eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 65/3

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2018.art13d
71
2018
653

Empirische Arbeit: Förderung wissenschaftlichen Denkens durch kooperatives Lernen aus Fehlern

71
2018
Kai Wagner
Maria Bergner
Ulrike-Marie Krause
Robin Stark
Die vorliegende Studie untersucht, wie wissenschaftliches Denken angehender Lehrkräfte anhand kooperativen fehlerbasierten Lernens gefördert werden kann. Hierzu wurde eine Lerneinheit konzipiert, die systematisch problem- und instruktionsorientiertes Lernen kombiniert und in einen Ansatz fehlerbasierten Lernens integriert. In einer experimentellen Interventionsstudie wurden bei der dyadischen Bearbeitung der Lerneinheit drei verschiedene Arten der Transaktivität der Diskurse angeregt: schnelle Konsensbildung sowie konflikt- und integrationsorientierte Konsensbildung. In einem 1¿x¿3-faktoriellen experimentellen Design mit Messwiederholung wurde die Art der Transaktivität anhand dreier unterschiedlicher Kooperationsskripts variiert. 98 Studierende wurden drei Experimentalbedingungen zufällig zugewiesen. Die Studie erstreckte sich über vier Termine, in denen studentische Dyaden die Lerneinheit selbstständig bearbeiteten. Erhoben wurden konzeptuelles Wissen sowie Generierungs- und Analysewissen bezüglich wissenschaftlicher Erklärungen. Hinsichtlich der Förderung konzeptuellen Erklärungswissens war die schnelle Konsensbildung lernwirksamer. Im Analysewissen zeigten sich keine Gruppenunterschiede. Bezüglich des Generierungswissens war die konfliktorientierte Konsensbildung effektiver. Auf der Grundlage der differenziellen Transaktivitäts-Effekte werden Konsequenzen für die Optimierung des fehlerbasierten Ansatzes gezogen.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2018, 65, 221 -237 DOI 10.2378/ peu2018.art13d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Förderung wissenschaftlichen Denkens durch kooperatives Lernen aus Fehlern Effekte transaktiver Diskurse auf den individuellen Wissenserwerb bei Lehramtsstudierenden 1 Kai Wagner 2 , Maria Bergner 3 , Ulrike-Marie Krause 3 , Robin Stark 2 2 Universität des Saarlandes 3 Carl von Ossietzky Universität Oldenburg Zusammenfassung: Die vorliegende Studie untersucht, wie wissenschaftliches Denken angehender Lehrkräfte anhand kooperativen fehlerbasierten Lernens gefördert werden kann. Hierzu wurde eine Lerneinheit konzipiert, die systematisch problem- und instruktionsorientiertes Lernen kombiniert und in einen Ansatz fehlerbasierten Lernens integriert. In einer experimentellen Interventionsstudie wurden bei der dyadischen Bearbeitung der Lerneinheit drei verschiedene Arten der Transaktivität der Diskurse angeregt: schnelle Konsensbildung sowie konflikt- und integrationsorientierte Konsensbildung. In einem 1 x 3-faktoriellen experimentellen Design mit Messwiederholung wurde die Art der Transaktivität anhand dreier unterschiedlicher Kooperationsskripts variiert. 98 Studierende wurden drei Experimentalbedingungen zufällig zugewiesen. Die Studie erstreckte sich über vier Termine, in denen studentische Dyaden die Lerneinheit selbstständig bearbeiteten. Erhoben wurden konzeptuelles Wissen sowie Generierungs- und Analysewissen bezüglich wissenschaftlicher Erklärungen. Hinsichtlich der Förderung konzeptuellen Erklärungswissens war die schnelle Konsensbildung lernwirksamer. Im Analysewissen zeigten sich keine Gruppenunterschiede. Bezüglich des Generierungswissens war die konfliktorientierte Konsensbildung effektiver. Auf der Grundlage der differenziellen Transaktivitäts-Effekte werden Konsequenzen für die Optimierung des fehlerbasierten Ansatzes gezogen. Schlüsselbegriffe: Wissenschaftliches Denken, kooperatives Lernen, Transaktivität, problem- und instruktionsorientiertes Lernen, Lernen aus Fehlern Promoting Scientific Thinking Through Cooperative Learning From Errors: Effects of Transactive Discourses on Teacher Students’ Individual Knowledge Acquisition Summary: The present study investigates how scientific thinking can be fostered in teacher students using cooperative error-based learning. Thus, a learning unit was developed which integrates elements of problem-based and instruction-oriented learning into an error-based learning approach. In an experimental intervention study, three different forms of transactive discourses were stimulated while working on the learning unit in dyads: quick consensus building, integration-oriented and conflict-oriented consensus building. In a 1 x 3-factorial experimental design with repeated measurements, these forms of transactivity were varied using three different collaboration scripts. 98 students were randomly assigned to three experimental conditions. The students worked on the learning environment in dyads on four consecutive sessions. Conceptual knowledge as well as knowledge needed to analyze and to generate scientific explanations were assessed. Regarding conceptual knowledge, quick consensus-building was most effective. In knowledge needed to analyze no differences between groups were found. With regard to knowledge needed to generate scientific explanations, conflict-oriented consensus building was most effective. Based on these findings conclusions to optimize the error-based approach were drawn. Keywords: Scientific thinking, cooperative learning, transactivity, problemand instruction based learning, learning from errors 1 Gefördert von der DFG (STA 596/ 6-1) 222 Kai Wagner, Maria Bergner, Ulrike-Marie Krause, Robin Stark Ausgehend von Überlegungen zum wissenschaftlichen Denken im Lehramtskontext wird in der vorliegenden Untersuchung die reflektierte Anwendung (bildungs-)wissenschaftlicher Theorien und Konzepte zum wissenschaftlichen Erklären pädagogischer Problemsituationen fokussiert (z. B. Kuhn, 2008; s. a. Wagner, Bergner, Krause & Stark, im Druck). Obwohl eine solche wissenschaftliche Orientierung der Reflexion pädagogischer Prozesse z. B. im Rahmen der Standards für die Lehrerbildung (Konferenz der Kultusminister der Länder, 2004) als ein wichtiges Lernziel des Lehramtsstudiums betont wird, lassen sich bei Studierenden Schwierigkeiten bei der wissenschaftlichen Erklärung pädagogischer Problemsituationen erkennen (vgl. Seidel & Prenzel, 2007). Häufig wird unreflektiert anhand alltagstheoretischer Konzepte erklärt, und zum Teil erfolgt keine, eine unreflektierte oder auch eine fehlerhafte Bezugnahme auf empirische Evidenz (vgl. Stark, 2005). Lehramtsstudierende sollten jedoch im Rahmen ihres Studiums lernen, pädagogische Problemsituationen vor dem Hintergrund umfassenden bildungswissenschaftlichen Wissens zu analysieren (vgl. z. B. Kunina-Habenicht