eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 65/3

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
71
2018
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Empirische Arbeit: Feinfühligkeit und Erzieherin-Kind-Beziehungen

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2018
Daniela Mayer
Kathrin Beckh
Daten der Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK) wurden analysiert, um zu untersuchen, welche Faktoren die Qualität von Erzieherin-Kind-Beziehungen in Kindertageseinrichtungen beeinflussen. Von 553 zweijährigen und 706 vierjährigen Kindern lagen Einschätzungen der Erzieherin-Kind-Beziehung und der Mutter-Kind-Beziehung, Beobachtungen der Feinfühligkeit der Erzieherin und der Mutter sowie Einschätzungen des kindlichen Problemverhaltens vor. Unter Kontrolle von familiären Faktoren zeigten sich signifikante Effekte von Geschlecht und Migrationshintergrund des Kindes auf die Erzieherin-Kind-Beziehung dahingehend, dass die Erzieherinnen die Qualität der Beziehungen zu Mädchen und Kindern ohne Migrationshintergrund höher einstuften. Darüber hinaus bestand ein signifikanter Effekt der Qualität der Mutter-Kind-Beziehung auf die Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung. Der Einfluss der Mutter-Kind-Beziehung ließ sich über das Problemverhalten der Kinder erklären. Schließlich hatte die Feinfühligkeit der Erzieherin einen signifikanten Einfluss auf die Qualität der Beziehung zum Kind. Implikationen der Ergebnisse für die Forschung und frühpädagogische Praxis werden diskutiert.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2018, 65, 183 -193 DOI 10.2378/ peu2018.art10d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Feinfühligkeit und Erzieherin-Kind-Beziehungen Daniela Mayer, Kathrin Beckh Staatsinstitut für Frühpädagogik München Zusammenfassung: Daten der Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK) wurden analysiert, um zu untersuchen, welche Faktoren die Qualität von Erzieherin-Kind-Beziehungen in Kindertageseinrichtungen beeinflussen. Von 553 zweijährigen und 706 vierjährigen Kindern lagen Einschätzungen der Erzieherin-Kind-Beziehung und der Mutter-Kind-Beziehung, Beobachtungen der Feinfühligkeit der Erzieherin und der Mutter sowie Einschätzungen des kindlichen Problemverhaltens vor. Unter Kontrolle von familiären Faktoren zeigten sich signifikante Effekte von Geschlecht und Migrationshintergrund des Kindes auf die Erzieherin-Kind-Beziehung dahingehend, dass die Erzieherinnen die Qualität der Beziehungen zu Mädchen und Kindern ohne Migrationshintergrund höher einstuften. Darüber hinaus bestand ein signifikanter Effekt der Qualität der Mutter-Kind-Beziehung auf die Qualität der Erzieherin- Kind-Beziehung. Der Einfluss der Mutter-Kind-Beziehung ließ sich über das Problemverhalten der Kinder erklären. Schließlich hatte die Feinfühligkeit der Erzieherin einen signifikanten Einfluss auf die Qualität der Beziehung zum Kind. Implikationen der Ergebnisse für die Forschung und frühpädagogische Praxis werden diskutiert. Schlüsselbegriffe: Feinfühligkeit, Erzieherin-Kind-Beziehungen, Mutter-Kind-Beziehungen, Problemverhalten, Geschlecht, Migrationshintergrund Sensitivity and Teacher-Child Relationships Summary: Using data from the German National Study of Early Care and Education (NUBBEK) this study examines factors associated with quality of teacher-child relationships in child care centers. In a sample of 553 two-year-olds and 706 four-year-olds mothers and teachers reported on their relationship quality with the child, maternal and teacher sensitivity were observed at home and in the child care center, and children’s problem behavior was rated by the mother. Controlling for family factors, regression analyses revealed significant effects of the child’s gender and migration background on the teacher-child relationship quality, in favor for girls and children without migration background. Moreover, a significant effect of mother-child relationship on teacher-child relationship quality was found. The impact of mother-child relationship was explained by the child’s problem behavior. Furthermore, the teacher’s sensitivity had a significant impact on the teacherchild relationship quality. Implications for research and practice are discussed. Keywords: Sensitivity, teacher-child relationship, mother-child relationship, problem behavior, gender, migration background Eine wachsende Anzahl von empirischen Befunden belegt die Bedeutung der Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung für die kindliche Entwicklung. Eine gute Erzieherin-Kind-Beziehung steht in Zusammenhang mit der kognitiven, sprachlichen und sozial-emotionalen Entwicklung von Kindern (z. B. Ahnert, Milatz, Kappler, Schneiderwind & Fischer, 2013; Burchinal et al., 2008; Mashburn et al., 2008; O’Connor, Collins & Supplee, 2012). Unter gewissen Umständen kann eine vertrauensvolle Erzieherin-Kind-Beziehung sogar kompensatorisch für negative Effekte früher Erfahrungen mit den Eltern auf die kindliche Entwicklung wirken 184 Daniela Mayer, Kathrin Beckh (z. B. O’Connor et al., 2012; Spilt, Hughes, Wu & Kwok, 2012; Watamura, Phillips, Morrissey, McCartney & Bub, 2011). Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass sich zwischen einem Kind und seiner Erzieherin eine bindungsähnliche Beziehung entwickelt (Howes & Spieker, 2016). Bisher weiß man allerdings wenig darüber, von welchen Faktoren der Aufbau von vertrauensvollen Erzieherin-Kind-Beziehungen abhängt. Studien zeigen, dass die Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung sowohl durch die Erfahrungen mit der Mutter bzw. den primären Bindungspersonen beeinflusst wird als auch durch das aktuelle Verhalten der Erzieherin in der Interaktion mit dem Kind bzw. den Kindern, insbesondere durch das feinfühlige Verhalten der Erzieherin gegenüber den kindlichen Bedürfnissen (z. B. Goossens & van IJzendoorn, 1990; Howes, 1999). Aber auch andere Faktoren wie beispielsweise Gruppengröße, Fachkraft- Kind-Schlüssel und Gruppenklima in der Kindertageseinrichtung sowie Merkmale des Kindes (z. B. Geschlecht, Migrationshintergrund und Temperament) scheinen bedeutsam für die Erzieherin-Kind-Beziehungsqualität (z. B. Ahnert, Pinquart & Lamb, 2006; Spilt et al., 2012). Laut der Bindungstheorie bilden Kinder basierend auf ihren Erfahrungen in frühen Mutter- Kind-Beziehungen internale Arbeitsmodelle von sich selbst, von bedeutsamen Anderen und den Beziehungen zu diesen (Bowlby, 1969). Es wird angenommen, dass Kinder basierend auf ihren internalen Arbeitsmodellen frühe bindungsrelevante Erwartungen auf zukünftige Interaktionen anwenden und sich dementsprechend gegenüber späteren Bezugspersonen (wie z. B. Erzieherinnen und Lehrkräften) verhalten und dadurch bei den Interaktionspartnern Reaktionen konsistent mit diesen Erwartungen hervorrufen (z. B. Sroufe, Egeland, Carlson & Collins, 2005; Suess & Sroufe, 2005). Diese Beziehungen wiederum können frühe Verhaltenstendenzen, die in der Mutter-Kind-Beziehung entwickelt wurden, verstärken. Dies kann dazu führen, dass Kinder mit Verhaltensproblemen in der frühen Kindheit auf einen Entwicklungspfad gelangen, indem sie aufgrund der Kontinuität ihres Verhaltens auch später vermehrt Problemverhalten (z. B. aggressives oder ängstliches Verhalten) zeigen und diese externalisierenden oder internalisierenden Verhaltenstendenzen die Qualität der Beziehungen mit Erzieherinnen und Lehrkräften dahingehend beeinflussen, dass mehr Konflikte und weniger Nähe in der Beziehung entstehen (z. B. Birch & Ladd, 1998; Sutherland & Oswald, 2005). Daher ist anzunehmen, dass die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung die Qualität der Beziehungen zwischen dem Kind und den Erzieherinnen oder Lehrkräften beeinflusst. Konsistent mit dieser Annahme berichten einige Studien von moderaten Zusammenhängen zwischen der Mutter-Kind-Bindung und der Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung dahingehend, dass sicher gebundene Kinder eine höhere Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung hatten als unsicher gebundene Kinder (z. B. Ahnert et al., 2006; Pianta, Nimetz & Bennett, 1997; O’Connor & McCartney, 2006). In einigen Studien wurde allerdings auch keine Übereinstimmung zwischen der Beziehungsqualität zur Mutter und zur Erzieherin gefunden (z. B. Goosens & van IJzendoorn, 1990; Howes & Hamilton, 1992; Howes & Segal, 1993). Der jedoch nur moderate Zusammenhang zwischen der Qualität der Beziehung zu Eltern und zu Erzieherinnen deutet darauf hin, dass auch noch andere Faktoren die Qualität von Erzieherin-Kind-Beziehungen beeinflussen (O’Connor & McCartney, 2007). Aus Sicht der Bindungstheorie ist die Feinfühligkeit der erwachsenen Bezugsperson eine zentrale Determinante der Beziehungsqualität und stellt eine Grundvoraussetzung für den Aufbau einer sicheren Bindung dar (z. B. Bakermans-Kranenburg, van IJzendoorn & Juffer, 2003; Bowlby, 1973; De Wolff & van IJzendoorn, 1997). Nach Mary Ainsworth (1974/ 2003) ist Feinfühligkeit definiert als die Fähigkeit und Bereitschaft einer erwachsenen Bindungsbzw. Bezugsperson, die Signale des Kindes wahrzunehmen, sie richtig zu deuten und prompt und angemessen darauf zu reagieren. Ainsworth (1969) betrachtet die mütterliche Fähigkeit, die Dinge aus der Perspektive des Kindes zu sehen, Feinfühligkeit und Erzieherin-Kind-Beziehungen 185 als einen Aspekt von Feinfühligkeit und als eine wesentliche Grundvoraussetzung für feinfühliges Verhalten, während eine verzerrte Wahrnehmung des Kindes zu