Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2019
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Buchbesprechung
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2019
Robert Hepach
Lind, G. (2016). How to Teach Morality: Promoting Deliberation and Discussion, Reducing Violence and Deceit. Berlin: Logos. 200 Seiten, ISBN: 978-3832542825 (USD: 20,33).
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317 Buchbesprechung Lind, G. (2016). How to Teach Morality: Promoting Deliberation and Discussion, Reducing Violence and Deceit. Berlin: Logos. 200 Seiten, ISBN: 978-3832542825 (USD: 20,33). Menschen sind außerordentlich soziale Wesen. Bereits im jungen Alter zeigen sich Kinder besorgt um das Wohlergehen Anderer. Dabei ist die Fülle an prosozialen Verhaltensweisen in der frühen Kindheit überaus beachtlich. Gleichzeitig würden wir Kleinkindern noch nicht dieselben moralischen Motivationen und Einstellungen zuschreiben, welche dem erwachsenen prosozialen Verhalten zugrunde liegen (können): Mitmenschen mit Respekt behandeln, Andere zur Rechenschaft ziehen und selbst zur Rechenschaft gezogen werden, das Durchsetzen und Einhalten sozialer Normen und das gemeinsame Abwägen von Gründen für richtiges und gegen falsches Verhalten. Was Kleinkindern fehlt und was sich über die Entwicklung herausbildet, ist moralische Kompetenz. Kompetenz ist nicht gleichzusetzen mit Kapazität. Menschen mögen mit (pro)sozialen Tendenzen geboren sein. Ob und wie sich diese im moralischen Urteil und Verhalten niederschlagen, ist allerdings eine andere Frage. In seinem Buch „How to Teach Morality: Promoting Deliberation and Discussion, Reducing Violence and Deceit“ stellt Georg Lind detailliert und aufschlussreich dar, wie er und seine Kolleginnen und Kollegen moralische Kompetenz erfassen. Dabei konfrontieren sie Personen im Erwachsenen- und Grundschulalter mit moralischen Dilemmata. Es liegt in der Natur eines Dilemmas, dass sich keine einzelne einfache Lösung für ein Problem bietet, sondern mindestens zwei Alternativen miteinander kontrastiert werden. Oftmals haben die Leserinnen und Leser eines Dilemmas eine intuitive Meinung, wie sich die Protagonistin und der Protagonist verhalten sollte. Viel schwieriger ist es, zwischen den Wertigkeiten von Argumenten („Bestrafung sollte vermieden werden“ im Vergleich zu „Ethische Standards sollten eingehalten werden“) sowohl für die eigene Meinung als auch für die entgegengesetzte Meinung des alternativen Handlungsvorschlags zu unterscheiden. Georg Lind und seine Kolleginnen und Kollegen leisteten Pionierarbeit in der Entwicklung eines empirischen Messinstruments, mit dem sich die moralische Kompetenz einer Person erfassen lässt. In seinem neuesten Buch gibt Lind einen umfassenden Überblick über die Forschungsbefunde, welche mit dem Moral Competence Test (MCT) bei Personen verschiedenster Altersgruppen und Kulturen erzielt wurden. Insbesondere im Kapitel Meaning and measurement of moral competence zeigt der Autor den Lesern im Detail und anhand zahlreicher Beispiele auf, wie mit der Berechnung des MCT-Testscores die individuelle Struktur der moralischen Kompetenz objektiv erfasst und abgebildet werden kann. Ein zentraler und bedeutsamer Befund aus der Forschung auf Grundlage des MCT ist die mögliche Abnahme von moralischer Kompetenz. Diese entwickelt sich demnach nicht von alleine aus den prosozialen Tendenzen von Kleinkindern. Vielmehr bedarf es gezielter Bildung, um das moralische Urteilen zu schulen. Der Kern von Linds „How to Teach Morality“ besteht in der detaillierten und sorgfältig aufgeschlüsselten Beschreibung von Bildungsprogrammen zur Förderung moralischer Kompetenz und darin, wie solche Programme entwickelt, geplant, erhoben und ausgewertet werden. Im zweiten Teil des Buches beschreibt der Autor anhand illustrativer und aufschlussreicher Anekdoten, genauer Lehrinstruktionen und, ganz zentral, anhand empirischer Daten, wie effektive Interventionen die moralische Urteilskompetenz von Teilnehmerinnen und Teilnehmern steigern können. Die Effektivität solcher Interventionen wird am deutlichsten, wenn Lind die Ergebnisse der von ihm entwickelten Konstanzer Methode der Dilemma Diskussion (KMDD) erläutert. Den Lesern bietet sich eine Art Blaupause, auf deren Grundlage effektive, strukturierte und konstruktive Gruppendilemma-Diskussionen durchgeführt werden können. Die Ergebnisse, welche Lind und seine Kollegen mit der KMDD erzielen, sind beeindruckend. Georg Linds Ideen in „How to Teach Morality“ stehen im Geiste einer demokratischen und egalitären Moralerziehung. In den KMDD-Sitzungen bleiben Lehrerin oder Lehrer im Hintergrund und greifen lediglich ein, um die Teilnehmenden an die Regeln des respektvollen und fairen Umgangs in der Dis- 318 Buchbesprechung kussion miteinander zu erinnern. In „How to Teach Morality“ stellt der Autor nicht die Vermittlung bestimmter Werte in den Vordergrund. Vielmehr beschreibt Lind die Gestaltung von Lernumgebungen, in denen sich Peers mit Respekt begegnen und nicht nur Argumente für ihre eigene Meinung ausarbeiten, sondern sich mit den Argumenten anderer Meinungen, teils entgegengesetzter, auseinandersetzen. „How to Teach Morality“ ist eine Ermutigung, sich mit der Moralerziehung von Peers und Kindern zu befassen. Aus der Darlegung von Lind ergibt sich die interessante und relevante Fragestellung, wie sich die veränderte Moralkompetenz in verändertem moralischen Verhalten niederschlägt. Führen Interventionen zur Förderung moralischer Urteilsfähigkeit auch zu einem verstärkten Hilfeverhalten zur Durchsetzung von moralischen Normen und zu respektvollem Umgang? Nun sind Eltern, Lehrkräfte und politische Entscheidungsträger gefordert, die richtigen Schlüsse aus diesem Buch zu ziehen und neue empirische Daten zu den unmittelbaren und langfristigen Folgen konsequenter Moralerziehung zu erarbeiten. Jun.-Prof. Robert Hepach Universität Leipzig DOI 10.2378/ peu2018.art23d
