Psychologie in Erziehung und Unterricht
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0342-183X
Ernst Reinhardt Verlag, GmbH & Co. KG München
10.2378/peu2024.art04d
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Empirische Arbeit: Familien mit 0 bis 3 Jahre alten Kindern mit chronischen Krankheiten und/oder Behinderungen: Elternstress und Belastungen während der COVID-19-Pandemie
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Anna Friedmann
Catherine Buechel
Ina Nehring
Über die Belastungssituation während der COVID-19-Pandemie unter Familien mit jungen chronisch kranken Kindern/Kindern mit Behinderung ist wenig bekannt. In einer Subgruppen-Analyse der in Bayern durchgeführten CoronabaBY-Studie wurden Eltern mit auffällig erhöhtem Elternstress (laut Elternbelastungsinventar von Tröster, EBI) von chronisch kranken Kindern/Kindern mit Behinderung (N=115) hinsichtlich der Gesamtbelastung sowie Einzelbelastungen durch die Pandemie mit auffällig gestressten Eltern (laut EBI) von gesunden, unbeeinträchtigten Kindern (N=115) verglichen. Die Eltern wurden über die Smartphone-App „Mein Kinder- und Jugendarzt“ rekrutiert und mittels standardisierter Fragebögen befragt. 86,1% der Eltern von chronisch kranken Kindern und/oder Kindern mit Behinderung nahmen die Pandemie als belastend/stark belastend wahr mit signifikant höheren Belastungswerten als die Vergleichsgruppe der Eltern mit gesunden Kindern. Insgesamt zeigten sich Eltern mit chronisch kranken Kindern/Kindern mit Behinderung und erhöhtem Elternstress durch die Pandemie belastet. Das Auffangen dieser entstandenen Belastungen durch passgenaue Angebote wird eine längerfristige Aufgabe der Frühen Hilfen sein.
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n Empirische Arbeit Psychologie in Erziehung und Unterricht, 2024, 71, 30 -40 DOI 10.2378/ peu2024.art04d © Ernst Reinhardt Verlag Familien mit 0 bis 3 Jahre alten Kindern mit chronischen Krankheiten und/ oder Behinderungen: Elternstress und Belastungen während der COVID-19-Pandemie Anna Friedmann, Catherine Buechel, Ina Nehring Technische Universität München, Fakultät für Medizin, Lehrstuhl für Sozialpädiatrie Zusammenfassung: Über die Belastungssituation während der COVID-19-Pandemie unter Familien mit jungen chronisch kranken Kindern/ Kindern mit Behinderung ist wenig bekannt. In einer Subgruppen-Analyse der in Bayern durchgeführten CoronabaBY-Studie wurden Eltern mit auffällig erhöhtem Elternstress (laut Elternbelastungsinventar von Tröster, EBI) von chronisch kranken Kindern/ Kindern mit Behinderung (N = 115) hinsichtlich der Gesamtbelastung sowie Einzelbelastungen durch die Pandemie mit auffällig gestressten Eltern (laut EBI) von gesunden, unbeeinträchtigten Kindern (N = 115) verglichen. Die Eltern wurden über die Smartphone-App „Mein Kinder- und Jugendarzt“ rekrutiert und mittels standardisierter Fragebögen befragt. 86,1 % der Eltern von chronisch kranken Kindern und/ oder Kindern mit Behinderung nahmen die Pandemie als belastend/ stark belastend wahr mit signifikant höheren Belastungswerten als die Vergleichsgruppe der Eltern mit gesunden Kindern. Insgesamt zeigten sich Eltern mit chronisch kranken Kindern/ Kindern mit Behinderung und erhöhtem Elternstress durch die Pandemie belastet. Das Auffangen dieser entstandenen Belastungen durch passgenaue Angebote wird eine längerfristige Aufgabe der Frühen Hilfen sein. Schlüsselbegriffe: Chronisch kranke Kinder, COVID-19, Elternstress, pandemiebedingte Belastungen Families with chronically ill and/ or impaired children aged 0 -3 years: parenting stress and burden during the COVID-19 pandemic Summary: Little is known about how the COVID-19 pandemic has affected families with chronically ill/ impaired young children. In a subgroup analysis of the CoronabaBY study conducted in Bavaria, parents with increased parenting stress (according to Parenting Stress Index, Tröster, PSI) of chronically ill/ impaired children (N = 115) were compared with stressed parents of healthy, unimpaired children (N = 115) regarding overall and individual pandemic-related burdens. Parents were recruited via the smartphone app “My pediatrician” and interviewed using standardized questionnaires. 