusammenhangsmuster gestellt werden. In der DCT vermuten Möller und Marsh (2013; siehe auch Möller, Helm, Müller-Kalthoff, Nagy & Marsh, 2015), dass Schülerinnen und Schüler dimensionale Vergleiche zwischen verbalen und mathematischen Schulleistungen routinemäßig durchführen. Diese Annahme basiert auf dem zuverlässig replizierten Befund der oben geschilderten Zusammenhangsmuster im I/ E-Modell und auf dem Befund, dass der mathematische und der verbale Bereich die beiden zentralen Dimensionen des akademischen Selbstkonzepts darstellen (Marsh, Byrne & Shavelson, 1988), also innerhalb des schulischen Kontextes ähnlich wichtig sein sollten. In Anlehnung an theoretische Modelle zu sozialen Vergleichsprozessen (z. B. Biernat & Eidelman, 2007; Mussweiler, Rüter & Epstude, 2006) konstatieren Möller und Marsh (2013), dass die Wahl zweier zu vergleichender Bereiche zum einen durch das Motiv der Effizienz von Entscheidungsprozessen geleitet werde (z. B. Mussweiler et al., 2006). Dieses Motiv führe dazu, dass zwei Bereiche routinemäßig miteinander verglichen würden, sodass bei Nennung des einen Bereichs automatisch Kognitionen über den anderen Bereich aktiviert würden. Auf Basis des automatisierten Vergleichs zwischen beiden Bereichen könne dann eine schnelle Entscheidung über die Selbsteinschätzung in den Bereichen getroffen werden. Dementsprechend solle bei der Bildung des Selbstkonzepts in Mathematik automatisch auch die eigene verbale Leistung und umgekehrt bei der Bildung des Selbstkonzepts in Deutsch automatisch die eigene mathematische Leistung präsent sein und die beiden Leistungen miteinander verglichen werden. Eine Studie von Möller und Köller (2001 a) spricht für diese Annahme: In ihrem Experiment fanden sie auf Leistungsfeedback in einer mathematischen Aufgabe einen Kontrasteffekt auf das verbale Selbstkonzept, ohne dass überhaupt im Versuch auf verbale Leistungen Bezug genommen wurde, ein Befund, der für einen routinemäßigen Vergleich zwischen mathematischen und verbalen Leistungen bei der Ausbildung mathematischer und verbaler Selbstkonzepte spricht. Möller und Marsh (2013) schildern außerdem aber eine weitere Möglichkeit, wie es zu dimensionalen Vergleichen zwischen zwei Bereichen kommen kann: Vergleiche zwischen bestimmten Bereichen könnten auch durch externe Gegebenheiten oder aufgrund von Normen nahegelegt werden (siehe auch Biernat & Eidelman, 2007). Möller und Marsh (2013) konstatieren: „Life sometimes moderates the accessibility of standards“ (S. 552), Vergleichsbereiche seien also in verschiedenen Situationen unterschiedlich gut zugänglich und ein Vergleich zwischen ihnen unterschiedlich sinnvoll. Häufig werde ein Vergleich zwischen bestimmten Bereichen beispielsweise in Situationen nahegelegt, in denen eine Entscheidung erforderlich werde, etwa bei der Wahl zwischen Leistungsprofilen in der Schule. Diese Annahme, dass dimensionale Vergleiche durch die Gegebenheiten der aktuellen Situation beeinflusst werden können, lässt die typische Untersuchungssituation in den Studien zum I/ E-Modell problematisch erscheinen: Üblicherweise werden die Selbstkonzepte für das verbale und das mathematische Fach gleichzeitig abgefragt. In der Studie von Möller, Streblow et al. (2009) wurden beispielsweise im verwendeten Fragebogen die Selbstkonzepte für jedes der beiden Fächer erfragt. Häufig wird das Self Description Questionnaire (SDQ; z. B. Marsh, 1992) eingesetzt, in dem ebenfalls As- Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche 