Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
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2021
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Empirische Arbeit: Digitale Schulbücher im MINT-Bereich
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2021
Stephanie Moser
Miriam Degner
Doris Lewalter
Im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung von Lehrmaterialien stellt sich auch die Frage nach digitalen Schulbüchern und ihrem Mehrwert für den Unterricht. Lehr-/lernpsychologische Theorien und daraus resultierende Gestaltungsempfehlungen für multimediales Lernmaterial geben empirisch fundierte Hinweise auf eine lernförderliche Gestaltung von digitalen Schulbüchern. Der vorliegende Beitrag geht darauf aufbauend der Frage nach, ob die auf dem Markt befindlichen und zugelassenen digitalen Schulbücher bereits so gestaltet sind, dass sie den Lehrenden und Lernenden die Vorteile multimedialen Lernens bieten. Dazu wurde auf Basis einschlägiger medien- und instruktionspsychologischer Theorien im Rahmen einer strukturierenden Inhaltsanalyse ein Kategoriensystem entwickelt, anhand dessen sprachliche und nicht-sprachliche Anteile sieben zugelassener digitaler Schulbücher in Biologie und Mathematik der Sekundarstufe I analysiert wurden. Die Auswertung zeigt für die untersuchten Bücher ein heterogenes Bild hinsichtlich verschiedener Gestaltungsoptionen und interaktiver Bearbeitungsmöglichkeiten. Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Potenzial digitaler Schulbücher vor allem in Bezug auf Möglichkeiten der multimedialen Gestaltung und Interaktivitätsoptionen noch nicht ausgeschöpft wird.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2021, 68, 23 -41 DOI 10.2378/ peu2021.art02d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Digitale Schulbücher im MINT-Bereich Eine Analyse vor dem Hintergrund lehr-/ lernpsychologischer Theorien Stephanie Moser, Miriam Degner, Doris Lewalter Technische Universität München, München Zusammenfassung: Im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung von Lehrmaterialien stellt sich auch die Frage nach digitalen Schulbüchern und ihrem Mehrwert für den Unterricht. Lehr-/ lernpsychologische Theorien und daraus resultierende Gestaltungsempfehlungen für multimediales Lernmaterial geben empirisch fundierte Hinweise auf eine lernförderliche Gestaltung von digitalen Schulbüchern. Der vorliegende Beitrag geht darauf aufbauend der Frage nach, ob die auf dem Markt befindlichen und zugelassenen digitalen Schulbücher bereits so gestaltet sind, dass sie den Lehrenden und Lernenden die Vorteile multimedialen Lernens bieten. Dazu wurde auf Basis einschlägiger medien- und instruktionspsychologischer Theorien im Rahmen einer strukturierenden Inhaltsanalyse ein Kategoriensystem entwickelt, anhand dessen sprachliche und nicht-sprachliche Anteile sieben zugelassener digitaler Schulbücher in Biologie und Mathematik der Sekundarstufe I analysiert wurden. Die Auswertung zeigt für die untersuchten Bücher ein heterogenes Bild hinsichtlich verschiedener Gestaltungsoptionen und interaktiver Bearbeitungsmöglichkeiten. Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Potenzial digitaler Schulbücher vor allem in Bezug auf Möglichkeiten der multimedialen Gestaltung und Interaktivitätsoptionen noch nicht ausgeschöpft wird. Schlüsselbegriffe: Digitale Schulbücher, Interaktivität, multimediales Lernen Digital STEM-Textbooks: an Analysis Against the Background of Theories of Instructional Psychology Summary: In the course of the advancing digitalization of teaching materials, the question of digital textbooks and their benefit for teaching arises. Theories from instructional psychology and the resulting design recommendations for multimedia learning material provide empirically founded indicators for digital textbook design that are effective for learning. This article is based on the question of whether the digital textbooks available on the market are already designed to offer teachers and learners the advantages of multimedia learning. To this end, within the framework of qualitative structuring content analysis, a category system was developed based on theories of instructional psychology in order to analyze seven approved digital textbooks in biology and mathematics at the lower secondary level. This analysis shows a varied picture. Overall, it can be concluded that the potential of digital textbooks has not yet been exhausted, particularly regarding the possibilities of multimedia design and interactive options. Keywords: Digital textbooks, interactivity, multimedia learning Medienkompetenz bzw. Medienbildung gilt als Schlüsselqualifikation für eine selbstbestimmte Teilhabe in unserer heutigen digitalen Gesellschaft und ihr Erwerb als zentrale Aufgabe schulischen Lernens (Moser, 2019; Süß, Lampert & Trültzsch-Wijnen, 2018). Die Kultusministerkonferenz nennt folgende Kenntnisse, Kompetenzen und Fertigkeiten, über die Schülerinnen und Schüler am Ende der allgemeinen Pflichtschulzeit verfügen sollen (Kultusministerkonferenz, 2016, S. 9): 1) Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren, 2) Kommunizieren und Kooperie- 24 Stephanie Moser, Miriam Degner, Doris Lewalter ren, 3) Produzieren und Präsentieren, 4) Schützen und sicher agieren, 5) Problemlösen und Handeln sowie 6) Analysieren und Reflektieren. Fächerübergreifend sollen diese Bereiche bei der Curriculumentwicklung und Unterrichtsgestaltung zunehmend berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund steht auch die Entwicklung digitaler Lehrmittel und Infrastruktur ganz oben auf der bildungspolitischen Agenda (vgl. u. a. „Digitalpakt Schule“). Entsprechend macht die Digitalisierung auch vor der „Institution Schulbuch“, dem traditionellen schulischen Leitmedium (Hiller, 2012), nicht halt. So befand sich 2018 unter den „Schulbüchern des Jahres“ erstmals auch ein digitales Buch (Bundeszentrale für politische Bildung, 2018). Dies ist insofern richtungsweisend, da Schulbücher in vielen Fächern als zentrale Lehrmedien der täglichen Unterrichtspraxis gelten (Doll & Rehfinger, 2012; Fuchs, Niehaus & Stoletzki, 2014). Ein zentraler Gewinn digitaler Schulbücher liegt in den innovativen Potenzialen zur Gestaltung von Lehr-/ Lernprozessen, die weit über die Angebote gedruckter Bücher hinausgehen können und u. a. vielfältige Chancen zur Interaktivität, Individualisierung und Differenzierung im Unterricht bieten (Bonitz, 2013). Dennoch sieht es bisher noch nicht nach einem Ende für papierbasierte Schulbücher aus: der digitale Anteil im Schulbuchmarkt Ende 2017 lag bei gerade einmal 4,3 Prozent (PricewaterhouseCoopers, 2018). Nur vier von zehn Lehrenden würden im Unterricht gerne E-Books einsetzen (Bitkom Research, 2016). Dies mag auch an der unzureichenden IT-Infrastruktur an den Schulen (Lorenz et al., 2017), hohen Anschaffungs- und Wartungskosten sowie Unsicherheit aufseiten der Lehrpersonen im Umgang mit digitalen Produkten liegen (Bitkom Research, 2016). Schülerinnen und Schüler scheinen ebenfalls die papierbasierten Schulbücher den digitalen Versionen vorzuziehen (Millar & Schrier, 2015). Viele Schulbücher und Arbeitshefte sind außerdem (noch) nicht in digitaler Version verfügbar oder bieten eine simple PDF-Version der papierbasierten Schulbücher an (Macgilchrist, 2017; Meier et al., 2016; Ulrich & Huwer, 2017). Somit stellt sich den Lehrenden und weiteren Entscheidungsträgern die Frage, ob das im Moment verfügbare Angebot die nicht unbeträchtlichen Kosten einer Umstellung auf E-Books tatsächlich rechtfertigt. Auch ist zu bedenken, dass nicht alles, was angeboten wird bzw. technisch machbar ist, auch lernförderlich ist (Scheiter & Richter, 2015). Welche lernrelevanten Vorteile bieten also die digitalen Schulbücher im Vergleich zu den gedruckten Versionen? Entscheidend ist, dass der Einsatz digitaler Schulbücher einen spürbaren Mehrwert für die Adressaten, also Lehrende und Lernende, mit sich bringt. Multimediale Lernangebote, die Individualität und Interaktivität der Lernenden in den Mittelpunkt stellen oder dynamische Repräsentationsformen wie Animationen oder Simulationen bieten, welche zu einer vertieften kognitiven Verarbeitung der Inhalte führen können (Berney & Bétrancourt, 2016; Evans & Gibons, 2007), sind wesentliche Schlüsselfaktoren, die den Gewinn von digitalen Schulbüchern ausmachen. Pilotprojekte widmen sich der lernförderlichen Gestaltung und dem sinnvollen Einsatz multimedialer Schulbücher (Meier et al., 2016). Beim BioBook NRW wurden u. a. instruktionspsychologische Überlegungen zur Gestaltung einbezogen, deren Prinzipien ein lerneffektives Design gewährleisten sollen (Meier et al., 2016). Die Autoren und Autorinnen des eChemBook verzichten in ihrem digitalen Schulbuch auf die gängige Struktur eines Print-Schulbuches und unterteilen jedesThema in mehrere eigenständige Lerneinheiten (Ulrich, Richter, Scheiter & Schanze, 2014). Zur Navigation dient eine sogenannte Lernlandkarte. Anhand interaktiver Lernaufgaben mit adaptiven Hilfestellungen und durch Erstellung von Zusammenfassungen am Ende jeder Lerneinheit durch Lernende werden Fähigkeiten zur Dokumentation und Reflexion unterstützt. Reinhold, Hoch, Werner, Reiss und Richter-Gebert (2018) berichten von positiven Erfahrungen mit dem tablet-basierten Mathematikbuch ALICE: Bruchrechnen aufseiten der Lehrenden und Lernenden, wie etwa signifikante Leistungsgewinne gegenüber den traditionellen Schulbüchern. Digitale Schulbücher im MINT-Bereich - aus lehr-/ lernpsychologischer Perspektive analysiert 25 Trotz dieser Pilotprojekte steht die Forschung, insbesondere zur Effektivität der digitalen Schulbücher bislang noch am Anfang (Meier et al., 2016). Es stellt sich nun die Frage, inwieweit das Potenzial von digitalen deutschen Schulbüchern bereits in der Breite ausgeschöpft wird? In einem ersten Schritt soll daher im vorliegenden Beitrag exemplarisch das aktuelle Angebot an digitalen Schulbüchern aus einer lehr-/ lernpsychologischen Perspektive analysiert werden. Digitale Schulbücher und ihre medialen Komponenten Das Schulbuch gilt allgemein als Leitmedium, das fachbezogen auf der Basis von Lehrplänen entwickelt wird und systematisch spezifische Inhalte und Kompetenzen didaktisch aufbereitet vermitteln soll (Fuchs et al., 2014). Hacker postulierte bereits 1980 (nach Fuchs et al., 2014) folgende sechs Funktionen von Schulbüchern, die bis heute gültig sind: Strukturierungs-, Repräsentations-, Steuerungs-, Motivierungs-, DifferenzierungsundÜbungs- und Kontrollfunktion. Staatliche Zulassungsverfahren, die in der überwiegenden Mehrheit der Bundesländer durch ein kultusministerielles Genehmigungsverfahren erfolgen (Hiller, 2012; Doll & Rehfinger, 2012), gewährleisten eine gewisse Qualitätskontrolle (Fey & Neumann, 2013) und Passung zu den jeweiligen Lehrplänen. Bonitz und Bonitz (2016) unterscheiden drei Entwicklungsstufen digitaler Schulbücher mit fließenden Übergängen: (1) digitalisierte Version des Printschulbuchs als reine PDF- oder EPUB- Variante (Electronic Publication), (2) Anreicherung der Schulbuchinhalte mit multimedialen Inhalten, wie z. B. Animationen oder Audioinformationen und (3) Loslösung von der klassischen Buchvorlage bis hin zu nonlinearen Wissenslandkarten, wobei Lerninhalte nicht linear vernetzt werden. Mit diesen Entwicklungsstufen sind laut Bock und Hertling (2018) unterschiedliche Charakteristika verbunden: Gemeinsam ist allen Entwicklungsstufen die Materialität der digitalen Medien, die sich in Trägermedien wie Smartphone, Tablet oder Laptop zeigt. Die digitalen Inhalte existieren immateriell, wodurch die Hardware die Möglichkeiten der Interaktion mit den Inhalten bedingt. Eine Abrufmöglichkeit auf verschiedenen portablen Endgeräten entspricht der Vorstellung des mobile learnings für unterwegs (de Witt, 2015). Die Multimedialität vereint verschiedene Modalitäten wie visuelle, auditive und audiovisuelle Inhalte. Die Möglichkeit zur Interaktivität eröffnet den Nutzenden Optionen des Interagierens mit der Medientechnik und des aktiven Verarbeitens von Informationen. Digitale Schulbücher sind sogenannte vernetzte Bildungsmedien, da eine synchrone Verknüpfung von Inhalten über unterschiedliche Modalitäten und Kanäle stattfindet. Die Inhalte können mit eigenen Dokumenten verlinkt und erweitert werden. Zudem eröffnen digitale Schulbücher vielfältige Chancen zur Individualisierung und Differenzierung. Zum einen können die Lehrenden individualisierte Lerninhalte für die Nutzenden verfügbar machen und zum anderen können die Lernenden selbst ihr Schulbuch personalisieren und somit das Schulbuch als kognitives Werkzeug nutzen (Jonassen, 1995). Realisiert wird dies etwa durch individuell auswählbare Inhalte (bspw. unterschiedliche Inhalte oder Repräsentationsformen von Informationen) oder durch Zusatzfunktionen zur individuellen Organisation der Inhalte (bspw. Marker, Notizfunktion und Lesezeichen). Diesen Zusatzfunktionen sowie einer benutzerfreundlichen Navigation, z. B. in Form von Suchmasken zum schnellen Auffinden von Lerninhalten, werden darüber hinaus positive Einflüsse auf die Lernmotivation (Baier, 2016) zugeschrieben. Einstiegshilfen beim Öffnen erleichtern die Navigation sowie das gezielte Durchsuchen der Bücher nach Schlagworten. Deutlich wird hierbei, dass von digitalen Schulbüchern der ersten Stufe (PDF der Print- Version) kaum zusätzlich förderliche Effekte auf Lehr-/ Lernprozesse abzusehen sind. Ein echter Mehrwert ist erst von den angeführten zusätzlichen multimedialen Gestaltungsmerkmalen zu erwarten (Eickelmann, 2017). 26 Stephanie Moser, Miriam Degner, Doris Lewalter Inwieweit dieser Mehrwert derzeitig tatsächlich in den E-Books realisiert wird, zeigt ein Blick in das aktuelle Angebot von Schulbuch- Verlagen: derzeit werden noch überwiegend PDF-Versionen der analogen Bücher angeboten (Macgilchrist, 2017; Ulrich & Huwer, 2017). Gründe für die eher zögerliche Entwicklung genuiner digitaler Schulbücher liegen zum einen aufseiten der Verlage in dem hohen Entwicklungsaufwand und Kosten (Eickelmann, 2017). Zum anderen erhalten die staatlich zugelassenen Schulbücher, digital wie papierbasiert, zunehmend Konkurrenz durch oftmals frei lizensierte und kostenlose Lehrmittelsammlungen im Internet, sog. Open Educational Resources (OER; Fey & Neumann, 2013; Mayrberger, 2013). Viele Lehrende erhalten hier Impulse zur Gestaltung von digital (ergänztem) Unterricht. Die potenzielle Stärke der OER, ihre große Anzahl und Vielfalt, ist gleichzeitig auch eine Schwäche: eine gewisse Kohärenz in der Darstellung sowie der Einfluss staatlicher Lehrmittelkontrolle geht weitgehend verloren und die Qualitätssicherung liegt allein bei den Lehrenden. Sie müssen entscheiden, inwieweit sie mehr oder weniger didaktisch sinnvolles Lehrmaterial für ihren Unterricht einsetzen, was vor allem für Lehrende mit geringer Medienkompetenz oder für Berufsanfänger problematisch sein kann (Fey & Neumann, 2013). Staatlich zugelassene digitale Schulbücher bieten daher gegenüber den OER den Vorteil der Einhaltung gewisser Normen und Mindeststandards durch das Approbationsverfahren (Hiller, 2012). Vor der Erforschung des Effekts von digitalen Schulbüchern auf unterrichtliche Lehr-/ Lernprozesse bedarf es der Analyse des Gegenstandes, in diesem Fall des digitalen Schulbuchs, um zu ermitteln, welche Potenziale es überhaupt hat, um einen förderlichen Einfluss auf das Lehr-/ Lerngeschehen zu haben. Ein Ansatz, um dieser Fragestellung nachzugehen, ist, das Angebot an digitalen Schulbüchern aus lehr-/ lernpsychologischer Sicht zu analysieren (Behnke, 2018). Astleitner (2012) regt hierzu an, bei der Gestaltung von geschlossenen, konsistentenInstruktionstheorien auszugehen und deren Empfehlungen in Lernmaterialien konsequent umzusetzen, um etwa kognitive Überlastung aufseiten der Lernenden zu vermeiden. Die aus diesen Theorien resultierenden Gestaltungsprinzipien sollten dabei additiv zu den Voraussetzungen beachtet werden, die für klassische papierbasierte Schulbücher gelten, z. B. zur Textgestaltung (Fuchs et al., 2014). Gestaltungsmerkmale multimedialer Lerninhalte Im Folgenden werden einschlägige Theorien vorgestellt, welche die Grundlage für eine theoriebasierte Analyse insbesondere des multimedialen Mehrwerts digitaler Schulbücher darstellen. Die Auswahl der Theorien erfolgte aufgrund verschiedener Empfehlungen, die etwa den oben schon erwähnten Einsatz von Instruktionstheorien aus der Lehr-/ Lernpsychologie anregen (Astleitner, 2012; Behnke, 2018). Wichtig ist hierbei, auf Gestaltungsempfehlungen zurückzugreifen, die auf wissenschaftlich und empirisch begründeten Theorien und Kriterien basieren (Nosko, 2017; Scheiter & Richter, 2015). Als Grundlage dienen im vorliegenden Artikel Theorien, die im Bereich des multimedialen Lernens (vgl. Bock & Hertling, 2018) etabliert sind: Dabei handelt es sich um die Cognitive Theory of Multimedia Learning (CTML; Mayer, 2005). Sie beinhaltet Annahmen