86,1 % of the parents of chronically ill/ impaired children perceived the pandemic as (strongly) stressful with significantly higher ratings than the comparison group. Overall, parents with chronically ill/ impaired children and increased parenting stress were found to be burdened by the pandemic. Addressing the arisen problems of these families through tailored support will be a long-term task of early childhood intervention. Keywords: Chronically ill children, COVID-19, parenting stress, pandemic-related burdens Die COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Beschränkungen haben zu vielfältigen psychosozialen Belastungen bei Familien geführt. Zusätzlich zur allgegenwärtigen Angst vor einer Ansteckung, der sozialen Isolation (Armbruster & Klotzbücher, 2020) und negativen wirtschaftlichen Veränderungen (Béland, Brodeur, Mikola & Wright, 2022) sahen sich Eltern als Folge von stark zugangsbeschränkten Betreuungs- und Unterstützungsangeboten Chronisch kranke Kinder während der COVID-19-Pandemie 31 sowie häufig gleichzeitiger Arbeit im Homeoffice (Huebener, Waights, Spiess, Siegel & Wagner, 2021) mit neuen Herausforderungen bei der Versorgung ihrer Kinder konfrontiert. Über weite Teile der Pandemie stand vorrangig die Belastungslage von Familien mit Kindern ab dem Kindergartenalter (z. B. Jabali, 2021; Christner, Essler, Hazzam & Paulus, 2021) und insbesondere Schulalter (z. B. Ravens-Sieberer et al., 2021) im Fokus des öffentlichen Interesses, während Familien mit jüngeren Kindern eher wenig Aufmerksamkeit erfuhren. Auch wenn Säuglinge und Kleinkinder von den strukturellen Änderungen (etwa Schließungen von Bildungseinrichtungen) durch das Pandemiegeschehen weniger betroffen waren als ältere Kinder, ist dieses Versäumnis wenig nachvollziehbar. Null bis 3 Jahre alte Kinder sind eine vulnerable Gruppe in Bezug auf äußerliche psychosoziale Belastungsfaktoren und haben noch kaum Widerstandskräfte gegen diese Einflüsse ausgeprägt (Heilig, 2013). In Folge der vor allem in diesem jungen Lebensalter sehr exklusiven Abhängigkeit der Kinder von den Bezugspersonen ist diese Phase auch für die Eltern besonders herausfordernd (Schlack, Thyen & von Kries, 2009; Marchetti et al., 2020). Säuglinge und Kleinkinder bedürfen in ihrer Emotionsregulation noch in hohem Maße der externen Regulation und Unterstützung durch ihre Bezugspersonen, was auch einen engen Körperkontakt einschließt (Cole, Lougheed & Ram, 2018). Psychosoziale Belastungen und insbesondere Elternstress - also Stress, der aufgrund der Elternschaft entsteht - können notwendige Ressourcen der Eltern wie die emotionale Verfügbarkeit und Feinfühligkeit gegenüber den kindlichen Bedürfnissen limitieren (McMahon & Meins, 2012; Gabler et al., 2018). So ist Elternstress eng mit einer höheren psychischen Vulnerabilität von Eltern und Kindern (Hattangadi et al., 2020; Neece, Green & Baker, 2012; Farmer & Lee, 2011) und der Qualität der Eltern-Kind-Interaktion und -Beziehung (Neece et al., 2012; Farmer & Lee, 2011; McMahon & Meins, 2012) verbunden. Er kann zu einer geringeren Erziehungsqualität führen, z. B. in Form eines sehr strengen Erziehungsstils (Chung, Lanier & Wong, 2020), bis hin zur Vernachlässigung oder Misshandlung (Wu & Xu, 2020). Im ungünstigen Fall kann erhöhter Elternstress ein Risikofaktor für die Entwicklung von Problemen in der psychischen Gesundheit der Kinder sein (Neece et al., 2012; Hattangadi et al., 2020; Romero, López-Romero, Domínguez-Álvarez, Villar & Gómez-Fraguela, 2020). Eine der wenigen Untersuchungen, die die Situation von Familien mit 0 bis 3 Jahre alten Kindern während der Pandemie beleuchtete, konnte bereits eine Zunahme von Elternstress in dieser Zielgruppe in Deutschland (Bayern) belegen (Buechel et al., 2022; Friedmann et al., 2023). Dies dürfte auf bestimmte Gruppen, die sich bereits vor der Pandemie in herausfordernden Lebenslagen befanden, besonders zutreffen. Eine dieser Gruppen sind Familien mit chronisch kranken Kindern und/ oder Kindern mit Behinderung, bei welchen sich auch erhöhte Werte im Elternstress im Vergleich zu Familien mit gesunden Kindern finden, sowohl grundsätzlich (Gupta, 2007; Golfenshtein, Srulovici & Medoff-Cooper, 2016) als auch während der COVID-19-Pandemie (Chan & Fung, 2022). Weiterhin zeichnen sie sich oftmals durch Einschränkungen der sozialen Teilhabe, ökonomische Einbußen sowie psychosoziale Belastungen durch erhöhte Betreuungsanforderungen aus (Nehring et al., 2015; Khanna, Prabhakaran, Patel, Ganjiwale & Nimbalkar, 2015). Auch der Anteil an Alleinerziehenden ist höher als in der Gesamtbevölkerung (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 2021; Liljeberg & Magdanz, 