et al., 2012; Terhart, 2012). Erklärungen sollten dabei weniger auf Alltagstheorien basieren, sondern auf bewährten bildungswissenschaftlichen Theorien und Konzepten. Diese sind zur Generierung von Erklärungen fallspezifisch auszuwählen, kritisch zu reflektieren sowie systematisch aufeinander zu beziehen (Theorienutzungskompetenz; Meier, 2006; s. a. Wagner, Klein, Klopp & Stark, 2014 a, 2014 b). Daneben gilt es, alltagstheoretische Erklärungen kritisch zu analysieren. Diese Forderungen werden z. B. im Rahmen der Debatte um evidenzbasiertes pädagogisches Entscheiden und Handeln artikuliert (Bromme, Prenzel & Jäger, 2014; Stark, 2017). Vor diesem Hintergrund zielt die vorliegende Untersuchung auf die Förderung von Kompetenzen zur Analyse und Generierung wissenschaftlicher Erklärungen auf der Grundlage bildungswissenschaftlichen Wissens ab. Da diese Kompetenzen im wissenschaftlichen Diskurs Anwendung finden bzw. dort erworben werden, wurde ein kooperativer Lehr-Lern-Ansatz implementiert. Variiert wurde die instruktionale Anregung kooperativer Diskurse: Anhand entsprechender Kooperationsskripts wurden drei unterschiedliche Arten kooperativer Diskurse induziert. Um Defizite beim wissenschaftlichen Erklären direkt als Lernangelegenheiten nutzbar zu machen, wurde der kooperative Ansatz basierend auf dem Lernen aus Fehlern entwickelt (vgl. Oser & Spychiger, 2005). Lernen aus Fehlern in integrierten Lerneinheiten Zentraler Mechanismus des Lernens aus Fehlern ist die Kontrastierung inkorrekter und korrekter Lösungen (z. B. Oser, 2015). Hierbei wird zwischen Lernen aus eigenen und aus advokatorischen Fehlern unterschieden. Advokatorische Fehler werden, z. B. durch fiktive Protagonisten in Fallbeispielen, stellvertretend für die Lernenden exemplarisch dargestellt (z. B. Durkin & Rittle-Johnson, 2012; Oser, 2015). Wichtig ist hierbei, dass sich die Lernenden mit diesen identifizieren können und dass Fehler in einem für sie relevanten Kontext stattfinden (s. a. Oser & Spychiger, 2005). Hinsichtlich der Förderung von Kompetenzen zum wissenschaftlichen Erklären pädagogischer Problemsituationen im Lehramtsstudium konnte die Lernwirksamkeit des Lernens aus Fehlern nachgewiesen werden (Klein, Wagner, Klopp & Stark, 2015; Wagner et al. 2014 a, 2014 b; Wagner, Klein, Klopp & Stark, 2016). In Bezug auf den Erwerb von Wissen, das zur Generierung wissenschaftlicher Erklärungen benötigt wird, war in einer Untersuchung von Wagner et al. (im Druck) die Auseinandersetzung mit eigenen Fehlern lernwirksamer als die Auseinandersetzung mit advokatorischen Fehlern; beim Erwerb von Wissen zur Analyse von Erklärungen erwiesen sich dagegen advokatorische Fehler als lernwirksamer. Das Lernen aus Fehlern hat sich auch beim kooperativen Lernen bewährt (z. B. productive failure; Kapur & Bielaczyc, 2011). Förderung wissenschaftlichen Denkens durch kooperatives Lernen aus Fehlern 223 Zur Realisierung des kooperativen Lernens aus eigenen und advokatorischen Fehlern bieten sich integrierte Lerneinheiten (Reinmann & Mandl, 2006) an, da hier Lernprozesse hinsichtlich des Vergleichs falscher und richtiger Lösungen adäquat instruktional unterstützt werden können. Integrierte Lerneinheiten zeichnen sich durch eine systematische Integration problem- und instruktionsorientierter Designprinzipien aus (z. B. Wagner et al. 2014 a, 2014 b). Designprinzipien problemorientierten Lernens fokussieren die aktive, weitgehend selbstgesteuerte Auseinandersetzung mit authentischen Problemstellungen. Diese werden in der Regel in einem narrativen Format präsentiert (z. B. anchored instruction; Cognition and Technology Group at Vanderbilt, 1992). Problemorientiertes Lernen ist besonders im Hinblick auf den Erwerb flexiblen, anwendbaren Wissens lernwirksam (Reinmann & Mandl, 2006). Lernförderlich ist hier vor allem die aktive eigenständige Auseinandersetzung mit den Lerninhalten (generation effect; Chen, Kalyuga & Sweller, 2015). Problematisch ist hierbei jedoch, dass durch komplexe Problemstellungen hohe Belastungen des Arbeitsgedächtnisses entstehen können (ebd.). Aus instruktionsorientierter Perspektive kann dieser Problematik begegnet werden, indem Problemstellungen z. B. in Form von ausgearbeiteten Lösungsbeispielen konzipiert werden (Renkl, 2014). Den Lernenden werden hier zusätzlich zur Problemstellung die notwendigen Lösungsschritte sowie die Lösung selbst präsentiert. Lösungsbeispiele sind insbesondere beim initialen Wissenserwerb lernwirksam (worked example effect; Chen et al., 2015). Eine zielführende Integration dieser Designprinzipien besteht in der Aufbereitung der Problemstellungen als fallbasierte ausgearbeitete Lösungsbeispiele (casebased worked examples; Stark, Kopp & Fischer, 2011). Hierdurch kann auch der oben in Anlehnung an Oser (2015) geforderte Kontrast falscher und richtiger Lösungen effizient und lernwirksam realisiert werden (Wagner et al. 2014 a, 2014 b, 2016). Nicht selten kommen in integrierten Lerneinheiten kooperative Lernformen zum Einsatz (Reinmann & Mandl, 2006). Förderung transaktiver Diskurse beim kooperativen Lernen aus Fehlern Die Lernwirksamkeit kooperativen Lernens wurde vielfach belegt, z. B. berichtet Hattie (2015) in seiner Zusammenfassung mehrerer Meta- Analysen die Überlegenheit kooperativen Lernens gegenüber individuellem Lernen insbesondere beim Erwerb von Problemlösefähigkeiten. Kooperatives Lernen hat sich auch im universitären Kontext bewährt (Wagner et al., 2016). Kooperatives Lernen fördert den individuellen Wissenserwerb anhand der kooperativen Konstruktion von Wissen (Cohen, 1994). Hier sind oftmals geringere Teamgrößen von Vorteil (z. B. Weinberger, Ertl, Fischer & Mandl, 2005), z. B. Dyaden. Die Lernwirksamkeit kooperativen Lernens beruht auf interaktiven Diskursprozessen: Artikulations- und Reflexionsprozesse fördern das Einprägen von Informationen (z. B. Chen et al., 2015). Aufgabenstellungen sollten so realisiert werden, dass sie nur gemeinsam gelöst werden können und Interdependenz der Lernpartner entsteht (true group task; Cohen 1994). Fischer, Kollar, Stegmann und Wecker (2013) gehen davon aus, dass durch gegenseitiges Fragen und Erklären kognitive Strukturen der Lernpartner verändert werden. Durch die Diskurse wird eine intensive Auseinandersetzung mit den Problemstellungen evoziert (Selbsterklärungsprozesse; Chi & Wylie, 2014). Nach Stegmann, Weinberger und Fischer (2011) ist eine solche aktive Partizipation der Lernpartner an Diskursen zwar für eine erfolgreiche kooperative Wissenskonstruktion notwendig; entscheidend ist jedoch die Qualität der Partizipation, d. h. die Transaktivität der Diskurse stellt eine entscheidende