eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 68/4

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2021.art28d
101
2021
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Herausforderungen und Konsequenzen der Corona-Pandemie für Studierende in Deutschland

101
2021
Markus Lörz
Lena Maria Zimmer
Jonas Koopmann
Im Zuge der Corona-Pandemie haben sich die Kontakt-, Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten weltweit grundlegend verändert. Welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Studiensituation in Deutschland hat, wie gut die Umstellung des Lehrbetriebs auf digitale Lehrformate gelungen ist und wie die verschiedenen Studierendengruppen mit der veränderten Studiensituation umgehen, steht im Zentrum dieses Beitrags. Zunächst wird ein Überblick über die verschiedenen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Lehrbetrieb an deutschen Hochschulen gegeben. Anschließend werden die Forschungsergebnisse zu den Herausforderungen und Konsequenzen für unterschiedliche Studierendengruppen diskutiert. Hierbei zeigt sich, dass bislang wenig darüber bekannt ist, welche Studierendengruppen erst im Zuge der Corona-Pandemie in eine schwierige Studiensituation geraten sind. Es wird daher auf Basis einer bundesweiten Studierendenbefragung (2020) und der 21. Sozialerhebung (2016) überprüft, welche Studierendengruppen unter den aktuellen Rahmenbedingungen ein vergleichsweise erhöhtes Studienabbruchrisiko tragen. Die Ergebnisse machen deutlich, dass im Vergleich zu 2016 die sozialen Ungleichheiten in den Abbruchintentionen erheblich zugenommen haben.
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Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2021, 68, 312 -318 DOI 10.2378/ peu2021.art28d © Ernst Reinhardt Verlag München Basel Mit der Corona-Pandemie hat sich das private und öffentliche Leben weltweit stark verändert. Um das Infektionsgeschehen in den Griff zu bekommen, wurden in den meisten Ländern weitreichende Kontaktbeschränkungen ausgesprochen. Die Hochschulen standen vor der n Forum Herausforderungen und Konsequenzen der Corona-Pandemie für Studierende in Deutschland Markus Lörz 1 , Lena Maria Zimmer 2 , Jonas Koopmann 2 1 Otto-Friedrich-Universität Bamberg 2 Deutsches Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, Hannover Zusammenfassung: Im Zuge der Corona-Pandemie haben sich die Kontakt-, Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten weltweit grundlegend verändert. Welche Auswirkungen die Corona-Pandemie auf die Studiensituation in Deutschland hat, wie gut die Umstellung des Lehrbetriebs auf digitale Lehrformate gelungen ist und wie die verschiedenen Studierendengruppen mit der veränderten Studiensituation umgehen, steht im Zentrum dieses Beitrags. Zunächst wird ein Überblick über die verschiedenen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf den Lehrbetrieb an deutschen Hochschulen gegeben. Anschließend werden die Forschungsergebnisse zu den Herausforderungen und Konsequenzen für unterschiedliche Studierendengruppen diskutiert. Hierbei zeigt sich, dass bislang wenig darüber bekannt ist, welche Studierendengruppen erst im Zuge der Corona-Pandemie in eine schwierige Studiensituation geraten sind. Es wird daher auf Basis einer bundesweiten Studierendenbefragung (2020) und der 21. Sozialerhebung (2016) überprüft, welche Studierendengruppen unter den aktuellen Rahmenbedingungen ein vergleichsweise erhöhtes Studienabbruchrisiko tragen. Die Ergebnisse machen deutlich, dass im Vergleich zu 2016 die sozialen Ungleichheiten in den Abbruchintentionen erheblich zugenommen haben. Schlüsselbegriffe: Studienbedingungen, Studienabbruchintention, Corona-Pandemie, Studierendengruppen, soziale Ungleichheit Challenges and Consequences of the Corona Pandemic for Students in German Higher Education Summary: In the course of the Corona pandemic, contact, education, and employment opportunities have fundamentally changed worldwide. This paper focuses on the impact