27 pekte des verbalen und mathematisch/ naturwissenschaftlichen Selbstkonzepts gleichzeitig abgefragt werden (z. B. bei Plucker & Stocking, 2001). Direkt gegenübergestellt werden die Selbstkonzepte für die beiden Fächer im DISK- Gitter (Rost & Sparfeldt, 2002), das etwa in einer Studie von Schilling, Sparfeldt und Rost (2004) eingesetzt wurde. Im DISK-Gitter werden die Items in Gitterform vorgegeben, die Formulierungen der Item-Stämme sind dabei identisch und die Fächer nebeneinander präsentiert, damit die persönliche Selbsteinschätzung der Begabung in jedem Fach durch ein Kreuz im Gitter ökonomisch markiert werden kann. Werden verbale und mathematische Leistungen tatsächlich routinemäßig miteinander verglichen, wie in der DCT angenommen, wird durch die gleichzeitige Abfrage der Selbstkonzepte lediglich der Prozess abgebildet, den Schülerinnen und Schüler automatisch auch selbst beim Nachdenken über ihr Selbstkonzept in den beiden Bereichen vollziehen: Sie denken gleichzeitig an ihre mathematische und verbale Leistung und vergleichen beide miteinander, um ihre Selbstkonzepte in beiden Bereichen angeben zu können. Stellen jedoch verbale und mathematische Leistung keine routinemäßigen Vergleichsstandards füreinander dar, könnte durch die gleichzeitige Befragung zu beiden Selbstkonzepten ein dimensionaler Vergleich forciert werden, der sonst womöglich nicht stattgefunden hätte. Eine Arbeit von Sparfeldt, Schilling, Rost und Thiel (2006) beschäftigte sich mit der Auswirkung der randomisierten Darbietung von Selbstkonzeptitems im DISK-Gitter, bei der also Selbstkonzeptitems für ein Fach mit Selbstkonzeptitems für andere Fächer vermischt dargeboten werden, im Gegensatz zur geblockten Darbietung der Selbstkonzeptitems für die einzelnen Fächer auf die Zusammenhänge im I/ E-Modell. Die Zusammenhangsmuster zwischen Noten und Selbstkonzepten in Mathematik, Physik, Deutsch und Englisch zeigten sich invariant zwischen den Bedingungen der geblockten und der randomisierten Darbietung der Selbstkonzeptitems. Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen also, dass die Zusammenhänge im I/ E- Modell nicht dadurch beeinflusst werden, ob die Selbstkonzeptitems für ein Fach zusammenhängend oder mit Selbstkonzeptitems für andere Fächer vermischt im Fragebogen präsentiert werden. Es wurden allerdings auch hier in beiden Präsentationsformaten die Selbstkonzepte für die verschiedenen Fächer gleichzeitig abgefragt, wodurch auch unter geblockter Darbietung der Items dimensionale Vergleiche zwischen den Fächern induziert worden sein können. Aufgrund der oben gemachten Ausführungen soll in der vorliegenden Arbeit die Annahme untersucht werden, dass die gleichzeitige Erfassung des verbalen und des mathematischen Selbstkonzepts die geschilderten Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche begünstigt. Es wird vermutet, dass durch die gleichzeitige Befragung zu den Selbstkonzepten in beiden Fächern ein direkter Vergleich der eigenen fachspezifischen Leistungen in Deutsch und Mathematik induziert wird, der ohne die gleichzeitige Befragung nicht oder nur abgeschwächt stattgefunden hätte. Ableitung der Fragestellung Geht man davon aus, dass dimensionale Vergleiche situativ beeinflussbar sind, erscheint die typische Vorgehensweise der Studien zum I/ E- Modell mit gleichzeitiger Erfassung des verbalen und mathematischen Selbstkonzepts problematisch. Die vorliegende Arbeit untersucht daher, ob die Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche zwischen verbalen und mathematischen Leistungen durch die gleichzeitige Erfassung der beiden Selbstkonzepte verstärkt werden oder sogar erst entstehen. Um diese Annahme zu überprüfen, werden Schülerinnen und Schüler entweder gleichzeitig oder ungleichzeitig zu ihren Selbstkonzepten in Deutsch und Mathematik befragt. Pfadanalytisch werden I/ E- Modelle für diese beiden Untersuchungsvarianten spezifiziert und die Zusammenhänge zwischen Noten und Selbstkonzepten untersucht. 28 Friederike Helm, Jens Möller Erwartet wird, dass bei gleichzeitiger Erfassung der Selbstkonzepte die Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche von den Noten auf die nicht-korrespondierenden Selbstkonzepte stärker ausfallen als bei ungleichzeitiger Erfassung der Selbstkonzepte. Methode Stichprobe N = 629 Schülerinnen und Schüler fünfter bis zwölfter Klassen (M Alter = 13.16; SD = 1.92; 50,4 % weiblich) eines Gymnasiums und einer Gesamtschule wurden zu ihren Selbstkonzepten in Deutsch und Mathematik befragt. Innerhalb der Klassen wurden die Schülerinnen und Schüler randomisiert auf die Gruppen gleichzeitige Erfassung (N = 330) und ungleichzeitige Erfassung (N = 299) aufgeteilt. Variablen Unabhängige Variable Die Art der Erfassung der Selbstkonzepte mit den zwei Ausprägungen gleichzeitige und ungleichzeitige Erfassung stellt die unabhängige Variable dar. Für die Bedingung gleichzeitige Erfassung erfolgte zum ersten Befragungszeitpunkt die Abfrage der fachspezifischen Selbstkonzepte für Deutsch und Mathematik, und für die Bedingung ungleichzeitige Erfassung erfolgte zunächst die Abfrage des Selbstkonzepts für nur eines der Fächer. Zwei Wochen später wurde in dieser Bedingung das Selbstkonzept im jeweils anderen Fach erfragt. Welches Selbstkonzept in dieser Bedingung wann erfasst wurde, wurde randomisiert variiert. 1 Abhängige Variable Die Stärke des Kontrasteffekts dimensionaler Vergleiche stellt die abhängige Variable dar. Sie ergibt sich innerhalb des pfadanalytischen Designs als Regressionskoeffizient von der Note auf das Begabungsselbstkonzept im jeweils anderen Fach. Noten. Es wurden die im letzten Zeugnis vergebene Deutsch- und Mathematik-Note erfragt, dem deutschen Bewertungssystem entsprechend auf einer sechsstufigen Skala. Die Noten wurden rekodiert, sodass höhere Werte für eine bessere Fachleistung sprechen. Begabungsselbstkonzepte. Die verwendeten sechs Items zur Erfassung des Begabungsselbstkonzepts in Deutsch und Mathematik stammen großenteils aus etablierten Skalen zur Erfassung akademischer Selbstkonzepte, die ursprünglich in den Arbeiten von Jopt (1978) und Jerusalem (1984) eingesetzt und seitdem vielfach verwendet wurden (z. B. Möller, Pohlmann, Streblow & Kauffmann, 2002). Diese Items lauten: Obwohl ich mir bestimmt Mühe gebe, fällt mir Deutsch/ Mathe schwer; Kein Mensch kann alles. Für Deutsch/ Mathe habe ich einfach keine Begabung; Bei einigen Dingen in Deutsch/ Mathe weiß ich gleich: Das verstehe ich nie! ; Deutsch/ Mathe würde ich viel lieber machen, wenn das Fach nicht so schwer wäre; Deutsch/ Mathe liegt mir nicht besonders. Das sechste Item lautet: Es fällt mir leicht, in Deutsch/ Mathe Aufgaben zu verstehen und Probleme zu lösen (Helm et al., 2012). Die negativ formulierten Items wurden umkodiert, sodass sich eine Skala ergab, auf der höhere Werte für ein positiveres fachspezifisches Begabungsselbstkonzept sprechen. Die interne Konsistenz der Skalen