Bedingung erfolgreicher kooperativer Wissenskonstruktion und damit auch des individuellen Wissenserwerbs dar (s. a. Teasley, 1997). Transaktivität wird als Maß der Bezüge zwischen individuellen Beiträgen in der Kooperation definiert und spiegelt so wider, in welchem Ausmaß Beiträge im Diskurs aufeinander aufbauen und als gemeinsame Ressource genutzt werden (Teasley, 1997). Stegmann et al. (2011) unterscheiden diesbezüglich fünf Modi sozialer 224 Kai Wagner, Maria Bergner, Ulrike-Marie Krause, Robin Stark Interaktion: Es werden zum einen Externalisierung und Elizitation (Beiträge ohne Bezug zu vorherigen Beiträgen bzw. Aufforderungen an den Lernpartner, Informationen zu teilen) sowie zum anderen schnelle Konsensbildung sowie konflikt- und integrationsorientierte Konsensbildung unterschieden (s. a. Weinberger & Fischer, 2006). Während Externalisierung und Elizitation keine bzw. nur eine geringe Transaktivität aufweisen, ist die schnelle Konsensbildung durch einen vorrangig koordinierenden Charakter gekennzeichnet und zielt auf die Abstimmung zwischen den Lernenden. Das höchste Maß an Transaktivität zeigen Diskurse, die auf konfliktorientierter und integrationsorientierter Konsensbildung basieren. Konfliktorientierte Konsensbildung zielt auf eine gemeinsame Aufgabenlösung anhand von Kritik und negativem Feedback ab: Die Konstruktion von Argumenten für die eigene oder gegen eine abweichende Position erfordert einen Wechsel der jeweiligen Perspektive. Dies ermöglicht Modifikationen der eigenen Position oder derjenigen der Lernpartner. Hierauf zielt auch die integrationsorientierte Konsensbildung. Statt jedoch die Position des Lernpartners zu kritisieren, werden eigene Beiträge auf Basis des Wissens der Lernpartner revidiert und erweitert, um so zu einer gemeinsamen Lösung zu gelangen. Indem auf diese Weise Wissen zur Auflösung sozio-kognitiver Konflikte angewendet wird (vgl. Doise & Mugny, 1984; s. a. Teasley, 1997), hat Transaktivität einen positiven Einfluss auf den individuellen Wissenserwerb (vgl. Stegmann et al., 2011). Transaktive Diskurse kommen nicht immer spontan zustande, nicht-angeleitetes kooperatives Lernen ist anderen Lernformen nicht unbedingt überlegen. Um transaktive Diskurse anzuregen, ist es notwendig, die kooperative Bearbeitung von Problemstellungen zu unterstützen (vgl. Weinberger et al., 2010). Fischer et al. (2013) gehen in der script theory of guidance davon aus, dass in Schemata repräsentierte, internale Kooperationsskripts Handlungen und kognitive Prozesse während der Kooperation anleiten. Um fehlende oder dysfunktionale internale Kooperationsskripts (z. B. bzgl. Übernahme von Verantwortung in der Kooperation) zu kompensieren, ist eine Anleitung der Kooperation anhand externaler Kooperationsskripts zielführend. Solche Kooperationsskripts geben Rollen und Sequenzen von Lernaktivitäten detailliert vor, Diskurse können hierdurch strukturiert werden (s. a. Fischer, Stegmann, Wecker & Kollar, 2011; Kollar, Fischer & Hesse 2006). Dabei sind externale nicht von internalen Kooperationsskripts unabhängig. Diskutiert wird in diesem Kontext das optimale Ausmaß der Unterstützung (z. B. Wagner et al., 2016), auch vor dem Hintergrund der von Dillenbourg (2002) angesprochenen Overscripting-Problematik durch eine zu starke, die Interaktion hemmende Gesprächsstrukturierung. Theoretische Überlegungen zur Operationalisierung wissenschaftlichen Erklärens In der vorliegenden Studie stehen kognitive Aspekte, insbesondere Wissensdimensionen zum wissenschaftlichen Erklären im Vordergrund. In Anlehnung an die Taxonomie von Wissensarten nach De Jong und Ferguson-Hessler (1996) wird angenommen, dass wissenschaftliches Erklären das Zusammenwirken von konzeptuellem Wissen über Unterschiede zwischen alltagstheoretischen und wissenschaftlichen Erklärungen und anwendbarem prozeduralem Analyse- und Generierungswissen hinsichtlich wissenschaftlicher Erklärungen erfordert. Darüber hinaus ist eine fundierte Basis inhaltsbzw. themenspezifischen Wissens essenziell. Konzeptuelles Wissen wird von De Jong und Fergusson-Hessler (1996) als Wissen über Fakten und Konzepte in einer Domäne definiert. Die Autoren definieren weiter anwendbares prozedurales Wissen als Wissen über adäquate Problemlöseprozesse, das in kompilierter Form vorliegt und anhand von Übung automatisiert wurde (ebd.; s. a. Anderson & Krathwohl, 2001). Basierend auf diesen Überlegungen werden Analyse- und Generierungswissen in der vorliegenden Untersuchung als Indikatoren wissen- Förderung wissenschaftlichen Denkens durch kooperatives Lernen aus Fehlern 225 schaftlichen Erklärens i. S. v. Varianten anwendbaren prozeduralen Wissens konzipiert. Während Analysewissen kompilierte Komponenten prozeduralen Wissens zur Identifikation und Unterscheidung von Charakteristika alltäglicher und wissenschaftlicher Erklärungen umfasst, beinhaltet Generierungswissen solche kompilierte Komponenten, die zur Erstellung wissenschaftlicher Erklärungen notwendig sind. Damit werden beide Wissensarten als anwendbares Wissen aufgefasst. So fokussiert die vorliegende Untersuchung vorrangig kognitive Dimensionen des Kompetenzbegriffs nach Weinert (2001). Analyse- und Generierungswissen sind nicht unabhängig voneinander: Beide erfordern eine fundierte Wissensbasis bzgl. bildungswissenschaftlicher Inhalte und bedingen sich gegenseitig. Zum einen ist davon auszugehen, dass der Erwerb von Generierungswissen durch das Vorhandensein erklärungsrelevanten Analysewissens unterstützt wird; zum anderen wird angenommen, dass sich die Entwicklung von Generierungswissen positiv auf Analyseleistungen bzw. Analysewissen auswirkt. Fragestellungen und Hypothesen In der vorliegenden Studie wurden folgende Fragestellungen untersucht: Inwieweit beeinflusst die Art der Transaktivität den Erwerb von konzeptuellem Erklärungswissen sowie von Analyse- und Generierungswissen? Konzeptuelles Erklärungswissen Es wurde angenommen, dass Probanden, die die Lerneinheit mit schneller Konsensbildung bearbeiteten, denjenigen mit konflikt- und integrationsorientierter Konsensbildung hinsichtlich des Erwerbs konzeptuellen Erklärungswissens überlegen sind (H1). Kurzes, koordinierendes Feedback der Lernenden sollte dem Erwerb konzeptuellen Wissens über Fakten und Konzepte entgegenkommen, da diese zwar nachvollzogen und gespeichert, aber nicht diskursiv ausgehandelt werden müssen. Das diskursive Aushandeln von Fakten könnte den Erwerb dieser Art von Wissen damit auch negativ beeinflussen. Zwischen den Gruppen mit konflikt- und integrationsorientierter Konsensbildung sollten sich keine Unterschiede zeigen, da hier der Anteil koordinativer