unfeinfühligem Verhalten führt. Aufgrund der Ähnlichkeiten zwischen den Merkmalen und Funktionen von Eltern- Kind- und Erzieherin-Kind-Beziehungen wird sowohl das Konzept der Eltern-Kind-Bindung als auch das des feinfühligen Verhaltens in der Mutter-Kind-Dyade auf den Kontext der professionellen Betreuung von Kindern bzw. Kindergruppen übertragen (Ahnert et al., 2006; Ahnert & Spangler, 2014). Für den Bereich der Erzieherin-Kind-Beziehungen ist die Bedeutung von feinfühligem Verhalten allerdings weniger gut erforscht und die verfügbaren Befunde sind weniger einheitlich als für den Bereich von Mutter-Kind-Beziehungen. In einer Meta-Analyse von Ahnert und Kollegen (2006) war die beobachtete dyadische Feinfühligkeit von Fachkräften gegenüber einzelnen Kindern nur in kleinen Gruppen, kennzeichnend für die Tagespflege, prädiktiv für die Qualität der Erzieherin- Kind-Beziehung, in Kindertageseinrichtungen erwies sich dagegen insbesondere das empathische und gruppenbezogen ausgerichtete Erzieherverhalten als signifikanter Prädiktor der Erzieherin-Kind-Beziehungsqualität. Gerade in größeren Kindergruppen kommt es zwangsläufig immer wieder zu Situationen, in denen die Erzieherin nicht gleichermaßen prompt und angemessen auf die Signale jedes einzelnen Kindes reagieren kann, d. h. sie muss selektiv ihre Aufmerksamkeit auf die wichtigsten sozialen und emotionalen Bedürfnisse der gesamten Kindergruppe ausrichten. Auch abhängig vom Alter des Kindes bestimmen unterschiedliche Aspekte die Erzieherin-Kind-Beziehung: Während im Kleinst- und Kleinkindalter sicherheitsgebende und stressreduzierende Aspekte im Vordergrund der Gestaltung der Erzieherin-Kind-Beziehung stehen, spielen im Kindergarten- und Vorschulalter vor allem Assistenz und Unterstützung bei der kindlichen Exploration und beim Wissenserwerb eine bedeutende Rolle (Ahnert, 2007). Dies hängt damit zusammen, dass sich mit zunehmendem Alter die Sicherheits- und Stressreduktionsstrategien der Kinder entwickeln, wodurch die Kinder nicht mehr so stark auf direkte Hilfen der Erzieherinnen angewiesen sind. Daher muss sich feinfühliges Verhalten an dem Alter und dem Entwicklungsstand des Kindes ausrichten. Die Meta-Analyse von Ahnert und Kollegen (2006) bestätigte den Befund von Howes und Smith (1999) nicht, dass Fachkraft-Kind- Beziehungen von hoher Qualität weniger wahrscheinlich sind, wenn die Kinder älter werden. Dies war nur dann der Fall, wenn die Kinder nicht konstante Betreuungsgeschichten aufwiesen. Während sich im Hinblick auf die Qualität der Eltern-Kind-Bindung kaum Geschlechtsunterschiede finden lassen, spielt scheinbar für die Erzieherin-Kind-Beziehung das Geschlecht des Kindes eine Rolle: Sichere Erzieherin-Kind- Beziehungen entstehen leichter und sind häufiger bei Mädchen als bei Jungen (z. B. Ahnert et al., 2006; Hamre & Pianta, 2001; Spilt et al., 2012). Als eine Erklärung dafür wird diskutiert, dass Erzieherinnen auf die meist gleichgeschlechtlichen Spielgruppen in Kindertageseinrichtungen auf geschlechtsspezifische Weise reagieren und dabei die Eigenschaften von Mädchen und Mädchengruppen (z. B. ruhiger, prosozialer) möglicherweise die Beziehungsgestaltung für die Erzieherinnen erleichtern (Ahnert, 2007; Ahnert et al., 2006). Des Weiteren zeigen sich Unterschiede in der Erzieherin-Kind-Beziehungsqualität in Abhängigkeit vom Migrationshintergrund des Kindes: US-amerikanische Studien stellten fest, dass Erzieherinnen bzw. Lehrkräfte die Beziehung zu Kindern positiver einschätzten, wenn das Kind und die Erzieherin den gleichen ethnischen Hintergrund hatten (z. B. Saft & Pianta, 2001). Eine mögliche Ursache wird in dem aufeinander abgestimmten kulturellen und familiären Hintergrund und in einer verbesserten Kommunikation gesehen. In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, inwieweit Merkmale des Kindes (wie Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund, mütterliche Feinfühligkeit und Qualität der Mutter- 186 Daniela Mayer, Kathrin Beckh Kind-Beziehung sowie Problemverhalten) sowie Merkmale der Erzieherin, nämlich deren feinfühliges Verhalten, die Qualität von Erzieherin-Kind-Beziehungen in Kindertageseinrichtungen beeinflussen. Basierend auf dem zusammenfassend dargestellten Forschungsstand wird angenommen, dass sich eine hohe Feinfühligkeit der Erzieherin positiv auf die Beziehungsqualität auswirkt. Außerdem wird erwartet, dass Mädchen, Kinder ohne Migrationshintergrund, Kinder mit einer feinfühligen Mutter bzw. einer hohen Beziehungsqualität zur Mutter sowie Kinder mit wenig Problemverhalten Erzieherin-Kind-Beziehungen von höherer Qualität haben. Methode Stichprobe Die Daten stammen von der Nationalen Untersuchung zur Bildung, Betreuung und Erziehung in der frühen Kindheit (NUBBEK). Bei NUBBEK handelt es