in dieser Untersuchung ist sehr gut (Deutsch: α = .90; Mathematik: α = .91). Vorgehen Im anonymisierten Fragebogen wurden zunächst die demografischen Daten und die Fachnoten aus dem letzten Zeugnis erfragt. Dann erfolgte für die Gruppe gleichzeitige Erfassung die Abfrage der fachspezifischen Selbstkonzepte für Deutsch und Mathematik und für die Gruppe ungleichzeitige Erfassung die Abfrage des Selbstkonzepts für eines der Fächer. Zwei Wochen später wurden die Schülerinnen und Schüler der Gruppe ungleichzeitige Erfassung zum Selbstkonzept im jeweils anderen Fach befragt. In den zwei Wochen zwischen den beiden Befragungszeitpunkten wurden keine Tests oder Arbeiten geschrieben oder zurückgegeben, um den Einfluss schulischer Leistungsrückmeldungen auf die Fähigkeitsselbstkonzepte in der Gruppe mit ungleichzeitiger Befragung möglichst gering zu halten. Im Anschluss an die Befragung wurde den Schülerinnen und Schülern für ihre Teilnahme gedankt und sie wurden über den Hintergrund der Studie aufgeklärt. 1 Es wurde analysiert, ob die Reihenfolgevariation einen Effekt auf die Höhe und die Interkorrelation der Noten und Selbstkonzepte hatte. Dies war nicht der Fall, weshalb die Daten für beide Randomisierungsbedingungen gemeinsam ausgewertet wurden. Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche 29 Auswertung Um die Fragestellung zu überprüfen, ob die gleichzeitige Erfassung der fachspezifischen Selbstkonzepte den Kontrasteffekt dimensionaler Vergleiche im Gegensatz zur ungleichzeitigen Erfassung der Selbstkonzepte verstärkt, wurden Strukturgleichungsmodelle (SEM) mithilfe des Programms Mplus 6 (Muthén & Muthén, 1998 - 2010) spezifiziert. SEM werden beispielsweise bei Reinecke (2005) detailliert beschrieben. Die oben formulierte Hypothese bezieht sich darauf, dass die im I/ E-Modell angenommenen negativen Effekte von der Fachnote auf das Selbstkonzept im divergenten Fach durch die gleichzeitige oder ungleichzeitige Erfassung der Selbstkonzepte beeinflusst werden. Diese Annahme wurde mittels eines Zwei-Gruppenmodells überprüft, in dem getestet wurde, ob die besagten Pfade sich für Schülerinnen und Schüler mit gleichzeitiger und ungleichzeitiger Erfassung der Selbstkonzepte unterscheiden. In diesem Modell wurden für beide Gruppen die Begabungsselbstkonzepte für die Fächer Deutsch und Mathematik auf beide Fachnoten regrediert, dabei wurde für die Korrelationen zwischen den Noten kontrolliert. Die fachspezifischen Selbstkonzepte wurden als latente Faktoren modelliert, die über die zur Erfassung der Selbstkonzepte eingesetzten Items geschätzt wurden. Um deskriptiv beurteilen zu können, wie (unterschiedlich) die Zusammenhänge innerhalb des I/ E- Modells für die beiden Gruppen ausfallen, wurde zunächst ein Modell spezifiziert, in dem alle Pfade zwischen den beiden Gruppen freigegeben wurden, d. h., die Pfadkoeffizienten konnten frei variieren und sich dementsprechend zwischen den Gruppen unterscheiden (Modell 1). Für die Überprüfung der Hypothese, dass die Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche bei gleichzeitiger Befragung stärker ausfallen als bei ungleichzeitiger Befragung, wurden zudem verschiedene Modelle miteinander verglichen: In Modell 2 wurden alle Modellparameter als gruppeninvariant angenommen, d. h., alle Pfadkoeffizienten wurden für beide Gruppen als identisch angenommen. Dieses Modell wurde mit zwei Modellen verglichen, in denen jeweils einer der beiden Pfadkoeffizienten von der Note zum