Diskursanteile vergleichbar sein dürfte (H2). Analysewissen Es wurde von einer Wechselwirkung zwischen Analyse- und Generierungswissen dergestalt ausgegangen, dass zum einen der Erwerb von Generierungswissen durch vorhandenes Analysewissen unterstützt wird und zum anderen vorhandenes Generierungswissen dem Aufbau von Analysewissen zugutekommt. Dem Training zur Generierung wissenschaftlicher Erklärungen wurde ein Propädeutikum vorgeschaltet, welches den Lernenden die Analyse alltagstheoretischer und wissenschaftlicher Erklärungen erleichtern und den Erwerb von Analysewissen fördern sollte (s. u. Aufbau der Lerneinheit). Aufgrund der postulierten gegenseitigen Beeinflussung von Analyse- und Generierungswissen (s. vorheriger Abschnitt) wurde davon ausgegangen, dass in Bezug auf das Analysewissen im Nachtest vergleichbare Effekte auftreten wie beim Generierungswissen: Konflikt- und integrationsorientierte Konsensbildung sollten lernförderlicher sein als schnelle Konsensbildung (H3). Konfliktorientierte Konsensbildung sollte integrationsorientierter überlegen sein (H4). Generierungswissen Hinsichtlich des Erwerbs von Generierungswissen wurde davon ausgegangen, dass sowohl die konfliktorientierte als auch die integrationsorientierte Konsensbildung lernförderlicher als die schnelle Konsensbildung sein sollten (H5). Das diskursive Aushandeln von Positionen anhand von inhaltlicher Kritik sollte besser zum Erwerb komplexen Wissens zur Generierung von wissenschaftlichen Erklärungen geeignet sein als Diskurse, die sich lediglich auf die Organisation der Zusammenarbeit beziehen. Hinsichtlich der 226 Kai Wagner, Maria Bergner, Ulrike-Marie Krause, Robin Stark konfliktorientierten Konsensbildung sollten durch Generierung von Argumenten zur Stützung der eigenen Position und das Hinterfragen und Kritisieren der Erklärung des Lernpartners das hierfür notwendige Wissen und dessen Anwendung eher eingeübt bzw. kompiliert werden. Aus diesem Grund sollte die Gruppe mit konfliktorientierter Konsensbildung derjenigen mit integrationsorientierter Konsensbildung überlegen sein, zumal diese insbesondere das kritische Hinterfragen weniger fördern dürfte (H6). Methode Stichprobe und Design An der Untersuchung nahmen 98 Studierende (69 w.) teil, die in Pflichtseminaren des bildungswissenschaftlichen Lehramtsstudiums rekrutiert wurden. Das Durchschnittsalter der Probanden lag bei 23.2 Jahren (SD = 5.02). In einem experimentellen Design mit Messwiederholung wurde die Art der Transaktivität anhand dreier unterschiedlicher Kooperationsskripts variiert. Hierzu wurden die Probanden randomisiert den drei Experimentalbedingungen schnelle Konsensbildung, konfliktorientierte Konsensbildung sowie integrationsorientierte Konsensbildung zugewiesen (vgl. Tab. 1). Aus früheren Studien unserer und anderer AGs ist bekannt, dass Lehramtsstudierende erhebliche Schwierigkeiten haben, bildungswissenschaftliches Wissen auf pädagogische Situationen anzuwenden. Deshalb wurde auf eine klassische Kontrollgruppe ohne Instruktion oder mit unspezifischer Instruktion und dergleichen verzichtet. Da ein Vergleich mit individuellem Lernen mit dem inzwischen sehr differenzierten aktuellen Forschungsstand zur Effektivität verschiedener Varianten kooperativen Lernens (vgl. Hattie, 2015) nicht korrespondiert und eine daraus abgeleitete Forschungsfrage nicht im Fokus unserer Untersuchung stand, wurde auch auf eine individuell lernende Kontrollgruppe bewusst verzichtet. Ablauf der Untersuchung Die Untersuchung fand an vier Seminarterminen statt. Der Vortest (t1) wurde am ersten Seminartermin bearbeitet. Zu Beginn der zweiten Seminarsitzung wurden die Probanden zufällig in Dyaden eingeteilt, die randomisiert den drei experimentellen Bedingungen zugewiesen wurden. Danach wurde in der zweiten und dritten Seminarsitzung die Lerneinheit kooperativ bearbeitet. Am vierten Seminartermin erfolgte der Nachtest (t2). Zur Standardisierung der Bearbeitungszeit wurden die Sitzungen auf jeweils 90 Minuten limitiert. Die Mehrzahl der Probanden nahm diese Zeit vollständig in Anspruch. Zur Standardisierung des Vorgehens wurden zwei erfahrene Dozenten mittels eines strukturierenden Leitfadens instruiert. Aufbau der Lerneinheit Die Lerneinheit bestand aus vier Fallvignetten aus dem schulischen Kontext, die in Form fallbasierter Lösungsbeispiele konzipiert waren (s. o.; Wagner et al., im Druck): Diese wurden in ein narratives Format mit mehreren Protagonisten eingebettet (Cognition and Technology Group at Vanderbile, 1992; vgl. Abb. 1). Es gab jeweils zwei Fallvignetten zu den beiden Themen Leistungsangst und Unterrichtsstörungen. Diese sind Teil des Curriculums des bildungswissenschaftlichen Lehramtsstudiums an der hiesigen Universität und für die Lehramtsausbildung sehr relevant. Die Lerneinheit war in Papierform konzipiert, die Bearbeitung war in zwei Phasen gegliedert: Während in Phase A das Propädeutikum zur Analyse von Erklärungen stattfand, ging es in Phase B um die selbstständige Generierung wissenschaftlicher Erklärungen. Es wurden jeweils zwei Fallvignetten in Phase A und zwei Fallvignetten in Phase B (pro Thema je eine Fallvignette) bearbeitet. Phase A fand in der zweiten Sitzung, Phase B in der dritten statt. schnelle Konsensbildung konfliktorientierte Konsensbildung integrationsorientierte Konsensbildung n = 32; 19 w. M Alter = 23.6 (SD = 5.73) n = 36; 26 w. M Alter = 22.2 (SD = 3.01) n = 30; 24 w. M Alter = 24.1 (SD = 6.50) Anmerkung: w. = weiblich. Tab. 1: Experimentalbedingungen Förderung wissenschaftlichen Denkens durch kooperatives Lernen aus Fehlern 227 Phase A: Analyse Nach der Beschreibung einer schulischen Problemsituation (z. B. zum Thema Leistungsangst) wurde die Erklärung eines fiktiven Praktikanten präsentiert, die mehr Merkmale alltagstheoretischer als wissenschaftlicher Erklärungen aufwies (s. o.: Lernen aus advokatorischen Fehlern). Die Erklärung musste gemeinsam anhand von Merkmalen wissenschaftlicher Erklärungen (z. B. präziser Sprachgebrauch, Bezugnahme auf wissenschaftliches Wissen, Einbeziehen mehrerer Erklärungsebenen; vgl. Beck & Krapp, 2006; Wagner et al., im Druck) analysiert und bewertet werden. Wissen über diese Merkmale war in die Lerneinheit implementiert worden (vgl. Abb. 1). Danach wurde eine wissenschaftliche Erklärung der Problemsituation präsentiert, in der Bezüge zwischen der Situation und bildungswissenschaftlichen Theorien hergestellt wurden. Die Probanden wurden angeleitet, systematisch Unterschiede zwischen der alltagstheoretischen und der wissenschaftlichen Erklärung herauszuarbeiten. Phase B: Generierung Auch hier wurde eine Beschreibung einer schulischen Problemsituation