sich um eine national angelegte Studie, in deren Mittelpunkt die Zusammenhänge zwischen der Qualität familiärer und außerfamiliärer Betreuung und der kindlichen Entwicklung stehen. Eine detaillierte Beschreibung des Studiendesigns sowie der in acht Bundesländern der Bundesrepublik Deutschland realisierten Auswahl und Rekrutierung von zwei- und vierjährigen Kindern und deren Familien und außerfamiliären Betreuungsformen ist ausführlich im Forschungsbericht der NUBBEK-Studie (Tietze et al., 2013) beschrieben. Da ein Schwerpunkt der Studie auf Familien mit Migrationshintergrund lag, sind Immigranten aus der Türkei und der früheren Sowjetunion, die die beiden größten Zuwanderergruppen in Deutschland darstellen, in der Stichprobe überrepräsentiert. Die Definition des Migrationshintergrundes orientierte sich für beide Migrationsgruppen am Herkunftsland der Mutter: Russischsprachiger Migrationshintergrund lag vor, wenn die Mutter des Kindes in einem Land der ehemaligen Sowjetunion geboren wurde; türkischer Migrationshintergrund lag vor, wenn die Mutter des Kindes oder ihre beiden Eltern in der Türkei geboren wurden. Die Stichprobe der vorliegenden Berechnungen beschränkte sich auf die Gruppe der zwei- und vierjährigen Kinder (n = 1259), die mindestens 15 Stunden pro Woche außerfamiliär betreut wurden und zu denen vollständige Daten 1 in den unten beschriebenen Untersuchungsvariablen vorlagen: n = 553 zweijährige Kinder (M =33.14 Monate, SD = 2.02), davon 51,4 % Jungen und 18,3 % Kinder mit türkischem oder russischsprachigem Migrationshintergrund, sowie n = 706 vierjährige Kinder (M = 53.92 Monate, SD = 3.72), davon 48,7 % Jungen und 29,5 % mit türkischem oder russischsprachigem Migrationshintergrund. Datenerhebung Für die Berechnungen wurden die im Folgenden beschriebenen Untersuchungsvariablen der NUBBEK- Studie ausgewählt (siehe auch NUBBEK-Dokumentation der Erhebungsinstrumente; Eckhardt et al., 2012). Die demografischen Informationen Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund des Kindes, das Alter und die Bildung der Mutter sowie der sozioökonomische Status der Familie wurden über computergestützte Interviews mit den Müttern erhoben. Die Feinfühligkeit der Mütter und der Erzieherinnen wurden durch geschulte Beobachter zu Hause bzw. in den Kindertageseinrichtungen beobachtet. Die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung und der Erzieherin-Kind-Beziehung wurden von der Mutter bzw. der Erzieherin selbst eingeschätzt. Das Problemverhalten des Kindes wurde durch die Mutter beurteilt. Alle Analysen wurden für die familiären Hintergrundvariablen Alter und Bildung der Mutter sowie sozioökonomischer Status der Familie kontrolliert, da Studien eine höhere Erzieherin-Kind-Beziehungsqualität bei Kindern mit begünstigtem familiären Hintergrund fanden (z. B. Hamre & Pianta, 2001; Jerome, Hamre & Pianta, 2009). 1 Fehlende Werte wurden für die Hauptinstrumente der Untersuchung nicht ausgeschlossen, sondern mittels Expectation-Maximization (EM) Imputation ersetzt; Beobachtungsdaten im familiären und außerfamiliären Kontext sowie Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund des Kindes wurden nicht imputiert (vgl. Tietze et al., 2013). Die Imputation erfolgte getrennt für alle Item-Sets auf Skalenniveau. Ein Vergleich von bivariaten Korrelationen zwischen Skalen, gebildet auf Basis von imputierten und nicht imputierten Werten, ergab keine bedeutsamen Unterschiede. Dieses Ergebnis, verbunden mit den sehr guten Ergebnissen, die üblicherweise mit der eingesetzten EM-Imputation bei großen Stichproben (n > 500) erzielt werden, lässt darauf schließen, dass durch die Imputation der fehlenden Daten verbesserte Schätzungen in den deskriptiven und multivariaten Datenanalysen erzielt werden können. Feinfühligkeit und Erzieherin-Kind-Beziehungen 187 Untersuchungsvariablen und -instrumente Erzieherin-Kind-Beziehung Die Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung wurde anhand der Kurzform der Student Teacher Relationship Scale (STRS; Pianta, 1992 a) erhoben. Die Erzieherinnen schätzten für jedes der 15 Items die Beziehung zwischen sich und dem Kind in den Aspekten Nähe (z. B. „Wenn das Kind aufgebracht ist, sucht es bei mir Trost“) und Konflikt (z. B. „Das Kind und ich haben ständig Auseinandersetzungen miteinander“) auf einem fünfstufigen Antwortformat selbst ein. Eine hohe Qualität der Erzieherin-Kind- Beziehung ist gekennzeichnet durch ein hohes Ausmaß an Nähe und ein geringes Ausmaß an Konflikten. Aus den einzelnen Ratings wurde durch Mittelwertbildung ein Skalenwert gebildet ( α Zweijährige = .79; α Vierjährige = .83). Feinfühligkeit der Erzieherin Basierend auf einer ca. vierstündigen Beobachtung wurde das feinfühlige Verhalten der Erzieherin definiert