divergierenden Selbstkonzept gruppenspezifisch geschätzt wurde (also frei variieren konnte) und alle übrigen Modellparameter als gruppeninvariant angenommen wurden (Modell 3 u. 4). Anhand eines χ ²-Differenztests mit korrigiertem χ ²-Wert wurde beurteilt, ob sich Modell 2 von Modell 3 und Modell 4 im Modellfit unterscheidet. Dies würde bedeuten, dass angenommen werden kann, dass sich die Gruppen in der Ausprägung der Pfade von der Note zum divergenten Selbstkonzept unterscheiden. Die Passung der spezifizierten I/ E-Modelle auf die Daten wird außer anhand der robusten χ ²-Statistik anhand des Root-Mean-Square-Error of Approximation (RMSEA), des Comparative Fit Index (CFI) und des Tucker-Lewis Index (TLI) beurteilt. Die hierarchische Struktur der Daten (Schülerinnen und Schüler in Klassen) wurde durch Anwendung eines entsprechenden Schätzverfahrens (in Mplus: Type = complex, Estimator = MLR) berücksichtigt. Da es sonst zu einer Überschätzung von Signifikanzen kommen kann, werden die Standardfehler hierbei für die Verletzung der Unabhängigkeitsannahme korrigiert (z. B. Hox, 2002). Ergebnisse Die Pfadkoeffizienten und (latenten) Korrelationen für Modell 1 sind in Abbildung 2 dargestellt. Die Fitindizes für das Modell weisen darauf hin, dass das Modell gut auf die Daten passt (siehe auch Tab. 1): Der RMSEA (= .05) liegt unter dem kritischen Wert von .08 (siehe z. B. Kline, 2005), der TLI (= .95) liegt über dem geforderten Mindestwert von .90 (Hu & Bentler, 1999). Auch CFI (= .96) und χ ²-Statistik (= 1.98) liegen im akzeptablen Bereich (Kline, 2005). Im Einklang mit den Annahmen des I/ E- Modells sind in beiden Gruppen positive Effekte von der Fachnote auf das Selbstkonzept im entsprechenden Fach zu verzeichnen. Zentral für die Beantwortung unserer Fragestellung ist der Vergleich der Effekte von den Noten auf die nicht korrespondierenden Selbstkonzepte. Deskriptiv zeigt sich, dass die Deutsch-Note in beiden Gruppen den annähernd gleichen Effekt auf die Mathematik-Selbstkonzepte hat, der negative Koeffizient für die Gruppe mit gleichzeitiger Befragung ( b = -.14) ist marginal höher als für die Gruppe mit ungleichzeitiger Befragung ( b = -.12). Der Effekt von der Mathematik- Note auf das Deutsch-Selbstkonzept hingegen unterscheidet sich deutlich zwischen den Gruppen; er fällt in der Gruppe mit gleichzeitiger Befragung signifikant negativ aus ( b = -.23), während er für die Gruppe mit ungleichzeitiger Befragung keine Signifikanz erreicht ( b = -.01). 30 Friederike Helm, Jens Möller Um zu überprüfen, ob die festgestellten Unterschiede in den besagten Pfadkoeffizienten signifikant sind und damit von unterschiedlich stark ausgeprägten Kontrasteffekten dimensionaler Vergleiche in den beiden Gruppen ausgegangen werden kann, wurde im Weiteren zunächst Modell 2 (in dem alle Parameter als gruppeninvariant angenommen wurden) mit Modell 3 verglichen. In Modell 3 wurden alle Parameter außer dem Pfad-Koeffizienten von der Deutsch- Note auf das mathematische Selbstkonzept als gruppeninvariant angenommen. Es zeigt sich keine signifikante Differenz zwischen Modell 2 und Modell 3 (korrigierte Δχ ² = 0.24, Δ df = 1, p > .10). Der Effekt von der Deutsch-Note auf das Mathematik-Selbstkonzept wird nicht durch die gleichzeitige oder ungleichzeitige Erfassung beeinflusst. Außerdem wurde Modell 2 mit Modell 4 verglichen. In diesem Modell wurden alle Parameter außer dem Koeffizienten für den Pfad von der Mathematik-Note auf das Deutsch- Selbstkonzept