über die Informationsverarbeitung im Gedächtnis, welche sich ähnlich auch in der Cognitive Load Theory (Sweller, van Merriënboer & Paas, 1998) finden, und schlägt darüber hinaus evidenzbasierte Gestaltungsprinzipien für multimediale Lernumgebungen vor. Diese stellen für die Analyse von Videos in den digitalen Schulbüchern einen passenden theoretischen Auswertungsrahmen dar. Da die Nutzerinnen und Nutzer von Schulbüchern eben nicht nur Rezipienten, sondern auch aktiv Handelnde sein sollten (Nosko, 2017), spielt der Aspekt der Interaktivität (vgl. Bock & Hertling, 2018) eine wichtige Rolle zur Bewertung von digitalen Schulbüchern, der anhand einer Einordnung in die Interaktivitäts-Taxonomie von Schulmeister (2002) ebenfalls genauer beleuchtet werden soll. Auch Übungsaufgaben, die ein wesentlicher Be- Digitale Schulbücher im MINT-Bereich - aus lehr-/ lernpsychologischer Perspektive analysiert 27 standteil von Schulbüchern sind und verschiedene kognitive Prozesse anregen sollen, bieten potenziell auch die Möglichkeit zu Interaktivität. Zur Analyse der Schulbuchaufgaben wird im vorliegenden Artikel das allgemeindidaktische Kategoriensystem zur Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben von Maier, Kleinknecht, Metz und Bohl (2010) herangezogen, welches eine fächerübergreifende Analyse ermöglicht und sich an etablierten Klassifikationssystemen orientiert. Die genannten Ansätze werden nachfolgend genauer dargelegt, da sie als Grundlage für das Analyseraster im vorliegenden Beitrag relevant sind. Cognitive Theory of Multimedia Learning Die Cognitive Theory of Multimedia Learning (CTML; Mayer, 2005) adressiert Gestaltungshinweise für Instruktionsdesign in multimedialen Lernumgebungen. Im Fokus steht die Vermeidung von lernirrelevanter kognitiver Belastung. Die CTML stützt sich dabei auf drei Grundannahmen zur Informationsverarbeitung (Mayer, 2005): (1) Menschen besitzen zwei getrennte Informationsverarbeitungskanäle, einen für visuell/ räumlich dargestellte Inhalte und einen für akustisch/ mündlich dargestellte Inhalte. Bei der Entwicklung von Lernmaterialien ist es das Ziel, beide Kanäle zu aktivieren. (2) Die Anzahl an Informationen, die in jedem Kanal gleichzeitig verarbeitet werden können, ist begrenzt. Wichtig ist, Lernende nicht durch zu viele simultane Informationseinheiten kognitiv zu überlasten. (3) Menschen sind aktiv an der kognitiven Verarbeitung von Informationen beteiligt. Bezüglich dieser Annahmen finden sich Parallelen zur Cognitive Load Theorie (CLT; Sweller, van Merriënboer & Paas, 1998), die auf verschiedene Aspekte der kognitiven Belastung durch multimedial präsentierte Inhalte detail- Prinzip Erklärung Kohärenzprinzip Verzicht auf lern-irrelevantes Fremdmaterial (z. B. Hintergrundmusik) Signalprinzip Hervorheben wesentlicher Lernelemente (z. B. durch Pfeile, Fettdruck, Überschriften …) Redundanzprinzip Vermeiden von redundanten Informationsquellen (z. B. geschriebenen Text nicht gleichzeitig vorlesen) Räumliches Kontiguitätsprinzip Räumlich nahe Präsentation zusammengehörender Bilder und Texte (korrespondierende Informationen auf einer Bildschirmseite, besser integriert) Zeitliches Kontiguitätsprinzip Gleichzeitige Präsentation zusammengehörender Bilder und Texte Segmentierungsprinzip Aufteilung der Informationen in lerngerechte Teileinheiten (z. B. durch eine Gliederung) Prinzip des Vorwissens Höhere Lerneffekte, wenn wesentliche lernrelevante Begriffe, Konzepte etc. bereits bekannt sind (z. B. Video ist so im E-Book platziert, dass schon eine thematische Einführung stattgefunden hat) Modalitätsprinzip Auditive Erläuterung von Visualisierungen statt geschriebener Text Multimediaprinzip Kombination von Text und Bildern effektiver als nur textliche oder bildliche Informationen alleine Personalisierungsprinzip Verzicht auf formale Sprache zugunsten eines dialogorientierten Sprachstils (z. B. wenig Fremdwörter, eher Alltagssprache und Nutzende werden direkt angesprochen) Stimmprinzip Menschliche Stimme ist einer computergenerierten Stimme vorzuziehen Bildprinzip SprecherIn muss nicht sichtbar sein, Stimme aus dem OFF ist ausreichend Tab. 1: Gestaltungsprinzipien der Cognitive Theory of Multimedia Learning (nach Mayer, 2005). 28 Stephanie Moser, Miriam Degner, Doris Lewalter lierter eingeht. Die CLT unterscheidet drei Arten von kognitiver Belastung (Cognitive Load, CL): den Intrinsic CL, den Extraneous CL und den Germane CL, wobei Letzterer mittlerweile nicht mehr als eigenständige und additive Belastung beschrieben wird (Kalyuga, 2011). Der Fokus liegt daher auf den ersten beiden Belastungen. Der Intrinsic CL bezieht sich auf die Komplexität der Lerninhalte selbst und kann nur schwer von außen manipuliert werden. Der Extraneous CL fokussiert die lernirrelevante Belastung, die aus dem (ungünstigen) instruktionalen Design des Lernmaterials resultiert. Sweller und Kollegen (1998) folgern, dass ein Ziel von Instruktionsdesign sein sollte, den Extraneous CL durch die optimierte Gestaltung von Lernmaterialien möglichst gering zu halten, damit genügend Ressourcen für die lernbezogene Belastung zur Verfügung stehen. Entsprechendes findet sich ebenfalls im Rahmen der CTML, welche als Konsequenz evidenzbasierte Empfehlungen zur Gestaltung von multimedialem Lernmaterial gibt. Hierzu benennt Mayer (2005) insgesamt zwölf Prinzipien für die erfolgreiche Entwicklung und Bewertung von multimedialen Lernmaterialien (siehe Tabelle 1). Interaktivität Die aktive Verarbeitung von Lerninhalten, wie sie u. a. in der CTML vorausgesetzt wird, kann in digitalen Schulbüchern durch verschiedene Interaktionsmöglichkeiten unterstützt werden. Niegemann und KollegInnen (2008) bezeichnen Interaktivität als „das Ausmaß, in dem eine Lernumgebung Interaktionen ermöglicht und fördert“ (S. 295). Interaktivität wird häufig als Chance zur Unterstützung von selbstregulativen Lernprozessen oder zur Förderung von Wissenserwerb und Motivation gesehen (Niegemann et al., 2008; Zumbach, 2010). Interaktivitätsoptionen werden im vorliegenden Beitrag von den Navigationsmöglichkeiten unterschieden und bezeichnen „das Handeln mit Lernobjekten und Ressourcen des Lernprogramms“ (Schulmeister, 2002, S. 194). Eine Taxonomie zur Interaktivität aus Sicht der Lernenden findet sich z. B. bei Schulmeister (2002). Niedrige Interaktionsniveaus auf Stufe I erlauben lediglich die Betrachtung eines Lernobjekts bzw. auf Stufe II die Rezeption verschiedener Darstellungsformen von Inhalten. Stufe III umfasst die Möglichkeit zur Variation von verschiedenen Repräsentationsformen und auf Stufe IV ist die Modifikation von Inhalten etwa durch die Eingabe von Daten möglich. Höherwertige Interaktionsniveaus beinhalten auf Stufe V die eigene Konstruktion von Inhalten und auf Stufe VI zusätzlich intelligente Rückmeldung der Software, z. B. durch die Integration adaptiver Aufgabenstellungen mit direktem Feedback (vgl. auch Hattie, 2014). Interaktionsmöglichkeiten können beispielsweise durch Hyperlinks, Drag-and-Drop-Funktionen, Aufruf von zusätzlichen Hilfen oder durch Möglichkeiten zum Erstellen von Concept Maps geschaffen werden. Sie können in unterschiedlichem Ausmaß in Texten, Bildern oder Videos integriert sein oder in Form von übergreifender Systemregelung durch Simulationen realisiert werden (Niegemann et al., 2008). Kognitives Potenzial von Aufgaben Um Aufgaben hinsichtlich ihres kognitiven Potenzials untersuchen zu können, entwickelten Maier und KollegInnen (2010) basierend auf aktuellen allgemeindidaktischen Klassifikationssystemen und Taxonomien ein allgemeindidaktisches fächerübergreifendes Kategoriensystem mit sieben Kategorien: 1) Art des Wissens, 2) kognitive Prozesse der Aufgabe, 3) Anzahl der Wissenseinheiten, 4) Offenheit der Aufgabenstellung, 5) Lebensweltbezug, 6) sprachlogische Komplexität und 7) Repräsentationsformen des Wissens. Aus einer übergreifenden lehr-/ lernpsychologischen Perspektive sind die im Folgenden näher beschriebenen Kategorien für die Analyse des Mehrwerts der Aufgaben in digitalen Schulbüchern besonders relevant: Art des Wissens: Maier et al. (2010) unterscheiden zwischen Faktenwissen, prozeduralem, konzeptuellem und metakognitivem Wissen. Faktenwissen ist spezifisches und fachbezogenes Wissen zur Lö- Digitale Schulbücher im MINT-Bereich - aus lehr-/ lernpsychologischer Perspektive analysiert 29 sung von Problemen. Prozedurales Wissen umfasst implizites, nicht verbalisierbares Handlungswissen und Wissen über Fertigkeiten und Routinen. Konzeptuelles