als warmherzig, aufmerksam und engagiert gegenüber der Kindergruppe mittels der Subskala Feinfühligkeit der Caregiver Interaction Scale (CIS; Arnett, 1989) von geschulten Beobachtern eingeschätzt. Anhand von zehn Items (z. B. „Spricht warmherzig mit den Kindern“, „Geht auf die Individualität der Kinder ein“) wurde auf einer vierstufigen Likert-Skala bewertet, inwieweit die Erzieherin das in dem Item beschriebene Verhalten gegenüber den Kindern zeigte. Aus den einzelnen Ratings wurde ein Mittelwert als Skalenwert gebildet ( α Zweijährige = .90; α Vierjährige = .91). Mütterliche Feinfühligkeit Da Arnetts CIS weder altersnoch kontextabhängig ist, wurde diese ebenfalls im Rahmen eines zweistündigen Hausbesuchs eingesetzt, um die Feinfühligkeit der Mutter, nun definiert als warmherziges, aufmerksames und engagiertes Verhalten dem individuellen Kind gegenüber, zu beobachten (dyadisches Maß analog zur gruppenbezogenen Feinfühligkeit der Erzieherin). Die geschulten Beobachter stuften das Verhalten der Mutter gegenüber dem Kind anhand von zehn Items auf einer vierstufigen Likert-Skala ein. Aus den einzelnen Ratings wurde durch Mittelwertbildung ein Skalenwert berechnet ( α Zweijährige = .60; α Vierjährige = .58). Mutter-Kind-Beziehung Die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung wurde mithilfe der Kurzform der Child Parent Relationship Scale (CPRS; Pianta, 1992 b; analoges Maß zur STRS) erfasst. Die Mütter sollten für jedes der 15 Items die Beziehung zwischen sich und ihrem Kind in den Aspekten Nähe und Konflikt auf einem fünfstufigen Antwortformat selbst einschätzen. Die einzelnen Ratings wurden zu einem Skalenwert gemittelt ( α Zweijährige = .73; α Vierjährige = .71). Problemverhalten Das Problemverhalten der Kinder wurde mittels einer gekürzten Version der Child Behavior Checklist (CBCL; Arbeitsgruppe Deutsche Child Behavior Checklist, 2002) von Achenbach (1991), bestehend aus 40 Items zu den Inhalten sozialer Rückzug, Ängstlichkeit/ Depression, Aufmerksamkeitsprobleme und aggressives Verhalten erfasst. Die Mütter bewerteten auf einer dreistufigen Skala, wie charakteristisch das jeweilige Item das Verhalten des Kindes während der letzten zwei Monate beschreibt. Aus den Bewertungen der Mutter wurde durch Mittelwertbildung ein Skalenwert gebildet ( α Zweijährige = .90; α Vierjährige = .90). Bildung der Mutter Um die in Deutschland und im Ausland erworbenen höchsten formalen Schul- und Berufsabschlüsse einheitlich und vergleichbar zu klassifizieren, wurde die International Standard Classification of Education 1997 (ISCED-97) angewandt (Schneider, 2008). Sozioökonomischer Status (SES) Ein Index für den sozioökonomischen Status (SES) der Familie wurde aus dem höchsten Bildungsabschluss und der beruflichen Stellung der Mutter bzw. des Partners, dem berechneten Nettoäquivalenzeinkommen und der subjektiven Einschätzung der ökonomischen Situation gebildet. Dieser Index fasst die kombinierten Effekte der sozioökonomischen Ressourcen der Familie sowie auch die subjektiven Einschätzungen der Mütter hinsichtlich ihrer finanziellen Situation in einem geschätzten Faktorenwert zusammen. Der Index wurde von 0 = „niedrigster Status“ bis 100 = „höchster Status“ skaliert. 188 Daniela Mayer, Kathrin Beckh Analytisches Vorgehen Um den Einfluss der Untersuchungsvariablen auf die Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung zu untersuchen, wurden multiple hierarchische Regressionsanalysen berechnet. In einem ersten Schritt wurden, unter Kontrolle der familiären Hintergrundvariablen Alter und Bildung der Mutter sowie sozioökonomischer Status der Familie, das Alter, Geschlecht und der Migrationshintergrund des Kindes in das Regressionsmodell aufgenommen. In einem zweiten Schritt wurden die mütterliche Feinfühligkeit und die Mutter-Kind-Beziehungsqualität als Prädiktoren hinzugefügt. In einem dritten Schritt wurde das kindliche Problemverhalten sowie in einem vierten Schritt die Feinfühligkeit der Erzieherin in das Modell integriert. Ergebnisse Deskriptive Statistiken und Interkorrelationen der Untersuchungsvariablen Im Durchschnitt berichteten die Erzieherinnen von einer hohen Beziehungsqualität zum Kind (M =4.33; SD = 0.46), ebenso die Mütter (M =4.16; SD = 0.40). Die beobachtete Feinfühligkeit lag sowohl bei den Erzieherinnen (M =3.06; SD = 0.56) als auch bei den Müttern (M =3.20; SD = 0.54) im Mittel im oberen Bereich der Ratingskala. Das kindliche Problemverhalten wurde von den Müttern mit einem Mittelwert von M =1.41 (SD = 0.24) als niedrig eingestuft. Die Interkorrelationen der Untersuchungsvariablen sind in Tabelle 1 dargestellt. Im Hinblick auf die bivariaten Zusammenhänge der Prädiktoren mit der Qualität der Erzieherin-Kind- Beziehung bestanden signifikante Korrelationen