2022). Dennoch wurden Lebenslagen und Bedarfe dieser Familien bislang nur selten tiefergehend Gegenstand der Familienforschung in Deutschland. Dieses Defizit bildete sich auch während der Pandemie ab. Lediglich einzelne internationale Studien (z. B. Martinsone & Tzivian, 2021) beleuchteten Unterschiede im Stresserleben zwischen Familien mit Kindern mit und ohne Beeinträchtigungen und zeigten, dass während der COVID-19-Pandemie Familien mit Kindern mit erhöhtem Fürsorgebedarf in besonderem Maße von Be- 32 Anna Friedmann, Catherine Buechel, Ina Nehring lastungen betroffen waren. Die intensivierten Anforderungen dürften sich entsprechend in einem erhöhten Bedarf an externer Unterstützung und Angeboten niedergeschlagen haben. Die fehlenden Erkenntnisse zur psychosozialen Belastungslage während der COVID- 19-Pandemie in der vulnerablen Gruppe junger Familien, in denen Kinder mit chronischer Erkrankung und/ oder Behinderung leben und deren Eltern durch Elternstress belastet sind, führt zu folgenden Fragestellungen dieses Artikels: 1. Wie belastend nahmen durch Elternstress belastete Eltern von chronisch kranken Kindern und/ oder Kindern mit Behinderung die Pandemie insgesamt sowie einzelne Pandemiebeschränkungen für sich selbst und für ihre Kinder wahr? 2. Unterscheiden sich die beiden Gruppen von Familien mit erhöhtem Elternstress sowohl hinsichtlich pandemiebedingter Belastungen als auch hinsichtlich weiterer potenzieller Risikofaktoren? Methode Studiendesign Die Datengrundlage für die vorliegende Untersuchung entstammt der Beobachtungsstudie CoronabaBY zu psychosozialen Belastungen in Familien mit Kindern zwischen 0 bis 3 Jahren während der COVID-19- Pandemie in Deutschland, Bayern (Buechel et al., 2022). Bei der hier vorliegenden Untersuchung werden Querschnittsdaten einer Subgruppe analysiert. Die vergleichende Untersuchung erfasst, inwiefern Eltern mit erhöhtem Elternstress die Pandemie sowie einzelne Einschränkungen für sich und ihre Kinder als belastend wahrnahmen. Außerdem wurden Einschränkungen familiärer Unterstützungsangebote während der Pandemie erfragt. Alle erhobenen Parameter wurden hierfür zwischen einer Gruppe von Eltern mit chronisch kranken Kindern/ Kindern mit Behinderung und einer Gruppe von Eltern, deren Kinder gesund waren, in einem Messzeitraum verglichen. Dieser erstreckte sich über das zweite bis ins dritte Pandemiejahr und lag zwischen Februar 2021 und März 2022. Die Selektion der Eltern nach erlebtem Elternstress erfolgte für die vorliegende Untersuchung mit dem Ziel, einen potenziellen Unterstützungsbedarf zu operationalisieren und jene Eltern zu betrachten, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Bedarf an Frühen Hilfen aufweisen. Zudem zeigen Studien, dass Eltern von Kindern mit chronischen Erkrankungen und/ oder Behinderungen generell erhöhten Elternstress erleben im Vergleich zu Familien mit gesunden Kindern (Pinquart, 2018; Gupta, 2007; Golfenshtein et al., 2016) sowie auch während der Pandemie (Chan & Fung, 2022). Um tatsächlich genauere Rückschlüsse auf den Beitrag der chronischen Erkrankung/ Behinderung auf weitere Belastungsparameter ziehen zu können, erschien der Vergleich mit einer Gruppe an Eltern mit gesunden Kindern notwendig, die gleichfalls hohen Elternstress erleben und sich damit auf einem ähnlichen Belastungsniveau bewegen. Teilnehmer: innen Die Rekrutierung der Studienteilnehmer: innen erfolgte über die deutsche Smartphone-App „Mein Kinder- und Jugendarzt“, die ein etabliertes Kommunikationsinstrument ist, welches Eltern mit ihrem Kinderarzt/ ihrer Kinderärztin verbindet. Alle Eltern von Kindern zwischen 3 Monaten und 3 Jahren in Bayern, die die App nutzten und die deutsche Studieneinladung verstanden, konnten an der Studie teilnehmen. Insgesamt wurden hier im angegebenen Studienzeitraum von Februar 2021 bis März 2022 über Push-Nachricht 18 531 Eltern zur Teilnahme eingeladen und über die Studie aufgeklärt - von diesen willigten 3 449 ein. Final füllten dann 2 940 Eltern die Studien-Fragebögen vollständig aus (Friedmann et al., 2023). Als Einschlusskriterium für die vorliegende Auswertung wurde erhöhter Elternstress (T-Wert ≥ 60 im Eltern-Belastungsinventar, Beschreibung siehe unter Instrumente) definiert, um einen potenziellen psychosozialen Unterstützungsbedarf zu operationalisieren. Anschließend wurden alle Eltern von Kindern mit chronischer Erkrankung und/ oder Behinderung, die erhöhten Elternstress erlebten, herausgefiltert („Untersuchungsgruppe“, N = 115). Per Zufall wurde dann eine Vergleichsstichprobe gezogen, die ebenfalls erhöhten Elternstress erlebten, jedoch keine chronische Erkrankung oder Behinderung ihres Kindes angegeben hatten (N = 115). Insgesamt waren damit Daten von N = 230 Familien für die Teiluntersuchung verfügbar (Abbildung 1). Chronisch kranke Kinder während der COVID-19-Pandemie 33 Instrumente Die Eltern wurden mittels standardisierter Fragebögen hinsichtlich soziodemografischer Merkmale, einer chronischen Erkrankung bzw. Behinderung des Kindes und damit verbundener Einschränkungen der Familie im Alltag, der wahrgenommenen elterlichen und kindlichen Gesamtbelastung und Einzelbelastungen durch die Pandemie, Elternstress sowie zu weiteren Einschränkungen während der Pandemie befragt. Soziodemografische Merkmale Zunächst wurde ermittelt, welcher Elternteil (Mutter, Vater, Großeltern) die Fragen beantwortet. Weiterhin wurden erfasst: Alter des teilnehmenden Elternteils, Alter und Geschlecht des Kindes, Anzahl von Geschwisterkindern, Muttersprache, Bildungsgrad, Alleinerziehenden-Status sowie subjektiv eingeschätzter finanzieller Spielraum hinsichtlich von Grundbedürfnissen/ Anschaffungen. Chronische Erkrankung bzw. Behinderung des Kindes Die Frage nach einer möglichen chronischen Erkrankung bzw. Behinderung ihres Kindes beantworteten die Eltern anhand der Frage „Hat Ihr Kind eine chronische Erkrankung (dazu zählen auch Allergien, Neurodermitis, ADHS) oder eine Behinderung? (Mehrfachangabe möglich)“. Mögliche Antworten waren: „Ja, eine chronische Erkrankung“ oder „Ja, eine Behinderung“ oder „Ja, eine chronische Erkrankung und eine Behinderung“ sowie „nein“ und „ich möchte hierzu keine Angaben machen“. Anhand eines zusätzlichen Items wurde auf einer 5-stufigen Likert-Sala (1 = gar nicht bis 5 = sehr) erfragt, wie sehr die chronische Erkrankung bzw. Behinderung des Kindes die Familie im Alltag einschränkt/ belastet. Elternstress Zur Beurteilung des Elternstresses wurde die Eltern- Domäne des Eltern-Belastungs-Inventars (EBI; Tröster, 2010), welche die elterliche Funktionalität erfasst, Chronische Erkrankungen und / oder Behinderung n: 2103 71,5 % ≥ 6 Monate n: 2940 Teilnehmer CoronabaBY-Hauptstudie Erhöhter Elternstress n = 970 Ja n =200 (9,5 %) Nein n =1877 (89,3 %) Keine Angabe n =26 (1,2 %) n =115 57,5 % n =838 44,7 % n =17 65,3 % Abb. 1: Fließschema 34 Anna Friedmann, Catherine Buechel, Ina Nehring verwendet. Hohe Werte weisen auf begrenzte elterliche Ressourcen für die Erziehung und Versorgung des Kindes hin. Die Eltern-Domäne umfasst folgende Subskalen: „Gesundheit“ (gesundheitliche Beeinträchtigung als Ursache oder Folge von Elternstress), „Isolation“ (fehlende Einbindung in soziale Netzwerke), „Rollenrestriktion“ (wahrgenommene Einschränkungen als Folge des Elternseins), „Elterliche Kompetenz“ (Zweifel der Eltern an ihren eigenen Fähigkeiten, die Erziehung und Betreuung ihres Kindes zu bewältigen), „Bindung“ (emotionale Beziehung der Eltern zum Kind), „Depression“ (eingeschränkte emotionale Verfügbarkeit innerhalb der Eltern-Kind-Beziehung) und „Stress in der Partnerschaftsbeziehung“ (als Folge des Elternseins). Die Antworten auf die 28 Einzelfragen wurden auf einer 5-stufigen Likert-Skala gegeben, die von 1 = stimme voll und ganz zu bis 5 = stimme überhaupt nicht zu reichte, was eine mögliche Punktzahl zwischen 28 und 140 ergab. Die drei Cut-off-Kategorien waren ,keine Befunde‘ (T-Wert < 60), ,gestresst‘ (T-Wert = 60 - 69) und ,stark gestresst‘ (T-Wert ≥ 70). Die interne Konsistenz der Eltern-Domäne wird als gut bewertet ( α = .93), die Reliabilität des Retests nach einem Jahr liegt bei r = .87. Korrelationen mit Stressindikatoren und verwandten Konstrukten belegen die Testvalidität (Tröster, 2010). Wahrgenommene Gesamtbelastung durch die Pandemie Sowohl die wahrgenommene elterliche als auch die kindliche Gesamtbelastung durch die Pandemie wurden durch die Eltern beurteilt anhand der fünfstufigen Antwort (von 1 = gar keine Belastung bis 5 = starke Belastung) auf die Frage „Was denken Sie insgesamt: Wie belastend ist/ war die COVID-19-Pandemie für Sie (bitte denken Sie an Maßnahmen wie soziale Einschränkungen, aber auch an Ihre persönlichen Erfahrungen, damit verbundene Sorgen usw.)