vorgegeben. Um einen true group task zu realisieren und den Lernpartnern unterschiedliche Ressourcen zur Verfügung zu stellen (Cohen, 1994), war zunächst individuell eine Erklärung der Situation zu erstellen (s. o.: Lernen aus eigenen Fehlern; vgl. Abb. 2). Einem Lernpartner wurden hierfür kurze Zusammenfassungen wissenschaftlicher Theorien zum jeweiligen Thema zur Verfügung gestellt, der andere Lernpartner konnte an dieser Stelle auf eine Darstellung von Merkmalen wissenschaftlicher Erklärungen zurückgreifen (inkl. ausführlicher Definitionen). Anschließend mussten die Erklärungen verglichen und eine finale gemeinsame Erklärung erstellt werden, bei der sowohl Merkmale wissenschaftlicher Erklärungen als auch die Inhalte der Theorien im Fokus standen. Hierdurch sollten die Ressourcen der Lernpartner gegenseitig verfügbar gemacht und transaktive Diskurse induziert werden (s. o.: kooperatives Lernen). An dieser Stelle erfolgte die experimentelle Variation (s. nächster Abschnitt). Abb. 1: Phase A: Analyse einer fehlerhaften Erklärung. 228 Kai Wagner, Maria Bergner, Ulrike-Marie Krause, Robin Stark Bei der Bearbeitung der zweiten Fallvignette in Phase B war insofern ein Rollentausch vorzunehmen, als nun die Merkmale wissenschaftlicher Erklärungen und die Zusammenfassungen der Theorien dem jeweils anderen Lernpartner zur Verfügung standen. So sollte sichergestellt werden, dass nach Abschluss dieser Phase jeder Lernpartner alle diesbezüglichen Inhalte bearbeitet hatte. Experimentelle Variation Angelehnt an die Befunde von Fischer et al. (2011) wurden drei Kooperationsskripts konzipiert, die drei der von Stegmann et al. (2011) hinsichtlich der Transaktivität kooperativer Diskurse beschriebenen Modi sozialer Interaktion anregen sollten: schnelle, konflikt- und integrationsorientierte Konsensbildung. Die Kooperationsskripts sequenzierten Lernaktivitäten bzgl. der Argumentation für oder gegen die eigene Position bzw. die des Lernpartners (epistemische Aktivitäten; Stegmann et al., 2011; s. o.: kooperatives Lernen). In der Bedingung schnelle Konsensbildung erhielten beide Lernpartner ein Kooperationsskript, das auf einen koordinierenden Charakter der Diskurse abzielte: „Geben Sie Ihrem Lernpartner Feedback zu seiner Erklärung der Situation und diskutieren Sie anschließend beide Erklärungen. Bitte achten Sie darauf, dass Sie sich kurz abstimmen und schnell eine gemeinsame Lösung finden.“ In der Experimentalgruppe konfliktorientierte Konsensbildung erhielten die Lernpartner jeweils ein detaillierteres Kooperationsskript, welches berücksichtigte, ob die Lernpartner zuvor Zusammenfassungen der Theorien oder den Merkmalskatalog wissenschaftlicher Erklärungen bearbeitet hatten (vgl. Abb. 3). Es sollte Kritik und negatives Feedback (s. o.: kooperatives Lernen) zu den Beiträgen des jeweiligen Lernpartners angeregt werden. Dabei zielten die Kooperationsskripts darauf ab, dass Beiträge der Lernpartner als Ressource hinsichtlich wissenschaftlicher Theorien bzw. Merkmalen wissenschaftlicher Erklärungen dienen konnten. Abb. 2: Phase B: Generierung einer Erklärung. Förderung wissenschaftlichen Denkens durch kooperatives Lernen aus Fehlern 229 Auch in der Bedingung integrationsorientierte Konsensbildung erhielten die Lernpartner Kooperationsskripts in Abhängigkeit von ihrer Rolle (vgl. Abb. 4). Hier wurde ebenso eine gemeinsame Lösung fokussiert, jedoch standen die Modifikation und Erweiterung der eigenen Perspektive anhand der Beiträge des Lernpartners im Mittelpunkt. Instrumente Erfassung soziodemografischer Merkmale Alter und Geschlecht wurden mittels Fragebögen erhoben. Wissenstests Die Wissenstests bestanden aus offenen Fragen, anhand derer verschiedene Wissensarten erhoben wurden. Alle Tests dienten als Vor- und Nachtests, sie waren individuell vor und nach der Intervention (t1 und t2) zu bearbeiten. Die Auswertung der Tests wurde von zwei hierfür geschulten Bewertern vorgenommen. Diese waren nicht darüber informiert, aus welcher Experimentalgruppe die Tests stammten. Alle Testleistungen wurden mit Musterlösungen verglichen und bewertet. Dabei wurden die Antworten auf die offenen Fragen in bewertbare Sinneinheiten (Analyseeinheiten) eingeteilt, deren Inhalte auf Übereinstim- Abb. 3: Kooperationsskript konfliktorientierte Konsensbildung Anmerkung: Diesem Lernpartner standen die Zusammenfassungen der Theorien zur Verfügung. Abb. 4: Kooperationsskript integrationsorientierte Konsensbildung Anmerkung: Diesem Lernpartner standen die Zusammenfassungen der Theorien zur Verfügung. 230 Kai Wagner, Maria Bergner, Ulrike-Marie Krause, Robin Stark mung mit den Inhalten der Musterlösungen überprüft wurden (vgl. Wagner et al., im Druck). Abweichungen in den Urteilen wurden im Diskurs erörtert. Die Interrater-Reliabilität (Cohens Kappa) der einzelnen Tests lag zu t1 zwischen .80 und .82 und zu t2 zwischen .77 und .85. Die gleichen Wissenstests haben sich in bisherigen Studien unserer Arbeitsgruppe zur Förderung wissenschaftlichen Denkens bzw. Argumentierens bewährt und sich als ausreichend reliabel erwiesen; die Werte der Interrater-Reliabilität lagen in einer Vorgängerstudie zwischen .77 und .90 (z. B. Wagner et al., im Druck; Wagner et al., 2014 a, 2014 b). Die Leistungen in den einzelnen Tests korrelierten signifikant in geringer bis mittlerer Höhe (vgl. Tab. 2). Das konzeptuelle Erklärungswissen wurde mittels einer Frage zu Unterschieden zwischen alltäglichen und wissenschaftlichen Erklärungen erhoben (theor. Max.: 17 Punkte). Es wurden Nennungen von Unterschieden in den Merkmalen Sprache (3 Punkte), Einbezug wissenschaftlichen Wissens (3 Punkte), Objektivität (3 Punkte), Einbezug mehrerer Erklärungsansätze und Variablen (5 Punkte) sowie Einbezug mehrerer Erklärungsebenen (3 Punkte) ausgewertet. Das Analysewissen wurde anhand einer Fallvignette zum Thema Bullying erhoben. Die Fallvignette umfasste die Beschreibung einer problematischen Schulsituation und eine dazugehörige Alltagserklärung, die die Situation nur unzureichend erklärte. Die Alltagserklärung war unter Bezugnahme auf die in der Lerneinheit präsentierten Merkmale wissenschaftlicher Erklärungen zu analysieren (theor. Max.: 20 Punkte). Im Test zum Generierungswissen mussten die Probanden eine Erklärung einer schulischen Fallvignette selbstständig erstellen (theor. Max.: 22 Punkte). Hier wurde der Leistungsabfall eines Schülers geschildert, der mithilfe von vier unterschiedlichen Theorien erklärt werden musste. Um das Generierungswissen möglichst unabhängig vom bildungswissenschaftlichen Vorwissen der Probanden zu messen, wurden kurze Zusammenfassungen ausgewählter theoretischer Ansätze vorgegeben (Attributionstheorie; Weiner, 1985; Ungewissheitstoleranz; Dalbert, 1999; problemorientiertes Lernen; Reinmann & Mandl, 2006; asymmetrische Kommunikation; Watzlawick, Beavin & Jackson, 2011). Es waren Bezüge zwischen diesen Theorien und der Situation herzustellen. Testleistungen im Analyse- und Generierungswissen wurden deduktiv anhand der Bewertungskategorien Sprache, Einbezug wissenschaftlichen Wissens, Objektivität, Einbezug mehrerer Erklärungsansätze und Variablen sowie Einbezug mehrerer Erklärungsebenen ausgewertet. Induktiv wurden auch plausible Lösungsansätze der Versuchspersonen mit in die Musterlösungen aufgenommen. Hierdurch ergab sich eine unterschiedliche Anzahl von Analyseeinheiten in den jeweiligen Kategorien. Im Test zum Analysewissen wurde beurteilt, inwieweit Versuchspersonen bezüglich folgender Auswertungskategorien Elemente wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Erklärens korrekt identifizierten. − Sprache (2 Punkte): 2 Analyseeinheiten (z. B. „Begriff nicht definiert“, „Umgangssprache“). − Einbezug wissenschaftlichen Wissens (2 Punkte): 2 Analyseeinheiten (z. B. „keine wissenschaftlichen Theorien“ oder „eigene Erfahrung“). − Objektivität (5 Punkte): 5 Analyseeinheiten (z. B. „Vorurteile“, „subjektiv“, „Vereinfachungen“, „(fehlende) empirische Belege“ oder „Widersprüche“). − Einbeziehen mehrerer Erklärungsansätze und Variablen (6 Punkte): 6 Analyseeinheiten (z. B. „mehrere Ursachen“ oder „es gibt noch andere Ursachen“; konkrete Nennung einzelner Variablen). − Erklärungsebenen (5 Punkte): 5 Analyseeinheiten (z. B. „es gibt verschiedene Ebenen“, „Ebenen sind nicht erschöpfend/ vollständig/ es gibt noch andere Ebenen“; konkrete Nennung einzelner Ebenen). Generierungswissen Analysewissen t1 Konzeptuelles Erklärungswissen Generierungswissen .33** - .30** .26** t2 Konzeptuelles Erklärungswissen Generierungswissen .41** - .38** .44** Anmerkung: ** p < .01. Tab. 2: Korrelation der Testleistungen zu den beiden Messzeitpunkten Förderung wissenschaftlichen Denkens durch kooperatives Lernen aus Fehlern 231 Im Test zum Generierungswissen wurden diese Bewertungskategorien angelegt, um einzuschätzen, inwieweit Versuchspersonen in der Lage waren, diese Kategorien in ihren eigenen Erklärungen anzuwenden. − Sprache (2 Punkte): 2 Analyseeinheiten (z. B. „Begriffe definiert“; „präziser sprachlicher Ausdruck“). − Einbezug wissenschaftlichen Wissens (4 Punkte): 4 Analyseeinheiten (Einbezug der vier Theorien, s. o.). − Objektivität (1 Punkt): 1 Analyseeinheit (Widerspruchsfreiheit). − Einbeziehen mehrerer Erklärungsansätze und Variablen (12 Punkte): 2 Analyseeinheiten (konkrete Nennung einzelner Variablen, max. 6; Beschreibung von Wechselwirkungen der Variablen, max. 6). − Erklärungsebenen (3 Punkte): 2 Analyseeinheiten (z. B. „es gibt verschiedene Ebenen“, konkrete Nennung einzelner Ebenen). Statistische Analysen Um Effekte der unterschiedlichen Arten der Anregung von Transaktivität zu untersuchen, wurden für die abhängigen Variablen konzeptuelles Erklärungswissen, Analysewissen und Generierungswissen zu t2 einfaktorielle ANCOVAs mit dem dreifach gestuften Faktor Gruppenzugehörigkeit (between) und der Performanz in den Tests zu den verschiedenen Wissensarten zu t1 (Vorwissen) als Kovariaten durchgeführt. Zusätzlich wurden zwischen einzelnen Faktorstufen des Faktors Gruppenzugehörigkeit geplante Kontrastanalysen analog zu den gerichteten Hypothesen durchgeführt. Es wurde SPSS 20 genutzt. Aufgrund der wechselseitigen Abhängigkeit der Daten der Lernpartner und der damit hierarchisch geschachtelten Datenstruktur in den Dyaden wurde die Intraklassenkorrelation (ICC) zu t2 für alle abhängigen Variablen berechnet. Für alle abhängigen Variablen wurden die Effekte der Gruppenzugehörigkeit nach der globalen Überprüfung anhand von Mehrebenenanalysen unter Einbezug der Kontextvariable Dyade modelliert (z. B. Field, 2013). Dabei war die Kontextvariable hierarchisch unter die Bedingungen geschachtelt. Ausgehend von einem Modell mit festen Effekten (Nullmodell: ANCOVA mit fixed intercept und fixed slope der abhängigen Variablen in Bezug auf die Kontextvariable) wurden sukzessive Modelle mit random intercept, random slope sowie random intercept und random slope berechnet. Die Modelle wurden mittels χ 2 -Differenztests (-2LL) verglichen. Auch in den Mehrebenenanalysen wurde das individuelle Vorwissen als Kovariate mit einbezogen. Um durch die geschachtelte Datenstruktur möglicherweise verdeckte Effekte nachweisen zu können, wurden Analysen auch auf Dyadenebene durchgeführt, wenn das Nullmodell keine signifikanten Effekte zeigte. Die Stichprobe umfasste nur Dyaden, die an allen Terminen zur Bearbeitung der Lerneinheit und der Tests anwesend waren. Ergebnisse Vergleichbarkeit der Gruppen Die Versuchsgruppen unterschieden sich weder im Durchschnittsalter (F(2,98) = 1.22, p = .30) noch in der Geschlechterverteilung ( χ 2 (2) = 3.25, p = .20). Weiter traten in den (Vor-)Wissenstests zum ersten Messzeitpunkt keine signifikanten Gruppenunterschiede hinsichtlich konzep- Schnelle Konsensbildung M (SD) Konfliktorientierte Konsensbildung M (SD) Integrationsorientierte Konsensbildung M (SD) konzeptuelles Erklärungswissen; Max. 17 2.97 (1.79) 2.64 (1.52) 2.77 (1.50) Analysewissen; Max. 20 2.41 (1.85) 2.39 (1.71) 2.17 (1.76) Generierungswissen; Max. 22 5.06 (3.97) 4.69 (2.41) 4.03 (1.67) Anmerkung: Max. = maximal erreichbare Punktzahl. Tab. 3: Vorwissen 232 Kai Wagner, Maria Bergner, Ulrike-Marie Krause, Robin Stark tuellen Erklärungswissens (F (2,98) = 0.36, p = .70), Analysewissens (F(2,98) = 0.18, p = .84) sowie Generierungswissens (F(2,98) = 1.03, p = .36) auf. Deskriptive Statistiken hierzu finden sich in Tabelle 3. Die interne Validität der Studie kann somit hinsichtlich dieser potenziellen Einflussgrößen als gesichert angenommen werden. Intraklassenkorrelationen Zum zweiten Messzeitpunkt (Nachtest) war die ICC in den Dyaden bezüglich des konzeptuellen Erklärungswissens und des Generierungswissens nicht signifikant. Beim Analysewissen war die ICC signifikant, d. h. nur hier lag eine systematische wechselseitige Abhängigkeit der Testwerte vor (vgl. Tab. 4). Effekte der Transaktivitätsanregung durch Kooperationsskripts Die deskriptiven Statistiken hierzu finden sich in Tabelle 5. Konzeptuelles Erklärungswissen Der Effekt des Faktors Gruppenzugehörigkeit war hinsichtlich der Variable konzeptuelles Erklärungswissen unter Einbezug der Kovariate konzeptuelles Erklärungswissen zu t1 signifikant und mittelgroß (Nullmodell: F(2,98) = 4.84, p = .01, h P 2 = .09). Der Effekt der Kovariate war groß (F(1,98) = 17.9, p < .001, h P 2 = .16). Das Modell