als gruppeninvariant angenommen. Es zeigt sich eine signifikante Differenz zwischen Modell 2 und Modell 4 (korrigierte Δχ ² = 11.46, Δ df = 1, p = .001). Demzufolge weist Modell 4 eine bessere Anpassung an die Daten auf als Modell 2. Es ist also angemessen, von unterschiedlich ausgeprägten Effekten der Mathematik-Note auf das Deutsch-Selbstkonzept für die beiden Erfassungsvarianten auszugehen. In Tabelle 1 sind die Fitindizes der verglichenen Modelle aufgeführt. Diskussion Die vorliegende Studie hatte die Fragestellung zum Gegenstand, ob Merkmale der Erhebungssituation Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche beeinflussen können. Genauer wurde die Annahme untersucht, ob die gleichzeitige Erfassung zweier fachspezifischer Selbstkonzepte zu einer stärkeren Kontrastierung der Selbstkonzepte durch dimensionale Vergleiche führt als die ungleichzeitige Erfassung der Selbstkonzepte. Diese Annahme wurde aus den Ausführungen der DCT abgeleitet, dass Merkmale der Deutsch-Note Mathematik-Note Deutsch- Selbstkonzept Mathematik- Selbstkonzept r = .34**/ .41** r = .09/ .07 b = .59**/ .52** b = -.14**/ -.12** b = -.23**/ -.01 b = .68**/ .65** Abb. 2: Spezifiziertes Zweigruppen-I/ E-Modell mit frei variierenden Pfaden zwischen den Gruppen (Modell 1). Anmerkungen: Werte vor dem Spiegelstrich: zeitgleiche Befragung, Werte hinter dem Spiegelstrich: zeitverschiedene Befragung. * p < .05. ** p < .01. RMSEA CFI / TLI χ²/ df Modell 1 0.05 0.96 / 0.95 1.98 Modell 2 0.05 0.95 / 0.95 2.00 Modell 3 0.06 0.95 / 0.95 2.54 Modell 4 0.05 0.96 / 0.95 1.98 Tab. 1: Modell-Fitindizes für die verglichenen Zweigruppen-I/ E-Modelle Anmerkungen: RMSEA = Root Mean Square Error of Approximation, CFI = Comparative Fit Index, TLI =Tucker- Lewis Index. Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche 31 Befragungssituation vermutlich dimensionale Vergleiche zwischen zwei Bereichen induzieren können. Die Ergebnisse der Pfadanalysen zeigen, dass negative Effekte von der Mathematik-Note auf das Deutsch-Selbstkonzept tatsächlich durch die gleichzeitige oder ungleichzeitige Abfrage der Selbstkonzepte beeinflusst werden: Bei ungleichzeitiger Befragung scheint die Mathematik-Note für das Deutsch-Selbstkonzept keine Rolle zu spielen. So scheinen die Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche zwischen Deutsch und Mathematik zumindest teilweise durch die gleichzeitige Erfragung der Selbstkonzepte gefördert zu werden beziehungsweise nicht aufzutreten, wenn die Befragungssituation einen dimensionalen Vergleich zwischen den beiden Fächern nicht nahelegt. Wenn nicht parallel zum verbalen das mathematische Selbstkonzept erfasst wird, dieses also nicht als Vergleichsstandard hervorgehoben wird, scheint die mathematische Leistung demnach keinen Einfluss mehr auf das verbale Selbstkonzept zu haben. Bei gleichzeitiger Erfassung besteht ein negativer Effekt der Mathematik-Note auf das Deutsch- Selbstkonzept, die Mathematik-Leistung wird dann also bei der Bildung des Deutsch-Selbstkonzepts berücksichtigt. Im Gegensatz dazu zeigt sich der Effekt von der Deutsch-Note auf das mathematische Selbstkonzept auch bei ungleichzeitiger Erfassung der Selbstkonzepte in vergleichbarer Höhe wie bei gleichzeitiger Erfassung. Die Tatsache, dass der Effekt der Deutsch-Note auf das mathematische Selbstkonzept unbeeinflusst von der Art der Erfassung bleibt, weist darauf hin, dass bei der Bildung des Mathematik-Selbstkonzepts auch bei ungleichzeitiger