of the Corona pandemic on the study situation in Germany, the introduction of digital teaching and learning formats, and how the different student groups are dealing with the changed study situation. First, an overview of the various consequences of the Corona pandemic for studying in Germany is given. Subsequently, the research results on the challenges and consequences for different student groups are discussed. Concerning changes in time, little is known so far about which groups of students have only recently found themselves in a more challenging study situation. Therefore, based on a Germany-wide student survey (2020) and the 21st Social Survey (2016), we finally take an empirical look at how the intention to drop out has changed in the course of the Corona pandemic and which student groups now bear an increased risk of dropping out. Our findings indicate that compared to 2016 social inequalities in dropout intention have increased significantly. Keywords: Study conditions, dropout intention, corona pandemic, student groups, social inequality Herausforderungen und Konsequenzen der Corona-Pandemie für Studierende 313 Herausforderung, den Lehrbetrieb in kurzer Zeit auf digitale Lehrformate umzustellen. Während vor der Corona-Pandemie in Deutschland nur sehr wenige Lehrveranstaltungen als Online-Lehre angeboten wurden, findet die Lehre seit dem Sommersemester 2020 nahezu vollständig digital statt (Lörz, Marczuk, Zimmer, Multrus & Buchholz, 2020). Es ist demnach schnell gelungen, den Lehrbetrieb auf digitale Formate umzugestalten (Amemado, 2020; Meißelbach & Bochmann, 2020). Die Corona- Pandemie hat also einen Impuls für die Ausweitung der Digitalisierungsprozesse an den deutschen Hochschulen gegeben (Seyfeli, Elsner & Wannenmacher, 2021; Zawacki-Richter, 2021). Dennoch ist die digitale Lehr- und Lernsituation für alle Beteiligten herausfordernd. Vor allem die Studierenden nehmen viele Aspekte der neuen Studiensituation als Verschlechterung wahr (Marczuk, Multrus & Lörz, 2021). Hierbei sind es die Kontaktbeschränkungen, die als die größte Herausforderung der Corona- Pandemie angesehen werden (Winde, Werner, Gumbmann & Hieronimus, 2020). Während der digitale Austausch mit Lehrenden zu fachlichen Fragen noch vergleichsweise positiv bewertet wird, fehlt den meisten Studierenden der unmittelbare soziale Kontakt zu Kommiliton*innen (Berghoff, Horstmann, Hüsch & Müller, 2021). Neben den direkten Auswirkungen auf die Studiensituation und das Sozialleben hat die Corona-Pandemie auch massive Konsequenzen für die Finanzierung des Lebensunterhalts. Viele Studierende haben im Zuge der Corona- Pandemie ihre Erwerbstätigkeit verloren (Becker & Lörz, 2020). In den USA haben etwa 40 Prozent der Studierenden im Zuge der Pandemie ihren Job verloren (Aucejo, French, Ugalde Araya & Zafar, 2020), in Italien 36 Prozent und in Spanien 20 Prozent (Aristovnik, Keržicˇ, Ravšelj, Tomaževicˇ & Umek, 2020). In Deutschland fällt der Anteil mit 10 Prozent zwar vergleichsweise gering aus. Dennoch stehen auch Studierende in Deutschland vor einer schwierigeren Finanzierungssituation (Traus, Höffken,Thomas, Mangold & Schröer, 2020). Welche Konsequenzen haben die veränderten Studien-, Kontakt- und Finanzierungsbedingungen für den Studienverlauf der Studierenden? Bereits zu Beginn der Pandemie wurde angesichts der angespannten Finanzierung vermutet, dass es zu einem Anstieg sozialer Ungleichheiten kommen wird (Berkes, Peter & Spieß, 2020). Mit Blick auf die unterschiedlichen Bedürfnislagen von Studierenden ist jedoch unklar, wie einzelne Studierendengruppen auf die veränderte Gesamtsituation reagieren. Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich daher mit der Frage, welche Studierenden von der veränderten Studien-, Kontaktsowie Finanzierungssituation besonders betroffen sind, welche Auswirkungen dies auf ihren Studienverlauf hat und inwieweit sich insgesamt eine Zunahme sozialer Ungleichheiten im Studienabbruchrisiko zeigt. Stand der Forschung Die Hochschulforschung hat die veränderte Studiensituation durch die Corona-Pandemie schnell als Analysegegenstand erkannt und in zahlreiche Studierendenbefragungen integriert. Die vorliegenden Studien reichen von qualitativen Interviews (Boros, Kiefel & Schneijderberg, 2020; Seyfeli et al., 2021), hochschulspezifischen und fachspezifischen Studierendenbefragungen (Kohls, Baldofski, Moeller, Klemm & Rummel- Kluge, 2021; Stammen & Ebert, 2020) bis hin zu bundesweit repräsentativen Studierendenbefragungen (Lörz et al., 2020; Winde et al., 2020). Ein zentrales Ergebnis dieser Studien ist, dass die Finanzierungssituation der Studierenden als schwieriger erachtet wird (Aristovnik et al., 2020; Traus et al., 2020). Die Corona-Pandemie trifft dabei, aufgrund der erschwerten Erwerbssituation der Studierenden und einer verschlechterten Einkommenssituation der Eltern (Becker & Lörz, 2020), die beiden zentralen Säulen der Studienfinanzierung (Middendorff et al., 2017). Kohls et al. (2021) konnten aufzeigen, dass die Verschlechterung der Einkommenssituation von Studierenden mit einem höheren Stressempfinden bis hin zu Symptomen einer Depression einhergeht. Nach 314 Markus Lörz, Lena Maria Zimmer, Jonas Koopmann Isleib und Heublein (2017) hängt auch das Studienabbruchrisiko unmittelbar mit den finanziellen Möglichkeiten der Studierenden zusammen. Es kann daher angenommen werden, dass vor allem bei jenen Studierenden das Studienabbruchrisiko steigt, deren Finanzierungssituation sich im Zuge der Corona-Pandemie verschlechtert hat. Nach Becker und Lörz (2020) sind es insbesondere Studierende aus weniger privilegierten Familien sowie internationale Studierende, die hiervon betroffen sind. Studien, die sich mit den veränderten Lehr- und Lernbedingungen auseinandersetzen, berichten mehrheitlich davon, dass die Umsetzung des digitalen Lehrbetriebs zügig verlief (Seyfeli et al., 2021). Auch wird die flexible Tagesgestaltung durch digitale Lehrformate durchaus positiv betrachtet (Boros et al., 2020). Die vorliegenden Studien machen aber auch deutlich, dass die konkrete Umsetzung der digitalen Lehre durchaus negative Auswirkungen auf den Lernerfolg haben kann. Insbesondere fehlende Interaktionsmöglichkeiten beeinträchtigen die Lehrsituation und sind im Rahmen digitaler Formate nur begrenzt umsetzbar (Berghoff et al., 2021; Marczuk et al., 2021). Zudem wird deutlich, dass sich der Studienverlauf aufgrund ausgefallener Lehrveranstaltungen oder einem Mangel an digitalen Kompetenzen aufseiten von Lehrenden bzw. Studierenden verzögern kann (Lörz, Zimmer & Marczuk, im Erscheinen). Insgesamt bringt die digitale Lehrsituation jene Studierenden in eine herausfordernde Situation, die den Anforderungen eines digitalen Semesters nicht entsprechen können. Insbesondere Studierende mit Beeinträchtigung und Studierende mit Kind sehen ihre Wohnsituation seltener als hinreichend geeignet für ein digitales Semester an (Zimmer, Lörz & Marczuk, 2021). Als Konsequenz weisen beide Studierendengruppen ein deutlich höheres Stressempfinden im Sommersemester 2020 auf. Allen vorliegenden Studien ist gemein, dass insbesondere die eingeschränkte Kontaktsituation im digitalen Semester problematisiert wird (Cao et al., 2020; Traus et al., 2020). Mit Blick auf den Studienerfolg sind zwei Effekte zu erwarten. Zum einen wirken sich Kontaktbeschränkungen auf den Austausch mit Lehrenden und Kommiliton*innen aus und damit auf den direkten Austausch von Lehrinhalten. Hierdurch können Folgen für die soziale Integration der Studierenden erwartet werden, die nicht nur entscheidend für den Lernerfolg ist (Schaeper, 2020), sondern zugleich Einfluss auf das Studienabbruchrisiko hat (Isleib & Heublein, 2017). Zum anderen wirken sich die Kontaktbeschränkungen auch auf Unterstützungsmöglichkeiten außerhalb der Hochschule aus. Erste Studien weisen darauf hin, dass sich der vielfach diagnostizierte Mangel an Unterstützung aus dem privaten Umfeld während der Corona-Pandemie direkt auf