zwischen der Erzieherin-Kind-Beziehungsqualität und dem Geschlecht und Migrationshintergrund des Kindes, der Qualität der Mutter-Kind- Beziehung, dem kindlichen Problemverhalten sowie der Feinfühligkeit der Erzieherin. Regressionsmodelle zur Vorhersage der Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung Die Ergebnisse der multiplen hierarchischen Regressionsanalysen zur Vorhersage der Erzieherin-Kind-Beziehungsqualität sind in Tabelle 2 zusammengefasst. Unter Kontrolle von familiären Hintergrundvariablen (Alter der Mutter, Bildung der Mutter, SES) zeigten sich signifikante Effekte von Geschlecht und Migrationshintergrund des Kindes auf die Erzieherin-Kind-Beziehung dahingehend, dass die Erzieherinnen die Qualität der Beziehungen zu Mädchen und Kindern ohne Migrationshintergrund höher einstuften. Darüber hinaus erwies sich die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung als signifikanter Prädiktor der Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung. Die Mutter-Kind-Beziehung hatte im gemeinsamen Regressionsmodell mit dem kindlichen Problemverhalten keinen direkten Effekt mehr 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 1. Erzieherin-Kind-Beziehung 2. Alter 3. Geschlecht a 4. Migrationshintergrund b 5. Mütterliche Feinfühligkeit 6. Mutter-Kind-Beziehung 7. Problemverhalten 8. Feinfühligkeit der Erzieherin -.03 .13*** -.11*** .07 .11*** -.14*** .07* .02 .11*** -.05 .01 -.06* -.10*** -.01 .05 .03 -.09** .01 -.11*** -.12*** .17*** -.08** .23*** -.18*** .07* -.51*** .01 .02 Tab. 1: Interkorrelationen der Untersuchungsvariablen Anmerkungen: a 1 = Mädchen, b 1 = mit Migrationshintergrund; unter Kontrolle familiärer Hintergrundvariablen (Alter der Mutter, Bildung der Mutter, SES). * p < .05, ** p < .01, *** p < .001. Feinfühligkeit und Erzieherin-Kind-Beziehungen 189 auf die Erzieherin-Kind-Beziehungsqualität. Der Effekt der Qualität der Mutter-Kind-Beziehung auf die Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung wurde über das kindliche Problemverhalten vermittelt. Außerdem sagte die Feinfühligkeit der Erzieherin signifikant die Qualität der Beziehung zum Kind vorher. Diskussion Ziel dieses Beitrags war es zu untersuchen, welche Faktoren die Qualität der Erzieherin-Kind- Beziehungen von zwei- und vierjährigen Kindern beeinflussen. Unter Kontrolle von familiären Hintergrundvariablen wurden neben Alter, Geschlecht und Migrationshintergrund der Kinder sowohl die Feinfühligkeit der Erzieherin als auch die mütterliche Feinfühligkeit und Qualität der Mutter-Kind-Beziehung sowie das kindliche Problemverhalten berücksichtigt. Bei den deskriptiven Ergebnissen ist festzuhalten, dass die Erzieherinnen durchschnittlich von einer hohen Beziehungsqualität zum Kind berichteten. Sie stuften die Beziehungsqualität sogar signifikant höher ein als die Mütter ihre Beziehung zum Kind (t(1258) = 10.92, p < .001; vgl. Tab. 1). Andere Studien berichten dagegen von einer vergleichbaren Qualität oder einer höheren Qualität von Mutter-Kind-Beziehungen (vgl. Ahnert et al., 2006). In Übereinstimmung mit den Ergebnissen der Meta-Analyse von Ahnert et al. (2006) hatte das Alter der Kinder keinen signifikanten Einfluss auf die Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung. Konsistent mit internationalen Studien (z. B. Ahnert et al., 2006; Hamre & Pianta, 2001; Spilt et al., 2012) wurden Unterschiede in der Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung zugunsten von Mädchen und Kindern ohne Migrationshintergrund festgestellt. Eine Ursache wird in dem aufeinander abgestimmten geschlechtlichen sowie kulturellen und familiären Hintergrund und der damit zusammenhängenden Ähnlichkeit gesehen (z. B. Saft & Pianta, 2001). Außerdem ist in außerfamiliären Betreuungssettings das Geschlecht anscheinend ein strukturierender Faktor: Im Vorschulalter überwiegen gleichgeschlechtliche Spielgruppen, die sich in ihren Kulturen, Interaktionen und Verhaltensweisen unterscheiden (z. B. Maccoby, 2000). Jungengruppen sind eher hierarchisch strukturiert und durch ein erhöhtes Aktivitätsniveau (z. B. Raufen und Toben) und Dominanzverhalten gekennzeichnet. Im Gegensatz dazu bilden Mädchen eher egalitäre Strukturen, können ihr Aktivitätsniveau besser regulieren und verhalten sich prosozialer gegenüber ihren Interaktionspartnern. Vermutlich reagieren Erzieherinnen auf diese Mädchen- und Jungengruppen auf geschlechtsspezifische Art und Weise, wobei die Eigenschaften von Mädchen Modell a Prädiktor M1 b M2 b M3 b M4 b Alter Geschlecht b Migrationshintergrund c Mütterliche Feinfühligkeit Mutter-Kind-Beziehung Kindliches Problemverhalten Feinfühligkeit der Erzieherin -.02 .13*** -.11*** -.02 .13*** -.10*** .03 .09** -.02 .12*** -.09** .03 .05 -.09** -.02 .12*** -.08** .03 .05 -.09** .06* ∆R² .03*** .01*** .01** .00* Tab. 2: Hierarchische Regressionsanalysen zur Vorhersage der Qualität der Erzieherin-Kind-Beziehung (n = 1259): R² = .06***, adjustiertes R² = .05*** Anmerkungen: a unter Kontrolle familiärer Hintergrundvariablen (Alter der Mutter, Bildung der Mutter, SES), b 1 = Mädchen, c 1 = mit Migrationshintergrund. * p < .05, ** p < .01, *** p < .001. 