Wissen meint vernetztes Begriffswissen und enthält Wissen über Theorien und Modelle. Metakognitives Wissen ist Wissen über die eigenen Kognitionen und die Fähigkeit, den eigenen Lernprozess zu steuern und zu evaluieren. Die Kategorie kognitive Prozesse untergliedern Maier et al. (2010) in Reproduktionsaufgaben, nahe bzw. weite Transferaufgaben und Problemlöseaufgaben, die sich auf alle Wissensarten beziehen können. Die Bearbeitung von Reproduktionsaufgaben benötigt Erinnerungsleistung, die durch Abrufen von Wissen aus dem Langzeitgedächtnis geschieht. Einen nahen Transfer erfordert eine Aufgabe, wenn sie wenig von geübten oder bekannten Aufgaben abweicht. Die Anwendung von Wissen in einer neuen Lernsituation bezeichnet einen weiten Transfer. Bei kreativen Problemlöseaufgaben muss zur Bearbeitung der Aufgabe neues Wissen generiert werden (Maier et al. 2010). Die Kategorie Lebensweltbezug wird von Maier et al. (2010) als Beziehung zwischen dem fachspezifischen Fachwissen und der Erfahrungswelt von Lernenden definiert. Er kann vier Ausprägungen aufweisen. Bei Aufgaben ohne Lebensweltbezug fehlt in der Aufgabenstellung die Verknüpfung zwischen Fachwissen und der Erfahrungswelt der Lernenden. Aufgaben mit einem konstruierten Lebensweltbezug verbinden Fachwissen mit einer erfundenen Lebenswelt. Aufgaben mit einem konstruierten, aber authentischen Lebensweltbezug besitzen einen konstruierten, aber realistischen Lebensweltbezug, der aber in Verbindung mit der Aufgabe Sinn ergibt, z. B. Integration von Fachwissen aus Alltag oder Berufsleben. Bei einem realen Lebensweltbezug besteht zwischen der Aufgabe und der Lebenswelt keine Differenz, z. B. bei der Lösung einer Problemstellung aus dem wahren Leben. Die Kategorie Repräsentationsformen des Wissens unterscheidet verschiedene Arten des Zusammenspiels von Repräsentationsformen z. B. Text und Grafik/ Abbildung in der Aufgabenstellung und -lösung (Maier et al., 2010): (1) Aufgabeninformation und die zur Aufgabenlösung notwendigen Wissenseinheiten basieren auf einer Repräsentationsform. (2) Die Aufgabenstellung gibt Wissen in unterschiedlichen Repräsentationsformen vor, die für die Aufgabenlösung integriert werden müssen. (3) Die durch die Aufgabe vorgegebene Repräsentationsform muss in eine andere Repräsentationsform transferiert werden (z. B. Text in Tabelle), um komplexe Problemstellungen zu bearbeiten, und wird als Anreiz für die kognitive Entwicklung angesehen. Fragestellung Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass effektives Lernen mit digitalen Schulbüchern vor allem gegeben ist, wenn sie bestimmte Gestaltungskriterien erfüllen, die sich unter anderem aus den oben genannten lehr-/ lernpsychologischen Theorien schließen lassen. So können beispielsweise bestimmte kognitive Prozesse angestoßen werden, ohne in eine kognitive Überlastung zu führen. Durch die sinnvolle Verbindung visueller und auditiver Lernelemente beispielsweise können Lernprozesse erleichtert werden, da hier verschiedene Sinnesmodalitäten der Lernenden angesprochen werden. Das Potenzial digitaler Schulbücher manifestiert sich jedoch vor allem an ihren interaktiven und adaptiven Nutzungsmöglichkeiten. Für eine benutzerfreundliche Bedienung sind etwa Zusatzfunktionen besonders wichtig, die es ermöglichen, die Schulbücher individuell zu organisieren. Aus diesen Erkenntnissen ergibt sich, dass die digitalen Schulbücher insbesondere hinsichtlich multimedialer Zusatzfunktionen und interaktiver bzw. adaptiver Nutzungsweisen zu untersuchen sind. Basierend auf diesen theoretischen Vorüberlegungen ergibt sich die übergeordnete Fragestellung der Analyse, ob die aktuell auf dem Markt befindlichen digitalen Schulbücher die lernförderlichen Gestaltungprinzipien multimedialen Lernens aufgreifen und Optionen zur Individualisierung und Interaktion anbieten. Um diese Forschungsfrage beantworten zu können, wurde 30 Stephanie Moser, Miriam Degner, Doris Lewalter sie in sechs spezifische Forschungsfragen (F) analog der Charakteristika von digitalen Schulbüchern (Bock & Hertling, 2018) gegliedert. Grundlegende Unterschiede zwischen digitalen Schulbüchern und deren papierbasierten Varianten sind u. a. in den Aspekten der Materialität und der Individualisierung zu sehen, worauf sich F1 und F2 beziehen. F1: Inwieweit unterscheidet sich der strukturelle Aufbau der zu untersuchenden digitalen Schulbücher, als Indikator der Materialität, von den papierbasierten Versionen? F2: Werden Zusatzfunktionen in Form von Texttools angeboten, die eine Individualisierung der Gestaltung des digitalen Schulbuches durch den Lernenden zulassen? Eine benutzerfreundliche Navigation digitaler Schulbücher trägt dazu bei, die Lernmotivation aufrechtzuerhalten, und wird in F3 untersucht. F3: Inwieweit erlauben die digitalen Schulbücher eine benutzerfreundliche Navigation? Die Multimedialität und Interaktivität vereint visuell, auditiv oder audiovisuell präsentierte Inhalte, die in F4 allgemein und F5 genauer hinsichtlich der Vermeidung lernirrelevanter Belastung untersucht werden. F4: Welche zusätzliche multimediale (visuelle oder auditive) Add-ons wie etwa Hörsequenzen, Bilder, Simulationen oder Videos bieten digitale Schulbücher an und inwieweit sind diese interaktiv? F5: Inwieweit sind Bilder, Videos und Simulationen hinsichtlich der Prinzipien des multimedialen Lernens nach Mayer (2005) gestaltet? Mit F6 werden die Aspekte Adaptivität und Interaktivität digitaler Schulbuchaufgaben analysiert. F6: Welches kognitive Potenzial wird in den Aufgaben in den digitalen Schulbüchern, die über die Standardaufgaben in den papierbasierten Schulbüchern hinausgehen, realisiert und inwieweit sind sie interaktiv? Methode Methodisch orientiert sich das Vorgehen in diesem Beitrag an der strukturierenden Inhaltsanalyse von Mayring (2015), wobei sowohl sprachliche als auch nichtsprachliche Aspekte der Schulbücher untersucht werden. Zur Analyse wird ein mixed-method-Ansatz herangezogen, d. h. es erfolgt sowohl eine quantitative Inhaltsanalyse (im Sinne einer Häufigkeitsanalyse, z. B. beim Vorkommen von Texttools oder multimedialem Zusatzangebot) als auch eine qualitative Analyse (um die hinter einem Oberflächenmerkmal, etwa dem Vorhandensein einer Aufgabe, liegende Bedeutung zu analysieren, beispielsweise die Ermittlung der Art des Wissens, die abgefragt wird). Dieser Ansatz entspricht gängigen Verfahren der Schulbuchanalyse, bei denen in der Regel quantitative und qualitative Analysen sowie eine Kombination von beidem verwendet werden (Hunze, 2003). Bei der strukturierenden Analyse werden die Strukturierungsdimensionen (z. B. Multimedialität, benutzerfreundliche Navigation etc.), abgeleitet aus der Fragestellung und auf theoretischer Basis begründet, exakt bestimmt. Die Strukturierungsdimensionen werden anschließend in einzelne Ausprägungen untergliedert und in einem Kategoriensystem zusammengestellt. Wann ein Materialbestandteil einer Kategorie zugeordnet wird, wird in einem Leitfaden mit Ankerbeispielen und Kodierregeln genau festgehalten (Mayring, 2015). Auswahl des Untersuchungsmaterials Zur Bestimmung des Untersuchungsmaterials wurden zuerst die verfügbaren Schulbücher ermittelt, die zum Zeitpunkt der Stichprobenziehung (2019) ein kultusministerielles Zulassungsverfahren (im Sinne einer externen Qualitätskontrolle) durchlaufen haben. Hier zeigte sich, dass der Markt von drei großen Schulbuchverlagen dominiert wird, die alle in die Analyse einbezogen werden sollten. In die weitere Auswahl wurden anschließend nur jene digitalen Bücher aufgenommen, die über die reine PDF-Version der papierbasierten Bücher hinausgehen. Um eine möglichst homogene Auswahl zur besseren Vergleichbarkeit der Bücher zu treffen, wurden exemplarisch Schulbücher der MINT-Fächer an Gymnasien in die weitere Betrachtung einbezogen. Der Fokus liegt zudem auf den Fächern Biologie und Mathematik, da zum Zeitpunkt der Auswahl für die Digitale Schulbücher im MINT-Bereich - aus lehr-/ lernpsychologischer Perspektive analysiert 31 anderen MINT-Fächer noch keine digitalen Versionen von Schulbüchern, die über PDF-Versionen hinausgehen, vorlagen. Anschließend wurde verglichen, für welche Klassenstufen und welche Bundesländer Bücher verfügbar sind, um ein vergleichbares Curriculum betrachten zu können. Die größtmögliche Überschneidung (5 Bücher) gab es in der Sekundarstufe I, Klassenstufe 6 im Bundesland Bayern. Hier fanden sich digitale Schulbücher aus zwei der großen Verlage und einem