das Stress- und Angstempfinden von Studierenden auswirkt (Dratva et al., 2020; Yalçın, Can, Mançe Çalı ş ır, Yalçın & Çolak 2021). Besonders betroffen sind dabei jene Studierendengruppen, die zur erfolgreichen Durchführung ihres Studiums auf ein funktionierendes familiäres Netzwerk angewiesen sind. So wird etwa die Betreuung der Kinder regelmäßig von Familienangehörigen übernommen (Middendorff, 2008) und auch für Studierende mit Beeinträchtigung gehören Familienangehörige zu den Hauptunterstützenden (Poskowsky, Heißenberg, Zaussinger & Brenner, 2018). Nach Zimmer et al. (2021) ist der Mangel an Unterstützungsmöglichkeiten im Zuge der Pandemie dementsprechend auch ein zentraler Prädiktor für das erhöhte Stressempfinden von Studierenden mit Kind und Studierenden mit Beeinträchtigung. Folglich stehen auch diese beiden Studierendengruppen aufgrund der eingeschränkten Kontaktmöglichkeiten vor einer besonderen Herausforderung. Die vorliegenden Studien liefern bereits viele Erkenntnisse zur veränderten Studiensituation im Zuge der Corona-Pandemie und den hieraus resultierenden Konsequenzen für die Studierenden. Bisher unbeantwortet ist jedoch die Frage, ob die Corona-Pandemie tatsächlich als ursächlich für die erschwerte Studiensituation einzelner Studierendengruppen gelten kann oder ob die schwierigen Studienbedingungen möglicherweise bereits vor der Corona-Pandemie vorlagen. Herausforderungen und Konsequenzen der Corona-Pandemie für Studierende 315 Daten, Variablen und Methoden Daten Um einen genaueren Eindruck darüber zu bekommen, welche Studierendengruppen im Zuge der Corona-Pandemie vor besonderen Herausforderungen stehen, ziehen wir die Daten der Studierendenbefragung „Studieren zu Zeiten der Corona-Pandemie“ (SITCO) des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung und der AG Hochschulforschung heran (Lörz et al., 2020). An dieser bundesweiten Studierendenbefragung an 23 staatlichen Hochschulen haben 28.623 Studierende teilgenommen (Netto-Rücklauf: 15 Prozent). Um zu prüfen, inwieweit die Studiensituation im Zeitverlauf schwieriger geworden ist, greifen wir auf die bundesweit repräsentativen Daten der 21. Sozialerhebung (21. SE) aus dem Jahr 2016 zurück (Middendorff et al., 2017). An dieser an 248 Hochschulen in Deutschland stattfindenden Studierendenbefragung haben ca. 55.200 Studierende teilgenommen (Netto-Rücklauf: 16 Prozent). Um die Vergleichbarkeit der Ergebnisse sicherzustellen, wurden beide Datensätze auf jene Hochschulen zugeschnitten (n = 22), die in beiden Befragungen vertreten waren. Schließlich verbleiben im Analysesample 5.993 Studierende (21. SE) bzw. 26.741 Studierende (SITCO). Die Daten wurden nach Geschlecht, Semesterfortschritt, Fächergruppe und Hochschultyp gewichtet. Variablen Das Spektrum der Konsequenzen der Corona- Pandemie für Studierende kann von schwierigeren Lern- und Lehrbedingungen, einer belastenden Studiensituation, über Verzögerungen im Studienverlauf bis hin zu einem Abbruch des Studiums reichen. Im Folgenden betrachten wir Veränderungen in der Studienabbruchintention als eine mögliche Konsequenz der Corona- Pandemie. Zur Operationalisierung wurden die Studierenden gefragt, inwieweit sie zurzeit über einen Studienabbruch nachdenken. Die fünfstufige Skala reicht von „gar nicht“ bis „sehr häufig“. 1 In der Analyse wird eine Dummyvariable verwendet (1 = [sehr] häufiges Nachdenken über einen Studienabbruch). Die Abbruchintentionen betrachteten wir für jene Studierendengruppen, die hinsichtlich ihres Bildungserfolgs in der Literatur als besonders gefährdet gelten (für eine Übersicht vgl. Zimmer et al., 2021). Dies trifft insbesondere auf Studierende aus Nicht-Akademikerfamilien 2 (Heublein et al., 2017), Studierende mit Migrationshintergrund 3 (Lörz, 2020), Studierende mit Beeinträchtigung 4 (Poskowsky et al., 2018) und Studierende mit Kind 5 (Middendorff, 2008) zu. Methodisches Vorgehen Die vier zentralen Studierendengruppen betrachten wir im Folgenden hinsichtlich ihrer