Erfassung die Deutsch-Leistung berücksichtigt wird. Diese unterschiedliche Beeinflussbarkeit des mathematischen und des verbalen Selbstkonzepts durch die Art der Erfassung der Selbstkonzepte ist möglicherweise dadurch bedingt, dass das Deutsch-Selbstkonzept insgesamt unabhängiger von schulischen Erfahrungen ist als das Mathematik- Selbstkonzept (Möller, Pohlmann et al., 2009). Dadurch könnte die mathematische Leistung eine geringere Rolle bei der Ausbildung des verbalen Selbstkonzepts spielen, als es die verbale Leistung bei der Ausbildung des mathematischen Selbstkonzepts tut. Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche können aufgrund des in beiden Befragungsgruppen vorhandenen negativen Effekts der verbalen Leistung auf das mathematische Selbstkonzept nicht als rein durch die gemeinsame Erfassung zu beiden Selbstkonzepten bedingt angesehen werden. Die Annahme der DCT, die Leistungen in den beiden Fächern würden routinemäßig miteinander verglichen, lässt sich jedoch umformulieren: Im Prozess der Bildung des Deutsch-Selbstkonzepts scheint die Mathematik-Leistung nicht unbedingt ein Routine-Vergleichsstandard für die Deutsch- Leistung zu sein. Andersherum jedoch scheint durchaus bei der Ausbildung des Mathematik-Selbstkonzepts die Deutsch-Leistung eine wichtige Rolle zu spielen, auch wenn das Deutsch-Selbstkonzept nicht gleichzeitig erfragt wird. Die Ergebnisse sprechen außerdem für die Annahme der DCT, dass dimensionale Vergleiche durch Gegebenheiten der Situation ausgelöst werden können. Für Studien, die Selbstkonzepte im Bereich verbaler und mathematischer Begabungen untersuchen, bedeutet dies, dass bei gleichzeitiger Erfassung der Selbstkonzepte mit einer Verstärkung der Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche insbesondere für das verbale Selbstkonzept zu rechnen ist. Sollen demnach die Selbstkonzepte möglichst unbeeinflusst vom jeweils anderen Selbstkonzept erfasst werden, sollten sie zeitlich getrennt erfasst werden. Stärken und Grenzen der Studie Eine Stärke der vorliegenden Studie ist, dass mit einem experimentellen Design überprüft wurde, ob sich die gleichzeitige und die ungleichzeitige Erfassung der Selbstkonzepte unterschiedlich auf die Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche auswirken. Dabei wurde die pfadanalytische Auswertungsstrategie bisheri- 32 Friederike Helm, Jens Möller ger Studien zum I/ E-Modell beibehalten, um Effekte der Noten auf das jeweils divergierende Selbstkonzept getrennt für die beiden Erfassungsvarianten untersuchen zu können. Gezeigt wurde, dass die Mathematik-Note für die selbsteingeschätzte Begabung im Fach Deutsch bei ungleichzeitiger Erfassung keine bedeutende Rolle spielt. Damit liefert die vorliegende Studie Hinweise auf Routine-Vergleichsstandards bei der Entwicklung von Fähigkeitsselbstkonzepten im verbalen und im mathematischen Bereich, die getrennt für die beiden Bereiche analysiert werden können: Bei der Ausbildung des mathematischen Selbstkonzepts scheint ein routinemäßiger Vergleich mathematischer und verbaler Leistung stattzufinden, bei der Ausbildung des Deutsch-Selbstkonzepts scheint es jedoch nicht unbedingt zu einem Routinevergleich zwischen Deutsch- und Mathematik- Leistung zu kommen. Die vorliegende Studie zeigt zudem, dass schon geringfügig erscheinende Manipulationen des Erhebungssettings die Effekte dimensionaler Vergleiche verändern können. Eine Beschränkung der vorliegenden Studie ist, dass das Versuchsdesign