Psychologie in Erziehung und Unterricht
3
0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
41
2020
672
Buchbesprechung: Grasmann, D., Legenbauer, T. & Holtmann, M. (2018): Wütend, traurig und gereizt.
41
2020
Claudia Fischer
Grasmann, D., Legenbauer, T. & Holtmann, M. (2018): Wütend, traurig und gereizt. Informationen zur Emotionsregulation für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher Göttingen: Hogrefe. 53 Seiten, ISBN 978-3-8017-2511-2 (€ 8,95).
3_067_2020_002_0156
156 Grasmann, D., Legenbauer, T. & Holtmann, M. (2018): Wütend, traurig und gereizt. Informationen zur Emotionsregulation für Betroffene, Eltern, Lehrer und Erzieher Göttingen: Hogrefe. 53 Seiten, ISBN 978-3-8017-2511-2 (€ 8,95). Wer kennt nicht wütende, traurige und gereizte Kinder und Jugendliche oder hat früher selbst solche Stimmungen erlebt? Wer fragt sich als Erwachsener nicht, ob man solche Temperamentsausbrüche einfach ertragen muss, ob sie sich wie eine Kinderkrankheit wieder verwachsen oder ob eine behandlungsbedürftige Störung vorliegt? Sind aggressive, oppositionelle Ausbrüche etwas Neues oder gewinnen sie derzeit durch aktuellere Erkenntnisse aus der Forschung lediglich stärker an Bedeutung? Das mit 53 Seiten schmale Büchlein ist Teil der Reihe „Ratgeber Kinder- und Jugendpsychotherapie“ und verfolgt zwei Anliegen: 1. Es informiert über Störungen der Emotionsregulation (ERS) und zeigt auf, wie sie von entwicklungstypischen Verhaltensweisen und anderen psychischen Störungen unterschieden werden können. 2. Es richtet sich an Betroffene, Eltern, Lehrkräfte und pädagogisches Personal aus Kindergärten und will ihnen bei der Begleitung Betroffener helfen. Die übersichtliche Gliederung in neun Kapitel orientiert sich an den Absichten des Vorhabens. Die einzelnen Kapitel sind unterschiedlich lang - einige nur zwei Seiten, andere 9, 11 oder 18 Seiten. Die Überschriften werden durchgängig als Fragen direkt an Adressatinnen oder Adressaten formuliert. Teilweise sind Illustrationen in den Text eingefügt, vor allem bei Kapiteln, die sich an Kinder und Jugendliche oder deren Eltern richten. Längere Kapitel haben am Ende einen Kasten mit einem Fazit oder einigen Merksätzen. Sprachlich ist das Büchlein für die verschiedenen Zielgruppen weitgehend verständlich gestaltet. Das Thema Emotionsregulation ist relevant und seit Beginn der 2000er Jahre verstärkt im Blick der Forschung. Wer in der Lage ist, die eigenen Emotionen zu regulieren, kann Verhaltensweisen und Strategien, emotionale Erfahrungen und den Ausdruck von Emotionen initiieren, kontrollieren, modulieren, hemmen oder verstärken. Ist diese Fähigkeit nicht oder nur teilweise ausgebildet, kann eine ERS vorliegen. Forschungsbefunde lassen Zusammenhänge zwischen Störungen bei der Regulation positiver oder negativer Emotionen und verschiedenen psychopathologischen Problemen annehmen. Derzeit ist lediglich 1 % der Kinder und Jugendlichen von ERS betroffen. Ob eine behandlungsbedürftige ERS vorliegt, können letztlich nur Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie oder Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten feststellen. Familie und soziales Umfeld der Kinder und Jugendlichen sind nach neueren Erkenntnissen wichtig, um die Regulierung der eigenen Gefühle und Stimmungen zu erproben und passende Strategien zu erlernen. Wenn Verhalten beginnt auffällig zu werden, können Eltern, Lehrkräfte, das Personal in Kindertagesstätten und auch die betroffenen Kinder und Jugendlichen dies registrieren und handeln. Insofern mag es schlüssig erscheinen, dass das vorliegende Buch Betroffene, deren Eltern, Lehrkräfte und Kindergartenpersonal anspricht. Allerdings gelingt es nicht, die unterschiedlichen Adressatengruppen angemessen zu bedienen. Die Informationen fallen für die verschiedenen Gruppen ähnlich aus, es werden also vergleichbare Hintergründe und Vorwissen unterstellt. Lediglich die Ausführungen zu den Handlungsanregungen (ab Kapitel 6) sprechen die einzelnen Gruppen spezifisch an, weil sie den Kindern und Jugendlichen in unterschiedlichen Rollen gegenübertreten. Die Umsetzung hat uns jedoch nicht überzeugt. So werden mehrere Fallgeschichten berichtet, die Leserinnen und Leser abholen sollen. Allerdings wird keine dieser Fallgeschichten im Licht der Erkenntnisse später diskutiert oder aufgelöst. Durchgängig spielt der Frage-Modus eine wichtige Rolle: alle Kapitel (besonders ausgeprägt Kap. 2) beginnen mit Fragen über Fragen, sodass es schwerfällt, die passenden Antworten zu finden. Vermutlich soll damit eine besondere Nähe zu Leserinnen und Lesern hergestellt und an ihrem Vorwissen oder ihren Erfahrungen angesetzt werden. Das könnte auch erklären, warum einige Kapitel die direkte Ansprache in Du- oder Sie-Form wählen. Insgesamt wird dadurch eher der Eindruck des Auseinanderfallens des Buchs bestärkt. Zusammenfassend halten wir das Anliegen, über ERS zu informieren, für sinnvoll. In erster Linie sollten jedoch Eltern von Kindern mit ausagierendem Verhalten angesprochen werden. Sie anzuregen, sich Buchbesprechung Buchbesprechung 157 mit solchen Verhaltensweisen ernsthaft auseinanderzusetzen, sich und ihre Kinder genau(er) zu beobachten und nach Wegen der Bewältigung zu suchen, halten wir für verdienstvoll. Kinder werden mit diesem Buch nicht angesprochen, ob Jugendliche es lesen, bezweifeln wir. Der Versuch, auch noch Lehrkräfte, Kindergartenpersonal und psychotherapeutisches Personal einzubeziehen, hat uns nicht überzeugt. Das Bestreben, möglichst viele Zielgruppen anzusprechen, führt dazu, dass das Bändchen keine der anvisierten Adressatengruppen angemessen bedient. Dr. Claudia Fischer Brigitte Döring Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik, Kiel DOI 10.2378/ peu2020.art11d
