eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 69/4

Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2021.art15d
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2022
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Empirische Arbeit: Einstellung und Intention zum Einsatz (in)effektiver Klassenmanagement-Interventionen von Lehrpersonen und Lehramtsstudierenden bei Schüler*innen mit ADHS: Eine Replikationsstudie

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2022
Martina Zemp
Laura Hehlke
Anna E Strelow
Martina Dort
Hanna Christiansen
Durchschnittlich sind ein bis zwei Schüler*innen pro Schulklasse von der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) betroffen. Diese Schüler*innen profitieren von effektiven Klassenmanagement-Interventionen durch Lehrpersonen, die aber oftmals nicht in die Unterrichtspraxis transferiert werden. In der vorliegenden Studie wurde an einer österreichischen Stichprobe von 500 Lehrpersonen (darunter ausgebildete Lehrkräfte und Lehramtsstudierende) untersucht, welche Faktoren mit ihrer Einstellung und Intention zum Einsatz effektiver und in-effektiver Interventionen bei Schüler*innen mit ADHS zusammenhängen. Die Resultate zeigten, dass die Einstellung und Intention zum Einsatz (in)effektiver Interventionen mit der Einstellung gegenüber Schüler*innen mit ADHS, der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle, dem Wissen über ADHS, der allgemeinen psychischen Belastung, dem ADHS-spezifischen Stress und Persönlichkeitseigenschaften zusammenhängen. Einige Faktoren wie Einstellungen, ADHS-spezifisches Wissen, psychische Belastung und ADHS-spezifischer Stress waren für ausgebildete Lehrkräfte und Lehramtsstudierende unterschiedlich bedeutsam. Die Ergebnisse sind praktisch relevant, um das Lehramtsstudium hinsichtlich eines Bildungsschwerpunkts zum Thema ADHS im Klassenzimmer (Störungswissen, Wirksamkeit von Klassenmanagement-Interventionen, Stressregulation usw.) zu optimieren.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2022, 69, 244 -259 DOI 10.2378/ peu2021.art15d © Ernst Reinhardt Verlag Einstellung und Intention zum Einsatz (in)effektiver Klassenmanagement-Interventionen von Lehrpersonen und Lehramtsstudierenden bei Schüler*innen mit ADHS: Eine Replikationsstudie Martina Zemp 1 , Laura Hehlke 1 , Anna E. Strelow 2 , Martina Dort 2 , Hanna Christiansen 2 1 Universität Wien 2 Philipps-Universität Marburg Zusammenfassung: Durchschnittlich sind ein bis zwei Schüler*innen pro Schulklasse von der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) betroffen. Diese Schüler*innen profitieren von effektiven Klassenmanagement-Interventionen durch Lehrpersonen, die aber oftmals nicht in die Unterrichtspraxis transferiert werden. In der vorliegenden Studie wurde an einer österreichischen Stichprobe von 500 Lehrpersonen (darunter ausgebildete Lehrkräfte und Lehramtsstudierende) untersucht, welche Faktoren mit ihrer Einstellung und Intention zum Einsatz effektiver und ineffektiver Interventionen bei Schüler*innen mit ADHS zusammenhängen. Die Resultate zeigten, dass die Einstellung und Intention zum Einsatz (in)effektiver Interventionen mit der Einstellung gegenüber Schüler*innen mit ADHS, der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle, dem Wissen über ADHS, der allgemeinen psychischen Belastung, dem ADHS-spezifischen Stress und Persönlichkeitseigenschaften zusammenhängen. Einige Faktoren wie Einstellungen, ADHS-spezifisches Wissen, psychische Belastung und ADHS-spezifischer Stress waren für ausgebildete Lehrkräfte und Lehramtsstudierende unterschiedlich bedeutsam. Die Ergebnisse sind praktisch relevant, um das Lehramtsstudium hinsichtlich eines Bildungsschwerpunkts zum Thema ADHS im Klassenzimmer (Störungswissen, Wirksamkeit von Klassenmanagement-Interventionen, Stressregulation usw.) zu optimieren. Schlüsselbegriffe: ADHS, Lehrpersonen, Lehramt, Klassenmanagement, Interventionen Attitude and intention to use (in)effective classroom management interventions of teachers and pre-service teachers when dealing with pupils with ADHD: A replication study Summary: On average one or two pupils per class are affected by the attention-deficit/ hyperactivitydisorder (ADHD). These pupils benefit from effective classroom management interventions, which are however often not transferred into practice. This study examines the factors that are associated with teachers’ attitude and intention to use effective and ineffective interventions for pupils with ADHD based on an Austrian sample of 500 teachers (including trained teachers and pre-service teachers). The results suggest that the attitude and intention to use (in)effective interventions were associated with the attitude towards pupils with ADHD, perceived behavioral control, knowledge about ADHD, general psychological strain, ADHD-specific stress, and personality traits. Some factors, such as attitudes, knowledge, psychological strain, and ADHD-specific stress had differential meaning for trained teachers and pre-service teachers. Findings are practically relevant to optimize teacher training regarding an educational focus on ADHD in the classroom (knowledge about disorder, efficacy of classroom management, coping with stress etc.). Keywords: ADHD, teachers, pre-service teacher training, classroom management, interventions Klassenmanagement von Lehrpersonen im Kontext von ADHS 245 Der Unterricht mit Schüler*innen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) stellt für Lehrpersonen eine anspruchsvolle Herausforderung dar. Angesichts der hohen Prävalenzrate von weltweit ~ 5 % (Polanczyk, Salum, Sugaya, Caye & Rohde, 2015) kann davon ausgegangen werden, dass es in jeder Schulklasse durchschnittlich ein bis zwei betroffene Kinder gibt. Das Störungsbild ist durch ein durchgängiges entwicklungsunangemessenes Muster erhöhter Impulsivität und Hyperaktivität sowie Defizite in der Aufmerksamkeit gekennzeichnet. Des Weiteren äußern sich die Symptome in leichter Ablenkbarkeit, Schwierigkeiten in der Selbstorganisation, Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnisprobleme und Störverhalten aufgrund mangelnder Impulskontrolle (Ruhmland & Christiansen, 2017). Das mit ADHS einhergehende ungünstige Arbeitsverhalten beeinflusst nicht nur direkt die Schulleistungen des betroffenen Kindes, sondern das gesamte Klassenklima (Lauth & Knoop, 1998). Insofern sind Studienergebnisse wenig erstaunlich, die zeigen, dass Lehrpersonen den Unterricht mit Schüler*innen mit ADHS als besonders stressreich wahrnehmen (Greene, Besztereczey, Katzenstein, Park & Goring, 2002), ihre Einstellungen gegenüber betroffenen Kindern negativ ausfallen (Anderson, Watt, Noble & Shanley, 2012) und sie die Schulleistungen sowie das Verhalten von diagnostizierten Schüler*innen verglichen mit gesunden Schüler*innen schlechter einstufen (Ohan, Visser, Strain & Allen, 2011). Hohes Stressempfinden und psychische Belastung der Lehrpersonen können wiederum ihr Engagement und die Beziehung gegenüber dem/ der Schüler*in beeinträchtigen (Harmsen, Helms- Lorenz, Maulana & van Veen, 2018). Zudem greifen Lehrpersonen desto häufiger auf ungünstige Interventionen im Klassenraum zurück (z. B. Ermahnungen, negatives Verhalten ausdiskutieren oder Strafaufgaben), je gestresster sie sind (Strelow, Dort, Schwinger & Christiansen, 2020). Es existieren für die schulische Lernumgebung effektive Interventionen (z. B. Einsatz von Belohnungssystemen, Extra-Zeit für Aufgabenbearbeitung, klare Regeln und regelmäßige Strukturen), die wissenschaftlich fundiert und deren Wirksamkeit mit hohen Effektstärken bestätigt sind (DuPaul, Eckert & Vilardo, 2012; Gaastra, Groen, Tucha & Tucha, 2016). Jedoch werden diese in der Unterrichtspraxis selten genutzt (Ruhmland & Christiansen, 2017). Dies deutet auf eine ungünstige Lücke zwischen Forschung und praktischer Anwendung hin, da Lehrpersonen mit guten Kenntnissen über wirksames Klassenmanagement das Verhalten und Lernpotenzial betroffener Schüler*innen nachweislich positiv beeinflussen können (Sherman, Rasmussen & Baydala, 2008). Das Pfadmodell von Strelow et al. (2020) untersuchte Faktoren, die mit der Anwendung (in)effektiver Interventionen von Lehramtsstudierenden in Deutschland zusammenhängen. Das Modell bezieht sich auf die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991), die davon ausgeht, dass die Einstellung zu einer Verhaltensweise die Intention, dieses Verhalten auch auszuführen, maßgeblich beeinflusst. Die Einstellung zu einer Verhaltensweise wiederum wird als Erwartung einer Konsequenz der Verhaltensweise definiert. Aus diesem Grund berücksichtigte das Pfadmodell weiterhin das Modell der Erwartungsverletzung (Rief et al., 2015), welches individuelle Unterschiede, direkte Erfahrungen und soziale Einflüsse als Einflussfaktoren auf Erwartungen beschreibt. Zusammenfassend wurde somit in der Studie von Strelow et al. (2020) getestet, ob individuelle Unterschiede zwischen Lehramtsstudierenden, ihre direkten Erfahrungen und soziale Einflüsse mit der Einstellung und Intention zum Einsatz (in)effektiver Klassenmanagement- Interventionen zusammenhängen. Der vorliegende Beitrag stellt einerseits eine Replikation anhand einer österreichischen Stichprobe von ausgebildeten Lehrkräften und Lehramtsstudierenden dar und untersucht andererseits, ob sich die Zusammenhänge zwischen diesen beiden Gruppen aufgrund der unterschiedlich langen Berufserfahrung unterscheiden. 246 Martina Zemp, Laura Hehlke, Anna E. Strelow, Martina Dort, Hanna Christiansen Einstellung und Intention zum Einsatz von Klassenmanagement-Interventionen Die Einstellungen von Lehrpersonen gegenüber Schüler*innen mit ADHS beeinflussen laut der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991) ihre Intention, Klassenmanagement-Interventionen im Unterricht anzuwenden. Das Konstrukt der Einstellung lässt sich nach Ajzens Theorie in drei Komponenten aufteilen: die kognitive, die affektive und die behaviorale Einstellung (Ajzen, 2005). Die ersten beiden Komponenten stellen die Gedanken und Gefühle dar, die ein Objekt (hier: Schüler*in mit ADHS) bei einer Lehrperson auslöst (z. B. Schüler*in wird im Unterricht als störend wahrgenommen oder löst Ärger aus). Die behaviorale Einstellung repräsentiert die Einstellung zum eigenen Verhalten gegenüber dem Objekt und die Einschätzung über die Folgen des Verhaltens (hier: Erwartung hinsichtlich der Wirksamkeit einer Intervention). Je positiver die kognitive und affektive Einstellung einer Person ist, desto günstiger ist auch ihre behaviorale Einstellung und desto stärker wird die Intention, das Verhalten auszuüben (Ajzen, 1991). Individuelle Unterschiede: Wahrgenommene Verhaltenskontrolle, Wissen über ADHS, psychische Belastung, Stressreaktivität und Persönlichkeitseigenschaften Interindividuelle Unterschiede von Lehrpersonen hängen mit der Anwendung von Klassenmanagement-Interventionen zusammen. Nach Ajzen (2005) werden die behaviorale Einstellung und die Intention wesentlich von der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle beeinflusst. Hierbei handelt es sich um die individuelle Wahrnehmung einer Person, ob ein Verhalten für sie umsetzbar ist. Falls Personen annehmen, dass sie keine Gelegenheit bekommen werden, das Verhalten zu zeigen, oder es zu viele Hindernisse gibt, es auszuführen, werden sie weniger Intention zu diesem Verhalten aufbauen (Ajzen, 2002). Das ADHS-spezifische Wissen variiert zwischen Lehrpersonen, aber weist nach früheren Studien im Mittel gewisse Defizite auf. Während sie in den Bereichen Symptomatik und Diagnostik über relativ gute Kenntnisse verfügen, stellten sich insbesondere die Annahmen zur Ätiologie (bspw. Überschätzung der Rolle psychosozialer Faktoren in der Störungsentwicklung) und zur Wirksamkeit von Klassenmanagement-Interventionen häufig als unzureichend heraus (z. B. Ruhmland & Christiansen, 2017; Schmiedeler, 2013; Sciutto, Terjesen & Frank, 2000). Das Wissen von Lehrpersonen über die Störung und Interventionsmöglichkeiten korrelierten bei Strelow et al. (2020) mit der behavioralen Einstellung und Intention zum Einsatz effektiver Interventionen. Chronischer Stress durch den Unterricht kann zu einer erhöhten allgemeinen psychischen Belastung führen (Lauth & Knoop, 1998). Diese Belastung kann sich auf das Unterrichtsengagement und die Beziehung zu den Schüler*innen auswirken (Harmsen et al., 2018). Der Umgang mit und die Folgen von psychischen Belastungen hängen maßgeblich von der Stressreaktivität einer Person ab. Stressreaktivität wird als relativ stabiles Konstrukt verstanden, das erklärt, warum Personen auf denselben Stressor unterschiedlich reagieren (Schlotz, Yim, Zoccola, Jansen & Schulz, 2011). Personen mit hoher arbeitsbezogener Stressreaktivität weisen höhere Werte für durch die Arbeit verursachte Depressionen, Angststörungen und psychosoziale Belastungen auf (Limm et al., 2010). Hohe Stressreaktivität hängt außerdem mit geringem Vertrauen in die eigenen Kompetenzen (niedrige Selbstwirksamkeitserwartung) zusammen (Schulz, Jansen & Schlotz, 2005), was die Anwendung von Klassenmanagement-Interventionen bei Lehrpersonen direkt beeinflussen kann (Strelow et al., 2020). Zwei Persönlichkeitseigenschaften korrelierten bei Strelow et al. (2020) mit der Einstellung und Intention von Lehrpersonen, (in)effektive Interventionen anzuwenden 1 : (1) Autoritarismus (Unterwürfigkeit bezüglich autoritärer Systeme) 1 Im Gegensatz dazu stellten sich die Big Five Persönlichkeitsfaktoren (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit) im Pfadmodell als wenig bedeutsam heraus. Der Sparsamkeit halber wurde daher in der vorliegenden Replikation auf die Berücksichtigung dieser Faktoren verzichtet. Klassenmanagement