eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 65/1

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2018.art05d
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Buchbesprechung: Marianne Soff (2017). Gestalttheorie für die Schule. Unterricht, Erziehung und Lehrergesundheit aus einer klassischen psychologischen Perspektive

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Helmut E. Lück
Marianne Soff (2017). Gestalttheorie für die Schule. Unterricht, Erziehung und Lehrergesundheit aus einer klassischen psychologischen Perspektive. Wien: Krammer Verlag. ISBN 978-3-901811-74-6, € 25,–
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75 Buchbesprechung Marianne Soff (2017). Gestalttheorie für die Schule. Unterricht, Erziehung und Lehrergesundheit aus einer klassischen psychologischen Perspektive. Wien: Krammer Verlag. ISBN 978-3-901811-74-6, € 25,- Der Titel des Buches klingt ein wenig so, als sei das Buchprojekt aus der Zeit gefallen. Fragt man Psychologinnen und Psychologen nach Gestalttheorie, dann werden vermutlich Erinnerungen an das Studium und die Wahrnehmungspsychologie aufkommen, aber ziemlich sicher nicht an Erziehung. Macht das Thema Gestalttheorie für die Schule heute noch Sinn? Die Lektüre lässt schnell erkennen, dass Befürchtungen, hier würden „alte Hüte“ der Psychologie verkauft, unberechtigt sind. Dafür gibt es drei Gründe: Erstens zeigt sich, dass aus der Gestaltpsychologie erstaunlich viel Wissenswertes und Nützliches zu Fragen der Erziehung in der Gegenwart zu gewinnen ist, zweitens fasst die Autorin die Gestalttheorie weit, zieht besonders Kurt Lewins (1890 - 1947) Feldtheorie heran, die über traditionell gestaltpsychologische Fragen weit hinausgeht. Schließlich schöpft die Verfasserin, Akademische Rätin an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, immer wieder aus langjähriger eigener Erfahrung. In sieben Kapiteln wird das Thema anschaulich aufbereitet. Gleich im ersten Kapitel zeigt die Autorin, dass die Gestalttheorie mit ihrem Menschenbild eine gute Grundlage für die Erziehungspsychologie bilden kann. Die Gestalttheorie steht dem Behaviorismus, aber auch der Psychoanalyse entgegen. Gestalttheoretisch begründete Erziehung wird für sinnvoll gehalten, weil sie sachorientiert ist und den Menschen als offenes, dynamisches System mit finaler Orientierung ansieht. Im zweiten Kapitel werden die Basics der Gestalttheorie vermittelt: Gestaltkriterien, Forschungsmethoden, empirische Befunde, zentrale Konzepte wie Prägnanz usw. sowie Kritischer Realismus als bevorzugte erkenntnistheoretische Position der Gestaltpsychologie. Im dritten Kapitel wird Kurt Lewins Feldtheorie in Grundzügen erklärt und auf Fragen der Entwicklung und Erziehung praktisch angewandt. Da sich Lewin in Deutschland und in den USA mit Fragen der Erziehung praktisch-pädagogisch auseinandergesetzt hat, ist dieses Kapitel besonders lohnend. Im Mittelpunkt stehen hier die Untersuchungen zur Wirkung verschiedener Erziehungsstile, mit denen Lewin seinen Ruf als führender Sozialpsychologe begründete. Aber auch Fragen der Erziehung von jüdischen Kindern hat Lewin in den USA in zahlreichen Vorträgen behandelt. Diese Arbeiten nutzt Marianne Soff unter anderem, um zu diskutieren, wie heute unser Umgang mit Minoritäten, Flüchtlingen und Zuwanderern aussehen sollte. Das vierte Kapitel, Erziehung zu Sachlichkeit und Freiheit, nimmt Bezug auf die gestaltpsychologische Erziehungspsychologie von Wolfgang Metzger. Prägende Einflüsse für Metzger waren neben der Gestalttheorie der Zen-Buddhismus und später die Individualpsychologie Alfred Adlers. Soff nutzt vor allem Metzgers Buch „Schöpferische Freiheit“ (2. Aufl. 1962), um Fragen des Menschenbildes, der Wertvorstellungen und der Kreativität im Unterricht zu behandeln. Für die Autorin ist dies das zentrale Kapitel des Buches; die folgenden zwei Kapitel behandeln vor allem die praktische Umsetzung dieser Prinzipien und Wertvorstellungen: Klassenführung und Beziehungsgestaltung in der Schule sowie Fragen des Denkens unter Bezug auf die frühe gestaltpsychologische Forschung. Das Buch wird durch ein siebtes Kapitel abgeschlossen (S. 185f.): Burnout-Prophylaxe. Auch hier gibt es einen Zusammenhang zur Gestalttheorie, nämlich zu Kurt Lewins Konzept der psychischen Sättigung. Diese ist nach Lewin deutlich von der Ermüdung zu trennen. Lewin erkannte die Bedeutung der psychischen Sättigung für viele Lebensbereiche: Unterricht, monotone Arbeit usw. Er schrieb 1928, gewisse pädagogische oder fürsorgerische Berufe führten zu einer besonders frühzeitigen Häufung der Erschöpfung des Berufswillens. Marianne Soff bringt die frühen Arbeiten der Gruppe um Lewin mit der aktuellen Burnout-Forschung und den Möglichkeiten der Burnout-Prophylaxe in Verbindung. Das Buch ist insgesamt als intensive Auseinandersetzung mit aktuellen Erziehungsfragen in einem heute nicht gerade modischen, aber angemessenen theoretischen Rahmen durchaus empfehlenswert. 76 Buchbesprechung Das Buch kann vermutlich besonders gut von Dozentinnen und Dozenten genutzt werden, die einigermaßen mit der Gestalttheorie vertraut sind und ihren Studierenden einen brauchbaren theoretischen Ansatz vermitteln wollen - und nicht nur Tipps und Tricks. Die äußere Form des Bandes ist einwandfrei und die Gestaltung ansprechend. Prof. em. Dr. Helmut E. Lück FernUniversität in Hagen, Institut für Psychologie DOI 10.2378/ peu2018.art05d