? “ bzw. „Was denken Sie insgesamt: Wie belastend ist/ war die COVID-19-Pandemie für Ihr Kind? “. Weitere pandemiebedingte Belastungsfaktoren Wahrgenommene Einschränkungen im Bereich der Frühen Hilfen in Folge der Pandemie wurden anhand der Frage „Wie sehr fühlen Sie sich aktuell im Hinblick auf familiäre Unterstützungsangebote eingeschränkt (z. B. Ausfallen von Baby- und Kindergruppen, Förderangeboten, Beratungsangeboten und Sprechstunden…)? “ auf einer 5-stufigen Likert-Skala (1 = gar nicht eingeschränkt bis 5 = stark eingeschränkt) erfasst. Darüber hinaus wurden weitere Fragen zu spezifischen Einschränkungen und empfundenen Belastungen im Zusammenhang mit der Pandemie gestellt (z. B. „Wie eingeschränkt haben Sie sich während der strengsten Pandemiemaßnahmen in Bezug auf soziale Kontakte gefühlt? “). Die pandemiebezogenen Fragen wurden - aufgrund fehlender validierter Instrumente zu diesem Zeitpunkt in der Pandemie - vom Studienteam entwickelt. In bisherigen Veröffentlichungen zur Hauptstudie konnte gezeigt werden, dass die Fragen das Pandemiegeschehen nachvollziehbar abbilden (empfundene Belastungen aufgrund der Pandemie folgen dem Grad von Einschränkungen/ Restriktionen) und sowohl untereinander als auch mit weiteren psychosozialen Belastungsfaktoren (z. B. Elternbelastungsinventar, EBI) signifikant korrelieren (Buechel et al., 2022; Friedmann et al., 2023). Statistische Analyse Zunächst wurde statistisch überprüft, ob Gruppenunterschiede hinsichtlich der Stichprobenmerkmale zwischen der Untersuchungsgruppe und der Vergleichsgruppe vorlagen (t-Tests für unabhängige Stichproben bei normalverteilten intervallskalierten Daten, Chi-Quadrat-Tests bei kategorialen Daten). Die Durchführung des Kolmogorov-Smirnov-Tests ergab, dass sich die Verteilungen des EBI-Gesamtwerts innerhalb der beiden Gruppen unterschieden (p < .001), weshalb hier alternativ der Mann-Whitney-U-Test angewandt wurde. Zur Feststellung von Gruppenunterschieden bezüglich der wahrgenommenen Gesamtbelastung durch die Pandemie sowie einzelner pandemiebedingter Einschränkungen (auch Einschränkung familiärer Unterstützungsangebote) bei Eltern und Kindern wurde das Vorgehen analog zur Berechnung des EBI-Gesamtwerts gewählt. Alle dargestellten Ergebnisse basieren auf einem Alpha-Niveau von 5 %. Die Analysen wurden mit IBM SPSS Statistics Version 28.0 für Windows durchgeführt. Ergebnisse Stichprobenmerkmale An der CoronabaBY-Hauptstudie nahmen im Untersuchungszeitraum N = 2940 Eltern teil, davon waren 92,9 % Mütter, welche im Durch- Chronisch kranke Kinder während der COVID-19-Pandemie 35 schnitt 33.5 (SD = 4,8) Jahre alt waren. Der Anteil der Eltern von Kindern mit chronischer Erkrankung und/ oder Behinderung und erhöhtem Elternstress betrug 3,9 % (n = 115). Diese Eltern waren durchschnittlich 34.95 Jahre (SD = 4.32) alt. Das Durchschnittsalter der Vergleichsgruppe lag bei 34.31 Jahren (SD = 3.96). Der Anteil der teilnehmenden Mütter lag bei 94,8 % (Untersuchungsgruppe) bzw. 96,5 % (Vergleichsgruppe). Kinder mit chronischer Erkrankung und/ oder Behinderung waren im Durchschnitt 24.20 Monate (SD = 8.80) alt. Unter ihnen waren 91 Kinder (79,1 %), die eine chronische Erkrankung hatten, 17 Kinder (14,8 %) mit einer Behinderung und 7 Kinder (6,1 %), die sowohl eine chronische Erkrankung als auch eine Behinderung hatten. Kinder ohne diese Merkmale waren im Mittel 22.13 Monate (SD = 9.90) alt. Eltern der Untersuchungsgruppe hatten signifikant seltener einen hohen Bildungsgrad ( χ 2 (1, 227) = 5.48, p < .05), signifikant seltener einen großen oder sehr großen finanziellen Spielraum für zusätzliche Anschaffungen über den Grundbedarf der Familie hinaus ( χ 2 (1, 217) = 4.98, p < .05) und waren signifikant häufiger überwiegend alleinerziehend ( χ 2 (1, 230) = 15.14, p < .001) als die Eltern der Vergleichsgruppe. Der Elternstress-Gesamtwert (T-Wert) lag in der Untersuchungsgruppe bei M = 66.7 (SD = 3.98) und damit signifikant höher als in der Vergleichsgruppe (U = 5481.00, Z = -2.24, p < .05; Cohen’s d = -.315). Zusätzlich waren signifikant mehr dieser Familien in der EBI-Subskala „Gesundheit“ ( χ 2 (1, 230) = 8.38, p < .01) und „soziale Isolation“ ( χ 2 (1, 230) = 5.37, p < .05) auffällig als Familien mit gesunden Kindern. Weitere Merkmale der Stichprobe können Tabelle 1 entnommen werden. Eltern mit erhöhtem Elternstress (T-Wert ≥ 60) von Kindern mit chronischer Erkrankung/ Behinderung Eltern mit erhöhtem Elternstress (T-Wert ≥ 60) von Kindern ohne chronische Erkrankung/ Behinderung Geschlecht des Kindes: männlich 55,7 % (n = 64) 51,3 % (n = 59) Geschwisterkind: ja 72,2 % (n = 83) 64,3 % (n = 74) Teilnehmendes Elternteil: Mutter 94,8 % (n = 109) 96,5 % (n = 111) Muttersprache: Deutsch 93,9 % (n = 108) 89,6 % (n = 103) Bildungsgrad: Abitur oder höher 47,0 % (n = 54) 61,7 %* (n = 71) Verfügbarer finanzieller Spielraum für zusätzliche Ausgaben: groß/ sehr groß 40,0 % (n = 46) 52,2 %* (n = 60) Überwiegend alleinerziehend 16,5 % (n = 19) 1,7 %** (n = 2) Elternstress (EBI) Gesamtscore (T-Wert) 66,7* 65,5* EBI-Subskala „Bindung“: belastet 51,3 % (n = 59) 45,2 % (n = 52) EBI-Subskala „elterliche Kompetenz“: belastet 74,8 % (n = 86) 73,9 % (n = 85) EBI-Subskala „Partnerschaftsbeziehung“: belastet 76,5 % (n = 88) 75,7 % (n = 87) EBI-Subskala „Rollenrestriktion“: belastet 78,3 % (n = 90) 74,8 % (n = 86) EBI-Subskala „soziale Isolation“: belastet 82,6 % (n = 95) 69,6 % (n = 80)* EBI-Subskala „Depression“: belastet 91,3 % (n = 105) 89,6 % (n = 103) EBI-Subskala „Gesundheit“: belastet 93,0 % (n = 107) 80,0 % (n = 92)** Tab. 1: Stichprobenbeschreibung Anmerkungen: *p < .05, **p < .001 36 Anna Friedmann, Catherine Buechel, Ina Nehring Betroffene Eltern wurden zusätzlich befragt, ob die chronische Erkrankung und/ oder Behinderung ihres Kindes eine Einschränkung oder Belastung im familiären Alltag bedeutet. Dies beantworteten 75,7 % (n = 87) mit „ja“. Durchschnittlich gaben die Eltern eine mittlere Belastung aufgrund der Erkrankung oder Behinderung ihres Kindes an (M = 2.60, SD = 1.27). Wahrgenommene Gesamtbelastung durch die Pandemie für Eltern und Kinder 86,1 % der Eltern der Untersuchungsgruppe gaben an, dass die Pandemie für sie stark belastend (12,2 % eher belastend, 1,7 % gar nicht belastend) war, in der Vergleichsgruppe waren dies 74,8 % (21,7 % eher belastend, 3,5 % eher nicht belastend). Eltern der Untersuchungsgruppe berichteten eine signifikant höhere Gesamtbelastung durch die Pandemie als Eltern der Vergleichsgruppe (U = 5386.00, Z = -2.62, p < .01). Außerdem gaben diese Eltern zu 57,4 % an, dass die Pandemie belastend oder sehr belastend für ihr Kind war (26,1 % eher belastend, 16,5 % eher nicht oder gar nicht belastend). Von den Eltern der Vergleichsgruppe empfanden dies 41,7 % (35,7 % eher belastend, 22,6 % eher nicht oder gar nicht belastend). Eltern der Untersuchungsgruppe schätzten die Belastung für die Kinder signifikant höher ein, als dies die Eltern der Vergleichsgruppe für ihre Kinder taten (U = 5460.50, Z = -2.36, p < .05). Weitere pandemiebedingte Belastungsfaktoren In der Untersuchungsgruppe gaben 76,5 % der Eltern an, dass sie sich zum Befragungszeitpunkt im Hinblick auf familiäre Unterstützungsangebote eingeschränkt oder sehr eingeschränkt (13,9 % eher eingeschränkt, 9,6 % eher nicht oder gar nicht eingeschränkt) fühlten, in der Vergleichsgruppe berichteten dies 67,8 % der Eltern (21,7 % eher eingeschränkt, 10,5 % eher nicht oder gar nicht eingeschränkt). Die Stärke der empfundenen Einschränkungen unterschied sich zwischen den Gruppen nicht signifikant (U = 6041.00, Z = -1.19, p > .05). Bei der Betrachtung weiterer pandemiebezogener Belastungsfaktoren fanden sich signifikant stärkere Einschränkungen der sozialen Kontakte der Eltern in der Untersuchungsgruppe als in der Vergleichsgruppe. Außerdem berichteten die Eltern der Untersuchungsgruppe signifikant häufiger als in der Vergleichsgruppe, dass es „aktuell vermehrt Streit und Konflikte in der Familie“ gab. Pandemiebelastungen Eltern mit erhöhtem Elternstress (T-Wert≥ 60) von Kindern mit chronischer Erkrankung/ Behinderung Eltern mit erhöhtem Elternstress (T-Wert≥ 60) von Kindern ohne chronische Erkrankung/ Behinderung Finanzielle Belastungen 36,0 % (41) 33,6 % (38) Einschränkung sozialer Kontakte Eltern a 60,9 % (70)** 42,6 % (49)** Einschränkung von Freizeitaktivitäten a 79,2 % (91) 76,5 % (88) Einschränkung familiärer Unterstützungsangebote a 73,9 % (88) 67,8 % (78) Vermehrter Streit/ Konflikte i. d. Familie a 40,0 % (46)* 26,1 % (30)* Einschränkung v. Betreuungsangeboten a 49,6 % (57) 39,1 % (45) Sorge vor einer Infektion 44,4 % (51) 47,8 % (55) Gesamtbelastung 86,1 % (99)* 74,8 % (86)* Tab. 2: Belastungen während der Pandemie Anmerkungen: *p < .05, **p < .001; a Skalenpunkte 4 & 5 auf einer fünfstufigen Likert-Skala von 1 (gar nicht eingeschränkt/ belastet) bis 5 (sehr eingeschränkt/ belastet) Chronisch kranke Kinder während der COVID-19-Pandemie 37 Diskussion Die vorliegende Untersuchung beleuchtete die wahrgenommene Gesamtbelastung durch die COVID-19-Pandemie sowie einzelne pandemiebedingte