von Lehrpersonen im Kontext von ADHS 247 und (2) soziale Dominanzorientierung (Neigung, Ungleichheit und Hierarchien unter sozialen Gruppen zu befürworten). Direkte Erfahrungen: ADHS-spezifischer Stress Lehrpersonen fühlen sich durch Schüler*innen mit ADHS aufgrund ihrer Symptome, die in vielen Fällen mit Störverhalten in der Klasse einhergehen, häufig gestresst (Greene et al., 2002). Die direkten Erfahrungen von Lehrpersonen mit betroffenen Schüler*innen im Berufsalltag spielen wiederum eine Rolle bei der Bildung von Erwartungen über künftige Ereignisse (Rief et al., 2015). Der wahrgenommene ADHSspezifische Stress der Lehrpersonen beeinflusst ihre Einstellungen und ihre Bereitschaft, auf einzelne Schüler*innen passend und individuell einzugehen (Harmsen et al., 2018). Bei Strelow et al. (2020) hing der ADHS-spezifische Stress der Lehramtsstudierenden mit der Intention zum Einsatz ineffektiver Interventionen zusammen. Soziale Einflüsse: Subjektive Norm Soziale Erfahrungen prägen die Erwartungen und Einstellungen einer Person durch die Interaktion und Kommunikation mit ihrem Umfeld (Rief et al., 2015). In der Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1991) bezeichnet die subjektive soziale Norm die Motivation, die Erwartungen einer relevanten Bezugsgruppe zu erfüllen. Hierbei wird einerseits die Überzeugung einer Person einbezogen, ob andere, für sie relevante Personen oder Gruppen das Ausüben dieses Verhaltens befürworten oder ablehnen resp. es selbst ausüben oder nicht. Je positiver das soziale Umfeld zu diesem Verhalten eingestellt ist, desto stärker wird die Intention, das Verhalten zu zeigen (Ajzen, 1991). Die vorliegende Studie Das Ziel dieser Studie war, das Pfadmodell von Strelow et al. (2020) anhand einer österreichischen Stichprobe von ausgebildeten Lehrkräften und Lehramtsstudierenden zu replizieren. Folgende Fragestellungen und Hypothesen wurden untersucht: (1) Hängen individuelle Unterschiede, direkte Erfahrungen und soziale Einflüsse bei Lehrpersonen und Lehramtsstudierenden mit ihrer Einstellung und Intention zum Einsatz effektiver Interventionen bei Schüler*innen mit ADHS zusammen? Wir erwarteten auf der Grundlage der Ergebnisse von Strelow et al. (2020), dass das ADHS-spezifische Wissen sowie die kognitive und affektive Einstellung positiv, die allgemeine psychische Belastung sowie die soziale Dominanzorientierung negativ mit der behavioralen Einstellung zusammenhängen, die wiederum positiv mit der Intention zum Einsatz effektiver Interventionen korreliert. Zudem vermuteten wir einen positiven Zusammenhang zwischen ADHS-spezifischem Wissen und der Intention. (2) Hängen individuelle Unterschiede, direkte Erfahrungen und soziale Einflüsse bei Lehrpersonen und Lehramtsstudierenden mit ihrer Einstellung und Intention zum Einsatz ineffektiver Interventionen bei Schüler*innen mit ADHS zusammen? Es wurde erwartet, dass das ADHSspezifische Wissen negativ und Autoritarismus positiv mit der behavioralen Einstellung zusammenhängen, die wiederum positiv mit der Intention zum Einsatz ineffektiver Interventionen korreliert. Zudem gingen wir von negativen Zusammenhängen zwischen der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle, ADHS-spezifischem Wissen sowie der kognitiven und affektiven Einstellung und der Intention zum Einsatz ineffektiver Interventionen aus. Der ADHS-spezifische Stress sollte jedoch positiv mit der Intention korrelieren. (3) Gibt es Unterschiede in diesen Zusammenhängen zwischen ausgebildeten Lehrkräften und Lehramtsstudierenden? Es wurde vermutet, dass bei den Studierenden aufgrund ihrer geringeren Berufserfahrung die Zusammenhänge zwischen ADHS-spezifischem Wissen und ADHS-spezifischem Stress einerseits und Einstellung sowie Intention zum Einsatz (in)effektiver Interventionen andererseits stärker ausfallen als bei den ausgebildeten Lehrkräften. 248 Martina Zemp, Laura Hehlke, Anna E. Strelow, Martina Dort, Hanna Christiansen Methode Studiendurchführung Die Studie wurde online als Querschnittsstudie mittels der Online-Plattform SoSci Survey (https: / / www. soscisurvey.de/ ) durchgeführt. Die Befragung begann Mitte Januar 2020 und der Link zur Studienteilnahme war für zwei Monate online zugänglich. Die Rekrutierung der Lehrpersonen erfolgte durch Kontaktierung österreichischer Schulen via E-Mails, durch persönliche Besuche in Schulen und durch das Posten des Umfragelinks in Facebook-Gruppen und Foren für Lehrpersonen. Lehramtsstudierende wurden zudem durch Besuche der Ausbildungsstätten rekrutiert. Als Anreiz konnten alle Teilnehmer*innen bei Interesse an der Verlosung von einem von fünf Gutscheinen im Wert von E 10,- für ein Multimedia- Kaufhaus teilnehmen. Stichprobe Ausgebildete Lehrkräfte und Lehramtsstudierende, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung in Österreich lehrten bzw. studierten, bildeten die Stichprobe der vorliegenden Studie. Eine Poweranalyse mittels G*Power (Faul, Erdfelder, Buchner & Lang, 2009) ergab, dass die Stichprobe mindestens 252 Personen umfassen müsste, um Effekte mittlerer Größe bei einem α = .05 und einem β = .95 festzustellen. Insgesamt 1202 Personen starteten durch Klicken auf den Online-Link die Befragung und 538 schlossen sie ab (Abbruchrate = 55,2 %). Von den 1202 Personen haben 125 keine oder nur die erste Frage (Item Gruppenzugehörigkeit) beantwortet. Die Dropout-Analyse der restlichen 1077 Teilnehmer*innen ergab, dass sich die Personen (n = 539), die den Fragebogen abbrachen, hinsichtlich zweier demografischer Variablen von den Personen (n = 538) unterschieden, die den Fragebogen bis zur letzten Seite ausfüllten: Die Abbrechenden waren signifikant jünger (t (1063) = -4.002, p < .001) und signifikant häufiger Lehramtsstudierende ( χ ²(1, N = 1077) = 18.402, p < .001) als die Teilnehmer*innen, die die Umfrage vollständig ausfüllten. Darüber hinaus wurden 38 Teilnehmer*innen ausgeschlossen, weil sie der Auswertung ihrer Daten nicht zustimmten oder angaben, die Fragen nicht ehrlich beantwortet zu haben. Die finale Stichprobengröße umfasste N = 500 Teilnehmer*innen (davon 13,4 % männlich, 86,4 % weiblich und 0,2 % divers). Das durchschnittliche Alter lag bei 41.12 Jahren (SD = 12.84). Die Mehrheit der befragten Personen (84,4 %; n = 422) waren ausgebildete Lehrkräfte, 15,6 % (n = 78) waren noch in der Ausbildung bzw. im Lehramtsstudium. Die ausgebildeten Lehrkräfte gaben durchschnittlich 18 Jahre Berufserfahrung an (SD = 11.61; Spannweite = 1 - 44). Sie unterrichteten an diversen Schultypen des österreichischen Bildungssystems: Volksschule (41,0 %), Neue Mittelschule (21,3 %), Berufsbildende mittlere und höhere Schulen (12,1 %), Sonderschulen (9,0 %), Gymnasium (7,6 %), Berufsschule (2,4 %) und sonstige Schultypen (6,6 %). Die Lehramtsstudierenden studierten im Lehramt Primarstufe (Bachelor: 47,4 %; Master: 1,3 %) oder Sekundarstufe (Bachelor: 35,9 %; Master: 15,4 %). Im Durchschnitt studierten sie bereits 5.74 Semester (SD = 4.09; Spannweite = 1 - 20). Die beiden Untersuchungsgruppen unterschieden sich nicht hinsichtlich Geschlecht, jedoch waren die ausgebildeten Lehrkräfte signifikant älter (M = 44.23 J.) als die Studierenden (M = 24.04 J.; t (228.15) = 24.76, p < .001). Alle Teilnehmer*innen wurden befragt, wie viele Schüler*innen mit ADHS (vermutet und diagnostiziert) sie schätzungsweise bereits unterrichtet haben. Die ausgebildeten Lehrkräfte gaben hier eine höhere Zahl (M = 16.13) an als die Studierenden (M = 2.55; t (430.23) = 5.13, p < .001). Alle Teilnehmer*innen gaben an, mindestens ein Kind mit ADHS unterrichtet zu haben. Erhebungsmethoden Kognitive, affektive und behaviorale Einstellung Die Erfassung der Einstellungen gegenüber Schüler*innen mit ADHS erfolgte durch den ADHS- Schul-Erwartungsfragebogen (ASE; Dort, Strelow, Schwinger & Christiansen, 2020). Die kognitive Einstellung wurde mit 27 Items, die mögliche Verhaltensweisen von Schüler*innen mit ADHS beschrieben, erfragt (z. B.: „stört den Unterricht“; „verliert Schulmaterial“; „ist kreativ“). Die Teilnehmer*innen gaben auf zwölfstufigen visuellen Analogskalen (VAS) an, ob sie dieses Verhalten wahrscheinlich oder unwahrscheinlich finden (transformiert in eine Intervallskala von 0 bis 1) und auch, ob sie es als negativ oder positiv einschätzen (transformiert in eine Intervallskala von -3 bis +3). Analog dazu wurde die affektive Einstellung mittels sechs Items erfasst, die mögliche Gefühle widerspiegeln, die Schüler*innen mit ADHS bei ihnen auslösen (z. B.: „Freude“; Klassenmanagement von Lehrpersonen im Kontext von ADHS 249 „Wut“). Die beiden Einstellungskomponenten wurden zusammengefasst, indem Wahrscheinlichkeiten und Valenz multipliziert wurden (basierend auf der Theorie des geplanten Verhaltens von Ajzen, 2005) und anschließend aufsummiert, sodass sie zusammen ein globales Maß für die kognitive und affektive Einstellung ergaben. Cronbachs α betrug für diese Skala α = .85. Die behaviorale Komponente der ASE-Einstellungsskala enthält 27 Klassenmanagement-Interventionen (16 effektive wie z. B. „Belohnungssysteme“ und elf ineffektive wie z. B. „Strafandrohungen“) in Anlehnung an die einschlägige Forschungsliteratur (vgl. Gaastra et al., 2016). Diese wurden auf einer zwölfstufigen VAS von überhaupt nicht effektiv bis sehr effektiv bewertet. Die Skala wurde zur Auswertung in eine Intervallskala von 0 bis 1 transformiert. Cronbachs α betrug für die behaviorale Einstellung zum Einsatz effektiver Interventionen α = .86 und zum Einsatz ineffektiver Interventionen α = .73. Intention zum Einsatz effektiver/ ineffektiver Interventionen Die Subskala Interventionen des ASE (Dort, Strelow, Schwinger et al., 2020) wurde zur Erfassung der Intention, effektive und ineffektive Interventionen einzusetzen, genutzt. Hierzu wurden die oben beschriebenen 16 effektiven und elf ineffektiven Interventionen danach beurteilt, wie häufig sie die Lehrpersonen auf einer zwölfstufigen VAS von nie bis sehr oft im Unterricht einsetzen würden (transformiert in eine Intervallskala von 0 bis 1). Cronbachs α betrug für den Einsatz effektiver Interventionen α = .79 und für den Einsatz ineffektiver Interventionen α = .75. Wahrgenommene Verhaltenskontrolle und subjektive Norm Zwei Items erfassten die wahrgenommene Verhaltenskontrolle (z. B.: „Ich habe die Fähigkeit, Schüler*innen mit ADHS effektiv zu unterrichten“) und sechs Items die subjektive Norm (z. B.: „Ich möchte, dass Personen, die mir wichtig sind, gut von mir denken“; „Mir wichtige Personen befürworten den Einsatz von ADHS-spezifischen Interventionen im Unterricht“), die von Strelow et al. (2020) in Anlehnung an die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 2005) konstruiert wurden. Das Antwortformat für beide Skalen war eine VAS, die von stimme überhaupt nicht zu bis stimme voll und ganz zu (0 bis 5) reichte. Cronbachs α lag für die wahrgenommene Verhaltenskontrolle bei α = .83 und für die subjektive Norm bei α = .55. ADHS-spezifischer Stress Ein Item („Wie hoch schätzen Sie Ihre Belastung durch das Verhalten von Schüler*innen mit ADHS im Unterricht ein? “) erhob das individuelle ADHSspezifische Stressniveau mittels einer VAS, die von überhaupt nicht bis sehr massiv reichte (0 bis 5). ADHS-spezifisches Wissen Um das Wissen über ADHS zu erfragen, wurde die ASE-Wissensskala (Dort, Strelow, Schwinger et al., 2020) mit 24 Items genutzt (z. B.: „Falsche Erziehung führt zu ADHS“). Für jede korrekte Antwort wurde ein Punkt gezählt (max. Summenwert: 24 Punkte). Cronbachs α betrug α = .80. Allgemeine psychische Belastung Die Kurzform der Symptom Checklist (SCL-10; Müller, Postert, Beyer, Furniss & Achtergarde, 2010) maß die allgemeine psychische Belastung mit zehn Items (z. B.: „Wie sehr litten Sie in den letzten sieben Tagen unter Schuldgefühlen? “) auf einer vierstufigen Likert-Skala (von 1 = überhaupt nicht bis 4 = stark). Cronbachs α betrug α = .84. Stressreaktivität Die Stressreaktivität wurde durch den Gesamtwert der deutschen Version der Percieved Stress Reactivity Scale (PSRS; Schlotz et al., 2011) erfasst. Die Skala mit 23 Items nutzt ein dreistufiges Antwortformat mit jeweils einem Anker (z. B.: „Wenn ich etwas vorhabe, das für mich sehr wichtig ist, 1) werde ich gewöhnlich ziemlich nervös; 2) lasse ich mich im Allgemeinen nicht aus dem Gleichgewicht bringen; 3) werde ich meist etwas unruhig.“). Cronbachs α betrug α = .87. Autoritarismus Autoritarismus wurde mittels der Kurzskala Autoritarismus (KSA-3; Beierlein, Asbrock, Kauff & Schmidt, 2014) gemessen. Die Skala umfasst neun Items (z. B.: „Gesellschaftliche Regeln sollten ohne Mitleid durchgesetzt werden“), die auf einer sechsstufigen Likert- Skala beurteilt werden (von 1 = stimme ganz und gar nicht zu bis 6 = stimme voll und ganz zu). Cronbachs α betrug α = .83. 