Studienabbruchintention. Im Fokus steht die Entwicklung der gruppenspezifischen Studienabbruchintentionen zwischen 2016 und 2020. Inwieweit Unterschiede in der Abbruchintention auf die Corona-Krise kausal zurückzuführen oder zeitgleich auftretende Ereignisse dafür verantwortlich sind, lässt sich anhand dieser Analyse noch nicht erkennen. Auch wurden manche Fragen nicht in identischer Form abgefragt, sodass auch methodische Gründe gegen eine solche Interpretation sprechen. Dennoch lässt die vorliegende Datenbasis zu, erste Erkenntnisse darüber zu gewinnen, bei welchen Studierendengruppen es im Zuge der Corona-Pandemie zu einer Erhöhung der Studienabbruchintention kam. Ergebnisse Wie aus Abbildung 1 zu erkennen ist, nimmt die Studienabbruchintention bei den meisten Studierenden zwischen 2016 und 2020 erheblich zu. Zu erkennen ist dies an dem in 2020 höheren Anteil an Studierenden, die eine Abbruchintention aufweisen. Auch zeigt sich im Vergleich zu 2016 bei allen von uns betrachteten Studierendengruppen eine mehr oder weniger ausgeprägte Zunahme sozialer Ungleichheit. Während im Jahr 2016 die Unterschiede nach Bildungsherkunft und Migrationshintergrund kaum zu erkennen sind, wachsen diese im Jahr 2020 auf 316 Markus Lörz, Lena Maria Zimmer, Jonas Koopmann einen Prozentpunkt an. Wenngleich sich die Unterschiede auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau bewegen, so handelt es sich dennoch um statistisch signifikante Veränderungen (p < .001). Deutlichere Unterschiede zeigen sich nach Elternschaft und Beeinträchtigung. Während Studierende mit Kind im Jahr 2016 noch etwas seltener als Studierende ohne Kind über einen Studienabbruch nachdachten, fällt der Anteil der Eltern, die über einen Studienabbruch nachdenken, im Jahr 2020 mit 2 Prozentpunkten deutlich höher aus (p < .001). Zu erkennen ist dies auch daran, dass sich die Konfidenzintervalle nicht überschneiden. Die stärkste Veränderung zeigt sich allerdings bei den Studierenden mit Beeinträchtigung: Diese hatten zwar bereits im Jahr 2016 ein hohes Studienabbruchrisiko, allerdings nimmt dieses im Jahr 2020 noch deutlich zu und liegt nun 11 Prozentpunkte höher als das Studienabbruchrisiko der Studierenden ohne Beeinträchtigung (p < .001). Die besonderen Umstände dieses Semesters scheinen folglich insbesondere Studierende mit Beeinträchtigung vor besondere Herausforderungen zu stellen. Ausblick Der vorliegende Beitrag hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit sich die Studienbedingungen im Zuge der Corona-Pandemie verändert haben und welche Studierenden vor besonderen Herausforderungen stehen. Der Literaturüberblick macht deutlich, dass sich im Zuge der Corona-Pandemie für Studierende insbesondere die Finanzierungssituation verändert hat, aber auch die Kontaktbeschränkungen und die digitalen Lehr- und Lernbedingungen stellen die Studierenden vor neue Herausforderungen. Die vorliegenden Studien machen deutlich, dass sich die Situation aller Studierenden 15 10 5 0 Bildungshintergrund Migrationshintergrund 15 10 5 0 Elternschaft Beeinträchtigung 15 10 5 0 20 15 10 5 0 2016 2020 2016 2020 2016 2020 2016 2020 Studierende aus Akademikerfamilie Studierende aus Nicht-Akademikerfamilie Studierende mit Migrationshintergrund Studierende ohne Migrationshintergrund Studierende mit Beeinträchtigung Studierende ohne Beeinträchtigung Studierende mit Kind Studierende ohne Kind Abb. 1: Studienabbruchintention nach verschiedenen Studierendenmerkmalen zwischen 2016 und 2020 (in Prozent) Quelle: 21. Sozialerhebung 2016, SITCO-Studierendenbefragung 2020 Anmerkung: Dargestellt werden die gewichteten Mittelwerte mit den dazugehörigen 95 %-Konfidenzintervallen Herausforderungen und Konsequenzen der Corona-Pandemie für Studierende 317 insgesamt eher verschlechtert hat. Mit Blick auf die verschiedenen Studierendengruppen wird zudem ersichtlich, dass die sozialen Disparitäten hinsichtlich eines erfolgreichen Studiums zunehmen. So sind es insbesondere Studierende aus weniger