kleineren Verlag. Der dritte große Schulbuchverlag bot für Bayern nichts an, weshalb dessen Angebot aus Nordrhein-Westfalen einbezogen wurde (ebenfalls einem Bundesland mit kultusministeriellem Zulassungsverfahren). Hier fanden sich allerdings keine Bücher aus Klassenstufe 6, sodass Bücher aus den nächsten Klassenstufen ausgewählt wurden: ein Biologiebuch für die Jahrgangsstufe 7 - 9 und ein Mathematikbuch für die Jahrgangsstufe 8. Insgesamt wurden drei Mathematik-Bücher untersucht (2 × Klasse 6 aus Bayern, 1 × Klasse 8 aus Nordrhein-Westfalen), sowie vier Biologie-Bücher (3 × Klasse 6 aus Bayern sowie 1 × Klasse 7 - 9 aus Nordrhein-Westfalen). Auflage aller Bücher war das Jahr 2018. Durch die eben beschriebene Auswahl erhebt die vorliegende Analyse nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, d. h. es konnten unter anderem aufgrund des Untersuchungsaufwands nicht alle auf dem Markt verfügbaren digitalen Schulbücher überprüft werden. Für die Auswertung wurden die Schulbücher zuerst fächerübergreifend in Bezug auf ihren inhaltlichen Aufbau untersucht. Grundlegend sind die Bücher in Oberthemen gegliedert, die wiederum aus mehreren Kapiteln mit Unterthemen bestehen. Für einen repräsentativen Vergleich sollten pro Buch je drei Unterkapitel genauer betrachtet werden. Diese drei Unterkapitel wurden in einem ersten Schritt aus je einem Biologie- und einem Mathematikbuch per Zufallsauswahl ermittelt. Aus den übrigen Büchern wurden die inhaltlich vergleichbaren Unterkapitel ausgewählt. Da das Biologiebuch für die 7. - 9. Klasse und das Mathematikbuch der 8. Klasse andere Inhalte als die Jahrgangsstufe 6 behandeln und sich vom Kapitelaufbau stark unterscheiden, wurden die zu analysierenden drei Unterkapitel entsprechend separat per Zufall ausgewählt. Ober-/ Unterkategorie Merkmale Textbeschaffenheit Basistext/ Zusatzinformationen Textverarbeitungsmöglichkeiten (= Texttools) Marker, Radiergummi, Stift, Lesezeichen, Anmerkungen, Notizen, Abdeckungskarten, Dateien-Upload [Möglichkeit eigene Dateien hochzuladen/ Möglichkeit Verlinkungen hinzuzufügen] Benutzerfreundliche Navigation Einstiegshilfen/ Leichte Navigation/ Suchmaske/ Installation auf verschiedenen Endgeräten Auditive und dynamische visuelle Inhalte - Auditive Dateien - Interaktive Bilder - Simulationen - Videos [Erklärvideos, Realfilme; Interaktivität vorhanden ( ja/ nein)] Unterkategorie: Visualisierungs-Analyse Kohärenzprinzip/ Signalprinzip/ Redundanzprinzip/ räumliches Kontiguitätsprinzip/ zeitliches Kontiguitätsprinzip/ Segmentierungsprinzip/ Prinzip des Vorwissens/ Modalitätsprinzip/ Multimediaprinzip/ Personalisierungsprinzip/ Stimmprinzip/ Bildprinzip Aufgabenmerkmale Aufgabenstellung/ Interaktivität/ Bearbeitungshilfen/ Feedback/ Lösungen Unterkategorie: Aufgaben-Analyse - Art des Wissens (Faktenwissen, Prozedurales Wissen, Konzeptuelles Wissen, Metakognitives Wissen) - Kognitive Prozesse (Reproduktionsaufgaben, Naher Transfer, Weiter Transfer, Kreative Problemlöseaufgaben) - Repräsentationsformen des Wissens (eine Repräsentationsform, Integration verschiedener Repräsentationsformen, Transformation in eine andere Repräsentationsform) - Lebensweltbezug (ohne, konstruiert, konstruiert, aber authentisch, real) Tab. 2: Kategoriensystem zur Analyse der Merkmale digitaler Schulbücher 32 Stephanie Moser, Miriam Degner, Doris Lewalter Festlegung und Definition des Kategoriensystems Für die Erstellung des Kategoriensystems wurde sowohl die deduktive als auch die induktive Kategorienbildung verwendet (Mayring, 2015). Das resultierende Kategoriensystem besteht aus vier Oberkategorien, die sich auf das grundsätzliche Vorhandensein bestimmter Gestaltungsmerkmale (Textbeschaffenheit/ Textverarbeitungsmöglichkeiten, benutzerfreundliche Navigation; auditiv und visuell präsentierte Inhalte, Aufgabenmerkmale,) beziehen, und zwei weiteren Unterkategorien, die sich mit der konkreten Ausprägung der Kategorien Visualisierungs- und Aufgaben-Analyse beschäftigen (siehe Tabelle 2). Im Folgenden werden die einzelnen Kategorien vorgestellt und erläutert. Textbeschaffenheit und -verarbeitung sowie benutzerfreundliche Navigation werden bei allen digitalen Büchern jeweils buchbezogen betrachtet. Alle weiteren Auswertungen beziehen sich auf je drei Unterkapitel pro Buch. Die Aspekte Materialität und Individualisierung nach Bock und Hertling (2018) werden in den ersten beiden Oberkategorien Textbeschaffenheit und Textverarbeitungsmöglichkeiten operationalisiert, um mögliche Unterschiede zum papierbasierten Schulbuch zu verdeutlichen. Materialität durch Textbeschaffenheit Die Oberkategorie Textbeschaffenheit umfasst folgende zwei Merkmale: Basistext (hier wird untersucht, ob der Text entsprechend eines papierbasierten Schulbuchs formatiert ist). Zusatzinformationen sind Informationen, die zusätzlich zum Text interaktiv angewählt werden können. Als Ankerbeispiel können hier Erklärungen genannt werden, die beim Anklicken bestimmter Fachbegriffe angezeigt werden. Die Kategorie wird kodiert mit vorhanden ( × ) bzw. nicht vorhanden (-). Individualisierung durch Textverarbeitungsmöglichkeiten (=Texttools): Hier werden Texttools zur individuellen Gestaltung und Personalisierung betrachtet (untergliedert in sieben Texttools, die induktiv aus dem Material gewonnen wurden, siehe Tabelle 2). Ist ein Tool vorhanden, gilt das Merkmal als erfüllt. Ankerbeispiele sind Marker, Lesezeichen, Notizen oder Radiergummis. Die Kategorie wird kodiert mit vorhanden ( × ) bzw. nicht vorhanden (-). Dem Aspekt der benutzerfreundlichen Navigation nach Bock und Hertling (2018) wird in der nächsten Oberkategorie entsprochen. Benutzerfreundliche Navigation Die Oberkategorie benutzerfreundliche Navigation umfasst die Merkmale Einstiegshilfen bei der Navigation, Erklärungen zur Nutzung des E-Books oder Verlinkungen zu Benutzerhandbüchern bzw. Erklärvideos, die leichte Navigation (Möglichkeit zum gezielten Finden und Aufschlagen von Seiten, Inhaltsverzeichnissen und Kapiteln bzw. Unterkapiteln) sowie das Vorhandensein einer Suchmaske und die Möglichkeit zur Installation auf verschiedenen Endgeräten. Diese Merkmale wurden induktiv nach Sichtung der Schulbücher gebildet und wird kodiert mit vorhanden ( × ) bzw. nicht vorhanden (-). Der Aspekt der Multimedialität nach Bock und Hertling (2018) wird in der nächsten Oberkategorie auditive und dynamische visuelle Inhalte und der daraus folgenden Unterkategorie abgebildet. Des Weiteren werden die Interaktivitätsstufen von Schulmeister (2002) zur Einordnung der interaktiven Möglichkeiten sowie in der Visualisierungs-Analyse die zwölf Prinzipien von Mayer (2005) berücksichtigt. Multimedialität und Interaktivität durch auditive und dynamische visuelle Inhalte In der Oberkategorie auditive und dynamische visuelle Inhalte wird nach einer ersten Sichtung des Materials zwischen auditiven Dateien (z. B. Hörsequenzen), interaktiven Bildern, Videos und Simulationen unterschieden. Auch bei dieser Kategorie liegt der Fokus auf den multimedialen Zusatzangeboten, die das E-Book von der klassischen Schulbuchvariante abgrenzen, etwa Verlinkungen oder anklickbare Zusatzinformationen. Zuerst wird das Vorhandensein interaktiver Bilder analysiert. Bei den Simulationen wird Interaktivität vorausgesetzt. Videos untergliedern sich in Erklärvideos und Realfilme sowie die darin gebotene Interaktivität, z. B. durch die Funktion Marker zu setzen Die Oberkategorie wird mit vorhanden ( × ) bzw. nicht vorhanden (-) kodiert. Mit der Unterkategorie Visualisierungs-Analyse wird die Gestaltung der Lernvideos anhand der zwölf Gestaltungsprinzipien der CTML nach Mayer (2005) analysiert, um zu untersuchen, nach welchen Prinzipien die Lernvideos konzipiert sind und inwieweit sie als Konsequenz lernirrelevante Belastung vermeiden (siehe Tabelle 1). Die Unterkategorie wird mit erfüllt ( × ) bzw. nicht erfüllt (-). kodiert. Digitale Schulbücher im MINT-Bereich - aus lehr-/ lernpsychologischer Perspektive analysiert 33 Die Aspekte der Adaptivität und Interaktivität von Bock und Hertling (2018) werden in der nächsten Oberkategorie Aufgabenmerkmale und der daraus folgenden Unterkategorie, speziell bezogen auf die Schulbuchaufgaben, operationalisiert. Hier werden ebenfalls die Interaktivitätsstufen von Schulmeister (2002) zur Einordnung der interaktiven Möglichkeiten herangezogen. In der Aufgaben-Analyse wird deren kognitives Potenzial anhand des Systems von Maier et al. (2010) untersucht. Adaptivität und Interaktivität in den