eJournals Psychologie in Erziehung und Unterricht 70/4

Psychologie in Erziehung und Unterricht
3
0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2023.art16d
101
2023
704

Editorial: Die Bedeutung der Psychologie für die Gestaltung wirksamer und positiver Bildungsprozesse

101
2023
Henrik Saalbach
Olaf Köller
Die Zeitschrift „Psychologie in Erziehung und Unterricht“ (PEU) verfolgt das Ziel, innovative Forschungsergebnisse und bewährte Praktiken aus der Psychologie mit den Anforderungen von Erziehung und Schule zu verknüpfen. Wir hoffen, dass sich daraus Impulse für den Austausch zwischen Psycholog:innen, Pädagog:innen, Lehrpersonen und anderen Fachexpert:innen ergeben, um Bildungsprozesse kontinuierlich zu verbessern. Wir sind überzeugt, dass eine psychologische Perspektive essenziell ist, um individuellen Bedürfnissen von Lernenden gerecht zu werden und wirksame und positive Lernumgebungen zu schaffen.
3_070_2023_4_0002
Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2023, 70, 225 -227 DOI 10.2378/ peu2023.art16d © Ernst Reinhardt Verlag Die Bedeutung der Psychologie für die Gestaltung wirksamer und positiver Bildungsprozesse Henrik Saalbach 1 , Olaf Köller 2 1 Universität Leipzig 2 IPN Kiel Editorial Die Zeitschrift „Psychologie in Erziehung und Unterricht“ (PEU) verfolgt das Ziel, innovative Forschungsergebnisse und bewährte Praktiken aus der Psychologie mit den Anforderungen von Erziehung und Schule zu verknüpfen. Wir hoffen, dass sich daraus Impulse für den Austausch zwischen Psycholog: innen, Pädagog: innen, Lehrpersonen und anderen Fachexpert: innen ergeben, um Bildungsprozesse kontinuierlich zu verbessern. Wir sind überzeugt, dass eine psychologische Perspektive essenziell ist, um individuellen Bedürfnissen von Lernenden gerecht zu werden und wirksame und positive Lernumgebungen zu schaffen. Die Psychologie spielt eine zentrale Rolle bei der Gestaltung einer erfolgreichen Bildung. Sie liefert uns Erkenntnisse über die kognitiven, emotionalen und sozialen Dimensionen des Lernens und der Entwicklung. Insbesondere in Anbetracht aktueller Herausforderungen ist der Beitrag der Psychologie von großer Bedeutung. Ein Beispiel ist die weltweite Corona-Pandemie, die Bildungseinrichtungen vor bisher unbekannte Schwierigkeiten gestellt hat. Psychologische Erkenntnisse helfen uns, die Auswirkungen der Pandemie auf die psychische Gesundheit von Schüler: innen sowie Lehrpersonen zu verstehen und entsprechende Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln. Gesundheitliche Aspekte stehen aber auch unabhängig von Corona im Fokus des Interesses. So ist spätestens seit der Potsdamer Lehrerstudie von Schaarschmidt und Kieschke (2013) bekannt, dass Lehrpersonen mehr als andere Berufsgruppen von psychischen Belastungen betroffen sind. Zudem zeigen aktuelle Befunde, dass postpandemisch je nach Schulform zwischen 20 (Gymnasium) und 52 Prozent (Förderschule) der Schüler: innen von psychischen Störungen betroffen sind (Reiß et al., 2023). Die psychische und physische Gesundheit von Schüler: innen sowie Lehrpersonen sind entscheidende Faktoren für erfolgreiches Lernen und Lehren. Psychologische Erkenntnisse tragen dazu bei, die Gesundheit im Bildungskontext zu fördern und Bewältigungsstrategien für Stress und Belastungen zu entwickeln. Im aktuellen Heft wird dieses Thema von Franziska Greiner und Poldi Kuhl aufgenommen. Sie gehen in ihrem Beitrag unter anderem der Frage nach, über welche Selbstwirksamkeitsüberzeugungen und welches Wissen Lehrpersonen in Bezug auf psychische Belastungen von Schüler: innen verfügen. Ebenfalls durch Corona forciert, aber auch durch den Release von frei zugänglichen KI- Applikationen, seit Neuerem verstärkt ins Zentrum öffentlicher Debatten gerückt, spielen Digitalisierung bzw. künstliche Intelligenz eine immer größere Rolle in Bildungsprozessen. Die Psychologie kann dazu beitragen, die Potenziale dieser Technologien zu verstehen und zu nutzen, aber auch ihre Grenzen zu ermitteln. Sie kann beispielsweise Risiken der Technologien für Entwicklung und Lernen identifizieren, aber auch Wege aufzeigen, wie digitale Medien und KI-gestützte Systeme effektiv in den Unterricht integriert werden können, um das Lernen zu verbessern und die individuellen Bedürfnisse der Lernenden zu berücksichtigen. Im vorliegenden Heft befasst sich der Beitrag von Désirée Thommen und Kolleg: innen mit der Frage, 226 Editorial wie im Onlineunterricht die intrinsische Motivation durch den gezielten Einsatz spezifischer technischer Möglichkeiten aufrechterhalten werden kann. Eine weitere bildungsbezogene Herausforderung steht im Zusammenhang mit dem Thema Bildungsgerechtigkeit. Kinder, die unter Risikobedingungen aufwachsen, werden oft nicht adäquat gefördert und fallen im schlimmsten Fall durch das Raster des Bildungssystems. Die