privilegierten Gruppen und internationale Studierende, die in eine prekäre Finanzierungssituation geraten. Die erschwerten Kontaktbedingungen sowie die digitale Lehr- und Lernsituation stellen dagegen Studierende mit Kind und Studierende mit Beeinträchtigung vor eine besondere Herausforderung. Dementsprechend können erste Analysen zeigen, dass das Studienabbruchrisiko in diesen Studierendengruppen steigt. Insbesondere Studierende mit Beeinträchtigung und Studierende mit Kind verzeichnen ein deutlich gestiegenes Abbruchrisiko im Zeitvergleich. Insgesamt scheint sich die Corona-Pandemie also verstärkend auf soziale Ungleichheiten im Studium auszuwirken. Die Hochschulforschung steht nun vor der besonderen Aufgabe, die Ursachen dieser für die verschiedenen Studierendengruppen schwieriger gewordenen Studienbedingungen herauszuarbeiten, um für künftige Krisensituationen zu lernen. Die Notwendigkeit einer regelmäßigen und vergleichbaren Dauerbeobachtung im Hochschulbereich rückt erneut in den Vordergrund. Hochschulen und Bildungspolitik müssten angesichts der Befundlage und der noch unklaren weiteren Entwicklung schnell auf die unterschiedlichen Bedürfnislagen der Studierenden reagieren. Die Überbrückungshilfe in pandemiebedingten Notlagen adressiert in erster Linie den Aspekt einer schwieriger gewordenen Finanzierungssituation und ist in dieser Hinsicht sicherlich hilfreich. Dies löst aber nicht das Problem mangelnder Unterstützungsmöglichkeiten und einer für manche Studierendengruppen erschwerten Lehr- und Lernsituation im digitalen Semester. Die Hochschulen stehen mit Blick auf unsere Ergebnisse vor der besonderen Aufgabe, im Falle eines weiteren digitalen (hybriden) Semesters Maßnahmen zu ergreifen, um ungünstige Rahmenbedingungen auszugleichen und allen Studierenden einen erfolgreichen Studienverlauf zu gewähren. Anmerkungen 1 Im Unterschied zur Frageformulierung in der Coronaspezifischen Sonderbefragung wurden die Studierenden in der 21. Sozialerhebung auf einer fünfstufigen Skala gefragt „beabsichtigen Sie zurzeit, ihr aktuelles Studium abzubrechen“. 2 Den Bildungshintergrund der Studierenden operationalisieren wir über den höchsten Bildungsabschluss der Eltern: Studierende aus Nicht-Akademikerfamilien (X = 0; 44 %) und Studierende mit mindestens einem akademischen Elternteil (X = 1; 56 %). 3 Als Indikator für den Migrationshintergrund der Studierenden verwenden wir das Geburtsland der Eltern: Studierende mit mindestens einem im Ausland geborenen Elternteil (X = 1; 14 %) und Studierende mit in Deutschland geborenen Eltern (X = 0; 86 %). 4 Inwieweit bei den Studierenden eine gesundheitliche Beeinträchtigung vorliegt, wurde über eine direkte Abfrage der verschiedenen Beeinträchtigungsformen erfasst. Zu der Gruppe der Studierenden mit Beeinträchtigung zählen wir allerdings nur jene Studierende, die angeben, dass sich diese Beeinträchtigung auch erschwerend auf ihr Studium auswirkt (X = 1; 14 %). Alle anderen Studierenden fallen in die Gruppe der Studierenden ohne Beeinträchtigung (X = 0; 86 %). 5 Hinsichtlich der Elternschaft unterscheiden wir Studierende mit Kindern (X = 1; 6 %) und Studierende ohne Kinder (X = 0; 94 %). Literatur Amemado, D. (2020). COVID-19: An Unexpected and Unusual Driver to Online Education. International Higher Education, 102, 12 - 14. Aristovnik, A., Keržicˇ, D., Ravšelj, D., Tomaževicˇ, N. & Umek, L. (2020). Impacts of the COVID-19 Pandemic on Life of Higher Education Students. Sustainability, 12 (20). https: / / doi.org/ 10.3390/ su12208 438 Aucejo, E. M., French, J., Ugalde Araya, M. P. & Zafar, B. (2020). The impact of COVID-19 on student experiences and expectations. Journal of public economics, 191, Artikel 104271. https: / / doi.org/ 10.1016/ j.jpubeco.20 20.104271 Becker, K. & Lörz, M. (2020). Studieren während der Corona-Pandemie: Die finanzielle Situation von Studierenden und mögliche Auswirkungen auf das Studium (DZHW Brief 09|2020). 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