190 Daniela Mayer, Kathrin Beckh und Mädchengruppen möglicherweise den Aufwand für eine Beziehungsgestaltung verringern (Ahnert, 2007; Ahnert et al., 2006). Zum anderen könnte der Geschlechtsunterschied möglicherweise auf eine Wechselwirkung zwischen Geschlechterrollenverhalten und Eltern- Kind-Bindungsqualität zurückzuführen sein. Während bei Bindungssicherheit weder Mädchen noch Jungen auf geschlechtsstereotype Verhaltensmuster angewiesen sind und ihre Verhaltensstrategie flexibel an die Situation anpassen können, beschränken sich hingegen bei Bindungsunsicherheit Jungen eher auf den männlich-aggressiven Verhaltensstil und Mädchen auf den weiblich-passiven Verhaltensstil (Turner, 1991). Darüber hinaus wird bei Jungen immer wieder der Zusammenhang zwischen Bindungsunsicherheit und Verhaltensauffälligkeiten betont (Keppler, 2003). In Übereinstimmung mit früheren Studien (z. B. Booth, Kelly, Spieker & Zuckerman, 2003; Buyse, Verschueren & Doumen, 2011; Pianta et al., 1997) erwiesen sich die Qualität der Mutter-Kind-Beziehung und das kindliche Problemverhalten als signifikante Prädiktoren der Erzieherin-Kind-Beziehungsqualität, dabei konnte der Effekt der Qualität der Mutter-Kind-Beziehung über das kindliche Problemverhalten erklärt werden. Das bedeutet, je höher die Mutter-Kind- Beziehungsqualität war, desto niedriger war das Problemverhalten des Kindes und desto höher die Beziehungsqualität zwischen Erzieherin und Kind. Das legt nahe, dass Kindergartenkinder ihre sozialen Erfahrungen mitgestalten und abhängig von ihrem Bindungshintergrund unterschiedliche Reaktionen und Gefühle bei ihren Erzieherinnen auslösen (Sroufe et al., 2005). Es wird angenommen, dass im Kindergartenalter die internalen Arbeitsmodelle von Bindung durch Prozesse der Verinnerlichung und Konsolidierung der Interaktionserfahrungen mehr zu einer Struktur der Selbstregulation der Person werden und sich eine organisierte Persönlichkeit herausbildet (Suess & Sroufe, 2005; Zimmermann, 1999). Dadurch werden korrigierende Erfahrungen mit steigendem Alter zunehmend schwieriger. Schließlich hatte die beobachtete gruppenbezogene Feinfühligkeit der Erzieherin einen signifikanten Einfluss auf die von der Erzieherin wahrgenommene Qualität der Beziehung zum Kind. Das heißt, je feinfühliger sich die Erzieherin gegenüber den Kindern und ihren Bedürfnissen verhielt, desto höher war die Qualität der Beziehung zwischen Erzieherin und Kind. Dieser Befund ist konsistent mit früheren Studien (vgl. Meta-Analyse von Ahnert et al., 2006). Entsprechend den bindungstheoretischen Annahmen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass sowohl die Erfahrungen mit der Mutter als auch die in der Kindertageseinrichtung erfahrene Feinfühligkeit der Erzieherin in der Interaktion mit den Kindern die Beziehungsqualität zwischen Erzieherin und Kind beeinflussen. Dabei ist allerdings anzumerken, dass die gefundenen Effekte klein ausfielen und insgesamt nur ein kleiner Anteil der Varianz der Erzieherin- Kind-Beziehungsqualität durch die untersuchten Prädiktoren aufgeklärt werden konnte. Bei der Interpretation der Ergebnisse sind darüber hinaus folgende Einschränkungen der Studie zu berücksichtigen: Bei der NUBBEK-Studie handelt es sich lediglich um eine Querschnittuntersuchung, daher kann die Richtung der Zusammenhänge nicht kausal interpretiert werden. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass es sich nicht um auf Beobachtung basierte Maße der Mutter-Kind-Beziehung oder der Erzieherin-Kind-Beziehung handelt, sondern diese Beziehungsmaße auf den Selbsteinschätzungen der Mutter bzw. der Erzieherin beruhen. Die Selbsteinschätzungen der Erzieherinnen im Hinblick auf die Beziehungsqualität zum Kind wiesen zudem eine geringe Varianz auf einem hohen Niveau auf. Durch objektive Maße könnten individuelle Unterschiede möglicherweise besser abgebildet werden. Es ist dabei allerdings auch anzumerken, dass die subjektive Wahrnehmung der Beziehung zum Kind durch die Erzieherin im Hinblick auf Nähe und Konflikt ebenfalls einen relevanten Aspekt der Beziehungsqualität erfasst, der in zahlreichen Studien in Zusammenhang mit der sozialen und schulischen Ent- Feinfühligkeit und Erzieherin-Kind-Beziehungen 191 wicklung der Kinder gebracht wurde (z. B. Birch & Ladd, 1998; Hamre & Pianta, 2001). Hinsichtlich der Validität des Feinfühligkeitsmaßes ist zu berücksichtigen, dass