Aufgabenmerkmalen Mit der Oberkategorie Aufgabenmerkmale wird anhand von fünf sowohl induktiv als auch deduktiv hergeleiteten Merkmalen das Vorhandensein von Indikatoren eines multimedialen Mehrwerts in den Aufgaben der Schulbücher untersucht. Diese Indikatoren beziehen sich auf die Aufgabenstellung (werden zusätzliche Aufgaben angeboten? ), die Interaktivität (ist die Aufgabe online bearbeitbar? ), Bearbeitungshilfen (wird Hilfestellung zur Lösung der Aufgabe angeboten? ), Feedback (wird ein individuelles Feedback zur Aufgabenlösung durch den Nutzenden gegeben? ) und Lösungen (werden die Lösungsschritte aufgezeigt? ). Die Oberkategorie wird mit vorhanden ( × ) bzw. nicht vorhanden (-) kodiert. Die dazugehörige Unterkategorie umfasst die vertiefte Aufgabenanalyse basierend auf dem allgemeindidaktischen Kategoriensystem zur Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben von Maier et al. (2010) und umfasst die Merkmale Art des Wissens, kognitive Prozesse, Repräsentationsformen des Wissens und Lebensweltbezug. Die Unterkategorie wird kodiert mit erfüllt ( × ) bzw. nicht erfüllt (-). Durchführung Zunächst wurde anhand der oben dargestellten Kategorien ein Kodierleitfaden erstellt. Je ein Kapitel pro Buch wurde mithilfe des Kodierleitfadens von zwei unabhängigen Kodierern (eine Autorin und ein externer Kodierer) untersucht. Die Intercoder-Reliabilitäten einzelner Kategorien wurden berechnet. Insgesamt bewegt sich der Grad der Übereinstimmung zwischen Cohens κ = .67 und Cohens κ = 1.00, was einen starken bis sehr starken Grad der Übereinstimmung zeigt, der sogar für etwas komplexere Kategorien wie die Aufgaben- Analyse (Cohens κ = .95) vorliegt. Dies lässt darauf schließen, dass das Kategoriensystem sowie der Kodierleitfaden eindeutig formuliert sind und dass die einzelnen Analyseeinheiten korrekt zugeordnet werden konnten. Es wurden insgesamt 441 Fälle ausgewertet, nur in 10 Fällen stimmten die Rater nicht überein. Eine Unklarheit betraf z. B. die Teile der Aufgabenanalyse, worüber sich die Kodierer anschließend ausgetauscht haben und anhand einer Konsensfindung den Kodierleitfaden angepasst haben. Ergebnisse Tabelle 3 gibt einen Überblick über das analysierte Material aus sieben Büchern. Es wurden ca. ein Drittel bis die Hälfte der jeweils darin enthaltenen Seiten sowie alle darin enthaltenen Visualisierungen und zusätzlichen Aufgaben analysiert. Bücher Seitenzahl Visualisierungen a Zusätzliche Aufgaben Simulationen Interaktive Bilder Videos N n Realfilme b Erklärvideos b Mathematik 1 Mathematik 2 Mathematik 3 Biologie 1 Biologie 2 Biologie 3 Biologie 4 200 220 k. S. 218 160 k. S. 153 64 76 k. S. 72 76 k. S. 52 0 0 3 0 0 0 0 0 0 0 0 2 0 0 0 0 0 0 2 0 5 c 9 7 3 0 3 2 9 c 0 0 17 6 3 20 35 c Tab. 3: Überblick über das Analysematerial Anmerkungen: N = Gesamtanzahl der Seiten; n = untersuchte Seiten; k. S. = keine Seitenzahlen vorhanden; a rein auditive Dateien fanden sich in keinem der untersuchten Kapitel; b interaktive Nutzungsmöglichkeiten waren in keinem der Videos gegeben; c alle Videos und Aufgaben können nicht direkt von den Lernenden ausgewählt werden, sondern müssen von den Lehrenden freigeschaltet und in das Buch platziert werden. 34 Stephanie Moser, Miriam Degner, Doris Lewalter Textbeschaffenheit In Bezug auf die Forschungsfrage 1 zur Textstruktur hat sich gezeigt, dass der Aufbau der untersuchten E-Books bei fünf der sieben Bücher identisch mit deren Print-Version ist. Die anderen beiden Schulbücher besitzen keine Seitenzahlen, sondern sind entsprechend einer Website aufgebaut: Inhalte werden durch herunterscrollen erreicht. Textverarbeitungsmöglichkeiten Bezogen auf Forschungsfrage 2 zeigte sich, dass Texttools zwar in allen sieben Büchern angeboten werden, dies jedoch in unterschiedlichem Umfang geschieht (siehe Tabelle 4). Lesezeichen können in allen sieben Schulbüchern verwendet werden. In fünf der sieben Bücher stehen den Lernenden Marker, Radiergummi und das Setzen von Anmerkungen und Notizen zur Verfügung. In vier von sieben Schulbüchern können eigene Verlinkungen hinzugefügt werden. Das Hochladen eigener Dateien und das Verwenden von einem Stift für das direkte Reinschreiben in das Buch ist in drei von sieben Schulbüchern möglich. Abdeckungskarten können nur in einem Buch eingesetzt werden. Insgesamt wurden in den E-Books zwischen drei und sieben von acht Texttools vorgefunden, die alle der Interaktivitäts-Stufe II nach Schulmeister (2002) zugeordnet werden können. Benutzerfreundliche Navigation Der Aspekt der benutzerfreundlichen Navigation (Forschungsfrage 3) wird fächerübergreifend in allen Schulbüchern erfüllt. Sie umfassen einführende Erklärungen zur E-Book-Nutzung sowie das gezielte Navigieren zu einzelnen Kapiteln im Inhaltsverzeichnis. Lediglich in zwei Büchern wird keine Suchmaske angeboten. Bei allen digitalen Büchern ist es möglich, die Lizenzen auf verschiedenen mobilen Endgeräten zu installieren. Auch können alle Bücher offline über Apps genutzt werden. Bücher Textverarbeitungsmöglichkeiten Marker Radiergummi Stift Lesezeichen Anmerkungen/ Notizen Abdeckungs- Karten Dateien-Upload ∑ Eigene Dateien Verlinkungen Mathematik 1 Mathematik 2 Mathematik 3 Biologie 1 Biologie 2 Biologie 3 Biologie 4 × × - × × - × × × - × × - × - × - - × - × × × × × × × × - × × - × × × - - - - - - × - - × - - × × - × × - × × - 3 6 4 3 6 4 7 Tab. 4: Überblick über Textverarbeitungsmöglichkeiten Anmerkungen: × = Kriterium wurde erfüllt; - = Kriterium wurde nicht erfüllt; ∑ = Anzahl der zur Verfügung stehenden Tools. Digitale Schulbücher im MINT-Bereich - aus lehr-/ lernpsychologischer Perspektive analysiert 35 Auditive und dynamische visuelle Inhalte / Visualisierungs-Analyse Bezogen auf Forschungsfrage vier zu multimedialen Add-ons zeigte sich, dass rein auditive Dateien (z. B. Podcasts) in keinem Buch vorhanden und somit nicht analysierbar sind und sich interaktive Bilder nur in einem Biologiebuch finden (siehe Tabelle 3). In zwei Abbildungen können Informationstexte und Beschreibungen einzelner Komponenten ein- und ausgeblendet werden. Dies entspricht Interaktivitäts-Stufe II nach Schulmeister (2002). Simulationen werden nur in einem Mathematikbuch eingesetzt. Lernende können hier durch Eingabe von Zahlen die Simulationen verändern, was Stufe IV nach Schulmeister (2002) entspricht. Die analysierten Kapitel enthalten insgesamt 40 Videos, wobei ein Biologiebuch gar keine Videos anbietet. Bei der Auswertung der Videos zeigte sich für die beiden Fächer ein unterschiedliches Bild: In allen drei Mathematikbüchern wurden insgesamt 19 Erklärvideos eingesetzt, die vergleichbar aufgebaut sind: es wird jeweils eine Mathematikaufgabe vorgerechnet und die einzelnen Lösungsschritte nacheinander aufgezeigt. Wichtige Rechenregeln oder Schwierigkeiten werden mittels Merkkästen visualisiert. In Biologie sind nur in drei der vier untersuchten Bücher insgesamt 21 Videos zu finden, die eine eher inkonsistente Gestaltung aufweisen: Einerseits werden kurze Naturaufnahmen in Form von Realfilmen ohne akustische Unterlegung und didaktische Aufbereitung angeboten, die eher eine illustrierende Funktion haben, andererseits elaborierte Erklärvideos mit auditiven Erklärungen, z. B. zum Aufbau einer Blüte. Von den 21 untersuchten Videos entfallen sieben Videos auf Naturaufnahmen in Realfilmen und vierzehn auf Erklärvideos. In drei Büchern (zwei Biologie- und ein Mathematikbuch) müssen die Videos über einen Link extern geöffnet werden. Echte Interaktionsmöglichkeiten waren in keinem der Videos gegeben, was damit Stufe I entspricht. Die Befunde der Analyse der Visualisierungen in Bezug auf die zwölf Prinzipien des multimedialen Lernens (Mayer, 2005) entsprechend Forschungsfrage fünf sind zusammenfassend in Tabelle 5 dargestellt. Die Ergebnisse zeigen, dass in allen Visualisierungen, mit Ausnahme der Realfilme in Biologie, die meisten der zwölf Prinzipien Anwendung finden, insbesondere in den Erklärvideos in Mathematik. Prinzipien Interaktive Bilder Simulationen Videos Erklärvideos Mathematik Erklärvideos Biologie Realfilme Biologie Kohärenzprinzip Signalprinzip Redundanzprinzip Räumliches Kontiguitätsprinzip Zeitliches Kontiguitätsprinzip Segmentierungsprinzip Prinzip des Vorwissens Modalitätsprinzip Multimediaprinzip Personalisierungsprinzip Stimmprinzip Bildprinzip × - ××××× - × - - - ××××× - × - × - - - ××××× - ×××××× × * - ××× - ××× - ×× × - - - - - × + - - - - - Tab. 5: Analyse der Visualisierungen nach den Gestaltungsprinzipien der CTML (Mayer, 2005) Anmerkungen: × = Kriterium wurde erfüllt; - = Kriterium wurde nicht erfüllt; * In neun der 14 Videos wird das Kohärenzprinzip nicht erfüllt; + Prinzip des Vorwissens kann in einem der untersuchten Bücher nicht kategorisiert werden (Biologie 4), da nicht ersichtlich ist, ob und wo in dem E-Book Lehrende die Videos auswählen und platzieren. 