250 Martina Zemp, Laura Hehlke, Anna E. Strelow, Martina Dort, Hanna Christiansen Soziale Dominanzorientierung Zur Erfassung der sozialen Dominanzorientierung wurde die deutsche Version der Social Dominance Orientation Scale von Six, Wolfrath und Zick (2001) mit zwölf Items (z. B.: „Gruppengleichheit sollte unser Ideal sein“) eingesetzt. Das Antwortformat war eine sechsstufige Likert-Skala (1 = stimme überhaupt nicht zu bis 6 = stimme voll und ganz zu). Cronbachs α betrug α = .81. Statistische Analyse Mittels IBM SPSS AMOS 26 wurden lineare Pfadanalysen mit Maximum-Likelihood-Schätzung durchgeführt, um zu testen, welche Variablen mit der Einstellung und Intention zum Einsatz von Klassenmanagement-Interventionen zusammenhängen. Es wurden zwei separate Modelle jeweils für effektive und ineffektive Interventionen gerechnet (Fragestellungen 1 und 2). Durch Multigruppenvergleiche wurde untersucht, ob sich die Pfade in den beiden Untersuchungsgruppen (ausgebildete Lehrkräfte vs. Lehramtsstudierende) unterscheiden (Fragestellung 3). Hierzu wurde jeweils ein Baseline- Modell, bei dem keine Einschränkungen spezifiziert waren, gegen ein Modell getestet, bei dem einzelne Pfade gleichgesetzt waren (d. h. als invariant zwischen den Gruppen spezifiziert). Der Vergleich der beiden Modelle wurde mit einem χ ²-Differenztest durchgeführt. Ein nicht signifikanter χ ²-Differenztest spricht dafür, das eingeschränkte (sparsamere) Modell beizubehalten, und bedeutet, dass sich die Pfade nicht signifikant voneinander unterscheiden. Die Anpassungsgüte (model fit) der statistischen Modelle wurde durch die Indizes χ ²/ (df ), Root Mean Square Error of Approximation (RMSEA), Comparative Fit Index (CFI) und Normed Fit Index (NFI) beurteilt. Werte von χ ² / df < 2, RMSEA < .06, CFI sowie NFI > .5 weisen auf eine sehr gute Modellanpassung hin. Es wurde keine Alpha-Adjustierung vorgenommen. Ergebnisse In Tabelle 1 sind die deskriptive Statistik, Korrelationen und t-Tests der Studienvariablen dargestellt. In der Wissensskala erreichte die Stichprobe durchschnittlich 8.15 Punkte (SD = 4.42; Spannweite = 0 - 22) von einem maximal möglichen Summenwert von 24. Der ADHS-spezifische Stress war mit M = 3.19 (SD = 1.16) bei einer Spannweite von 0 - 5 moderat. Die allgemeine psychische Belastung war bei einer Spannweite von 1 - 4 gering (M = 1.50, SD = 0.44). Die österreichische Stichprobe war hinsichtlich der Mittelwerte in diesen Variablen (M Wissen = 7.32; M ADHS-Stress = 3.18; M Belastung = 1.25) mit der deutschen Stichprobe (Strelow et al., 2020) gut vergleichbar. Im Vergleich mit den Lehramtsstudierenden gaben die ausgebildeten Lehrkräfte signifikant höheren ADHS-spezifischen Stress, mehr Wissen über ADHS, eine günstigere behaviorale Einstellung zum Einsatz effektiver Interventionen, aber geringere allgemeine psychische Belastung und geringere Stressreaktivität an. Fragestellung 1: Zusammenhänge mit effektiven Interventionen Die Model Fit Indizes des ersten Pfadmodells zum Einsatz effektiver Interventionen wiesen eine hohe Anpassungsgüte auf ( χ ²/ df = 2.78, p = .040; RMSEA = .06; CFI = .99; NFI = .99). Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse mit den geschätzten Pfaden (Modell 1 a). Die behaviorale Einstellung zum Einsatz effektiver Interventionen hing positiv zusammen mit dem Wissen über ADHS ( β = .31, p < .001), der kognitiven und affektiven Einstellung gegenüber Schüler*innen mit ADHS ( β = .24, p < .001) und ADHS-spezifischem Stress ( β = .10, p = .020). Negative Zusammenhänge zeigten sich mit der sozialen Dominanzorientierung ( β = -.17, p < .001) und der allgemeinen psychischen Belastung ( β = -.14, p = .004). Die Intention zum Einsatz effektiver Interventionen korrelierte positiv mit der behavioralen Einstellung ( β = .56, p < .001), ADHS-spezifischem Wissen ( β = .17, p < .001), ADHS-spezifischem Stress ( β = .10, p = .020) und der wahrgenommenen Verhaltenskontrolle ( β = .08, p = .050). Klassenmanagement von Lehrpersonen im Kontext von ADHS 251 M/ SD (Gesamt) Bivariate Korrelationen (Gesamt) M/ SD (Ausgebildete Lehrkräfte) M/ SD (Lehramtsstudierende) t-Test 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 t df p 1. Kognitive und affektive Einstellung 1.29 (11.02) - 1.01 (10.36) 2.78 (14.03) -1.02 86.11 .312 2. Wahrgenommene Verhaltenskontrolle 2.62 (1.25) .31** - 2.65 (1.24) 2.46 (1.34) 1.28 498 .201 3. Subjektive Norm 3.10 (0.99) -.13** -.18** - 3.12 (1.01) 2.97 (0.91) 1.25 488 .212 4. ADHS-spezifischer Stress 3.19 (1.16) -.36** -.31** .06 - 3.24 (1.17) 2.90 (1.05) 2.59 115.05 .011 5. ADHS-spezifisches Wissen 8.15 (4.42) -.06 .12** .02 -.01 - 8.34 (4.47) 7.13 (4.02) 2.23 484 .026 6. Allgemeine psychische Belastung 1.50 (0.44) -.04 -.20** .12* .08 -.05 - 1.45 (0.41) 1.77 (0.50) -5.28 96.66 < .001 7. Stressreaktivität 21.32 (7.63) -.17** -.26** .38** .17** -.01 .47** - 20.71 (7.61) 24.60 (6.93) -4.18 493 < .001 8. Autoritarismus 2.49 (0.83) -.21** -.16** .04 .25** -.20** .03 .10* - 2.49 (0.85) 2.46 (0.69) 0.29 125.10 .769 9. Soziale Dominanzorientierung 1.15 (0.74) -.08 -.12** -.04 .09* -.20** .05 -.01 .53** - 1.17 (0.75) 1.03 (0.69) 1.46 496 .146 10. Behaviorale Einstellung zum Einsatz effektiver Interventionen 0.72 (0.14) .19** .21** -.02 .01 .33** -.14** -.04 -.14** -.22** - 0.73 (0.13) 0.68 (0.17) 2.88 460 .004 11. Behaviorale Einstellung zum Einsatz ineffektiver Interventionen 0.28 (0.13) -.01 .02 .01 .09* -.24** -.04 .02 .33** .26** .07 - 0.28 (0.13) 0.26 (0.14) 1.48 470 .141 12. Intention zum Einsatz effektiver Interventionen 0.72 (0.11) .03 .16** -.05 .10* .34** -.05 -.02 -.03 -.10* .60** .07 - 0.72 (0.12) 0.72 (0.11) -0.48 476 .635 13. Intention zum Einsatz ineffektiver Interventionen 0.36 (0.13) -.23** -.22** .11* .18** -.23** .13** .14** .32** .27** -.28** .54** -.10* 0.36 (0.13) 0.35 (0.15) 0.144 485 .885 Tab. 1: Deskriptive Statistik, Interkorrelationen und t-Tests der Studienvariablen Anmerkung: Signifikante Koeffizienten sind fett gesetzt. * p < .05; ** p < .01 252 Martina Zemp, Laura Hehlke, Anna E. Strelow, Martina Dort, Hanna Christiansen Abb. 1: Pfadmodell der Faktoren, die mit Einstellung und Intention von Lehrpersonen zum Einsatz effektiver (1 a) und ineffektiver (1 b) Klassenmanagement-Interventionen zusammenhängen Anmerkung: Signifikante Pfade sind fett, nicht signifikante Pfade gestrichelt gezeichnet. Determinationskoeffizienten für das Modell 1 a waren R² = .40 für die Intention und R² = .20 für die behaviorale Einstellung; für das Modell 1 b R² = .40 für die Intention und R² = .15 für die behaviorale Einstellung. M O D E L L 1 a Individuelle Unterschiede Wahrgenommene Verhaltenskontrolle Kognitive und affektive Einstellung gegenüber Schüler*innen mit ADHS Direkte Erfahrungen Soziale Einflüsse ADHS-spezifisches Wissen Allgemeine psychische Belastung Stressreaktivität Autoritarismus Soziale Dominanzorientierung ADHS-spezifischer Stress Behaviorale Einstellung zum Einsatz effektiver Interventionen Intention zum Einsatz effektiver Interventionen M O D E L L 1 b Individuelle Unterschiede Wahrgenommene Verhaltenskontrolle Kognitive und affektive Einstellung gegenüber Schüler*innen mit ADHS Direkte Erfahrungen Soziale Einflüsse ADHS-spezifisches Wissen Allgemeine psychische Belastung Stressreaktivität Autoritarismus Soziale Dominanzorientierung ADHS-spezifischer Stress Subjektive Norm Behaviorale Einstellung zum Einsatz effektiver Interventionen Intention zum Einsatz effektiver Interventionen β = .08 β = .24 β = .17 β = .31 β = -.14 β = -.17 β = .10 β = .10 β = .56 β = -.12 β = .49 β = -.08 β = -.17 β = .10 β = .24 β = .10 β = -.16 Subjektive Norm Klassenmanagement von Lehrpersonen im Kontext von ADHS 253 Fragestellung 2: Zusammenhänge mit ineffektiven Interventionen Die Model Fit Indizes des zweitens Pfadmodells zum Einsatz ineffektiver Interventionen wiesen eine