Arnetts Caregiver Interaction Scale, die die Feinfühligkeit der Erzieherinnen als warmherziges, aufmerksames und engagiertes Verhalten operationalisiert, nicht gut zwischen Betreuungspersonen unterscheidet, die eine hohe oder eine mittlere Feinfühligkeit in ihrer Interaktion mit dem Kind bzw. den Kindern zeigen (Colwell, Gordon, Fujimoto, Kaestner & Korenman, 2013). Dadurch werden vermutlich die Effekte der Feinfühligkeit der Erzieherin auf die Beziehungsqualität zwischen Erzieherin und Kind unterschätzt. Zudem konnte aufgrund der Erfassung der Feinfühligkeit der pädagogischen Fachkraft auf Gruppenebene die Annahme, dass die Kindergruppen (Jungen, Kinder mit Migrationshintergrund), die im Durchschnitt eine niedrigere Beziehungsqualität mit der Erzieherin haben, auch eine unterschiedliche Feinfühligkeit erfahren, nicht genauer analysiert werden. Außerdem konnte die mütterliche Feinfühligkeit nicht ausreichend reliabel anhand der Caregiver Interaction Scale erfasst werden, die Arnett ursprünglich für Erzieherinnen entwickelt hat und im Rahmen der Studie aufgrund der Kontexteigenschaften des Instrumentes auf die Anwendung mit Müttern übertragen wurde. Abgesehen von den psychometrischen Schwächen der verwendeten Instrumente, wodurch die Zusammenhänge der untersuchten Variablen möglicherweise unterschätzt werden, ist nicht auszuschließen, dass das geringe Ausmaß der Zusammenhänge möglicherweise auch auf Methodeneffekte aufgrund der unterschiedlichen Ebenen der Erfassung (einige Maße beruhen auf Beobachtung, andere auf Selbsteinschätzung) zurückzuführen ist. Aus den Befunden der Studie lassen sich folgende Implikationen für Forschung und Praxis ableiten. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie bestätigen, dass das feinfühlige Verhalten der pädagogischen Fachkraft die Qualität der Beziehung zum Kind bestimmt. Daher stellt bei Präventions- und Interventionsmaßnahmen sowie in der Aus- und Weiterbildung von Erzieherinnen die Förderung von Feinfühligkeit einen wichtigen Ansatzpunkt dar. Dabei ist es wichtig, speziell auf Problemverhaltensweisen von Kindern, Geschlechtsrollenverhalten und Migrationshintergrund einzugehen, da hier Verhaltensweisen der Kinder möglicherweise falsch interpretiert werden, was die Beziehung zum Kind beeinträchtigen kann. Erzieherinnen können durch korrigierende Interaktions- und Beziehungsprozesse eine bedeutsame Quelle von Veränderung sein (Suess & Sroufe, 2005). So fanden Buyse und Kollegen (2011) beispielsweise Kontinuität von Beziehungsproblemen bei niedriger Feinfühligkeit der Erzieherinnen. Wenn sich die Erzieherinnen allerdings sehr feinfühlig verhielten, konnten auch Kinder mit unsicherer Mutterbindung tragfähige Beziehungen zu den Erzieherinnen entwickeln. Darüber hinaus zeigen Studien, dass gerade die Kindergruppen (z. B. Jungen, Kinder mit Migrationshintergrund), die im Durchschnitt weniger positive Beziehungen zu Erzieherinnen haben, in ihrer Entwicklung besonders von einer guten Erzieherin-Kind-Beziehung profitieren (z. B. Mayer, Beckh, Berkic & Becker-Stoll, 2013; Spilt et al., 2012). Deshalb ist es wichtig, dass Erzieherinnen bei der Beziehungsgestaltung ganz bewusst versuchen, besonders auch zu diesen Kindern eine vertrauensvolle Beziehung aufzubauen. Weitere Forschung ist nötig, um den Einfluss der Feinfühligkeit auf die Gestaltung der Erzieherin-Kind-Beziehung besser zu verstehen, und um darauf aufbauend gezielte Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen für Erzieherinnen zu entwickeln und umzusetzen. Dafür ist u. a. eine klare Definition des Konzeptes von Feinfühligkeit im Kontext von außerfamiliärer Kindertagesbetreuung sowie darauf aufbauend die Entwicklung von trennscharfen und validen Instrumenten notwendig. Berücksichtigt man die herausragende Bedeutung, die vertrauensvolle Beziehungen für die kindliche Entwicklung spielen, dann wird deutlich, wie wichtig es ist, hierfür eine wissenschaftliche Grundlage zu schaffen. 192 Daniela Mayer, Kathrin Beckh Literatur Achenbach, T. M. (1991). Manual for the Child Behavior Checklist/ 4-18 and 1991 profile. Burlington, VT: University of Vermont. Ahnert, L. (2007). Von der Mutter-Kindzur Erzieherinnen-Kind-Bindung? In F. Becker-Stoll & M. Textor (Hrsg.), Die Erzieherin-Kind-Beziehung (S. 31 - 41). Berlin: Cornelsen. Ahnert, L., Milatz, A., Kappler, G., Schneiderwind, J. & Fischer, R. (2013). The impact of teacher-child relationships on child cognitive performance as explored by a priming paradigm. Developmental Psychology, 49, 554 - 567. https: / / dx.doi.org/ 10.1037/ a0031283 Ahnert, L., Pinquart, M. & Lamb, M. E. (2006). Security of children’s relationships with non-parental care providers: A meta-analysis. 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