36 Stephanie Moser, Miriam Degner, Doris Lewalter Aufgaben und Aufgaben-Analyse Bezogen auf Forschungsfrage sechs zur Aufgabenanalyse zeigte sich, dass nicht in allen untersuchten Büchern Aufgaben angeboten werden, die über die Print-Version hinausgehen (siehe Tabelle 3). In Mathematik bietet lediglich ein Buch zusätzliche Aufgaben an, die alle auch interaktiv (z. B. per Drag-and-Drop oder Freitext) entsprechend Stufe II nach Schulmeister (2002) bearbeitbar sind (siehe Tabelle 6). In Biologie bieten alle vier Bücher zusätzliche Aufgaben an, wobei die Aufgaben in zwei Büchern nur als PDF heruntergeladen werden können (Interaktivitäts-Stufe I) und zur Bearbeitung ausgedruckt werden müssen. Die so bearbeiteten Aufgaben können nicht wieder in das Schulbuch hochgeladen werden. Bei den anderen zwei Biologiebüchern können insgesamt 23 Aufgaben interaktiv direkt im Buch bearbeitet werden, etwa im Drag-and-Drop-Verfahren. Dies entspricht Interaktivitäts-Stufe II. Bearbeitungshilfen finden sich nur in einem Biologie- und einem Mathematikbuch (Interaktivitäts-Stufe II). Individuelles Feedback wird in keinem Buch gegeben. Lösungen können in einem Mathematik- und zwei Biologiebüchern angezeigt werden (Interaktivitäts-Stufe II). Zur Beantwortung der Teilfragestellung sechs hinsichtlich des kognitiven Potenzials der Aufgaben wurden insgesamt 81 Aufgaben analysiert. Zur leichteren Vergleichbarkeit werden hier auch Prozentzahlen angegeben. Bezogen auf die Wissensart zeigt sich, dass in allen Aufgaben (100 %) Faktenwissen abgefragt wird. Zudem wird in 61 (75 %) Aufgaben zusätzlich prozedurales Wissen und in 27 (33 %) Aufgaben konzeptuelles Wissen verlangt. Bezogen auf die kognitiven Prozesse zeigt sich, dass 55 (68 %) Aufgaben Reproduktionsaufgaben sind, sechs (7 %) Aufgaben einen nahen Transfer und 18 (22 %) einen weiten Transfer erfordern. Im Fach Biologie werden in einem Buch zudem zwei (2 %) kreative Problemlöseaufgaben gestellt. Die Analyse des Lebensweltbezuges ergibt, dass 58 (72 %) Aufgaben keinen und 23 (28 %) einen konstruierten, aber authentischen Lebensweltbezug besitzen. Im Hinblick auf die Repräsentationsformen des Wissens zeigt sich, dass 34 (42 %) Aufgaben lediglich eine Repräsentationsform besitzen und in 42 (52 %) Aufgaben verschiedene Repräsentationsformen integriert werden, vorzugsweise Text und Abbildung. In fünf (6 %) Aufgaben erfordert die Aufgabenstellung eine Umwandlung in eine andere Repräsentationsform. Diskussion Die Digitalisierung im Bildungswesen treibt die Entwicklung multimedialer Lehr- und Lernmittel voran, was sich auch in einem zunehmenden Angebot von digitalen Schulbüchern widerspiegelt. Wie u. a. Eickelmann (2017) feststellte, ist jedoch bei digitalen Schulbüchern nur dann ein Mehrwert gegeben, wenn sie mehr bieten als eine PDF-Version des klassischen Schulbuchs. Der vorliegende Beitrag gibt einen beispielhaften Einblick über die multimedialen Angebote digitaler Schulbücher und bewertet Bücher Zusätzliche Aufgabenstellung Interaktivität Bearbeitungshilfen Feedback Lösung Mathematik 1 Mathematik 2 Mathematik 3 Biologie 1 Biologie 2 Biologie 3 Biologie 4 - - ××××× - - × - ×× - - - × - - × - - - - - - - - - - ××××× Tab. 6: Übersicht über die untersuchten Aufgaben Anmerkungen: × = Kriterium wurde erfüllt; - = Kriterium wurde nicht erfüllt. Digitale Schulbücher im MINT-Bereich - aus lehr-/ lernpsychologischer Perspektive analysiert 37 diese aus lehr-/ lernpsychologischer Perspektive. Die übergeordnete Fragestellung der Arbeit lautete, ob die derzeit verfügbaren digitalen Schulbücher der Sekundarstufe I in Mathematik und Biologie die von der Theorie postulierten Vorteile multimedialen Lernens auch tatsächlich bieten. Zur Beantwortung der Frage wurden im Rahmen der Studie sieben zugelassene digitale Schulbücher aus den Bundesländern Bayern und Nordrhein-Westfalen vor dem Hintergrund lehr-/ lernpsychologischer Theorien analysiert. Zusammenfassend zeigt die Analyse der Schulbücher, dass das lernförderliche Potenzial bei Weitem nicht in vollem Umfang ausgenutzt wird. Zwei der sieben untersuchten Schulbücher scheinen genuin entwickelte digitale Versionen zu sein, die eine eigene Struktur besitzen (F1). Ihr Erscheinungsbild ist nicht so stark an die analogen Bücher angelehnt, sie wirken wie Websiten, was den digitalen Nutzungscharakter verstärkt. Die anderen fünf Bücher folgen in Struktur und Erscheinungsbild den analogen Versionen. Eine starke Verknüpfung der Inhalte untereinander ist bei den untersuchten Büchern bislang nur in geringem Maße gegeben, sie folgen einer eher linearen Struktur. Der Vorteil einer noch stärkeren Verknüpfung der Inhalte untereinander, im Sinne einer nicht-linearen Verknüpfung von Inhalten, liegt in einem flexibleren Zugriff auf Informationen aus multiperspektivischer Sicht und könnte für die Weiterentwicklung digitaler Schulbücher stärker genutzt werden. Für die Lernenden könnte eine solche Strukturierung in einer ebenso flexiblen wie multiperspektivischen Wissensrepräsentation resultieren, was die Wissensanwendung erleichtern kann (Spiro, Collins, Thota & Feltovich, 2003). Die Möglichkeit zur individuellen Textorganisation durch verschiedene Texttools (F2) ist hingegen bei allen sieben Büchern gegeben, wenn auch in stark unterschiedlichem Umfang. Grundlegend wird hier jedoch ein Vorteil der digitalen Versionen umgesetzt, da in analogen Büchern Markierungen oder Anmerkungen meist unzulässig sind. E-Books hingegen erlauben die Individualisierung bzw. Personalisierung des eigenen Lernmaterials etwa durch die Möglichkeit, unterschiedliche Inhalte anzuwählen und den Inhalt nach eigenen Vorstellungen zum Beispiel zu organisieren (durch Schlagwort-Tagging), zu markieren oder Anmerkungen zu machen. Dies kann u. a. den Lernerfolg vergrößern (Dennis, 2011) oder dazu beitragen, die Lernmotivation aufrechtzuerhalten (Baier, 2016). Aus diesem Grund wäre es gut, wo sinnvoll das Angebot der Texttools etwa um die Funktion des Dateien-Uploads und des Einfügens von Notizen sowie um die Funktion von Marker, Stift und Suchmaske zu erweitern. Fächerübergreifend finden sich in allen Büchern Funktionen, die die Navigation erleichtern (F3): Erklärungen zur E-Booknutzung, das gezielte Navigieren zu einzelnen Kapiteln im Inhaltsverzeichnis und die vorhandenen Suchmasken ermöglichen den Lernenden ein schnelles Zurechtfinden. Solche instruktionalen Elemente sind wesentlich für den Lernerfolg, da sie einen Überblick und Orientierung über die Inhalte gewährleisten, insbesondere wenn es sich um non-lineare Lernumgebungen handelt (DeStefano & LeFevre, 2007). Alle Bücher können auf verschiedenen Endgeräten installiert und auch offline genutzt werden. Dies erleichtert Unterrichtskonzepte, die etwa auf dem BYOD-Konzept (Bring-your-own-device) beruhen, bei dem Lernende mit ihren eigenen mobilen Geräten lernen können. Visualisierungen als digitale Add-ons wie etwa interaktive Bilder, Videos oder Simulationen realisieren die untersuchten Bücher in stark unterschiedlichem Umfang (F4). Interaktive Bearbeitungsmöglichkeiten der Bilder sind bislang nur in einem Biologiebuch, durch Verlinkungen zu externen Inhalten, möglich. Diese Optionen lassen sich einem niedrigen Interaktionsniveau zuordnen (Schulmeister, 2002). Höherwertige Interaktionsniveaus in Simulationen finden sich nur in einem Mathematikbuch. Fast alle Bücher bieten Lernenden zwar Videos an, jedoch ohne interaktive Bearbeitungsmöglichkeiten. In einem Schulbuch lassen sich gar keine Videos finden. Die Chance 38 Stephanie Moser, Miriam Degner, Doris Lewalter auf vertiefte Verarbeitung der Inhalte durch Interaktivität aufseiten der Lernenden ist somit gar nicht bzw. kaum genutzt (Zumbach, 2010). Bei den vorhandenen Videos handelt es sich zum einen um Realfilme (Biologie), zum anderen um Erklärvideos (Mathematik und Biologie). Während die Erklärvideos in Mathematik die Prinzipien der kognitiven Theorie nach Mayer (2005) bis auf das Segmentierungsprinzip durchgängig erfüllen, finden sie bei den Erklärvideos und den Realfilmen in Biologie nur teilweise Anwendung (F5): Es werden alle Prinzipien bis auf das Segmentierungs-, Signal- und