mit random intercept (fixed slope) beschrieb die Daten nicht besser als das Nullmodel ( Δχ 2 (1) = 0). Dies gilt auch für das Modell mit fixed intercept und random slope ( Δχ 2 (1) = 1.02, p > .05). Die Berechnung eines Modells mit random intercept und random slope erübrigte sich damit. Die geplanten Kontrastanalysen zeigten eine erwartungsgemäße Überlegenheit der Gruppe mit schneller Konsensbildung gegenüber konfliktorientierter und integrationsorientierter Konsensbildung (H1; F(1,94) = .62, p = .01, h P 2 = .07). Der Vergleich der Gruppen mit konfliktorientierter Konsensbildung und integrationsorientierter Konsensbildung war nicht signifikant (H2; F(1,94) = 3.51, p = .06). Analysewissen Unter Einbezug der Kovariate Analysewissen zu t1 war der Effekt der Gruppenzugehörigkeit wider Erwarten nicht signifikant (Nullmodell: F(2,98) = 0.21, p = .81). Es zeigte sich ein großer Effekt der Kovariate (F(1,98) = 15.4, p < .001, h P 2 = .14). Das Modell mit random intercept und fixed slope beschrieb die Daten nicht besser als das Nullmodell ( Δχ 2 (1) = 3.70, p > .05). Das Modell mit fixed intercept und random slope beschrieb gegenüber dem Nullmodell mit festen Effekten die Daten besser ( Δχ 2 (1) = 6.69, p < .01). Der Vergleich mit dem Modell mit random intercept und random slope war nicht signifikant ( Δχ 2 (1) = 2.90, n. s.). Wurde der Effekt der Gruppenzugehörigkeit auf Dyadenebene untersucht, ergab sich unter Einbezug des entsprechenden Vorwissens ebenso kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen (Modell mit fixed intercept, random slope; F(1,84.7) = 1.24, p = .30). Der Effekt der Kovariate war weiterhin signifikant (F(1,97.5) = 13.2, p < .001). Es konnten somit auch bei Berücksichtigung des systematischen Einflusses der Interaktionsprozesse innerhalb der Dyaden keine Gruppenunterschiede nachgewiesen werden (H3, H4). Generierungswissen Der Effekt der Gruppenzugehörigkeit war unter Einbezug der Kovariate Generierungswissen zu t1 signifikant (Nullmodell: F(2,98) = 6.53, p = .002, h P 2 = .12; Kovariate: F(1,98) = 10.4, p = .001, h P 2 = .10). Die Effekte von Gruppenzugehörigkeit und Kovariate waren mittelgroß. ICC p konzeptuelles Erklärungswissen Analysewissen Generierungswissen .04 .36 .23 .38 .005 .06 Tab. 4: Intraklassenkorrelation zu t2 Förderung wissenschaftlichen Denkens durch kooperatives Lernen aus Fehlern 233 Das Modell mit random intercept (fixed slope) beschrieb die Daten besser als das Nullmodell ( Δχ 2 (1) = 4.46). Der Vergleich dieses Modells mit einem Modell mit random intercept und random slope war nicht signifikant ( Δχ 2 (1) = 0). Auch unter Einbezug der Kontextvariable Dyade waren die Effekte der Gruppenzugehörigkeit und Kovariaten signifikant (Modell mit random intercept und fixed slope; F(2,48.4) = 5.25, p = .009; Kovariate: F(1,94.8) = 14.8, p < .001). Erwartungsgemäß waren die Gruppen mit konfliktorientierter Konsensbildung und integrationsorientierter Konsensbildung derjenigen mit schneller Konsensbildung überlegen (H5; F(1,94) = 64, p < .001, h P 2 = .41). Der Effekt war groß. Die Gruppe mit konfliktorientierter Konsensbildung war erwartungsgemäß auch derjenigen mit integrationsorientierter Konsensbildung überlegen (H6; F(1,94) = 5.54, p = .02, h P 2 = .06). Es zeigte sich ein mittlerer Effekt. Diskussion Effekte der Transaktivitätsanregung Bei allen Wissensarten wurde ein mittlerer bis großer Effekt des Vorwissens gefunden, was ein weiteres Mal die Bedeutung spezifischen Vorwissens für den erfolgreichen Wissenserwerb untermauert (z. B. Dochy, 1996). Bei kovarianzanalytischer Kontrolle der jeweiligen Vorwissensvariablen blieben die Effekte der Transaktivitätsanregung durch die Kooperationsskripts stabil. Dies lässt vermuten, dass transaktive Diskurse in den Dyaden für den individuellen Wissenserwerb in der vorliegenden Studie bedeutsam waren (vgl. Stegmann et al., 2011). Konzeptuelles Erklärungswissen Hier war erwartungsgemäß die Gruppe mit schneller Konsensbildung denjenigen mit konflikt- und integrationsorientierter Konsensbildung im Nachtest überlegen. Es scheint naheliegend, dass zum Erwerb von Fakten und Prinzipien die schnelle koordinierende Absprache im Diskurs zielführender ist als das Aushandeln und Modifizieren der eigenen Position bzw. derjenigen des Lernpartners. Der Vergleich der Gruppen mit konflikt- und integrationsorientierter Konsensbildung verfehlte das Signifikanzniveau nur knapp, es zeigte sich ein deskriptiver Unterschied zugunsten konfliktorientierter Konsensbildung. Verglichen mit der Gruppe mit integrationsorientierter Konsensbildung scheinen Kooperationsskripts, die konfliktorientierte Diskurse anregen sollten, den Erwerb konzeptuellen Erklärungswissens weniger negativ beeinflusst zu haben: Möglicherweise fiel es den Studierenden leichter, die Erklärung des Lernpartners zu kritisieren, als die eigene Erklärung kritisch zu beleuchten. Die geringe ICC beim konzeptuellen Wissen kann jedoch auch als Beleg dafür gewertet werden, dass für dessen Erwerb nicht unbedingt ein Lernpartner erforderlich ist. Hier scheint eine geringe Abhängigkeit der Gruppenmitglieder untereinander vorzuliegen. Analysewissen Beim Analysewissen war die ICC signifikant, die Nachtestwerte der jeweiligen Dyadenmitglieder korrelierten positiv in mittlerer Höhe. Dies spricht für die Bedeutung des kooperati- Schnelle Konsensbildung M (SD) Konfliktorientierte Konsensbildung M (SD) Integrationsorientierte Konsensbildung M (SD) konzeptuelles Erklärungswissen 8.03 (2.98) 7.00 (2.62) 5.93 (2.48) Analysewissen 8.31 (4.46) 8.50 (3.45) 7.77 (3.48) Generierungswissen 11.7 (4.71) 14.9 (3.51) 12.3 (4.53) Tab. 5: Wissensarten zu t2 234 Kai Wagner, Maria Bergner, Ulrike-Marie Krause, Robin Stark ven Propädeutikums in Phase 1, das auf den Erwerb grundlegenden, der Generierung vorgeschalteten Analysewissens zielte. Zwar trat erwartungsgemäß eine mittelhohe, signifikante Korrelation zwischen Analysewissen und Generierungswissen auf, dennoch konnten unter Einbezug der Dyadenebene in ein Mehrebenenmodell nach Auspartialisieren des entsprechenden Vorwissens keine Transaktivitätseffekte nachgewiesen werden. D. h. der positive Effekt konfliktorientierter Konsensbildung auf das Generierungswissen wirkte sich auf das Analysewissen nicht oder zumindest nicht stark genug aus. Möglicherweise fiel es den Probanden leichter, die während des Propädeutikums in Phase A (Analyse) präsentierten advokatorischen Fehler zu identifizieren und mit den Lösungen zu kontrastieren, als dies später bei den eigenen Fehlern in Phase B (Generierung) der Fall war. So war in Bezug auf die Förderung von Analysewissen möglicherweise Phase A, in der keine