zufriedenstellende Anpassungsgüte auf ( χ ²/ df = 4.29, p = .230; RMSEA = .03; CFI = .99; NFI = .99). Abbildung 1 stellt die Ergebnisse mit den geschätzten Pfaden dar (Modell 1 b). Die behaviorale Einstellung zum Einsatz ineffektiver Interventionen korrelierte positiv mit Autoritarismus ( β = .24, p < .001) und sozialer Dominanzorientierung ( β = .10, p = .050), aber negativ mit ADHS-spezifischem Wissen ( β = -.17, p < .001). Die Intention zum Einsatz ineffektiver Interventionen hing positiv mit der behavioralen Einstellung ( β = .49, p < .001) und der allgemeinen psychischen Belastung ( β = .10, p = .006) zusammen. Negative Zusammenhänge wiesen die kognitive und affektive Einstellung ( β = -.16, p < .001), die wahrgenommene Verhaltenskontrolle ( β = -.12, p = .003) und das Wissen über ADHS ( β = -.08, p = .030) auf. Fragestellung 3: Unterschiede zwischen ausgebildeten Lehrkräften und Lehramtsstudierenden Die Ergebnisse der Multigruppenvergleiche zeigten, dass sich die strukturellen Parameter des Pfadmodells betreffend die effektiven Interventionen nicht zwischen den ausgebildeten Lehrkräften und den Lehramtsstudierenden gleichsetzen ließen, weil diese Einschränkung mit einer statistisch signifikanten Verschlechterung der Modellanpassungsgüte einherging ( χ ² = 62.40, df = 22, p < .001). Dies weist darauf hin, dass sich gewisse Pfade zwischen den Gruppen signifikant unterschieden. Die Anpassungsgüte für das uneingeschränkte Multigruppenmodell stellte sich als hoch heraus ( χ ²/ df = 3.41, p = .002; RMSEA = .07, CFI = .99, NFI = .98). Pfade, die sich in Bezug auf die behaviorale Einstellung zwischen den Gruppen unterschieden, waren die kognitive und affektive Einstellung ( β (L) = .17; β (S) = .49; χ ²(1) = 7.49, p = .006), der ADHS-spezifische Stress ( β (L) = .03; β (S) = .27; χ ² (1) = 5.78, p = .016) und das Wissen über ADHS ( β (L) = .28; β (S) = .42; χ ² (1) = 4.27, p = .040). Pfade, die sich in Bezug auf die Intention zum Einsatz effektiver Interventionen zwischen den Gruppen unterschieden, waren gemäß χ ²-Differenztests die behaviorale Einstellung ( β Lehrpersonen (L) = .63; β Studierende (S) = .25; χ ²(1) = 17.92, p < .001), das ADHS-spezifische Wissen ( β (L) = .15; β (S) = .38; χ ² (1) = 4.04, p = .040) und die subjektive Norm ( β (L) = -.05; β (S) = .22; χ ²(1) = 6.06, p = .010). Die Parameter des Pfadmodells in Bezug auf die ineffektiven Interventionen ließen sich ebenfalls nicht zwischen den ausgebildeten Lehrkräften und den Lehramtsstudierenden gleichsetzen (Verschlechterung der Modellanpassungsgüte: χ ² = 43.72, df = 22, p = .004). Das uneingeschränkte Multigruppenmodell hatte jedoch eine sehr hohe Anpassungsgüte ( χ ²/ df = 1.36, p = .230; RMSEA = .03, CFI = .99, NFI = .99). Der einzige Pfad, der sich in Bezug auf die behaviorale Einstellung unterschied, war das Wissen über ADHS ( β (L) = -.21; β (S) = .08; χ ²(1) = 4.27, p = .040). Pfade, die sich in Bezug auf die Intention zum Einsatz ineffektiver Interventionen zwischen den Gruppen unterschieden, waren die behaviorale Einstellung ( β (L) = .46; β (S) = .64; χ ²(1) = 5.07, p = .020), das ADHS-spezifische Wissen ( β (L) = -.05; β (S) = -.28; χ ²(1) = 7.06, p = .008) und die allgemeine psychische Belastung ( β (L) = .13; β (S) = -.08; χ ² (1) = 5.22, p = .020). Diskussion Die Ergebnisse beider Pfadmodelle zeigten, dass jeweils die behaviorale Einstellung gegenüber den Interventionen am stärksten mit der Intention, diese auch anzuwenden, zusammenhing. Wenn Lehrpersonen also, übereinstimmend mit Ajzen (2002), erwarten, dass die Interventionen effektive Konsequenzen haben, werden sie diese auch eher einsetzen. Des Wei- 254 Martina Zemp, Laura Hehlke, Anna E. Strelow, Martina Dort, Hanna Christiansen teren korrelierte die kognitive und affektive Einstellung positiv mit der behavioralen Einstellung zu effektiven Interventionen und negativ mit der Intention, ineffektive Interventionen zu nutzen. Dieser Befund ist ebenfalls übereinstimmend mit Ajzens Theorie (2005), dass Menschen im Einklang mit ihren Einstellungen handeln, um ein konsistentes Bild von sich selbst zu konstruieren und die eigene Einstellung bestätigt zu sehen. Ein Handeln entgegen ihren eigenen Einstellungen würde eine kognitive Dissonanz hervorrufen (Festinger, 2012), die Menschen zu vermeiden versuchen. Zusammengefasst kann in Übereinstimmung mit den Befunden von Strelow et al. (2020) angenommen werden, dass je günstiger die kognitive und affektive Einstellung von Lehrpersonen gegenüber Schüler*innen mit ADHS ist, desto wirksamer werden evidenzbasierte Interventionen zur Unterstützung dieser Schüler*innen beurteilt und desto geringer ist die Intention, ineffektive Interventionen zu nutzen. Weniger bedeutsam erscheint in der Gesamtstichprobe die subjektive Norm, die in beiden Modellen konsistent mit den Resultaten von Strelow et al. (2020) keine signifikanten Zusammenhänge mit der Intention zum Einsatz von Klassenmanagement-Interventionen aufwies. Die Einstellungen und Erwartungen des sozialen Umfelds scheinen demnach eine Nebenrolle zu spielen. Auch in einer anderen relevanten Referenzstudie mit Lehrpersonen zeigte die subjektive Norm keine Effekte (Lübke, Meyer & Christiansen, 2016). Es ist allerdings denkbar, dass die Variable in dieser Studie zu global erfasst wurde. Einerseits bezogen sich nur drei von sechs Items dieser Skala spezifisch auf ADHS, andererseits wurde die Bezugsgruppe als „mir wichtige Personen“ definiert. Die eingeschätzte Haltung der Berufskolleg*innen dürfte die Verhaltensintentionen einer Lehrperson stärker beeinflussen. Darüber hinaus muss das vorliegende Ergebnis mit Vorsicht interpretiert werden, weil die Reliabilität der Skala unzureichend war (Cronbachs α = .55). Die geringe Reliabilität und die Art der Erfassung könnten dazu beigetragen haben, dass keine signifikanten Effekte gefunden wurden. Der Stress, der durch Schüler*innen mit ADHS ausgelöst wird, korrelierte in beiden Untersuchungsgruppen mit der Intention, effektive Interventionen anzuwenden. Dies deutet darauf hin, dass je mehr Lehrpersonen sich gestresst fühlen, desto eher greifen sie zu effektiven Methoden. Dieser Befund ist entgegen unserer Hypothese, weil hohes Stressempfinden häufig nicht mit mehr, sondern weniger funktionalem Verhalten zusammenhängt (Lewis, 1999). Jedoch muss Stress nicht immer etwas Negatives bedeuten. Es gibt auch positive Funktionen von (moderatem) Stress dahingehend, dass Bewältigungsstrategien angekurbelt werden (Anderson, 1976). Das Ergebnis steht im Kontrast zu Strelow et al. (2020), die einen Zusammenhang zwischen ADHS-spezifischem Stress und Intention zum Einsatz ineffektiver Interventionen fanden. Eine mögliche Erklärung für die differenziellen Ergebnisse könnte sein, dass die österreichische Stichprobe mehrheitlich aus ausgebildeten Lehrkräften bestand, während die deutsche Studie