Belastungen in einer Gruppe von durch Elternstress belasteten Familien mit chronisch erkrankten Kindern und/ oder Kindern mit Behinderung im Vergleich zu durch Elternstress belasteten Familien mit gesunden Kindern während der Pandemie. Die Ergebnisse zeigen, dass ein Großteil - über 86 % - der Eltern von chronisch kranken Kindern und/ oder Kindern mit Behinderung die Pandemie insgesamt als belastend bis stark belastend wahrnahm und diesbezüglich signifikant höhere Belastungswerte zeigte als Eltern aus der Vergleichsgruppe. Weit über die Hälfte der Familien gab an, dass die Pandemie auch für ihr chronisch erkranktes Kind und/ oder Kind mit Behinderung belastend bis sehr belastend war. Erneut wurde diese Belastung signifikant höher eingeschätzt, als dies Eltern für ihre gesunden Kinder taten. Sowohl die elterliche als auch die kindliche Gesamtbelastung durch die Pandemie waren im Gesamtsample der Haupt-Studie, an der überwiegend Familien mit gesunden Kindern zwischen 0 bis 3 Jahren teilnahmen, deutlich niedriger (65,2 % und 36,3 %; vergleiche Friedmann et al., 2023). Dies verdeutlicht die besonders hohe Vulnerabilität der Familien mit chronisch kranken Kindern und/ oder Kindern mit Behinderung, welche ohnehin schon multiplen Risikofaktoren ausgesetzt sind. Das Ergebnis steht in Einklang mit dem internationalen Forschungsstand: So zeigte eine der wenigen Studien, die sich mit dem Stresserleben von Eltern chronisch kranker Kinder in der Pandemie befasste, ebenfalls signifikant höhere Werte als bei Familien mit gesunden Kindern (Martinsone & Tzivian, 2021). Da die wahrgenommene Gesamtbelastung durch die Pandemie auch in der Vergleichsgruppe der Eltern mit gesunden Kindern höher als im Gesamtsample der Haupt- Studie ausfiel, liegt zudem der Schluss nahe, dass erhöhter Elternstress - von dem beide Teilstichproben gekennzeichnet waren - eng mit der Wahrnehmung der Pandemie verbunden sein dürfte und einen guten Indikator für das Vorliegen eines psychosozialen Unterstützungsbedarfs darstellte. In Einklang mit dem bestehenden Forschungsstand (z. B. Liljeberg & Magdanz, 2022) wiesen die hier untersuchten Eltern von chronisch kranken Kindern und/ oder Kindern mit Behinderung im Vergleich zu Eltern von gesunden Kindern zusätzlich weitere Merkmale belasteter Lebenslagen auf: Sie verfügten über einen geringeren finanziellen Spielraum und waren häufiger alleinerziehend. Daraus lässt sich ableiten, warum diese Eltern auch signifikant höhere Gesamt-Elternstresswerte aufwiesen als die Vergleichsgruppe mit gesunden Kindern - ein Ergebnis, das sich ähnlich bereits vor der Pandemie in der Literatur finden ließ (z. B. Cousino & Hazen, 2013) und sich so auch in einer deutschen Vergleichsstudie während der Pandemie zeigte (Li, Bünning, Kaiser & Hipp, 2020). Die Eltern mit chronisch kranken Kindern und/ oder Kindern mit Behinderung der hier vorliegenden Untersuchung fühlten sich außerdem signifikant häufiger aufgrund ihrer Elternschaft in ihrer eigenen Gesundheit beeinträchtigt und sozial isoliert - beides Befunde, die bereits präpandemisch in der Vergleichsliteratur zu finden waren (Cohn et al., 2020; Liljeberg & Magdanz, 2022), in der Pandemie aufgrund der ggf. vermehrten Beschäftigung mit Gesundheitsthemen sowie der Maßnahmen zum „social distancing“ möglicherweise aber noch verstärkt wurden. Das Zusammenspiel aus potenziell ungünstigeren soziodemografischen Merkmalen in der Untersuchungsgruppe, der Zusatzbelastung durch einen möglichen erhöhten Fürsorgebedarf eines chronisch erkrankten Kindes und/ oder Kindes mit Behinderung und hohem Elternstress gepaart mit der ausgeprägten Gesamtbelastung durch das Pandemiegeschehen unterstreicht die These, dass Gruppen, in denen bereits vor Pandemiebeginn psychosoziale Belastungen vorlagen, durch die Krise besonders betroffen waren und von Unterstützungsangeboten, wie beispielsweise Frühen Hilfen, hätten profitieren können. Über drei 38 Anna Friedmann, Catherine Buechel, Ina Nehring Viertel der Familien der Untersuchungsgruppe und mehr als 67 % der Eltern der Vergleichsgruppe berichteten, dass zum Befragungszeitpunkt familiäre Unterstützungsangebote eingeschränkt bis stark eingeschränkt waren. Betrachtet man dies im Kontext der Haupt- Studie, so beschrieben dort junge Familien allgemein den begrenzten Zugang zu familiären Unterstützungsangeboten als eine der größten Belastungen unter den pandemiebedingten Restriktionen (Buechel et al., 2022). Das