experimentelle Manipulation der Transaktivität stattfand, entscheidender als Phase B. Diese Annahme gilt es in zukünftigen Studien experimentell zu überprüfen. Generierungswissen Erwartungsgemäß war hier die Gruppe mit konflikt- und integrationsorientierter Konsensbildung derjenigen mit schneller Konsensbildung im Nachtest überlegen. Kurze, organisatorische Absprachen im Lernprozess reichen nicht zur Förderung dieser komplexen Wissensart aus. Aus der Perspektive der kooperativen Wissenskonstruktion (Cohen, 1994) findet womöglich das zur Generierung von Erklärungen notwendige prozedurale Wissen - im Gegensatz zu konzeptuellem Wissen, s. o. - im konfliktorientieren Diskurs anhand der Kritik an der Position des Lernpartners und der Generierung von Argumenten für die eigene Position bezüglich der Erklärung eher Anwendung und wird so stärker verinnerlicht. So wird der Erwerb trägen Wissens (Renkl, 2014) vermieden. Zwar können in solchen Diskursen erhöhte kognitive Belastungen (cognitive load; Sweller, Ayres & Kalyuga, 2011) auftreten, gegenüber der schnellen Konsensbildung könnten hier jedoch aufgabenbezogene kognitive Prozesse, die dem Erwerb von entsprechenden Problemlöseschemata zugrunde liegen, aufgrund der intensiveren Auseinandersetzung mit der eigenen Position bzw. derjenigen des Lernpartners eher lernwirksam sein. Diese Argumentation steht im Einklang mit Überlegungen zum Wissenserwerb beim Lernen aus Fehlern (Oser, 2015). Es ist anzunehmen, dass soziokognitive Konflikte (Doise & Mugny, 1984), die durch die bei der Erklärung gemachten Fehler induziert wurden, in der Gruppe mit konfliktorientierter Konsensbildung am besten aufgelöst, Falsches mit Richtigem kontrastiert und Fehler so gegenseitig korrigiert wurden. Die Gruppe mit konfliktorientierter Konsensbildung war wie angenommen auch derjenigen mit integrationsorientierter Konsensbildung im Nachtest überlegen. Zwar greifen auch hier Mechanismen der Wissenskompilierung vermutlich eher als bei der schnellen Konsensbildung. Die integrationsintegrierte Konsensbildung dürfte aber das kritische Hinterfragen komplexer Bezüge zwischen der dargestellten Situation und den zur Erklärung verfügbaren Theorien insofern weniger als die konfliktorientierte Konsensbildung fördern, als selbstwertdienliche Attributionsprozesse hinsichtlich der Kritik eigener Fehler in den erstellten Erklärungen (z. B. Weiner, 1985) die Kritik an der eigenen Position und so Lernprozesse hinsichtlich der Fehlerkorrektur (v. a. die Kontrastierung an Richtigem) beim gemeinsamen Erstellen der Erklärung einschränken könnten. Den Probanden dürfte es leichter gefallen sein, die Position des Lernpartners zu kritisieren (konfliktorientierte Konsensbildung) als die eigene Position (integrationsorientierte Konsensbildung). Aus diesem Grund könnten auch Prozesse kognitiver Dissonanzreduktion (Festinger, 1957) in integrationsorientierten Diskursen eher moderierend wirksam geworden sein. Förderung wissenschaftlichen Denkens durch kooperatives Lernen aus Fehlern 235 Weiter kann auch hier das Ausmaß instruktionaler Unterstützung eine Rolle spielen: Möglicherweise schränkte das Kooperationsskript der integrationsorientierten Bedingung schon bestehende internale Skripts der Lernpartner (Fischer et al., 2013) bezüglich der integrationsorientierten Kooperation derart ein, dass die Transaktivität der Diskurse gehemmt wurde. Es ist denkbar, dass schon ausgefeiltere internale integrationsorientierte Kooperationsskripts vorhanden waren und durch die zu genaue Vorgabe von Lernaktivitäten gehemmt wurden: Lehramtsstudierende sind womöglich eher Kommunikationsformen konstruktiver Kritik zu Lern- und Arbeitsprozessen gewohnt und haben z. B. eher Arten symmetrischer Kommunikation verinnerlicht (Watzlawick et al., 2011; s. hierzu auch Abschnitt Limitationen). Limitationen, pädagogische Konsequenzen und Ausblick Um die Wirkung der Anregung unterschiedlicher Transaktivitätsarten auf der Prozessebene zu untersuchen, sind qualitative Analysen der Interaktionsprozesse angezeigt. Zu diesem Zweck wurden in einer Folgestudie Prozesse beim dyadischen Argumentieren in konfliktorientierten und integrationsorientierten Diskursen untersucht. Lehramtsstudierende wurden bei der Bearbeitung einer ähnlichen Lerneinheit, bei deren Bearbeitung konflikt- und integrationsorientierte Diskurse induziert wurden, per Audiorecorder aufgenommen. Eine qualitative Inhaltsanalyse (z. B. Mayring, 2000) von Sinneinheiten der Diskurse, die den Transaktivitätsarten zugeordnet werden und die Interaktions- und Lernprozesse sowie den Wissenserwerb abbilden können, ist zurzeit in Bearbeitung (Wagner, Klein & Stark, 2018). Hierdurch können auch weitere gruppendynamische Prozesse als potenzielle nichtkognitive Moderatoren fehlerbasierten kooperativen Lernens anhand der Triangulation quantitativer und qualitativer Daten analysiert werden. Die aufgetretenen Transaktivitätseffekte bedürfen der Replikation. Weiter sollten Follow- Up-Erhebungen eingeplant werden, um evidenzbasierte Aussagen über die Nachhaltigkeit der erzielten Effekte treffen zu können. Um die Effektivität und ggf. auch die Nachhaltigkeit der Intervention insgesamt zu steigern, bietet sich eine Verlängerung der zweiten Phase des Trainings zur Erklärungsgenerierung (z. B. Bearbeitung von vier statt zwei Fallvignetten) an. Um unterschiedliche Effekte der einzelnen Phasen der Lerneinheit auf den Erwerb der Wissensarten zu prüfen, ist in zukünftigen Studien deren experimentelle Variation angezeigt. Zudem ist die Verbindung von evidenzbasiertem Erklären mit dem Erfahrungswissen der Lernenden (z. B. aus schulischen Praktika) erfolgversprechend. Ein solches Vorgehen hat sich beim individuellen Lernen nachweislich positiv auf die Nachhaltigkeit der Trainingseffekte ausgewirkt (z. B. Klein et al., 2015). An eine ähnliche Intervention schloss sich hier eine Phase systematischer Instruktion zur selbstgesteuerten Konzeption von Fallvignetten an. Von einem solchen Einbezug des Erfahrungswissens der Studierenden könnten auch künftige Studien zur Untersuchung kollaborativer Lernsettings profitieren. Literatur Anderson, L. W. & Krathwohl, D. R. (2001). A taxonomy for learning, leaching, and assessing: A revision of bloom’s taxonomy of educational objectives. New York, NY: Longman. Beck, K. & Krapp, A. (2006). Wissenschaftstheoretische Grundfragen der Pädagogischen Psychologie. In A. Krapp & B. Weidenmann (Hrsg.), Pädagogische Psychologie (S. 31 - 71). Weinheim: Beltz. Bromme, R., Prenzel, M. & Jäger, D. P. M. (2014). Empirische Bildungsforschung und evidenzbasierte Bildungspolitik. 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