ausschließlich eine Variation der gleichzeitigen oder ungleichzeitigen Abfrage der Selbstkonzepte beinhaltet, in beiden Bedingungen aber beide Noten gleichzeitig erfasst wurden. Denn vorstellbar ist, dass auch schon durch die gleichzeitige Abfrage der Noten die mathematischen und verbalen Leistungen gegenübergestellt werden und so Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche gefördert werden. Allerdings sprechen die eingangs genannten Ergebnisse von Möller und Köller (2001 a) dafür, dass die Abfrage beider Noten oder Leistungen zumindest keine notwendige Bedingung für das Auftreten der Kontrasteffekte ist. Dass in unserer Studie trotz gleichzeitiger Abfrage beider Noten die dimensionalen Vergleichseffekte unter der Bedingung ungleichzeitiger Erfassung der Selbstkonzepte abgeschwächt wurden, macht zudem unsere Befunde umso bedeutsamer: Die Effekte der mathematischen Leistung auf das verbale Selbstkonzept blieben aus, obwohl kurz zuvor beide Noten erfragt wurden. In weiteren Studien sollten jedoch auch die Auswirkungen der gleichzeitigen oder ungleichzeitigen Abfrage der Fachnoten auf die Effekte dimensionaler Vergleiche untersucht werden. Die systematische Untersuchung der Auswirkung verschiedener Erhebungsvarianten von Noten und Selbstkonzepten auf Effekte dimensionaler Vergleiche kann einen Beitrag dazu leisten, den kognitiven Prozessen auf den Grund zu gehen, die zu dimensionalen Vergleichseffekten führen. Praktische Implikationen Wie eingangs ausgeführt, kann es unter anderem für Lehrkräfte von Interesse sein, die Mechanismen der Selbstkonzeptentstehung zu kennen, darunter den des dimensionalen Vergleichs. Die Kenntnis der möglichen kontrastierenden Auswirkungen dimensionaler Vergleiche kann Lehrkräften eine mögliche Erklärung für unrealistisch hohe oder unrealistisch niedrige Selbsteinschätzungen in einem Bereich bieten. Ein unrealistisch niedriges Selbstkonzept im mathematischen Bereich kann beispielsweise durch einen kontrastierenden Vergleich mit einer besseren Deutschleistung entstehen. Das Wissen um diesen Mechanismus kann es ermöglichen, Schülerinnen und Schüler effektiver beim Aufbau realistischer bis positiver Selbstkonzepte zu unterstützen. Dabei ist es auch von Interesse, sich zu vergegenwärtigen, was sich in der vorliegenden Studie gezeigt hat, nämlich dass Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche situativ beeinflussbar sind. So legen die Ergebnisse unserer Studie nahe, dass durch eine gleichzeitige Befragung zu den Selbstkonzepten in Deutsch und Mathematik eine explizite Gegenüberstellung der Leistungen in den beiden Fächern induziert wird, die zu verstärkten Kontrasteffekten dimensionaler Vergleiche und damit zu verstärkt divergierenden Selbstkonzeptangaben führt. Sollen die Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche reduziert werden, könnte es daher sinnvoll sein, die beiden einzuschätzenden Fächer so selten wie möglich explizit einander gegenüberzustellen oder kon- Kontrasteffekte dimensionaler Vergleiche 33 trastierend zu vergleichen, sondern im Gegenteil eher auf ihre Gemeinsamkeiten hinzuweisen (siehe Helm, Müller-Kalthoff, Nagy & Möller, 2016). Literatur Biernat, M. & Eidelman, S. (2007). Standards. In A. W. Kruglanski & E.T. Higgins (Eds.), Social psychology: Handbook of basic principles (Vol. 2, pp. 308 - 333). New York, NY: Guilford. Eccles, J. S., O’Neill, S. A. & Wigfield, A. (2005). 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