Ergebnis deckt sich zudem mit einer deutschen Untersuchung, wonach sich ein Großteil der Familien durch eingeschränkte bzw. fehlende Unterstützungsangebote auf sich allein gestellt fühlte (Renner, van Staa, Neumann, Sinß & Paul, 2021). Dies lässt Zweifel aufkommen, ob psychosoziale Unterstützungsmaßnahmen, die offenbar einen hohen Stellenwert bei jungen Familien mit entsprechenden Bedarfen haben, diese während der Pandemie ausreichend erreichten. Zusätzlich zur Einschränkung oder gerade wegen der Einschränkung bezüglich familiärer Unterstützungsangebote fühlten sich die Eltern der Untersuchungsgruppe hinsichtlich ihrer sozialen Kontakte stark eingeschränkt. Dies spiegelt sich im erhöhten Elternstress im Bereich der sozialen Isolation wider. Weiterhin wurden in der Untersuchungsgruppe signifikant häufiger familiäre Konflikte genannt als in der Vergleichsgruppe. Diese zeigten in der Hauptstudie einen maßgeblichen Einfluss auf den Gesamt-Elternstress (Buechel et al., 2022) und könnten somit auch hier einen wichtigen Einfluss auf diesen gehabt haben. Die Ergebnisse dieser Studie sind vor dem Hintergrund der folgenden Stärken und Schwächen zu beurteilen: Aufgrund der Rekrutierungsstrategie der Studie wurden ausschließlich Eltern, die die App nutzten, untersucht. In der Stichprobe finden sich überwiegend muttersprachlich deutschsprechende Familien mit eher höherem Bildungsstand und komfortablen finanziellen Rahmenbedingungen. Dies ist zwar in wissenschaftlichen Untersuchungen grundsätzlich häufig der Fall (Galea & Tracy, 2007), schränkt aber insgesamt die Übertragbarkeit auf andere Bevölkerungsgruppen ein. Die Art und Schwere der chronischen Erkrankung und/ oder Behinderung der Kinder wurde nicht explizit erhoben und beschränkt sich auf das Elternwissen, allerdings gaben die Eltern nur eine mittlere resultierende Belastung/ Einschränkung im Alltag an. Dies stellt einen möglichen Hinweis dafür dar, dass die Kinder eher moderat ausgeprägte Krankheitsbilder/ Behinderungen hatten. Ebenso ist die Zusammenfassung von chronischen Erkrankungen und Behinderungen möglicherweise unpassend, jedoch zeigte eine Subgruppenanalyse der Kinder mit Behinderung keine signifikanten Unterschiede zu der hier beschriebenen Untersuchungsgruppe. Bei der Interpretation der Ergebnisse gilt es außerdem zu beachten, dass sich Familien von chronisch kranken Kindern und/ oder Kindern mit Behinderung oftmals in einem Kontext multipler Risiko- und Belastungsfaktoren bewegen. Eine alleinige Zuschreibung eines erhöhten Belastungserlebens zur chronischen Erkrankung/ Behinderung ist daher mit Vorsicht zu treffen bzw. immer im Zusammenhang mit weiteren Aspekten zu diskutieren. Es handelt sich zudem um ein eher kleines Sample. Trotz bestehender Limitationen untersuchte die vorliegende Studie als eine der ersten in Deutschland anhand standardisierter Instrumente die psychosoziale Belastungs- und Unterstützungslage eines bekanntermaßen hochvulnerablen Kollektivs in Pandemiezeiten und liefert so Daten, die in die künftige Versorgung einfließen können. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass junge Familien mit chronisch kranken Kindern und/ oder Kindern mit Behinderung durch eine Akkumulation von sowohl soziodemografischen und versorgungsbedingten Nachteilen als auch einer höheren Belastung von Eltern und Kindern durch die Pandemie eine doppelte Risikogruppe während der Krise darstellten. Aufgrund starker pandemiebedingter Einschränkungen des Zugangs zu familiären Unterstützungsangeboten waren deren psychosoziale Unterstützungsbedarfe mit hoher Wahrschein- Chronisch kranke Kinder während der COVID-19-Pandemie 39 lichkeit jedoch nicht ausreichend gedeckt. Da nicht zu erwarten ist, dass die entstandenen Belastungen automatisch mit Wegfall der Restriktionen zur Eindämmung der Pandemie zurückgehen werden (Friedmann et al., 2023), wird das Auffangen dieser spezifischen Problemlagen durch ein aktives Anbieten passgenauer Angebote eine Aufgabe der Frühen Hilfen sein. Dabei sollten insbesondere die wahrgenommenen Einschränkungen in der persönlichen Gesundheit und die empfundene soziale Isolation dieser Eltern aufgrund der Elternschaft berücksichtigt werden, um ihre Ressourcen für die Versorgung und Erziehung ihrer Kinder zu stärken. Literatur Armbruster, S. & Klotzbücher, V. (2020). Lost in Lockdown? Covid-19, Social Distancing, and Mental Health in Germany. 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