Psychologie hilft dabei, Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Risikofaktoren und Bildungsbarrieren zu erklären und entsprechende Förderansätze zu entwickeln. So hat sich bereits vielfach gezeigt, dass frühe Förderung in sprachlichen und anderen fachlichen Bereichen in dieser Hinsicht wirksam ist. Der Beitrag von Cécile Tschopp und Kolleg: innen im vorliegenden Heft widmet sich der Frage, inwieweit die partizipative Zusammenarbeit von Eltern und Lehrpersonen und die Diversitätsüberzeugungen der Lehrpersonen in positivem Zusammenhang mit der Bewertung der Lernunterstützung im inklusiven Unterricht aus Elternsicht stehen. In einem weiteren Beitrag geben Julia Barenthien und Mirjam Steffensky einen systematischen Überblick über Interventionsstudien zu naturwissenschaftlichen Lernumgebungen im Kindergarten. Die Autorinnen argumentieren, dass eine frühe spielerische aber gezielte Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Inhalten sowie Denk- und Arbeitsweisen die Entwicklung von naturwissenschaftlichem Wissen und motivationalen Orientierungen im Sinne einer „Scientific Literacy“ anregt bzw. unterstützt. Vor dem Hintergrund einer sehr großen Heterogenität in den häuslichen Lernumgebungen sind solche strukturierten vorschulischen Lernumgebungen zweifelsohne auch als Beitrag für Bildungsgerechtigkeit zu betrachten. Schließlich möchten wir betonen, dass die Psychologie einen wertvollen Beitrag leistet, angehende Lehrpersonen auf ihre zukünftigen Aufgaben vorzubereiten und ihnen die dafür notwendigen psychologischen Kenntnisse und Fähigkeiten zu vermitteln. Die Psychologie spielt eine zentrale Rolle in einer wissenschaftlichen Lehramtsausbildung. Dem aktuellen dramatischen Mangel an qualifizierten Lehrkräften wird bildungspolitisch aktuell nicht nur mit Quereinstiegsprogrammen begegnet, die teilweise kaum psychologische Ausbildungsinhalte umfassen, sondern auch mit der Forderung, das grundständige Studium zu verschlanken, um damit so schnell wie möglich Absolvent: innen zu produzieren. Vor dem Hintergrund der Bedeutung psychologischer Erkenntnisse für den Lehrberuf ist aus unserer Sicht aber nicht die Reduzierung, sondern die Aufwertung entsprechender Inhalte notwendig. Zudem sollten Lehramtsstudierende vermehrt die Möglichkeit erhalten, sich wissenschaftlich mit Fragen von Entwicklung, Unterricht und Schule auseinanderzusetzen, um eine „Scientific Literacy“ im Bereich der Bildungsforschung zu entwickeln. Diese wird es den angehenden Lehrpersonen später ermöglichen, ihren Wissensstand zu reflektieren sowie zu aktualisieren, um sich damit kompetent und kritisch in einer Welt der Erkenntnisse, Fakten und vermeintlichen Fakten zu bewegen. In eigener Sache Die PEU hat nach dem Jahreswechsel 2023/ 2024 einen neuen Geschäftsführenden Herausgeber: Das Redaktionsteam aus Leipzig rund um Henrik Saalbach wird den Stab an Olaf Köller und sein Team in Kiel weitergeben, das mit der Aufgabe aufgrund der vielen Herausgeberjahre sehr vertraut ist. Von einer ebenfalls langjährigen Mitstreiterin im Herausgeber-Team müssen wir uns mit dem Jahreswechsel leider verabschieden. Sabine Walper war seit 2001 Herausgeberin der PEU und hatte die Geschäftsführung der Zeitschrift in den Jahren 2008 bis 2011 inne. Ihre entwicklungspsychologische Expertise mit einem besonderen Fokus auf Familie und deren Bedeutung für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen war für die programmatische Weiterentwicklung der PEU von großer Tragweite. Sabine Walper hat eine Reihe von Themenheften ge- Editorial 227 staltet und immer wieder mit eigenen Beiträgen die PEU bereichert. Dies ist umso bemerkenswerter, als ihre Tätigkeit als Forschungsdirektorin am Deutschen Jugendinstitut (DJI) und in letzter Zeit auch noch ihre Position als Vorstandsvorsitzende und Direktorin immens viel Zeit in Anspruch genommen haben. Der kollegiale und freundschaftliche Austausch mit ihr wird uns im Herausgeberteam fehlen. Literatur Reiß, F., Napp, A.-K., Erhart, M., Devine, J., Dadaczynski, K., Kaman, A. & Ravens-Sieberer (2023). Perspektive Prävention: Psychische Gesundheit von Schülerinnen und Schülern in Deutschland. Bundesgesundheitsblatt, 66, 391 - 401. https: / / doi.org/ 10.1007/ s00103-023- 03674-8 Schaarschmidt, U. & Kieschke, U. (2013). Beanspruchungsmuster im Lehrerberuf. Ergebnisse und Schlussfolgerungen aus der Potsdamer Lehrerstudie. In M. Rothland (Hrsg.), Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf (S. 81 - 97). Wiesbaden: Springer VS. https: / / doi.org/ 10.1007/ 978-3-531-18990-1_5 Prof. Dr. Henrik Saalbach Universität Leipzig Marschnerstr. 31 04109 Leipzig E-Mail: henrik.saalbach@uni-leipzig.de Prof. Dr. Olaf Köller IPN - Leibniz Institute for Science and Mathematics Education Olshausenstr. 62 24118 Kiel E-Mail: koeller@leibniz-ipn.de