ausschließlich Lehramtsstudierende befragte. Vergleicht man die Mittelwerte beider Studien, wird deutlich, dass der ADHS-spezifische Stress vergleichbar ausgeprägt war und das Wissen über ADHS in der österreichischen Stichprobe (M = 8.15) nur leicht höher war als in der deutschen (M = 7.32). Innerhalb der österreichischen Stichprobe gaben die ausgebildeten Lehrkräfte verglichen mit den Lehramtsstudierenden geringere Stressreaktivität, mehr Wissen über ADHS und mehr Berufserfahrung mit betroffenen Schüler*innen an. Somit kann davon ausgegangen werden, dass ausgebildete Lehrkräfte über mehr Kenntnisse verfügen, wie ein hoher Stresspegel durch Schüler*innen mit ADHS wirksam gesenkt werden kann. Einschränkend muss methodisch bedacht werden, dass der ADHS-spezifische Stress mittels eines Einzelitems erfragt wurde. Zukünftige Studien könnten durch eine differenziertere Erfassung dieser Variable aussagekräftigere Erkenntnisse liefern. Klassenmanagement von Lehrpersonen im Kontext von ADHS 255 Auffallend ist, dass der ADHS-spezifische Stress nicht signifikant mit der allgemeinen psychischen Belastung korrelierte. Im Gegensatz zum ADHS-spezifischen Stress hing die allgemeine Belastung positiv zusammen mit der Intention, ineffektive Interventionen einzusetzen, und negativ mit der behavioralen Einstellung zum Einsatz effektiver Interventionen. In dieser Hinsicht zeigte sich, dass belastete Lehrpersonen mit höherer Wahrscheinlichkeit auf ineffektive Interventionen zurückgreifen, die meist kurzfristiger - aber weniger nachhaltig - ungewünschtes Verhalten reduzieren als effektive Methoden. Die Stressreaktivität hing hingegen nicht mit der behavioralen Einstellung zusammen, obwohl sie mit ADHS-spezifischem Stress und der allgemeinen Belastung korrelierte. Anzunehmen ist, was hier nicht untersucht wurde, dass eine hohe Stressreaktivität den Einfluss der Belastung verstärkt. Künftige Studien könnten diese Moderationshypothese testen. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die vorliegende Stichprobe generell gering belastet war (M = 1.50 auf einer Skala mit einer Spannweite von 1 bis 4). Theoriekonform (Ajzen, 1991) hing die wahrgenommene Verhaltenskontrolle positiv mit der Intention zum Einsatz effektiver Interventionen und negativ mit der Intention, ineffektive Interventionen einzusetzen, zusammen. Der zweite Zusammenhang bestätigte sich auch bei Strelow et al. (2020). Das bedeutet: Je mehr sich Lehrpersonen ihrer beruflichen Situation und insbesondere der speziellen Herausforderung angesichts einer Klasse mit Kindern mit ADHS gewachsen fühlen, desto eher planen sie, effektive Interventionen zu nutzen, und desto weniger intendieren sie, auf ineffektive Strategien zurückzugreifen. In ähnlicher Weise zeigten Lehrpersonen mit einer hohen wahrgenommenen Verhaltenskontrolle eine höhere Bereitschaft, innovative Unterrichtsmethoden auszuprobieren (Wild & Möller, 2009). Übereinstimmend mit Strelow et al. (2020) wies das Wissen über ADHS in beiden Modellen Zusammenhänge sowohl mit der behavioralen Einstellung als auch mit der Intention auf (positive hinsichtlich effektiver, negative hinsichtlich ineffektiver Interventionen). Dies betont die Relevanz der Wissensvermittlung über ADHS und wirksame Interventionsmöglichkeiten. Die Ergebnisse sind im Einklang mit Studien, die belegten, dass das ADHS-bezogene Wissen von Lehrpersonen ihre Einstellung gegenüber betroffenen Schüler*innen (Mulholland, 2016) sowie ihre Unterrichtsentscheidungen (Anderson et al., 2012) beeinflussten. Die Hypothesen zu den beiden untersuchten Persönlichkeitseigenschaften konnten ebenfalls bestätigt werden: Soziale Dominanzorientierung hing negativ mit der behavioralen Einstellung zum Einsatz effektiver Interventionen zusammen, Autoritarismus hing positiv mit der behavioralen Einstellung zum Einsatz ineffektiver Interventionen zusammen. Im Gegensatz zu Strelow et al. (2020) korrelierte die soziale Dominanzorientierung zudem mit der behavioralen Einstellung zum Einsatz ineffektiver Interventionen. Wenn Lehrpersonen auf Tradition und autoritäre Strukturen Wert legen (Six et al., 2001), ist es wahrscheinlich, dass sie gegenüber ineffektiven Interventionen eher positiv eingestellt sind. Diese sind oftmals hierarchischer Natur und repräsentieren ein pädagogisches System, das überholt ist (z. B. gezieltes Ausüben von Autorität, Schranken aufzeigen, sich über Minderheitengruppen stellen). Konservative Lehrüberzeugungen sind häufig von Veränderungsresistenz geprägt und gehen davon aus, dass Innovationen unnötig sind (Wild & Möller, 2009). Beim Vergleich zwischen ausgebildeten Lehrkräften und Lehramtsstudierenden (Fragestellung 3) zeigte sich, dass die ausgebildeten Lehrkräfte signifikant älter waren und höheren ADHS-spezifischen Stress, mehr Wissen über ADHS, mehr Berufserfahrung mit Schüler*innen mit ADHS, eine günstigere behaviorale Einstellung zum Einsatz effektiver Interventionen, aber geringere allgemeine psychische Belastung und geringere Stressreaktivität angaben. Bezüglich des Einsatzes effektiver Interventionen zeigten sich bei Lehramtsstudierenden übereinstimmend mit unseren Hypothesen 256 Martina Zemp, Laura Hehlke, Anna E. Strelow, Martina Dort, Hanna Christiansen stärkere Zusammenhänge mit dem Wissen über ADHS und dem ADHS-spezifischen Stress als bei den ausgebildeten Lehrkräften. Zusätzlich spielte die subjektive Norm eine Rolle, was bei den ausgebildeten Lehrkräften nicht der Fall war. Auch wenn die Studierenden in unserer Untersuchung insgesamt über geringere ADHS-Kenntnisse verfügten als ausgebildete Kolleg*innen, kann es sein, dass das in der Ausbildung vermittelte Wissen bei ihnen noch frischer und besser abrufbar ist. Durch die geringere Praxiserfahrung mit Schüler*innen mit ADHS könnte der ADHS-spezifische Stress, auch wenn er im Mittel geringer ausgeprägt war als bei den ausgebildeten Lehrkräften, besonders belastend sein. Für dieses Argument spricht auch der Befund, dass die Lehramtsstudierenden eine höhrere Stressreaktivität aufwiesen. Studierende holen in der Regel noch mehr Rat und Erfahrungsaustausch mit ihren Kolleg*innen ein und werden oftmals von erfahrenen Lehrkräften supervidiert oder beurteilt, was erklären könnte, warum die subjektive Norm bei Lehramtsstudierenden besonders bedeutsam war. In Bezug auf ineffektive Interventionen zeigte sich unerwarteterweise, dass die allgemeine psychische Belastung bei den ausgebildeten Lehrkräften stärker mit der Intention zur Nutzung von Interventionen zusammenhing, obwohl sie im Mittel weniger belastet waren als die Studierenden. Denkbar ist, dass es den jüngeren Studierenden noch besser gelingt, Belastungen im außerschulischen Alltag (z. B. durch eigene Kinder) von der Unterrichtspraxis zu trennen. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass diese Unterschiede auf die unterschiedlichen Gruppengrößen zurückzuführen sind. Die Stichprobe der ausgebildeten Lehrkräfte war deutlich größer und hatte damit eine höhere Teststärke. Praktische Implikationen Die Implementierung effektiver Klassenmanagement-Interventionen durch Lehrpersonen ist ein essenzieller Bestandteil, um die erschwerten Ausgangsbedingungen von Schüler*innen mit ADHS zu reduzieren. Die vorliegenden Resultate können der Optimierung von schulischen Fortbildungsmaßnahmen dienen. Diese Studie bestätigt mit dem tiefen Durchschnittswert in der Wissensskala frühere Forschung (Anderson et al., 2012; Schmiedeler, 2013; Sciutto et al., 2000), dass zum Thema ADHS entweder an Hochschulen inadäquat gelehrt oder das Gelehrte unzureichend in die Praxis transferiert wird. In einer deutschen Studie gab nur ein Viertel der Lehrpersonen an, sich im Studium mit dem Thema ADHS beschäftigt zu haben, und eine Mehrheit wünschte sich mehr Spezialkenntnisse (Ruhmland & Christiansen, 2017). Gerade die lehramtsausbildenden Hochschulen verfügen über die Voraussetzung, in der Ausbildung einen ADHS-Schwerpunkt interdisziplinär zu verankern und in Zusammenhang mit den Praktika vertiefend zu behandeln (Dort, Strelow, French et al., 2020). Dies ist deswegen hoch relevant, weil die Beurteilung der kindlichen Symptomatik durch die Lehrperson im Rahmen der situationsübergreifenden ADHS-Diagnostik in der klinischen Praxis einen festen Bestandteil einnimmt und sie für Eltern häufig wichtige Bezugsperson ist. Neben der Vermittlung von Grundlagenwissen zum Störungsbild sollte sichergestellt werden, dass Lehrpersonen einerseits von der Wirksamkeit der Interventionen überzeugt sind und andererseits von der eigenen Fähigkeit, dass sie das erforderliche Verhalten auch umsetzen können. Wiederum stellen schulische Praktika eine zentrale Option dar, eigene Handlungsmuster und deren Konsequenzen zu überprüfen und im Lehramtsstudium professionell zu reflektieren. Des Weiteren sind Stress und Belastungen, sowohl auf ADHS bezogen als auch im Allgemeinen, relevante Faktoren beim Einsatz von Klassenmanagement-Interventionen. Trainings zu individuellen Stressreduktionstechniken (Jennings et al., 2017; Kaspereen, 2012), regelmäßiger kollegialer Austausch (Denner, 2000) und psychologische Unterstützung können hilfreich Klassenmanagement von Lehrpersonen im Kontext von ADHS 257 sein und sollten Studierenden und ausgebildeten Lehrkräften laufend zur Verfügung stehen, um Überforderung frühzeitig vorzubeugen. Einschränkungen der Studie Die Stichprobengröße kann als hinreichend teststark angesehen werden, um Strukturgleichungsmodelle zu rechnen. Aufgrund der relativ kleinen Teilstichprobe der Lehramtsstudierenden sollten jedoch im Speziellen die Multigruppenvergleiche mit Vorsicht interpretiert werden. Zudem wurde die Studie online durchgeführt und es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die Teilnehmer*innen die Fragen unkonzentriert oder unter Ablenkungen beantwortet haben. Es gab eine hohe Anzahl an Personen, die auf den Online-Link klickten, aber die Umfrage nicht vollständig ausfüllten. Jüngere Personen und Lehramtsstudierende brachen die Umfrage signifikant häufiger ab, was darauf schließen lässt, dass die Stichprobe in Bezug auf das Alter und den Berufsstand nicht repräsentativ ist. Ebenso könnte die Selbstselektion die Repräsentativität der Stichprobe reduzieren. Die befragten Personen waren im Mittel wenig belastet und möglicherweise wiesen sie besonderes Interesse für ADHS auf. Zu den methodischen Einschränkungen gehören ferner Messmängel in einzelnen Variablen (subjektive Norm oder ADHS-spezifischer Stress). Mit den erfassten Einstellungsmaßen wurde davon ausgegangen, dass die Entscheidung, Interventionen zu nutzen, rational und bewusst getroffen wird. Dies kann in der Regel angenommen werden, weil Lehrpersonen ihren Unterricht gezielt vorbereiten. Natürlicherweise kommt es in der Praxis aber auch zu spontanen oder unbewussten Reaktionen, die hier nicht erfasst wurden. Künftige Forschung sollte die reale Unterrichtssituation betrachten, die Lehrmethoden bspw. auf Video aufzeichnen und die Lehrenden anschließend befragen, ob die Entscheidungen geplant oder ad hoc waren. Ferner ist anzumerken, dass wir nur die Intention, nicht aber das tatsächliche Verhalten erfasst haben. Nach Ajzen (2005) ist es sinnvoller, die Intention zu erfragen, weil dies in der Regel eine validere Aussage erlaubt, als das eigene Verhalten retrospektiv einschätzen zu lassen. Verhaltensintentionen und Verhalten können jedoch nicht gleichgestellt werden. Oftmals können nur 20 - 30 % der Varianz eines Verhaltens auf die Intention zurückgeführt werden, weil motivationale und volitionale Faktoren nachweislich eine Rolle spielen (Sheeran, 2002). An der Stelle braucht es experimentelle Designs mit Beobachtungsdaten, um das tatsächliche Verhalten zu erfassen. Fazit Angesichts der vorliegenden Resultate wird deutlich, dass die Einstellungen, das Wissen und die Stressbewältigung der Lehrpersonen in Bezug auf ADHS, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten sowie in die Wirksamkeit von Klassenmanagement-Interventionen im Lehramtsstudium gründlich behandelt werden sollten, um Schüler*innen mit ADHS eine erfolgreiche und faire Bildungskarriere zu ermöglichen. Von einem vorurteilsfreien und effektiven Unterricht profitieren letztlich alle Beteiligten: die Lehrperson selbst, die betroffenen Schüler*innen sowie deren Eltern und Mitschüler*innen im Rahmen des gesamten Klassenklimas. Literatur Ajzen, I. (1991). The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50, 179 - 211. https: / / doi.org/ 10.1016/ 0749-5978(91)90 020-T Ajzen, I. (2002). Perceived behavioral control, self-efficacy, locus of control, and the theory of planned behavior. 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Universität Wien Institut für Klinische und Gesundheitspsychologie Renngasse 6 -8 A-1010 Wien E-Mail: martina.zemp@univie.ac.at laura-hehlke@gmx.de Anna Enrica Strelow, M.Sc. Martina Dort, M.Sc. Prof. Dr. Hanna Christiansen Philipps-Universität Marburg Fachbereich Psychologie Gutenbergstr. 18 D-35032 Marburg E-Mail: strelowa@staff.uni-marburg.de martina.dort@staff.uni-marburg.de christih@staff.uni-marburg.de Familienkonflikte vor Gericht 4., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2022. 500 Seiten. 27 Abb. 8 Tab. (978-3-8252-8811-2) kt a www.reinhardt-verlag.de Wenn familiäre Konflikte vor Gericht gelöst werden müssen, ist psychologische Kompetenz für alle beteiligten Berufsgruppen unverzichtbar. Wie beurteilt man die Familienbeziehungen, die Bindungen zwischen Eltern und Kindern, die Erziehungsfähigkeit der Eltern, den Willen des Kindes? Wie wird man vor dem Hintergrund nüchterner rechtlicher Bestimmungen den Bedürfnissen und dem Wohl der einzelnen Familienmitglieder gerecht? Mit diesen Fragen befasst sich die Familienrechtspsychologie.