Personalisierungsprinzip umgesetzt. In den Realfilmen werden (auch aufgrund fehlender akustischer Erklärungen) nur das Kohärenzprinzip und das Prinzip des Vorwissens umgesetzt (Letzteres mit Ausnahme von einem Buch, in dem Lehrende selbst die Videos platzieren müssen, und daher dieses Prinzip nicht bewertet werden kann). Daraus kann geschlussfolgert werden, dass vor allem in den Mathematikbüchern die multimedialen Bestandteile in Form von Videos didaktisch sinnvoll aufbereitet wurden. Externe kognitive Überlastung wird potenziell reduziert, sodass aufseiten der Lernenden mehr kognitive Verarbeitungskapazität zur Erstellung eines kognitiven Modells zur Verfügung steht (Mayer, 2005). Ein Vorteil von digitalen Schulbüchern ist es, ohne großen Aufwand mehr Übungsbzw. Leseaufgaben darzubieten, als dies in den analogen Versionen möglich ist (Nosko, 2017). Zusätzliche Aufgaben fanden wir jedoch nur in drei von sieben Büchern, einem Mathematik- und zwei Biologiebüchern, in erwähnenswertem Ausmaß (F6). Alle digitalen Aufgaben wurden ebenfalls hinsichtlich ihrer Interaktivität bewertet und vor dem Hintergrund des Kategoriensystems von Maier et al. (2010) analysiert. In lediglich zwei Biologiebüchern und einem Mathematikbuch fanden wir interaktive Aufgaben, zusätzliche Bearbeitungshilfen fanden wir nur sporadisch vor (z. B. werden einzelne Lösungsschritte auf Wunsch angezeigt). Zudem erhalten Lernende zwar allgemeine Lösungen, aber kein individuelles, auf ihre Lösungen angepasstes Feedback. Adaptive Aufgaben, bei denen die Aufgabenschwierigkeit an den Lernfortschritt angepasst wird, finden sich in keinem Buch. Das Interaktivitätsniveau (Schulmeister, 2002) bleibt auch bei den Aufgaben auf einem eher niedrigen Level. Die Chance zur Binnendifferenzierung durch adaptive Variation der Aufgabenschwierigkeit (Bonitz, 2013; Eickelmann, 2017) bleibt ebenfalls ungenutzt und müsste als wesentlicher Vorteil multimedialer Lernsoftware (Niegemann et al., 2008; Zumbach, 2010) in zukünftigen Entwicklungen stärker berücksichtigt werden. Bemerkenswert ist, dass die große Mehrheit der Aufgaben keinen Lebensweltbezug aufweist, der z. B. durch additive Bilder oder Videos exemplarisch konkretisiert werden könnte und von dem eine Unterstützung der Lernprozesse erwartet wird (Maier et al., 2010). Auch die Chance, unterschiedliche Repräsentationsformen zu integrieren, fand sich nur in gut der Hälfte der Aufgaben (etwa in Kombination von Bild und Text). Auch hier bieten sich Chancen zur Verbesserung der digitalen Aufgaben, denn durch die Verbindung multimedialer Elemente wie Bild, Ton und Film könnte das vernetzte Denken der Lernenden gefördert werden (Baier, 2016). Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass sich die untersuchten digitalen Schulbücher auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen befinden. Vor allem zwei Bücher scheinen aufgrund der Analyse die Potenziale multimedialer Lernmittel zu vereinen. Bei den meisten Büchern ist noch ein erhöhter Handlungsbedarf zur Weiterentwicklung vorhanden, um den Mehrwert, den Multimedialität mit sich bringen kann, auch wirklich zu erzielen. Wie bereits 2012 von Astleitner festgehalten, lässt sich hier immer noch ein erhebliches Entwicklungspotenzial feststellen, etwa bei Interaktions- und Adaptionsmöglichkeiten. Die vorgefundenen Interaktionsmöglichkeiten lassen sich in ihrer Gesamtheit einem eher geringen Interaktionsniveau zuordnen (vorwiegend Stufen I - II nach Schulmeister, 2002). Interaktionsmöglichkeiten auf Stufe III bieten die nur in geringer An- Digitale Schulbücher im MINT-Bereich - aus lehr-/ lernpsychologischer Perspektive analysiert 39 zahl vorhandenen Simulationen. Darüber liegende Interaktionsstufen ließen sich gar nicht finden. Zahlreiche Möglichkeiten für lernförderliche multimediale Angebote fanden sich in den untersuchten Kapiteln noch gar nicht, wie etwa Podcasts, Kooperationsmöglichkeiten oder lernbezogene Unterstützungsmaßnahmen wie meta-kognitive Prompts (Bannert, 2009) und konnten daher nicht in die Analyse einbezogen werden. Auch der Beitrag der untersuchten Bücher zu den 2016 von der Kultusministerkonferenz definierten digitalen Kompetenzen scheint noch relativ gering zu sein: so wird zwar die Nutzung digitaler Lernmaterialien gefördert, jedoch wird die Auseinandersetzung mit digital präsentierten Inhalten nur begrenzt angeregt. Interaktionsmöglichkeiten und das vertiefte Arbeiten mit digital präsentierten Inhalten werden nur sporadisch, z. B. in den wenigen vorhandenen Simulationen, geboten. Eine Limitation der Analyse ist der geringe Umfang der aufgrund der Auswahlkriterien zur Verfügung stehenden digitaler Schulbücher und deren rein deskriptive Auswertung. Alle Aspekte zum Usability-Mehrwert von digitalen Schulbüchern können hier nur eingeschränkt beurteilt werden, z. B. bezogen auf die benutzerfreundliche Navigation oder tatsächliche kognitive Belastung beim Lernen, wobei nur hypothetisch auf theoretischer Basis Aussagen getroffen werden können. Wie die Bücher im Unterricht von Lernenden und Lehrenden tatsächlich genutzt werden, wurde in der Analyse nicht untersucht und könnte in einer experimentellen Studie analysiert werden. Neben zusätzlichen Analysen auf Ebene der Lernmaterialien müsste nachfolgend deren Einsatz im Unterricht untersucht werden, um neben der Gestaltung digitaler Schulbücher auch mögliche weitere Einflussfaktoren auf das Lernen mit diesem Medium zu untersuchen (Behnke, 2018). Eine weitere Limitation stellt zudem der lehr-/ lernpsychologische Analysefokus und die damit eingeschränkte Berücksichtigung der fachdidaktischen Sicht auf die Aufgaben bei der Qualitätseinschätzung dar. Fazit Digitale Schulbücher können dazu beitragen, dass die Vorteile multimedialen Lernens in der schulischen Praxis verbreitet werden, innovative medial unterstützte Unterrichtskonzepte häufiger Anwendung finden und Schülerinnen und Schüler ihre medienbezogenen Kompetenzen erweitern. Bei den Recherchen zum vorliegenden Beitrag stellte sich jedoch heraus, dass bislang nur wenige zugelassene digitale Schulbücher überhaupt verfügbar sind. Für zukünftige Entwicklungen und einen vermehrten Einsatz im Unterricht müssen zwei Aspekte bedacht werden: (1) um die postulierten Vorteile digitaler Medien auszunutzen, müssen die digitalen Versionen überhaupt erst entsprechende Features anbieten, damit sie für Lehrende und Lernende attraktiv und nützlich sind. Die Ergebnisse der Analyse zeigen, dass die gestalterischen Möglichkeiten, die erwiesenermaßen zu positiven Veränderungen von Lehr- und Lernprozessen beitragen können (z. B. etwa direktes Feedback; Hattie, 2014), in den untersuchten Büchern nicht ausgeschöpft werden. Pilotprojekte, die einige dieser Angebote (beispielsweise adaptive Hilfestellungen oder interaktive Aufgaben mit direktem Lösungsfeedback) aufgreifen, haben sich noch nicht flächendeckend verbreitet. Die multimediale Darstellung von Inhalten künftiger digitaler Schulbücher sollte sich daher stärker an den theoretisch fundierten Gestaltungsprinzipien orientieren, die empirisch erwiesene Vorteile mit sich bringen. (2) Zum anderen müssen Lernende und insbesondere Lehrende die digitalen Bücher mit all ihren Angeboten in den Schulen dann auch nutzen (können und wollen). Möglicherweise besteht auch hier Bedarf an Unterstützungsmaßnahmen für Lehrende bei der Implementation von digitalen Schulbüchern im Unterricht. In einem weiteren Schritt sollten daher auch die Einführung der Nutzung digitaler Schulbücher im Unterricht und eine Veränderung des Unterrichts selbst untersucht werden. 40 Stephanie Moser, Miriam Degner, Doris Lewalter Literatur Astleitner, H. (2012). Schulbuch und neue Medien im Unterricht. Theorie und empirische Forschung zur Hybridisierung und Komplementarität. In J. Doll, K. Frank, D. Fickermann & K. Schwippert (Hrsg.), Schulbücher im Fokus. Nutzungen, Wirkungen und Evaluationen (S. 101 - 111). Münster: Waxmann. Bannert, M. (2009). Promoting Self-Regulated Learning Through Prompts. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 23, 139 - 145. https: / / doi.org/ 10.1024/ 1010-06 52.23.2.139 Baier, R. (2016). E-Books im Schulbereich. In B. Greimel- Fuhrmann & Fortmüller, R. (Hrsg.), Facetten der Entrepreneurship Education. Festschrift für Josef Aff anlässlich seiner Emeritierung (S. 239 - 248). Wien: MANZ Verlag Schulbuch GmbH. Behnke, Y. (2018). Textbook Effects and Efficacy. In E. 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